Krimis & Thriller
Die sechs toten Tage - Ein Karnevalkrimi

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"Im Winter beginnt der Karneval ? eigentlich eine fröhliche Zeit für die Kölner und Touristen. Wäre d"
Veröffentlicht am 11. November 2014, 154 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Im Winter beginnt der Karneval ? eigentlich eine fröhliche Zeit für die Kölner und Touristen. Wäre d

Die sechs toten Tage - Ein Karnevalkrimi

Karnevalkrimi

Die sechs toten Tage

Prolog

Donnerstag, Weiberfastnacht.

Der Alter Markt wurde mit vier großen Tribünen und einer Showbühne bebaut. Auf den Tribünenplätzen und auf dem Platz tummelten sich tausende verkleideter Jecken und lauschten den Klängen einer jungen kölschen Band namens Kasalla, die auf der Bühne seit einer halben Stunde ihre Lieder zum Besten gaben. Links und rechts neben der Bühne waren Monitore aufgebaut, auf denen der Countdown zum Start der Straßenkarneval-Saison angezeigt wurde. Die Leute waren sehr gespannt, als der

Bürgermeister die Bühne bei den letzten Klängen der Musik betrat und an das Mikrofon ging.

Der Bürgermeister erhob das Wort.

„Meine Freunde und Karnevalsjecken. Ein großer Dank gilt der Gruppe Kasalla, die für uns gespielt hat. Es trennen sich nur noch wenige Sekunden von der Eröffnung unseres diesjährigen Straßenkarnevals. In genau 15 Sekunden ist es jetzt soweit. Wir zählen mit.“

Die junge Frau lächelte und war bereit für den Countdown, der auf den Bildschirmen gestartet wurde, mitzuzählen.

„Elf!“ rief der Bürgermeister mit den Tausenden Karnevalsjecken gleichzeitig.

Sie spürte plötzlich ihre Halsschlagader, wie sie zu pochen anfing und zu nah am Hals gedrückt wurde.

„Zehn!“

Es wurde etwas um ihren Hals gelegt und schlagartig zugezogen, dass die Frau es so schnell gar nicht

Ihre Lunge brannte, es wurde immer weniger Sauerstoff in den Körper gepumpt. Sie fing an zu ersticken.

„Neun!“

Der Täter hinter ihr stützte seinen Bauch gegen ihren langsam nach hinten schwankenden Rücken. Er ließ nicht locker und zog immer fester seine Waffe

um ihren Hals zu.

„Acht!“

Ihre Hände griffen mit aller Kraft nach dem Stück Stoff, der ihren Hals zuschnürte, die Augen quollen langsam hervor und waren blutunterlaufen. Sie fühlte, dass es bald ihr Ende war. Sie könnte auch nach hinten treten, aber dazu fehlte ihr der Wille, weil sie so überrascht wurde und keinen klaren Gedanken mehr führen konnte.

„Sieben!“

Die Kraft ihres Gegners wurde immer stärker und der Hals immer dünner. Sauerstoff wurde nicht mehr ins Gehirn abgegeben. Sie öffnete ihren Mund um zu schreien, aber was aus ihrer Kehle

kam war nur noch ein kratzendes Gurgeln.

„Sechs!“

Der Täter drückte immer fester zu, sein Opfer fing mit ihrem Überlebenskampf an.

„Fünf!“

Erst jetzt bemerkte sie, dass es zu spät war sich noch zur Wehr zu setzen. Ihre Kräfte versagten anhand der starken Kraft ihres Angreifers.

„Vier!“

Kein Gedanke mehr, nur noch Sterne vor ihren Augen. Die Augen verdrehten sich nach oben.

„Drei!“

Die Arme sackten nach unten, keine

Kraftreserven konnten mehr ohne Sauerstoff aktiviert werden.

„Zwei!“

Wie ein nasser Sack fiel dem Täter die junge Frau leblos in seine Arme. Sie war tot.

„Eins!“

Er musste schnell handeln, es näherten sich ein paar Leute von weitem seiner Nähe.

„Kölle Alaaf“ riefen alle von den Tribünen und dem Vorplatz lautstark. Auch die beiden Clowns, die sich dem Mörder näherten, hielten inne, blieben stehen und riefen mit. Sie gingen in die nächste Gaststube und sahen nicht, wie der Mörder sein Opfer unter die erste

Tribüne schob und ihm etwas in den offenen Mund steckte. Nach getaner „Arbeit“ konnte er unerkannt verschwinden, was an seiner Kleidung lag.

1

Ein hellblonder großer Mann mit dickem Bauch in einem Parka kam auf den Streifenwagen zu, der an der ersten Tribüne geparkt war. Er erhob die Absperrfolie und durchquerte den Tatort. Um ihn herum gab es zahlreiche Schaulustige und ein paar Pressefotografen.

„Keine Fotos“ rief ein älterer Herr, Mitte vierzig, Halbglatze, Vollbart und

einer Brille mit zur Hälfte abgerundeten Gläsern. Er näherte sich den Pressefotografen mit seiner stattlichen Statur, dass sie das Knipsen sein ließen.

„Um wen handelt es sich?“ fragte der Blondschopf seine junge Kollegin, die vor dem Opfer lag, um das sich eine Gerichtsmedizinerin kümmerte. Die junge Polizistin drehte sich mit einem eiskalten Blick von der Leiche weg und sah ihren Kollegen an.

„Ihr Name ist Sarah Neger. Sie hatte ihren Personalausweis bei sich. Alter 24 Jahre.“

Mit einem verwunderten Blick betrachtete der Blondschopf die tote Frau.

„Also, wie ein Neger sieht sie nicht gerade aus!“ Damit erntete er einen leicht spöttischen Blick der Polizistin.

„Oh, Entschuldigung. Kommissar Schlösser, Mordkommission. Wie starb sie?“

Die Gerichtsmedizinerin stand aus der Hocke auf, nachdem sie etwas aus dem offenen Mund gezogen hatte. Es handelte sich um eine Clownsnase, die sich in ihrer rechten behandschuhten Hand in die alte Form zurückging. „Erwürgt! Näheres kann ich nur im Labor feststellen.“

„Was haben Sie da?“ fragte Kommissar Schlösser, als er einen neugierigen Blick auf die rote Clownsnase warf die in

einem durchsichtigen Tütchen verschwand.

„Eine… Clownsnase!“ bestaunte die Ärztin diesen Gegenstand und überlegte.

Auf der Bühne spielten die Höhner ihren neuen Karnevalssong, dazu johlten die Zuschauer auf den Tribünen mit und schunkelten. Vom Geschehen hinter ihnen bekamen sie nichts mit oder ignorierten es.

„Entschuldige, darf ich mal?“ Der Kommissar nahm das Tütchen entgegen und sah sich den darin enthaltenen Gegenstand an. Er machte große Augen, als ihm etwas daran auffiel.

„Und?“ fragte ihn die Polizeikollegin in einem bayerischen Dirndl und sah auch

auf die eingetütete Clownsnase. „Ist das was Besonderes?“

„Ja, ich glaube schon! Da steht eine Sechs drauf!“ Kommissar Schlösser betrachtete seine Kollegin nun mit einem prüfenden Blick. „Sind Sie nicht irgendwie falsch hier? Oktoberfest ist doch jewese!“

„Ach, das Kleid“ schmunzelte die Kollegin und verdrehte ihre Augen. „Ich war grad auf den Weg zum Alter Markt, als mich der Anruf erreichte. Ist doch Weiberfastnacht!“

„Ja, alles schön und gut“ überlegte der Kommissar. „Wir müssen einen Profiler herholen. Das ist nicht das einzige Opfer. Gestern wurde schon einmal eine

Leiche gefunden.“

„Mit einer Clownsnase im Mund“ stutzte die Polizistin, als hätte sie es schon geahnt.

„Aber diesmal stand dort SECHS TOTE TAGE drauf“ sagte Kommissar Schlösser. „Klingt ganz nach unserem Spruch DIE SECHS TOLLEN TAGE, nur abgewandelt!“

„Okay, wir haben schon einen Profiler in den Startlöchern. Er kommt mit dem Zug aus Hamburg“ entgegnete ihm die Polizistin, die Mareike Schmitz hieß.

„Wieso aus Hamburg?“ wollte Kommissar Schlösser wissen, während die beiden auf den Weg zu den Dienstfahrzeugen waren. „Haben sie in

Wiesbaden keinen Kollegen dort?“

„Nein, das kommt wegen der Ähnlichkeit mit einem ähnlich gelagerten Fall aus seinem Gebiet.“

„Verstehe“ überlegte Schlösser. „Aber ziehen Sie sich nachher etwas Schickeres an!“

Entrüstet schaute seine Kollegin ihn an und hielt ihre Hände an die Hüften. „Und Ihr Columbomantel braucht auch mal ein Bügeleisen“ konterte sie zurück.

2

Im Büro von Kommissar Schlösser hingen ein paar Luftschlangen über seinem Schreibtisch. Mareike blies in

eine Karnevalströte in die Schultergegend ihres Vorgesetzten, der durch die Bürotür trat. Er machte einen heiteren Gesichtsausdruck und sah sie an.

„Wo bleibt denn der Hamburger Jung, Frau Schmitz?“ Frank sah kurz auf den Flur, bevor er ganz im Büro angekommen war.

„Ach, der! Ist schon auf den Weg“ sagte sie mit einem entspannten Lächeln. Ihr Kollege setzte sich nun in seinen Chefsessel und verschränkte seine Hände hinter den Kopf. Er war gespannt, was das für ein norddeutscher Mensch sei, den man ihm unterstellen wird.

Die Tür wurde weiter aufgemacht und

ein großer stattlich gebauter Mann mit Kurzhaarfrisur und schwarzer Lederjacke betrat das Büro. Er musste an der charmanten Polizistin mit der Karnevalströte vorbei und warf ihr ein leichtes Lächeln entgegen.

„Hier bin ich“ sagte der Hamburger Kommissar zu seinem neuen Kollegen. Er musterte ihn wegen des Lippenstiftes auf Franks linker Wange.

„Ja, grüß Gott“ rief Frank ihm entgegen und löste sich aus seiner entspannten Lage. „Oder sagt man bei Ihnen Moin, moin?“

„Moin reicht auch“ blieb der Neue ernst. Frank spürte kurz den Blick auf seine Wange und rieb daran.

„Ach ja, das. War eine überschwängliche Kollegin aus der Personalabteilung.“ Er wurde im Tonfall leiser und verlegen mit verschmitztem Lächeln. „Ist aber nichts Ernstes, wenn Sie verstehen!“

„Ich versteh sehr gut. Aber nur eins nicht“ brach der neue Kommissar die heitere Stimmung ein wenig ab. „Kommissar Küttel, Kripo Hamburg. Ich bin hergeschickt worden, um ein…“

„Profil von unserem Mörder zu erstellen, nicht wahr?“ Frank zeigte mit seiner rechten Hand zu einem einfachen Bürostuhl. „Nehmen Sie Platz!“

Mareike stand noch immer in der Tür und begutachtete ihren neuen Kollegen. Sie hatte noch nie einen Hamburger in

ihrer Heimat gesehen.

„Ach, Mareike. Können Sie sich um die Ergebnisse im Labor kümmern? Wären Sie so nett?“ Frank konnte auch mal ernst sein, wenn es sein musste.

„Warum brauchen wir Sie hier bloß?“ überlegte Frank gelassen. Ihn beschäftigte dieser und der andere Mordfall von gestern immer noch sehr stark und er brauchte fachmännische Hilfe.

„Sie haben es hier wie ich bereits informiert wurde mit einem Serientäter zu tun“ gab Kommissar Küttel seinem neuen Kollegen so zu verstehen, als ob dieser von einem anderen Planeten käme. So heiter wie in Köln wurde er bisher

noch nicht in seine Arbeit eingeführt. Sogar das Wort Alaaf stand unter der Unterschrift des ihm zugesandten Berichts.

„Ach, was“ war Franks kurze Antwort. Das mit dem Serientäter war ihm auch schon in den Sinn gekommen, als man bei den Leichen eine Tischtennisball großen Schaumstoffnase aus ihren Mündern geholt hatte. „Ehrlich?“

„Jetzt Spaß beiseite“ wich Herr Küttel den Witzattacken aus. „In Sachen Mord verstehe Ich keinen Spaß mehr. Auch wenn gerade die Saison hier dafür sei. Also, der Täter hatte die Morde ungestört durchgeführt. Sonst gäbe es ja Zeugen.“

„Ja, sonst wäre es ja ein Kinderspiel für uns den Mörder zu fangen, nicht wahr?“ unterbrach ihn Frank bei seiner ernsthaften Ausführung des Protokolls. „Ja, der Täter musste sehr präzise und schnell gehandelt haben. Und verschwand wohl unerkannt.“

„Was daraus zu schließen ist, dass er verkleidet gewesen war wie alle anderen auch“ folgerte Kommissar Küttel.

„Sofern er sich nicht ein Schild um den Hals gehängt hat mit der Aufschrift Ich bin ein Mörder, ist er deshalb unerkannt verschwunden. Nicht wahr, Kuddel?“ Mit großen Augen und einem schiefen Lächeln bestärkte Frank seine Ausführung.

