Dieses Buch widme ich meiner besten Freundin, der Vollmöhre (Das Wort haben wir erfunden XD).
Auch wenn sie so ein richtiger Gefühlsstein ist, kann man trotzdem immer auf sie zählen. Sie bricht ihre Versprechen auch nur manchmal.
Trotzdem ist sie die beste Freundin, die ich mir vorstellen kann.
Sunflower Promise ist eine frei erfundene Geschichte. Die Charaktere, Orte etc. entsprechen meiner Vorstellung der Szene. Ähnlichkeiten mit existierenden Orten oder Personen sind
Zufall.
Viel Spaß beim Lesen!!!
Es war Montag. Nach dem Frühstück hatte ich mich umgezogen und meine Haare zu zwei Zöpfen geflochten. Kurz darauf stand ich unten an der Haustür.
"Ich gehe jetzt!",sagte ich. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss.
Ich seufzte und machte mich auf den Weg zu meiner Schule. Ich wohnte bei meiner Tante, da meine Eltern bei einem Unfall starben, als ich sechs war. Meine Tante kümmerte sich nicht besonders um mich, aber das fand ich nicht schlimm. Sie war eine mürrische Frau, und ich war froh, dass ich überhaupt ein Dach über dem Kopf hatte.
Ich bog nach links auf die Hauptstraße und mischte mich unter die Schüler, die in Richtung der Schule hasteten.
Zehn Minuten musste ich laufen, dann war ich da. Ich trat durch das Schultor und lief über den großen Hof. Dann betrat ich das Gebäude. Es war überraschend laut für einen Montag. Überall rannten kreischende Mädchen herum. Ich seufzte. Wahrscheinlich hatte wieder irgendjemand einen Streich gespielt und eine tote Ratte auf den Toiletten versteckt oder so etwas.
Ich lief die Treppe hoch bis in den dritten Stock. Dort war meine Klasse, die 3-C.
Ich betrat die Klasse und schloss die Tür
hinter mir. Schnell lief ich bis zu meinem Sitzplatz am Fenster in der letzten Reihe. Kurz darauf kam unserer Klassenlehrer herein.
"Ich habe eine Ansage zu machen.", sagte er.
"Morgen haben die Jungen den ganzen Tag frei, übermorgen die Mädchen. Den Grund dafür kennen die meisten von euch wahrscheinlich schon. Der Thronfolger ist überraschend gestorben. Deshalb werden die Prüfungen geschrieben, morgen die Mädchen, übermorgen die Jungen. Ich hoffe doch, dass ihr alle euer Bestes gebt und dieser Schule keine Schande bringt.
So viel dazu. Nun bitte ich euch, euch
alle in zehn Minuten auf dem Schulhof einzufinden. Der Schulleiter wird ein paar Worte zu euch sprechen."
Sofort verließ er den Raum mit großen Schritten. Er war ein sehr sentimentaler Mensch.
Wir lebten in einem kleinen Land, in dem noch das alte System mit König und Königin existierte. Da es in der Vergangenheit aber ziemlich problematisch wurde, wenn plötzlich einer starb und keiner vorhanden war, der das Land weiter regieren konnte, wurde ein besonderes System eingeführt. Die jüngeren Generationen werden einem speziellen Test unterzogen, aus dem dann die fähigste
Person ermittelt wird. Der Test hat mehrere Stufen. In der ersten Stufe werden 100 Personen ausgewählt, die sich dann in den folgenden Stufen gegenseitig ausschalten.
Schon die letzten beiden Königslinien waren so entstanden. Bei dem letzten Test hat wohl noch mein Ururgroßvater teilgenommen. Diese Linie ist also schon länger am Thron. Der jetzt verstorbene Thronfolger musste etwas älter als ich gewesen sein. Er war schon immer ziemlich zurückgezogen gewesen und fast nie an die Öffentlichkeit gekommen. Viele Leute hatten vermutet, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Es war also gar nicht so überraschend, dass
er jetzt gestorben war.
Ich verließ das Klassenzimmer und machte mich auf den Weg zum Schulhof. Dort wartete bereits der Schulleiter. Alle Schüler stellten sich auf. Der Schulleiter begann zu reden.
"Wie ihr alle wisst, ist der Thronfolger, unser Prinz, kürzlich von uns gegangen! Wie es sich gebührt, werden wir die Schule also für heute schließen. Ich möchte jedoch einige Schüler bitten, hierzubleiben, um ein Trauerfeuer zu errichten. In den folgenden drei Tagen haben die Erstklässler komplett frei. Die Zweit- und Drittklässler werden sich hier den Prüfungen unterziehen. Ich bitte euch alle, gebt euer Bestes.
Ach, und noch etwas. Heute Abend werden der König und die Königin auf einem Trauerzug durch diese Stadt ziehen! Ich hoffe, viele von euch dort zu sehen! Das war alles. Ihr könnt gehen."
Der Schulleiter trat von seinem Podest herunter. Die Schülermassen lösten sich auf. Ich blieb noch, um bei dem Feuer zu helfen. Im Nu war ein großer Turm aus Holz errichtet. Jetzt waren nur noch etwa 20 Schüler auf dem Hof. Der Schulleiter zündete das Feuer an. Ich holte meine Sachen und machte mich auf den Weg nach Hause. Gerade mal zehn Uhr morgens. Ich schloss die Haustür auf.
"Ich bin wieder da!", rief ich ins Haus hinein. Ich hörte schnelle Schritte im ersten Stock.
"Yume? Yume, bist du das? Was machst du hier?", hörte ich die Stimme meiner Tante rufen.
"Wir haben heute frei bekommen, Tante.", antwortete ich. Meine Tante kam die Treppe heruntergestürmt.
"Ich muss jetzt los, häng du doch bitte die Wäsche auf. Bis später!" Und damit fiel die Tür hinter ihr zu.
Ich zog meine Schuhe aus, ging nach oben in mein Zimmer und zog mich um, dann begab ich mich auf das Dach und hängte die Wäsche auf. Danach setzte ich mich ins Wohnzimmer und schaltete
den Fernseher an.
"...werden morgen die Prüfungen geschrieben. Das ganze Land ist in großer Trauer. Der Tod des Prinzen hat alle überrascht. Alle hoffen, dass ein passender Nachfolger gefunden wird. Damit beenden wir die heutigen Sondernachrichten. Bitte schauen sie um 19:00 Uhr in unseren zweistündigen Bericht über das Königspaar."
Ich seufzte und schaltete den Fernseher wieder aus. Natürlich, die Medien waren voll davon. Wahllos nahm ich mir ein Buch und begann zu lesen.
