Henry Wolff Der letzte Kampf um die Welt Erster Teil Die Auferstehung der dunklen Macht Part 2 – Und so begann es Version
1.03 Leseprobe Altersempfehlung: ab 12 Jahren Belletristik: Kinderbuch, Jugendliteratur Genre: Fantasy, Abenteuer Teil der Reihe: Der letzte Kampf um die Welt (Die Auferstehung der dunklen Macht) Meta - Tags: Fantasy, Roman, Zwerge, Riesen, Elfen, Zauberer, Magie, Kobold, Drachen, Wolf, Werwolf, Götter, Druide, Götterdämmerung, Abenteuer,
Odin, Walküre, Walhalla, Asgard, Norne, Fenriswolf, Hel, Thor, Kampf, Schwert, Nibelungen, Wikinger, Alberich, Alben, Midgard, Langschiff, Räuber, Geister, Troll, Burg, Ritter, Rüstung
© 2007 by Henry Wolff
Illustration by Henry Wolff
Der Ausbau der Festung am Rande des Donnergebirges schreitet voran und verschafft Walram so einige Kopfschmerzen. Gabriel findet sich in Ketten wieder und bereitet sich innerlich auf ein kurzes Leben in Gefangenschaft vor. Goram sucht in dunklen Höhlen nach dem Zwergenkönig Riglef, während Utgris Volk unter dem Wehrwall einen geheimnisvollen und kostbaren Stein findet. Leif ändert sein Verhalten gegenüber seinen Freunden und hat nur noch das edle Nibelungenschwert im Kopf. Ragnar hat in Albenheim eine
denkwürdige Begegnung und schließt einen Handel ab, der sein weiteres Leben bestimmen wird.
Der Stein in der Tiefe offenbart sich langsam und hält selbst für Rigomar eine Überraschung bereit. Und der Zwergenheiler Vran entscheidet letztlich, ob er den Gefangenen auf der Folterbank rettet und der Auftrag des dunklen Zauberers ausgeführt werden kann.
Wieder und wieder erzitterte der starke Fels unter den mächtigen Schlägen. Bis tief an seine Wurzel im Erdinneren pflanzte sich der zittrige Hall fort und wurde manchmal als Echo in die oberen Höhlensysteme zurückgeworfen. In den Gängen bildeten sich feine Risse, die größer wurden, über Wände und Decken hinwegliefen, sich genüsslich vereinigten, nur um sich kurz darauf wieder zu trennen. Hier und da löste sich ein kleiner Stein und fiel herab zu den anderen, um all denen Gesellschaft zu leisten, die schon den Höhlenboden bevölkerten und kleine Gemeinschaften
gebildet hatten. „Da habe ich mich ja auch was eingelassen!“, knurrte Walram halblaut. Genervt standen ihm seine fettigen und strähnigen Haare zu Berge. Aber irgendwann musste ja mal Schluss sein! Ein langer und verzweifelter spitzer Schrei drang von der Terrasse herein, dicht gefolgt von dem Gepolter herabstürzender Gesteinsmassen. Eine dunkle und feine Staubwolke verdunkelte das Tageslicht und drang durch den schmalen Eingang in die dahinter gelagerte riesige Höhle, die eher schon eine Halle war. Sie hüllte Walram ein und verursachte einen Hustenreiz. Und ehe dem Zauberer auch
nur das erste Schimpfwort über die Lippen kam, wurde ein neuerliches Krachen geboren. Mehrere Dutzend Zwerge in dreckiger Arbeitskleidung mit Picken, Hämmer, Seilwinden und kleinen roten Lampen, in denen die Kerzen unruhig blakten, stürzten durch den Eingang herein, der aus dem Berg in die großen Hallen führte. Ohne Worte der Erklärung und Entschuldigung fegten sie an dem verstörten Zauberer vorbei, ganz so, als wäre er gar nicht da. Durch die eine Tür herein, durch die andere wieder hinaus. Gleich darauf begann ein wildes Gepicke und Geklopfe auf der Terrasse, sodass es Walram in den Ohren tönte.
Und wieder kam ein kleiner Trupp Zwerge geschwind durch die Halle gesaust, diesmal ganz in Weiß und mit etlichen kleinen Tragen. Ihre Rauschebärte wehten in der Zugluft als Begleiterscheinung ihrer eigenen hohen Geschwindigkeit, die sie an den Tag legten. Schwupp, schon waren sie durch das große Zimmer getobt und schwupp, schon waren sie draußen bei ihrem Vortrupp. Und ohne Verzug stimmten sie ein kreischendes Gejammer und Gegreine an. Walram hielt sich die Ohren zu. Jetzt reicht es, dachte er. Das halte ich nicht mehr aus! Dafür wird mir Rigomar büßen.
