Prolog
Es war eine lauwarme Sommernacht. Grillen zirpten und der Wind strich sanft über die Hügel und wiegte die Grashalme in einen tranceähnlichen Zustand. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen schritt eine Person durch das tanzende Gras.
Die Füße bewegten sich, Schritt für Schritt näherten sie sich den Klippen. Dann stoppten sie und die Augen konnten unter sich das Meer sehen, die Wellen, die gegen die Klippen schlugen und brachen.
„erbärmlich“, flüsterte die Stimme, die Augenbrauen zogen sich zusammen, die
Nase rümpfte sich, etwas angeekelt. Die Hand strich das lange Haar aus dem Gesicht.
Er hatte sie hier herbestellt, wie immer. Und nun tauchte er wieder nicht auf.
Sie fragte sich, wieso sie sich immer wieder und wieder von ihm herbitten ließ. Vielleicht war sie neugierig auf ihn, vielleicht wollte sie auf einfach sein Gesicht sehen, um ihm dann in dasselbe zu schlagen. Weil er sie so demütigte jedes Mal erneut. Ihre Augen fixierten nach wie vor die Wellen. Der Seeschaum klebte an den Felsen wie Ungeziefer und ihr wurde bei dem Gedanken schlecht.
Das Meerwasser schwächte ihre Kräfte,
aber das wusste er. Vielleicht schwächte es auch die seinen, und was war dann auch vermutlich der Grund, warum er sie hier warten ließ, Nacht für Nacht. Sie wurde schwächer, jedes mal, wenn sie dem stinkenden Meer näher kam. Dieser Gedanke ließ sie innerlich aufknurren. Kein Ton kam über ihre Lippen, innerlich bebte sie vor Zorn.
Wie konnte er es wagen, sie wieder einmal zu versetzen. Diese Nacht würde die letzte gewesen sein, die sie auch ihn wartete.
Plötzlich drehte der Wind. Ihre Haare wirbelten eine Weile irritiert um ihren Kopf herum und sie drückte die Handfläche an die Schläfe, als hätte sie
plötzlich Kopfschmerzen bekommen. Doch da war kein Schmerz, nur dieses seltsame Gefühl, das sich in ihrem Kopf ausbreitete, langsam von dort aus in ihren restlichen Körper strömte, bis es ihn schließlich komplett einnahm. Sie keuchte, doch konnte nicht schreien. Jetzt erst wurde ihr bewusst, was da in ihr vorging, doch es war bereits zu spät. Das Meerwasser hatte sein übriges getan und sie war ihm willenlos unterworfen.
„Das war sehr unvorsichtig von dir“, hörte sie eine Stimme nah ihrem Ohr, doch sie konnte den Kopf nicht drehen, konnte nicht sehen, wer zu ihr getreten war. Auch konnte sie die Stimme nicht zuordnen. Ihr Körper war wie gelähmt
und auch ihre Gedanken konnte sie nur noch sehr langsam formulieren. Ihr Mund formte ein Fragezeichen, doch die Frage blieb ihr im Hals stecken.
„Ich bin jetzt endlich hier“, bemerkte die Stimme, ein wenig spöttisch. „Du hast doch so lange auf mich gewartet. Bist du jetzt glücklich?“
Sie schwieg, aber ihre Augen weiteten sich. Langsam stieg die Panik in ihr hoch, nicht mehr lange und sie würde den gesamten Körper erzittern lassen.
„Ich hätte mir eine andere Reaktion erhofft. Aber deine Gedanken waren so grässlich, dass ich nicht anders kann als dich jetzt von diesem Übel, der da dein Gehirn verseucht, zu erlösen. Keine
hässlichen Gedanken mehr, was hältst du davon?“
Sie versuchte, sich zu bewegen, die Hände zu rühren, sich umzudrehen, ihn anzuspringen. Ihre Muskeln zitterten, doch sie rührte sich nicht. Ein Kichern ertönte. „Ja, ich dachte mir, dass dir das gefallen könnte. Keine Gedanken mehr, die dich verwirren. Keine, die dich wütend werden lassen. Natürlich auch keine guten Gedanken mehr, aber du weißt ja, die hast du eh nie benutzt. Von daher ist das wohl legitim, was ich jetzt mit dir machen werde.“
Sie spürte eine Hand in ihrem Rücken, die sich liebevoll an ihre Taille legte, dann ihren Rücken sanft streichelte, bis
sie schließlich einen leichten Druck gegen die Wirbelsäule spürte – und nach vorne stolperte. Ihre Füße verloren den Halt, die Klippe, sie war viel zu nah:
Jetzt löste sich ihre Zunge, dann wurde auch der Rest des Körpers aus der Starre gelöst. Sie fiel. Im Fall drehte sie sich um, sie wollte den Mann sehen, der ihr das antun wollte, sie würde wieder in die Höhe steigen und sich an ihm rächen, an diesem....
Dann sah sie sein Gesicht und das Blut gefror in ihren Adern.
„Gute Reise“, sagte er mit einem freundlichen Lächeln und winkte ihr zu. DU! Schrie sie in ihren Gedanken, während die Panik wieder in ihr
hochkam. Sie würde in wenigen Sekunden aufschlagen, sich mit dem Meerschaum vereinen, den Körper gebrochen an den Klippen wie die Wellen. Jetzt konnte sie nur noch eines:
„Verflucht seist du, MORAN FINIGAL!“
Dann war ein lautes Knacken zu hören. Der Mann wandte angeekelt das Gesicht ab „Nun, das war doch einigermaßen unangenehm“, sagte er leise zu sich selbst und spielte mit den Fingern an seinem schwarzen Mantel, der ihm in dieser doch recht hellen Nacht dennoch gute Dienste geleistet hatte. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Eine weniger“, sagte er selbstgefällig zu sich selbst. „Eine
weniger.“ Dann verschwand er ebenso spurlos in der Nacht, wie er aufgetaucht war. Der Wind rauschte durch das Gras, als versuchte er, es zu beruhigen. Auch wenn das nach diesem Vorfall kein sehr leichtes Unterfangen schien.