Henry Wolff Ein Zauberlehrling in Nöten Der Hexenwald Leseprobe Part I – Alltägliche Sorgen Version
1.00 ca. 000 Taschenbuchseiten bei 31 Zeilen 000 Wörter Altersempfehlung: ab 6 Jahren Belletristik: Kinderbuch,Jugendliteratur Genre: Fantasy, Abenteuer, Magie Teil der Reihe: Ein Zauberlehrling in Nöten Meta: Abenteuer, Zauberei, Tiere, Kinder, Tränke, Lehrling, Schule, Lehrer, Hexe, Zauberwald, Schulstress, Mobbing, Eltern, Erziehung, Humor,
Wicht © 2014 by Henry Wolff Illustration by Henry Wolff
Marik hat es wirklich nicht leicht. Erst schicken ihn seine Eltern auf eine Zauberschule, um vor den Nachbarn anzugeben. Schule! Lernen! Dies ist nicht unbedingt Mariks Ding. Dann stellt sich zu allem Überfluss noch heraus, dass die Schule eigentlich gar keine ist. Denn dort wird mehr gearbeitet als gelernt. Zudem versuchen nervige Mitschüler ständig, ihm den Tag zu verleiden und jede Freude in die Flucht zu schlagen. Und dabei ist es Mariks Lieblingsbeschäftigung, mit vollem
Magen auf dem Rücken liegend in die Sonne zu blinzeln.
Aber das Leben ist nicht so nett. Ständig verstrickt es Marik in Ereignisse und treibt ihn vor sich her. Nur gut, dass er wenigstens ein bisschen Hilfe hat.
Luis Noch ein Stück? Hm? Na klar, ein Stück noch. Wer hart arbeitete, musste auch gut essen. Fällt ja auch nicht weiter auf. Schließlich war der Käse groß genug. Aah, lecker! Mariks Kopf wurde hochrot. Das war Anstrengung pur! Sein Mund war übervoll, die Backen aufgebläht. Kaum noch Platz für Luft zum Atmen. Noch ein Stück? Hm? Na gut. Aber nur eins. Was sein musste, musste sein. Bedächtig drückte der Halbwüchsige die feuchte klebrige Masse in seinem Mund ein wenig nach hinten. Kaum geschehen,
wurde der jetzt freie Platz davor schnell wieder aufgefüllt. Geschafft! Jetzt noch die krümeligen Ränder vom stattlichen Käserad ein wenig glätten! Das war's. Keiner würde etwas merken. Und wenn doch, war da ja noch die Katze, der man die Schuld zuschieben konnte. Damit kannte sich das Pelzknäuel schon aus, war es doch nicht das erste Mal. Und wenn dies nichts half, dann müssten wohl ein paar Mäuse ein Alibi liefern. Verflixt noch eins, wie war bloß noch der Spruch für diese Nager? Seufzend schluckte Marik den Rest der Delikatesse herunter und wandte sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe
zu. Hausaufgaben waren angesagt. Ein Graus! Mit dem „Merken“ war das nämlich so eine Sache. Rein und am besten gleich wieder raus, das war Mariks bevorzugtes Lernsystem. Es war nicht so, dass er faul war. Das nicht. Aber die Worte wollten immer nur so schwer haften bleiben. Und Zaubersprüche erst recht! Gesprochen in dieser merkwürdigen Sprache, ja, die waren noch schlimmer. Es waren vollkommen fremde Töne, kompliziert und holprig. Zungenbrecher allesamt. Aber da musste er wohl durch. Wenn er den heutigen Spruch nicht auf die Reihe kriegte, dann war Strafarbeit angesagt.
