Nach einigen Stunden Fußmarsch durch den Wald, die Sonne ging bereits unter, stoppte Kagrem Goldbringer plötzlich die Karawane. „Wir sind da.“, sagte er ohne Enduen anzuschauen. Sein Blick war auf einen unbewachsenen Teil des Berges gerichtet. „Woran könnt Ihr das erkennen?“, entgegnete dieser. Einige der Männer grinsten und fingen an zu tuscheln. „Seht Ihr die kleine Rune dort oben?“. Er zeigte mit seinem rechten Zeigefinger
auf ein in den Stein gehauenes Symbol. „Diese Rune steht für den Stamm der Ausgestoßenen.“ „Stamm der Ausgestoßenen?“, wiederholte Enduen erstaunt. „Ich habe viel über die vier Stämme gehört, aber niemand von einem Fünften.“ „Selbst unter unseresgleichen reden wir nicht darüber. Und dieser Stamm wurde auch niemals während einer Zusammenkunft der Zwergenkönige anerkannt. Die Zwerge dieses Stammes wurden ins Exil geschickt, oder sind vor ihrer gerechten Strafe geflogen. Diebe, Mörder, Ehebrecher! Zwerge die sich gegen ihren Clan und dessen Gesetze gestellt haben. Deshalb nennen
Sie sich Stamm der Ausgestoßenen. In meinen Augen sind sie nichts weiter als Abschaum, und ich verstehen nicht, warum dieses Geschwür nicht mit einem Schlag aus dem Leib dieser Welt geschnitten wird.“ „Ich kenne Eure Gesetze und Sitten nicht genau, aber vielleicht ist es für diese Leute schon Strafe genug nicht mehr in ihrer Heimat und bei ihrer Familie zu sein.“ „Ihr mögt Recht haben, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es sich um Verbrecher handelt. Wie würdet Ihr denken wenn dieses Gesindel sich plündernd durch Euer Land bewegt, Elfen tötet und Eure Schätze raubt? Ich
bin mir sicher, Ihr würdet Eure Meinung dann ändern.“ „Ihr mögt Recht haben Kagrem, aber würden mir die Zwerge dieses Stammes, der in Euren Augen gar kein Stamm ist, die Selbe Geschichte erzählen? Oder würden sie sich aufgrund ihrer anderen Denkweise als Opfer sehen und nicht als Täter? Jede Münze hat zwei Seiten, und somit gibt es auch unterschiedliche Betrachtungswinkel. Was für Euch wie Mord aussieht könnte der Täter als Notwehr auslegen. Somit wäre er das Opfer und der Tote der Täter.“ „Trollscheiße! Ihr Elfen dreht euch die Wahrheit so hin wie ihr sie gerade braucht.“ Mit diesen Worten drehte sich
Kagrem um und ging zu den Wagen um sich etwas zu trinken zu holen. Die Männer standen weiterhin um die Karawane herum und warteten auf weitere Befehle. Jadrem, der die ganze Unterhaltung mitbekommen hatte, sich aber zurück hielt, ging zu Enduen und erklärte dem verdutzten Elf was gerade passiert ist. „Wundert Euch nicht über meinen Bruder. Er ist ein kluger Mann mit einer großen Lebenserfahrung, aber Ihr habt seinen wunden Punkt getroffen.“, erklärte er Enduen. „Kagrem war einst ein beliebter und geschätzter Richter. Bekannt für seine weisen Urteile die er fällte wurden unschuldige Zwerge wieder
freigelassen, und Verurteilte bekamen ihre gerechte Strafe. Jeder erhielt das was er verdiente, und nie hatte er sich geirrt. Bis auf ein einziges Mal. Dies veränderte sein gesamtes Leben.“ „Was ist ihm wiederfahren?“, wollte Enduen wissen. „Es war die verbotene Liebe zwischen einem jungen Zwerg und der Frau eines anderen Clans. Ihr müsst wissen, Vermählungen finden bei uns nur innerhalb eines Clans statt. Alles andere müssen die Clan-Ältesten entscheiden. Und diese Entscheidungen fallen nur in den seltensten Fällen positiv aus. Aus diesem Grund wird von diesem Recht auch kein Gebrauch mehr gemacht. Das
