Meine Lieben,
ihr habt ein paar Tage nix von mir gehört... aber eure Göttliche war doll beschäftigt bis über die diamantenen Ohrringe! Stellt euch vor, ich habe endlich! endlich! endlich! unseren Dachboden aufgeräumt. Und dabei fielen mir so viele Schriftstücke in die zarten French-Manicure-Hände, dass ich einfach dasitzen musste und lesenlesenlesen! Viel private Korrespondenz dabei, ihr könnt euch sicher vorstellen, wie viele gekrönte und geklonte Häupter derer von Botox und Klotox uns, vor allem Papachen und Mamachen, entzückende Billetter und Pastiches geschickt haben. Nahezu alle Geburtsanzeigen waren dabei, die von Hohenzollers Krüppel-Willi, Windsors Lisbett Number one, die mit dem jungfräulichen Ikeabett und ihrem Raleigh Walter sowie Drakens Franz, aber auch einfacher geklöppelter Adel.
Und zwischen denen war eine schnuckwuckige Anzeige, die ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte:
Unser Dölphchen ist da!
"Carl Philipp Freiherr Knigge und seine Gemahlin Louise Wilhelmine, Tochter des Kammerjunkers Friedrich Wilhelm Freiherr Knigge am Hofe zu Weimar, beehren sich anzuzeigen die Geburt ihres Sohnes Adolph Benimmdich Sitzgrade SprichnichtmitvollemMund, welcher am 16. Oktober 1752 um 16 Uhr auf Gut Bredenbeck das Licht dieser Welt in Gestalt einer Öllampe erblickte."
Die Eltern messen der Uhrzeit der Niederkunft besondere Bedeutung bei, zeigt sie doch, wie elegant und zuvorkommend bereits das
Neugeborene sich zu verhalten wusste. Louise Wilhelmine jedenfalls konnte nach kurzer Erholungspausewieder am freiherrlichen Fünfuhrtee teilnehmen!
Ich kann mich noch erinnern, dass Papachen dem stolzen Vater Carl Philipp damals 16 Kisten Trojanische Mädchentraube zukommen ließ , Mamachen dem freiherrlichen Säugling seidene Windeln mit eigenhändig handgerollten Säumen und der in reizendem Petitpoint ausgeführten Inschrift Semper aliquid haeret , was soviel heiß wie: Mutter muss immer nachwischen.
Zwischen beiden Elternpaaren entwickelte sich im Folgenden eine herzliche Freundschaft, und auch der kleine Adi und die kleine Cassy verbrachten manches Stündchen miteinander. Was soll ich aber groß drum herum dischkurieren- der Adi war ein grässlicher Junge, der mir IMMER das dickste Stück
Bobolade wegstibitzte und damit angab, dass er in Mathematik der Beste sei. Kunststück, wenn man der einzige Eleve ist, gell? Er hat ja in späteren Jahren Jura und Kameralistik studiert, das heißt, doppelte Buchführung und Insiderhandel und andere högscht spekulative Aktivitäten waren dem Freiherrchen nicht fremd, oh nein! (Er hat doch glatt mal die Chuzpe besessen, Papa einen Risikofonds anzubieten, mit dreihundert Prozent Rendite und einem Eipätt obendrauf! Papachen hat aber abgelehnt, er meinte, er verzocke sein Geld lieber auf der Rennbahn!)
Wo war ich? Ach ja, der Adi. Seine Eltern starben früh, er war noch in der Pubertät, und hinterließen ihm fette Schulden. Wohlmeinende Verwandte, darunter sein Vormund, ließen ihn aber studieren, und bald hatte AK seinen ersten Job, beim Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel, wo er sich ganz schön daneben benahm.
Er soll da eine freche Scharade mit einer Hofdame inszeniert haben, die halb nackt en société blamiert wurde, aber die hat ihn aus Rache dann dazu gezwungen, sie zu heiraten. Sie war zwanzig Jahre älter und 40 Kilo schwerer als er und roch durchdringend nach Mottenpulver. Das hatte er nun davon, der freizügige Freiherr aus Bredenbeck!
