bücherverbrennung
GIBT ES DAS WIRKLICH?
Bei meinem letzten Lieblingsspaziergang zu unserem kleinen Biotop auf der alten Sanddüne muss ich die Eisenbahnlinie unterqueren. Das Eichenwäldchen, das mit Kleingärten durchsetzt ist, wird von dieser Bahnlinie durchschnitten. Gleich hinter der Brücke geht es dann langsam in die alte Sanddüne über. Ein Abwasserkanal zieht sich hindurch. Die großen, gusseisernen Deckel zeigen seinen Verlauf. Auf einem, dem Weg nahegelegenen Deckel ein schwarzer Brandfleck und viele Papierfetzen. Beim
Näherkommen entpuppen sich die Fetzen als verkohlte beziehungsweise angebrannte Seiten von Büchern. Selbst angeschmorte Buchdeckel sind noch zu erkennen.
„Umweltfrevel ist das. Wer macht denn so etwas?“ Das ist mein erster Gedanke. Wenn das Feuer größer geworden wäre, nicht auszudenken. Aber meine Neugier ist geweckt und ich sehe beim Herangehen Bilder aus dem Film Fahrenheit 451 vor mir. Welche Menschen von heute verbrennen schon Bücher? Wer kommt da überhaupt in Frage und noch dazu an diesem Ort?
Weitere Szenen aus dem Film spulen sich vor meinem inneren Auge ab. Ein gruseliges Szenario … und so dicht vor meiner Haustür! Dann bücke ich mich, um den Bucheinband eines der Bücher, das nur wenig beschädigt zu sein scheint, in Augenschein zu nehmen.
Eine fantasievolle Zeichnung einer Prinzessin ziert den Umschlag und der Titel verrät, dass es sich um ein Märchenbuch handelt. Wer, verdammt nochmal, verbrennt schon Märchenbücher? Ich habe zum Glück eine kleine Tasche dabei und sacke das leicht verkohlte und recht feuchte Exemplar ein. Schnell nach Hause damit.
Ich will doch mehr wissen.
Zuhause beginnt ein kleines Abenteuer. Nachdem der Einband von seinen gröbsten Verschmutzungen befreit ist, kommt ein wunderschönes Märchenbuch zum Vorschein. Die ersten Seiten tragen schwerere Verbrennungen, der Text ist nur noch teilweise lesbar. Trotzdem versuche ich, möglichst viele Seiten mühsam von den verkohlten Papierresten zu befreien. Es ist schwer, weil alles feucht ist. Dann fällt mir ein, dass noch mindestens zwei oder drei weitere Exemplare des gleichen Buches dort liegen. Sie schienen mir stärker beschädigt zu sein, doch ich fuhr
umgehend noch einmal zu der Verbrennungsstelle. Wieder drängen sich mir Bilder aus Fahrenheit 451 auf. Dann entdecke ich noch ein Buch, das sehr starke Beschädigungen am Bucheinband aufweist, aber die Seiten sind kaum verbrannt. Schnell einpacken und nichts wie heim. Hoffentlich hat mich niemand beobachtet. Wie ein Dieb komme ich mir vor, wie jemand, der großes Unrecht tut!
Als ich unbehelligt mit meiner Beute nach Hause komme und gleich das Buch ausbreite und aufschlage, kommt es zu einer interessanten Entdeckung. Das Buch stammt aus dem Jahr 1966.
Verfasserin und Illustratorin ist eine Eleonora Sachs. Im Vorwort schreibt sie, dass es dieses Buch nur einmal geben wird, dass sie mit einem Mitarbeiter diese Märchen für ihre Töchter erdacht und mit Zeichnungen ausgeschmückt hat und dass es sich diesmal nicht um Technik handelt. Und weiter schreibt sie, dass dieses Buch aus dem Hause Fichtel & Sachs als Geschenk für die Kinder der Firmenmitarbeiter verteilt werden soll. Weiterhin hofft sie, dass die Kinder viel Freude an diesen Märchen haben werden.
Noch habe ich die Märchen nicht gelesen, aber die Neugier ist erwacht,
mehr über dieses Buch und seine Autorin zu erfahren.
Was mich noch mehr plagt, ist die Frage: Wer hat diese Bücher gleich in mehreren Exemplaren besessen und wer kommt auf die Idee, diese Bücher hier im Wald zu verbrennen und warum.
Rätsel 1: die Autorin, ist gelöst:
Die 2. Ehefrau von Ernst Wilhelm Sachs, Eleonora geborene Vollweiler, hat diese Märchen für ihre drei Töchter geschrieben und illustriert. Das © liegt seit 1966 bei der Firma Fichtel & Sachs in Schweinfurt. Letzteres steht noch im
Buch.
Rätsel 2: die Bücherverbrenner.
Das wird sich wohl nie lösen lassen. Ich vermute, dass es junge Burschen waren, die in ihrem Übermut nichts Vernünftiges mit sich anzufangen wussten und dann eben zum Feuerzeug griffen. Wie aber kamen sie an diese Bücher?
©HeiO 1210-2014