Ein paar Stunden später zog ich mich an und verließ das Haus. Der Trauerzug hatte schon begonnen. Zu beiden Seiten
war die Hauptstraße mit Wachposten abgesperrt. Das Königspaar saß auf einer Sänfte, die langsam den Weg entlang getragen wurde. Hinter den Wachposten blieben die Leute stehen. Einige beteten, andere wiederum sahen ziemlich böse aus, aber die Meisten standen einfach nur schweigend da. Ich fand eine Lücke und begab mich etwas weiter nach vorne, damit ich besser sehen konnte.
Das Königspaar war komplett in schwarz gekleidet. Jeder von ihnen saß auf einer Erhebung, jeweils einer Seite der Straße zugewandt.
Sie wurden schneller vorbeigetragen, als es zuerst den Anschein gehabt hatte, und
so dauerte es nicht lange, bis sie um die nächste Ecke verschwanden. Die Menge zerstreute sich allmählich. Ich wartete noch eine Weile, dann überquerte ich die Straße. Schnell lief ich durch die Gassen in Richtung Stadtrand. Endlich kam ich dort an, wo ich hinwollte: Der Yoki-Schrein. Es war ein alter Schrein, der aber kaum noch besucht wurde, weil vor einigen Jahren ein neuer Schrein auf der anderen Seite der Stadt errichtet worden war. Ich lief die Treppen hoch, bis ich schließlich vor dem Schrein stand. Ich blickte mich um. Es war keine einzige Person zu sehen, und der Schrein war noch verfallener, als ich ihn in Erinnerung
gehabt hatte. Ich trat ein Stück nach vorne. Das Band mit der Glocke war noch immer vorhanden. Ich zog daran, danach klatschte ich in die Hände und wiederholte im Kopf das Totengebet, das ich in meiner Kindheit gelernt hatte. Dann trat ich ein Stück zurück.
"Was machst du hier?", fragte plötzlich eine Stimme. Ich erschrak und sah mich um. Hinter dem Schrein war ein Junge hervorgekommen. Er musste ungefähr in meinem Alter sein.
"Was machst du hier?", wiederholte er seine Frage.
"Ähm, ich habe gebetet... Wieso?", erwiderte ich verwundert. Ich meine, was soll ich denn sonst an einem Schrein
machen?
"Achso. Der Schrein sieht nur so alt aus, und es ist den ganzen Abend noch niemand hier gewesen. Ich dachte, dass er vielleicht geschlossen wurde.", sagte er und lächelte.
"Was? Wohnst du etwa hier?", fragte ich überrascht.
"Nein, auf keinen Fall.", sagte er und begann zu lachen. "Ich soll etwas an den Besitzer dieses Schreines übergeben. Aber hier ist seit heute Morgen niemand vorbeigekommen, und einen anderen Anhaltspunkt habe ich nicht." Er seufzte und setzte sich auf die oberste Stufe der langen Treppe.
"Du willst zu dem Besitzer des
Schreines? Meinst du Sagame-san?", überlegte ich. Er sprang überrascht auf und sah mich erwartungsvoll an.
"Du kennst den Besitzer? Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?", rief er. Hatte ich das nicht?
"Ja. Der Schrein gehört Sagame-san, er wohnt unten in der Stadt. Wenn du willst, kann ich dich hinbringen, ich komme sowieso dort vorbei.", bot ich an.
"Das wäre perfekt, warte doch kurz noch einen Moment..", fing er an und verschwand wieder hinter dem Schrein. Ich blickte auf die Stadt hinunter. Überall brannten Lichter, wenn ich von hier aus darauf hinunter sah, kam es mir
vor wie der Eingang zu einer anderen Welt. Eine leichte Brise kam auf.
"Also, wir können los.", sagte der Junge und trat neben mich, auf dem Rücken eine Art großen Beutel. Ich nickte und wir gingen die Treppen hinunter.
"Wer bist du eigentlich?", fragte ich schließlich.
"Ich? Oh, ich bin nur ein einfacher Bote." Er lachte.
"Achso.", entgegnete ich zögernd. Wir gingen schweigend weiter. Dann hatten wir die Hauptstraße erreicht. Ich hob den Finger und zeigte nach rechts.
"Du musste noch ein Stück weitergehen, in dem gelben Haus da ganz hinten wohnt dann Sagame-san.", sagte ich.
"Oh, okay, danke." Er lächelte.
"Na gut, dann... Vielleicht sieht man sich ja nochmal.", sagte ich und drehte mich um. Er hielt mich am Ärmel fest. Überrascht sah ich ihn an.
"Wie heißt du?", fragte er zögernd. Ich lächelte.
"Yume. Yume Michiko." Der Junge nickte.
"Also dann... Man sieht sich, Yume-san!" Er drehte sich um und rannte davon. Verwundert sah ich ihm zu, wie er die Straße entlang lief. Was war das denn? Ich drehte mich um und lief nach Hause. Dort machte ich mir etwas zu essen. Meine Tante war noch bei der Arbeit, sie war Ärztin und
arbeitete immer bis tief in die Nacht.
Später sah ich noch den Rest des Berichts über das Königspaar, dann duschte ich und danach ging ich schlafen. Schließlich waren am nächsten Morgen die Prüfungen, und auch wenn ich nicht sonderlich darauf brannte, zu gewinnen, musste ich trotzdem mein Bestes geben.
Nach ein wenig Grübeln schlief ich dann auch endlich ein.
Der nächste Morgen war so wie immer. Aufstehen, frühstücken, anziehen, Haare flechten, zur Schule laufen. Nur dass heute in der ganzen Schule nur Mädchen unterwegs waren, die alle aufgeregt herumliefen. Ich ging in den
Klassenraum und setzte mich auf meinen Platz. Gelangweilt sah ich aus dem Fenster und hörte dabei den Mädchen aus meiner Klasse zu, wie sie sich darüber unterhielten, ob irgendjemand von uns wohl in die zweite Runde kommen würde.
"Was ist denn mit dir? Du kommst bestimmt weiter! Du bist echt gut in der Schule!"
"Aber Michiko-san ist immer noch besser als ich! Argh!"
"Du glaubst doch nicht wirklich, dass die weiterkommt! Immerhin gucken die auch auf das Aussehen!"
"Aber dann kommt ihr ja auch wieder in Frage! Ich will gewinnen!"
"Jetzt blas dich mal hier nicht so auf! Wir werden ja sehen, wer von uns weiterkommt!"
"Mädchen, bitte beruhigt euch, wir fangen den Unterricht an." Das war unser Klassenlehrer. Ich blickte nach vorne. Unser Klassenlehrer hatte zwei riesige Stapel Papier unter seine Amre geklemmt. Dabei waren wir gerade mal neun Mädchen. Er begann kleinere Stapel zu verteilen.
Dann begann er die Mädchen so auf unseren Klassenraum zu verteilen, dass sie alle einzeln saßen. Ich blieb auf meinem Sitzplatz.
