Die Hure und der kehrl
Der Regen fiel in Schlieren senkrecht vom Himmel, wie kilometerlange Senklote. In den Pfützen, rechts und links neben ihr, tanzten große Blasen einen nächtlichen Rave. Die dicken Tropfen trommelten auf dem großen, gelben Regenschirm den sie bei sich hatte, der grell aufleuchtete, wenn die Kegel der Scheinwerfer ihn trafen. Die Temperatur war für Ende Oktober ganz annehmbar. 16 Grad Celsius in der Nacht waren lau. In früheren Jahren, als sie mit dem Job angefangen hatten, da war es um diese Jahreszeit auch schon mal kälter.
Der Stoff ihrer Hotpans und ihrer Fischernetzstrumpfhose hatten sich zwischen ihre Pobacken gegraben und die Highheels ließen ihre Füße schmerzen, als seien sie in der Hölle.
Sie hatte heute schon fünf Freier gehabt. Alle lutschen, ohne Gummi. Einer hatte ihr die ganze Ladung ins Gesicht gespritzt, zum Glück hatte sie immer eine Flasche Sprudel dabei. Männer waren Schweine. Reinstecken, abwichsen fertig! Sie ließ sie immer bezahlen. Sonst würden sie sie aus dem fahrenden Auto werfen, wenn sie ihre Arbeit erledigt hatte. Manche waren sauer, dass sie ihre Erektion für die 25 € nicht länger halten konnten, manche
versagten sofort, manche forderten ihr Geld wieder. Wenn Dimitrie um die Ecke wartete, fehlten diesen Arschlöchern nicht nur die Brieftasche, sondern auch ein paar Zähne. Dimi war ihr Lude, ihr Brötchengeber. Nach fünf Mal melken zahlte er ihr 40 € den Rest kassierte er. Provision für den Schutz. Na ja, wenigstens war sie seit mehr als einem Jahr nicht mehr vergewaltigt wurden. Auch die letzten Schläge, wenn man die von Dimi nicht mitzählte waren schon Monate her. Und welche Frau ohne jegliche Ausbildung verdiente am Tag 40 Steine? Sie kannte keine!
Dimitrie war schon gegangen, es war drei Uhr morgens und auch die letzten
Mädchen machten sich jetzt von der Straße. Sie wollte noch etwas verdienen, wenn es ging. Sie wollte etwas Dope kaufen. Dimi drückte um die Zeit immer ein Auge zu. Der letzte Fick ging aufs Haus!
Sie hörte ihn dreckig lachen.
Ein Wagen hielt neben ihr. Ein Passart. Eine Familienlimo.
Der Fahrer war wohl etwas jünger als sie, so ein zwei Jahre, sie schätzte ihn auf neunzehn. Papis Auto für eine Samenspende entwendet.
„Wie viel?“ rief der Junge durch Beifahrerfenster.
„Fünfundzwanzig!“ Sie lächelte und schob ihren Oberkörper durch das offene Fenster.
Nicht so weit das er sie schneiden konnte, doch weit genug um irgendetwas an den Kopf zu kriegen. In dem Innenraum roch es nach Gras und Bier, aus den Lautsprechern des Wagens piepste Snoop Dogg.
„Für so'ne alte Hure?“ Der Junge lachte spöttisch.
Dann sah sie was er in der rechten Hand versteckte. Automatisch glitt sie aus dem Fenster, doch es war zu spät! Der Schwall Bier traf sie mitten ins Gesicht, wie noch vor Stunden das Sperma aus dem alten Pimmelkopf ihres Kunden. Der Junge kreischte vor Freude, schüttelte die Bierflasche erneut und traf ihre Brüste, die sie nur wenig
unter einer offenen Bluse versteckte. Der Schirm, den sie geschickt über ihr Hinterteil platziert hatte, fiel ihr aus der Hand und rollte auf die Straße. Der Junge sah ihn, grinste und trat das Gaspedal des VW s durch. Der Schirm wurde voll erfasst, sie hörte die Streben brechen und als der Junge immer weiter verschwand, sah sie den Schirm wie eine geschundene Leiche auf der Fahrbahn liegen.
Der Regen durchweichte sie innerhalb von Sekunden. Ihr Makeup verabschiedete sich und die Bluse klebte an ihrem üppigen Busen.
„Du Hurensohn!“ rief sie in die nasse Nacht.
Ein weiterer Wagen raste an ihr vorbei und Dreckwasser ergoss sich über ihre linke Körperhälfte.
„Du Schwein!“ Sie hob die Hände zu Fäusten über ihren Kopf.
„Haben wir ein Problem junge Frau?“ Neben ihr hielt ein Streifenwagen, eine Polizistin hatte sie angesprochen.
„Ich darf hier stehen!“ zischte sie.