Er zog mit dem Finger einen Kreis, stampfte zweimal mit dem rechten Fuß auf und rief: „Hui, runter, und zwar schnell!“ Und ehe ein Wimpernschlag getan war, stand Walram auf dem elastischen Waldboden und hielt Ausschau nach dem verflixten Hühnerhaus. Schon wieder polterte es um Walram herum und er hatte alle Hände voll zu tun, um sich in Sicherheit zu bringen. „Zwerge!“, fluchte er abschätzig und spuckte aus. „Gib ihnen einen Hammer und sie drehen durch!“ „Wir Zwerge sind nicht schuld!“, meldete sich eine beleidigte dünne
Stimme neben ihm. Der Vorarbeiter der Zwergentruppe! Fast hätte Walram ihn über den Haufen gerannt. Der ganze Staub, der an dem Zwerg klebte, hob ihn kaum von dem Bauschutt im Hintergrund ab. Walram packte den Kleinen ungestüm an seinem Rauschebart und zog ihn grob zu sich heran. „Pass mal auf, Zarter! Nehmt gefälligst ein bisschen mehr Rücksicht auf meine Nerven! Ich warne euch, ich habe es langsam satt. Keine ruhige Ecke gibt es mehr weit und breit. Wenn ihr euch nicht zusammenreißt, dann hole ich meinen Golfschläger und euer rücksichtsloser Haufen purzelt ein wenig
durch die Gegend!“ „Mir reicht es schon lange!“, schimpfte der Zwerg zurück. „Schau genau hin, ehe du uns beschimpfst! Es sind Rigomars Riesen aus dem Gebirge, welche die ganzen Schäden verursachen. Wir sind von morgens bis abends nur mit Aufräumen und Ausbessern beschäftigt. Und dann werden wir auch noch laufend beschimpft. Schaut euch doch bloß diesen hässlichen Mist da oben an! Das müssen wir noch alles nacharbeiten!“ Walrams Blick folgte dem Finger des Vorarbeiters in die luftige Höhe und sein Herz schwoll an vor Stolz. Ja, der Zwerg mochte recht haben, das Bauwerk
war zwar einmalig hässlich, aber es war gewaltig. So langsam ließen sich Mauern mit Zinnen, Türme mit Fenster und Schießscharten, hohe Aussichtsplattformen und weiträumige Terrassen erkennen. Mochten die Riesen im Kopf auch nicht ganz so helle sein und auch keinen Sinn fürs Schöne haben, den Blick für Zweckmäßigkeit hatten sie allemal. Und was für eine Kraft, oh weh! Das richtige Gesindel fürs Grobe! Das Feine mochten die wieselflinken Zwerge übernehmen. Die würden ohnehin schwer zu bremsen sein. „Also gut“, lenkte Walram ein, „ich nehme es zurück. Aber merk es dir trotzdem für die Zukunft. Hast du
übrigens Rigomar gesehen?“ „Der gluckt hinter seinem bescheuerten Hühnerhaus an den Werwolfpferchen herum und hält große Referate vor den Irrwichten.“ „Irrwichte? Was denn noch alles?“, polterte Walram. „Da werd ich wohl mal schauen müssen, was der Kerl jetzt wieder ausheckt. Und bei dir? Gibt es sonst noch was? Probleme? Sorgen?“ „Na ja, da wäre noch was“, druckste der Zwerg umher. „Aber ich weiß nicht, ob ich euch damit behelligen kann.“ „Nun sag schon“, ermunterte ihn Walram. „Meine Laune ist heute nur mittelschlecht. Da kann ich noch was
ab.“ „Das Werkzeug“, mäkelte der Zwerg, „es ist schlecht.“ „Hm, ich weiß. Hab schon vor langer Zeit nach einem vernünftigen Schmied geschickt. Mein Sohn hat den Auftrag Riglef zu holen. Habe aber lange nichts von ihm gehört. Mache mir schon langsam Sorgen.“ „Oh, Riglef!“, schnalzte der Zwerg. „Das ist gut. Qualität vom Feinsten! Um das Bürschchen würde ich mir nicht allzu viele Sorgen machen. Riglef lässt sich nicht gerne finden. Er soll in den unteren Höhlen hausen, dort wo vor langer Zeit die Waffen der Götter geschmiedet und in dem Blut der alten
und sagenumwobenen Untiere der Tiefe abgeschreckt wurden. Da wird dein Sohn wohl noch einige Zeit brauchen.“ „Vielleicht hast du recht. Man muss ihm Zeit geben. Solange jedenfalls, bis Riglef mit seiner Familie hier ist, müsst ihr mit dem alten Werkzeug auskommen. Noch was?“ „Ja, eines wäre da noch. Alkohol!“ „Alkohol?“ „Alkohol! Die Werwölfe versuchen uns billigen und gepanschten Met anzudrehen. Der ist nicht nur von minderer Qualität, sondern macht zudem auch noch krank. Dazu noch während der Arbeitszeit! Nichts gegen eine zünftige und krachende Zwergenfeier, bei
