Diese Kurzgeschichte ist das Ergebnis einer Aufgabe aus meiner Schreibgruppe. Nach dem Bild des Buchcovers sollte eine Geschichte entstehen. Sie durfte nicht länger als zwei DIN A4-Seiten sein.
Der Lohn
Maries Arme wurden immer schwerer. Das Wechseln des Korbes von der linken in die rechte Hand und umgekehrt ging in immer kürzeren Zeitabständen vor sich. Sie musste eine Pause machen. Sie seufzte … und ließ den Korb fallen. Als
sie das Geschäfts- und Wohnhaus Meister Kandlers verlassen hatte, war ihr schon aufgefallen, wie schwer der Korb war. Doch sie hatte sich nichts dabei gedacht.
Sie holte die Schmutzwäsche schon seit Jahr und Tag von den Kunden ab. Noch nie hatte sie auf dem Weg eine Pause machen müssen. Als ihre Mutter sie vor vier Jahren das erste Mal losgeschickt hatte, war sie bedeutend kleiner und schwächer gewesen. Jetzt mit ihren zwölf Jahren half sie der Mutter auch im Haushalt und versorgte ihre kleinen Geschwister. Da sollte doch dieses bisschen Wäsche schleppen kein Problem sein. Was mochte nur in dem
Korb sein? Sie durchwühlte ihn, bis sie auf die Wäsche von Frau Kandler stieß. In einem der Wäschestücke waren runde Gegenstände eingewickelt. Sie wickelte die Decke auf und hatte eine Anzahl Goldmünzen vor Augen.
„Lass das lieber. Du könntest Ärger bekommen.“
Marie schaute auf. Vor ihr stand, spinnenbeinig, ganz in Schwarz gekleidet, Berthold, einer der Gehilfen von Kandler.
„Die Goldstücke sind mir. Füll sie hier hinein.“ Berthold hielt ihr einen Ledersack hin.
„Wie solltest du zu so vielen Dukaten kommen? Das ist ein Vermögen. Sicher
hast du sie deinem Herrn gestohlen.“ Marie richtete sich auf und schaute Berthold gerade in die Augen.
„Die Münzen sind in deinem Korb. Wie willst du das den Stadtsoldaten erklären? Also gib schon her.“
Marie lies sich nicht beirren. „Du hast die Münzen in der Schmutzwäsche deiner Herrin versteckt. So konnten sie unbemerkt die Schwelle des Hauses überqueren. Jeder in der Stadt weiß, dass Kandler seinen Gehilfen beim Verlassen des Hauses die Hosentaschen umdrehen lässt. Und wie man sieht, tut er gut daran.“
„Halt dein Maul, du Drecksstück. Nun mach schon.“ Er warf Marie den
Lederbeutel vor die Füße. Seufzend füllte Marie die Dukaten in den Beutel. Unschlüssig hielt sie ihn in der Hand.
„Nun gib schon her.“ Mit diesen Worten beugte sich Berthold zu Marie hinunter … und sie schlug ihm den schweren Beutel mit aller Kraft an den Kopf. Ohne ein Wort fiel er schwer zu Boden.
Was nun? Marie hatte Berthold den Beutel ohne zu überlegen an den Schädel geschlagen. Sie war nun im Besitz eines unvorstellbaren Reichtums. Würde sie die Münzen behalten, hätte alle Not ihrer Familie ein Ende. Berthold könnte sie nicht verraten, ohne sich selbst in Arrest zu bringen. Angst brauchte sie vor ihm nicht zu haben.
Lukas, ihr älterer Bruder würde sie vor dem zartgliedrigen Gehilfen zu schützen wissen.
Es wäre aber eine Sünde das Gold zu behalten. Sicher war Herr Kandler ein knausriger Geizhals, doch war dies kein Grund ein Unrecht zu begehen. Marie nahm den Korb mit der Schmutzwäsche, legte den Beutel obenauf und ging den Weg zurück zu Kandlers Haus.
Hier berichtete sie dem erstaunten Vorsitzenden der Kaufmannsgilde von dem Geschehen und übergab ihm seinen Besitz.
„Ja, in drei Teufels Namen, ich hatte von dem Diebstahl noch nichts bemerkt. Ich werde Berthold die Stadtsoldaten auf
den Leib hetzen. Das soll er büßen.“
„Lasst ihn, ich bitte Euch. Er wird mittlerweile mit einem Brummschädel zu sich gekommen sein und wird auf schnellstem Weg die Stadt verlassen. Ich möchte nicht mit Schuld daran sein, dass er vor Gericht kommt.“
Kandler wiegte den Kopf hin und her. „Na gut, soll er seiner Wege ziehen. Ich habe keinen Verlust erlitten. Das heißt, ich habe einen Gehilfen weniger.“
Er schien zu überlegen. „Dein Bruder Lukas sucht doch ein Unterkommen. Sag ihm, er möge morgen zu mir kommen. Er kann bei mir als Kaufmannsgehilfe anfangen. Es heißt, er sei klug und geschickt. So jemand kann ich brauchen.
Und das ist für dich.“ Er griff in den Beutel, zog einen Dukaten hervor und drückte ihn Marie in die Hand. Sie wusste nicht, wie ihr geschah.
„Vielen Dank. Gott möge es Euch vergelten. Meinem Bruder gebe ich Bescheid.“
Sie schnappte sich den Korb mit der Wäsche und lief so schnell sie konnte nach Hause. Ihr Herz frohlockte.