Biografien & Erinnerungen
Heimweh im Advent

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"Übers schneebedeckte Feld wandern wir, wandern wir durch die weite weiße Welt ..."
Veröffentlicht am 29. November 2014, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
© Umschlag Bildmaterial: Günter Hüfner / pixelio.de
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln." Wilhelm Busch Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-) Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen. Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume ...
Übers schneebedeckte Feld wandern wir, wandern wir durch die weite weiße Welt ...

Heimweh im Advent

Heimweh im Advent



Eine Jugenderinnerung


© fleur 2014





Für unser Flüchtlingsspendenbuch habe ich diese ursprüngliche Version im Jahr 2015 noch etwas umgearbeitet und noch einen Absatz über den Heimatbegriff hinzugefügt. Für die neue Version liegen die Rechte beim Verlag.

Es war an einem trüben Dezembersonntag kurz vor meinem 19. Geburtstag. Regentropfen perlten die Fensterscheiben herab. Wehmütig saß ich auf meinem Bett im Studentenwohnheim in Bukarest, in der Hand den Brief eines ehemaligen Mitschülers aus meiner Internatsoberschule. Heutzutage würde man sie als Gymnasium bezeichnen.

Aus dem schwarzen Lautsprecher oben an der Wand dudelte leise rumänische Volksmusik. Weihnachten wurde in Rumänien damals nicht öffentlich gefeiert, Kerzen waren in den Zimmern nicht gestattet, Tannenzweige nicht erhältlich. Zum ersten und einzigen Mal während meiner beiden Auslandsstudienjahre hatte ich heftiges Heimweh, sah mich plötzlich vier Jahre zurückversetzt in die verschneite

Hügellandschaft des Flämings …


An jenem Adventssonntag waren wir vormittags in kleinen Gruppen von fünf bis sechs Schülern von W. aus, dem Standort unserer Schule, zu Fuß in die umliegenden Dörfer unterwegs. Abwechselnd zogen wir den Schlitten mit den Kartons und klopften an die Haustüren, um den Dorfbewohnern Bücher aus der Volksbuchhandlung der Kreisstadt zu verkaufen. Dafür erhielt die Schulbücherei dann auch einige neue Exemplare. Dankbar nahmen die meisten Bauern dieses Angebot an, denn es gab keinen Versandbuchhandel, und an das Internet war damals noch lange nicht zu denken. Besonders beliebt waren Kinderbücher, Kalender und Bildbände als

Weihnachtsgeschenke. Nur selten bekamen wir schon an der Haustür eine Absage. In manchen Häusern wurden uns Plätzchen, Kakao oder auch Äpfel und Nüsse angeboten. Gelegentlich gab es sogar eine hauschlachtene Wurst, die wir später unter uns aufteilten ...

Auf dem Rückweg fing es wieder leicht zu schneien an. Es war windstill, aber frostig, und bald hatten wir kalte Füße. Durchgefroren zogen wir mit dem Schlitten über die Feldwege und konnten in der Ferne schon den Kirchturm von W. erkennen. Es ging auf die Mittagszeit zu und Glockengeläut schwebte über der friedlichen Winterlandschaft. Nachdem es verklungen war, stimmte ein Mädchen aus der 10a mit silberheller Sopranstimme ein Lied an,

das wir aus dem Schulchor kannten und so alle mit einfielen.
Ich habe es noch heute im Ohr, höre die Kirchenglocken, sehe die verschneiten Felder vor mir und spüre das leise Ziehen im Herz ...

“Es ist für uns eine Zeit angekommen …“

https://www.youtube.com/watch?v=a4uO26gA54w


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Über den Autor

FLEURdelaCOEUR
"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln."
Wilhelm Busch

Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-)
Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen.

Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume für mich ausgesucht. Er hat nichts mit der Gestalt aus den Harry-Potter-Büchern Fleur Delacour zu tun.