Liebespaar worum es geht traf sich heimlich über mehrere Jahre. Bis zu dem Tag als der Vater seine Tochter einem angesehenen Schmiedemeister zur Frau geben wollte. Ihr könnt Euch vorstellen, dass dieser Beschluß für die Beiden den Untergang der Welt bedeutete. Doch sie wollten sich damit nicht abfinden und gingen gemeinsam vor den Ältestenrat. Um ein positives Urteil fällen zu können benötigten sie allerdings die Zustimmung des Vaters der Braut und des Bräutigams. Der junge Zwerg ging am Abend darauf zu dem Haus des hoffentlich zukünftigen Schwiegervaters um ihm von ihrer langjährigen, geheimen Liebe zu erzählen und das sie gerne
heiraten möchten. Er selber war nur einfacher Steinmetz und hatte außer seinem Herzen keine Schätze, die er mit in die Ehe bringen konnte. Die Reaktion des Vaters war wie erwartet. Er war außer sich vor Wut und drohte ihn zu töten, sollte er sich weiterhin mit seiner Tochter treffen. In seiner Verzweiflung nahm der junge Mann seinen Hammer vom Gürtel und erschlug den Vater. Aufgrund der Falschaussage der Tochter wurde er wegen Notwehr freigesprochen. Das änderte jedoch nichts an der versprochenen Ehe. Erst als der zukünftige Ehemann über ein marodes Geländer stürzte und den Tot fand wurde auch der Fall des
erschlagenen Vaters und die Aussage seiner Tochter erneut überprüft. Zahlreiche Widersprüche führten zwar zur Verurteilung des tödlichen Liebespaares, aber das Urteil konnte wegen ihrer Flucht nie vollstreckt werden. Sie hatten Hilfe von Außerhalb und konnten somit aus dem Gefängnis entkommen.“ „Und Kagrem glaubt, dass die Beiden beim Stamm der Ausgestoßenen Zuflucht gefunden haben. Doch was hat das alles mit ihm zu tun?“ „Ja versteht Ihr denn nicht? Er hatte sich nie geirrt, und jeden Verbrecher seiner gerechten Strafe zugeführt. In diesem Fall hatte sein Freispruch jedoch
das Leben von einem weiteren Zwerg gefordert. Das hatte er nicht verkraftet und zog sich von seinem Amt als Richter zurück. Er wurde verschlossen und seine Selbstvorwürfe hätten ihn fast zerstört. Unser Vater konnte ihn dazu überreden mit auf eine seiner Reisen zu kommen, und im Laufe der Zeit gewann er Abstand zu den Geschehnissen. Als unser alter Herr starb übernahm Kagrem seine Geschäfte und ich wurde sein Stellvertreter. Seitdem ist er nur noch selten in unserem Berg. Ich führe die Geschäfte in unserem Handelsposten und begleite ihn nur auf wichtigen Reisen um von ihm zu lernen wie die Verhandlungen mit den verschiedenen
Völkern ablaufen.“ „Hat man je wieder von den Beiden gehört?“, frage Enduen. „Hatte man von wem gehört?“, wollte Kagrem wissen der gerade zurück kam. Er hatte die Ware auf den Karren kontrolliert ob nicht irgendwo sich die Seile gelockert hatten. „Von niemandem!“, erwiderte Jadrem. Sein Bruder kniff das linke Auge ein wenig zusammen und schaute ihn scharf an. „Ist ja auch nicht so wichtig.“, er wandte sich Enduen zu. Ihr müsst hier warten bis es Nacht ist. Wenn der Mond aufgegangen ist spiegelt sich sein Schein in den verborgenen Runen wieder. Folgt den Anweisungen und das