der auf den Tischen getanzt wird! Aber Arbeit ist Arbeit und Schnaps ist Schnaps! Zumal das Zeug blanker Betrug ist!“ „Werwölfe!“, heulte Walram auf. „Irgendjemand hat mir mal erzählt, ich brauche dieses Pack. Jetzt werde ich es nicht mehr los! Aber das Problem ist bekannt und wird gelöst werden. Seid bloß bitte ein wenig leiser, damit ich in Ruhe nachdenken kann.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, machte Walram sich auf den Weg zu den Werwolfgehegen. Und da stand sie, die seltsame Hütte Rigomars. Oder besser gesagt, da wankte sie. Und davor, am Zaun, stand Rigomar selbst, umringt von
etlichen Irrwichten, die ihn anhimmelten. Als sie Walram erblickten, verstummte das muntere Geplauder schlagartig. Mit einer einzigen Handbewegung schickte Rigomar sie weg und kam ihm entgegen. „Irrwichte“, raunzte Walram, „was ist das nun schon wieder für ein Quatsch?“ Rigomar war überhaupt nicht beleidigt. Jedenfalls ließ er sich nichts anmerken. Das Gegenteil schien sogar der Fall. „Lass mich nur machen, du wirst schon sehen. Sie sind für die erste Phase gedacht. Wir werden sie zu den Menschen in den umliegenden Dörfern und Städten schicken! Lass sie sich dort austoben. Zusammen mit den
Ratten! Für die brauche ich übrigens noch ein paar Pfleger.“ „Ratten? Du schaffst mich! Wozu brauchst du diese Viecher nun schon wieder?“ „Erste Phase! Wir schicken sie zusammen mit den Irrwichten zu den Menschen, die hier, wie schon gesagt, in einem weiten Umkreis ringsherum wohnen. Die Tierchen werden ihnen die Vorräte rauben, die Irrwichte die Nerven und den Mut. Und was das Bestechende daran ist, auf uns wird kein Verdacht fallen. Eine Rattenplage kommt immer wieder mal vor. Unsere kleinen Freunde werden für dich den Boden aus Angst, Hunger und Hoffnungslosigkeit bereiten.
Lange, bevor uns der Feind auch nur zu Gesicht bekommt. Wir sind noch nicht stark genug, um uns erkennen zu geben. Der Gegner würde sich vorbereiten. Lass ihn uns lieber überraschen!“ „Hm, ja. Gut! Begriffen. Also Ratten. Wir haben Zeit. Und wir lassen uns Zeit! Wenn meine Informationen richtig sind, weiß noch niemand, dass ich wieder auferstanden bin. Apropos, ich brauche Kundschafter, jede Menge. Besorg sie mir.“ „Mach ich. Aber jetzt komm mal mit, ich muss dir etwas zeigen. Das wird dir schon weitaus mehr gefallen. Auch in der Sache mit dem Ring habe ich da so eine Idee.“
„Was ist mit dem Ring? Nicht, dass du ihn wiederhaben willst! Das kannst du gleich vergessen!“, stellte Walram klar, während die beiden gemächlich zu einem der vielen Schuppen hinüberschlenderten, der inmitten einer ganzen Reihe von Hütten, weiteren Schuppen und Werkstätten stand. „I wo, bewahre. Was sollte ich mit ihm?“, winkte Rigomar ab. „Ich habe nur ein wenig darüber nachgedacht, wie wir mit der Bedrohung durch die Himmelsburg umgehen sollten. Wenn ich dich richtig einschätze, denkst du daran, die Burg vor dem nächsten großen Krieg zu vernichten, habe ich
recht? „Teilweise. Vernichten wäre nicht schlecht. Nur habe ich keine Idee, wie ich das anstellen sollte. Du hast doch schon lange mitbekommen, wie es zurzeit um meine Kräfte steht. So was kann man dir schließlich nicht verheimlichen, oder? „Nein, gewiss nicht“, grinste Rigomar. „Obwohl es in der Regel gefährlich werden kann, wenn man zu viel über seinen Herrn weiß. Aber, was deine mehr als mäkligen Kräfte angeht, habe ich vielleicht eine Lösung gefunden. Überleg doch, es liegt in meinem ureigensten Interesse, dass du so rasch wie möglich wieder so stark wie möglich
wirst. Zurzeit haben wir noch etliche Schwachstellen! Und wenn erst deine Wiedergeburt bekannt wird, was bei unserer Betriebsamkeit über kurz oder lang der Fall sein wird, dann machen sie uns Feuer unter dem Hintern. Habe ich recht?“ „Natürlich“, knurrte Walram. „Das weiß ich alleine. Dies ist auch der Grund, warum ich mich zurückhalte. Aber warte mal, ich habe da gerade so eine Idee. Du wirst der Hüter dieser Felsenburg! Ganz offiziell. Ha, genauso machen wir es! Ich bleibe schön im Hintergrund. Alles läuft über dich. Und nur du bist mit einigen wenigen Auserwählten mein Ansprechpartner.