Vielleicht sogar Hiebe. Luis würde sich freuen. Marik zu verdreschen, war nämlich eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Luis war der Einzige, der von den rund zwanzig Lehrlingen in den Sommerferien hiergeblieben war. Leider war er der Schlimmste. Wenngleich die anderen auch nicht ohne waren. Es kam eben immer alles darauf an, wie Brogomir so drauf war. Also gut. Mit verkniffenem Gesicht nuschelte Marik seinen gerade erlernten Spruch herunter. Dazu den Zauberstab elegant geschwenkt, hui. Flop, eine matschige grüne Masse klatschte auf den wackligen Küchentisch
und begann sofort in sich zu zerfließen. Hm, nicht ganz das, was es sein sollte. Ein Frosch war eigentlich angedacht. So mit allem Drum und Dran. Zappelnd, hüpfend, quakend. Naja, das war wohl nichts. Wieder einmal. Marik seufzte enttäuscht und stopfte sich doch noch ein weiteres Stück Käse in den Rachen. Außer der Reihe. Als Medizin gegen Depressionen, gewissermaßen. Lag es etwa an diesem ominösen Zauberstab? Er war zwar für gebraucht gekauft, aber immerhin zweite Wahl und sollte über jeden Zweifel erhaben sein. So jedenfalls laberte der Verkäufer. Nun ja, die Wirklichkeit sah ein wenig anders
aus. Der Stab war windschief und hier und da ein wenig eingerissen. Auch gab es noch so manche Stelle, an der ein wenig moosgrüne Rinde ihr Dasein fristete. Ach ja, ein paar klitzekleine Zweiglein lugten auch noch hervor. So als wollten sie jeden Moment weiterwachsen. Hatte der Verkäufer etwa gelogen? Egal, wie dem auch sei. Dieses „Vielleicht und Ob“! Solche Gedanken nützten ihm jetzt nichts. Eventuell konnte er ja bei Gelegenheit einen Blick in Brogomirs Schatzkammer werfen. Naja, etwas mehr als nur einen Blick. Jede Menge Kostbarkeiten stapelten sich dort zuhauf. Von Wert oder auch ohne.
Und mit manchen Dingen konnte nur ein Kind etwas anfangen. Also gut. Der Spruch war jetzt wichtiger. Alles zu seiner Zeit. Marik schwenkte den Zauberstab. Und schwups, war das grüne Etwas weg. Im Verschwindenlassen war er große Klasse. Schon von Anfang an. Klassenbester gewissermaßen. Ob klein oder groß, ob schlank oder breit. Etwas wegzuzaubern war kein Problem. Egal in welcher Größe oder Form. Nur bei einer Sache musste Marik aufpassen. Dass er nämlich nicht zu viel wegzauberte. Einmal hatte er gleich zwei Klassenkameraden mit ins Nichts geschickt. Oh je, gab das ein Theater.
Geschlagene vier Tage dauerte es, bis man die beiden wiederfand. Und noch einmal zwei Tage, bis man sie aus dem Nichts herausgezehrt hatte. Abgemagert waren die beiden und ganz zerzaust. Und wütend! Oh je. Gab es überhaupt im Nichts Wasser und feste Nahrung? Konnte man an diesem Ort überhaupt richtig schlafen? Marik entschloss sich lieber für das Laufen als für das Fragen. Denn die beiden waren schnell, oh ja. Aber er war schneller. Zum Glück. Bei dem, was er alles so anstellte, hatte Marik schon frühzeitig gelernt, mit seinen dürren Beinen schneller zu spurten, als andere. Also, der Spruch! Oder noch ein
bisschen Käse? Nein, erst der Spruch! Verzweifelt lugte Marik auf seinen Spickzettel. Verstohlen, wie unabsichtlich. Ganz so wie bei einem Test, bei dem man mogelt. Der Spruch! Also gut, diesmal bitte ohne Nuscheln. Marik schloss die Augen, schwenkte den Stab und brabbelte die Worte. O je, da war doch wieder ein Hacker drin! Vorsichtig öffnete der Bub die Augen. Erst zu einem schmalen Schlitz, dann etwas weiter. Riesengroß wurden sie dann ganz automatisch. Das, was da auf dem Tisch hockte, sah schon mehr nach einem Frosch aus. Oder auch nicht. Der Körper, na ja, den
konnte man anbieten. Allerdings fehlten zwei Beine. Und die beiden Augen saßen auf den Vorderfüßen, direkt über den Schwimmhäuten. Und die Farbe! Sahen Frösche eigentlich lila aus? Und quaken tat das Vieh auch nicht. Es war eigentlich mehr ein Zischen, ganz so wie das eine Schlange. Oh je, oh je, wieder nichts! Die Zeit lief Marik davon. Der Bub hörte das Unheil schon rumoren. Bald würde Brogomir von Attenstedt herunterkommen und sich seine tägliche Nachmittagsstulle schmieren. Natürlich mit Käse, was denn sonst. Marik bekam einen Schweißausbruch. Das lila Vieh musste weg. Und zwar
plötzlich! Und diesen vermaledeiten Spruch musste er endlich auf die Reihe bekommen. Wenn doch nur die Worte haften bleiben würden! Es gab da eine Hexe im Wald, bei der man Gehirnschmalz kaufen konnte. Aber dafür war es jetzt zu spät. Leider! Marik seufzte bekümmert. Vielleicht doch noch etwas Käse? Als geistige Nahrung gewissermaßen? Klar doch! Schaden konnte es nicht. Mariks Stimmung stieg wieder ein wenig. Hastig würgte der Zauberlehrling ein besonderes leckeres Stück herunter. Groß war es. Viel zu groß. So kam, was die ganze Zeit schon in der Luft lag.
