Kapitel 25 Heimkehr
Die Windrufer trieb in einiger Entfernung auf den Wellen. Im frühen Morgenlicht wirkte das Wasser beinahe wie Rotgold. Zyle blinzelte und schirmte die Augen mit der Hand gegen das grelle Licht ab.
Er hatte nicht wirklich geglaubt, das Schiff je wiederzusehen. Der Gejarn stand zusammen mit den anderen am Strand und wartete. Ein Boot lag unten am Wasser bereit, um sie zurück zum Schiff zu bringen. Und fort von Maras. Zyle war sich nicht sicher, wie er sich
darüber fühlen sollte. Hierbleiben stand außer Frage. Aus verschiedenen Gründen. Und doch gab es Dinge, die er loswerden wollte. Er wusste nur nicht wie…
Noch einmal hatten sich alle am Strand eingefunden und warteten darauf, dass jemand das Signal zum Aufbruch gab.
Relina war vollauf damit beschäftigt, ihn so gut es ging zu ignorieren und unterhielt sich mit Kellvian.
,, Solltet ihr Anfangs Hilfe mit der Ausbildung neuer Magier brauchen, kann ich sicher dafür sorgen, dass der Orden mit euch verhandelt.“ , erklärte dieser grade. Es war ein Angebot, das die so selbstherrlichen Zauberer Cantons wohl
etwas in die Schranken weisen würde, dachte Zyle. Normalerweise duldete der Sanguis-Orden keine Magier neben seinen eigenen. Aber einem Befehl des Kaisers konnten sie sich schwer wiedersetzen. Er bezweifelte, das Kell dem Orden seine Beteiligung an der Verschwörung vor fast zwei Jahren wirklich verziehen hatte, auch wenn dieser jetzt einen neuen Obersten Zauberer hatte.
,, Die meisten Zauberer hier sind erst zu uns gekommen, als sie schon halb erwachsene waren, wenn ihre Begabung sich nicht ehr verbergen ließ. Ich denke, etwas Hilfe wäre für den Anfang nicht schlecht. Dennoch glaube ich nicht, dass
viele den Orden hier willkommen heißen würden. Es hat seine Gründe, warum wir nicht einfach nach Canton geflohen sind.“
,, Ihr könnt auch einige Boten nach Canton senden.“ , meinte Kellvian. ,, Der Orden wird ihnen beibringen, was sie wissen müssen, dafür sorge ich.“ Und vermutlich war es auch noch eine kleine Bestrafung, wenn er die Zauberer zwang, mit anderen zusammenzuarbeiten.
,, Vielleicht mache ich mich dann auch persönlich auf den Weg. Ich wünsche euch eine gute Reise. Wenn ihr jetzt aufbrecht, könnt ihr noch die Flut nutzen.“ Relina wollte sie offenbar loswerden. Oder vielleicht auch nur ihn,
dachte Zyle düster. So oder so. Es gab kein zurück.
Cyrus hatte bereits das Boot ins Wasser geschoben und sprang an Bord. ,, Wenn wir uns beeilen sind wir in weniger als einem Monat an der Küste. Kommt schon.“ Der Wolf streckte eine Hand aus und half nacheinander Eden, Erik und schließlich Zachary an Bord.
Kellvian wendete sich ebenfalls ab, gefolgt von Jiy. Zyle war der letzte, der sich abwendete. Ein halbes Dutzend Hände streckten sich ihm über die Bootswand entgegen.
,, Beeilt euch oder ihr müsst ausprobieren ob ihr schwimmen könnt.“ , meinte Erik. ,, Los
jetzt…“
,, Einen Moment noch.“ Er konnte nicht einfach so gehen. Eine Sache gab es, die er auf jeden Fall aus seinem Kopf bekommen musste. Zyle drehte sich nicht zu ihr um, weil er fürchtete, sonst vielleicht den Mut zu verlieren. Es hatte eine gewisse Ironie. Er hatte sich selten gefürchtet. Jetzt schien es, tat er das ständig. Ob vor sich selbst, vor der Zukunft… oder gar vor seinen eigenen Worten. Ihre Antwort war egal. Nur wissen musste sie es.