Inzwischen bin ich im letzten Lebensquartal angelangt, da küsst mich die Muse nur noch selten. ;-(

mariewolf43@gmail.com

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AngiePfeiffer Habe diese schöne und wehmütige Geschichte gern noch einmal gelesen.
Ja, die Kirchenglocken, sie wecken Gänsehaut Erinnerungen. Und mal ehrlich - in der Erinnerung ist manches noch viel schöner.
Weihnachtsgrüße
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Ja, das ist immer so, stimmt!
Erst mal ganz liebe Adventsgrüße zu dir,
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
Liebe Fleur,
Zum Glück musste ich keine existenziellen Erschütterungen in Kindheit und Jugend durchmachen, wie sie mir etwa von den Großeltern erzählt wurden. Da kam dann auch hinzu, dass mein Großvater bei der Heimkehr aus dem verlorenen Krieg im Heimatdorf seinen Sandkastenfreund Karl Adler nicht mehr vorfand, die Familie wurde in Auschwitz ermordet. Keiner hatte sich 1942 der Gestapo entgegen gestellt, keiner den Adlers angeboten, sie zu verstecken...

Danke für dasZeitdokument
Cassy
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Liebe Cassy, ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor, denn ich selbst habe meine Jugenderlebnisse weder in der DDR noch in Rumänien (1962 - 64) zu keinem Zeitpunkt als existentielle Bedrohungen empfunden. Im Gegenteil, damals wie heute empfand ich meine Jugendzeit in der Internatsoberschule im Fläming sowie erst recht die beiden Studentenjahre in Bukarest als ausgesprochen glückliche Zeit. Ich bin dort sehr gern und freiwillig gewesen und war stolz darauf.
Liebe Grüße
fleur

Danke für die Coins!
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
So habe ich das auch nicht gemeint...ich habe schon verstanden, dass Dir die Heimat viel bedeutet hat. Dagegen konnte mein Opa der Heimat seiner Kindheit und Jugend fürderhin nichts Schönes mehr abgewinnen. Er ist dann nicht im Elsass geblieben, sondern in den Schwarzwald gezogen, wo er auch die Frau fürs Leben fand.

LG
Cassy
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Durch den Krieg hat meine Familie auch sehr gelitten. 1944 ist mein Vater in der Ukraine gefallen und bei Kriegsende wurde die Schwester meiner Mutter gemeinsam mit ihren vier Kindern vom eigenen Ehemann (und Arzt) vergiftet. Es hätte wohl ein erweiterter Suizid werden sollen, wobei für den Ehemann und Vater das Gift dann aber nicht mehr gereicht habe ... Er ging in den Westen und gründete dort mit seiner Sprechstundenschwester eine neue Familie. Wie oft habe ich meine Oma weinen sehen, als ich in der Nachkriegszeit die Kleider und Schuhe meiner toten Cousinen aufgetragen habe ... Meine Mutter lernte jedoch 1950 ihren zweiten Mann kennen. Er war Spanienkämpfer bei den Interbrigaden gewesen, später in der Emigration, und so wurde ich im antifaschistischen Sinne erzogen, aber auch zu einer Leseratte. Er gab mir nicht nur Maxim Gorki zu lesen, auch RomaIn Rolland, Mark Twain und Friedrich Wolf, den er persönlich aus Spanien kannte ...

LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Was soll man zu diesem ständigen Logout noch sagen ...
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
mysterys sammelt logins... kriegt vllt. Fleißpünktchen dafür?
grrr
Vor langer Zeit - Antworten
AnneSchrettler 
Liebe Fleur,
nun kämpfe ich weiter mit der Gänsehaut, die ich gerade beim Lesen der traurigen Weihnachtszeitgeschichte von Memory bekam
und meine Stimmung ist alles andere als weihnachtlich, bei auch deiner Erzählung des Heimwehs im Advent.
Wie traurig und doch wunderschön erzählt.

Liebe Grüße und bleib gesund!
Anne

Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Liebe Anne, warum findest du das so furchtbar traurig? Es war doch für mich eine wunderschöne Erinnerung an dieses vorweihnachtliche Glockengeläut über der verschneiten Fläminglandschaft ... es war genau im Geist des Liedes, was ich empfand. Hab gerade an Cassy geschrieben, dass ich dort keineswegs unglücklich war.

Liebe Grüße, bleibe auch du gesund!
fleur
Danke für den Favo!
Vor langer Zeit - Antworten
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