Marik bekam einen Erstickungsanfall. Krampfartige Stöße und Zuckungen suchten den spacken Knabenkörper heim. Luft oder Käse, das war hier die Frage. Und zum Glück gab Letzterer schließlich seinen Widerstand auf. Ein Teil des großen Stücks eroberte die Tiefen des Magens. Der Rest zerbröselte. Und schoss vom Husten getrieben als Streufeuer in die Küche. Oh je, oh je. Da würde Ina aber meckern. Ina, das war die Tochter eines Bauern aus der näheren Umgebung. Ein Jahr älter als er und arm wie eine Kirchenmaus. Genauso wie ihre Eltern. Die hatten umständehalber Schulden
gemacht. Oder besser gesagt, sie mussten es. Schlechterdings bei Brogomir von Attenstedt. Und wie das mit den Schulden meistens so ist, vermehrten sie sich eher, als dass sie ausstarben. So wurde Ina eben kurzerhand als gute Fee im Kampf gegen Hausstaub und Unordnung verpflichtet. Eine Arbeit für viele Stunden am Tag, die sie mehr als nur gut ableistete. Wenngleich auch unter vielen Seufzern. Sie bewohnte eine der klitzekleinen Kammern unter dem Dach, zusammen mit der Hauseule. Jeden Abend klagten die beiden sich ihr Leid. Genau um die Zeit, wenn der Tag sich verabschiedet und die Nacht die große Bühne betritt.
Dann ging die eine schlafen, während die andere sich aufmachte, um einsame Wanderer zu erschrecken. Und nun diese Sauerei! Den ganzen Mist selbst zu säubern, da würde Mariks Zeit wohl nicht mehr ausreichen. Die Käsekrümel waren ganz einfach zu großflächig verteilt. Unter jedem Schrank lugte einer hervor, aus jeder Ecke winkte ein anderer. Es machte Marik traurig, Ina zusätzliche Arbeit zu verschaffen. Denn eigentlich hatte er diesen quirligen Wirbelwind recht gern. Aber sein Wohl war jetzt wichtiger. Also durfte er wohl ein oder zwei Ohrfeigen von Ina
erwarten. Naja, daran war er gewohnt. Hatte Marik doch schon fast eine Hornhaut auf beiden Wangen. Schlug ihn hier eigentlich jeder? Hm, gute Frage. Aber erst einmal zurück zum Geschäft. Das lila Vieh musste weg. Gesagt, getan. Wirklich gut. Eigentlich könnte man die Krümel ja auch wegzaubern. Ein Versuch wäre es wert. Wenn nicht dabei immer gleich so viele andere Dinge mit verschwinden würden! Marik seufzte. Er schloss die Augen und hob dieses merkwürdige Teil, das den Namen Zauberstab trug. Weg war das
Vieh. Auf ein Neues! Den Mund rund, die Zunge konzentriert gewölbt. Und siehe da, diesmal klappte es besser. Etwas schwarz-weißes erschien in einem Lichtball. Augen, Mund und Beine, alles wohl es hingehörte. Na also, ging doch. Das Vieh öffnete die Augen, rollte sich einmal um die eigene Achse und machte muh. Naja, doch nicht ganz so perfekt. Inzwischen hatte der Kuhfrosch sein Maul geöffnet und stieß eine drei Meter lange Zunge hervor. Und holte sich einen der vielen Käsekrümel, die den Boden bedeckten. Aber Hallo! Dann noch einen. Und schließlich noch einen.