„Küttel“ zischte der Kollege und räusperte sich. Er merkte, dass sein neuer Kollege wohl ein Spaßvogel sei. Ob er mit ihm wohl auch ernsthafte Dialoge führen konnte, bezweifelte er.

„Na, Sie mussten es ja sehr schwer gehabt haben mit Ihrem Namen eine Kneipe zu besuchen“ versuchte Frank etwas Mitleid zu heucheln. „Naja, für unsere Nachnamen kann man ja nichts. Ich heiße ja auch so wie ein Musiker.“

Im selben Moment klingelte Franks Telefon, als Kommissar ihm gerade etwas entgegensetzen wollte und er nur ein „ääh“ herausbrachte. Frank griff zum Hörer und schaute ernster als vorhin.

„Schlösser! Ach so. Ja, ja. Sind schon

auf den Weg dorthin. Bis gleich. Alaaf!“

An diesen ständig ausgesprochenen Karnevalsspruch konnte sich Jörg Küttel nie gewöhnen. Aber er wurde jetzt halt in Köln eingesetzt.

„Das war das Labor. Wir müssen uns die Leiche ansehen“ sagte Frank und sah seinen neuen Kollegen souverän an.

3

Die  Gerichtsmedizinerin, Frank und Jörg standen um den Tisch mit einer nackten Leiche, die bis zum Bauch frei lag; das Leichentuch bedeckte den Rest des Körpers.

„Also, das Opfer wurde erwürgt“ schilderte die Medizinerin mit

fachmännische r Ernsthaftigkeit. Sie zeigte auf den Hals und fuhr in der Luft eine unsichtbare Linie nach. „Hier sieht man die Würgemale. Man hatte sie mit einem Tuch erwürgt. Am Reißverschluss ihrer Jacke hingen ein paar fremde Stofffetzen.“

Frank sah sich prüfend die Leiche an und versuchte den Worten seiner Kollegin zu folgen, stellte sich in seinem Kopf den Tathergang dabei vor. Jörg hingegen vermied den Anblick auf die Leiche und betrachtete die schöne schwarzhaarige Medizinerin.

„Hatte man Opfer etwas entnommen? Haare, Piercings, sonstige Körperteile? Als Trophäe machen manche Serientäter

so etwas. Und?“ fragte Jörg Küttel präzise; die Medizinerin schüttelte nur den Kopf. „Oder hat man ihm irgendwas in die Körperöffnung gesteckt? In Mund, Nase oder…“

„Ja, im Mund steckte eine beschriftete Clownsnase. Diese unterscheidet sich bei der des ersten Opfers an der Aufschrift.“ Dr. Thelen sah den Neuen kurz in die Augen, lächelte kurz und musste sich wieder auf ihre Arbeit konzentrieren. Für sie kam er sehr attraktiv vor.

„Bei meinem letzten Fall deshalb wurde ich ja herbestellt ähnelt sich diese Sache. Den Opfern in Cuxhaven wurden kleine Jan Cux-Figuren in den Mund gesteckt. Dieser Fall ging als

Jan-Cux-Mörder in die Polizeigeschichte ein.“

„Aber  ich verstehe hier nur eins nicht ganz“ meldete sich Frank zu Wort, der sich während der Unterhaltung zwischen seinen Kollegen sei Gedanken machte. „Warum diese Nummer 6?“

„Darf ich mal die Nase sehen?“ fragte Jörg Küttel die Medizinerin.

„Nein, die befindet sich gerade im anderen Labor zur weiteren Untersuchung. Wir wollen feststellen, mit was für einen Stift die Nase beschriftet wurde“ sagte die Medizinerin. „Aber eins ist gewiss mit der Zahl hat es etwas auf sich.“

„Was stand auf der ersten Nase drauf?“

fragte Jörg Küttel.

„Die sechs toten Tage“ beantwortete Frank Jörgs an die Gerichtsmedizinerin gerichtete Frage. „Ich überlegte mir schon seit heute morgen, was dieser Spruch zu tun hat mit dem heutigen Mord.  Danke, Christine. Kommen Sie, Herr…“ Da zögerte Frank, um seinen Kollegen nicht ganz zu verärgern. „Küttel“ stöhnte Jörg auf.  

Ja, ich weiß“ schmunzelte Frank. „Wir haben ja noch fünf stimmungsreiche Tage vor uns. So lange braucht die Untersuchung.“

Sie verließen beide das Labor und gingen den langen Flur entlang, der auf einen Fahrstuhl zuführte. Darin stiegen

sie und fuhren nach oben.

„Aber als erstes gönnen wir uns eine Entspannung“ sagte Frank und zwinkerte kurz mit seinen Augen.

Dabei holte er ein paar alte Krawatten aus der Tasche. Die eine war rot und zeigte das Logo vom 1. FC Köln, die andere war blau-schwarz-weiß gestreift. „Auch eine?“

„Hab doch selber eine“ wunderte sich Jörg, obwohl ihm die gestreifte Krawatte wegen den Farben zusagen würde.

„Müssen Sie ja wissen“ meinte Frank trocken, während er auf die über der Tür angebrachte Anzeige der Stockwerke schaute. Es machte Bing und die Kabine blieb stehen. „Wir sind da.“

„Wo sind wir? Im Büro?“

Die Tür ging auf. Man konnte aus dem Flur schon laute Stimmungsmusik von der Gruppe Klüngelköpp vernehmen. „Mer sin jedäuf met 4711! Mer han met Sorje nix am Hot!“

„Im Büro des Chefs. Er hat heute Geburtstag“ lächelte Frank. „Und das am Weiberfastnacht!“

Jörg verdrehte seine Augen und verließ die Kabine des Fahrstuhls. Frank ging schon mal voraus, setzte sich eine grüne kleine Melone auf und steckte sich eine Clownsnase auf die Nase. Darüber musste Jörg nur weiter seine Augen verdrehen. Ihm war der Fall ja noch wichtiger und deshalb konnte er keine

ironische Anspielung darauf vertragen. Als Frank vor der Bürotür seines Chefs noch in ein kleines Stimmenverzerrgerät mit Mickymausstimme sprach: „Komm schon, Kuddel“, kam es Jörg noch lächerlicher vor.

Frank ging voran ins Büro und Jörg hinterher. Im Büro sah es viel bunter geschmückt aus als bei Frank. Die fünf Kollegen liefen in der Polonäse durch das Büro, allen voran der Chef mit Clownsperücke. Mareike löste sich aus der Kette und lächelte hinterhältig ihren neuen Kollegen an, als sie auf ihn an der Tür zuschritt.  Sie fasste seine HSV-Krawatte an und zog aus ihrem Dirndl eine Schere hervor.

„Sie haben ja einen Schlips“ lächelte Mareike noch immer.

„Ja, und Sie einen Schwips“ meinte Jörg trocken.

„Schnipps“ lachte Mareike und schnitt ihm die teure Fan-Krawatte ab.

„Oh, nein! Scheisse“ jammerte Jörg entsetzt, als ob man ihn mit Matsch auf seinen teuren Anzug bekleckert hätte.

„Nun stell dich mal nicht so an, Scherzelein“ schmeichelte Mareike mit ihrer weichen Stimme und wedelte ihrem „Opfer“ mit der Krawatte Luft zu.

„Darf ich vorstellen, Jörg Küttel“ kam Frank mit zwei Bier in der Hand auf die beiden zu. Die anderen Kollegen tanzten bei flotter Bläck-Fööss-Musik herum.  

„Wurde auch mal Zeit, dass Sie meinen Namen können“ stellte Jörg grimmig fest. „Ja, manche haben es einfach schwer mit meinem Nachnamen.“ Er nahm das Bier entgegen und tippte langsam auf Franks Schaumstoffnase. Da zögerte Jörg und starrte an seinem Kollegen vorbei.

„Und? Wurden Sie schon öfter Kuddel genannt?“ Mareike wurde etwas weich und ergriff seine beiden Arme um ihn zum Tanzen aufzufordern. Aber da strich er ganz überraschend für sie ihre Hände von den Armen.

„Hört mal alle zu“ rief Jörg gegen die laute Musik an, er musste lauter werden um verstanden zu werden. „Hallo, könnt

ihr mal die Musik ausmachen? Ich habe was zu sagen!“

Erschrocken drehten sich Kollegen und Kolleginnen nach dem Kommissar um, der steif wie eine Schaufensterpuppe da stand und auf ihre Aufmerksamkeit wartete. Frank schaltete den CD-Player aus und sah ganz entspannt auf Jörg. Schlagartig herrschte Ruhe im großen Büro.

„Gut! Danke“ atmete Jörg auf. „Der Mörder, den wir suchen, ist ein Serienkiller.“

„Wissen wir schon“ warf der Chef Hauptkommissar Stelter in den Raum.

„Aber er ist noch lange nicht fertig“ fing Jörg mit ernstem Ton und senkte seine

Lautstärke. „Der Spruch auf der ersten Nase bedeutet folgendes: Dass der Mörder in den laufenden fünf Tagen noch weitere Opfer sucht. Und genauso vorgehen wird wie bei den letzten Morden. Wie heisst noch euer Karnevalsspruch? Die sechs tollen Tage, oder so ähnlich. Also! Es ist… nicht zu berechnen, wann er sich seiner nächsten Opfer annehmen wird. Aber eines sei gewiss, dass wir ein ganzes Aufgebot von aufmerksamen Kollegen brauchen werden um ihn zu bekommen.  Er darf kein nächstes Mal mehr zuschlagen.“

„Gut“ nickte Herr Stelter Jörg zustimmend. „Holen wir unsere Kadetten aus der Ausbildung hinzu. Sie können

sich ja mal unter das Jungvolk mischen. Und… Sie haben Recht, Herr Küttel! Mobilisieren wir uns und gehen in Aktion. Ich telefoniere mit dem Ausbilder. Also, wieder an die Arbeit, Leute!“

„Du hast es gehört“ meinte Frank zu Mareike und nahm ihr das Bierglas ab. Mit zugekniffenem Mund und ärgerlichem Blick auf Jörg verließ sie das Büro.

„Ja, Karneval gibt´s ja im nächsten Jahr auch noch, nicht wahr?“ lächelte Jörg selbstgefällig zu Frank. „Töröö!“

4

Die Pressekonferenz verlief alles andere als ernst was zumindest an den abgeschnittenen Krawatten der Polizeisprecher und Journalisten lag. Das konnte dem zu ernsten Jörg Küttel ein verschmitztes Lächeln auf die Lippen zaubern, als er einem Journalisten der Köln Express gegenüberstand und Fragen über den Fall gestellt wurden.

„Wann war der Todeszeitpunkt Ihrer zweiten Leiche?“ fragte ihn der aufgebrachte Journalist mit langen Haaren und Vollbart, der wie seine Kollegen auch einen Stummel um den Hals trug.

„Um Elf Uhr Elf“ blieb Jörg bierernst.

„Soll dass ein Karnevalsscherz sein?“ Der Journalist sah ihn verblüfft an.

„Keinesfalls. Die Uhr des Opfers ist beim Aufschlagen ihres Armes stehengeblieben. Das war eine Uhr mit Zeigern, müssen Sie wissen!“ Jörg musste sich stark zusammenreißen, um nicht selbst über diese Tatsachen loszulachen, auch wenn diese für einen Kölner schwer ernst zunehmen seien.

„Andere Frage. Wird der Mörder erneut zuschlagen?“ Das Mikrofon des Reporters wurde wieder vor seinen Mund gehalten.

„Wir wissen es nicht. Möglich ist es, da der Mörder uns einen Hinweis dafür auf einer Clownsnase gegeben hat. Mehr

kann ich dazu wirklich nicht sagen.“ Geschafft, dachte sich Jörg, als er den Reporter sein Mikrofon vom Gesicht genommen hatte.

Frank Schlösser kam gerade auf Jörg zu, wie er vom Pressesprecher der Polizei Köln ein dickes Lob bekam.

„Ich wollte mich bei Ihnen für diese Konferenz bedanken. Sie sind uns eine gute Hilfe, Herr Küttel“ sagte der ältere Herr mit Halbglatze und Brille. Auch ihn hatte die Frauenpower nicht verschont, sein grauer Krawattenstummel hing über das weiße Hemd ohne viel Wert. Kraftvoll schüttelte er dem Kommissar die Hand und ließ ihn anschließend zu seinem Kollegen gehen.

„Hoffentlich drehen sie uns nicht daraus einen Strick“ war Jörg aufgeregt. „ Ich habe denen nichts Konkretes angegeben!“

„Doch, doch“ beschwichtigte ihn sein Kollege, „war ganz gut. Lasse mer de Press dran knabbere!“

Wieder im Polizeirevier

„Wir können diesen Täter einfach nicht aufspüren“ grübelte Frank und trommete nervös auf der Schreibtischunterlage. „ Der könnte ja überall auftauchen!“

Jörg stand vor dem Schreibtisch und sah sich die Akte des Mordfalles an, die er in seinen Händen hielt und durchblätterte.

„Wir vergessen nur eins. Dass er immer

dort auftaucht, wo etwas los ist. Und die Idee ist nicht schlecht, überall ein paar Leute in Zivil abzustellen wo es Menschenansammlungen gibt. Ein Problem wäre es, wenn er außerhalb der Veranstaltungen seine Morde begehen würde.“

„Komm, lass uns Feierabend machen, ja“ meinte Frank leicht erschöpft. „War ein langer Tag.“

„Und wohin?“ überlegte Jörg, der sich dabei im Büro umschaute.