"Vor euch liegt jetzt der erste Teil der Prüfung. Ihr habt drei Stunden Zeit,
dann machen wir eine Pause. Der erste Teil umfasst zweihundert Seiten. Hier geht es ausschließlich um Unterrichtswissen. Nach drei Stunden müsst ihr abgeben, egal, wie weit ihr gekommen seid. Viel Glück. Fangt an.", verkündete er.
In der Klasse erhob sich lautes Murren, von wegen, es wäre viel zu wenig Zeit. Ich begann sofort zu schreiben. Auf den ersten Seiten waren total einfache Aufgaben, danach wurde es dann schwerer, aber ich schrieb die ganze Zeit ohne Unterbrechung weiter. Schließlich war ich fertig. Ich stand auf.
"Sensei, ich bin fertig.", sagte ich. Alle
starrten mich entsetzt an.
"Es ist aber noch eine Stunde Zeit! Bist du dir sicher?", fragte mein Klassenlehrer erstaunt. Ich nickte. "Äh, dann kannst du abgeben und schon mal Pause machen... Komm dann in... eineinhalb Stunden wieder, ja?"
"In Ordnung.", antwortete ich und brachte meinen Stapel zu ihm ans Pult. Dann verließ ich die Klasse und schloss die Tür hinter mir.
Einen Augenblick überlegte ich, was ich jetzt machen sollte, dann entschied ich mich, nach draußen zu gehen. Ich lief die Treppe hinunter und bog um die Ecke. Plötzlich stieß ich mit jemandem zusammen, der gerade von der anderen
Seite kam. Ich stolperte zurück und landete auf dem Boden.
"Oh, sorry, ich habe nicht aufgepasst.", sagte ich schnell und erhob mich.
"Yume-san?" Ich blickte verwundert auf.
"Ah! Du bist der Bote von gestern!", rief ich erstaunt. Er grinste. "Heute in unserer Schule? Was musst du diesmal überbringen?", fragte ich neugierig.
"Ach, ich muss nachher die Prüfungen wegbringen. Apropos, solltest du die nicht eigentlich gerade schreiben?" Er sah mich prüfend an. Ich blickte zur Seite.
"Ich bin schon fertig... hab deshalb etwas früher Pause... Und ich wollte gerade nach draußen gehen!", versuchte
ich das Thema zu wechseln.
"Nach draußen? Was willst du denn da?", fragte er mich verwundert.
"Ich wollte in den Schulgarten gehen... Du kannst ja mitkommen, wenn du Lust hast.", schlug ich vor. Er nickte.
"Ich habe sowieso nichts zu tun...", sagte er und lachte. Wir wollten gerade das Schulgebäude verlassen, als der Schulleiter vorbei kam.
"Nanu, Michiko-san, du bist schon fertig? Wie von dir erwartet. Du bist wirklich eine vorbildliche Schülerin. Da fällt mir ein, bist du heute nicht für die Bibliothek zuständig?", fragte er und sah mich erwartungsvoll an.
"Ja, ich glaube schon... ich wollte
sowieso gleich dort hingehen.", sagte ich schnell und versteckte meine Überraschung.
"Ach, und du musst der Bote aus der Hauptstadt sein. Komm doch bitte mit, ich würde gerne etwas mit dir besprechen." Der Schulleiter lächelte den Jungen an.
"Tja, wird wohl doch nichts mit dem Garten. Man sieht sich!", verabschiedete ich mich leise von dem Jungen und eilte zum Dienstplan. Tatsächlich, ich war wirklich für die Bibliothek eingeteilt worden. Also begab ich mich dorthin. Zurzeit war niemand da, was ja auch nicht verwunderlich war, aber dafür gab es einen riesigen
Stapel mit Büchern, die einsortiert werden mussten. So verbrachte ich fast meine ganze Pause, dann ging ich zum Klassenraum zurück und nutzte die letzten zehn Minuten, um zu essen. Dann ging die Tür auf. Unser Klassenlehrer kam herein. Er trug wieder Papier unter dem Arm, das er an uns verteilte.
"So, bitte setzt euch alle auf eure Plätze, der zweite Teil der Prüfung beginnt. Ihr habt diesmal hundert Seiten und zweieinhalb Stunden zum Schreiben. Wenn ihr fertig seid, könnt ihr gehen. Fangt an." Ich begann zu schreiben. Dieser Teil war deutlich schwerer als der vorige,
aber trotzdem war ich vor den anderen fertig. Also gab ich meine Prüfung ab, nachdem ich sie noch einmal kontrolliert hatte, und machte mich auf den Weg nach Hause.
Ich schloss die Haustür auf.
"Ich bin wieder da!", rief ich, aber es war sowieso niemand zuhause, der mir antworten konnte. Auf dem Tisch fand ich einen Zettel, auf dem stand, dass meine Tante heute früher nach Hause kommen würde. Ich ging in mein Zimmer und hörte Musik, nebenbei las ich das Buch vom Vorabend weiter. Dann kam meine Tante nach Hause und etwas später rief sie mich zum Essen.
"Wie ist deine Prüfung gelaufen, Yume?",
fragte sie, als wir am Tisch saßen.
"Ganz okay.", antwortete ich.
"Das will ich auch stark hoffen. Immerhin ist dein Ururgroßvater Heinz damals fast eine Runde weitergekommen.", begann sie eine endlose Lobesrede über meinen Ururgroßvater Heinz.
"Ja, Tante, ich weiß, er war ein toller Mensch, aber darf ich jetzt aufstehen? Ich bin fertig.", versuchte ich meine Tante zu unterbrechen. Sie sah mich missbilligend an.
"Na gut. Ausnahmsweise werde ich ignorieren, dass du gerade sehr unhöflich zu mir bist, denn...", kam schon die nächste Predigt.
"Danke für das Essen!", rief ich schnell und verschwand in mein Zimmer.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. In der Schule lernten wir nicht wirklich, weil alle nur auf die Ergebnisse der Prüfung warteten. Und dann war es Samstag. Heute würden die Ergebnisse bekanntgegeben werden.
Zuerst würde man die Ausgewählten abholen und an irgendeinen Ort bringen. Abends würde es dann an den Rest der Bevölkerung weitergegeben werden.
Ich überlegte, ob es wohl jemand von unserer Schule in die zweite Runde kommen würde. Da war dieser Junge in
der 3-A, Sakumi Akira. Und ein Mädchen aus der zweiten Klasse, Matsuna Tomoko. Bei den beiden war ich mir sicher, dass sie weiter kommen würden. Unsere Schule würde dann mit den beiden Werbung machen, um zu zeigen, dass sie wirklich eine Elite-Mittelschule ist.
Ich seufzte. Aus Langeweile beschloss ich, in den Buchladen zu gehen, um mir etwas neues zum Lesen zu kaufen, denn das andere Buch hatte ich bereits durchgelesen. Auf dem Rückweg kam ich an dem Haus meiner Klassenkameradin, Morita-san, vorbei. Auf dem Hinweg war ich ihr zum Glück nicht begegnet, aber nun lehnte sie an
ihrer Pforte, als hätte sie nur auf mich gewartet.