Na also, ein bisschen Glück brauchte ein jeder. Weg war letztlich weg. Marik hob das eine Bein, dann das andere. Ein verkorkster Schuhplattler war es nur, aber ein Tanz der Freude. Wie schon erwähnt, an Mäuse hatte er auch schon gedacht, um die ganze Schweinerei zu beseitigen. Die hatte er bereits etwas länger in seinem Programm. Doch auch sie waren nicht perfekt, aber was war das schon. Nun also ein halber Frosch, wer hätte das gedacht. Aber so ging es ja auch. Ein wenig Glück zur rechten Zeit, vertrieb des Zauberers Schmerz und Traurigkeit. Oder so ähnlich. Marik grinste
versonnen. Aber dann schaute er verblüfft. Und zum Schluss schrie er gequält. Denn zwei Doppelwatschen landeten in seinem Gesicht. Luis! Entsetzt sah der Zauberlehrling in das Gesicht des Oberfieslings. Brogomirs rechte Hand. Und die größte Nervensäge unter den etwa zwanzig Schülern. Marik konnte gerade noch etwas japsen, da kam schon etwas Dunkles auf seine Nase zu und brachte sie zum Bluten. „Meister“, rief quäkend eine Stimme. „Meister, kommt schnell! Ich hab ihn erwischt!“ Von oben war ein unwilliges Schnaufen zu
hören. Luis packte derweil seinen Klassenkameraden an der Kehle. Ein Bein stellen, den Körper niederdrücken und sich darauf setzen, war eins. „Meister! Ich hatte recht! Kommt schnell! Er ist der Dieb!“ Im Obergeschoss rumorte es stärker. Kurz darauf klappte eine Tür. Marik drehte sich verzweifelt unter dem Gewicht des Älteren. Oben tapsten Schritte hin zur Treppe. Er kam wirklich. Brogomir von Attenstedt. Leiter und unumschränkter Herrscher dieser provisorischen Zauberschule. Einige böse Zungen behaupteten, dass „von“ sei nur geborgt.
Und eigentlich wäre der wahre Name Rattenstadt. Es war wohl die Scham, welche den Zauberer veranlasst haben soll, diesen Namen in Attenstedt zu ändern. Und dieses „von“, natürlich, um sich wichtiger zu machen. War er doch letztlich nur ein Zauberer dritter Klasse. Wohl wahr, einige Sachen beherrschte Brogomir ganz gut. Aber andere, herrje. Deshalb studierte hier auch nicht die Elite. Sondern nur Kinder aus Familien, die mit ihrem Nachwuchs ein wenig angeben wollten. Und natürlich das nötige Kleingeld hatten. Denn eigentlich war diese Schule keine Schule. Sondern eher ein riesiger
verkommener Gutshof, auf dem ein jeder mit anpacken musste. So kamen die Hausaufgaben regelmäßig zu kurz. Was wieder auch sein Gutes hatte. Und eigentlich war Brogomir kein Lehrer. Sondern nur ein schlechter Zauberer mit einigem Besitz, der so gut wie immer pleite war. Aber eins konnte der alte Schlawiner ausgezeichnet. Er konnte nämlich blenden. Blenden mit seiner vornehmen und gepflegten Erscheinung. Und so zog der alte Knabe von Tür zu Tür. Natürlich nur bei betuchten Bürgern mit strubbeligen Kindern. Und den besonders Naiven unter ihnen redete er
ein, dass sie ganz dringend einen Zauberer zur Ausbildung in ihrer Familie nötig hätten. Denn Geld brauchte er. Je mehr, desto besser. Schüler brauchte er eigentlich gar nicht. Wollte er eigentlich auch nicht. Denn Brogomir hasste Kinder. Manchmal so stark, dass er von ihnen Ausschlag bekam. So hielt er sich meistens zurück und ließ seine Ordnungstruppe mit Luis als Anführer gewähren. Seine Vorträge, meistens sehr kurz, hielt er mit einigem Abstand hinter einem hüfthohen Sicherheitszaun. Um gar keine Annäherung erst zuzulassen, bestanden die Latten gleich aus lebenden
Schlangen. Und die waren so grimmig, dass sie alles bissen, was ihnen in die Quere kam. Brogomir liebte die Ruhe und die Bequemlichkeit. Auch sein Ansehen pflegte er. Ebenso sein Hab und Gut. Und war auch nur irgendetwas davon in Gefahr, dann zog ein Unwetter herauf. Schreie, Schläge und anderweitige Bestrafungen, so sah das dann aus. Und genau dieser Brogomir kam jetzt die Treppe herunter und auf ihn zu. Zu Mariks Leidwesen war der Zauberer im Bestrafen ausgesprochen gut und fantasievoll. Was würde es heute sein? Etwa ein Wurm, den man in den Hühnerhof