Wenn bekannt wird, dass sich am Rande des großen Donnergebirges das Böse wieder zu rühren beginnt, werden sie alle nur auf dich schauen. Ha, und du wirst ihnen keine allzu große Angst einjagen. Genial! Was bin ich doch wieder gut! Aber ich warne dich! Ich sehe es dir an, wie der Übermut dich packt. Werde nicht größenwahnsinnig! Es bleibt bei unserer Abmachung! Du bekommst den Süden, sonst nichts. Ausnahmsweise bin ich einmal bereit, mein Wort zu halten.“ Rigomar war perplex. Er schluckte und suchte nach Worten. Solch eine Fülle an Macht! Er wäre der Zweite hinter Walram, der die Götterdämmerung
herbeiführen würde. Vielleicht würde er es sein, der dem Fenriswolf die Fesseln durchschnitt. Er, Rigomar, seit Tausend und Abertausend von Jahren nunmehr von allen verlacht und gehänselt, würde dann der Dritte in der neuen Rangfolge dieser veränderten Welt sein. War sich Walram der Bedeutung dessen, was er da eben gesagt hatte, überhaupt bewusst? Rigomar rutschte das Herz in die Hose. Was wäre, wenn er versagen würde? Der Preis, den er zu bezahlen hätte, wäre ein großer und endgültiger. Denn im Gegensatz zu seinem Herrn und Meister war er sterblich. Zwar hatte es das Schicksal mit ihm gut gemeint und ihm eine gehörige Portion an Zeit in die
Wiege gelegt, aber letztendlich musste auch er gehen. Aber die Chance war einmalig! Jubel und Angst tobten gleichermaßen in seinem Körper. Ja, er würde die Chance ergreifen, um jeden Preis! Rigomar straffte sich und drängte die unliebsamen Gedanken zurück. „Ganz wie ihr meint, mein Herr. Ich werde euch nicht enttäuschen. Ich muss aber noch mal fragen! Was habt ihr mit der Himmelsburg vor?“ „Verschließen! Ich wollte sie irgendwie verschließen und die Ritter somit daran hindern, in den Kampf einzugreifen. Zu allem anderen fehlt mir die Macht. Aber das würde ja auch schon reichen. Ich muss nur sicherstellen, dass alle
verfügbaren Ringe in meiner Hand sind. Oder ich muss einen Weg finden, die Tür zu versiegeln.“ „Interessant. Wäre vielleicht machbar. Aber es gäbe da vielleicht noch einen dritten Weg. Was haltet ihr denn davon, wenn wir uns Verbündete unter den Rittern suchen?“ „Das wäre möglich? Und sie würden mir gehorchen?“ „Ich denke schon. Dir oder einen anderen. Ihr habt mir doch von dem Sohn des Lichts erzählt, welchen ihr quasi in eurer Hand habt. Es wäre schon möglich, dass sie ihm gehorchen würden. Wir müssten nur ergründen, wo sich der Reif des Führers befindet. Ist er
etwa verloren gegangen? Oder wird er an einem geheimen Ort aufbewahrt?“ „Du weißt von dem Reif?“, staunte Walram. „Aber sicher! Auch ich lebte schon, als die Riesen und die Kälte noch diese Welt beherrschten. Lange bevor die Götter Asgard besiedelten und Walhalla erbauten.“ „Du erstaunst mich immer mehr“, gab Walram ehrlich zu. „Dies ist übrigens der Grund, weshalb ich Kundschafter von dir brauche. Diejenigen, welche ich bislang beauftragt hatte, sind allesamt Idioten und Betrüger. Sie halten mich hin und verprassen mein Geld und glauben dabei, ich merke es nicht. Ha,
auch sie werden dafür büßen müssen. Aber weil wir gerade über Geld reden! Ich muss dir leider sagen, du gibst zu viel aus. Meine Ersparnisse sind schon fast aufgebraucht. Und die Zwerge haben im Augenblick keine Zeit, um nach Gold und Silber zu schürfen. Also reißt dich ein wenig am Riemen und senke deine Ausgaben. Ich wüsste da zwar noch einen widerlichen Zwerg, der auf den Namen Andwari hört und ebenso wie Fosse unter einem Wasserfall lebt. Er soll einen goldenen Ring besitzen, der ebenfalls Gold hervorbringt, wieder und immer wieder! Das wäre eine Aufgabe für Goram. Nur leider ist der noch immer nicht