"Nanu, Michiko-san, was machst du denn hier?", fragte sie scheinheilig.
Ich ging schweigend weiter. Sie trat aus ihrer Pforte und stellte sich mir direkt in den Weg.
"Hast du denn gar keine Angst, dass dich jemand abholen kommt, während du weg bist? Oh, tut mir leid, bei dir würde ja sowieso niemand kommen. Ich mein, guck dich doch mal an. Du siehst jeden Tag gleich aus. Zwei Zöpfe und 'ne Brille. Da ist rein gar nichts Spannendes.", redete sie weiter. Ich ging an ihr vorbei, ohne sie groß zu beachten.
"Ich weiß, insgeheim bewunderst du mich, nicht wahr? Du bist neidisch, dass ich so frei sein kann, nicht wahr? Du wärst auch gerne so hübsch, talentiert und beliebt wie ich, habe ich Recht? Du musst es nicht abstreiten, ich kann dich gut verstehen." Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter.
"Wenn du willst, kann ich dir helfen, beliebt zu werden. Du kannst meine Putzfrau werden, wenn ich regiere. Na, was hältst du davon?"
"Darüber können wir reden, wenn du gewonnen hast.", entgegnete ich, ohne zu zögern. Es war wirklich lästig, dass ich so nah bei ihr wohnen musste. Morita-san rief mir noch irgendwas
hinterher und verschwand dann wieder. Seufzend bog in meine Straße ein. Ich blieb augenblicklich stehen. Die Tüte mit dem Buch rutschte aus meiner Hand und fiel auf den Boden. In genau diesem Moment hielt eine große Kutsche vor meinem Haus. Ein Mann stieg aus und sah sich suchend um. Dann entdeckte er mich. Mit großen Schritten kam er auf mich zu.
"He, du! Kennst du eine Yume Michiko?", fragte er, als er vor mir stand. Ich nickte.
"Ja, das bin ich.", antwortete ich zögernd. Er sah mich einen Augenblick an, dann fuhr er fort.
"Ich bin gekommen, um sie abzuholen,
Michiko-dono. Sie haben die Prüfung bestanden. Herzlichen Glückwunsch."
Ich starrte ihn perplex an. "Ich habe bestanden?", fragte ich. "Ja, Sie haben bestanden. Ich muss darauf bestehen, Sie gleich mitzunehmen, wir haben einen festen Zeitplan einzuhalten. Sie haben zehn Minuten, um sich von ihrer Familie zu verabschieden. Sie brauchen nichts mitzunehmen, alles, was sie brauchen, bekommen sie später. Bitte beeilen sie sich, ich warte hier auf Sie.", sagte er. Dann drehte er sich um und lehnte sich an die Kutsche. Ich erwachte aus meiner Starre und rannte zu meinem Haus. Mit zitternden Händen schloss ich die Tür auf.
"Tante? Magst du kurz herkommen?", rief ich. "Yume, was ist denn? Ich schneide gerade das Gemüse.", sagte meine Tante genervt. "Ich glaube, du solltest besser kurz herkommen.", erwiderte ich und warf einen Blick auf den Mann, der mich beobachtete. Meine Tante kam aus der Küche. Sie sah mich an, dann blickte sie nach draußen auf die Straße. Ihre Augen weiteten sich. Sie blickte von mir zu dem Mann und wieder zu mir. "Yume, was machst du noch hier? Geh gefälligst nach oben und bereite dich
vor.", befahl sie barsch und lief nach draußen auf die Straße. Ich hörte, wie sie begann, mit dem Mann zu reden. Schnell drehte ich mich um und lief in mein Zimmer. Ich betrachtete das kleine Bett, das Regal mit meinen Büchern und die geblümten Vorhänge. Wer wusste, wann ich wieder hier herkommen würde? Ich sollte nichts mitnehmen, hatte der Mann gesagt. Warum genau mich meine Tante nach oben geschickt hatte wusste ich auch nicht. Also drehte ich mich wieder um und ging nach draußen. Meine Tante unterhielt sich mittlerweile mit ein paar Nachbarn, die von dem ganzen Spektakel etwas mitbekommen hatten und nun verwundert
in ihren Gärten standen. Der Mann lehnte an der Kutsche und zeigte keine Regung. Ich trat zu ihm. "Wir können los.", sagte ich. Der Mann nickte, öffnete die Tür der Kutsche und hielt mir eine Hand hin. Ich sah ihn fragend an. "Steig ein.", sagte er. Ich starrte die Kutsche an. "Muss ich wirklich in der Kutsche fahren?", fragte ich kleinlaut. "Tut mir leid, das ist Tradition. Also steig bitte ein. ", sagte er. Widerstrebend stieg ich in die Kutsche. Der Mann schloss die Tür an der Seite und setzte sich auf den Kutschbock. "Und dass du mir ja keine Schande
machst!", hörte ich meine Tante noch rufen. Dann setzte sich die Kutsche langsam in Bewegung. Auch wenn man zwar nicht direkt in die Kutsche hineinsehen konnte, weil es so eine altmodische Kutsche mit Wand und Dach war, war mir das Ganze irgendwie peinlich. Ich sah aus dem Fenster, während wir die Hauptstraße entlangfuhren. Die Leute drehten sich um und sahen neugierig in unsere Richtung. Ich lehnte mich zurück in den Sitz und schloss die Augen. Eine Weile blieb ich noch wach, dann fiel ich tatsächlich in einen leichten Schlaf. Ich wurde von einer scharfen Kurve
geweckt. Mein Kopf knallte gegen die Wand. Ich rieb mir die Stirn und sah aus dem Fenster. Wir fuhren eine kurvige Straße entlang, und das im vollen Galopp. Immer höher in die Berge fuhren wir, und dann kamen wir durch eine kleine Siedlung. Die Kutsche wurde langsamer. Hinter der Siedlung bog sie auf einen kleinen Weg, der zu einem großen Gebäude führte. Davor hielt der Mann die Kutsche an. Er stieg vom Kutschbock und öffnete die Tür. "Bitte steigen Sie aus, Michiko-dono.", sagte er. Ich unterdrückte einen Seufzer und stieg aus der Kutsche. Mir blieb der Atem weg. Ich stand vor einem unglaublich eindrucksvollen Gebäude,
was schon sehr alt aussah. Eine Frau stand davor, die dann auf mich zukam und schließlich vor mir stehen blieb. Sie sah sehr streng aus. Ich brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass es sich bei dieser Frau um eine Nonne handelte. Woraus ich schloss, dass ich in einem Kloster gelandet war. „Du bist Yume Michiko, nehme ich an?“, fragte sie. „Äh, ja… das bin ich“, antwortete ich zögerlich. „Gut. Folge mir bitte.“ Sie führte mich in das Gebäude. Dann gingen wir einen langen Gang entlang, an dessen Ende ein Raum war. Sie öffnete die Tür. In dem Raum waren zwei andere Nonnen damit
beschäftigt, irgendwas zu nähen, sie ließen aber alles fallen und verneigten sich vor uns, als wir hereinkamen. Die Frau bedeutete mir, mich auf einen Stuhl, der im Raum stand, zu setzen. Dann schloss sie die Tür und drehte sich zu mir um. „Herzlich willkommen. Du hast die Prüfung bestanden und wirst somit vorerst hier wohnen. Ich bin Schwester Mary, die stellvertretende Leiterin dieses Klosters. Zuerst werden wir dich mit Hilfe von Schwester Saya und Schwester Miu einkleiden. Du wirst hier natürlich so gekleidet sein, wie es sich gehört. Außerdem gibt es spezielle Vorschriften, die besagen, dass sämtliche
