der mensch und die arbeit
Immer schon, seit Anbeginn der Existenz des Menschen, geht er einer Beschäftigung nach. Wir erfahren darüber, wenn wir in ein Museum gehen und uns mit der Steinzeit oder auch späteren Kulturen beschäftigen. Früher diente diese Beschäftigung dem Nahrungserwerb, der Herstellung von Kleidung oder Alltags- und Gebrauchsgegenständen. Sicherlich tauschten die Menschen diese Dinge untereinander, aber alles blieb eine Beschäftigung, die dem Erhalt des
Lebens und Überlebens diente. Auch Hausbau, Kleiderherstellung etc. diente dem eigenen Überleben.
Irgendwann wuchs die Bevölkerung und der Einzelne war nicht mehr in der Lage, alles für das eigene Leben Notwendige selbst herzustellen und so kam es zu einem intensiven Warenaustausch. Dafür waren verschiedene Menschen in verschiedenen Zweigen notwendig. Und eine Art einfacher Handel entstand. Diejenigen, die etwas besser konnten, waren für andere beschäftigt. Und schließlich begann man, den ursprünglichen Tauschhandel mit Hilfe
von Geld abzuwickeln.
Aber in unserer modernen Zeit haben sich viele Dinge verschoben. Statt Beschäftigung heißt es heute Arbeit. Und Arbeit wird bezahlt. Dass Arbeit auch zur Ausbeutung benutzt wird, das scheint sich darauf zurückführen zu lassen, dass es inzwischen viele Reiche und viele ärmere Menschen gibt, dass die Gleichwertigkeit des Menschen verloren gegangen ist, die gleiche Wertigkeit auch von Arbeitsleistung und entsprechender Ausbildung. Es ist zu einem riesengroßen Gefälle gekommen. Es steht nicht mehr Arbeitskraft und ordentliche Entlohnung im Mittelpunkt
des Denkens, sondern nur noch billig, billig, billig und die eigene Bereicherung, auf welchem Wege auch immer. Dabei bleibt die Wertschätzung der Arbeit auf der Strecke.
Besonders bewusst wird mir das immer wieder gemacht, wenn es heißt, dass ältere Arbeitnehmer keinen Arbeitsplatz mehr bekommen oder vielmehr einen Job, wie es neudeutsch heißt. Und viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Was mich dabei immer besonders entsetzt, ist die Tatsache, wie viele Menschen es gibt, die gesund sind, zwar keine oder kaum eine Ausbildung haben und sich ins soziale Netz fallen lassen.
Eine größere Anzahl von ihnen rauchen, trinken, leben ihren Kindern dieses vor. Und schließlich kommt es so weit, dass sie in Kreise abdriften, die nicht mehr ganz der Legalität entsprechen. Sie wissen häufig nichts mehr mit sich und ihrer Zeit anzufangen und argumentieren, dass sie nicht arbeiten wollen, weil sie mehr Geld durch die Stütze haben als durch Arbeit zu verdienen ist.
„DIE POLITIK WIRD’S SCHON RICHTEN!“
Dass in diesem Fall die Politik auch gefragt ist, möchte ich nicht außen vor
lassen. Meine Betrachtungen gehen aber in eine andere Richtung. Wenn Mensch verfrüht aus dem Arbeitsleben ausscheidet, durch eigene Entscheidung, aus gesundheitlichen Gründen, aus betrieblichen Gründen, was dann? Die einen haben schon immer ein interessantes Hobby gepflegt, die anderen entdecken plötzlich einen Garten für sich oder ein Ehrenamt, sehr viele aber fallen in ein tiefes Loch, werden krank und landen vielleicht sogar in der Psychiatrie. Viele glauben, nichts mehr wert zu sein, nicht mehr am Leben teilnehmen zu können, nicht mehr vollwertig Mann oder Frau zu sein. Sie haben lebenslang nur geschuftet, nur für
andere geschunden, nie etwas für sich getan, nie Ruhe gekannt. Was bleibt, ist einfach Frust.
Da kommt mir Paul Kellers Roman „Ferien vom Ich“ in Erinnerung, jenes Kapitel, in welchem er über die Arbeit philosophiert. Ich habe mir damals den Abschnitt herausgeschrieben und finde ihn heute genauso passend wie damals, als ich dieses Buch las. Ich zitiere:
„Das ist doch ein kostbares Geschenk, das der Herrgott seinen Erdenkindern macht: die Arbeit.
Hast du ein Leid im Herzen, das nicht
heilen will, das dir den Tag grau färbt und deine Nächte qualvoll macht, geh zur Arbeit, zu der herben, tüchtigen Frau, sie wird dich mit so klaren Augen anschauen, mit so morgenheller Stimme zu dir sprechen, dass du das Haupt hochheben und tief atmend einen frischen Luftstrom des Lebens einsaugen wirst;
bist du einem Irrlicht nachgegangen und auf sumpfigem Pfad von Schlingpflanzen tiefer Verzagtheit umschlungen worden, rufe die Arbeit, die tüchtige Frau, sie wird dich mit derber Hand herausziehen aus deiner Bedrängnis und dich wieder auf eine
feste Straße stellen;
hast du Güter verloren, welcher Art es auch immer sei, wende dich an die Arbeit, die reiche Frau, die leere Taschen und leere Herzen immer neu zu füllen vermag;
sind dir alle Unterhalterinnen des Lebens überdrüssig geworden, lass die Arbeit an deinem Tisch sitzen bis zum letzten Tag deiner Kraft.“
Haben wir Arbeit noch schätzen gelernt im Zuge von Job, Multitasking, steter Bereitschaft, dauernder Belastung? Arbeit muss man als Kind schätzen lernen, die Arbeit mit den Händen, auch
mal die Arbeit mit dem Kopf beim Lösen von Problemen, die Beschäftigung mit Dingen, die nicht immer sinnvoll sein müssen. Haben wir auch gleichzeitig das Sich-langweilen gelernt, das bewusste Nichtstun, das dann der Erholung dient? Wie soll ein Kind das lernen, wenn es vom Aufstehen weg bis zum Bettgehen bespaßt, berieselt und medial bearbeitet wird?
Sicher, es gibt Ausnahmen. Zum Glück. Aber diese Kinder bekommen auch etwas anderes vorgelebt und wachsen deshalb in eine andere Einstellung hinein. Ich habe berufsbedingt über viele Jahre Kinder kennengelernt, die
durch die Arbeit auf dem Bauernhof körperlich fit und geistig auf der Höhe waren und gute schulische Leistungen erbrachten. Durch diese Kenntnisse und durch Einblicke in außergewöhnliche Erziehungsmaßnahmen, die sich an Arbeit orientieren, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass hier ein großer Mangel vorliegt. Ob dieser Mangel über Politik und Sozialarbeit ausgeglichen werden kann, weiß ich nicht. Ich weiß nur eines, dass Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur menschlichen Zufriedenheit beiträgt, auch Arbeit, die ehrenamtlich ausgeführt wird. Es wird Zeit, dass Arbeit wieder eine hohe Wertschätzung
bekommt. Vielleicht sogar auch bei weniger oder ohne Bezahlung. Vielleicht sogar als Tauschwährung? Vielleicht als selbstverständliche Nachbarschaftshilfe? Vielleicht weil es gerade hier ein riesiges Feld gibt, das innerhalb eines Gemeinwesens beackert werden könnte.
Die Zukunft wird zeigen, ob wir diesen Wertewandel schaffen und der Arbeit wieder würdig sind beziehungsweise Arbeit wieder im richtigen Rahmen zu werten in der Lage sind.
© HeiO 15-10-2014