schmiss? Ein Fisch an der Angel? Oder etwa ... Weiter kam Marik nicht. Denn Luis verdrehte ihm den Kopf mit Gewalt und beugte sich herab. Der Kerl öffnete den Mund und ließ etwas Spucke sehen. Flugs zog er den Speichel wieder zurück und vermehrte ihn. So ging das eine ganze Zeit lang hin und her, bis Luis genügend beisammenhatte und aus der Drohung Gewissheit wurde. Denn langsam löste sich das weiße Etwas von seinem Mund und suchte sich den Weg in Mariks Gesicht. Luis strahlte, während sich sein Opfer vor Ekel wand. Der Schleim wurde noch ein wenig breit gewischt, bis die Haut
frisch und rosig erstrahlte. Marik konnte es nicht verhindern. Dann erhob sich Luis und zog den Zauberlehrling gleich mit in die Höhe. Er packte Mariks Hinterkopf und drückte ihn in den Käse. Jetzt war Luis zufrieden, das sah man ganz deutlich. Das Werk war getan. Und keinen Moment zu früh. Denn schon stand Brogomir in der Tür. Hatte er vorher vielleicht geplant zu fragen, was hier eigentlich los sei, so verschob er diese Worte auf morgen. Spätestens, als er das käseverschmierte Gesicht Mariks sah. „Duuuuu!“ Sehr aussagekräftig, gewiss. Aber
eigentlich musste er auch nicht mehr sagen. Denn jeder hier im Raum wusste schließlich, worum es ging. „Du also! Endlich ist der Dieb gefasst. Dachte schon, ich sei es selber im Schlaf. Da hast du uns aber lange ausgetrickst, Bürschchen! Aber nun ist Schluss! Und? Was heißt das, Luis?“ „Bestrafung heißt das“, schleimte seine rechte Hand. „Richtig, Bestrafung. Das Wasserglas, wenn ich bitten darf!“ „Sofort, Meister“, keuchte Luis vor Begeisterung. Er rannte zu einem alleinstehenden Schrank in der Ecke und kramte darin herum. Viele gar merkwürdige Sachen
wurden in ihm aufbewahrt. Aber der Fiesling brauchte nicht lange suchen. Denn dieses Utensil fand öfters Verwendung und stand gleich vorne. Triumphierend hielt Luis das Glas samt Deckel in die Höhe. Dann rannte er zur Küchenpumpe und füllte es mit Wasser. Marik wurde blass. Er wusste, was auf ihn zukam. Und das war nicht lustig. Demonstrativ laut stellte Luis das Glas auf den Tisch. „Fertig, Meister“, griente das Ekel und schaute Brogomir erwartungsvoll an. Der seufzte kurz, bevor er den Übeltäter wie einen alten Schimmelpilz fixierte. Schon hatte er den Zauberstab in der Hand. Die Worte waren schnell
gemurmelt. Und ehe sich Marik versah, schrumpfte er zu einem Wasserläufer und landete im Glas. Klack machte es. Luis hatte den Deckel draufgelegt. Gerade wollte Brogomir sein Werk bewundern, da machte es kikeriki. Dreimal. „Post“, fiepte es. „Die Post ist da. Schnell, schnell und flinke Hufe!“ Es war der Türhahn, an seiner Seite der schwarze sprechende Rabe. „Was ist denn nun schon wieder?“, schimpfte Brogomir. „Um diese Zeit!“ „Schnell, schnell! Oder sind wir heute ein wenig lustlos? Bisschen faul, oder was?“, krähte es vom Eingang
her. Fluchend verließ der Zauberer die Küche. Und mit ihm jede Menge Worte, kein einziges von ihnen stubenrein. Währenddessen lief Marik der Schweiß herunter. Hm, schwitzen Insekten überhaupt? Krampfhaft versuchten seine langen und unglaublich dünnen Beine, die Spannung auf der Wasseroberfläche auszunutzen, um nicht zu versinken. Es fühlte sich so an, als wären seine Gliedmaßen aus Gummi und würden einen Dauerlauf auf Götterspeise veranstalten. Etwas Riesiges kam in Mariks Blickfeld. Ferkelrosa und schwitzig. Luis hatte sich vor ihm hingepflanzt und starrte