Absolventen der ersten Runde exakt gleich gekleidet sein müssen.“, eröffnete sie mir und deutete auf einige Kleidungsstücke, die im Raum lagen. Zuerst wurde ich mit keuscher, weißer Baumwollunterwäsche eingekleidet. Dann halfen mir die Nonnen in ein schwarzes Kleid. Es hatte lange Ärmel, einen hohen Kragen, und ging bis zum Boden. „So, das wäre fürs Erste genug.“, sagte Schwester Mary und reichte mir eine Kutte. „Folge mir bitte. Ich werde dich zu deiner Kammer führen und die wichtigsten Dinge erklären.“ Wir verließen den Raum und gingen zurück durch den Gang, durch den wir auch
gekommen waren. „Zuerst die Kleidung. Während des gesamten Aufenthaltes hier bist du verpflichtet, die Kleidung zu tragen, die wir dir ausgehändigt haben. Du hast eine kleine Kammer, aber sobald du sie verlässt, musst du die Kapuze deiner Kutte aufsetzen, um Kontakt mit den anderen Auserwählten zu vermeiden. Der Rest wird dir gleich auf einer speziellen Versammlung erklärt.“ Sie bog nach rechts in einen schmalen, langen Gang, von dem in regelmäßigen Abständen viele kleine Türen abgingen. Jede Tür war mit einer Nummer beschriftet. „Du bist eine der Letzten, die
angekommen ist.“, sagte Schwester Mary und öffnete eine Tür, die mit der Zahl 90 beschriftet war. Sie trat in die Kammer und bedeutete mir, ihr zu folgen. Die Kammer war sehr klein, wir hatten gerade beide Platz darin, und sehr spärlich eingerichtet. Auf einer Seite war ein Ständer, an dem ein paar leere Kleiderbügel hingen. In der hintersten Ecke stand ein kleiner Hocker. An der Wand hing ein großes Porträt von irgendeiner Nonne. Es waren noch ein paar Regale in dem Raum, aber sie waren, bis auf ein paar Bücher, leer. „Das ist deine Kammer. Sie steht dir während deines Aufenthaltes für alles
zur Verfügung. Du kannst hier Dinge, die du dir geliehen hast, aufbewahren. Solltest du bemerken, dass eine andere Person in deiner Kammer war, sag bitte sofort Bescheid. Solltest du das nicht tun, gilt das als Regelverstoß. Ich werde dich jetzt in den Speisesaal begleiten, dort wird die Versammlung stattfinden.“, sagte Schwester Mary. Wir traten aus der Kammer. Eine Weile liefen wir durch kleinere Gänge, dann bogen wir in einen großen Gang. Kurz darauf erreichten wir eine riesige Holztür. Sie war verschlossen. Schwester Mary drehte sich zu mir um. „Bitte setze deine Kutte auf. Die anderen Mädchen und Jungen warten hinter der
Tür. Du bist jetzt auf dich allein gestellt. Geh bitte sofort zu deinem Platz. Du hast Nummer 90. Auf deinem Platz steht ein Kärtchen mit deiner Nummer. Noch etwas. Sobald du den Raum betreten hast ist es dir verboten zu sprechen, bis du ihn wieder verlässt. Das gilt nur für dieses Mal, um Unruhen zu vermeiden. Hast du alles verstanden?“, fragte Schwester Mary und sah mich an. Ich zog die Kutte über und setzte die Kapuze auf. Dann nickte ich. „Gut. Und denk daran, vorerst darf niemand deine Identität erfahren. Versuche bitte auch nicht, die anderen anzusehen. Und nun wünsche ich dir viel
Glück.“ Schwester Mary öffnete die Tür. Mir bot sich der Blick in einen riesigen Raum mit zwei parallelen, schmalen, langen Tischen. Fast alle Sitzplätze waren besetzt, nur die hintersten Plätze des linken Tisches waren noch frei. Ich atmete nervös aus und trat in den Raum. Direkt hinter mir schloss sich die Tür wieder. Ich senkte den Kopf und lugte unter meiner Kapuze hervor. Diese Kutten waren wirklich geschickt gemacht. Ich konnte bei keiner einzigen Person das Gesicht erkennen. Alle saßen still mit leicht gesenkten Köpfen da und bewegten sich nicht. Ich setzte mich in Bewegung und
steuerte auf die freien Sitzplätze zu. Aus den Augenwinkeln sah ich hier und da ein paar Leute, die kurz ihren Kopf hoben und ihn dann schnell wieder senkten. Ich hoffte nur, dass die Kutte bei mir genau so wenig Gesicht zeigte wie bei ihnen. Endlich hatte ich meinen Platz erreicht. Zu meiner Linken, auf Platz 88, saß eine sehr große Person, der Platz rechts von mir, Nummer 92, war frei. Leise schob ich den Stuhl zurück und setzte mich. Dann ging es ans Warten. Nichts passierte, und daraus schloss ich, dass wir noch darauf warteten, dass die restlichen Leute eintrafen. Ich versuchte Zeit totzuschlagen, indem ich
mir wieder und wieder die Tischkärtchen durchlas. Ab und zu ging die Tür auf und es kam jemand herein, der dann in meiner Nähe Platz nahm, aber es dauerte noch etwa eine halbe Stunde, bis die Versammlung losging. Urplötzlich ging die Tür auf und eine Gruppe Nonnen kam in den Raum. Inmitten dieser großen Gruppe Nonnen fielen mir ein paar Personen auf, die wie Mönche gekleidet waren. Ich dachte, das hier wäre ein Frauenkloster? Andererseits waren hier ja auch Plätze für hundert Personen, und ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass nur Mädchen die Prüfung bestanden hatten. Ich beschloss, meinen Gedankengängen
später nachzugehen und mich vorerst auf die Nonnen zu konzentrieren. Vielleicht würden sie das ja alles erklären. Sie hatten inzwischen den Raum durchquert und sich an der anderen Wand des Speisesaals aufgestellt, unmittelbar in meiner Nähe. „Herzlich willkommen in unserem Kloster.“, sagte plötzlich jemand. Leider konnte ich nicht sehen, wer, denn ich durfte ja nicht gucken, und außerdem stand die Person, mit einiger Entfernung, ziemlich genau hinter mir. Ihre Stimme war sehr hoch und auf eine seltsame Weise schrill. Trotzdem klang sie wie eine nachsichtige Person. „Ich bin die Leiterin des Klosters. Ihr
alle habt den ersten Teil der Prüfung bestanden. Somit seid ihr alle Prüflinge zweiten Grades. Das bedeutet, dass ihr auf die zweite Prüfung hinarbeitet. Gewöhnt euch an diesen Ausdruck, er wird euch jetzt öfter begegnen. Die zweite Prüfung findet hier im Kloster und in der Umgebung statt. Was in dieser Prüfung thematisiert wird, erfahrt ihr vor dem Abendmahl. Die Prüfung findet in exakt einer Woche statt. Ihr habt sieben Tage Zeit, um euch vorzubereiten. Das ist der nächste Punkt. Während der Prüfung werdet ihr in Gruppen aufgeteilt. Die Zusammensetzung wird ebenfalls vor dem Abendmahl
bestimmt. In eurer Gruppe arbeitet ihr als ein Team. Ihr könnt unsere Räumlichkeiten frei nutzen, um zu recherchieren. Es ist euch jedoch untersagt, euch innerhalb der Gruppe zu behindern und den Erfolg eines Einzelnen zu verübeln. Streitereien sind unerwünscht. In unserem Kloster haben wir feste Regeln. Wie die Meisten von euch sicher wissen, sind wir ein Frauenkloster. Unter den gegebenen Umständen haben wir jedoch auch Jungen den Zutritt hier erlaubt. Die Grundregel ist einfach: Mädchen dürfen das Jungenquartier nicht betreten, genauso wie die Jungen das Mädchenquartier nicht betreten dürfen.