Die Bürotür wurde aufgerissen und ein aufgebrachter Polizist mit weißem Hemd und grauer Hose kam hastig hinein.

„Du, Frank. Ich vermisse meinen Kugelschreiber“ war der Kollege

aufgebracht. „Hast du ihn gesehen?“

„Mensch, Peter. Wir sind gerade im Gespräch. Lass dir von der Sekretärin einen neuen geben, ja!“ Frank passte es momentan nicht, dass er beim Ruhefinden unterbrochen wurde. Und ausgerechnet kam Peter zu ihm, der sonst immer ein aufgebrachter Kollege war, und bat ihn um diese Kleinigkeit.

„Hör mal, das ist kein einfacher aus dem Supermarkt“ rechtfertigte sich Peter, „den hat mir meine Frau zu Weihachten geschenkt, verdammt. Das ist ein Parker ein verdammt seltenes Exemplar!“

Frank lächelte ihn an. „Der findet sich schon wieder an. Und jetzt such, Hündchen!“

Peter musterte den neuen Kollegen aus Hamburg argwöhnisch, was auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Ich hab den Kollegen doch vorhin aus meinem Büro gehen sehen“ murmelte er, als er wieder hastig hinausging.

„Das ist Peter Engel“ lächelte Frank, „ ein komischer Kollege aber liebenswert!“

Jörg schaute  Peter hinterher, wie er an der Glasscheibe des Büros vorbeieilte, und lächelte etwas verschmitzt mit einem schiefen Mund.

„Wo ist Ihre Unterkunft?“ klatschte Frank dabei in die Hände und stand von seinem Chefsessel auf.

Jörg zuckte kurz zusammen, als er aus

seinen Gedanken hinausgerissen wurde, und schaute auf Frank. „In einem Hostel in Ehrenfeld. Hotels sind hier einfach nicht mehr zu finden waren alle belegt, verdammt!“ Dabei musste er kurz kichern.

„Is´ja ein Ding“ gab sich Frank überrascht. „Da hinten ist auch die Kneipe von meiner Schwägerin. Komm, lass uns losfahren!“

5

In der Kneipe HEMMER wurde kräftig gefeiert. Dutzende von verkleideten Narren und Närrinnen tanzten und tranken, unterhielten sich und waren guter Laune. Das Thekenpersonal kam

gar nicht so schnell hinterher wie das Bier verlangt wurde. Ein Getränkechip nach dem anderen wurde über die Theke gereicht. Die Musik erschallte die beiden großen Bereiche. Tische und Stühle oder Barhocker fand man vergebens, damit sehr viele Gäste hinein passten. Draußen herrschte ein leichter Andrang hineingelassen zu werden, an zwei Dutzend wartende Gäste standen in Reih und Glied an der Hauswand entlang und konnten von den offenen Fenstern die Musik lauschen. Manche hatten sich vom Supermarkt gegenüber ein paar Biere besorgt und tranken sich einen leichten an.

Frank und Jörg konnten so passieren, da

Franks Schwester hinter der Theke stand. Der glatzköpfige Aufpasser winkte die beiden hinein, vorbei an der wartenden Reihe.

„Hey, Frankie“ begrüßte die beiden eine blonde Frau einen Meter vor der Theke und umarmte Frank. Er gab ihr einen großen Kuss. Jörg lächelte die beiden verständnisvoll an. Frank legte einen Arm um seine Frau, als sie sich seinem Kollegen zudrehte und einen glücklichen Blick zuwarf.

„Das ist Jörg Küttel“ rief Frank entgegen der lauten Musik. „Ein neuer Kollege von der Kripo Hamburg!“

Marianne, seine Frau, hörte Frank aufmerksam zu und begrüßte den

Hamburger mit einem Handschlag. „Ach, aus Hamburg kommste! Ist ja doll!“

Jörg betrachtete ihr reich verziertes Kostüm. „Schickes Teil!“

„Ja, meine Frau arbeitet als Schneiderin im Stadttheater“ meinte Frank und reichte Jörg ein schlankes Kölschglas zu.

Cowboys, Clowns und Ärzte tummelten sich ausgiebig im Mittelteil des großen Lokals. Hinter ihnen wich der Blick eines Gastes nicht mehr von den dreien. Dieser hörte aufmerksam die Gespräche von Frank, Jörg und Marianne zu. Sein Blick folgte den dreien bis zur Theke, wo sie sich mit einer blonden Frau unterhielten.

„Darf ich vorstellen meine Schwester

Sabine!“ Frank warf seiner Schwester hinter der Theke einen freundlichen Blick zu. „Und das ist Jörg Kuddel!“

Sabine lachte über dieses Wort. „Oh, da gibt´´s nur einen, und der heißt Kudde“ sang sie einen Achim Reichel-Song und lachte dazu.

„Ja, is´ schon gut“ lächelte Jörg etwas genervt, weil er diesen Namen bald nicht mehr hören konnte.

„Das mag er ja nit höre“ lachte Frank und stieß seinen Kollegen mit dem Ellenbogen an, während er gerade einen Schluck Kölsch nahm. Die Musik „Dat Was vun Kölle“ spielte im Hintergrund, dazu schunkelten die Gäste vor ihnen. Einige machten ein paar betende

Bewegungen. Jörg sah auf die beiden an der Theke.

Eine schöne schlanke Zigeunerin forderte Jörg zum Tanzen auf, Sie tanzten etwas locker. Frank nahm seine Frau an beide Hände und tanzte ebenfalls. Alle drei hatten ihre Gläser auf die Theke vorher abgestellt und hatten ihre Hände frei.

Der beobachtende Gast bekam einen stattlichen Mann vor sich, der ihm ein Kölschglas reichte. „Hier, dein Bier!“ Aber der Gast hatte nur seinen Blick für die beiden Kommissare, auch wenn ihn der Mann mit breitem Lächeln anschaute.

6

Am Freitag war die Hohe Straße von vielen Touristen in bunten Kostümen und einige Leute in gewöhnlicher Kleidung gefüllt. Die Geschäfte wurden zahlreich besucht, es herrschten rege Geschäfte darin.

Für den Mittag hatten sich die beiden Kommissare eine Pause genommen, um Mittag zu essen. Ein neues KFC-Restaurant hatte in der Geschäftsstraße geöffnet, in das sie eintraten. Vor der Kasse waren wenige Gäste, die nach und nach ihre Bestellungen aufgaben.

An einem Tisch nahmen Frank und Jörg Platz und stellten ihre Tabletts ab.

„Ich bin mir sicher, dass unser gesuchter Mörder seine Opfer ganz willkürlich aussucht“ öffnete Jörg sein Gespräch. „Das belegen ihre Daten. Niemand war weder miteinander verwandt noch hatten sie Feinde.“

Frank hörte ihm aufmerksam zu und biss in seinen Chicken-Burger. Dieser war mit zartem Hähnchenfleisch und Salat belegt und hatte eine raffinierte Soße. Jörg hatte sich Hähnchenflügel bestellt und unterbrach kurz beim Knabbern sein Dienstgespräch.

„Och jo“ murmelte Frank. „Wäre für uns ja sonst zu einfach, nicht?“

Jörg hob einen Hähnchenflügel vom Teller und wollte ihn zum Mund führen.

„Der spielt ein verdammt böses Spielchen mit uns. Vielleicht hasst er Karneval oder macht sich darüber lustig. Dafür benutzt er diese Clownsnasen. In Cuxhaven hatte mein Mörder ein ähnliches Prinzip drauf gehabt.“

„Ach, die Jan-Cux-Figuren“ sagte Frank, trank von seiner Cola und spülte damit das saftige Fleisch runter. „Hatten Sie ja schon erwähnt. Und wurde er gefasst?“

„Leider nein“ bedauerte es Jörg. „Er verschwand, und damit hörten auch die Morde auf. Ein ganzer Profi war das. Hatte keine Spuren hinterlassen, die zu ihm brachten. Der Fall wurde ad acta

gelegt. Ich habe ganz die Vermutung, dass wir es entweder mit einem Nachahmungstäter zu tun haben, oder…!“

„Er führt seine Mordtaten hier weiter“ folgerte Frank. „Aber irgendwann macht er einen Fehler. Und dann haben wir ihn!“

Den anderen Gästen interessierte ihre Gespräch nicht, sie aßen einfach weiter und hatten ihre eigenen Sachen im Kopf. Also konnten sich die beiden Kommissare ungestört weiter unterhalten.

„Tja, wenn es so einfach sei“ zögerte Jörg, der dabei seinen letzten Flügel verzerrte. Er trank sein Getränk

entspannt. „Falls er wieder keinen Fehler macht, dann wird er irgendwo anders seine Taten weiter machen. Vielleicht auf dem Oktoberfest oder so.“

„Gestern hatten wir kaum Möglichkeit, ein paar Zeugen zu befragen. Sie waren alle in Feierstimmung. Bis jemand die Leiche gefunden hat“ überlegte Frank. „Dann nützt es uns nur, wenn der Mörder uns heute in die Falle gerät. Wir stellen ein paar Leute bei der nächsten Veranstaltung ab.“

„Und das wäre?“ Jörg kannte sich wohl nicht so recht aus, was man in Köln alles feiern wird.

„Der Sternmarsch auf dem Alter Markt. Der beginnt ja gleich in drei Stunden.“

7

Ganze vier Stunden sorgten die Veranstalter auf dem Alter Markt beim Sternmarsch für Stimmung. Vier Mundartgruppen traten auf, dazwischen wurden Tanzpaare ausgezeichnet, das Kinder- und Erwachsenendreigestirn präsentierten sich und die Organisatoren der Umzüge standen auf der Bühne. Die Zuschauer schunkelten bei ruhigen Musikstücken, jubelten und lachten. Alle vier Tribünen, die bereits am Donnerstag aufgebaut waren, waren voller Maskierter.

Die Bläck Fööss hatten zum Schluss der Veranstaltung ihren Auftritt und präsentierten ihre alten und neuen

Lieder. Als die letzten Klänge des Liedes „Mer han ä Hätz för Kölle gespielt wurden, verkündete der Bürgermeister seine Abschiedsworte. Danach herrschte Aufbruchstimmung. Die fünftausend Zuschauer räumten ihre Sachen zusammen und machten sich langsam nach und nach auf den Weg zu den Ausgängen der Tribünen. Unter ihnen war auch Brigitte, eine junge Frau Anfang dreißig. Ihr hatte die Veranstaltung nicht so viel Spaß gemacht, seit ihr Freund schon früher verschwunden war. Sie hatte als eine der letzten Leute die linke Tribüne verlassen und schlenderte an der offenen Kneipe vorbei, aus deren offenen Tür

Stimmungsmusik erklang. Einige junge Leute torkelten an ihr vorbei und sangen lauthals Karnevalslieder. Den Alkohol, den sie konsumiert hatten, roch sie schon von weitem.

Brigitte bog in die Straße Unter Taschenmacher ab und war auf sich allein gestellt. In diese einsame Straße folgte ihr niemand. Ängstlich sah sie sich um, ob ihr wirklich niemand folgte. Da piepste ihr Smartphone in ihrer Brusttasche. Brigitte holte es heraus und warf einen Blick auf das Display. Eine SMS erschien auf dem Bildschirm.

„Es ist aus, Gittemaus. Tut mir leid, zerreiß dir nicht dein Kleid“ stand auf dem Display. Sie stieß einen

verzweifelten Seufzer aus und steckte ihr Smartphone wieder in die Tasche. Es kamen Schritte hinter ihr, die im gleichen Tempo blieben. Für sie waren sie furchteinflößend, weil Brigitte sich darauf nicht eingestellt hatte. Es waren nur noch vier Hauseingänge bis zu ihrem. Du schaffst das, hab nur Mut, hörte sie sich selber sagen. Ihre Schritte beschleunigten sich, die des anderen aber auch. Brigitte wollte nicht in Panik verfallen und atmete langsam ein und aus. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, wischte sie sich ab und blieb bei ihrem Tempo. Bedrohlich kamen die Schritte hinter ihr immer näher.

„Mietze“ hauchte der Unbekannte hinter ihr, er war noch sehr weit entfernt von ihr. „Mietze! Komm doch her!“

Die nächste Tür ist meine, dachte Brigitte, jetzt nur nicht in Panik geraten!

Nach drei Schritten war sie in eine Haustür verschwunden, die offen stand. Im Schatten davon beobachtete sie den Verfolger, wie er immer näher kam. Eine schneeweiße Katze lief an ihren Füßen vorbei, was Brigitte kurz erschrecken ließ. Hinter dem Tier lief der Unbekannte her und rief noch immer „Mietze!“

Erleichtert atmete sie auf, ein sanftes Lächeln kam über ihre Lippen. Alles war

nur eine Panik gewesen.

Im Lächeln erstarrt wurde etwas um ihren Hals gedrückt und presste ihr die Luft aus dem Hals.  Aus dieser Überraschung heraus blieb Brigitte erstarrt und wehrlos für ihren Angreifer, der sichhinter ihr im Dunkeln des Flurs verborgen hatte und auf diesen Moment gewartet hatte.