zurückgekehrt.“ „Du hängst an dem Bengel, was? So etwas wäre dir früher nicht passiert, mein Gebieter. Aber ihr habt gerade den Namen Fosse erwähnt. Das wäre doch erst mal die Lösung. Wir brauchen ohnehin einen fähigen Lageristen und einen guten Organisator. Hier klappt so etliches nicht, wie es eigentlich sollte. Hol ihn! Er wird vor Stolz fast platzen! Und uns dann erst einmal mit etwas Barem aushelfen!“ „Das würde ich dem alten Raffzahn schon gönnen“, stimmte Walram mit einem fiesen Grinsen zu. Ein kurzer gellender Pfiff und schon kam nach ein paar Augenblicken ein
verstörter kleiner Flugdrache angeflattert und setzte schwer im Sand auf. „Was ist los, Mantur?“, hänselte ihn Walram. „Du fliegst ja wie eine Bratpfanne! Und stinken tust du wie ein Bierfass. Du trinkst doch nicht etwa heimlich, oder?“ Walrams Misstrauen war erwacht. Er schritt auf den kleinen Flugdrachen zu und fasste ihn mit einem harten Griff am Hals. „Woher hast du den Alkohol? Du hast doch sonst nicht getrunken!“ „Ich weiß nicht“, stotterte Mantur. „Ich habe nicht getrunken, hicks! Ich weiß auch nicht, was mit mir los
ist.“ „Woher?“, schrie Walram in übermäßiger Wut. „Wage es nicht, mit mir Spielchen zu spielen!“ Es gab einen lauten und trockenen Knall, eine Art sanftes Donnergrollen. Ein zartes und dunkles Rauchwölkchen stand über Walrams Kopf. Na endlich, dachte er. Die alten Kräfte scheinen wieder zu erwachen. Wo waren sie nur solange geblieben? Erfreut sah er, wie Mantur und Rigomar vor Schreck die Köpfe eingezogen hatten. Na bitte, warum nicht gleich so! Das war doch noch gar nichts! „Also“, säuselte er und gab Mantur einen Kuss auf dessen Nase, drückte ihm
aber gleichzeitig die Kehle zu. „Woher hast du ihn, mein Liebster?“ Mantur röchelte gefährlich und Walram lockerte ein wenig seinen Griff. „Mein Vater“, winselte der Flugdrachen in höchster Not. „Ich muss andauernd probieren. Dabei schmeckt mir das Zeug doch gar nicht!“ „Dein Vater also. Na sieh mal an. Darauf wäre ich nicht so schnell gekommen. Na, macht nichts“, tröstete Walram den verängstigten Flugdrachen. Er streichelte ihm das wuschelige Köpfchen und kraulte die Druckstellen am Hals. „Ist nicht so schlimm! Aber in Zukunft reiß dich zusammen. Jetzt aber habe ich einen Auftrag für dich.“
„Jetzt?“ „Ja, jetzt! Fühlst dich wohl nicht so richtig, was? Jetzt ist die Zeit, um nüchtern zu werden! Flieg zu Fosse und bestell ihn her. Sag ihm, es würde sich lohnen. Und nicht trödeln! Spätestens morgen erwarte ich dich hier zurück.“ Mantur atmete erleichtert auf. Das ließ sich schaffen. Und ein bisschen ausruhen, oh wie schön, wäre auch noch drin. „Bis morgen“, wiederholte Walram genüsslich. „Hin und zurück! Und jetzt ab mit dir!“ Forsch trat er dem entsetzten Flugdrachen in sein Hinterteil, der
inzwischen krampfhaft versuchte, gleich einer Ente auf dem Wasser zu starten. „Sein Vater braut Bier?“, fragte Rigomar erstaunt. „Und nicht nur das! Aber nicht mehr lange!“ Inzwischen waren sie vor einem der größeren Schuppen angekommen. Aus dem Dach qualmte es bedrohlich und ein nervtötendes Zischen ertönte aus dem Inneren. „Also gut. Die Geschichte mit dem Ring werde ich mir überlegen. Du lässt nach dem Reif forschen. Aber unauffällig! Es könnte nämlich sein, dass der Bruder von Goram noch lebt. Vali ist sich zwar sicher, dass dem nicht so ist, aber
