Die Meerprinzessin
Das Bild wurde von der Malerin Ute Storjohann www.utestorjohann.de für einen Picture-Poetry-Wettbewerb zur Verfügung gestellt
Textbeitrag zum Wettbewerb
von Martina Wiemers
An einem Dienstag im Dezember schwimmt die schöne Meerprinzessin Melinde am Korallenriff vorbei. Sie begutachtet die Seesterne, kostet vom grünen Seetang und schaut den Blubberblasen der Fische hinterher. Es ist friedlich und still.
Plötzlich verdunkelt sich die Wasseroberfläche und etwas Großes, Dunkles sinkt auf den
Meeresboden. Sie greift danach und blickt erschrocken in ein Gesicht mit blauen Augen und schwarzem Schnurrbart. „Ein Mensch, den hat sicher Onkel „Orkan“ auf dem Gewissen“ denkt sie. Er wütet schon seit Stunden über dem Meer und wirbelt dort die Schiffe wie Spielzeuge umher.
Sie umschlingt den Fremden und mit Hilfe der Seepferdchen und Quallen gelingt es ihr den Ohnmächtigen noch rechtzeitig vor dem Ertrinken an die Oberfläche zu tragen.
Sie schaut aus dem Wasser und sieht in der Nähe ein schwankendes Fischerboot, welches im Sturm fast zu kentern droht.
An Bord kämpfen aufgeregte Männer
verzweifelt mit dem Wind. Als sie ihren Kameraden im Wasser erblicken, werfen sie Seil und Rettungsring in seine Richtung. Melinde hakt beides am Gürtel des ohnmächtigen Fremden fest. Sie küsst ihn erwartungsvoll auf den Mund und steckt ihm ihre schönste Muschel in die Hosentasche. „Das kitzelt ja, schmeckt nach Salz und kribbelt im Bauch“, denkt sie verwundert. Viel zu oft wurde sie schon von ihren Freundinnen, den Meerjungfrauen, wegen ihrer Unwissenheit geneckt. Nun kann sie endlich auch mitreden, wenn sie kichernd vom Küssen schwärmen.
Der Mann im Wasser schlägt die Augen auf und schaut sie einen kurzen Augenblick
erstaunt an. Melinde versteckt sich erschrocken hinter einer großen Monsterwelle.
Sie kennt das Schicksal der kleinen Meerjungfrau, die sich vor vielen Jahren in einen Menschen verliebte und sterben musste. Neptun, ihr Vater und König des Meeres, hat ihr deshalb bei Strafe verboten sich den Menschen oberhalb der Wassergrenze zu zeigen. Mit klopfenden Herzen denkt sie an den Kuss und an die Lüge, die sie ihrem Vater auftischen wird
Den Männern im Boot gelingt es erst im Morgengrauen das Schiff in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Erschöpft stehen sie an Deck und unterhalten sich.
Der Mann aus dem Wasser erzählt von seiner
Rettung und dem Kuss der Meerprinzessin. Seine Kameraden sehen sich an, tippen mit dem Finger an die Stirn und gehen kopfschüttelnd in ihre Kajüten.
Nachdenklich dreht sich der Mann aus dem Wasser eine Zigarette und schaut aufs Meer hinaus. Als er sein Feuerzeug aus der Hosentasche zieht, fällt eine wunderschöne Muschel auf den Schiffsboden. Er hebt sie auf, betrachtet sie verwundert und wirft lächelnd eine Kusshand in die Wellen.
In einer lauen Julinacht, an einem Dienstag des folgendem Jahres, tuckert weit draußen auf dem Meer ein Fischerboot langsam auf den Wellen ruhig dahin. In der Kajüte
schwimmt, in einem riesigen Aquarium Melinde, die schöne Meerprinzessin. Der Mann mit dem schwarzem Bart und den blauen Augen steht lächelnd davor. Er drückt seine Lippen ans Glas und beide küssen sich liebevoll.
Die Malerin Ute Storjohann hat mit ihrem Bild, diesen wundervoll, intimen Augenblick einer ungewöhnlichen Liebe mit nur wenigen Pinselstrichen für mich wahrnehmbar gemacht.
(C) Martina Wiemers