Tor wird sich öffnen.“ „Wollt Ihr uns denn nicht begleiten?“, fragte er verwundert. „Bei Hogar, nein! Keine zehn Trolle würden mich in diesen Berg bringen.“, erwiderte Kagrem mit erhobenen Händen. „Die Stollen wurden bestimmt seit ewigen Zeiten nicht benutzt und könnten bei der kleinsten Erschütterung einstürzen. Außerdem ist dieser Berg verflucht. Man sagt, dass Böse hat hier Einzug gehalten und den dort lebenden Stamm wieder ausgespuckt. Niemand weiß wo sie sich heute verstecken. Oder zumindest will es niemand verraten.“ „Dann danke ich Euch für Eure Gastfreundschaft.“ Enduen deutete eine
Verbeugung an. „Ich danke Euch ebenso für Eure Gesellschaft, auch wenn Ihr lernen solltet lockerer zu werden.“, spottete Kagrem. „Und ich wünsche Euch viel Glück bei Eurer Suche nach dem Zauberer.“ „Es war schön Euch kennengelernt zu haben. Vielleicht begegnen wir uns irgendwann einmal auf einer unserer Reisen. Oder Ihr besucht uns in unserem Handelskontor.“ „Wir werden sehen was die Zeit bringt.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich die ungleiche Gesellschaft. Während Enduen am Fuße des Berges verweilte setzte die Karawane den Weg zu ihrem
Ziel fort. Enduen ging ein paar Schritte in Richtung eines Baumstumpfes, blieb vor diesem stehen und sagte mit ruhiger Stimme: „Nemdel, Du kannst jetzt aus Deinem Versteck kommen. Die Zwerge sind außer Reichweite.“ Der junge Elf zog die Kapuze seines Umhangs zurück, und aus dem vormals wurzelnden Baumstumpf trat ein auf dem Boden hockender Waldläufer zum Vorschein. Die elfischen Waldläufer besaßen die Fähigkeit sich in jedem erdenklichen Umfeld zu tarnen. Dies war ein
wesentlicher Bestandteil ihrer Ausbildung. Wenn sie nicht gesehen werden wollten war es auch fast unmöglich sie zu entdecken. Eingehüllt in ihre Umhänge, und mit etwas Magie, konnten Sie sich in Sekunden schnelle in Dinge aus ihrer Umgebung verwandeln. Ein kleiner Baum, das Stück einer Mauer, ein Bücherregal. Wichtig war, dass diese Objekte mit ihrer Körpergröße überein stimmten. „Wie konntest Du mich sehen.“, wollte Nemdel wissen. „Ich hatte mich doch getarnt.“ „Du hattest Dich nach allen Regeln der Kunst versteckt, aber Du vergisst häufig
die Gabe der Beobachtung. Als ich mit den Zwergen hier ankam stand an dieser Stelle“, er zeigte mit dem Finger auf den Platz wo bis eben Nemdel noch hockte, „noch kein Baumstumpf. Demnach gab es nur eine Erklärung.“ Nemdel zog die linke Augenbraune hoch und frage seinen Lehrer, „Wie geht es jetzt weiter?“ „Wir warten!“ „Auf was!“ „Bis der Mond aufgeht und uns den Weg in diesen Berg zeigt.“ Enduen ging zu einem nahe gelegenen wilden Birnenbaum, dessen Samen einst der Wind dorthin getragen hat. Er erntete
ein Dutzend von den herunter hängenden Früchten und steckte sie in seinen ledernen Beutel. Vier weitere nahm er in seine Hände und ging mit ihnen zum Lagerplatz. Nemdel hatte in der Zwischenzeit kleine Äste und Reisig aufgestapelt und Steine im Kreis um die Feuerstelle herum gelegt. Somit war alles für ein kleines Feuer bereit wenn es Nacht wurde. Die zwei Waldläufer setzten sich im Schneidersitz an das ruhende Lagerfeuer und aßen die frisch gepflückten, saftigen Birnen. Da Nemdel nicht sehr hungrig war, was eher selten vor kam, steckte er eine Frucht in seine
Tasche. Nach einigen Stunden des Wartens und der Stille schlich sich langsam der Mond an seinen Platz im Firmament. Er sah aus wie ein großer, runder Käse den ein Gott dort zum reifen aufgehängt hatte. Sein Schein fiel auf die Rune welche den Stamm der Ausgestoßenen symbolisierte, und brachte weitere Runen zum Vorschein. Eine Eule saß mit ihren großen Augen auf einem nahe gelegenen Baum und schaute gespannt dem Schauspiel zu. Die beiden Elfen standen auf und gingen näher auf den durch feine, leuchtende