„Ja, aber Sie dürfen hier nicht nachts um drei herumschreien!“ Die Beamtin blickte sie unerschrocken an.
Ihr Fahrer beugte sich über das Lenkrad und machte mit dem Zeigefinger einen Kreis in der Luft. „Geh ma' schön Heim! Sonst schleppen wir deinen Arsch auf die Wache!“
Sie blickte ihn verstört an, dann nickte sie. Der Streifenwagen fuhr weiter.
Sie stand im Regen und Kälte fuhr ihr in die Knochen. Sie drehte sich auf ihren Absetzen um. Sie würde zur Bushaltestelle gehen und auf den ersten Bus warten. So wie sie roch, würde sie heute eh kein Freier mehr mitnehmen. Wenn sie Glück hatte, würde der Regen das Bier weg waschen, doch sie würde nach Bier riechen und bei dem Pech, würde sie der Busfahrer nicht mitnehmen …
„Arbeiten Sie hier?“ Ein bärtiger Riese mit Schultern wie ganze Regattaboote versperrte ihr den Weg. Sie wollte ihn erst fragen, ob diese
beschissene Straße wie ein verfickter Baumarkt aussah, aber nach dem die Bullen in der Dunkelheit verschwunden waren, kam ihr das nicht ratsam vor.
„Was?“ fragte sie ängstlich.
„Ob Sie hier arbeiten?“
Ihre Augenbrauen hoben sich bis an ihren Haaransatz und schienen fragende Diamanten zu sein. „Wie?“
„Ob Sie eins von diesen Mädchen sind?“ Der Mann, der mit seiner nassen Armyjacke und den verwaschenen Jeans wie ein Gorilla aussah, der versuchte die Menschen davon zu überzeugen, dass er zu ihnen gehörte, schaute sie verlegen an. Dann blickte er zu Boden. „Eines dieser Mädchen, die es für Geld machen?“
Sie hatte noch nie jemanden so mit sich reden hören, sie glaubte die Worte zu kennen, aber sie verstand sie in dem Augenblick nicht und hauchte: „Was machen?“
„Na …“ Er hüpfte vor ihr auf und ab.
Sie verstand. Ihre Wut war wie weggeflogen, hätte sie vor diesem Riesen nicht solche Angst gehabt, sie hätte lachen müssen.
„Ja ich bin so ein Mädchen!“ sagte sie schließlich und trat einen Schritt zurück. Nach den Haaren in seinem Gesicht zu urteilen, könnte er auch moslemischer Radikaler sein, der nur darauf wartete mit einer Nutte allein zu sein. Wie viele Menschen würden auf der Welt, gerade
in diesem Moment sterben, weil irgendwelche durchgeknallten Arschlöcher glaubten, ihre Zeit sei gekommen?
„Das is ja toll!“ Er lächelte, immer noch verlegen und sie sah seine großen, weißen Zähne, er rieb sich mit der rechten Hand über seine zulangen Haare am Hinterkopf und fragte: „Wie viel nehmen Sie?“
Er hatte soviel Respekt vor ihr, dass sie schon überlegte, er sei nicht gescheit und ob sie ihm in die Eier treten und sich davonmachen sollte. Doch dann dachte sie an das Dope.
„Fünfundzwanzig?“ Sie schaute ihn streng an. „Entweder GV, Blasen, oder
wichsen. Nur eins. Kostet alles das selbe! Wo du … äh … Sie drauf stehen!“
„Fünfundzwanzig Euro?“ fragte er.
„Keine chinesischen Yen!“ gab sie wider. „Wo steht Ihr Auto?“
Er blickte noch verlegener drein als zuvor. „Ich habe kein Auto. Aber ich wohne direkt in der Nähe. Sie können sich da aufwärmen und duschen … wenn Sie wollen und ...“
„Ich mache es nur im Auto!“ erwiderte sie scharf. „Wenn du keine Karre hast, stehl mir nicht meine Zeit!“
„Es ist echt nicht weit.“ sagte er ganz ruhig. „Direkt hier um die Ecke. Und wenn Sie bis zum Morgengrauen bei mir bleiben, dann sind Ihre Sachen auch
wieder trocken. Ich zahle Ihnen Hundert Euro. Für vielleicht vier Stunden?! Was sagen Sie?“
Sie schaute ihn abschätzend an. Ein kleiner Engel in ihrem Ohr flüsterte ihr Versionen von dunklen Kellern, Nägeln und Blutbädern vor. Der Kerl hier vor ihr hatte überhaupt nichts mit Richard Gere gemein, er sah eher so aus, als würde er seine Frauen von Balkonen klauen. So begannen Horrorfilme. In Zeitungsartikeln endete so etwas immer mit dem Tod! Doch der Hunderter, wenn sie ihn wirklich bekam, würde einiges an Gras, vielleicht mal wieder ein Buch und eine Kleinigkeit von Irgendwas für sie bedeuten. Ihre Augen drehten in ihren Höhlen
wild herum und innerlich zerriss es sie.