,, Ich…liebe dich noch immer. Ich weiß, wie absolut dämlich das klingt aber… ich kann nicht gehen ohne dass du das weißt.“
,,Geh endlich.“ Relinas Stimme war kalt. Das war die einzige Antwort, die er brauchte und er brachte nach wie vor nicht den Mut auf, sich umzudrehen.
,, Ich musste nur die Wahrheit wissen. Wir sehen uns nicht wieder.“ Er ergriff eine ausgestreckte Hand, welche war ihm letztlich egal, und zog sich ebenfalls an Bord des kleinen Schiffs, das beständig vom Ufer fort trieb.
,, Ist bei euch alles in Ordnung ?“ , fragte Jiy.
,, Jetzt schon.“ , antwortete Zyle. Gegen den kalten Dorn in seiner Brust konnte er wenig tun. Aber wenn das nicht der letzte Beweis dafür war das er…
lebendig war, dann wusste er nicht. Irgendwann würde der Schmerz auch nachlassen. Ein Teil von ihm freute sich bereits darauf, nach Canton zurück zu kehren. Er hatte dieses Land schätzen gelernt, fast mehr, als seine eigene Heimat. Ob er jemals nach Helike zurück kehrte würde die Zukunft entscheiden müssen. Aber was immer diese auch für ihn brachte, er konnte ihr mit einem schwachen Hoffnungsfunken entgegensehen. Entgegen seines eigentlichen Entschlusses sah er doch noch einmal zurück. Relina stand noch immer, als kaum mehr erkennbarer Schemen, am Strand.
Vielleicht, wenn er sich einmal
entschloss, nach Helike zu gehen, würde er auch hierher zurückkehren. Und sei es auch nur, um sie kurz zu sehen.
Doch nun lag eine andere Reise vor ihm. Wochen auf See… Viel Zeit um nachzudenken. Gedankenverloren strich er über sein linkes Handgelenk und war beinahe überrascht, dort nicht das vertraute, kalte Metall zu spüren. Bisher war es ihm gar nicht aufgefallen. Zumindest davon war er frei.
Relina wartete, bis das Boot im Schatten der Windrufer verschwand. Dann zwang sie sich dazu, den Strand hinauf zurück
zu gehen. Sie würde nicht warten, bis Zyle und die anderen verschwunden waren. Aber… sie würde Kellvians Angebot nach Canton zu gehen annehmen, dachte sie. Sobald hier alles unter Kontrolle wäre würde sie… Relina unterbrach sich selbst. Sie sollte das eher so lange wie möglich aufschieben. Wenn sie ins Kaiserreich ging, würde Zyle auch noch da sein. Aber war das nicht der Grund, aus dem sie sich beeilen wollte?
Sie schüttelte den Kopf, als sie einen letzten Blick zurück warf. ,,Sichere Reise.“ , murmelte sie, während sie den Weg in Richtung Ratsplatz einschlug. Solange das Gebäude noch nicht fertig
war, würden sie sich wohl unter freiem Himmel beraten müssen, aber das war ihr ohnehin lieber. Sie hatte erreicht, was sie wollte. Jetzt musste sie dafür sorgen, dass der Rat auch seine ersten Entscheidungen sorgfältig traf. Nachdem die Magier unter Kontrolle waren, konnten sie sich endlich wieder wichtigeren Problemen zuwenden. Es gab zwar mittlerweile für alle Bewohner der Insel Unterkünfte, aber die Felder, die sie angelegt hatten, würden nicht ausreichen, um alle zu ernähren. Sie müssten schleunigst noch weitere Freiflächen schaffen. Die Wälder nahem nach wie vor einen Großteil der Insel ein. Vielleicht sollten sie sich daran
machen, sie genauer zu erkunden. Essbare Pflanzen und Früchte zu finden würde ihnen zumindest etwas Luft verschaffen…
Bevor sie sich weiter darüber Gedanken machen konnte, zuckte leicht zusammen. Eine Welle aus Übelkeit überrollte sie. Relina richtete sich mit einem leisen Fluch wieder auf.