nun interessiert ins Glas. Riesengroße Glupschaugen wanderten hin und her, vom Glas und dem Wasser unnatürlich verzogen. Der eine oder andere Pickel wuchs ins Unermessliche. Und das wuselige Haar offenbarte so manchen ungebetenen Bewohner. Große Pupillen starrten gehässig ins Glas, angstvolle Insektenaugen starrten zurück. Und dann verzog sich ein riesengroßer sabbernder Mund vor lauter Vorfreude. Marik schwante nichts Gutes. Und richtig. Luis hatte eine Idee. Der hob das Glas samt Wasser und Insekt in die Höhe. Vorsichtig, zuerst. Dann kippte er das Glas an. Nur wenig
und ganz zart. Aber das reichte schon. Das Wasser schwappte von links nach rechts und wieder zurück. Marik wurde übel. Seine Beinchen ruderten, um sein Gewicht gleichmäßig zu verteilen. Denn wäre die Oberflächenspannung erst einmal durchbrochen, dann würde es Probleme geben. Luis feixte unterdessen. Dieses Spiel war so ganz nach seinem Geschmack. Der Widerling neigte das Glas noch ein wenig mehr und Marik vollführte einen Tanz. „Vorsicht!“, schallte es da von der Tür. „Du weißt doch, der Bengel kann nicht schwimmen. Und ich brauche das Schulgeld von seinen Eltern
noch!“ „Das bisschen“, maulte Luis und stellte das Glas ab. „Die haben doch gar nicht genug! Deswegen muss die kleine Ratte hier als Ausgleich doch schon rackern, obwohl Ferien sind. Damit es überhaupt reicht.“ „Ist doch auch nicht schlecht“, tönte Brogomir. „Billiger kriege ich nirgends einen Hausbuben. Ich kann mit ihm doch machen, was ich will. Kostenloser Spaß, du verstehst? Übrigens, ich bin eingeladen. Und du kommst mit.“ „Eingeladen? Von wem denn?“ „Safarius von Musedock. Nächste Woche soll ich ihn besuchen.“ „Von Mäusedreck, ja, ja. Von dem habe
ich schon gehört“, alberte Luis. „Vielleicht hast du recht. Aber nur vielleicht. Immerhin ist er Zauberer der zweiten Klasse. Du kannst ja schon mal anfangen zu packen. Wir bleiben ein paar Tage.“ „Oooch, und ich muss wieder das ganze Zeug schleppen“, maulte Luis. „Und dieser freche Hopser hier im Glas macht sich einen guten Tag. Wo soll es denn hingehen?“ Der freche Hopser strahlte unterdessen über das ganze Insektengesicht. Herrliche Aussichten! Marik wusste schon ganz genau, was er mit seiner freien Zeit anfangen würde. „Keine Angst! Den faulen Bengel werde
ich mit Arbeit nur so überschütten. Richtige Arbeit muss Schmerzen bereiten. Da wird uns doch was einfallen, oder nicht?“, tröstete Brogomir seinen Lieblingsschüler. „Wir wandern in den Wichtelsumpf.“ Der freche Hopser verzog das Gesicht. Arbeit, igitt! „Wohin? In den Wichtelsumpf? Etwa in deeeen Wichtelsumpf?“ Luis wurde blass. „Ja, interessant, nicht wahr? Safarius hat dort ein Sommerhaus. Pack am besten ein paar Waffen mit ein.“ Luis schluckte. Danach vergaß das Atmen. Und als er damit fertig war, schluckte er noch
einmal.
Brogomir „Und wehe, du faulenzt!“, schnarrte Brogomir. Er hatte seine ganz besondere Wichtigkeitsmiene aufgesetzt, in der ein Hauch von Drohung lag. „Und nimm dein Lächeln aus dem Gesicht! Ich kenne dich, Bürschchen! Wenn du mich anstrahlst, dann heißt das nichts anderes als: Ich kann dich mal. Aber dir werd ich! Schau nur her, die Liste deiner Arbeiten ist lang.“ Sprach's und entrollte eine Papierrolle, welche er bis dahin unter dem Arm geklemmt hatte. Aber die Beschreibung stimmt nicht
ganz. Die Liste war nämlich etwas länger als nur lang. Das Ende der Rolle plumpste auf den Boden. Und machte sich auf den Weg hin zum anderen Ende der Eingangshalle, während Brogomir das Kopfende immer noch in der Hand hielt. Marik richteten sich die Nackenhaare auf. Mist, aber so richtig! Da würde er sich etwas einfallen lassen müssen. Zur Not blieb ja noch Brogomirs Zauberbücher. Die lagen wohlverwahrt oben in einem Geheimkabinett. Gut verschlossenen. Dies hatte Marik heute Morgen schon mal ausspioniert. Aber was hieß schon wohlverwahrt. Marik wusste wo und er wusste wie.