„Na schön! Ich gehe mit! Aber erst den Hunni!“ Sie schob ihn die Hand hin.
Er klaubte sein Portemonnaie hervor und gab ihr zwei fünfzig Euroscheine, die sie geschickt in ihrem Ausschnitt verschwinden ließ. Dann folgte sie ihm in die regnerische Nacht.
Fünf Minuten später stand sie in seinen kleinen Wohnzimmer. Eine gemütliche Couch, ein kleiner Tisch, ein Strandstuhl, ein LED-Fernsehgerät und ein Regal mit ausgewählter Literatur. Er konnte nicht dumm sein, bei der Lektüre, soviel wüsste sie von Büchern.
Er hatte seine Jacke aufgehangen und nun sah sie, dass seine Arme muskulös waren,
sie hatten den Umfang ihrer Beine. Auch seine Brust war wie ein Waffenschild. Sie schien hart und eben. Der Bauch war kein Sixpack, aber er war ebenfalls hart.
„Bist du Sportler?“ fragte sie.
„Nein ich arbeite auf dem Bau!“ Er lächelte. „Willst du duschen?“
„Gerne. Du machst nicht den Eindruck eines Bauarbeiters. Bei all diesen Büchern?“
„Du scheinst Ahnung zuhaben.“ Wieder lächelte er aufrichtig. Seine langen Haare und der struppige Bart waren das glatte Gegenteil seines Körpers, so als wollten sie eine Revolution gegen den gepflegten Korpus starten.
„Ein wenig!“
„Sieht man bei Drogensüchtigen auch selten!“
„Ich nehme keine Drogen! Hier mal 'n bissel Gras, aber keine Drogen!“
„Siehst du?“
„Touche'!“ Sie schälte sich aus ihren nassen Sachen, dann beugte sie sich nackt über ihn und streichelte über sein feuchtes Haar. „Wie alt bist du?“
Er griff mit seiner rechten Hand an ihren Busen, drückte aber nicht zu. „Dreiundvierzig!“
„Du könntest mein Vater sein! Siehste aber net nach aus!“
„Ich bin ihr Vater!“ Er zeigte auf ein Bild an der Wand.
„Deine Tochter?“ Was für eine blöde Frage, schallte sie sich in Gedanken.
„Für sie mach ich diesen Job.“ Ein stolzes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er das zirka siebenjährige Mädchen beschaute. „Wegen ihr bin ich so ein Monster geworden. Ein dummes Monster!“
„Hm?“ machte sie.
„Unterhalt!“ erklärte er. „Der einzige Job den ich gekriegt habe. Helfer auf dem Bau! Ich trag soviel Scheiße, dass ich aussehe wie Conans Brüder und meine Hände nicht mehr schließen kann …“
„Warum?“
„Weil ich sie liebe!“
„Respekt.“ Sie verschwand im Bad.
Warm und wohlig stand sie nach kurzer Zeit wieder vor ihm. Er hatte die Couch ausgezogen. Dieser Riese würde sie jetzt kräftig ficken, bis ihr alle Knochen weh taten. Er lag auf der Seite, sein Körper war auch behaart wie der eines Gorillas, er trug nur noch seine Unterhose. Ihre Sachen und seine hatte er auf den Heizkörper beim Fenster verteilt. Sie fühlte sich irgendwie seelisch nackt. Sie hatte in den letzten Jahren soviel erlebt, aber gerade eben schämte sie sich.
„Lebt sie bei der Mutter?“
„Er nickte!“
„Siehst du sie?“
„Zwei Mal im Monat!“
„Vermisst du ihre Mutter?“
„Nein! Ich vermisse sie!“
„Hast du eine neue Freundin?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein! Ich bin Papa!“
„Keine neue Liebe?“
„Ich liebe meine Tochter!“
Sie schaute auf seine Unterhose. Der Penis der dahinter schlummerte, war nicht so groß wie der Mann, sehr klein - entschied sie. Aus verschiedenen Büchern wusste sie, dass die Gorillas die kleinsten Pimmel in der Affenwelt hatten. Die größten hatten die Schimpansen. Sie jagten, mordeten und vergewaltigten auch. Gorillas hatten so etwas nicht nötig. Sie machten sich
ihrem Harem nur selten streitig. Sanfte Riesen.
Sie legte sich zu ihm, schaute ihm in die Hoffnungslosen Augen und wusste nicht was sie anfangen sollte. Er drehte sie um, deckte sich und sie zu, dann schloss er sie in seine Arme, legte sein Gesicht in ihr warmes, feuchtes Haar und atmete tief. Er schlief ein.
Sie lag da, mit weit offenen Augen und fragte sich, ob sie jemals einen so seltsamen Kerl getroffen hatte?