8

Samstag

Frau Neuer, Alter Mitte 70 und Witwe, ging die Treppe des beleuchteten Treppenhauses hinab zur Haustür mit ihrem Altpapierkarton unter dem Arm. Sie hatte schlecht geschlafen, weil die

betrunkenen Touristen die halbe Nacht nur rumgesungen und geschrien hatten. Jetzt war sie um halb acht aufgestanden und hatte ihren Haushalt gemacht. Dazu zählte auch das Papier zum Container bringen.

Sie kam ans Ende der Treppe an und sah jemanden rechts neben der Treppe sitzen. „Hallo? Hallo, Sie!“ rief die Frau. Aber die Person regte sich nicht. Nun stand Frau Neuer vor der Treppe und  betrachtete die Person an der Treppe lehnend. Eine Apfelkornflasche lag in ihren Armen. Es war eine Frau gewesen mit langen schwarzen Haaren, an die dreißig Jahre alt.

„Diese jungen Leute“ meckerte Frau

Neuer abwertend, als sie die Flasche erblickte, „saufen sich bis ins Koma. Sie ging um die Frau herum und wollte den nach unten gesunkenen Kopf berühren um sie wachzumachen. Da sah sie die weit aufgerissenen Augen und den offenen Mund. Ein kurzes Handauflegen bei der Brust ließ die alte Frau erstarren. Kein Herzschlag. Dann begriff sie schlagartig, dass die junge Frau tot war. Verzweifelt schrie Frau Neuer los.

Die Kommissare Schlösser und Küttel  standen vor der Leiche, während die Gerichtsmedizinerin aus dem Mund der weiblichen Leiche eine rote Schaumstoffnase zog und sie

anschließend in einen kleinen Beutel steckte.

„Sie ist erwürgt worden“ folgerte Dr. Nikuta beim Betrachten des Halses von der Toten.

„Genau wie die anderen Opfer“ sagte Kommissar Küttel, als er die Nase in der Tüte sah. „Was steht auf der Nase? Eine fünf, nehme ich an!“

„Sie haben Recht“ stimmte Dr. Nikuta ihm zu und sah sich die Nase an.

„Wo verdammt waren denn Ihre Aufpasser?“ meckerte Kommissar Küttel seinen Kollegen an. „Oh, jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen. Ganz toll!“ Sein Ton wurde wütender und schärfer.

„Jetzt reg dich nit so künstlich uff. Die Sache ist uns entglitten. Ein Kollege von uns hatte zwar eine junge Frau hier gesehen, wurde aber von einer Katze abgelenkt.  Vielleicht war es das Opfer, das gesehen hat.“

Jörg Küttel ging nervös im Flur auf und ab. „Ja, vielleicht. Und nun isses jewese! Himmel!“ meckerte er.   

Kommissar Schlösser und seine Kollegin sahen dem aufgebrachten Kriminologen nach, wie dieser mit seinen Händen wütend gestikulierend aus der Haustür des Tatortes trat; es sah so aus, als ob er sich seinen Frust abschütteln würde. Ratlos schauten sich beide an und versuchten sich anschließend wieder auf

den Fall zu konzentrieren. Es kann ja menschlich vorkommen, dass selbst ein Vollprofi wie Kommissar Küttel seine Beherrschung verlieren kann, wenn es nicht so klappt wie es sollte.

Nach einem kurzen Augenblick kam Kommissar Küttel wieder zurück und ging in den Hausflur. Die Spurensicherung hatte bereits ihre Arbeit erledigt, so dass er sich wieder frei bewegen konnte.

„Also, der Mörder musste schon im Hausflur gelauert haben“ folgerte der Profiler, stand links neben der offenen Tür und blickte hinaus, „und von hier aus hatte er sie beobachtet. Er ging nach hinten in den Schatten. Und als das

Opfer in der Tür stand, nahm der Mörder seine Waffe und erwürgte sie.“ Wie ein Schauspieler eiferte er jede Bewegung nach. „Anschließend stellte er ihr eine Alkoholflasche in die Hand, so dass es aussehen sollte dass sie betrunken so da lag. Extra für den Finder.“

„Ja“ hatte Kommissar Schlösser ihm folgen können, „so in etwa könnte er vorgegangen sein.“

Er schaute zur geschlossenen Hintertür hinter der Treppe. „Und hier ist er wahrscheinlich verschwunden. Gibt´s dort einen Fluchtweg zur Straße?“

Kommissarin Hachenberg befragte die Nachbarin, die die Leiche der jungen Frau gefunden hatte, danach. Sie drehte

sich nach Frank um. „Nein, nicht wirklich!“

„Also konnte der Mörder nur durch die Vordertür hinaus“ meinte Jörg Küttel. „Bleibt die Frage, wie er einfach unbemerkt verschwinden kann.“

„Mensch, Kuddel, wir sind hier in Kölle“ stupste Frank ihn kurz an. „Da ist immer etwas los! Und wenn er verkleidet war, konnte der Mörder einfach unerkannt verschwinden.“

„Jaja“ brummte Jörg Küttel, „das macht den Fall noch um vieles schwerer!“

9

Im Autopsie-Saal

Frau Dr. Nikuta stand am

Untersuchungstisch, auf dem die Leiche des neuen Opfers offen da lag. Sie hatte ihre volle Konzentration ausschließlich auf ihre Arbeit, den Hals der Toten zu untersuchen. Da legte sich eine große kräftige Hand auf ihre rechte Schulter; sie erstarrte erschrocken und ihr Atem setzte kurz aus. Mit einem Ruck drehte sie ihren Kopf und erblickte den neuen Kommissar.

„Kommissar Küttel“ war Dr. Nikuta entrüstet, „schleichen Sie sich bitte nicht so von hinten an. Da lieg ich gleich daneben!“

Die große Hand von Jörg massierte ihren Nacken. "Nennen Sie mich Jörg!" Er lächelte sanft.

"Also gut, ...Jörg! Ich bin schon etwas weiter gekommen. Unser zweites Opfer ist..." Frau Nikuta ließ sich von seinen Händen am Nacken massieren und entspannte sich dabei. "Das kannst du ganz gut!"

„Ja, ich weiß“ meinte Jörg ganz selbstgefällig. Er hörte wieder auf, so dass sich die Ärztin nach ihm umdrehte.

„Also, erdrosselt wurde unser Opfer mit einem Stoffschal. Ich habe das Ergebnis der Analyse von der Stofffaser am Hals erhalten, es war  Seide, wie von einer Frau."

„Also eine Frau sollte der Täter sein...hm!“ brummte Jörg überlegt. „Oder ein Homosexueller!“

„Oder so“ lächelte Frau Nikuta den Kommissar an. „Ich heiße Stefanie. Kannst mich auch Steffi nennen!“ Sie reichte ihm ihre zarte Hand und legte sie in seine große.

„Okay, Steffi!“ Jörg lächelte und war ganz gerührt. „Hast du morgen Abend Zeit? Ich zeige dir Hamburg!“

„Na, da bin ich mal gespannt“ sagte Stefanie. „Ciao, Jörg! Bis später!“

Mit einem siegesgewissen Lächeln auf den Lippen verließ Jörg Küttel den Untersuchungsraum.

  

10

Auf dem Neumarkt verlief der Funkenbiwak recht friedlich. Ein gewaltiger Andrang herrschte an den beiden Bierbuden. Rund um die lange Bühne inmitten des Platzes standen über tausend verkleidete Menschen. Unter ihnen waren auch ein gutes Dutzend Polizeianwärter in Zivil, die jeden Winkel auf und rund um den Neumarkt in Augenschein nahmen. Man erhoffte sich, dass der Täter sich dort aufhielte und sich auffällig benahm. Aber diesen Gefallen tat er ihnen nicht. Bis fünfzehn Uhr blieben die Zivil-Beamte auf ihren Posten, bis dahin leerte sich der Platz und die letzten Menschen waren die Straßenkehrer.

11

Geisterzug in Ehrenfeld.

Seit eineinhalb Stunden marschierte der Geisterzug schon auf der Venloer Straße in Richtung Einkaufszentrum. Die meisten Marschierenden waren verkleidet, manche schauten sich diesen Umzug nur an. Gestalten aus dem Horror- und Gruselfach waren in der Überzahl gegenüber Clowns und sonstige Verkleidungen.

Direkt am Hostel standen die beiden Kommissare Schlösser und Küttel und schauten sich das Geschehen auf der Straße an. Laute Trommeln ertönten und behinderten ihre Unterhaltung etwas. Eine Person war als Freddy Kruger

verkleidet und spielte mit seiner Plastikhand herum; eine zweite Person schwang als Jason verkleidet seine große Kunststoffmachete über die Köpfe von drei kleinen Chinesen hinweg. „Tooote“ rief er. Die Chinesen mussten darüber lachen.

„Stell dir vor, der Mörder gehe hier als Freddy Kruger oder Jason!“ Frank musste dabei kichern, als er sich die Gruselgestalten betrachtete. Sein Kollege hingegen sah skeptisch drein, als rattere in seinem Kopf ein Computer.

„Dann hätte das Opfer vor Schmerzen nur geschrien und der Mörder seine Aufmerksamkeit bekommen“ blieb Jörg ganz logisch ernst. „Nein, das will er ja

gerade nicht.“

Jörg bemerkte es, wie Frank ihn musterte wie einen Vulkanier mit seiner Logik. „Nein, das wäre viel zu einfach für uns!“ Er musste darüber ebenfalls lachen als in seine Ohren ein Schrei ertönte.

„Scheiße, da braucht jemand unsere Hilfe!“ Nun machte er eine ernste Miene und schaute in die Richtung, aus der er den Schrei vermutet hatte. „Komm, Mensch!“

„Ich hol Verstärkung,  Du nimmst die Verfolgung auf“ befahl ihm Frank und holte sein Funkgerät raus. Doch da war Jörg bereits in die Fritz-Greuer-Straße gelaufen und verschwand aus seinem Sichtfeld.

„Hier Schlösser! Wir brauchen dringend Verstärkung! Schneidet dem Killer den Weg ab. Er ist die Fritz-Greuerstraße unterwegs. Kollege Küttel ist ihm bereits auf den Fersen!“ Frank warf noch einen Blick in die dunkle Straße, entdeckte aber nichts. Der Lärm der Samba-Gruppen ließ es nicht mal zu, ob jemand schreien würde. Ihm blieb nichts anderes übrig als seinem Kollegen hinterherzueilen.

Die Straße war nicht gerade lange abzulaufen, bis sie in eine andere Straße abbog. Noch immer konnte Frank den Kollegen Küttel nicht sehen. Nach einem kurzen Moment kam auf ihn eine Person

langsam herangeschritten, verharrte und beobachtete ihn. Seine Schusswaffe hatte er  bereits aus dem Schultergurt unter der Jacke gezogen und entsicherte sie, als ihn die fremde Gestalt noch immer beobachtete.   

„Hinter dir“ rief die Person im Dunkeln und eilte auf Frank zu. Eilige Schritte entfernten sich hinter ihm. Frank richtete seine Waffe mit einer Hüftbewegung in die Richtung der flüchtenden Person.

„Stehen bleiben“ rief Frank zum Menschen im Gorillakostüm, der sein Tempo verlangsamte. „Stehenbleiben oder ich schieße!“

Erst jetzt blieb der Maskierte stehen und

erhob seine Hände. „Ach, verdammt“ rief er. „Was ist hier denn passiert?“

„Klappe halten, stehen bleiben und umdrehen“ blieb Frank ernst und kam mit gezogener Waffe auf den Gorilla zu. Dieser tat was man von ihm verlangte und schaute dabei in Franks Richtung. Doch da blieb er bei halber Umdrehung stehen und machte eine erschrockene Bewegung. „Mein Gott, was ist das?“ rief er.

Jörg kam ebenfalls mit gezogener Waffe auf die beiden zu. Er übernahm das Fesseln der Person in einem schweren Gorillakostüm mit den Handschellen. Frank indessen schaute ebenfalls auf die Stelle, die der Verhaftete so erschrocken

ansah. Zwischen ein paar Mülltonnen ragten zwei schlanke Damenbeine mit Hackenschuhen hervor.

„Was hab ich denn getan?“ jammerte der Mann, dem Jörg die Maske abgenommen hatte. „Sie sehen doch, dass ich unschuldig bin!“

„Klappe, Mann“ wurde Jörg ernst und schob den Mann im Gorillakostüm voran. Frank schob die linke Mülltonne beiseite und warf einen Blick auf die liegende Person, die sich nicht rührte. „Hallo“ sagte er vorsichtig und holte eine kleine Taschenlampe aus seiner Jackentasche hervor.  Er schaltete sie ein und leuchtete zu der Stelle, an der er ihr Gesicht vermutete. Sein Blick erstarrte.

„Wusste doch nicht, dass Sie Polizisten sind“ versuchte sich der Verhaftete zu verteidigen, als er zusammen mit Jörg Küttel auf die zwei parkenden Streifenwagen langsam zuging. „Als ich Ihre Waffen sah, wollte ich nur weg! Hören Sie mir überhaupt zu, oder watt?“

„Das können Sie uns noch auf der Wache erzählen“ befahl  Kommissar Küttel. „Führt ihn ab! Frank?“

Er drehte sich nach seinem Kollegen um und sah ihn ganz erstarrt dastehen.

