Kurzgeschichte
DAS WAGNIS - Forumsbattle 35

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"DAS WAGNIS - Forumsbattle 35"
Veröffentlicht am 06. November 2014, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.
DAS WAGNIS - Forumsbattle 35

DAS WAGNIS - Forumsbattle 35

vorwort

Die Wortvorgaben für die folgende Kurzgeschichte sind:


Rotzlöffel Dilemma deklamieren fragmentarisch Dreck versündigen Schrei geblümt Pippi-Langstrumpf-Radlerhose wankelmütig Ufer Depression


Foto hier und Cover: (C) by Heidemarie Opfinger;

DAS WAGNIS

Lars sitzt in seinem bequemen Sessel einer riesigen Sitzlandschaft im großen Wohnraum seines eigenen Hauses. Beruflich hat er es weit gebracht. Niemals hätte irgendjemand daran geglaubt, dass aus ihm einmal so etwas werden würde. Die Zeiten waren damals eben ganz anders … und das mitten in Deutschland.

Sein Vater war in einer angesehenen, akademischen Position gewesen, hatte von dem Parteiregime der sozialistischen Regierung nichts wissen wollen und darauf bestanden, dass sein Sohn eine ordentliche Ausbildung bekommen sollte. Der Vater

träumte davon, dass sich durch diese der Sohn in der nahe gelegenen Eisenhütte eine Stellung im Management der Firma erarbeiten würde. Doch er, Lars, war ein übler Rotzlöffel gewesen und hatte an allen Ecken und Enden gegen das Elternhaus und natürlich das Regime protestiert.

Von der Verwandtschaft im Westen hatte er sich als Lausbub eine Pippi-Langstrumpf-Radlerhose gewünscht und sie auch prompt zu Weihnachten geschenkt bekommen. Die trug er im folgenden Sommer mit dem allergrößten Stolz, den man sich nur vorstellen konnte. Die Bewunderung seiner Kameraden war ihm einerseits sicher gewesen und andererseits wurde er aus Neid

in viele Raufereien verwickelt. Das machte er dann damit wieder wett, dass er im Unterricht – wann immer möglich – lange Texte von Marx oder Lenin deklamieren konnte und die Lehrer damit ebenfalls in die Verzweiflung trieb. Schließlich war er darin bald wesentlich besser als alle in seiner Schule, denn es war kein fragmentarisches Wissen. Er hatte sich nämlich mit den Theorien von Marx und Lenin sehr ausgiebig beschäftigt. Aus diesem Grund begann sich die Partei für ihn zu interessieren und bot ihm für die Zeit nach der Schule die Aufnahme in die Partei, spezielle Schulungen und möglicherweise danach eine Karriere in ihren Reihen an.

Das führte fast zu einem Zerwürfnis mit

seinem Vater und dem Rest der Familie. Sein Vater nannte ihn einen Verräter und auch sein bester Freund konnte ihn nicht verstehen. Auf diese Weise geriet er, der junge Bursche, in ein großes Dilemma. Die schweren Auseinandersetzungen mit seinem Vater ermöglichten ihm schließlich, den Unterschied zwischen Theorie und dem gelebten Realismus zu erkennen und ließen ihn in einem schmerzhaften Prozess wankelmütig werden. Die Folge war, dass er sich daraufhin entschied, künftig dem Recht und Gesetz zu dienen. Was ihm zu seiner Grundschulzeit als Akademikersohn noch verwehrt war, nämlich ein Studium, erlaubten ihm inzwischen veränderte Vorschriften bei der zuständigen Behörde. So

träumte er davon, nach dem Abitur ein Studium nach seinen Wünschen aufnehmen zu können..

Nach wie vor interessierte sich die Partei für alles, was er tat oder ließ. Und nicht nur diese. Auch der Staatsapparat begann hinter ihm her zu schnüffeln. Sein Vater hatte ihn aus eigener bitterer Anschauung heraus wiederholt gewarnt, doch offensichtlich ohne Erfolg. So verfiel er noch vor dem Abitur in eine tiefe Depression. Wieder bedurfte es vielfältiger Gespräche mit seinem Vater, welche ihn zum Glück vor der Umsetzung eines geplanten Selbstmordes bewahren konnten. „Du darfst dich nicht an Gott und dem Leben versündigen!“ Das hatte ihm

sein Vater viele Male sagen und erklären müssen und auch der herbei gerufene Pfarrer hatte ihm das Gleiche gesagt und noch hinzugefügt: „Willst du wirklich für diesen Staat dein junges Leben wegwerfen?“ In diesem Augenblick war seine Entscheidung für das Leben gefallen. Alles, was jetzt auf ihn zukam, war ein einziges großes Wagnis. Zunächst beendete er mit dem besten Zeugnis in der Stadt seine schulische Laufbahn. So stand einem Studium nichts mehr im Wege. Wie es laufen sollte, hatte er sich bereits in seinen kühnsten Träumen ausgemalt: Ein Studium der Rechtswissenschaft im Westen, das war sein