Auch in Weimar war er ein paar Monätli tätig, seine Saufgelage mit Herzog Carl August, Goethe und Schiller waren le-gen-där, der Weimarer Beobachter hatte extra einen Sonderkorrespondenten bei Hofe eingeschleust. Da der aber genau soff wie die Mischpoke des Herzogs, blieben die Skandalnachrichten zum Leidwesen der bürgerlichen Leserschaft in der Regel -hicks! - aus. Ein paar Jahre verdaddelte Knigge danach am Herrschaftlichen Hof des Erbprinzen und späteren Kurfürsten Wilhelm in Hanau, wo er schriftstellerte, und durchaus mit
kleinen Erfolgen offenbar ein recht angenehmes und vom Erbprinzen finanziertes Hofleben führte. Die typische Made im Speck. Da er aber ein frecher Hund war und seine Klappe nicht halten konnte, fiel er wegen verschiedener Vorfälle in Ungnade und musste fliehen. Über Adis Eskapaden hat Papachen nie viel erzählt, nur soviel, dass Adi bei der Herstellung und Verbreitung von allerhand Unrat beteiligt gewesen sein soll. Tout Troja munkelte auch von amourösen Fisternöllchen, die nicht ganz ohne Folgen- aber wer bin ich, darüber zu richten. Ich sage nur: Paris und Menels Schlampe, die Helene! Dä!
Auf jeden Fall trieb es AK die folgenden Jahre bis zu seinem frühen Ableben- er wurde nur 43 Jahre alt- durch halb Dschörmännie, bis er in Bremen (ausgerechnet!!!) hängen blieb. Dort hat er auch ein Theater unterstützt, wenn er mal ein Dublönchen de trop
hatte.
Adi Knigge war, wie ihr seht, ein umtriebiger Geselle; es gab kaum eine Loge, in der er keinen Platz gebucht hatte, und er liiiebte Baumärkte, denn er war Freimaurer- obwohl mir kein Mäuerchen je untergekommen ist- und er war ein Anhänger der fürchterlichen französischen Revolution, die den reizenden Schlosser Louis XVI auf die Guillotine gezerrt hat! Mamachen war wo-chen-lang nicht sie selbst, nachdem sie auf Arte+ die Dokumentation gesehen hatte, Live-Mitschnitte des Prozesses und die Anklage Fouquier-Tinvilles, ein widerwärtiges Frettchen, der den Kopf des Königs haben wollte. Auch ein gewisser Robbenpeter hat in diesen Tagen rumgezickt, muss ein hohes Tier bei den Jakobinern gewesen sein (Jakobiner sind Männer, die lange Hosen tragen, also Obacht!)
Diese politischen Präferenzen haben unseren Adi
aber nicht daran gehindert, ein heute noch vom Namen her bekanntes Werk zu verfassen: Über den Umgang mit Menschen. Es kam 1788 erstmals auf der Frankfurter Buchmesse unter die Leute und ist eine von den Idealen der Aufklärung geprägte Sammlung von „Umgangsregeln“. Ihr denkt jetzt, aha, kein Fisch mit dem Messer und der Herr geht immer außen und son Gedöns. Nee, nee, der Adi meinte das irjenswie filosofisch: „Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.“
Das ist doch mal ein Wort, newa? Wenn wir das
den Regierigen der Stadt und des Erdkreises auf den Unterarm tätowierten und die Dödel würden sich dran halten , das wäre doch mal ein Knällchen!
Ihr und ich, wir wissen es: „Der, welchen nicht die Natur schon mit dieser glücklichen Anlage hat geboren werden lassen, erwerbe sich Studium der Menschen, eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung, Gewalt über heftige Leidenschaften, Wachsamkeit auf sich selber und Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüts; und er wird sich jene Kunst zu eigen machen; doch hüte man sich, dieselbe zu verwechseln mit der schändlichen, niedrigen Gefälligkeit des verworfenen Sklaven, der sich von jedem mißbrauchen läßt, sich jedem preisgibt; um eine Mahlzeit zu gewinnen, dem Schurken huldigt, und um eine Bedienung zu erhalten, zum Unrechte schweigt, zum Betruge
die Hände bietet und die Dummheit vergöttert!“ Originalton Adi K.
Kann jemand von euch Arabisch, dass wir das mal der ISIS schicken? Vielleicht reicht schon Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüts in diesem Idiom?
Auf jeden Fall is aus dem kleinen Hosenscheißer von 1752 ganz nett wat geworden. Ja, man sollte öfter auf dem Dachboden in alten Kisten kramen. Findet sich immer das eine oder andere Bonbönsken...