Sie hatte gehofft, morgendliche Brechreiz und Schwindel würden aufhören, wenn sie erst einmal wieder festen Boden unter den Füßen hätte. Jetzt jedoch plagte sie sich schon Wochen damit herum. Bisher hatte sie davon abgesehen, zu einem Heiler zu gehen. Wenn sie krank war, dann musste
sie da eben durch. Es gab wichtigeres.
Als die Westküste Cantons schließlich in Sicht kam, standen sie alle an Deck. Als Kellvian die Klippen, die hier zum Strand hin abfielen, das letzte Mal gesehen hatte, war der Winter grade erst zu Ende gegangen. Jetzt war das Land hinter den grauen Felswänden grün und stand in voller Blüte. Dort, wo die Klippen zu einem kleinen Strand abfiel, hatte man einen primitiven Landesteg und mehrere Lagerhäuser errichtet . Im flachen Wasser in Strandnähe konnte er vereinzelt weiße Steine und Trümmer erkennen. Die Überreste der fliegenden Stadt, die an der Küste zerschellt war.
Beim letzten mal jedoch, hatte man noch ganze Stadtteile sehen können, die knapp unter der Wasseroberfläche lagen und bei Flut ans Tageslicht kamen. Vielleicht hatte die See viele der Überreste mittlerweile einfach davongespült. Aber irgendwie glaubte Kellvian das nicht ganz.
Am Hafen herrschte Geschäftiges treiben. Dutzende von Männern liefen auf den Holzdämmen, herum, schleppten Kisten und schafften Vorräte von einer Reihe kleinerer Segler. Die meisten davon waren nicht einmal halb so groß wie die Windrufer und wurden hauptsächlich zum Warentransport von Küste zu Küste eingesetzt. Kellvian
musterte die Männer überrascht, die ihrerseits in der Arbeit innehielten, als sie das Schiff bemerkten. Seltsam. Eigentlich sollte niemand hier sein.
Eden rief ein paar Befehle und brachte das Schiff auf einen Kurs, der es näher an den Landungssteg bringen würde.
Dieser Ort war ein Außenposten gewesen, den sie während des letzten Winters errichtet hatten. Kellvian hatte mit einer kleinen Gardetruppe und der Crew der Windrufer darauf gewartet, das Schnee und Eis zurückgingen. Etwas von den Klippen entfernt stand eine kleine Villa, welche die Zerstörung der fliegenden Stadt halbwegs intakt überstanden hatte, zusammen mit
mehreren Blockhütten. Eigentlich sollte seit Monaten niemand mehr hier sein, nicht, seit sie nach Helike aufgebrochen waren.
Kellvian sah beunruhigt zu den Männern an der Küste, während das Schiff schließlich am Kai anlegte. ,,Was machen die alle hier ?“ , fragte Jiy, während Taue ausgeworfen und das Schiff gesichert wurde. Mittlerweile war die Arbeit am Hafen völlig zum Erliegen gekommen und hundert oder mehr Menschen sahen neugierig hinauf zur Rehling. Ob einige die Windrufer wiedererkannt hatten, wusste Kell nicht, aber er konnte die Unruhe der Männer
spüren.
,,Ich habe keine Ahnung.“ , antwortete er, während eine Planke von Deck zum Steg gelegt wurde. Einige Gardisten gingen als erstes von Bord und nahmen der Reihe nach Aufstellung. Er hätte ihnen gerbe befohlen, erst einmal auf dem Schiff zu bleiben. Kell wurde daran erinnert, was er bisher alles nicht vermisst hatte. In Helike hatte ihm sein Titel grade so Schutz gewährt. Hier wurde er wieder zu einem Wort, das die Menschen dazu bringen konnte, panisch auseinanderzuspringen, um ihm Platz zu machen.