Goram meint, es könne durchaus sein. Also lass auch nach ihm forschen. Und jetzt? Weshalb hast du mich hierher geführt?“ „Ich glaube, ich habe die Lösung für eins deiner Probleme gefunden. Ich glaube, ich weiß, weshalb du im Augenblick so bist, wie du bist. Aber komm, sieh selbst.“ Rigomar fasste nach der knorrigen Tür und zog sie mit einem scheußlichen Quietschen auf. Aus dem Halbdunkel der Hütte quollen Rauchschwaden und hüllten die beiden ein. Nachdem sie sich durch die offene Tür verzogen hatten, sah Walram in der Mitte des Raumes einen riesigen Kessel. Er war aus einem
rötlich goldenen und durchscheinenden Material, in dem eine silbrige Masse brodelte. Rigomars Tochter Siska hantierte an einer Vielzahl von kleinen Hebeln und Rädchen, während sein Sohn rittlings auf dem Kessel saß und gerade versuchte, mit einem zweiten Rohr den Dampfabzug zu verlängern, um anschließend diese provisorische Konstruktion durch das Dach zu schieben. „Da staunst du, was?“, tönte stolz der alte Zauberer. „Das hat sich alles meine Tochter ausgedacht. Geschickt und klug, die Kleine.“ Walram trat näher an den herrlichen Kessel heran und berührte sanft seine
Oberfläche. Sofort bildeten sich innerhalb des Materials kleine Wirbel. Das Brodeln verstärkte sich, änderte seine Richtung und floss, von den Wirbeln angezogen, hin zu Walrams Hand. In seinen Fingerspitzen entstand ein angenehmes Kribbeln und kleine Fünkchen traten aus ihnen hervor. Sie trafen auf die Oberfläche des Kessels, verschmolzen mit ihm und verursachten kreisförmige Wellen. Walram spürte, wie sich die Oberfläche veränderte, wie diese regelrecht auf seine Hand zustrebte. „Vorsicht!“, rief Rigomar und riss Walrams Hand zurück. „Nicht zu viel für den
Anfang!“ „Was ist das?“, fragte Walram träumerisch. „Es verursacht ein wunderschönes Gefühl.“ „Ja, das Material ist schön. Da stimme ich dir zu. Bei dem, was da drin ist, aber keinesfalls! Das Material stammt von einem reichen und mächtigen Volk der Menschen. Tief im Süden dieses Kontinents lebt es seit Menschengedenken. Ein hoch entwickeltes Volk! Und ein gewaltiger Gegner. Sie waren maßgeblich daran beteiligt, dass wir den letzten Krieg verloren haben. Nun, auch ihre Stunde wird kommen. Sie sind die Einzigen in unserer Welt, welche in der Lage sind,
dieses Material herzustellen und zu verwenden. Der Rohstoff ist einzigartig und wird nur in ihrem Land gewonnen. Und nur dort findet es vielfältig Verwendung. Und eine der mannigfaltigen Verwendungen ist zum Beispiel dieser Kessel der Gedanken. Hat meine Tochter das nicht fantastisch hinbekommen? Jeder Zwerg wäre stolz, mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen.“ „Ja, ja, hat sie. Es ist eine wundervolle Arbeit. Aber sag doch, wozu soll er gut sein?“ „Er ist ein Gedankensammler“, prahlte Rigomar, von Walrams Lob regelrecht überwältigt. „Ein
was?“ „Ein Kessel, der die Gedanken der Menschen sammelt. Das Volk im Süden, von dem ich sprach, setzt ihn ein, um in der Gemeinschaft die besten Ideen zu entwickeln und diese für alle nutzbar zu machen. Diese Vorrichtung war mir schon viele Jahrhunderte lang bekannt. Mein Sohn Welf hatte nun die Idee, statt der guten nur die bösen Gedanken zu sammeln. Gedanken sind ja überall, wie du weißt. Sie schweben als reine Energie durch unsere Welt. Man braucht sie bloß einzufangen und zu filtern. Meine Tochter Siska war gleich Feuer und Flamme. Und dies hier ist das
Resultat.“ „Ist ja alles schön und gut. Und so weit kann ich dir ja auch folgen. Aber wozu das Ganze, verdammt noch eins?“ „Immer mit der Ruhe. Ich erkläre es dir ja schon.“ Rigomar griff sich eine Kelle, öffnete eine kleine Seitenklappe an dem Kessel, schöpfte ein wenig von der quirligen Flüssigkeit und goss diese in ein bereitstehendes Silberkännchen. „Also, meiner Meinung nach beziehst du deine Kraft aus deiner Gemeinheit, deinem Neid, der Eifersucht und all den anderen neckischen Sachen, die es sonst noch in dieser Richtung gibt. Und das hier ist die pure Schlechtigkeit, wenn ich
