Vom Immigranten der illegal Schildkröten züchtete
Señor Mendoza war weder schön noch klug gewesen, doch hatte dieser pummelige kleine Mann, Schneid bewiesen, sowie für Unruhen und Verwirrung gesorgt, als er plötzlich, wie aus dem Nichts, an der Seite der Señora Carlitta, der reichen Witwe des ehemaligen Bürgermeisters, vor dem Traualtar gestanden hat.
Es war nicht nur der Standesunterschied der die beiden trennte, beinah dreißig Jahre lagen zwischen den Geburten des Brautpaares, das sich vor Pater Vincenco
das Jawort gab. Sie ernst und würdevoll, er grinsender Bengel von zwanzig Jahren, die breite Zahnlücke in voller Pracht.
Nach Jahren noch spekulierten und lästerten die Leute im Dorf, was diese schöne und intelligente Frau zu dieser wahnwitzigen Heirat zwang, doch dieses ist eine ganz andere Geschichte.
Mehr als zwanzig Jahre vergingen und die gute Señora Carlitta, die ja nun schon seit mehr als sechs Jahren im Familiengrab ihres ersten Ehegatten verweilte, hätte sich vor lauter Wut und Tobsucht gegen die massive Holztür geworfen um auszubrechen und Mendoza mit der Keule eins über zu braten, wäre
sie dazu in der Lage gewesen, doch zu Mendozas Glück, hinderte sie der Tod daran.
Er hingegen genoss sein geerbtes Geld und das damit verbundene bequeme Leben in vollen Zügen, wenn auch nicht auf die gesündeste Art und Weise, in Investitionen hoher Summen in Massenvernichtung seiner grauen Zellen durch seines nächsten Nachbars Selbstgebrannten.
Nicht dass er faul wäre, denn das war er bei Weitem nicht. Jedes Mal wenn er sich einer von ihm erwählten Aufgabe verschrieb, gab er sich dieser ganz hin und ließ alles andere völlig außer Acht.
So wie damals, als er, als kleine
Rotznase von acht Jahren immer auf Señor Econtezas Feld neue Raubstrategien ausführte, die zwar keinen Erfolg mit sich brachten, die aber doch auf einen gewissen Intelligenzgrad und Maß an Kreativität hinwiesen, vor allem aber Beharrlichkeit und Fähigkeit hart zu arbeiten.
Seiner niedrigen Erfolgsquote zum Trotz, verbiss sich der damals noch junge Mendoza immer mehr in den Wunsch die dort wachsenden saftigen Äpfel zu stehlen und nahm auch die Prügel in Kauf, die er vom Besitzer regelmäßig einkassierte. Doch den wunden Hintern reibend und Rotznase am Ärmel seines Pullover abwischend,
grinste er auch schon in nächster Sekunde und nahm sich vor, das nächste Mal vorsichtiger zu sein.
Gut, der alte Econteza war mindestens genauso stur wie der Junge und weil er mit keinem Übergewicht zu kämpfen hatte, im Gegensatz zu Mendoza, weitaus schneller, doch die Alten altern nun mal und als er gut drei Jahre später mitsamt Gehstock nicht mehr so schnell rannte, hatte Mendoza endlich einen Apfel zu klauen geschafft.
Nun Jahre später hatte Mendoza kein Interesse mehr an Äpfeln und ihm wäre es auch langweilig Früchte zu stehlen die Niemandem gehörten.
Nun, wo er das Stehlen aufgegeben
hatte, hatte er aber neben dem Trinken auch einige produktivere Beschäftigungen mit denen er sich den Tag vertrieb. So führte er jeden Morgen und Abend, seine Schildkröte Señor Schroedinger spazieren, unabhängig des Wetters und seiner gesundheitlichen Verfassung. Nur die Zeit dazwischen wollte sich nicht so recht ausfüllen.
Doch als er eines abends eines lauwarmen Winters mit Herr Schroedinger über die Grenzen seines Anwesens schlenderte, hörte er plötzlich eine bekannte Stimme.
-Mendoza! Hola, amigo!
