Kapitel 11 Keine Vergebung
Eberk und Martha hatten eines der Häuser direkt in Strandnähe bezogen. Die einfache Blockhütte bestand nur aus zwei rechteckigen Teilen, die zusammen einen rechten Winkel bildeten. Eine niedrige, wohl von Eberk selbst angelegte, Veranda lag zwischen den beiden Hälften und in einigen grob gezimmerten Kästen wuchsen Blumen. Zyle erinnerte sich, das auch ihr Haus in Helike üppig mit blühenden Pflanzen bestückt gewesen war, etwas, das ihn damals schon gewundert hatte. Bei den Temperaturen auf dem Festland gingen
die meisten schnell ein und es kostete ein Vermögen an Wasser und Geduld, sie zu erhalten. Hier draußen jedoch waren die Temperaturen weniger extrem. Ein leichter Salzfilm hatte sich auf die Stufen gelegt, die zur Terrasse hinauf führten. Zyle folgte Eberk zum Haus, als er auch schon irgendwo ein Kind lachen hörte. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und ein kleiner, vielleicht acht Jahre alter Junge stürmte heraus. Eberk fing das Kind auf, als es ihm direkt in die Arme lief, während er ebenfalls lachte.
,, Aaron !“ Martha, Eberks Frau, tauchte in der Tür auf. Sie schüttelte kurz den Kopf, lächelte dann aber und wartete,
bis die beiden zurückkamen.
Zyle konnte nur betreten daneben stehen und auf seine Füße sehen. Er hätte sie alle zum Tode verdammt. Einer oder vielleicht alle von ihnen hätten im Hafen sterben können. Und das nur, weil er nicht richtig nachgedacht hatte. War ein Ausgleich denn unmöglich gewesen? Hätte er das nicht vorher sehen müssen. Er blieb auf der Schwelle zum Haus stehen, als Eberk den Jungen auf den Arm nahm und hereintrat.
,, Kommt ihr ?“ , fragte er, als er merkte, das Zyle ihm nicht folgte. Der Gejarn hätte am liebsten einfach wieder abgesagt. Dann jedoch zwang er sich dazu, langsam zu nicken und trat
ein.
Der Bau bestand aus nur zwei Räumen. Einen kleinen, abgetrennten Bereich zum Schlafen und einem größeren, der wohl als Wohnraum diente. Ein Tisch mit mehreren Stühlen stand an einem, mit vorhängen verhängten, Fenster und in einer Nische war ein kleiner Ofen aufgebaut worden, direkt neben einer Luke, die hinab in einen Keller führte. Vermutlich kaum mehr als eine Grube in der Erde.
Im Vergleich zu dem kleinen Palast, den die beiden damals in Helike bewohnt hatten, schien es kaum mehr als ein Verschlag. Mehrere Öllampen erfüllten das Esszimmer mit warmen
Licht.
Zyle , Martha und Eberk, der den Jungen vorher auf dem Boden absetzte, nahmen am Tisch Platz. Jeder bekam seinen Anteil von den heutigen Vorräten ausgehändigt. Neben gebratenem Schafsfleisch, irgendjemand hatte wohl einige der wilden Tiere hier gejagt, gab es einen simplen Eintopf aus Kartoffeln und dem Getreide, das beim Aussähen der ersten Felder übrig geblieben war.
Zyle versuchte, die Mahlzeit möglichst langsam zu gestalten. Solange er aß, konnte er es vermeiden mit einem der zwei zu reden.
,, Wir haben schon länger keine Nachrichten mehr aus Helike erhalten.“ ,
meinte Eberk da.
Zyle nickte. Und er konnte sich auch nur zu gut vorstellen, warum. Die ganze Stadt schien gebrannt zu haben, als er im Hafen zusammengebrochen war.
,, Irgendetwas muss wohl passiert sein. Wir haben noch genug Kontakte in der Stadt, aber bisher hat niemand versucht, uns eine Nachricht zukommen zu lassen. Vielleicht erreicht Relina ja irgendwas…“
Er horchte bei dem Namen auf und brach schließlich doch sein Schweigen etwas. Es gab Dinge, die waren ihm wichtig genug, um sie in Erfahrung bringen zu wollen.
,, Wie geht es ihr eigentlich ?“ , fragte
Zyle. Nachdem er sich so weit von ihr entfernt hielt, wie nur irgendwie möglich, wusste er kaum darüber, wie die Gejarn-Zauberin das alles Vertrug.
,, Ihr kennt sie doch.“ , meinte Eberk grinsend. ,, Die wird nicht ruhiger oder langsamer, egal was passiert, oder wie übel ihr ist. Dazu ist diese Frau viel zu stur. Trotzdem machen sich ein paar wohl sorgen um sie. Als sie mir gestern Morgen begegnet ist, sah sie ziemlich ungesund aus. Auf dem Schiff konnte mans ja noch auf Seekrankheit schieben, aber so…“ Er zuckte mit den Schultern.
