Verspielt
Bild und Text
Andrea Minutillo
Verspielt
„Was wollen Sie von mir? Warum sitze ich hier fest?“
„Tu net so! Dat weißte genau, Mädche! Wat willst de eijentlich? Somma dir helfe, oder wat?“
So ein alter siegerländer Bulle! Der hat mir noch gefehlt! Als wenn der mir helfen wollte!
Sie hatten mich gewarnt. Alle!
„Geh nicht mit dem! Steig nicht in sein Auto!“
Doch ich war schlauer.
Dachte tatsächlich, die anderen wollten an sein Geld!
Und bin eingestiegen ...
Ich stütze meine Stirn in die gefalteten Hände und schließe meine Augen.
Atme erstmal durch. Mein Körper bebt. Der Beamte schiebt das Aufnahmegerät bedeutungsvoll näher an mich heran.
Sie nennen ihn Eichhörnchen, wegen seinem Schwanz! Mein Gott! Ich bin völlig wundgerieben! Wollte nur was abhaben. So ein reicher Scheißer! Der braucht die ganze Kohle doch gar nicht! Der nicht!
Minuten verstreichen.
Irgendwo hinter mir gurgelt eine Kaffeemaschine.
Ich hatte mich verspielt. Während er mich von hinten nahm, musste ich musizieren. Auf dem Klavier. Wie pervers muss man sein? So ein Arsch! Doch ich hatte mich verspielt. Das brachte ihn völlig aus der Fassung! Und ich? Ich sah nichts als Sterne.
Ein Räuspern: „No, ansich wisse ma wat woar. Un nu musste ma verzärhlen, wie du dat siehst. Wat säiste zu de Geschichte.“
So? Was weißt du denn schon? Was willst du schon wissen? Du oller Bauernkopp!
Gar nichts weißt du! Überhaupt gar nichts!
Langsam hebe ich meinen Kopf. Schaue durch den Schleier meiner smaragdenen Haare. Ziehe die Decke wie zwei Eulenschwingen fester um meine nackten Schultern.
Mir ist klar, was er denkt!
Über Frauen wie mich.
Schlampen!
Über das, was geschehen sein muss ….
Was nur geschehen sein kann … !
Nichts von dem, was ich zu erzählen habe, würde er mir glauben! Ich kenne diese voreingenommenen Fratzen zu genüge.
So ein reiches Arschloch hat immer Recht!
Ein riesiger Kerl mit Stiernacken und Glatze stellt drei Kaffeepötte auf den Tisch. Laut kreischt der Stuhl über den Linoleumboden, ehe er sich darauf niederlässt.
Er sieht mich auffordernd an.
Was für ein Koloss! Aber warme Augen hat er.
Tatsächlich huscht ein flüchtiges Lächeln über meine Lippen.
Es klopft.
„Mir aarwe!“, brüllt der Terrier, der sich mit Herr Friedrich vorgestellt hatte. Er erinnert an ein ergrautes, altes, filziges Vieh.
Erschreckt ziehe ich den Kopf ein.
Ich hasse kläffende Terrier!
Ein weiblicher Kopf schiebt sich durch den Türspalt.
„Frau Dr. Wegezelt ist gerade eingetroffen.“
„Enäh!“
„Sie hat aber nicht viel Zeit.“
Glatze kommt zu mir um den Tisch herum: „Komm, Mädchen, die Frau Doktor will nach dir sehen.“
Sanft führt er mich am Oberarm aus dem Raum.
Die Frau Doktor
Frau Dr. Wegezelt.
Eine grobschlächtige Frau in fortgeschrittenem Alter.
„Schließen Sie bitte die Tür. Am besten von außen.“ Dabei zwinkert sie dem großen Glatzkopf, der an meinem Arm festzuhängen scheint, zu.
Dafür erscheint der weibliche Kopf und bleibt vor der geschlossenen Tür stehen.
„Wie geht es Ihnen? Sie zittern ja am ganzen Leib!“
Ich stehe im Raum und weiß nicht so recht ….
