Beschreibung
"Das Sterben ist ein Witz im Gegensatz zu dem, was wir tun!", hauchte die schwarze Gestalt ihr ins Ohr und Shai zitterte vor Angst. "Das... Sterben?", wiederholte sie stotternd, doch ihr antwortete nur Kälte und erbarmungslose Leere. Doch plötzlich hörte sie die Stimme erneut, wie aus weiter Ferne jedoch. "Ja, das Sterben! Du bist unwissend mein Kind, komm mit mir und lerne... oder gehe zurück und sterbe!"...
Oh, hätte ich doch nur das Sterben gewählt...
Prolog
Prolog Es war ein gewöhnlicher Tag, so gewöhnlich, wie jeder andere auch. Mit jeder Stunde die verging wanderte die Sonne höher und höher, bis sie um die Mittagszeit hoch am Himmel stand und erbarmungslos auf das Dörfchen Avion hinab brannte. Das Dorf Avion konnte man noch nicht einmal mehr ein „Dorf“ nenne, denn es maß gerade einmal eine Hand voll Einwohner und man kannte sich untereinander. Avion lag in etwa dort, wo heute Frankreich ist. Wo genau weiß man nicht mehr zu sagen… Obwohl es bereits auf die Herbstzeit zuging war es stickig und warm in den Lehmhäusern der Stadt. Der Marktplatz schien recht gut besucht und einige wenige Händler priesen ihre schmächtige Ware an. Doch unser Augenmerk gilt einem Bauernhof nicht weit von besagtem Markt entfernt. Schon aus der Ferne waren die Stimmen zweier streitender Kinder unüberhörbar. Ein Mädchen von etwa sechs und ein Junge von etwa sieben Jahren schubsten sich gegenseitig über den brach liegenden Acker, den es zu bestellen galt. Das Mädchen war groß und kräftig für ihr Alter, der Junge eher schmächtig und klein. Wütend stieß die braun Gelockte den Jungen in die weiche, zerfurchte Erde, die wenige Stunden zuvor von dem Vater der beiden mühsam aufgerissen geworden war. „Du Idiot, wie konntest du nur!“, brüllte das Mädchen, während ihr Bruder ängstlich in das vor Wut verzerrte Gesicht seiner jüngeren Schwester aufblickte. Es schien als hätte er etwas unwiderruflich Schlimmes verbrochen, doch im nächsten Moment erschallte eine andere Stimme – offensichtlich die des Vaters. „Kinder, kommt rein, es gibt Essen!“, rief der erschöpft klingende Mann und winkte von der Haustür aus zu den beiden Kindern hinüber. Sich brüsk umdrehend stapfte das Mädchen von dannen und streifte sich artig vor der Haustür die Schuhe ab, während der Bruder ihr hastig stolpernd folgte. Offensichtlich hatte der Vater der beiden nichts von den Streitereien gemerkt, die draußen von statten gegangen waren, doch immer noch warfen die beiden Kinder sich gegenseitig böse Blicke zu. Während sie aßen schwiegen sie, bis auf das eine Mal, als der groß gewachsene, hagere Mann fragte, weshalb die Hose des Jungen so verdreckt sei. Daraufhin blickte der Siebenjährige betreten und schweigend auf seinen Teller und löffelte hastig seine Suppe aus, ehe er in sein Zimmer verschwand, das er sich mit seiner Schwester teilen musste. Fragend blickte der Vater seine Tochter an, doch diese zuckte nur ignorant mit den Schultern, brachte ihren Teller in die Küche und verschwand ebenfalls nach oben…„Na, warste wieder zu feige Paps zu erzählen was passiert ist?“, fragte sie höhnisch lachend und wirkte dabei um einiges älter als sie war – und vor allem viel älter als ihr Bruder. „Hmm…“, nuschelte ihr Bruder und vergrub sich unter der groben Decke seines Bettes. „Hey, heulst du etwa?“, fragte das Mädchen überrascht, als sie ein Schluchzen hörte. Es war nichts Aufmunterndes in ihrem Ton, eher klang es abfälliger als vielleicht gewollt. Ein anderes Geräusch hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, nämlich ein Klopfen an der Haustür. Als keine Antwort seitens des Jungen kam rollte das Mädchen genervt mit den Augen und tapste wieder hinab, als sie plötzlich Stimmen aus dem Flur hörte: „Seit ihre Mutter gestorben ist wirkt sie total verändert. Sie beleidigt andere und arbeitet viel, aber sie grenzt sich komplett von ihrem Bruder und mir ab, genauso wie von den anderen Kindern in ihrem Alter…“, sagte der Vater in verschwörerischen Ton und sofort wurde dem Mädchen bewusst, um wen es ging. Hastig presste sie sich an die Wand und schluckte trocken. „Seit ihr euch sicher, dass es hier wirklich um die kleine Shai geht?“, hörte sie eine weitere Stimme sagen. Sie klang weicher als die des Vaters und sie wusste, dass es sich um den Pfarrer handelte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, denn der Pfarrer besuchte Haushalte nur bei ernsthaften Schwierigkeiten und Problemen. „Ich selbst hab davon kaum etwas gemerkt, ich muss soviel arbeiten…“, seufzte der Vater und urplötzlich wandelte sich Shais Mimik ins Überraschte. „Ihr Bruder hat mir davon erzählt“, endete er seinen Satz und sofort ballten sich Shais Hände zu kleinen Fäusten, deren Knöchel sich schnell weiß verfärbten. Unsanft presste sie die Zähne aufeinander und hätte ihre Fäuste am liebsten auf ihren bescheuerten Bruder niederfahren lassen… „Deshalb möchte ich sie in ein Kloster geben, damit sie über ihre Sünden nachdenken kann“. Mit polternden Schritten lief sie die Treppe hoch und gab sich dabei keinesfalls länger die Mühe leise zu sein. Erst als sie auf dem obersten Treppenansatz angelangt war stiegen ihr die Tränen in die Augen und sie schluchzte vor Hass, vor Wut und vielleicht sogar vor Angst. Angst davor wieder in die Kirche gehen zu müssen. Ihr wurde schwarz vor Augen, dann sah sie sich auf einen steinigen Berg steigen, umgeben von Schwärze. Ihre Augen hefteten auf einer großen Kathedrale, die ganz oben auf besagtem Berg stand und deren Glocken klangen. Es schien als würde der Klang sie rufen, sodass sie kam und sich zu den großen, goldenen Geräuschverursachern gesellte. Obwohl sie nicht wollte, stand sie plötzlich im Eingang der Kirche und ihr starrte ein grausiges Bild entgegen. Hände und Füße mit Nägeln durchbohrt und in Holz geschlagen, das Gesicht ergeben gesenkt, beinahe unterwürfig. Und das sollte ein Vorbild sein? Sich unterwerfen? Sich töten lassen, für den eigenen Gott? Plötzlich wachte sie aus dem eigenen Tagtraum auf, sah ein unterwürfiges Gesicht vor sich, das gesenkt war. Überall waren rote Flecken zu sehen, Kratzspuren von Fingernägeln… Die Augen des Gesichtes waren halb geschlossen. Der Blick unterwerfend und es schien als hätte die Person schon lange Zeit zuvor den Kampf aufgegeben und die Waffen nieder gelegt.Den Kampf gegen die eigene Schwester.