das mal so sagen darf.“ „Das heißt, wenn ich dieses Gebräu zu mir nehme, dann kehrt meine Macht zurück?“ „Nicht ganz. Und nicht sofort. Es dauert seine Zeit. Deine Gemeinheiten müssen wieder wachsen. Du musst sie füttern.“ „Das ist alles?“ „Nicht ganz, ich sagte es bereits. Du musst das Böse nicht nur wieder in dir sammeln, du musst es auch weiterverbreiten. Und zwar regelmäßig!“ „Und wie mache ich das?“ „Sofort, mein Gebieter. Trink zuerst dies. Jeden Tag ein bisschen. Und jeden Tag ein bisschen mehr.“
„Also gut, gib her das Gebräu!“ Walram riss den Kelch aus des Alten Hand und führte ihn zu den Lippen. Dort verharrte er jedoch unschlüssig. „Woher weiß ich, dass ihr nicht das Gute ausgefiltert habt und mir jetzt verabreichen wollt?“ „Sieh selbst!“, rief Welf vom Kessel herab und zeigte in die Ecke, wo ein kleines schwarzes Kätzchen mit einem schon an Wahnsinn grenzenden Genuss einen Werwolf zerfleischte. Es tat es aus purem Vergnügen, denn das Fleisch rührte es nicht an. „Sehr überzeugend“, meinte Walram und stürzte die flüssig gewordene
Schlechtigkeit herunter. „Ich spüre noch nichts!“ „Geduld! Die Mischung macht es.“ Rigomar betrat ein Nebengelass des Raumes und entnahm einer eisernen Pfanne einige Stücke Fleisch, tat diese auf einem silbernen Teller und kehrte mit ihm zu Walram zurück. „Hier, iss dieses. Das ist dein täglicher Anteil an der Verbreitung des Bösen. Erst dann wird sich die gewünschte Wirkung entfalten.“ „Was ist das nun schon wieder?“ „Herz. Zwei Herzen. Ein Einhorn und ein junges Elfenkind gaben ihr Leben, um dir zu gefallen.“ „Elfen? Die sind doch unsterblich! Wie
hast du denn das nun schon wieder angestellt?“ Rigomar lächelte nachsichtig. Mit den Kleinigkeiten des Alltags hatte sich sein grausamer Gebieter bislang wohl noch nie abgegeben. „Elfen werden erst nach ihrer Weihe unsterblich! Hast du das nicht gewusst? Solange sie sich schulen und lernen, sind sie sterblich, genau wie die Menschen ihr gesamtes Leben lang. Das Gleiche trifft übrigens auch auf Goram zu! Außerdem sind sie nur gegen Krankheit und Tod immun, nicht aber gegen Pfeil und Schwert.“ „Verdammt! Daran habe ich wirklich nicht gedacht. Wenn ich mir das so recht
durchdenke, dann gibt es da ein Problem und wirft meine Pläne über den Haufen. Der Junge darf also noch nicht in die Nähe der Ritter und des Rates gelangen, zumindest jetzt noch nicht. Verdammt noch eins! Jeden Tag ein neues Problem! Es wird Zeit, dass wir anfangen, unsere Probleme zu lösen. Nun gib schon her, deinen Braten! Ich hoffe, er schmeckt wenigstens.“ „Das verspreche ich dir. Zart ist er und gewürzt!“, ermunterte ihn Rigomar und sah interessiert zu, wie Walram alle Tischmanieren vergaß und mit bloßen Händen das ölige Fleisch regelrecht gierig in sich
hineinstopfte. Walram saß in seiner Hexenküche, einem fensterlosen Nebengelass seines Terrassenzimmers. Seinem Brauhaus, wie er es persönlich nannte. Die Zwerge hatten ganze Arbeit geleistet. Das Zimmer war jetzt fast viermal so groß wie vorher, hatte mehr Bänke, Tische und Regale. Auch an mehr Feuerstellen hatten die kleinen Wirbelwinde gedacht. Jetzt konnte weitaus mehr Zaubergebräu als bislang hergestellt werden. Es war einfach alles praktisch und bequem. Auch das Auge erfreute sich an der von Zwergenhand geschaffenen Schönheit.