Ziel. Dann besorgte er sich getragene Armeekleidung, um bei diesem risikoreichen Unterfangen nicht so leicht aufzufallen. Schließlich konnte er nicht in schrill-farbiger, geblümter Kleidung dieses Experiment eingehen. Immer wieder übte er, sich im Gelände unauffällig zu bewegen. Die Erfahrungen, die er als Jungpionier gemacht hatte, kamen ihm nun zu statten. Der Abschied von zuhause war zur Katastrophe geworden. Aber sein Entschluss stand felsenfest. Alle wichtigen Dokumente hatte er sorgfältig wasserdicht verpackt und als exzellentem Schwimmer und Taucher sollte, nein, musste es ihm gelingen.

Die Stelle war vorzüglich gewählt. Im

hüfthohen Gras konnte er sich gut bewegen. Das Ufer des Grenzflusses befand sich keine hundert Meter entfern und die Wachsoldaten nahmen es an dieser Stelle nicht so genau, zumal ein enger Freund von ihm hier ebenfalls Dienst zu tun pflegte. Mühsam hatte er sich durch die Pflanzen und den Dreck und alle die anderen Hindernisse an das Flussufer gerobbt. Ein kurzer Blick zurück. Da sah er in einiger Entfernung eine hünenhafte Gestalt, die ein Gewehr schwenkte. Den Schrei und den Schuss hatte er nicht mehr gehört, weil er blitzschnell ins Wasser abgetaucht war.

Über 25 Jahre ist das jetzt her, sinniert Lars. Aber die Welt und die Not der Menschen

scheinen sich kaum verändert zu haben … sind eher schlimmer geworden …

© HeiO 06-11-2014

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Hörbuch

Über den Autor

NORIS
Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.

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Andyhank Eine Geschichte der Grenzflucht. Sehr passend zum Potpourri der eingereichten Darbietungen der Autoren! :)
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Ganz herzlichen Dank für Deinen Favo ... ich freue mich seeeeehr darüber!
LG Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
koollook Eine gut erzählte Geschichte über ein ernstes Thema, das für immer ein Teil der deutschen Geschichte bleiben wird.

Viel Erfolg beim Battle.
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Herzlichen Dank ... Besdonders für Deinen Favo. Ich bin schon auf das Battle-Ergebnis gespannt. Aber wie heißt es so schön: nicht gewinnen ist wichtig sondern DABEI SEIN.
LG Heidemarie
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baesta Leider sind meine Talerchen für heut schon alle. Na dann viel Erfolg beim Battle. Ich werde mich da wohl fern halten, weil mir absolut nichts einfallen will.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Schade, dass Dir nichts eingefallen ist ... aber ich weß, dass Du mir die Daumen drückst ... lächel
LG Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Sehr gut und interessant geschrieben, ich hab`s mit Spannung gelesen.
Aber derjenige der die "Pippi-Langstrumpf-Radlerhose" vorgegeben hat, auf den wäre ich neugierig - lache.
Ich lese nämlich die "Forums Battle" sehr gerne und jedes Mal "reißt`s" mich bei diesem Wort - grins.
Liebe Grüße an Dich und ein schönes Wochenende
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Jaja, die Radlerhose hatte es mir auch angetan.
Ich hätte sie auch getrost weglassen können ... aber solche Wünsche gab es schon manchmal ... lächel ...
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
Tintoletto Beschrieben als sei es ein Drehbuch ...
ich konnte mir alles so bildlich und realistisch vorstellen!
Es muß eine schreckliche Zeit gewesen sein, ähnliches kenne ich aus Erzählungen meiner Eltern!
GlG. Tinto
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Ja, es WAR eine schreckliche Zeit. Wir haben es teilweise bei Besuchen und sonst eben über Briefe "mierlebt".
Danke fürs Lesen und kommentieren.
Liebe Grüße
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
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