Kurzgeschichte
"Dein Leben. Deine Kultur. Deine Kreativität." - Strukturierungsstrategien eines Freischaffenden

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""Dein Leben. Deine Kultur. Deine Kreativität." - Strukturierungsstrategien eines Freischaffenden"
Veröffentlicht am 13. November 2014, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: strandgigant, 2014
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"Dein Leben. Deine Kultur. Deine Kreativität." - Strukturierungsstrategien eines Freischaffenden

"Dein Leben. Deine Kultur. Deine Kreativität." - Strukturierungsstrategien eines Freischaffenden

"Dein Leben. Deine Kultur. Deine Kreativität.“



Was für eine Scheiße, dachte er, diese beschissene Einleitung, ich dreh durch, dachte er, mach es doch alleine, du Arsch. Das galt dem Chef vom Dienst, der ihm diesen hübschen Auftrag gab. Immer wieder bekam er Aufträge, die ihn langweilten oder gar abstießen. Des Schreibens, des Denkens, nicht wert. Er saß am Rechner und bearbeitete die Tasten. Unzufriedenheit. Keine Wörter, die zu passen schienen. Kein Einfühlen in das Thema. Keine Einleitung, die gefiel, dafür aber jede Menge

Widerstand. Schrebergarten-Kunstwerke, das war es, das war das Thema, sein Thema. Ein Fanal der ausstehenden Lebenshaltungskosten und ihrer, wie er fand, das Selbst verratene, Unterwerfung. Darüber sollte er schreiben, dachte er, über die, das Selbst verratenen Unterwerfungsstrategien der kapitalistischen Weltordnung.

Tom, so sein Name, hatte sich sechs Gärten angesehen. Sechs Kunstwerke. Sechs Besitzer, die dachten, sie seien Erfinder, Künstler, die neue Avantgarde oder was auch immer. Die Avantgarde ist tot, dachte er und erinnerte sich an sein zuletzt erlebtes kulturelles Ereignis,

eine Art Konzert, mit einer Sängerin, welche böse blickend ihre eigenen Texte ins Mikro Richtung der Hörenden stöhnte und rülpste, einen Kontrabassspieler, der auf den Saiten seines Instruments mit Schlagstöcken hieb und der mies gelaunte Keyboarder, der das Publikum in Verlegenheit brachte, mit seinem dauernden Bezugnehmen auf dessen Lachen, welches wirklich, dachte er, wirklich angebracht war und anders, diese Show auch gar nicht auszuhalten war. Intellektuelles Gewichse, böse dreinblickende jungenhafte, zornige Weiblichkeit mit dem Anspruch, aufzurütteln, anzustoßen, ja, bewegen zu

wollen. Pubertierende Mittdreißiger, die sich immer noch dafür schämten, dass sie sich gegenseitig körperlich berühren wollen und dies auch nur körperlich zustande bringen können und nicht kognitiv … der kognitive Orgasmus als Resultat ihrer geistigen Masturbation, hält nicht, was das Original verspricht, dachte er, und das wissen die, sind unzufrieden, feindselig, das ist das Resultat getrennter Körper, der Kopf will sich befreien legt sich aber selbst die Ketten an, Hauptsache die Haare liegen … Intellektuelles Gewichse! Dann lieber Publikumsbeschimpfungen der übelsten Art, dachte er abschließend, die sind zwar out!, dafür aber ehrlich.

Ruckartig stand er auf, drückte dabei seinen Bürosessel nach hinten und hieb mit der Faust auf die stumme Tastatur. Ich muss was anderes machen, stöhnte er vor sich hin, ich bin durch mit dem Scheiß. Lebens-Art-Kram. Kein: „Dein Leben. Deine Kultur. Deine Kreativität.“ mehr, dachte er, ohnehin ein beschissener Titel für ein Magazin, ein Magazin, das ständig danach sucht, irgendwas Profanes als geistigen Erguss, als kunsthaltig zu stilisieren, dachte er, Scheiße, ein großer Haufen. Raus hier.

Er zog seine Jacke an, steckte sich den noch vorhandenen Rest Geld ein, nahm den Schlüssel und verließ sein

Einzimmerappartement. Das Einzimmerappartement, das aussah, als wäre es ein Anschauungsobjekt in einer hinterhältigen Ikeafiliale. Die Wohnungstür schloss er hinter sich. Er ging durch die Haustür raus und stand erst mal da. Atmete tief die Luft ein, die nicht gut war, was an der stark befahrenen Straße lag. Sie wirkte nur mäßig erfrischend. Es könnte mal wieder regnen, dachte er, diesen Dreck im Rinnsteig fort spülen, dachte er und freute sich über diesen Gedanken. Dieselben rasten. Er brauchte Geld, das war klar, der Artikel würde 350€ bringen. 1650 Zeichen, mit Leerstellen. Mit Leerstellen, dachte er, mit Leerstellen!

Eine Straße weiter gab es eine 24-Stunden-Kneipe, dort ging er hin und bestellte einen Whisky und ein Bier. Der Whisky verschwand sofort, am Bier trank er ein paar Minuten an der Theke sitzend. Außer ihm waren noch die üblichen Schwankenden anwesend. Menschen, die man um elf Uhr vormittags in einer Kneipe antraf. Birte, eine der Thekenkräfte, fickte er hin und wieder, sie war heute nicht da, schade, dachte er, dafür die Chefin selber.

„Gib mir noch ´n Bier“, sagte er zu ihr.