„Hier ist…“ Franks Ton wurde leiser, „…die nächste Leiche! Er war es nicht!“

Ein kurzes schiefes Lächeln verschwand rasch aus Jörgs Lippen, als ihn sein Kollege anschaute, wie er sich die

Leiche zwischen den Mülltonnen ansah.

Der verhaftete Mann im Gorillakostüm saß ohne seiner Maske in einem spärlich kleinen Raum mit Tisch und zwei Stühlen dem Hauptkommissar gegenüber. Hinter ihnen war ein Spiegel, durch den man im anderen Raum hineinblicken konnte. In diesem heimlichen Raum standen die Kommissare Schlösser und Küttel und schauten sich das Verhör ihres vorläufigen Tatverdächtigten an. Skeptisch beobachtete Frank Schlösser den Mann im anderen Raum.

„Ich habe niemanden umgebracht. Ich habe zwei Leute in diese Straße rein rennen sehen, das sah fast wie eine Verfolgung aus. Die eine Frau wollte

schreien, aber war voller Panik.“

„Und das haben Sie von Ihrem Standpunkt aus genau erkennen können?´“ fragte ihn der Kommissar.

„Ja, so war´s. Sie rannten an mir vorbei, während der Umzug lief.“

„Und wieso sind Sie ihr nicht zur Hilfe geeilt?“

„Tja, da waren diese beiden Typen. Etwa eine Minute später. Der eine lief schon da runter, dann kam der andere. Und ich dachte mir, dass sie diese Person schnappen könnten. Und als ich auch noch nachschauen ging, da zog der eine vor mir eine Kanone.“

„Waren Sie allein?“ hakte Hauptkommissar ruhig nach.

„Nein, mein Bruder stand neben mir, als es passiert war. Er ging kurz Bier holen. Aber dieser Clown der wirkte wie ein... eine Frau. Er tänzelte etwas in seinem Gang.“

„Gut“ meinte der Hauptkommissar ruhig. „Sie haben alles gesagt. Sie können gehen. Wir werden uns noch bei Ihnen melden, sobald wir den Mörder gefasst haben.“

„Ist gut“ sagte der Mann im Gorilla-Kostüm erleichtert und nahm den Affenkopf mit, der soeben von einer Polizistin in den Raum gebracht wurde.

„Alles okay, es wurden keinerlei Spuren vom Kostüm an der Leiche entdeckt“ flüsterte sie dem Hauptkommissar zu, er

nickte zufrieden und stand auf. Inzwischen hatte sich der soeben verhörte Mann an der Polizistin vorbeigeschlichen. „Ach, übrigens Peter Hachenberg hat sich krank gemeldet. Hat seit gestern Durchfallera!“

„Ist ja echt merkwürdig“ stutzte Hauptkommissar (Name). „Warum gerade jetzt?“

„Is´  doch Karneval“ meinte die Polizistin mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

12

Sonntag, Tag der Schull- un Veedelszöch

Im Severinsviertel waren seit neun Uhr die Techniker und Kameraleute dabei,

ihre Pläne durchzusprechen. Dutzende von Zuschauern kamen nach und nach die Straße entlang und blieben teilweise an ihren Stammplätzen stehen. Auch die Polizei sprach ihren Einsatzplan durch, hinzu kam die große Aufmerksamkeit auf einen Mörder achtzugeben, den man bisher noch nicht gefasst hatte. Der verhaftete Mann vom Samstag wurde freigelassen aus Mangel an Beweisen und durch die Entlastung von Kommissar Schlösser.

Im Polizeirevier herrschte eine nüchterne Stimmung, da nicht alle Kollegen anwesend waren wegen ihrer „Nachtschicht“.   Schlösser und Jörg Küttel hielten sich im Labor auf, wo

ihre nette Leichenärztin die Leiche vom Samstag in Augenschein genommen hatte. Sie standen um den Seziertisch und beobachteten, wie ihre Kollegin mit einer Zange eine rote Schaumstoffnase aus der Mundhöhle zog, sie sich genau anschaute und in eine Nierenschale legte.

„Eine vier“ seufzte Dr. Nikuta und sah kurz in Jörgs Augen. „Es ist der selbe Mörder gewesen.“

„Der musste ja gewusst haben, dass die Polizei in der Nähe ist“ folgerte Jörg Küttel, „liebt wohl das Risiko geschnappt zu werden.“

„Aber er ist uns immer einen Schritt voraus“ stellte Frank fest. „Vielleicht spielt man mit uns SCOTLAND YARD!“

„Klar, Mister X hat sogar ein Black Ticket benutzt und seine Spielfigur ist rot wie die Nase, nech?“ Jörg verstand langsam Franks Humor. Er kniff seine Lippen fest zusammen um nicht loszulachen. „Na, dann wollen wir mal hoffen, dass wir bei diesen komischen Umzügen… wie heißen sie noch?“

„Schull-und Veedelszöch“ antwortete Dr. Nikuta.  „Sag mal, feiert ihr in Hamburg keinen Karneval?“

„Nur die Schlager-Parade im Sommer“ meinte Jörg trocken.

„Haben wir denn genug Personal in Zivil im Einsatz?“ fragte Frank.

„Wir wollen es hoffen“ klatschte Jörg in die Hände.

„Also los“ eilte Frank und öffnete die Tür, „in zwei Stunden sind die Straßen gesperrt. Dann geht gar nix mehr!“

„Wohin müssen wir denn?“ wollte Jörg wissen. „Der Umzug geht ja durch die halbe Stadt.“

„Ich schätze, am Anfang des Zuges. Gibt sehr viel Aufmerksamkeit, wenn die Polizei im Fernsehen zu sehen ist.“

„Ist das Ihr Job oder meiner?“ brummte Jörg.

„Ciao“ sagte Jörg etwas leise in Dr. Nikutas Richtung. „Wir sehen uns später!“ Sie lächelte erfreut.

Elf Uhr elf.

Der Musikcorps machte den Anfang der

Umzüge. Hinter ihnen marschierten die heilige Pänz mit ihren schwarzweißen Kleidern und Anzügen. An der Straße hatten sich inzwischen zahlreiche Zuschauer platziert, zwar nicht so viele wie beim Rosenmontagszug aber genügend um sich dieses Ereignis anzuschauen. Unter den vielen Personen hatten sich auch einige Polizisten in Zivil gemischt, um dem Mörder das Handwerk zu legen. Darunter war auch Konstanze Werner, die am Severinskirchplatz stand und die Menschen genau ansah. Hinter ihr bog am Gasthaus die Straße Severinskirchplatz ab. Jeder der tausend Menschen trank Bier, versorgte Kinder

oder schaute gespannt über die kleineren auf die Straße. Als Konstanze zur Kirche schaute, bemerkte sie im rechten Augenwinkel jemanden winken. Sie drehte sich rasch um und erblickte in der einsamen Straße einen Clown. Dieser trug aus Lappen genähte Kleidung, eine weiße Perücke und große rote Schuhe. Er winkte hektisch umher. Konstanze musste sich erstmal vergewissern, ob hinter ihr vielleicht jemand anderer gemeint war, und drehte sich noch einmal um. Aber die anderen Passanten vor ihr hatten nur die Blicke nach vorn. Erneut wandte sie sich zum Clown um, der noch hektischer winkte. Also lief sie zu ihm hin, ihre linke Hand am

Funkgerät am Gürtel. Der Clown lief ebenfalls los und war zehn Meter von ihr entfernt. Konstanze schnappte sich ihr Funkgerät und ließ den Clown nicht aus den Augen.

„Hallo, Leute. Habe hier einen Verdächtigen gesichtet. Eilt zur Ferkulum hin. Ich bin ihm auf den Fersen!“

„Wir kommen gleich“ meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung.  „Bleib auf Abstand. Ende!“

„Ist gut, Roger!“ In dieser kurzen Zeit war Konstanze bereits zur Straße Im Ferkulum angelangt, hatte aber den Clown aus dem Blick verloren. Er musste sich irgendwo versteckt haben.

Denn weder links noch rechts war niemand zu sehen. Langsam zog sie ihre Dienstwaffe aus der gelben Plumphose, die sie für die Verkleidung als Plumpaquatsch angezogen hatte. Mit langsamen Schritten ging sie die Straße rechts entlang und entsicherte die Waffe. Sie konnte nicht genau definieren, was das für schlurfende Geräusche waren, die sie umgaben. Doch als sie langsam dahinter ka wehte ein Schatten über ihren Kopf und drückte sich etwas um ihre Kehle mit gewaltiger Kraft. Sie hatte das Funkgerät noch eingeschaltet gelassen und drückte mit letzter Kraft den Sprechknopf. Die Dienstwaffe ließ sie beim großen Ruck vom Angreifer los,

bevor er noch fester drückte.

„Konstanze?“ fragte Fred Meier, der zweite Polizist in Zivil und stand rechts vor dem Sendestudio des

Fernsehens. Er hatte in der Leitung nur noch ein gurgelndes Geräusch statt einer Stimme gehört.

„Oh, verdammt“ fluchte er und lief durch den Kirchplatz. Ihm hatte Konstanze vorhin noch ihren Standpunkt durchgegeben, dorthin musste er sofort eilen. Sein Scheichkostüm behinderte ihn nicht beim Laufen, aber die verwundert blickenden Zuschauer, die vor ihm standen. Es dauerte fast eine Ewigkeit, bis Fred die Straße Im Ferkulum erreicht

hatte. Es war keine Person auf dem Bürgersteig zu sehen bis auf eine liegende. Er lief schneller zu ihr hin und schaute sich noch um. Alles war still um ihn bis auf die Musik aus der Severinstraße.

Fred kam vor den Beinen der Person auf dem Bürgersteig zum Stehen und atmete langsam ein und aus. Sein Blick starrte in die toten Augen seiner Kollegin. Konstanze Werner lag mit offenen Augen und Mund auf der Straße, ihre Dienstwaffe und das Funkgerät lagen neben ihr. Sie war tot.

„Ich kam zu spät“ verteidigte sich Fred, als ihm Kommissar Schlösser einen

fragenden Blick zuwarf. „Am Funkgerät hörte ich ihren Todeskampf, es war schrecklich!“

„Scheiße verdammt“ fluchte Kommissar Schlösser, als er gerade die eingepackte Leiche der Polizistin auf einer Bahre in den Leichenwagen abtransportieren sah. Kommissar Küttel wiederum betrachtete die rote Schaumstoffnase im Beutel, den die Leichenbeschauerin in der Hand hielt, mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen. Man konnte deutlich eine drei auf der roten Schaumstoffnase erkennen.

„Also ich finde, dass unser gesuchter Täter sich immer dort aufhält, wo Polizisten sind“ kombinierte Frank

Schlösser. „Er müsste immer genau wissen, wo er zuschlagen kann. Und immer spurlos verschwinden. Ein Vollprofi also.“

„Oder er kommt aus den eigenen Reihen“ murmelte Jörg Küttel so, dass es sonst niemand mitbekommen würde.

„Genau“ stimmte ihm Frank mit einem Kopfnicken zu. „Jemand, der genau weiß, was wir vorhaben. Aber wer sollte es sein? Wer könnte in Frage kommen?“

„Am besten, wir stellen ihm eine Falle“ meinte Jörg, als er in das Dienstfahrzeug einstieg. „Ich lasse mir schon was einfallen!“

Vom gesamten Vorfall bekamen die tausend Zuschauer nichts mit, zumal die

Polizei nicht mit Blaulicht und Martinshorn kamen und weit davon entfernt waren. Ihnen interessierte allein nur der schöne Umzug. Momentan zogen die Stadtviertelzüge durch die Severinstraße, während der Tatort geräumt wurde. Es wurden viele Süßigkeiten, Sträuße und viel Kleinkram geworfen.  Dazwischen liefen Musikgruppen und sorgten für Stimmung.

Die beiden Kommissare brauchten mehr als eine Stunde zum Revier, da sie vom umgeleiteten Verkehr wegen der Umzüge betroffen waren.

13

Frau Dr. Nikuta war am Laborbericht schreiben, was die Analyse der Tinte auf der Schaumstoffnase beinhielt. Da klingelte es an ihrer Tür, als sie die letzten Worte eingeben wollte. Mit langsamen Schritten kam sie durch den kleinen Flur entlang und stand vor der Wohnungstür. Sie schaute durch die große Türscheibe auf die Straße und erblickte dabei Kommissar Küttel, wie er ihr kurz zuwinkte.

„Hallo, komm rein“ begrüßte sie den stattlich großen Kollegen mit einem freundlichen Lächeln, der etwas in beiden Händen hielt.

„Das ist Hamburg“ warf ihr Jörg Küttel

ein ebenso freundliches Lächeln damit zurück und hielt eine Flasche „Hamburger Michel“-Aquavit entgegen, als er den Flur betrat. Frau Nikuta ließ ihm den Vortritt und folgte seinen Schritten.