Die blau uniformierten Gestalten machten den Arbeitern am Hafen wohl
endgültig klar, dass sie es nicht mit einer von Kurs abgekommenen Handelsgaleone zu tun hatten.
Kellvian schulterte sein Bündel, in das er auch den bernsteinfarbenen Stein gepackt hatte, und trat über die Planken auf den Steg hinaus. Besser, er behielt weiterhin ein Auge darauf.
Es roch nach einem seltsamen Gemisch aus frischer Farbe, Salz, totem Fisch und dem typischen Aroma trocknender Algen. Offenbar waren die Lagerhäuser, die sich unter die Klippe schmiegten, frisch gestrichen worden. Bis auf das gelegentliche Kreischen von Möwen war es still, als er an einem Gardisten vorbeitrat und die anderen ihm von Bord
folgten.
,, Kaiser Kellvian ? Kellvian Belfare ? “ Einer der Männer vom Hafen, der sich so nah wie möglich an die schützende Wand aus Gardisten herangetraut hatte, riss überrascht die Augen auf. ,, Seid ihr das Wirklich, Herr, oder täuschen mich meine Augen ?“
Offenbar war er kein einfacherer Arbeiter, den er trug nicht die derbe Kleidung der Kistenschlepper und Segler, sondern einen schlichten, braunen Gehrock mit dazugehörigem Hut. Vielleicht der Hafenmeister. Er nahm respektvoll den Hut ab und verbeugte sich, darauf bedacht, den wartenden Soldaten keinen Grund zu
liefern, ihn als Bedrohung zu sehen.
,,Ich bin es.“ , antwortete Kellvian nur. Er gab den Wachen ein Zeichen, ihn durchzulassen, bevor er auf den Hafenmeister zuging. ,, Und jetzt steht auf. Wie lautet euer Name?“
,, Michael, Herr.“ , antwortete er hektisch. Der Mann erhob sich, setzte den Hut wieder auf und trat einen Schritt zurück. ,, Nachdem es so lange keine Nachricht von euch oder dem General gab, waren manche schon davon überzeugt, euch zum letzten Mal gesehen zu haben.“
,, Nun ich bin wieder zurück. Auch wenn es einige Schwierigkeiten gab. Ich werde nicht lange bleiben, aber das
Schiff muss entladen werden und ich brauche Vorräte für die Reise weiter ins Inland. Ihr seid der Hafenmeister hier?“
Michael schien etwas Selbstsicherheit zurück zu gewinnen. ,, Wenn man das hier einen Hafen nennen will, Herr. Ihr sollt bekommen, was ihr verlangt, aber ich bin überrascht, dass ihr hierher kommt und keinen der größeren Häfen in Lasanta oder vielleicht Erindal benutzt. Wolltet ihr euch selbst ein Bild davon machen, wie wir vorankommen? Ich kann sicher jemanden von der Baustelle herbeordern, der euch die Fortschritte zeigen kann.“
Kellvian runzelte die Stirn. ,, Baustelle ? Verzeiht, aber ich habe keine Ahnung
wovon ihr redet.“
,,Ihr wisst… Ich dachte Hochgeneral Einher hätte euch informiert, Herr.“
,, Dagian ist tot.“ , antwortete Eden, die sich ebenfalls an den Wachen vorbeigedrängt hatte.
,, Ich verstehe…“ Der Hafenmeister sah einen Moment zu Boden. ,, Es sind düstere Zeiten. Erst verlieren wir euren Vater Herr und jetzt noch den Hochgeneral.“
,, Genaugenommen, hat er versucht uns alle umzubringen. Dagian Einher hat die Armee ohne meine Einwilligung bis nach Helike geführt.“
,,Ich… aber… Dann wird euch das hier vielleicht nicht gefallen. Am besten…
ich meine, wenn es keine Umstände macht, könnt ihr mich direkt begleiten, dann zeige ich es euch.“