Der Gerufene blickte sich erst ein paar mal verwirrt um, ehe er feststellen
konnte aus welcher Richtung die Stimme kam und sah er bald darauf eine Siluette die sich durch das Geäst, der hier dicht wachsenden Bäume hindurch kämpfte.
-Cavanera!
Rief er dann erstaunt. Vor ihm stand nun sein alter Freund aus der Kindheit, der junge Cavanera, der Äpfel stehlen konnte wie kein anderer, jetzt um gut fast vierzig Jahre gealtert. Sein dichtes schwarzes Haar war ihm geblieben, nur die Figur eben nicht. Unter seinem abgetragenem fleckigem Hemd zeichnete sich ganz deutlich die Wölbung eines Bauches an. Wo er einst so durchtrainiert wirkte,war davon nun jetzt keine Spur mehr zu sehen. Raul
Mendoza kicherte schadenfroh, war er doch in seinen Jugendjahren immer eifersüchtig auf den Erfolg Cavaneras bei den Mädchen. Jetzt interessierten sich die Frauen zwar immer noch nicht für ihn, aber immerhin war sein Freund jetzt auf dem gleichen Level.
Nichtsdestotrotz fielen sich die Beiden in die Arme und drückten sich herzlich.
-Amigo, gut siehst du aus! Dir ist es wohl Bestens ergangen!
Sprach der Neuankömmling und schlug seinem Kameraden freundschaftlich auf die Schulter. Dieser aber zuckte aber bei dieser Aussage zusammen. In dieser fortwährenden Routine war er wie erstarrt und unfähig sich vorwärts zu
bewegen.
Ja, ein reicher Señor zu sein, hatte auch eine menge Vorteile, doch sehnte er sich manchmal nach Freiheit, nach einem Vagabunden Leben wie das seines Freundes. Immer gehen wann und wohin man will, von einem Augenblick in den anderen hinein leben. Nur allzu gern hätte er so ein Leben.
Nun hatten sich die beiden Freunde lange nicht mehr zu Gesicht bekommen und so feierten sie ihre Wiedervereinigung schon bald in Pedros Spielunke wo sie laut lachten und feierten und noch mehr tranken. Keiner von Beiden hätte noch vor wenigen Stunden ahnen können, dass Pedros Selbstgebrannter zu einem großen
Wendepunkt in beider Leben führen würde.
Ohne auf überirdische, gar irdische Mächte und gegen jede Vernunft oder gar möglich folgende Konsequenzen achtend, tauschten beide ihre Pässe, nun in der festen Überzeugung, jeweilige Leben zu tauschen.
So nun krähte Pedros Hahn aus weiter Ferne als die rote Sonne den Himmel bestieg und der frühe Morgen mit niederschmetternden Kopfschmerzen beide Männer erreichte, als so Raul Mendoza, Apfeldieb, Alleinerbe und Witwer, der arme Vagabund Cavanera mit zweifelhaften beruflichen Anstellungen und einer gefälschten
Aufenthaltserlaubnis in den Vereinigten Staaten wurde.
Weg war sein Besitztum das sich über mehrere Morgenland erstreckte, jetzt hatte er einen zerlumpten Koffer und altersschwachen Esel.
Schwungvoll setzte er sich auf das magere Tier, den Koffer unter einem, Señor Schroedinger unter dem anderen Arm und ritt, einer neuen Bestimmung folgend in den Sonnenaufgang der sich blutrot über den ganzen Himmel zu erstrecken schien.
Zwar wusste er noch nicht so recht was ihm nun bestimmt war, doch das würde sich schon irgendwie einrenken, dachte er.
Wie ein Gebrauchtwagen, war auch ein altersschwacher Esel auf seinen Kilometerstand nicht mehr gut zu sprechen, so musste unser Held sich dessen nach schon wenigen Kilometern der Reise entledigen. Allen Anschein nach, war es nur noch der Tod, den sich das arme Tier herbeisehnte. Doch Señor Mendoza, jetzt Cavanera genannt, wusste auch aus dessen einen Nutzen zu ziehen, war er eben hin und wieder ein vernunftliebender Mensch, so tauschte er das verhungerte Tier gegen eine Fahrt nach Kalifornien beim einheimischem Bauer. Jetzt fuhr ihn Ricardo, des Bauern mit dem er das Geschäft abgeschlossen hatte, jüngster Sohn in
dem überfülltem Auto, wo Mendoza sich in den erste Klasse Platz im Kofferraum des Geländewagens zwängte.