Bei Nichtbeachtung dieser Regel folgt die sofortige Disqualifikation. Vermutlich fragt ihr euch, warum ihr eure Identität geheim halten sollt. Ihr werdet die Woche über in einer Gruppe verbringen, in der niemand weiß, mit wem er eigentlich gerade zusammenarbeitet. Am Tag der Prüfung werdet ihr dann alle sehen, wer eure Gruppenmitglieder sind. Das ist eine neue Aufgabe, nach der das Königspaar selbst verlangt hat. Es kommt eine Menge Druck hinzu, wenn ihr vorher nicht sehen könnt, wie sich eure Kameraden verhalten. Diese Aufgabe hat auch noch einen tieferen Sinn, den ihr aber nicht erfahren werdet. Ach, ich
rede schon wieder viel zu lange. Kommen wir zum nächsten Punkt. Extra für die männlichen Gäste haben wir ein paar, nennen wir es Betreuer, arrangiert. Sie werden ebenfalls im Jungenquartier bleiben. Selbstverständlich ist es auch ihnen verboten, das Mädchenquartier zu betreten. Regeln zu den Räumlichkeiten werden euch gleich auf der Rundführung durch das Kloster erklärt. Die Mahlzeiten werdet ihr hier im Speisesaal einnehmen. Bei den Mahlzeiten herrscht bitte absolute Stille. Auf dieser Seite wird eine große Essensausgabe stattfinden, auf den Tischen steht nur euer Essen. Während
des Essens wird nicht gesprochen, sobald ihr aber fertig seid, ist es euch erlaubt, in Flüsterlautstärke zu reden. Ihr sprecht euch hier mit euren Nummern an. Jeder von euch erhält einen Anstecker mit seiner Nummer, den ihr bitte an eurer Kutte befestigt. So, ich glaube, das war genug für den Anfang. Ich darf euch bitten, Aufzustehen.“, sagte sie in einem Schwall. Ein Ruck ging durch alle Sitzenden. Ich tat einfach, was die Anderen auch taten. Alle standen auf, schoben ihren Stuhl an den Tisch und drehten sich in Richtung der Stimme. Ich lugte vorsichtig unter meiner Kapuze hervor.
Die Frau sah alles andere als nachsichtig aus. Sie war klein, etwas füllig und sah so aus, als wollte sie uns allen den Kopf abreißen. Grimmig starrte sie in die Menge. Schnell senkte ich den Kopf und starrte auf den Boden. Sie gab irgendein Zeichen mit der Hand und die Pseudo-Mönche traten aus der Menge. „Dies sind die Betreuer der Jungen. Ich möchte also alle Jungen bitten, jetzt mit ihnen zu gehen. Sie werden euch herumführen.“ Es kam Bewegung in den Saal. Ein großer Teil der Anwesenden bewegte sich auf die Tür zu, die jetzt von den Pseudo-Mönchen aufgehalten
wurde. Auch sämtliche Personen in meiner Nähe verschwanden, sodass ich plötzlich die Einzige war, die noch an diesem Ende des Tisches stand. Nur genau am entgegengesetzten Ende waren noch ein paar Mädchen. Ich ließ meinen Blick unauffällig über den Saal schweifen. Ungefähr zwei Drittel aller Personen hatten den Raum verlassen, noch mehr, als ich vermutet hatte. „Die Mädchen werden von diesen drei herumgeführt. Wir sehen uns zum Abendessen.“, sagte die Nonne und pickte drei andere Nonnen aus der Menge. Diese durchquerten den Raum und forderten uns auf, ihnen zu folgen. Nachdem wir die Tür durchquert hatten
wandten sie sich nach rechts. Links konnte man gerade noch die Pseudo-Mönche um eine Ecke verschwinden sehen. Die Nonnen blieben stehen. „Ich bin Schwester Yuki, das sind Schwester Miu und Schwester Saya. Die Meisten von euch haben die beiden schon beim Einkleiden getroffen. Wir sind verantwortlich für die Organisation und auch alles andere. Scheut euch nicht, irgendjemanden anzusprechen. Alle hier werden euch bereitwillig helfen.“ Damit begann unsere Führung durch das Kloster. Sie dauerte fast eine ganze Stunde. Uns wurde alles Mögliche gezeigt, von den Badezimmern über die ehemaligen - jetzt unbenutzten -
Stallungen bis zu der Kirche. Außerdem wurde uns mehrfach der Bereich gezeigt, den wir nicht betreten durften, weil er zu den Räumlichkeiten der Jungen gehörte. Schließlich hielten wir vor einer unglaublich großen Tür im Mädchenquartier an, hinter der sich laut den Nonnen die Schlafräume befinden sollten. Die Tür schwang auf und wir traten ein. Mir klappte die Kinnlade herunter. Wir standen in einem runden Schlafsaal, in dem die Betten aufgestellt waren. Der Saal war in Grau gehalten, und an der Decke hing ein einziger spärlicher Leuchter, dessen Licht kaum bis zur Wand reichte. Die Betten waren in einem
Kreis aufgestellt, sodass immer genau gleich viel Platz zwischen zwei Betten war. Das Einzige, was die einzelnen Betten voneinander abgrenzte, war eine Art verdunkelter Vorhang, der dazwischen hing. Na super. Und wir sollten unsere Identität geheim halten. Die hatten sie doch nicht mehr alle. Die anderen Mädchen sahen ähnlich überrascht aus. Keiner sagte ein Wort, sie sahen sich nur verwirrt in dem Raum um. Irgendwann wagte sich dann doch ein Mädchen daran, die Nonnen zu fragen. „Aber wie sollen wir denn hier unsere Identität geheim halten?“, fragte sie. Die Nonnen
lachten. „Das ist eine sehr gute Frage!“, wurde sie von Schwester Yuki gelobt. „Natürlich haben wir auch dafür gesorgt. In dem großen Schrank dort hinten findet ihr alles, was ihr zum Schlafen braucht. Dort ist für jeden von euch ein Päckchen mit eurer Nummer. Gut, dann lassen wir euch jetzt allein. Um Punkt Sechs Uhr erwarten wir euch zum Abendessen im Speisesaal.“ Damit drehten sich die Nonnen um und verließen den Raum. Und hinter ihnen fiel die große Tür ins Schloss. Eine Weile herrschte absolute Stille im Schlafsaal. Dann bewegten sich alle gleichzeitig auf den Schrank zu. Was
natürlich nicht funktionierte, denn der Schrank war zwar groß, konnte aber selbstverständlich nicht von allen Mädchen gleichzeitig erreicht werden. Das schien ihnen jetzt auch aufzufallen, und plötzlich fingen sie an, sich gegenseitig zu schubsen und wegzudrängen. Nur ein paar Mädchen standen an der Seite und sahen sich das Schauspiel an, darunter auch ich. Irgendwann hatte sich wohl ein Mädchen ganz nach vorn gearbeitet. Sie öffnete den Schrank und nahm ein Päckchen heraus. Nachdem sie sich die Nummer angesehen hatte, reichte sie es wortlos weiter. So entstand eine Art Kettenreaktion. Jedes Mädchen besah