Einen Reserveschlüssel hatte er nämlich schon im letzten Schuljahr gefunden. Und was so richtig merkwürdig war, dieser Schlüssel fand von ganz allein den gewundenen Weg in seine Hosentasche. Das war auch ein Grund dafür, dass der Zauberer sich seitdem so oft am Hinterkopf kratzte. Und etwas schlechter schlief als gewöhnlich. Natürlich ohne zu wissen, warum. „Also, du freches faules Ding!“, tönte Brogomir weiter. „Hi, hi! Frech und faul“, kicherte Luis begeistert. Schon die ganze Zeit stand er neben seinem Meister und griente gehässig. Naja, stand ist wohl das falsche Wort.
Sagen wir besser, er wankte. Denn er war mit Gepäck nur so überladen. Und ständig versuchte er die zahlreichen Reiseutensilien des Zauberers auszubalancieren. Wie sich so mancher vorstellen kann, war das nicht gerade einfach. Luis war ein Stadtjunge und stammte aus einem reichen Geschlecht. Und in dieser Familie redete man mehr, als zu arbeiten. Man rekelte sich und lag viel auf dem Rücken herum. Besonders, wenn einem die Zeit lang wurde. Selbst die kleine Glocke anzuheben, um nach einem Bediensteten zu bimmeln, war da schon Kraftsport. Also, kein Wunder, dass oftmals zu
wenig Stärke vorhanden war. Brogomir versandte unterdessen grimmige Blicke. Er mochte es nicht, wenn ihn einer unterbrach. Selbst seine rechte Hand durfte dies nicht. „Also weiter. Wie du siehst, habe ich die Arbeiten in Gruppen zusammengefasst. Und jede einzelne Gruppe habe ich mit einem Zauberspruch belegt. Verflixt noch eins, Bengel! Zappel nicht so viel herum!“, schnaufte der Zauberer gereizt. Marik zwinkerte irritiert. Nicht rumzappeln! Leichter gesagt, als getan. Das war nämlich gar nicht so einfach. Denn Luis hatte ihn an seinem Kragen aufgehängt. An einem alten und starken gusseisernen Haken gewissermaßen.
Etwa einen halben Meter über dem Boden und ziemlich frei in der Luft. So schnell würde Marik nicht herunterfallen. Denn sein Hemd war aus festem Sackleinen und ziemlich stabil. Die Arme nach oben reißen und einfach rauszuschlüpfen, ging auch nicht. O ja, Luis war schlau. Er hatte sie ihm auf dem Rücken zusammengebunden, die Arme nämlich. Hm, was konnte man da tun? Nur mitspielen. Jedenfalls im Augenblick. Also zog Marik seine Nase unwillig kraus und hörte auf zu zappeln. Er schwankte zwar noch immer wie ein Blatt im Wind, aber dafür konnte er ja
nichts. Aber selbst dies schien Brogomir zu stören. Doch der beließ es bei einem weiterem missbilligenden Schnaufen. Während Luis seinem Klassenkameraden noch einen weiteren Schubs gab. „Gut, wo war ich? Ach ja. Zauberspruch und so. Also, die Arbeiten müssen in einer genau festgelegten Zeit verrichtet werden. Wenn nicht, erwacht der Zauber. Es sind allesamt Bestrafungszauber, verstehst du? Nette kleine süße Bestrafungszauber. Die alle so richtig wehtun, verstehst du? O ja, die werden Dinge mit dir anstellen und dich dabei so richtig mürbemachen! Herrje, du Dummkopf! Kannst du nicht
ruhig hängen? Hast du etwa Spaß, während ich mich hier abrackern muss? Luis, sorg dafür, dass dieses merkwürdige Kind nicht mehr schaukelt!“ „Sofort, Meister“, feixte Luis und fasste nach Mariks Beinen. Er zog kräftig an ihnen und Schluss war mit dem Schaukeln. Das Marik dabei noch weniger Luft bekam, störte Brogomir nicht weiter. Vorerst schien er jedenfalls zufrieden. „Also weiter im Text. Wo war ich? Ach ja, Bestrafungen und so. Aber das Beste kommt ja noch. Wir werden so ungefähr zwei Wochen wegbleiben. Hörst du? Vielleicht auch ein paar Tage länger.