In der Tat, die Räumlichkeiten die ihm da zur Verfügung standen, waren nicht optimal, zumal er sich diese mit dem Gepäck und dem missgelauntem Señor Schroedinger, der nicht viel von so ausgedehnten und abenteuerlichen Reisen zu halten schien, teilen musste, doch nun war er Cavanera, Vagabund und Optimist, für ihn war das Glas halb voll. Zwar schwitzte er Unmengen in der Hitze des aufgewärmten Wagens wie in einem Backofen und weinte auch ein wenig, weil er seine liebe Mama nicht mehr sehen würde und schon wieder die
Sonntagsmesse verpassen würde, doch jedes mal raffte er sich wieder zusammen, soweit es in der Enge des Kofferraumes möglich war und sprach ein Avemaria, dann war alles wieder gut, für den Augenblick jedenfalls.
Gut achtzehn Stunden dauerte die Reise im Kofferraum und als Mendoza endlich, sich die müden Glieder reckend aus dem Auto kroch, küsste er den kalifornischen Sand und erklärte gebieterisch, seine neue Heimat sei gottgleich, teils aus Überzeugung, teils aus Dehydration.
So wurde ein kleines Dorf in der unwirtlichen Gegend Kaliforniens Mendozas und Señor Schroedingers neue göttliche Heimat und kein Erdbeben,
Tornado, Waldbrand oder sonstige Naturkatastrophe vermochten es ihnen ihr neues Zuhause zu nahmen.
Schon gar nicht dieser Spinner von nebenan.
Protestant, ekelhaft, dachte sich unser Held, der aus schierer Überzeugung Katholik war und gehörte er somit zu einer Glaubensgemeinschaft, die ja nicht gerade für Toleranz anderen Religionen gegenüber bekannt war.
Mal davon abgesehen, war es ja DIE Religion schlechthin. Kreuzzüge, Hexenverbrennungen und jetzt auch noch Kindesmissbrauchsanschuldigungen, kontrovers wie ein echter Promi. Und was sind schon skandalfreie Promis,
unbekannt
und vergessen.
Aber das mit den Dollars wurmte ihn schon. Nun war er im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hatte aber weder Kapital noch Talent, geschweige denn je eine höhere Bildung genossen. Als Tagelöhner versuchte er sich eine Zeit lang durchzuschlagen, doch ziemlich bald, stellte es sich heraus, dass Señor Mendoza über keinerlei handwerkliche Talente verfügte, wenn nicht gar, sich auf diesem Gebiet als absolut nutzlos erwies. So schrumpfte Mendozas Geldbörse und mit ihr sein dicker Bauch. Mit fiebrig hungrigen Augen pflegte er nun Señor
Schroedinger anzusehen, was diesem wohl so unangenehm wurde, dass er anfing seinem Besitzer aus dem Weg zu gehen. So lebte sich der Beiden Beziehung ein wenig auseinander. Blieben nur die täglichen Spaziergänge die ihre langjährige Freundschaft aufleben ließen und eben diese waren es, die wieder einmal zu einem Wendepunkt in ihrem, recht routiniert gewordenem Leben führten.
Eine Schildkröte.
Sie stand einfach mitten auf der Straße und versperrte Mendoza und Señor Schroedinger den Weg.
Und während sie da so rumstand und noch niemand etwas böses ahnen konnte,
erhellte ein Geistesblitz recht zweifelhafter Natur den Verstand unseres Helden ohne jede Vorwarnung.
-Ja, das ist es! Rief Mendoza so abrupt auf, sodass die beiden Tiere instinktiv die Köpfe einzogen. Doch für einen Rückzieher war es zu spät, unser Held hatte einen Entschluss gefasst und nun konnte ihn nichts und niemand mehr stoppen.
