Dabei hatte ich mich grad erst so wunderbar daran gewöhnt. Hinterfragen tat ich nie. Hatte eh keinen Sinn. Denn eine Antwort hätte ich nicht bekommen. Also ließ ich es bleiben. Ersparte mir sinnlose Diskussionen. Es war nicht mein Kind. Jederzeit hätte ich nein sagen können. Aber man ist ja nett. Möchte ein guter Freund sein. Oder nur den Weg des geringsten Widerstands gehen? Wer weiß. Jedenfalls hatte ich damals zugesagt, auf ihren Sprössling aufzupassen. Was sie in der Zwischenzeit tat, sagte sie mir nicht. Ich fragte auch nicht nach. Auch wenn es
mich interessierte. So wie es mich interessierte, warum ausgerechnet ich. Schließlich hatte sie sich vor längerer Zeit gegen mich entschieden. Immer mal wieder gesagt, das sie mich nie wieder sehen will. Nichts mehr mit mir zu tun haben will. Leere Worte. Das war nichts Neues. Im Grunde konnte ich ganz froh sein, das sie nicht mehr meine Frau war. Erstens: auf sie war kein Verlass. Zweitens: sie redete kaum mit mir. Drittens: sie war zu naiv. Dennoch hatte ich es viele Jahre mit ihr ausgehalten. Habe sehr viel Geduld gezeigt. Sie hatte es mir wahrlich nicht leicht gemacht. Aber wenn man jemanden liebt... Eigentlich hatte ich gar keine Lust
gehabt, auf ihr Kind aufzupassen. Sah es nicht ein. Warum ausgerechnet ich? Dennoch tat ich es. Und es tat mir gut. Der Kleine füllte die Leere aus, die seit ihrem Weggang in der Luft hing. Vielleicht hätte ich schon längst eine neue Beziehung gehabt, wenn sie mich nicht dauernd zu sich gerufen hätte, um dieses oder jenes für sie zu tun und ich nicht immer zugesagt hätte. Wer weiß. Den Erzeuger des Kindes lernte ich nie kennen. Sah sie immer nur allein. Sie brachte ihn mir allein und holte ihn allein wieder ab. Einmal hatte ich nach dem Vater gefragt; keine Antwort. Stillschweigend hatte sie ihren Sohn entgegengenommen und war
weg. Ich hatte den Kleinen fast jeden Tag. Auch wenn ich anfangs nur widerwillig den Kleinen nahm, gewöhnte ich mich bald daran, das er bei mir war. Freute mich darauf, wenn es bei mir klingelte und er mir gebracht wurde. So ziemlich jeder dachte, das ich der Vater des Kindes war und ich hatte auch irgendwie das Gefühl. So oft, wie ich ihn hatte und wie viel ich mit ihm unternahm, war es auch kein Wunder. Das erste mal, das ich ihn bekam, war kurz nach seiner Geburt. Ich zog ihn quasi groß. Gab mir allergrößte Mühe dabei. Versuchte die Fehler meiner Eltern zu vermeiden. Klappte nicht immer. Zumindest zeigte
ich mehr Geduld. Meckerte nicht bei jedem bisschen. Und als es darum ging ihn trocken zu bekommen, haute ich ihn nicht, wenn er in die Hosen machte, sondern redete ruhig mit ihm. Das schien auch zu wirken. Zumindest war er eher trocken, als ich damals. Doch kaum hatte ich dies geschafft, passierte das Unglück. Es klingelte an der Tür. Ich dachte, das es seine Mutter sei, die ihn diesmal früher abholte, als sonst. Doch da irrte ich mich gewaltig. Vor der Tür stand nicht seine Mutter, sondern das Jugendamt. Und was wollten die? Natürlich mein Kind. Naja, rein rechtlich gesehen war es natürlich nicht
mein Kind. Aber mir kam es vor, als wäre es mein Kind. Ich hatte das Gefühl, ich befände mich in einem schrecklichen Alptraum. Betete, das ich aufwachen täte. Doch es war kein Alptraum, sondern Realität. Irgendwas war wegen seiner Mutter. Und da ich nicht sein leiblicher Vater war... Es schmerzte, ihn hergeben zu müssen. Zu wissen, das ich ihn wahrscheinlich nie wieder sehen würde. Im Laufe der Zeit war er mir zu sehr ans Herz gewachsen. Wir beide heulten Rotz und Wasser, als sie uns trennten. Noch heute wache ich nachts manchmal auf und höre ihn nach mir rufen. Sehe ihn vor mir. Seine Hände wollen nach mir greifen,
doch sie sind zu kurz. An dem Tag wurde mir bewusst, das das Jugendamt herzlos ist. So, wie sie ihn mir weggenommen hatten. Förmlich aus der Hand gerissen, hatten sie ihn mir. Durfte nicht einmal erfahren, warum, weshalb, weswegen. Sie haben mir ihn einfach weggenommen und waren gegangen. Unsere Tränen interessierten sie nicht. Ich habe versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Aber der wurde mir verwehrt. Seine Mutter ließ sich auch nicht mehr bei mir blicken. War nicht mehr erreichbar. War die Leere damals schon groß gewesen, als sie mich verlassen hatte, war sie noch größer, als
er von mir ging. Er fehlte mir.
Sein Spielzeug liegt kreuz und quer in meiner Wohnung. So wie damals, als er noch bei mir war. Ich putze drumherum und hoffe, das er eines Tages wiederkommt. Auch wenn er nicht mein Kind ist, so liebe ich ihn doch, als wäre er es. Er hat mich zum Positiven geändert.