Linien im Fels sichtbar werdenden Durchgang zu. „Was steht dort?“, wollte Nemdel wissen. „Es wurde in einem seltsamen Dialekt der Zwerge geschrieben. Meine Kenntnisse sind ein wenig eingerostet, aber dort müsste soviel stehen wie: Wenn Du ein Freund bist, dann sei gegrüßt.“ Der junge Elf schaute seinen Begleiter zweifelnd an. „Wenn Du ein Freund bist, dann sei gegrüßt?“, wiederholte er und verzog seine Gesichtszüge dabei. „So steht es zumindest dort.“ „Das ist doch alles Blödsinn. Wir sollten weiter ziehen und einen offenen Weg in diesen Berg finden.“ Nemdel ging zurück
zum wärmenden Feuer, setzte sich und schnitt mit seinem Dolch ein Stück von dem mitgebrachten Brot ab um es sogleich ein wenig frustriert zu verspeisen. Enduen schaute weiterhin auf die sichtbar gewordenen Runen. „Du solltest nicht so schnell aufgeben, mein junger Schüler. Geduld ist eine Tugend, die nicht nur mit dem Alter kommt. Und vor allem, sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.“, belehrte er ihn. „Aber wieso sollen wir uns in Geduld üben wenn es keinen Sinn macht hier weiter zu verweilen? Sollen wir ewig warten bis die Karawane zurück kommt,
und für uns die Pforte öffnet? Oder ein anderer Zwerg?“, entgegnete Nemdel ein wenig trotzig. „Für uns Elfen spielt Zeit keine Rolle. Wir leben ewig.“ „Ihr vielleicht! Aber meine Mutter war eine Zauberin aus Shakara. Auch wenn mein Vater elfischer Abstammung ist, so werde ich zwar sehr lange, aber nicht ewig leben.“ Er drehte sich zu ihm um und schaute ihn ohne eine Regung seiner Gesichtszüge an. „Das wußte ich nicht. Ist das der Grund für Deine Ungeduld?“, fragte er ihn ruhig und besonnen. „Auch wenn ich nach höherem Strebe, so bin ich doch wer ich
bin.“ „Du hast viele Eigenschaften der Sterblichen, aber es fließt auch elfisches Blut in Dir. Mach Dir die Stärken der Elfen bewußt und lebe danach. Dann wird vieles einfacher für Dich werden.“ Ein Gedanke schoss Enduen durch den Kopf und er drehte sich plötzlich in Richtung des Eingangs. „Was habt Ihr?“, wollte Nemdel wissen. „Wie begrüßt man einen Freund?“ „Was?“ „Wie begrüßt man einen Freund?“, fragte Enduen erneut, drehte sich zu ihm um und schaute ihn dabei ein wenig aufgeregt an. „Man sagte hallo und umfasst die Hände
im Kriegergruß.“, antwortete er leicht verwirrt, die beiden Augenbrauen nach oben gezogen. „Nein, wie hatte mich der Zwerg bei unserer ersten Begegnung begrüßt?“, fragte Enduen ihn und schüttelte dabei den Kopf. „Äh, hawit frenk oder so ähnlich?“, Nemdel schaute ihn verunsichert an. „Nein, es klang noch ein wenig anders.“, Enduen murmelte ein paar Worte und versuchte sich zu erinnern. Er schaute konzentriert auf die leuchtenden Runen und massierte mit den Fingern der Rechten seine Stirn. Schlagartig fiel es ihm wieder ein, „Hevet Freyk!“, sagte er mit erhobener
Stimme, und die Pforte in das Reich der Zwerge öffnete sich.
abschuetze Dasssich das Reich der Zwerge mit dieser Begrüßungsformel öffnet, finde ich toll. Ich würde aber den Spruch, die feinen leuchtenden Linien... ich würde diesen Spruch ändern. Freunde erinnert zu sehr an "Herr der Ringe". Lass dir einen kleinen Vierzeiler einfallen oder so. LG von Antje |