Señor Schroedinger und Señora Chichi, wie er eben die neue Schildkröte nach einer Figur aus der Animeserie Dragonball getauft hatte, würden ein Paar werden.
Beide Schildkröten, jede unter einen Arm geklemmt, sodass ihnen jede
Möglichkeit zur Flucht verwehrt wurde, rannte Mendoza schnell Heim, einerseits um seine Pläne in die Tat umzusetzen, anderseits um Dragonball im Fernsehen zu schauen.
Und so wurden Señor Schroedinger und Señora Chichi vor Gott yu Mann und Frau, wenn das denn nun Möglich war, aber auf jeden Fall auf die katholische Art und Weise, denn nur das war der einzig wahre Weg Mendozas Meinung nach.
Monate vergingen und wäre Mendoza nicht von Äpfel- auf Autoradio Diebstähle umgestiegen, wären er und seine große Schildkrötenfamilie sicher verhungert.
Viele Mäuler zu stopfen hatte unser Held, so arbeitete er Tag und Nacht und stahl alles was nicht Niet- und Nagelfest war. Doch seine Schützlinge waren unersättlich. Gierig knabberten sie die Beine der Stühle an, die Schränke, die Zimmerpflanzen, alsbald die kleine Wohnung den Resultaten einer Naturkatastrophe glich.
Raul konnte kaum noch Schlafen, wenn er doch mal die Zeit dazu hatte, fast schon jede Nacht träumte von gefräßigen Schildkröten die ihn in ihrer Völlerei zu verschlingen drohten. Doch er liebte sie wie seine Kinder, war bereit ihnen alles zu geben, denn was hatte er schon? Was war er schon?
Vorsichtig setzte er sich auf den Reparatur bedürftigen Stuhl und inhalierte den Rauch seiner Zigarette. Ja, Mendoza war einsam, immer schon war er es gewesen. Nur die zahmen Tiere vermochten ihm das zu geben was er wirklich brauchte.
Raul lächelte gedankenverloren und lehnte sich zurück, ohne auf die Makel des maroden Stuhls zu achten. Auf einmal knickte das Stuhlbein ein und wie in Zeitlupe fiel Mendoza. Wie Stunden kam es ihm vor, nein Tage, Monate, Jahre. Sein gesamtes Leben lief wie in einem Film vor seinem inneren Auge ab.
Seine liebe Mama wie sie ihm als Kind das Essen brachte, sein betrunkener
Vater, seine erste Liebe Olivia die ihn nie bemerkt hatte, Cavanera, der Korb voller Äpfel, Señor Schroedinger, Señora Carlitta, ihren Hut tief ins Gesicht gezogen. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen.
Wasser.
Gut eine Minute lang zappelte unser Held wie ein Fisch auf dem Trockenem, doch dank seiner, der Tabakindustrie verdankter verschrumpelter Lunge, hörte er alsbald auf.
Gespenstische Ruhe herrschte in dem kleinem Apartment, während der Besitzer leblos mit seinem Kopf, in der kleinen Zinnwanne seiner Haustiere lag.
Señor Schroedinger und seine zahlreich
bestückte Familie begriffen nun. Jetzt strömten sie alle durch Fenster und Tür, nicht eine, nicht zwei, sondern Dutzende. Ihnen allen hat sich ein neuer Weg eröffnet, während Zweifel an den Tag gelegt wurden, wie lang es wohl dauern würde bis irgendjemand den Körper des Señor Cavanera, oder besser gesagt Señor Mendoza, fand.
In den folgenden Tagen zierten unendlich viele Plakate mit Fotos verschiedener Schildkröten, die den Leuten zugelaufen zu sein scheinen, die dicken Baumstämme.
Ein schwarz haariger Junge mit Nasenring hielt einen der zahlreichen Zettel seinem Freund entgegen.
-Ey man, wie kann einem eine Schildkröte weglaufen?
Fragte er. Sein Freund verschränkte nachdenklich die Arme.
-Hm, vielleicht ist der Besitzer ja tot...ein einsamer Mann der Schildkröten züchtete..ja, ein illegaler Einwanderer der Schildkröten züchtete!
-Du spinnst, echt! Lachte der Schwarzhaarige.