„Klar, alles, was Du willst“, sie stellte das Bier hin, versuchte ihn anzulächeln. Er merkte, sie war bereits stark angeheitert. Um elf Uhr, das wäre ein

Job für mich, dachte er, Bier verkaufen und selber der beste Kunde sein, Dreck, das wäre mein absoluter Traum. Dunkler Sarkasmus oder verborgene, unbewusste Sehnsüchte, es war ihm nicht ganz schlüssig, wie er sein Gedachtes deuten könne.

„Na, schon lange offen? 24 Stundenschicht? Siehst aus, als bräuchtest Du mal eine Pause. Ich mache das hier für Dich, bezahlen kannst mich mit Whisky und Bier, das brauch ich heute. Scheißjob, über Kunst im Garten soll ich schreiben. Körperkunst auf dem Klo, das wäre ein Thema. Körperkunst auf dem Klo. Werde ich mir mal merken und dem

beschissenen Gerry vom Verlag vorschlagen. Erschlagen werde ich ihn damit, mit diesem Scheißthema, erschlagen!“

Er trank. Sie blickte ihn an, irgendwie mitleidig, geübt. Sie war mindestens zehn Jahre älter als er. Sah aber 30 Jahre verbrauchter aus. Das Kneipenleben stresst. Alkoholismus und Promiskuität. Das sind nicht völlig ungleiche Zwillinge, immer wechselnde Flüssigkeiten, Schweiß, Bier, Kotze...

„Komm, lass den Kopf nicht hängen. Nimm ein Bier auf meine Kosten. Komm trink!“ Ihr Standardsatz, auswendig, seit dreißig Jahren erprobt, sitzt immer. Sie stellte ihm ein Bier hin, ohne auf den

Deckel zu kritzeln und lächelte ihn an. Es war jetzt 11.30 Uhr und er hatte langsam einen sitzen. Er beschloss sitzen zu bleiben und wollte den Tag auf sich zu kommen lassen, saufen und sitzen, ab und zu aufs Klo, mal wieder die Gedanken fließen lassen und den Tag auf sich zu kommen lassen, dachte er, die Einfachheit des Daseins genießen, den Tag einfach auf sich zu kommen lassen, dachte er und merkte, dass er das schon öfter gedacht hatte und dachte, alles war einfacher, wenn die Brille auf der Nase mit Alkohol getönt war. Er trug nur keine.

Zehn Stunden später lag er in seinem

Einzimmerappartement und kämpfte mit Brechreiz. Er ging aufs Klo, küsste die Schüssel und brach hinein. Dann kroch er zurück ins Bett und schlief komatös grinsend ein. Sein letzter Gedanke war, dass er gerne mal der Kneipenchefin, seinen Schwanz in den Arsch stecken würde, direkt an der Theke.

Vom Telefonklingeln wachte er auf. Sein Kopf dröhnte und klingelte, vibrierte im Takt des Läutens. Sein Darm rebellierte. Schnell aufs Klo, Hose runter und … Durchfall. Alkoholvergifteter Durchfall. Darmkrämpfe. Der größte Feind der Obstipation ist die Diarrhö, dachte er mal, schrieb das auch in einem Artikel

über Kräuterkunst. Das Klingeln war mittlerweile verklungen. Er stand auf, spülte und duschte.

Als er mit dem Duschen fertig war, läutete das Telefon bereits wieder. Er ging, ohne sich abzutrocknen zum Telefon und meldete sich mit einem heiseren Hallo.

„Hallo Tom, hier ist Gerry, vom Verlag. Ich wollte mal wissen, was mit dem Artikel ist, der über die Kunst im Garten?“

Ach scheiße, dachte Tom. Scheiße.

„Schicke ich Dir morgen, der ist fast fertig. Wie verlangt, muss nur noch etwas kürzen, kennst mich ja. Sonst noch was?“ Schleimen brauchte er nicht,

das war das Gute am Job. Wenn der Text stimmt, dann braucht es keinen Schleim. Nur Strategien, sich selbst zu motivieren. Er legte auf. Es gab nicht mehr zu sagen, nicht mehr zu hören. Die Aufgabe war klar. Diesen Gedanken folgend, machte er sich einen Kaffee und setzte sich an den Rechner, ließ ihn hochfahren und sah in seine Notizen, tippte dann 1650 Zeichen, mit Leerstellen, in das Textverarbeitungsprogramm, las es noch mal, grinste zufrieden, trank Kaffee und druckte den Kram aus. Das Gedruckte verschwand in einem Ordner. Gerry sendete er eine E-Mail mit Anhang. Der Scheck ging den gleichen Tag noch raus.

Alltag.

Ende.

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sugarlady Interessant und unterhaltsam geschrieben.
Der Wahnsinn des Alltags.
L.G. Andrea
Vor langer Zeit - Antworten
strandgigant Schön, wenn es gefallen hat!
Danke!
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Die Suche nach einem Michelangelo im Schrebergarten wird wohl erfolglos bleiben - frustrierend. :-) Da bietet ein Kneipenbesuch doch Lichtblicke. Gut geschrieben!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Kornblume Er sollte sich einen anderen Job suchen, denn auf die Dauer wird ihn dieser alltägliche Alltag geistig und körperlich umbringen ."Kunst im Garten" es grüßen die Gartenzwerge und die Kornblume
Vor langer Zeit - Antworten
baesta So richtig besch..... Journalistenalltag mit viel deftigem Humor beschrieben. Weiter so!!!

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
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