Vorwort
Mein Beitrag zum
Forumsbattle 35
mit dem Thema „Recht auf Flucht“
Folgende Begriffe waren vorgegeben:
Rotzlöffel, Dilemma,
deklamieren, fragmentarisch,
Ufer, Dreck, versündigen,
Schrei, geblümt, wankelmütig,
Depression,
Pippi-Langstrumpf-Radlerhose
In meinem Text fehlt das Wort:
deklamieren
Die Hütte am See
Ein Schrei ließ mich aufschrecken. Ich war schweißgebadet. Irritiert blickte ich mich um; ich lag auf einem von Dreck starrenden Bett und brauchte einige Sekunden, um mich zurecht zu finden. Ich befand mich in einem spärlich eingerichteten Zimmer; die Möbel waren alt, sogar sehr alt und die geblümte Tapete hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Sie hing an vielen Stellen in Streifen von den Wänden. Es roch muffig und feucht, mich fröstelte. Die Umgebung war mir fremd; wo war ich und was war geschehen? In was für ein Dilemma war ich nun schon wieder geraten? Wenn ich mich doch nur erinnern könnte!
Mein Schädel hämmerte, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Um mich war es totenstill. Aber ich hatte einen Schrei gehört, da war ich mir sicher. Ich stand auf, ging zum Fenster und zog die verstaubten Vorhänge zur Seite. Vielleicht konnte ein Blick nach draußen meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.
Helles Sonnenlicht strömte in den kleinen Raum und fragmentarisch nahm ich die Umgebung vor den fleckigen Fensterscheiben war. Ein großer See lag nur einige Meter entfernt und am Ufer spielten mehrere Kinder fangen. Sie schrien und alberten und mir wurde klar, dass mich dieses Geschrei geweckt haben musste.
„Okay, bleib ganz ruhig“, sagte ich zu mir selbst. „Es wird sich alles aufklären.“ Mein
Kopf brummte nach wie vor, obwohl der Schmerz langsam erträglicher wurde. Ich entschloss mich, dem Rätsel auf die Spur zu gehen und suchte in dem kleinen Raum nach einer Tür. Sie befand sich direkt gegenüber vom Fenster und ich hoffte inständig, dass sie nicht verschlossen war.
Ich griff vorsichtig nach der Türklinke und atmete erleichtert auf, als sich die Tür knarrend öffnete. Vorsichtig setzte ich einen Schritt vor den nächsten und erreichte einen dunklen Flur. Kaum drei Meter entfernt sah ich eine weitere Tür, die mich – wie ich hoffte – ins Freie führen würde. Mit jedem Schritt wurde ich sicherer und zuversichtlicher; nur kurze Zeit später stand ich draußen auf der
Terrasse einer alten, fast verfallenen Fischerhütte.
„Na endlich sind Sie wach!“ Ich schreckte zusammen und drehte mich ruckartig um. Vor mir stand ein etwa vierzehn Jahre alter Rotzlöffel und grinste mich unverschämt an. „Wir dachten schon, Sie werden nicht mehr“, entgegnete ein dürres Mädchen, das sich zu uns gesellt hatte. „Was ist denn nur geschehen?“ Ich sah die beiden hilflos und fragend an. „Was, das wissen Sie nicht mehr? Erinnern Sie sich denn an gar nichts?“
Ich setzte mich vorsichtig auf die oberste Stufe vor die alte Hütte und sah mich langsam um. Dann blickte ich an mir herunter und sah mit
Schrecken, dass ich meine Pippi-Langstrumpf-Radlerhose trug. Eine peinliche Röte schoss mir in die Wangen und die beiden Kinder lachten. „Ich glaube, jetzt kommt die Erinnerung langsam zurück, stimmt’s?“ fragte der Junge. Ich nickte zögernd. „Ihr Fahrrad ist etwas zerkratzt, sonst ist ihm aber nichts passiert. Sie hatten weniger Glück. Als wir Sie gefunden haben, waren Sie bewusstlos und wir haben Sie mit vereinten Kräften in die Fischerhütte des alten Hennes gebracht. Einer von uns ist los gerannt ins Dorf, um Hilfe zu holen. Doch Sie sind ja nun wach und haben das Schlimmste überstanden, schätze ich.“ Ich nickte erneut.
„Danke. Ich schätze, ich war unvorsichtig und habe nicht auf den Weg geachtet. Ich kann
mich erinnern, dass ich plötzlich einen großen Stein vor mir sah und ausweichen wollte. Dabei habe ich den Halt verloren und bin den Hang hinunter gerollt. Mehr weiß ich nicht.“
Das war allerdings nicht die ganze Wahrheit. Mir war inzwischen alles wieder eingefallen, doch das erzählte ich den Kindern nicht.
Ich wollte mich nicht versündigen, doch ich war des Lebens müde. Ich bin mit dem Gedanken zum See aufgebrochen, weil ich nicht mehr leben wollte. Meine seit Monaten andauernde Depression hatte mir jede Freude am Leben geraubt, sodass ich einfach keinen Sinn mehr darin gesehen habe. Wankelmütig war ich los gefahren, ich wollte
diesem freudlosen Leben entfliehen; doch die Schönheit der Natur hat mich in ihren Bann gezogen und das erste Mal seit vielen, vielen Monaten habe ich wieder gelächelt. Ich spürte einen Funken von Freude an der Sonne, die sich im glatten Wasser des Sees spiegelte; an den süß duftenden Wiesenblumen, deren Farben strahlend leuchteten und . . . dann kam der Stein!
Nochmals bedankte ich mich bei den Kindern für ihre Hilfe und versprach ihnen, mich zuhause sofort von meinem Arzt gründlich untersuchen zu lassen.
Mit einem glücklichen Lächeln schob ich mein Fahrrad den Hang hinauf, stieg auf und fuhr
leichten Herzens in einen traumhaft schönen Sonnenuntergang und in eine hoffnungsvolle Zukunft.