Lieber Opa,,
lange ist es her, dass du weg gegangen bist, aber ich vermisse dich immer noch sehr. Vorige Nacht habe ich sogar geweint, weil du nicht mehr hier bist. Und fast jeden Tag muss ich an dich denken.
Wenn ich in der Dunkelheit durch das kleinen Wäldchen zum Bahnhof gehe, um in die Schule zu fahren, fallen mir deine Worte ein: „Pass gut auf dich auf, mein Schatz. Ich habe dich lieb.“ Wer sagt das jetzt zu mir? Niemand mehr. Und wenn ich entlang der Eisenbahn unseren Weg in Richtung M. nehme,
dann fallen mir alle die Geschichten ein, die du mir über die Kreuzottern, über das Farnkraut, über Heidelbeeren und Co. erzählt hast. Ja, und als wir einmal unseren Nachbarn mit seinem Gabelstock beim Schlangenfang beobachteten. Geschickt hielt er das Tier hinter dem Kopf fest, ließ es dann in ein kleines Glasröhrchen beißen, bis winzige goldene Tröpfchen an der Innenseite des Gefäßes hinab rannen und so das Gift des Tieres gewonnen wurde. Er verkaufte es an die Apotheke, um sich in jener Zeit ein kleines Zubrot zu verdienen.
Auch deine Warnungen fallen mir ein. Du
sagtest: „Bleib auf dem Weg. Hier liegt noch viel Munition im Wald.“ So lehrtest du mich Vorsicht. Ich danke dir dafür.
Neulich fuhr ich mit den Eltern von O. nach B. Wir radelten auf der alten Straße. Aber viel schöner war der Fußweg im Wald, den du immer im Frühling mit mir gegangen bist. Dann setzten wir uns auf eine Bank, du holtest dein großes Taschenmesser und schnitztest mir aus einem Haselzweig ein Pfeifchen. Ich habe es auch probiert, aber deine waren besser und klangen auch schöner. Oder einmal hast du mir eine Schalmei gebaut, wie du es
nanntest. Ich kann mich genau an ihren Klang erinnern. Und wie viel Liebe du hinein gebaut hattest! Ich fühle sie heute noch. Seufz…..ich habe mir gerade ein paar Tränen abgewischt, weil ich dich so liebe, aber du nicht mehr da bist. Ja, und nebenbei konnte ich dich fragen, zum Beispiel welche Vögel gerade zwitscherten, welche Blumen ihre Blüten öffneten, welche Bäume uns umgaben. Unvergessliche Stunden hast du mir geschenkt, liebster Opa.
Dann hast du mich mitgenommen ins Dorf deiner Kindheit. Auch dort habe ich die Zeit mit dir sehr genossen. Die Spaziergänge zu der tausendjährigen
Linde, zu den Höhlen oder Mühlen-Gasthöfen, wo ich die Forellen im wilden Bach sehen konnte. Die Stunden, die wir bei deinem alten Schulkameraden, dem Bräu, saßen. Für mich waren immer echte Abenteuer in die Zeit eingeflochten, die ich mit dir verbringen durfte. Und ich weiß noch gut, wie ich oft bittere Tränen vergoss, wenn ich wieder zu Mama und Papa nach Hause sollte.
Weißt du noch, wie schön es war, wenn wir gemeinsam zu den alten Burgen in der Fränkischen Schweiz hinauf stiegen? Die von dir erzählten Sagen habe ich längst vergessen, aber an das
Gefühl meiner kleinen Hand in deiner großen Hand kann ich mich genau erinnern. Da war Freiheit und doch gleichzeitig Geborgenheit. Oder wenn wir mit dem kleine Dampfzug vom Kirschen pflücken nach Hause fuhren und ich die frischen Kirschen als Riesenohrhänger trug? Mein Mund war blau verschmiert vom Genuss der schwarzen Herzkirschen und ich lag in deinen Arm gekuschelt schon in Träumen und konnte gerade noch flüstern: „Du bist doch der liebste Opa der Welt!“
Am meisten aber liebte ich die Stunden, wenn ich bei dir auf dem Schoß sitzen
konnte und wir dann mit dem einen oder anderen Märchenbuch beschäftigt waren. Wohl hattest du es nicht so sehr mit dem Vorlesen, das konnte ich damals schon gut. Ja, deshalb haben wir dann das Märchen gemeinsam erzählt. Wenn ein Bild dabei war, gab es wirklich viel Gesprächsstoff. Du erzähltest ein bisschen, dann fügte ich etwas hinzu und so wechselten wir uns ab. Auf diese Weise wurde es nie langweilig. Denn es wurde niemals das gleiche Märchen. Aber wie ich fand, war es viel schöner. Es bist eben du dabei gewesen , lieber Opa.
Und wie schön war es erst, wenn im
Winter Schnee lag und du den alten Schlitten holtest. Mama hatte mich warm eingepackt und dann ging es hinaus. Ich saß auf dem Schlitten und du spieltest Pferdchen und zogst mich die Waldstraße hinauf. Waren wir oben bei den Anstalten an dem hohen Kreuz angekommen, dann durfte ich vor dir sitzen und wir sausten den steilen Bohlenweg hinunter. Zwei Mal oder drei Mal ging das so. Dann folgte die lange Abfahrt die Waldstraße hinunter bis fast vor das Haus, in dem wir damals lebten. Und kein Auto behinderte uns.
Irgendwann kam dann Papa nach Jahren der Kriegsgefangenschaft nach Hause
und später besuchte ich das Gymnasium. Nun war der Zeitpunkt gekommen und du zogst fort in die Großstadt um wieder zu heiraten. Das hat in meinem Leben eine große Lücke gerissen und ich habe angefangen, dich sehr zu vermissen.
Bei einem der regelmäßigen Besuche, die eine schöne Tradition wurden, hast du mir versprochen, immer auf mich aufzupassen. Und während ich diesen Brief jetzt schreibe, habe ich das Gefühl, dass du dich gerade aus einem Himmelsfenster lehnst, zu mir herab schaust und dich sehr darüber freust, wenn ich hier schreibe, dass du für mich
der liebste Opa der Welt warst und bist.
Ich danke dir für alle deine Liebe und Zuwendung, die du mir geschenkt hast und ich vermisse dich sehr. Ein Platz in meinem Herzen ist dir auf ewig sicher.
Deine Enkelin