Gleich wird sie die Beißspuren finden!
„Ich hab keine Drogen genommen. Sowas mache ich nicht!“
„Das testen wir. Legen Sie bitte ihre Sachen ab, damit ich sehen kann, ob Sie verletzt wurden.“
Mit trockener Kehle sage ich kaum hörbar: „Ich wurde nicht verletzt.“
Mit einer Handbewegung macht sie mir klar, dass ich mich jetzt bitte ausziehen solle.
Langsam öffne ich die Schnüre meiner Korsage. Er hatte kräftig zugefasst. Gierig grabschten seine klauenartigen Finger nach mir.
Frau Dr. Wegezelt sieht genau hin.
Entlang an meinen grünstichigen Knien.
„Bin hingeflogen. Über eine Baumwurzel.“
Weiter zu den zahlreichen blauen Flecken und Bissspuren.
„Und von einem Tier angefallen, hm? Davon werden Sie noch eine Weile haben. Setzen Sie sich bitte mal da rüber.“
Der Muschelöffner! Na toll, jetzt kriegen sie ihren Beweis, dass ich bei diesem Schwein war!
Warum war ich nur bei diesem Schwein?
Der Abstrich ist gemacht und ich darf ich mich wieder anziehen.
Frau Dr. macht irgendeinen Schnelltest mit Papierstreifen und der Probe, die sie entnommen hat. Dann nickt sie dem weiblichen Kopf in der Tür zu: „Positiv.“
Während sie mir Blut abnimmt, fragt sie: „Haben Sie etwas dazu zu sagen?“
"Pff …! Was soll ich schon zu sagen haben? Der reiche Sack hat mich überrumpelt.
Ohne Gummi! So ein Schwein!
Geben Sie mir eine Pille danach?“
„Die können Sie haben. Aber was Sie noch wissen sollten.
Er war positiv.“
Ich zucke zusammen. Das fehlt gerade noch!
„Kann man schon sehen …?“
„Nein, ist noch zu früh“, sagt die Frau Doktor und legt ihren Arm um mich.
„Möchten Sie reden?“
Ich schüttele nur den Kopf. Rauschen in meinen Ohren. Ich fahre mir mit zittrigen Fingern über die Stirn.
Frau Doktor hält mir ein Glas Wasser und eine Tablette hin: „Nehmen Sie.“
Ich nicke, nehme, schlucke.
Alles Mist, alles Dreck!
Das habe ich wirklich nicht verdient!
Sie klopf mir die Schulter: „Reden Sie! Keiner will Ihnen was anhängen!“
Wenn ich das bloß glauben könnte.
Wieder im Vernehmungsraum
Glatze führt mich zurück in den Vernehmungsraum.
Wortlos setze ich mich an meinen Platz. Wieder kreischt der Stuhl auf, ehe Glatze sich ebenfalls hinsetzt.
Vor mir liegen, fein säuberlich eingetütet, ein Bündel Scheine und dieses seltsame Ding, von dem er meinte, ein Fluch läge darauf.
Glatze legt den Kurzbericht von Frau Doktor dazu.
Ich starre auf die Scheine.
Hätte ich bloß nicht in die Schatulle gegriffen!
Ich atme durch: „Sie ziehen die falschen Schlüsse!“
„Ganz kloa, wat he passiert es. Dat, wat ma he leye ham, sät jo alles“, gibt der Terrier zu bedenken.
„Sogar Ihre Fingerabdrücke sind auf der Mordwaffe!“ Glatze sieht mich eindringlich an: „War es vielleicht Notwehr?“
„Mordwaffe?“ Jetzt haben die mich doch aus der Reserve gelockt!
Was soll ich tun? Was kann ich sagen? Ich habe doch niemanden umgebracht!
Glatze erkennt das Entsetzen in meinem Gesicht.
Auch dem Terrier entgeht dieser entscheidende Moment nicht.
„Nu schwätz endlich, Mädche!“
Ich starre auf das seltsame Ding. Auf die Mordwaffe.