„Rechts ist gleich das Bad“ wies sie mit der Hand zur rechten Tür, „ geradeaus ist mein Wohnzimmer.“ Jörg folgte ihr und sah sich nur flüchtig um. Ihm fiel ein gemaltes Bild einer Katze an der linken terracotta gestrichenen Wand ins Auge. „Hm“ brummte er kurz, „selbst gemalt?“

„Ja, ich male sehr gerne“ hauchte Frau Nikuta lächelnd und blieb davor stehen. „Gefällt´s dir?“

„Sieht toll aus“ staunte Jörg, „erst recht diese Farben. Ich habe auch mal gemalt!“

Im Flur war eine kleine Garderobe, auf dessen kleinem Schrank Jörg die Flasche abstellte und sich anschließend seinen Mantel auszog. Frau Nikuta ging an ihm vorbei durch die Wohnzimmertür.

Das Wohnzimmer war schön groß. Stilvolle weiße Möbel von der Sofaecke bis zu den Schränken standen gut geordnet darin. Ein Bücherregal mit dicken Romanen hing über dem Sofa rechts gegenüber dem Fernsehtisch mit einem Flachbildfernseher. Eine weiße Kommode stand links an der Wand neben der Wohnzimmertür; rechts von ihr stand

ein hoher weißer Schrank mit Türen. Inmitten des Raums stand ein Glastisch mit weißen Tischbeinen. Von der Tür aus konnte man auf die große Scheibe und hinaus auf den Balkon blicken. Die Wohnung befand sich im dritten Stock und man hatte einen tollen Blick auf den Kölner Dom.

„Mach es dir gemütlich“ sagte Frau Nikuta, als sie vor der Glasvitrine rechts neben der Sofaecke ein paar kleine Stamper rausholte, „ich hole die Gläser!“

„Nu lass uns mal deinen Hamburg probieren, ming Jung“ schmunzelte Stefanie und zeigte auf die Flasche, die hinter den kleinen Stampern stand. Jörg

nahm diese und öffnete sie, füllte die kleinen Gläser fast randlos voll und setzte die Flasche wieder ab. Er reichte der Ärztin das eine Glas und nahm das zweite.

„Und jetzt runter damit“ meinte Jörg und setzte sein Glas an. Er trank erst, als sie auch das Glas leerte.

„Puh“ stöhnte Stefanie auf und fasste sich am Hals, „ist das stark! Kabenes ist nix dagegen!“

„Kabenes?“ wollte Jörg wissen.

„Kräuterschnaps“ hustete sie und stellte das leere Glas ab.

„Noch einen?“ fragte Jörg und erhob die Flasche Aquavit. Stefanie nickte und schob ihr Glas zu ihm rüber.

Nach einer Stunde, als sie es sich mit Musik Kölnischer Mundartgruppen und dem Aquavit gemütlich gemacht hatten, wurde die Flasche fast leer. Stefanie lag betrunken und dösend auf ihrem weißen Ledersofa, während Jörg auf ihren Laptop schaute.

Gegen halb elf verließ Jörg das Haus und torkelte zu einem Taxi-Stand.

14

Rosenmontag, 7 Uhr 30.

Im Polizeirevier wurden im Besprechungsraum zahlreiche Polizisten zusammengerufen, um den Einsatzplan für den Rosenmontagszug und die Mörderjagd zu besprechen. Auch die

Kommissare Küttel und Schlösser waren anwesend. Der Hauptkommissar und der technische Berater der Polizei standen vor einer digitalen Leinwand, auf der die einzelnen Posten des Zugweges angezeigt wurden.

Mit einem kurzen Räuspern begann der Hauptkommissar seine Ansprache. „Wir haben heute noch das große Problem, dass der Serienkiller sich unter das Zuschauervolk gemischt hat. Das bedeutet höhere Aufmerksamkeit und Beobachtungsgabe. Das größte Augenmerk ist auf den Anfang des Zuges. Dort wird der Mörder sicher zuschlagen, weil er die Aufmerksamkeit der Medien liebt. Noch Fragen?“

Ein Mann mit hellblondem Bürstenschnitt und breiter Statue, der in der dritten Reihe saß, erhob die Hand. Das registrierte Hauptkommissar Stelter und zeigte auf ihn.

„Warum schlägt er nicht beim Kölner Dom zu? Da ist der Platz doch überlaufen. Es fällt dort überhaupt nicht auf, wenn dort ein Mord passiert.“

„Dazu ein paar Worte von Kommissar Küttel“ lenkte Hauptkommissar Stelter ein und warf einen kurzen Blick zu seinem auswärtigen Kollegen; dieser nahm den Blick wahr und trat ein Stückchen vor.

„Das kann ich Ihnen genau erklären. Unsere gesuchte Person will seine letzten

Opfer immer mehr in der Öffentlichkeit präsentieren. Als sogenannter Höhepunkt, wenn man es so nennen darf. Es ist heute Rosenmontag da wird der Täter oder die Täterin für seinen Mord die höchste Aufmerksamkeit bekommen wollen. Und wo sollte es wohl anders passieren als so habe ich es erfahren beim Fernsehen. Sobald die Kameras auf das Publikum gerichtet werden, kann es geschehen. Unsere gesuchte Person ist also schlau und hoch gefährlich. Man wird ihn wahrscheinlich nicht so leicht erwischen, weil heute fast alle Menschen verkleidet sind. Vielen Dank.“

„Aber“ sprach Hauptkommissar Stelter gleich hinter ran, „wir haben die neueste

Technik heute im Einsatz, das unser Ziel schneller erfassen und es nicht so leicht entkommen lassen kann. Unser technischer Berater wird Sie mit kleinen Mini-Kameras ausstatten, die an ein Überwachungssystem angeschlossen sind. Unter dem Publikum werden einige Personen in Zivil stehen und mit Head-Sets ausgestattet uns laufend informieren.“

„Diese Technik ist relativ neu und kommt gerade aus dem Labor“ klärte der technische Berater auf, der vor dem Schreibtisch stand und einen großen Metallkoffer öffnete. Kurz darauf holte er ein kleines Kästchen heraus und öffnete es. Mit leichtem

Fingerspitzengefühl zog er einen Knopf nach oben und zeigte darauf. „Dies ist der Empfänger, der mit einem feinen Glasfaserkabel verbunden ist mit einem neben dem Mund angeklebten Mikrofon zum Sprechen. Mit einem kleinen Umschalter an der Hand befestigt kann er sowohl sprechen als auch hören, ohne dass es jemand mitbekommen kann. Das ist unauffälliger als ein übliches Head-Set. Die Reichweite ist enorm stolze 15 Kilometer weit bis zur Zentrale. Noch irgendwelche Fragen?“

Es meldete sich ein braunhaariger junger Polizist in der zweiten Reihe. Der technische Leiter zeigte auf ihn und meinte: „Ja, bitte?“

„Sind diese Geräte auch störempfindlich?“ wollte der junge Polizist wissen.

„Nur bei stark magnetischen Wellen“ wurde geantwortet, ein Magnet könnte es stören. Aber wer schleppt denn schon so was in seiner Tasche herum?“

Kommissar Küttel verzog seine Lippen zu einem schiefen Lächeln, als er das vernahm.

„Also, Ende der Ansprache auf zur Einteilung“ beendete der Hauptkommissar das technische Gespräch.

8 Uhr 30

Im Severinsviertel tat sich gewaltig was.

Die Technik der vielen Kameras wurde noch mal kurz überprüft, Absperrgitter wurden vor dem ALDI-Markt aufgestellt und noch einmal eine Ladung Sand auf die mit Kopfstein gepflasterte Straße geschüttet. Hunderte von Besuchern hatten sich an die beiden Straßenseiten aufgestellt, andere wiederum holten sich bei den umliegenden Bäckereien Getränke und Speisen. Ein gutes Dutzend WDR-MitarbeiterInnen verteilten an die Zuschauer bedruckte Stoffbeutel mit dem neuen Motto drauf. Aus den Lautsprechern ertönten bekannte Kölsche Lieder, die zum Schunkeln anregten. Und der Moderator Wicki Junggeburth beriet sich mit den Leuten vom

Fernsehen vor der bunt geschmückten WDR-Kabine über den Sendeablauf.

Die eingeteilten Polizisten teils in ziviler Karnevalsverkleidung, teils in Uniform stellten sich auf ihre Posten. Auch die Kommissare Küttel und Schlösser hatten sich unter das Publikum gemischt und betrachteten es mit Argusaugen. Kommissar Schlösser fiel ein Mann in der ersten Reihe auf mit einem gelben Kostüm und Vogelkopf auf dessen Kapuze und musste grinsen. Herr Küttel fühlte sich anscheinend nicht sehr wohl unter den vielen Maskierten und Verkleideten, weil er so etwas von seinem Zuhause nicht kennt. Er verbiss sich seine Anmerkungen darüber, die er

seinem Kollegen am liebsten sagen wollte, weil ihm der Job als Beobachter wichtiger vorkam.

„Ischa Freimaak“ sagte Jörg Küttel zu Frank Schlösser, „so zumindest sagt man es in Bremen beim Freimarktumzug.“

„Ach ja?“ wunderte sich Frank, der ein eingefleischter Kölner war und über die nordischen Kulturen nicht so recht Bescheid wusste.

Beide Kommissare hatten sich als Kapitän und französischer Polizist verkleidet; sie wirkten aber den anderen Passanten eher steif als feierlich. Schließlich waren sie ja im Dienst und nicht privat dort.

Die Zeit verging, bis es neun Uhr wurde.

Der Moderator stimmte mit den Zuschauern das Lied „In der Kaygass“ an, was von zahlreichen Kameraleuten und herumschwenkenden Kamera-Armen erfasst und auf den heimischen Fernsehbildschirmen auf WDR gesendet wurde.

„Nee, dat wisse man nit me, janz bestimmt nit me“ sangen alle umliegenden Zuschauer mit dem Moderator. Frank Schlösser sang etwas mit und wechselte seine Blicke von links nach rechts. Alles war wie in jedem Jahr ganz friedlich zumindest bis der Rosenmontagsumzug startete. Viele Kinder wurden in die erste Reihe gelassen und standen vor den

Absperrgittern, die bis zum Ende des mit silbernen Metallplatten verkleideten ALDI-Marktes aufgestellt wurden. Dahinter standen alle gemischt in Vierer-Reihen. Im Laufe des Tages werden es weit mehr Reihen geben.

Gegenüber beim Kirchplatz hatten sich große Menschentrauben gebildet, die hintersten Reihen hatten schon mal ihr Bier rausgeholt, während die anderen am Bierstand ihr Kölsch bestellten. Ein Bratwurststand wurde ebenfalls von Leuten umlagert.

Nun lief rund um die Severinstorburg das Showprogramm exklusiv für das Fernsehen mit Musikern, Interviews mit den Mitgliedern der Karnevalsvereine

und ein paar Zuschauern. Wolfgang Nagel interviewte einen Traktorfahrer, wie er es fand den Wagen für die Eröffnung des Umzuges zu fahren.

„Nun, ich komme vom Lande und fahre immer große Traktoren. Heut ist mein erstes Mal und eine Freude für mich mit dabei zu sein.“

„ Ist das nicht schwierig, so große Maschinen zu bedienen?“ fragte Wolfgang Nagel, als er von der ersten Stufe aus in die Fahrerkabine schaute, neben ihm stand der Kameramann auf einer hohen Leiter und filmte mal ihn und dann die Kabine.

„Nein, wenn man das als Kind schon gelernt hat so wie ich, mit Hebeln und

Pedalen umzugehen dann ist das leichter als Autofahren. Sogar den ersten Gang, womit wir den ganzen Umzugsweg entlang fahren, kann man sehr leicht einstellen.“

„Okay, dann wollen wir mal wissen, ob unsere Marita Köllner schon einen neuen Gesprächspartner gefunden hat“ sagte Wolfgang Nagel in die Kamera. „Ja? Okay!“

Der Kameramann stieg hinab der von einem Gehilfen gehaltenen Leiter und wartete auf den nächsten Einsatz.

So verging die Zeit, bis der Rosenmontagsumzug sich um 10 Uhr 30 in Bewegung setzte, sobald die Fanfaren oben in der Severinstorburg zu Ende

gespielt hatten. Das bedeutete auch für die Einsatzkräfte der Polizei für die Jagd des Mörders und die Aufsicht der Zuschauer das Startsignal ihre Arbeit aufzunehmen.

Die Passanten wurden auf die Bürgersteige verwiesen, bevor die großen Traktoren sie passierten. Als erstes marschierten die „Funkentöter“ mit einer alten Feuerwehrkutsche voran und trugen ihre alte Feuerwehruniformen. Sie verteilten einige Sträuße und ein paar Kamelle. Das Volk umjubelte sie und rief die Schlachtrufe: „Kamelle! Strüssjer!“

Dann fuhr der Traktor los mit dem Schild am Schaufelarm, auf dem stand:

„D´r Zoch kütt!“ und kam durch das Severinstor. Erst dann jubelten alle Zuschauer lauter los.

Für Jörg Küttel und Frank Schlösser war es kein leichter Job gewesen, die Zuschauer in der vierten Reihe entlang der Häuserfront im Auge zu behalten. Sie standen zwar nicht ganz allein da, aber ein paar Augenpaare sahen nun mal mehr. Sobald Wurfmaterial in die Menschenmenge geworfen wurde, waren sie angespannt, weil Bewegung nach vorn aufkam. Das wäre eine perfekte Gelegenheit gewesen, dass der Mörder hinterrücks seine Tat begann. Aber es passierte nichts Auffälliges.