Martha hob nur eine Augenbraue sagte aber nichts
,, Und wie ist es euch nach der Flucht
ergangen ?“ , fragte Zyle , mehr aus Höflichkeit, als das er die Antwort nicht schon längst kannte. Die Geschichten unterschieden sich kaum, saßen sie doch alle im selben Boot. Einige bereuten es, alles für die Freiheit zurück gelassen zu haben, andere hatten Verluste an Familie und Freunden zu beklagen… und wieder andere, vor allem die Magier, waren endlich darauf aus, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Wäre Relina nicht, dachte Zyle, hätten einige der Mächtigeren sicher längst versucht, die Kontrolle zu übernehmen. Aber sie fürchteten und respektierten die Zauberin zu sehr, als das sich jemand offen gegen sie stellen würde. Die
Gejarn hatte, wie Zyle wusste, ihre ganz eigenen Vorstellungen für die Zukunft ihrer kleinen Gemeinschaft.
,, Es ging uns selten besser. Vor allem jetzt, nachdem wir endlich hier sind. Und mit Aaron… Ich bereue es nicht, das wir Helike zurück gelassen haben.“
,, Ich auch nicht.“ , fügte Martha hinzu. ,, Allein das wir hier Leben können, ohne uns oder gar den Kleinen verstecken zu müssen war alles Wert. Auch wenn wir genug Verloren haben. So viele sind gestorben…“
Eberk nickte. ,, Es gibt einige, die ich jetzt gerne an meiner Seite hätte, aber nicht mehr rechtzeitig aus der Stadt gelangt sind. Wenn wir jemals
herausfinden, wer dafür verantwortlich war…“ Er wurde still.
,, Es wird eine lange Schlange von Leuten geben, die dem Kerl die Kehle durchschneiden wollen.“
,,Sicher…“ Zyle wandte sich wieder dem Essen zu, der Appetit, wenn er je welchen gehabt hatte, war ihm jedoch vergangen. Er konnte sich tausend Orte vorstellen, an denen er jetzt lieber wäre. Die Dunkelheit des Todes war einer davon. Wenn er wenigstens zurück nach Canton oder wenigstens Helike könnte, aber Relina zu Fragen ob sie eines der Schiffe dafür abstellen würde war Wahnsinn. Selbst wenn er sie nicht Hintergangen hätte, sie würde niemals
ein dutzend Leute freistellen, nur damit er hier wegkam. Nicht, bis zumindest die gröbsten Arbeiten erledigt waren. Bis dahin brauchten sie jede Hand, die ihnen zur Verfügung stand. ,, Es war meine Schuld, verdammt.“ , murmelte er. ,, Alles was schief gegangen ist.“
Eberk sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. ,,Quatsch. Keiner von uns hätte vorhersehen können, was geschehen ist. Und ohne euch hätten wir vielleicht im Hafen festgesessen. Wir sind hintergangen worden Zyle. Aber wer immer es war, ich hoffe, er ist mit der Stadt verbrannt.“
,, Ich sollte jetzt besser gehen.“ , erklärte er und versuchte dabei, seine
Stimme ruhig zu halten.
Eberk sah auf : ,, Jetzt schon ?“
,, Ich bin einfach nur müde.“ Hoffentlich kauften sie ihm die Lüge auch ab. Ihm war selten so wenig nach Schlafen zu mute gewesen. Aber alles war besser, als noch länger hier zu bleiben. Vielleicht würde er etwas über die Insel wandern, bis die Sonne aufging. Man brauchte im gehen zwei Tage um das Land einmal komplett zu umrunden, es bestand also nicht zu befürchten, das er dann so schnell wieder jemanden begegnete.
Zyle stand auf und wendete sich zur Tür. Er zwang sich, sich noch einmal zu den drei umzudrehen, die ihn stumm
musterten. Sie mussten wohl spüren, das etwas nicht stimmte. Und verflucht, dachte Zyle, wie konnten sie nicht. Er kam sich vor, als müsste er mit einem Schild um den Hals herumlaufen… Eines, auf dem in blutigen Buchstaben das Wort Mörder prangen musste.
,, Aber danke… für alles bisher, schätze ich.“
Als er endlich in die kühle Nachtluft hinaus trat, fühlte er sich etwas besser. Trotzdem beschleunigte er seine Schritte, um so schnell wie möglich vom Haus wegzukommen. Mittlerweile war es auf der Insel ruhig geworden. Die meisten Fackeln waren erloschen, so dass er sich im Halbdunkel seinen Weg
suchen musste. Zyle lies sich von seinem Gehör leiten und folgte dem Klang der Wellen, die sich am Strand brachen. Die Erde unter seinen Füßen wurde von Sand abgelöst. Mondlicht spiegelte sich auf der gewaltigen Wasserfläche, die vor ihm lag. Das Wetter war die letzten Tage ruhig gewesen, so dass die See weiter draußen fast wie eine große Glasplatte wirkte. Zyle lenkte seine Schritte bis zur Flutlinie hinab und lief daran entlang. Bei jeder Welle spülte das Wasser über seine Beine und schien seine Gedanken teilweise mit sich zu nehmen. Der Gejarn achtete kaum darauf, wohin er ging. Wichtig war nur, in Bewegung zu bleiben und nicht weiter nachdenken
zu müssen.