sich das Päckchen und gab es stillschweigend weiter, bis es schließlich bei der richtigen Person angekommen war. Diese löste sich aus dem Reigen und verzog sich mit dem Päckchen hinter eines der Betten. So ging das eine ganze Weile weiter, und ich beschloss, mich einfach einzureihen und zu warten, bis ich mein Päckchen in den Händen hielt. Das ging dann auch schneller als erwartet, gleich das erste Päckchen, welches ich in meine Hände bekam, war mit der Nummer 90 beschriftet. Ich ging zu einem Bett und wollte mich darauf niederlassen, um das Paket zu öffnen, aber da bemerkte ich, dass die Betten ebenfalls mit Nummern
beschriftet waren. Also machte ich mich auf die Suche nach meinem Bett. Und wie es das Schicksal so wollte hatte ich natürlich in genau der falschen Richtung angefangen. Kaum hatte ich also mein Bett gefunden, ließ ich mich darauf fallen. Ich riss das Päckchen auf. Zuerst holte ich ein weißes Baumwollnachthemd hervor. Als nächstes zog ich eine Art Schleier heraus, der wohl beim Schlafen meinen Kopf verdecken sollte. Danach kamen Zahnputzzeug und Shampoo aus dem Päckchen, welches nun fast leer war. Zuletzt kam dann der Anstecker mit meiner Nummer zum Vorschein. Das war auch schon alles. Frustriert warf ich
den leeren Karton neben dem Bett auf den Boden. Dann steckte ich mir den komischen Anstecker an. Was sollte das Ganze eigentlich? Identität geheim halten, mit Nummern anreden, war das nicht ein Bisschen dämlich? Warum konnten wir uns nicht einfach wie normale Menschen verhalten? Ich seufzte. „Ähm… Nummer 90?“, fragte da plötzlich jemand. Ich erschrak und fuhr herum. Auf der anderen Seite meines Betts stand ein Mädchen. Ich blickte auf ihren Anstecker. 42, stand da. Nummer 42 schien sehr nervös zu sein, denn sie sah sich unsicher um. „J-Ja, ähm… Nummer 42?“, antwortete
ich schnell. Das war echt seltsam. Jemanden mit einer Nummer begrüßen. Naja, immerhin mussten das hier alle machen. Nummer 42 blickte wieder in meine Richtung. „Ähm, also… ich schlafe im Bett neben Ihnen. Wenn es Ihnen recht ist, äh… können wir uns ja vielleicht duzen?“, fragte sie. Ich atmete erleichtert auf. Sie schien schüchtern zu sein, aber nett. Ich versuchte zu nicken. „Natürlich, gerne...“, sagte ich, unentschlossen, wie ich sie jetzt ansprechen sollte. Meine Güte! Diese ganze Nummer war ein einziger Witz! Ich seufzte noch einmal leise. „Äh… Wir haben nur noch eine
Viertelstunde bis zum Abendessen. Ich wollte vorher noch kurz ins Bad… Kannst du vielleicht… mitkommen?“, presste sie heraus. Sie hatte angefangen, leicht zu zittern. Ich nickte schnell. „Klar, … gerne. Ich wollte mir sowieso noch einmal das Bad ansehen.“, sagte ich, um sie zu beruhigen. Also stand ich auf und zusammen machten wir uns auf den Weg zu den Bädern. Zum Glück war es nicht weit, sondern gleich in unmittelbarer Nähe zu unserem Schlafsaal. „Weißt du, ich habe Angst, alleine ein Bad zu betreten…“, erklärte Nummer 42, während sie vorsichtig die Tür
öffnete. „Da wo ich herkomme, haben mir nämlich immer alle Gruselgeschichten erzählt. Das ist seltsam, oder?“ „Nein, nein, gar nicht!“, beteuerte ich schnell. „ich kann dich verstehen.“, fügte ich hinzu, weil sie schon wieder zu zittern angefangen hatte. Zwar konnte ich sie nicht unbedingt verstehen, aber das musste sie ja nicht wissen. „Ok, wartest du hier auf mich?“, fragte sie schließlich. Ich nickte und sie verschwand im Nebenraum. Die war ja echt niedlich. Ich fragte mich, wie sie aussah. Sie war ziemlich klein, vielleicht war sie ja so die typische
Lolita? Tja, wissen würde ich es wohl erst, wenn wir die Prüfung machen würden. Wenig später betraten Nummer 42 und ich den Speisesaal. Die Uhr zeigte genau fünf Minuten vor Sechs an. Jedoch saß keiner an den Tischen. Alle standen in einer langen Reihe im Saal, und so reihten wir uns einfach ein. Es kamen noch einmal doppelt so viele Personen herein, dann wurden die Türen geschlossen. Wir standen eher im vorderen Teil der Reihe. Plötzlich begann jemand zu sprechen. „Es ist jetzt Punkt sechs Uhr. Gut, dass ihr alle pünktlich seid. Wir werden nun zuerst die Gruppen auslosen. Jeder von
euch wird einen Zettel mit einer Nummer ziehen. Es gibt jeweils fünfundzwanzig Gruppen a vier Personen. Sobald ihr einen Zettel gezogen habt, sucht ihr bitte einen Sitzplatz, der die gleiche Nummer hat. Dann werden wir euch alles erklären. Fangt an.“, sagte die Stimme. Ich meinte Schwester Mary erkannt zu haben, aber sicher war ich mir nicht. Die Reihe bewegte sich nun langsam vorwärts, und es dauerte gar nicht mehr lange, bis ich an der Reihe war. Vor mir stand einer der Pseudo-Mönche. Er hielt eine große Schüssel hoch, in der viele kleine Zettel lagen. Ich nahm einen Zettel heraus und trat zur Seite. Dann
faltete ich ihn angespannt auseinander. 17, stand darauf. Nichts weiter. Ich fing an, mich suchend nach einem Platz mit Nummer 17 zusehen. Diesmal fand ich ihn auf Anhieb. Es waren vier Plätze, zwei nebeneinander und zwei gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches. Es war noch keiner der Plätze besetzt, und so setzte ich mich einfach auf den Stuhl, der mir am nächsten war. Dann hieß es warten. Als erstes wurde der Stuhl neben mir besetzt. Die Person war groß und trug die Nummer 13. Gegenüber nahm eine ähnlich große Person mit der Nummer 75 Platz. Und daneben setzte sich noch eine große Person hin. Diesmal war es Nummer 60.