Die Stunden vergingen. Inzwischen hatten sich sogar feiernde Personen unter das staunende Volk gemischt und tranken Bier, grölten lauthals herum und störten so manchen Menschen. Eine junge Frau stand an einer Treppe und streckte ihren Hals über, um über die vier Reihen etwas vom Umzug zu erkennen. Von den (Mottowagen) sah sie nur die obere Hälfte, obwohl sie sehr groß waren.

Ein Clown mit vielen kleinen Lappen an seinem Kostüm und roter Perücke, geschminktem Gesicht und großen Clownschuhen trat von links auf sie zu mit zwei Bierdosen in den Händen. Er stieß die junge Frau mit der rechten Hand kurz an und wartete auf ihre

Reaktion. Sie lächelte ihn an, nahm ihm das Bier aus der Hand und sagte: „Danke!“

Beide stießen mit den Dosen an und führten ihre Dosen zum Mund. Die junge Frau nahm den ersten kräftigen Schluck Kölsch und genoss ihn.

Jörg Küttel betrachtete den bunten Umzug mit Skepsis, als die Appelsine-Funken vorbei zogen. Die Kinder vor ihm sammelten eifrig die zu ihnen geworfenen Süßigkeiten wie Kaustangen, Mini-Toblerone und Waffeln, während die Erwachsenen ihre Hände nach den Pralinenschachteln ausstreckten. Ständig wurden die drei Worte „Kamelle“,

„Strüssjer“ und „Alaaf“ gerufen, ihre Lautstärke tat sich gleich mit der von der Musik-Kapelle.

Frank unterdessen beobachtete die linke Seite der Reihe bis zur Tribüne an der Ecke. Es fiel ihm nichts ungewöhnliches auf. Seine Kollegen und Kolleginnen hielten die kaum zu bändigenden Zuschauer im Zaum, damit keiner ungewollt unter die Räder der Traktoren geraten konnte.

Das Mädchen spürte den eisigen Blick, der vom Clown ausging, als sie noch einen Schluck nahm. Sie hatte nämlich einen trockenen Hals bekommen und wollte ihn befeuchten. Jedoch wurde

dieses Gefühl verstärkt und gemischt mit dem Anschwellen der Luftröhre. Sie wollte schlucken und rang nach Luft, aber das Atmen fiel ihr immer schwerer. Schreien um Hilfe konnte sie auch nicht mehr, denn dafür bräuchte sie genügend Luft. Immer schneller schwoll ihr der Hals zu und ließ keine Luft mehr in die Luftröhre, die jetzt nur noch halb so dünn war wie eine Stecknadel. Die Bierdose fiel ihr aus der Hand und prallte auf die Steinplatten auf.

Der Clown vor ihr beobachtete diesen Todeskampf nur für einen kurzen Moment, bis der kleine Körper der Frau langsam an der Wand nach unten sackte und die Hände am Hals griffen. Der

Todeskampf war vorbei das Mädchen lebte nicht mehr.  Der Clown ging kurz in die Hocke und  stellte mit der linken Hand die Bierdose neben die Frau. Aus seiner rechten Hosentasche zog er eine Schaumstoffnase und stopfte sie in den offenen Rachen der jungen Frau. Dabei fiel ihm ein Kugelschreiber aus der Tasche, den er mit dem Fuß zu den Beinen des Opfers schob. Nun verschwand er mit eiligen, aber unauffälligen Schritten den Tatort in Richtung Severinstorburg.

Eine ältere Frau griff nach hinten zu einer geworfenen Pralinenschachtel und prallte dabei mit ihrem rechten Fuß

gegen ein Hindernis, sie schaute nach unten und erblickte eine junge Frau auf dem Boden sitzen.

„Nun passen Sie mal auf“ zischte sie und griff zur Schachtel auf dem Schoß der jungen Frau. „Trinken können Sie in der Kneipe!“ Sie bemerkte bei der Frau den starren Blick der weit aufgerissenen Augen und zuckte zusammen. „Oh mein Gott“ stammelte sie und schaute sich um.

„Hilfe“ rief die alte Dame und musste lauter werden als die rufenden Passanten hinter ihr. „Polizei! Hilfe!“

Frank vernahm so etwas wie einen verzweifelten Schrei aus der Menschenmenge auf der rechten Seite

und drehte sich danach um. Er trat rückwärts an die Wand und konnte eine ältere Dame sehen, wie sie vor einem Körper stand und nervös herumschrie. Er stupste seinen Kollegen an, der so langsam Gefallen am Umzug fand und nicht gleich darauf reagierte. Beim zweiten Mal zuckte er zusammen und drehte sich in Franks Richtung.

„Was ist?“ fragte Jörg und sah seinen Kollegen an, der stumm zur rechten Seite zeigte. „Sag den Kollegen Bescheid!“

Frank eilte an der Menschentraube vorbei und drückte einige Passanten beiseite um schneller voran zu kommen. Er nahm sein Funkgerät in die Hand und

sprach dort hinein.

„Kommt sofort zum Cafe. Da liegt eine Person. Eine Frau hat sie gefunden. Schnell. Beeilt euch!“

Für die junge Frau kam jede Hilfe zu spät, als ein paar Rettungskräfte am Tatort eintrafen. Ihr wurde der Puls gemessen, nachdem die Schaumstoffnase aus dem Mund gezogen wurde. Die beiden Kommissare standen vor der Leiche, während der eine Helfer zu ihm nur den Kopf schüttelte. Frank kniete sich hin und hob die Bierdose auf, schnupperte daran und zuckte mit den Schultern.

„Trotzdem ins Labor mitnehmen“ befahl

er der Spurensicherung, die kurz darauf eintraf. Er sah noch etwas neben dem Opfer liegen einen Kugelschreiber. Mit einer behandschuhten Hand hob er ihn auf und betrachtete diesen. Auf der Klemme war ein Name eingraviert.

„Das ist doch der verschwundene Kuli von Peter Hachenberg“ wunderte sich Frank. Allmählich dämmerte es ihm und er dachte nach.

„Wieso?“ fragte Jörg verwundert. „Was gibt´s?“ Er trat auf seinen Kollegen zu und betrachtete ebenfalls den langen schwarzen Gegenstand in Franks Hand.

„Peter ist...“ zögerte Frank überlegt, „...er ist doch krank, oder nicht?“

„Fahren wir mal zu ihm hin und..!“ Jörg

zückte sein Funkgerät aus der Brusttasche und aktivierte die Sprechtaste.

„Verhaftung von Peter Engel sofort einleiten. Schicken Sie eine Einheit zu seinem Haus“ gab Jörg durch. Er verzog kurz danach sein Mund zu einem schiefen Lächeln.

„Ich fahre mit“ meinte Frank und folgte ein paar Kollegen der Polizei.

Von diesem Zwischenfall hatten die meisten Zuschauer des Rosenmontagumzuges nichts bemerkt. Die Polizei und hatten die Situation unter Kontrolle und ließen die Sanitäter mit der Leiche hinter den Leuten abtransportieren. Das Festkomitee wurde

auch nicht informiert, um keine Unruhe zu stiften. Also lief der Umzug ungestört weiter.

Ein Mannschaftsbus der Polizei kreuzte in der *-Straße (in der Nähe des Severinstores) auf und vier Polizisten stiegen aus. Frank hatte seinen Wagen hinter ihnen geparkt und stieg mit seiner Pistole in der Hand aus. Das SG-9-Team klingelte bei Engel; nach zweimaligem Versuch meldete sich noch immer niemand. Sie stürmten nachdem die Tür geöffnet wurde das Haus und liefen den Flur entlang bis zur Wohnungstür am anderen Ende. Ein weiteres Mal öffneten sie die Wohnungstür professionell und

liefen hinein. Frank hielt sich im Hintergrund und stand im Vorderteil des Hausflures. Jeder Raum der Wohnung wurde durchsucht, aber es war alles normal. Bis auf etwas Buntes auf dem Sofa im Wohnzimmer fiel den Polizisten nichts auf.

„Sicher“ riefen sie, als sie Raum für Raum die Wohnung durchkämmten.

Der Einsatzleiter kam aus der Wohnung in den Flur geschritten und rief: „Alles sicher!“ Das veranlasste Frank seine Waffe wieder in den Schulterholster zu stecken und langsam in die Wohnung einzutreten.

Er sah sich im Wohnzimmer um, das sich gleich hinter dem kleinen Flur befand,

und betrachtete ein Clownskostüm, bestehend aus vielen Lappen, auf dem Sofa. Die Perücke lag daneben und auch große Clownschuhe. Als Frank nach dem Kostüm greifen wollte, da drang ein dumpfes Wimmern in sein Ohr. Und es rumpelte in der Wohnung. Er betrat lauschend den anschließenden Schlafraum, der sich links vom Sofa befand. Das Wimmern kam immer näher, als er an einem Kleiderschrank vorbei ging. Dann zitterte dieser Schrank kurz.

„Kommt mal her“ rief Frank und einer der Kollegen nahm ein Spezialwerkzeug aus seiner Gürteltasche; er stemmte es in den Spalt zwischen den Türen und brach sie damit auf, bis Holz splitterte.

Im Kleiderschrank saß ein zusammen gekauerter kleiner Mann mit Knebel im Mund und in Unterwäsche.

„Scheiße“ fluchte Frank, als er die Person betrachtete. Ohne zu zögern befreite er den Gefangenen vom Knebel und öffnete die Bänder mit einem Seitenschneider.

Der nun nicht mehr Gefesselte schnappte nach Luft und atmete hastig. Es handelte sich um Peter Engel.

„Was ist passiert?“ wollte Frank wissen, nachdem sich Peter aus dem Schrank befreite und umgezogen hatte. Sie saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa und tranken Gläser Wasser. „Und wessen Kostüm ist das?“

„Entführer“ stieß Peter aus. „Sie kamen nachts zu mir, als ich meinen Rausch ausschlief, und baten mich um ein Glas Wasser.“

„Es waren zwei?“ stutzte Frank.

„Ja, der eine war groß, ungefähr einen Meter Achtzig. Der trug ein Clownkostüm. Das hier!“ Peter zeigte auf den Beutel, in den das Kostüm sichergestellt wurde.

„Der andere war genau so groß. Mir kam seine Stimme irgendwie bekannt vor. Aber bevor ich noch was machen konnte, da packten sie mich und schlugen mich bewusstlos. Als ich aufgewacht war, saß ich im Schrank und war gefesselt und geknebelt. Drei Tage lang. Ab und zu

mal bekam ich was zu trinken, wurde aber mit einer Waffe bedroht. Auch diese kam mir bekannt vor. Und heute war ich so geschwächt, dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Wieder besuchte mich einer der beiden und verschwand kurze Zeit später. Sie haben meine Wohnungsschlüssel!“

„Aber wie konntest du dich denn krank melden, wenn du hier im Schrank saßt?“ Frank überlegte mit.

„Das waren auch die. Der andere kann Stimmen imitieren, sogar meine wenn ich mal krank bin. So zumindest hatte der eine am Telefon gesprochen.“

Später bekam Peter Engel ärztliche Betreuung, nachdem Frank mit seinen

Kollegen das Wohnhaus verlassen hatten.

Die untersuchte Leiche wurde vergiftet mit einem Gift, das die Atmung sehr schnell lähmt und zum Erstickten bringen konnte. Auch wurde im Bier dieses Gift gefunden. In ihrer Mundhöhle steckte ebenfalls eine rote Schaumstoffnase mit der Zahl drauf: eine zwei.

„Also ist der Mörder mit uns noch nicht fertig“ folgerte Frank, als er die Nase auf dem Tablett betrachtete. „Und unsere Ermittlungen stehen noch auf Anfang!“

„Unser Mörder ist schlau“ meinte Jörg. „Er macht es mit einem Komplizen und geht taktisch so vor, um uns in die Irre zu leiten.“

„Und unser Tatverdächtige Peter Engel?“ fragte Frank. „Wie kommt der Mörder denn an seinen Kugelschreiber?“

„Vielleicht ist er noch immer tatverdächtig, und es gibt nur einen Komplizen, der für ihn die Drecksarbeit macht.“

„Aber nur wer?“ überlegte sich Frank.

 

15

Veilchendienstag

In Ehrenfeld fand am Nachmittag noch ein Stadtviertelzug statt, bei dem einige tausende Personen vom Anfang bis Ende an den Straßen standen und die vielen Mitglieder des Zuges bejubelten.

Die Polizei glaubte eher, dass Peter

einer der Tatverdächtigten ist, und wollten weiterhin im Severinsviertel bei deren Umzug im Einsatz bleiben. Jedoch verlief diese Veranstaltung ganz ohne besondere Vorkommnisse. Am Ende der Züge wurden die Polizeikollegen wegbeordert und konnten nichts weiteres mehr tun als zu warten.