Wenn du bis dahin nicht in die Pantoffeln gekommen bist und nicht alles erledigt hast, dann wird dich der Hauptfluch treffen. Du wirst langsam anfangen dich zu verwandeln. Von innen nach außen. Oder umgekehrt? Egal. In ein Eichhörnchen nämlich. So richtig schön schleppend. So, dass wir unseren Spaß haben. Das ist nämlich wichtig. Dann kannst du mir in Zukunft meine Nüsse knacken. Wird dieser Fluch nämlich nicht in einer bestimmten Frist zurückgenommen, dann ist er unumkehrbar. Und für den Rest deiner Tage hier sperren wir dich in einen Käfig. Und diesen Käfig könnte ich ja in Luis Zimmer stellen. Was meinst du,
Luis, würde dir das gefallen?“ Luis tanzte vor Vergnügen. Auch eine Antwort! Misstrauisch sah ihm Brogomir eine kleine Weile zu, denn das Gepäck auf Kopf und Schulter seines Lastesels wankte doch bedenklich. „Und deinen Eltern erzählen wir, du hast einen Unfall gehabt“, fuhr er schließlich fort. „Ist nicht außergewöhnlich. Ganz im Gegenteil. Das kommt in Zauberschulen ziemlich häufig vor. Und die Versicherung zahlt für gewöhnlich, ohne groß nachzufragen. Ha, da machst du Vogel aber große Augen, was? Hast wohl Schiss? Solltest du auch!“ Und richtig. Marik schwitzte, was das Zeug hielt. Sein Gesicht war puterrot
und seine Augen quollen ein wenig hervor. Das lag aber nicht an Brogomirs Ansprache, so wie der es wohl gerne gehabt hätte. Nein, denn die Drohungen lagen ja noch in weiter Ferne. Bis dahin würde ihm bestimmt noch etwas einfallen. Drei Wochen waren eine lange Zeit. Es lag vielmehr an Luis, der mal stärker und mal schwächer an seinen Beinen zog. So, dass ihm sein Kragen immer wieder die Luft abschnürte. „Was ist, kannst du nicht antworten, du Mistkäfer?“, schimpfte Brogomir. Und drehte vor Ärger solange an dem einzigen Knopf an seinem Übermantel, bis er diesen in der Hand
hielt. „Siehst du, was du wieder angerichtet hast!“, schimpfte Brogomir. „Antworte gefälligst, du verstockter Bengel!“ Er pikte seinem unwilligen Schüler mit dem Zeigefinger in den Bauch. Wieder und wieder. Luis war jetzt vollends begeistert. Während Marik als Bestätigung gerade mal ein Röcheln zustande brachte. Mehr war nicht drin. Aber Brogomir reichte es wohl. Denn er wandte sich ab und öffnete die Eingangstür. „Nicht mal richtig reden kann das Kind!“, rasselte der Zauberer. „Ich weiß auch nicht, warum ich mich mit solchen wie dich abgebe. Wirklich nicht. Komm
jetzt, Luis! Steh da nicht so faul rum! Los geht's!“ Widerwillig ließ Luis los. „Lass es dir gut schmecken!“, schnappte Marik. „Hä? Wie? Was?“, wollte Luis wissen. „Na, dein Wasser. Das aus deiner Trinkflasche.“ „Wieso? Wie meinst du das?“ „Ist doch ganz einfach! Lass es dir gut schmecken! Ich bin sicher, es ist ein besonderes Wasser. Und es wird dir bekommen, so wahr wir Freunde sind.“ „Verstehe ich nicht. Es ist doch ganz gewöhnliches Wasser. Ich habe es in der Küche aufgefüllt.“ Luis legte den Kopf schief und schaute
sein Lieblingsopfer von unten her misstrauisch an. „Du wirst da doch etwa nichts Unappetitliches hineingetan haben? Nein, das würdest du dich nicht trauen. Oder doch? Etwa ...?“ Der Name dieser Körperflüssigkeit, die Luis an dieser Stelle vermutete, wollen wir um diese Tageszeit lieber nicht beim Namen nennen. Es wäre nämlich wahrlich unappetitlich. Marik sagte gar nichts. Vielmehr drehte er den Kopf zur Seite, starrte wie abwesend an die Decke und klimperte dabei mit seinen Wimpern. „Wo bleibst du denn, du Faulpelz!“, trompetete Brogomir von
draußen.
Ein letzter hasserfüllter Blick streifte Marik. Dann wankte Luis hinter seinem Meister her nach draußen.
Er würde etwas zum Nachdenken auf seiner Reise haben. Da war sich Marik sicher.
Den Jungen vom Haken nehmen, daran dachten weder der Meister noch seine rechte Hand.
Und so wurde es still. So richtig entspannend.