Toll. Ich war natürlich die kleinste in meiner Gruppe. Ich unterdrückte ein Seufzen und wandte mich den Nonnen zu. Die komische Klosterleiterin war wieder da. Sie ließ ihren Blick einmal über alle Anwesenden gleiten und begann dann mit ihrer Rede. „Ich wünsche euch einen guten Abend. Wie ich hörte, hat Schwester Mary bereits die Gruppen ausgelost. Ihr sitzt jetzt mit euren Gruppenmitgliedern zusammen. Ich werde euch nun den Verlauf der Prüfung schildern. Die Prüfung wird nächsten Sonntag stattfinden. Sie wird unten im Dorf abgehalten werden. Jeder von euch bekommt fünf Begriffe.
Am Prüfungstag müsst ihr jeden dieser Begriffe verkörpern. Wir teilen den Tag in fünf Abschnitte. Ihr werdet informiert, sobald ein Abschnitt beendet ist. Danach habt ihr eine halbe Stunde Zeit, um euch auf den nächsten Abschnitt vorzubereiten. Ihr werdet euch euren Begriffen nach entsprechend kleiden und verhalten müssen. Eure Aufgabe ist es, jede Rolle gut zu spielen und gleichzeitig eure Teampartner zu entlarven. Beispielsweise müsste jemand mit dem Begriff "Kosmetiker/-in" seine oder ihre Teampartner dazu überreden, sich von ihr schminken zu lassen. Wenn sie aber eine falsche Person schminkt, gilt dieser Abschnitt als durchgefallen.
So müsst ihr mit allen Tätigkeiten verfahren. Und noch etwas. Mädchen werden ausschließlich als männliche Personen ihren Tätigkeiten folgen, Jungen werden Mädchen verkörpern. Damit wird sowohl eure Genauigkeit als auch eure Schauspielkunst getestet. Und natürlich die Frage, ob ihr Freund und Feind unterscheiden könnt. Die 50 Personen, die am besten abschneiden, kommen in die nächste Runde. Wie ich schon erwähnt habe, dürft ihr unsere Räumlichkeiten frei zur Recherche nutzen. Nun gut, das war vorerst alles. Sollte es noch wichtige Änderungen geben, werdet ihr selbstverständlich informiert.
Und nun wünsche ich euch ein gesegnetes Abendmahl.“ Sie setzte sich in Bewegung und verließ den Raum durch eine Seitentür. Die Nonnen fingen an, das Essen zu verteilen. Schweigend nahmen wir unsere Mahlzeit ein. Ich war als Erste meiner Gruppe fertig. Leise erhob ich mich und verließ den Saal. Doch kaum war ich ein Stück gegangen, da erklangen schnelle Schritte hinter mir. „90! Ich wünsche eine gute Zusammenarbeit.“, erklang eine tiefe Stimme direkt hinter mir. Ich drehte mich verwundert um. Hinter mir stand Nummer 75, die Person, die gegenüber von mir saß. Der Stimme nach zu
urteilen war es ein Junge. Gut. Erstes Merkmal, hakte ich innerlich ab. „Ja, natürlich. Auf gute Zusammenarbeit, Nummer 75.“, erwiderte ich. Da sah ich, dass hinter ihm noch jemand den Gang entlanggeeilt kam. „Nummer 90! Warte bitte!“, rief eine mir bekannte Mädchenstimme. „Oh? Nummer 42? Du hast schon fertig gegessen?“, fragte ich erstaunt. Die Kleine nickte eifrig. „Sollen wir zusammen zum Schlafsaal gehen?“, fragte sie. Ich überlegte kurz. „Gerne. Wenn unser Gespräch beendet ist…?“, sagte ich fragend in Richtung des
Jungen.
„Natürlich. Wir sehen uns morgen:“, antwortete er und drehte sich um.
Ich nickte Nummer 42 zu und wir setzten uns in Bewegung.
Später am Abend, ich hatte mich gerade umgezogen und mit Nummer 42 unterhalten, kamen zwei Nonnen in den Schlafsaal. Sie hielten wieder eine große Schüssel fest, in der viele kleine Zettel lagen. „Jeder von euch nimmt bitte fünf Zettel. Darauf stehen eure Begriffe. Bitte seht sie euch alleine an.“, erklärten sie. Da mein Bett fast direkt neben der Tür war
kam ich als eine der Ersten dran. Ich wühlte ein Bisschen mit den Händen in der Schüssel, dann fischte ich fünf Zettel heraus. Schnell verließ ich den Schlafsaal und huschte ins Badezimmer, um auch ganz sicher ungestört zu sein. Dann atmete ich einmal tief durch und faltete die Zettel auseinander.
EwSchrecklich Gefällt mir gut. Hoffentlich schreibst du bald weiter (: lg |
MaggieMcCup Dein Buch ist echt schön! Ich habs noch nicht fertig möchte es aber so schnell wie möglich weiter lesen! :) |
TenshiSama15 Danke :) Das Buch selbst ist ja auch noch nicht fertig, aber ich bemühe mich, weiterzuschreiben! ^^ |