„Der Laborbericht besagt, dass die Nasen mit dem gleichen Kugelschreiber beschriftet wurden“ sagte Frank ernüchtert und hielt den Bericht in seinen Händen, „also mit Peter Hachenbergs.“

„Also steht er noch weiterhin unter Verdacht, mehr zu wissen“ folgerte Jörg. „Wir müssen ihn noch ein weiteres Mal

verhören! Diesmal mit härteren Bandagen! Bevor noch ein Mord heute geschieht.“

„Das erledigt unser Hauptkommissar“ grinste Frank, „aber erstmal feiern wir die Nubbelverbrennung!“

„Dass ihr immer nur ans Feiern denkt“ grummelte Jörg und zog sich seinen Sherlock-Holmes-Mantel zu, „wenn noch immer ein Mörder frei herumläuft.“

„Wir haben uns doch eine Pause verdient. Dafür haben wir noch gute Kollegen, die erledigen den Rest, während wir zu meiner Schwester gehen! Und am Aschermittwoch ist alles vorbei.“

Jörg wusste nicht, ob er dazu lächeln

oder grummelig schauen sollte, und setzte sich seine Mütze auf.

In der Kneipe Hemmer war etwas weniger los als in den letzten Tagen; meistens waren das Stammkunden und nur sehr wenige Touristen, die in den Aschermittwoch hinein feiern wollten. Ab halb zwölf machten sich viele Feiernden zusammen mit dem Personal auf den Weg nach draußen, als die Musik erstarb und alles sehr still war. Bis auf sehr wenige Personen blieb das Lokal leer. In der letzten Ecke standen Frank und Jörg und tranken ihr Bier.

„Tja, die Suche geht jetzt also weiter“ meinte Frank und nahm noch einen

Schluck, weil er anscheinend einen Krümel im Hals hatte. „Wenn das Peter nicht war, wer könnte es dann...?“

Jörg griff dabei in seine Manteltasche und beobachtete seinen Kollegen, der plötzlich anfing zu husten. Der Husten wurde immer kräftiger, linderte aber nicht Franks anschwellenden Hals. Erst als Frank anfing seinen Hals zu umfassen, lächelte Jörg schief und fies.

„Peter ist völlig unschuldig“ grinste Jörg seinen nach Luft schnappenden Kollegen an und hielt ihm einen runden Gegenstand vor das Gesicht, „weil Ich der Mörder bin!“

Frank konnte noch gerade erkennen, dass es sich bei dem Gegenstand in Jörgs

Hand um eine Schaumstoffnase handelte, die mit einer großen Eins beschriftet wurde; er sah seinen neuen Kollegen an, der ihn mit einem sadistischen Lächeln betrachtete wie er am Ersticken war. Die Nase verschwand wieder in der Manteltasche, dafür holte Jörg ein kleines Fläschchen heraus.

„Natürlich nicht allein“ sagte Jörg ruhig und beobachtete dabei Franks Todeskampf. „Mein Kollege wartet ganz in der Nähe. Alles habe ich geplant vom ersten Tag bis heute. Du wirst sehen, es ist ein genialer Plan, nicht wahr?“

Frank konnte ihm nicht mehr folgen, er schnappte nach Luft und erstickte immer mehr. Sein Gesicht schwoll blau an und

auch sein Hals wurde dicker. Jörg klopfte das kleine Fläschchen auf seine Handfläche und steckte es weg. Er stand noch vor Frank, wie er das Glas fallen ließ und an der Wand runter rutschte, bis seine Beine auf dem Boden lagen.

„Dein Abschied begrüßen wir mit einem dreifachen Kölle Alaaf, Kölle Alaaf, Kölle Alaaf! Ich bin nämlich ein ebenso toller Karnevalsjeck. Ciau!“

Nach diesen Worten bewegte sich Jörg unbemerkt aus dem Lokal, warf noch einen lächelnden Blick auf die Menschentraube, die vor dem Parkplatz des Supermarktes eine Nubbelverbrennung zelebrierten, und verschwand von der Bildfläche.

Franks Schwester Sabine hatte den Toten als erstes bemerkt, als sie noch kurz in das Lokal ging um ihr Feuerzeug zu holen. Sie machte große Augen, als ihr Bruder leblos auf dem Boden saß. Aus dem Mund ragte etwas Rotes, die Augen waren weit aufgerissen und das Gesicht wirkte blau. Sabine schrie laut auf. Sie zerzauste ihr Haar und meinte nur noch: „Oh mein Gott, oh mein Gott!“

Es dauerte eine Viertelstunde, bis die nächsten Kollegen von Sabine und ein paar Gäste ins Hemmer gingen und die Leiche bemerkten. Sabine rief inzwischen die Polizei und wartete ganz geschockt auf einem Barhocker sitzend vor der Theke. Sie wurde getröstet von

ihrer Kollegin Claudia.

„Hey, sie erwischen ihn schon“ sprach Claudia ihr beruhigend ins Ohr und umarmte sie. „Mach dir keine Sorgen. Dieses Schwein haben sie bald.“ Sabine wirkte schockiert und abwesend.

Die Spurensicherung fand in Franks Mund eine Schaumstoffnase mit der Zahl 1 drauf. Die Leiche zeigte keinerlei Spuren von Gewalteinwirkungen einer fremden Person wie bei der Leiche am Rosenmontag. Weitere Untersuchungen erfolgten Stunden später im Autopsie-Saal von Dr. Nikuta. Aber die KommissarinKöllner hegte einen kurzen Verdacht, den sie zunächst nicht

aussprach.

16

Aschermittwoch morgens um ein Uhr:

Das Telefon klingelt auf dem Schreibtisch von Kommissarin Köllner, als sie am offenen Fenster stand und eine rauchte, unentwegt. Sie warf die Zigarette aus dem Fenster und ging ans Telefon.

„Kripo Köln, Kommissarin Köllner am Apparat?“

„Kommissar Küttel hier“ meldete sich eine Stimme, „ich... wurde vor einer Woche entführt und in einen Keller gesperrt! Erst gestern Abend konnte ich mich befreien. Ich komme gleich zu

Ihnen.“

„Wenn Sie der sein sollten, den Sie vorgeben zu sein...“ überlegte die Kommissarin erschrocken, „wer ist dann derjenige, der sich als Küttel ausgibt?“

„Ein Betrüger, ein eiskalter Killer! Er hat mir alles verraten zumindest hatte ich alles mitbekommen, wie er mit jemanden gesprochen hat, als ich im Keller an der Tür gelauscht hatte.“

„Kommen Sie erst mal vorbei. Wir werden uns den falschen Fuffziger schnappen. Wohnt ja im einzigen Hostel in Ehrenfeld.“

17

Inzwischen hatte Jörg Küttel das Hostel

erreicht. Er kam durch den Seiteneingang hinein und ging die Treppe hinauf bis zum dritten Stockwerk. Alles war still gewesen, es befanden sich zwei Zweierzimmer in diesem kleinen Flur und beide waren besetzt. Hinten war sein Zimmer. Es brannte Licht darin, als Jörg die Zimmertür öffnete.

Im Bett links neben ihm lag eine Person und las ein Buch, als er auf ihn langsam zuging.

„Und?“ fragte er, als Jörg etwas hinter seinem Rücken versteckte und vor seinem Bett stand. „Hast du ihn?“

„Ja, klar“ meinte Jörg und lächelte schief.

„Wir müssen hier aber schleunigst verschwinden. Die Kellertür stand offen der echte Küttel ist wieder aufgetaucht.“

„Ich ja, aber..“ zögerte Jörg und hielt das große Kissen vor das Gesicht seines Partners, „...du nicht!“ Damit presste er seinem Opfer das Kissen auf das Gesicht. Sein Mitarbeiter zappelte und versuchte sich zu befreien, kam jedoch nicht gegen die Kraft seines Mörders an und erstickte dabei. Jörg presste gewaltig mit beiden Händen das große Kissen weiterhin auf den Kopf und wartete, bis keine Reaktion mehr erfolgte.

Im kleinen Badezimmer zog Jörg an der linken Ecke seines Kinns und zog sich eine hautenge Latexmaske vom Gesicht,

die dabei leicht einriss. Darunter sah er ganz anders aus als der verschwundene Jörg Küttel und hatte eine Narbe auf der Stirn. Die angerissene Latexmaske warf der achtfache Mörder achtlos in den Mülleimer und schnappte sich seinen Rollkoffer. Er konnte es noch schaffen, den frühesten Zug zu erwischen, der ihn aus Köln anderswo hinbringen konnte. Dafür musste er wieder aus dem Seiteneingang verschwinden und sich ein Taxi bestellen. Aber das hatte er alles schon vorbereitet.

18

Aschermittwoch, sieben Uhr morgens:

Der echte Jörg Küttel, der vor der

Kommissarin Köllner) stand, hatte zwar das gleiche Gesicht, aber nicht die gleiche Stimme wie der Betrüger. Nur die Frisur war identisch gewesen.

„Wo genau sollte sich der falsche Jörg befinden?“ fragte er.

„Im Weltempfänger Hostel in der Piusstraße, Ehrenfeld“ las sie den Ausdruck vor. „Kommt, lasst uns dieses Schwein erwischen, noch ehe er verschwindet.“ Sie stand vom Bürostuhl auf, zog sich ihre Jacke an und marschierte voran. Der echte Jörg Küttel folgte ihr.

Zwei Polizeiwagen hielten vor dem Eingang des noch geschlossenen Hostels an, die Kollegen stiegen aus und eilten

zur Tür. Eine Angestellte des Hostels mit großer Brille und Pferdeschwanz stellte gerade den Teller mit der Butter auf den alten brauen Holztisch in der zweiten Hälfte des Cafe´s, als sie das Klopfen an der Holztür bemerkte. Sie schaute auf die Glasscheibe und erschrak, als die Polizei vor der Tür stand. Mit dem Schlüsselbund gewappnet, lief sie zur Eingangstür und öffnete sie.

„Guten Morgen“ begrüßte sie eine junge Frau mit beigem Mantel. „Polizei Köln. Sie beherbergen einen oder zwei Mörder hier. Können wir reinkommen?“

„Ja, natürlich“ stammelte die junge Frau bestürzt und ließ die sechs Beamten

eintreten.

„Gibt´s hier einen Hinterausgang?“ fragte sie ein uniformierter Polizist. Die junge Angestellte zeigte auf die Tür hinter dem Wandschrank. „Gleich dahinten links. Da ist das Treppenhaus.“

Wortlos eilten zwei Polizisten den gezeigten Weg entlang und verschwanden hinter der Tür.

Kommissarin Köllner stand vor dem Tresen und wartete, bis der PC angeworfen wurde und trommelte mit ihren Fingern auf dem Holz.

„Einen Jörg Küttel habe ich hier“ las die Angestellte auf dem Bildschirm ab, „das Zweibettzimmer im dritten Stock. Nummer acht.“

„Haben Sie vielen Dank“ sagte die Kommissarin und lief mit den anderen beiden Polizisten und Kommissar Küttel zum Treppenhaus. Sie beeilten sich und waren in einer Minute oben.

Das besagte Zimmer war nicht abgeschlossen, also konnten sich die Polizisten die Mühe sparen, die Tür einzutreten und zückten gleich ihre Waffen. Es drangen keinerlei Geräusche aus dem kleinen Raum, aber sie mussten ihn trotzdem mit äußerster Vorsicht betreten. Wahrscheinlich könnte der Mörder sich auf dem Bett oder hinter einem Schrank verstecken. Sie schwangen ihre Waffen nach rechts und

nach links. Aber es war niemand zu sehen oder zu hören. Als das Licht eingeschaltet wurde, sah man auf dem linken Bett eine Person liegen. Ein Kopfkissen bedeckte sein Gesicht, ein Taschenbuch mit dem Namen „Natural Born Killers“ lag links neben ihm, auf dem Fußboden lag noch ein weiteres Taschenbuch mit der Aufschrift „Der Karnevalsknigge“. Die Gestalt auf dem Bett bewegte sich nicht, man konnte nicht einmal die Decke auf und ab bewegen sehen.

Kommissar Küttel zog das Kissen zur Seite und sah in die toten Augen eines Mannes, dessen Mund weit offen stand. In seiner Mundhöhle steckte eine rote

Clownsnase aus Schaumstoff, die Jörg herauszog. Es stand dort ein Spruch drauf: „Kölle Alaaf!“

„Der verdammte Schweinehund“ fluchte Jörg, als er seine Kollegin aus dem Badezimmer herausgehen sah. Sie hielt eine Art Gummimaske in der rechten Hand und schaute ihn enttäuscht an.

„Und es kommt noch schlimmer“ sagte (Kommissarin), „wir wissen nicht einmal, wie er wirklich aussieht. Nur seine Stimme kennen wir.“

„Oh, verdammter Schweinehund“ zischte Jörg mit Hamburger Dialekt, „aber eines Tages erwischt ihn noch jemand.“

Epilog

München, Mitte September

Oktoberfest

In einem bayerischen Hostel mit rustikalen Möbeln und traditionellen Ausschmückungsteilen stand am Tresen ein großer breitschultriger Mann mittleren Alters und kurzen Stoppelhaaren.

„Ja, was kann ich für Sie tun?“ fragte ihn ein Mann mit Schnäuzer, Halbglatze und in Lederhose gekleidet am Computer.

„Maik Schwarz ist mein Name. Ich habe hier ein Doppelzimmer bestellt.“ Hinter dem Mann stand eine junge Frau, die beide Reisetaschen trug.

„Ja, stimmt. Freilie, Sie haben hier eine

Doppelsuite im obersten Stockwerk. Und viel Spaß beim Oktoberfest!“

„Danke, werden wir haben“ sagte der junge Mann und verzog seinen Mund zu einem schiefen Lächeln.

Ende

 

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