Er wäre beinahe in sie hineingelaufen. Zyle bemerkte die Umrisse der Gestalt grade noch rechtzeitig, um weniger als eine Handspanne von ihr entfernt anzuhalten. Wer immer es war stand einfach regungslos am Strand und schien genau so in Gedanken wie er. Zuerst wollte der Gejarn einfach nur Anstalten machen, dem zweiten nächtlichen Wanderer auszuweichen. Dann jedoch erkannte er sie.
Die lockigen, braunen Haare fielen ihr in einer Kaskade über dem Rücken und über die geschwungene Brandnarbe auf ihrer Wange. Eine ständige Erinnerung, an das, was sie
war.
Ob dies nur eine Laune der Natur war oder ob bisher bloß keine anderen Gejarn-Zauberer aufgefallen waren, es hatte ihr mehr als nur Ärger gebracht, war ihr Vater doch der erste der Archonten gewesen. Samiel hatte seine Tochter versteckt, bis er es nicht mehr konnte und die Gesetzte Helikes eingriffen. Relina wäre beinahe verbrannt und hatte daraufhin die Rebellion Ins Leben gerufen… die er beinahe vernichtet hätte. Ein knappes Jahrzehnt der Arbeit in Rauch und Asche verwandelt…
Zyle wäre beinahe gestolpert, als sie sich zu ihm umdrehte. Mondlicht
glitzerte in ihren dunklen Augen und zum ersten Mal seit langem sah er sie mit einer freundlichen Mine. Das Lächeln auf ihrem Gesicht gefror jedoch genau in dem Moment, wo sie Zyle erkannte. Ihr Blick wurde kalt. Er war sich nie zu vor so sicher gewesen, dem Tod ins Auge zu sehen. Im Umkreis von einer Meile gab es niemanden. Wenn sie nur auf eine Gelegenheit wartete, ihn unauffällig zu töten, dann war das der Moment dafür. Niemand würde je erfahren, was er getan hatte und Relina wäre ihn los.
Er schloss die Augen, rechnete jeden Moment, die sengende Hitze von magischem Feuer zu spüren, die über ihn
hinwegwusch… aber nichts dergleichen geschah.
Zyle zwang sich dazu, die Augen wieder zu öffnen und sah das stumme Feuer, das gleichzeitig in ihren Brannte. Er versuchte, irgendetwas zu sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Was hätte er auch jemanden sagen können, dem er einen Dolchstoß versetzt hatte. In Rücke und Herz gleichermaßen.
Relina sah ihn nur an, schien mit sich selber zu hadern, worüber wusste er nicht. Dann schüttelte sie langsam den Kopf… und wendete sich ab. Zyle konnte ihr nur nachsehen, wie sie den Strand hinauf verschwand. Und nach wie vor gab es nichts, das er hätte sagen
können. Zyle lies sich einfach wo er war in den Sand sinken. Er hatte Relina verloren. Das konnte er akzeptieren. Und daran konnte es spätestens jetzt für ihn keine Zweifel mehr geben. Und er hatte von Anfang an gewusst, das diese Möglichkeit bestand, nicht?, dachte Zyle. Damals hatte er geglaubt, das Risiko eingehen zu müssen. Jetzt wünschte er sich nichts mehr, als es ungeschehen zu machen. Sollten die Archonten Helike haben… Es hatte wertvolleres gegeben. Diese Erkenntnis jedoch, dachte er, kam viel zu spät.
Zyle zwang sich dazu, aufzustehen und sich wieder in Bewegung zu setzen. Hauptsächlich um die Tränen zurück zu
halten. Das wäre das letzte Eingeständnis, das er völlig versagt hatte. Nicht nur an Relina. Kellvian und die anderen waren vielleicht Tod… Und er war der einzige, dem er die Schuld dafür geben konnte. Wenn es wenigstens einen Ausweg für ihn gäbe. Aber er saß hier fest. Irgendwo im Nirgendwo, von Leuten umgeben, die die Wahrheit nicht kannten… und ihn töten würden, käme sie je heraus. Eberk hätte er es fast gesagt. Selten war er so versucht gewesen, sein Schweigen
einfach zu brechen und sich dem zu stellen, was dann auf ihn wartete. Viel zu verlieren hatte er ja ohnehin nicht mehr. Aber wenigstens etwas
Wiedergutmachung wollte er leisten. Nicht für Relina. Er sah in die Richtung, in die sie verschwunden war. Und auch nicht für irgendjemanden. Nur für sich selbst.