Ich hielt es in meinen Händen! Er zeigte es mir. Er erklärte mir, es brächte Unglück. Ein Fluch läge darauf. Aber das sei doch nur dummer Aberglaube. Es ist aus purem Gold und somit eine gute Wertanlage. Nichts weiter. Ich stellte es auf das Regal zurück. Wir lachten. In dem Moment.
Sahen auf dieses hässliche Teil auf dem Regal, auf das er zutorkelte, als ich mich ihm entreißen konnte. Ich versetzte ihm einen Stoß. Nur um fort zu kommen. Fort von diesem Monster. Er fiel wie ein entwurzelter Baum. Steif und plump. Dann griff ich in die Schatulle und bin gerannt.
Einfach nur gerannt. Bis sie mich griffen.
Auf der Landstraße.
Nur eine Streife. Eine einfache Streife! Wo sollte ich auch hin? Und jetzt sitze ich hier fest. Festgefahren in diesem Dreckhaufen.
„Ich habe niemanden umgebracht! Er hätte mich fast umgebracht!“
Ich sacke zusammen. Vielleicht bringt mich dieses Schwein gerade um.
„Damit ma wisse, dat du de Wahrheit säst, bruche mir Beweise. Wat hier op de Desch lejt, schwätzt alles gäje disch!“
„Schon mal von Gleichberechtigung gehört? Nur weil ich hier in grünem Latex sitze, glaubt mir niemand. Gerade Sie sollten alle Menschen gleich sehen! Gleich behandeln! Es ist völlig egal was ich sage, Sie ziehen sowieso Ihre eigenen Schlüsse!
Und Unsereins hat da ganz schlechte Karten!“
Glatze schiebt mir den Kaffeepott zu: „Was sollen wir denn glauben oder nicht glauben? Sie haben uns noch nicht ein Wort gesagt …“
Die philosophie von der Geschicht ...
Das Mädchen von der Straße sieht sich selbst als Mensch zweiter Klasse.
In ihrem Kopf hat die Inklusion noch weniger stattgefunden, als bei den Polizeibeamten.
Das passiert häufig bei Randgruppen. Sie sehen sich selbst viel intensiver als Exoten, als jeder andere. Schließlich möchten sie sich abheben – irgendwie – bewusst oder unbewusst ist an dieser Stelle völlig unbedeutend.
siegerländer Mundart
Mundart = Sprechkunst
Fürwahr! Es ist nahezu eine Kunst, diesen Dialekt flüssig über die Lippen zu bringen.
Zum besseren Verständnis …
Das „r“ wird sehr weit hinten gerollt.
Wie in Kanada zum Beispiel.
Auch das „o“ steckt eher hinten in der Kehle. Eine sauberes „o“ mit geschürzten Lippen wie bei „so“, ist äußerst selten.
Und auch das "e" spricht sich eher wie ein "ä".
Hier ein paar zu dem Text ausgesuchte Übersetzungen:
verzärhlen = erzählen
säiste = sagst du
aarwe = arbeiten
enäh = oh nein, auf gar keinen Fall
schwätze = reden
„Tu net so! Dat weißte genau, Mädche! Wat willst de eijentlich? Somma dir helfe, oder wat?“
=
„Tu nicht so! Das weißt du ganz genau, Mädchen! Was willst du eigentlich? Sollen wir dir nun helfen, oder nicht?
„No, ansich wisse ma wat woar. Un nu musste ma verzählen, wie du dat siehst. Wat säiste zu de Geschichte.“
=
„Nun, eigentlich wissen wir was war. Und nun brauchen wir deine Aussage. Was sagst du zu dieser Geschichte.“
„Ganz kloa, wat he passiert es. Dat, wat ma he op de Desch leye ham, sät jo alles“, gibt der Terrier zu bedenken.
=
„Eigentlich klar, was hier passiert ist. Was hier auf dem Tisch liegt, sagt bereits alles aus“, gibt der Terrier zu bedenken.