Komm o Schlaf
Ursprungslos, in endlose Zeit geboren, umhüllt das Band der Liebe die Seelenverwandten.
Bild: http://www.codidogs.de/2011/08/herz-3/
Musik: Georg Philipp Telemann
Arie: Komm o Schlaf aus der Oper Germanicus
Sängerin: Nuria Rial
Komm o Schlaf
Der Wald trug sein buntes Herbstgewand. Milde Sonnenstrahlen brachten die Farben zum Leuchten. Gelb, Braun und Rot waren bestimmend. Die Wiesen erschienen in mattem Grün, und gerade dies ergab den bezaubernden Kontrast zum stahlblauen Himmel.
Federleicht schwebte seine Seele über die Landschaft. Ein leiser Windhauch umarmte ihn und schob ihn sanft voran. Die zauberhafte Reise führte über weite Fluren, majestätische Berge und stille Täler – Freiheit soweit das Auge reichte. Ruhe und Frieden untermauerten die
faszinierende Stimmung, die er in vollen Zügen in sich aufnahm.
Auf einmal kam ihm ein Lächeln entgegen, das ihn unverzüglich in vollkommene Geborgenheit tauchte. Deutlich spürte er das starke Band der Seelenverwandtschaft.
Diese entzückenden nach oben gezogenen Mundwinkel kannte er ganz genau. Unverkennbar waren die vollen Lippen, die er so sehr vermisst hatte. Jetzt waren sie da, einfach so aus dem Nichts heraus. Hocherfreut und dennoch ungläubig berührte er mit dem Zeigefinger vorsichtig die Unterlippe und umrahmte anschliessend langsam
Stückchen für Stückchen den ganzen Mund. Es gab keinen Zweifel mehr, ihr Lächeln war echt.
Das Verlangen stieg ins Unermessliche. Er wollte diese Lippen wieder auf seinen spüren, getraute sich aber nicht, den innigen Wunsch zu verwirklichen. Gebannt starrte er auf das Lächeln, bis beide Mundwinkel noch mehr nach oben gingen und daraus ein magisches Strahlen entstand, dem wortlos aber unmissverständlich die Aufforderung folgte: „Küss mich!“
Beherzt nahm er die Einladung an und führte seinen Mund erwartungsvoll dem liebreizenden Ziel entgegen. Mit
geschlossenen Augen legte er sinnlich seine Lippen auf ihre. Zärtlich reibend begrüssten sie einander und begannen lustvoll miteinander zu spielen.
Trotz der geschlossenen Lider blickte er direkt in ihre rehbraunen Augen und fühlte im selben Moment, wie jemand hauchdünne Achterbahnen zwischen den Knöcheln auf seinen rechten Handrücken malte. Dann schmiegten sich warme Finger zwischen seine und verschränkten sich mit ihnen. Wohlvertraut war diese Nähen, herzerwärmend, einfach wundervoll.
Abermals wortlos aber sehr deutlich vernahm er ihre Stimme: „Komm mit
mir!“
Er schlug die Augen auf und sah eine breite, endlos scheinende Buchenallee. Ohne zu zögern liess er sich führen. Überschwängliche Glücksgefühle durchdrangen ihn, alles war noch eindrucksvoller als zuvor. Die Sonne lachte vom Himmel und er atmete genüsslich die frische Herbstluft ein, die schon einen Hauch von Winter in sich trug. Jeder Baum, dem er begegnete, verneigte sich vor ihm und hiess ihn willkommen. Ab und an stand er an Verzweigungen, an denen er nicht wusste, wo es weiterging. Doch die Hand zeigte ihm immer wieder, welchen Weg sie mit ihm wandeln wollte.
Manchmal glaubte er auf dem Boden Fussabdrücke zu erkennen und versuchte in ihnen zu gehen, der Spur exakt zu folgen. Wenn ihm dies gelang, wurde er besonders beschwingt und Schritt für Schritt mit wundersamer Energie durchströmt.
Nach einiger Zeit kam er zu einem Holzbänkchen. Dort gönnte er sich eine Pause, setzte sich und liess die Beine baumeln. Plötzlich spürte er, wie jemand den Kopf auf seinen Schoss legte, und gleich darauf war der lächelnde Mund wieder da. Dem konnte und wollte er nicht widerstehen. Er beugte sich nach vorn und vergnügte sich mit den
feuchtwarmen Lippen.
Nun tauchte ihr Gesicht mit den süssen Lachfältchen auf und nach und nach offenbarte sich der ganzer Körper. Leidenschaftlich nahm er sie in die Arme, drückte sie fest an sich und sagte: „Wie schön, dass du da bist!“
Ihre funkelnden Augen gaben ihm die Erklärung: „Die Liebe kennt keine Entfernung. Es ist wie mit den Sternen. Auch wenn du mich nicht siehst, bist du immer von mir umgeben.“
Ursprungslos, in endlose Zeit geboren, umhüllt das Band der Liebe die Seelenverwandten.