Geschwungene Säulen, kunstvolle Ornamente. Die alten und ewig blakenden Fackeln waren verschwunden. Stattdessen gab es ausgemeißelte Nischen in der Wand, wo hinter bunten Glasfenstern Kerzen ein gleichmäßiges und angenehmes Licht verbreiteten. Sogar an Aufzüge hatten die Knirpse gedacht, damit man die vielen Materialien schnell heran und auch wieder wegschaffen konnte. Werktische mit Werkzeugen der verschiedensten Art, reichlich Truhen und viele Glassachen vervollkommneten den Gesamteindruck. Und längst hatte Walram nicht alles Neue entdeckt, was zu entdecken gewesen
wäre. Trotzdem konnte er sich nicht freuen. Griesgrämig saß er im Schneidersitz vor seiner kostbaren Neuerwerbung, dem Zauberbuch von Tante Emilie und knetete seine schmerzende Hand. Viele Male hatte das Buch schon zugeschnappt und ihn dabei sechsmal erwischt. Zum Glück benutzte es nicht seine Zähne. Oder besser gesagt, noch nicht. Dass diese aber vorhanden waren, dessen war sich Walram durchaus bewusst. Denn hin und wieder hatte das Buch diese wahren Ungetüme schon mal probeweise drohend entblößt. Verflixt und zugenäht, so ging das nicht weiter! Seine Geduld hatte der Meister
des Bösen schon lange verloren. Seit mindestens einer Stunde ging das schon hin und her und er hatte es noch nicht einmal geschafft, die erste Seite aufzuschlagen. Maßlos verärgert stand Walram auf und gab dem widerspenstigen Buch einen Tritt. Wenn er doch bloß wüsste, was seine Tante Emilie mit dem alten Schinken angestellt hatte! Er hatte keine Erinnerung, keine Idee, nichts! Es war zum verrückt werden. Als seien seine Gehirnzellen geschrumpft und nur ein paar übrig geblieben. Und die waren zudem auch noch mit atmen beschäftigt. Und noch einmal holte er aus, diesmal sogar mit Anlauf. Mit einem lauten Klatschen und
einem schrillen Hilfeschrei flog das Buch in Richtung Wand und riss dort eine der neuen Glasapparaturen von ihrem Sockel. „Treffer!“, brüllte Walram und: „Mann, bin ich gut!“ Ein letztes Mal drohte er seinem jammernden Feind aus Wort und Schrift mit der Faust, bevor er sich abwärts zauberte. „Alles zu seiner Zeit! Ich kriege dich noch!“, schrie er und jagte den emsig arbeitenden Zwergen, an denen er vorbeieilte, einen Heidenschreck ein. „Aber erst einmal werden wir dem Alkohol den Kampf ansagen und all dem versoffenen arbeitsscheuen Gesindel,
was mit ihm zu tun hat. Dafür ist meine Laune gerade richtig!“ Das jagte nun auch dem letzten Zwerg den Angstschweiß auf die Stirn. Sie machten sich noch kleiner als sie ohnehin schon waren und arbeiteten emsiger denn je. Aber Walram war schon lange auf und davon in Richtung der Höhle von Manturs Vater. Ohne anzuklopfen, stürmte er hinein und gleich wieder hinaus. Was für ein Gestank! Angewidert rümpfte Walram die Nase und schnappte nach Luft. Die ganze Höhle ein einziges Tollhaus! Sämtliche Arten von Alkohol und noch etliche andere unkeusche Sachen bedeckten den Boden. Walram war
beileibe kein Kostverächter, dass nicht. Aber ob und wann gefeiert wurde, das bestimmte er. Und das hieß, schon gar nicht während der Arbeit! Da lag Manturs Vater besoffen in seinen eigenen Fäkalien, bespuckt von oben bis unten und schlief laut schnarchend. Walram, der den ganzen Tag über schon gereizt war, drehte nun vollständig durch. Da baute man auf, versuchte alles zusammenzuhalten, den großen Plan zu verwirklichen, ja, eine vollkommen neue Welt zu erschaffen. Und dann fielen einem solche Kleingeister, nein, Saboteure und Ratten musste man schon sagen, in den Rücken! Nicht mit ihm!
Mit einem Wutgeheul stürzte er wieder in die Höhle hinein. Obwohl seine Lebensfunktionen durch den Alkohol stark eingeschränkt waren, schaffte es Manturs Vater doch noch zu erwachen und sich mühsam aufzurappeln. Aber da war das Unheil auch schon heran. Obwohl viel, wirklich sehr viel kleiner von Wuchs und mit einer weitaus geringeren Kraft ausgestattet, war es eindeutig Walram, von dem die Wellen der Angst ausgingen. Ein nicht mehr kontrollierbarer Irrsinn hatte den Zauberer erfasst, drang in jede seiner Zellen und bemächtigte sich des allerletzten Stückchen Lebens, welches
seinem Körper innewohnte. Die fleischgewordene Wut brach über Manturs Vater herein, und ehe der die Situation auch nur erfassen konnte, von dem Wörtchen begreifen ganz zu schweigen, hatte die linke Hand Walrams schon seinen Hals gepackt, während sich die rechte angriffsbereit und drohend auf seinen Oberkörper zubewegte. Kraftvoll stieß sie in das ehemals blauschwarze, jetzt mit silbrigen Strähnen durchzogene Fell des Flugdrachens. Dort machte sie aber keineswegs halt, sondern drang weiter vor, durch die Haut und durch das Fleisch. Knochen splitterten, Blut spritzte. Die Augen des Flugdrachens
weiteten sich. Sie schafften es aber nicht mehr, dass, was sie sahen, dem Gehirn als Information begreiflich zu machen. Und so hatte der Schmerz keine Zeit, sich lauthals durch den vor Erstaunen weit geöffneten Mund Bahn zu brechen. Der Flugdrache fühlte, wie etwas Mächtiges und Kaltes nach seinem pulsierenden Herzen griff, es schmerzhaft umfasste und mit ursächlicher Gewalt herausriss. Als Letztes sah er noch das pulsierende Etwas außerhalb seines Körpers in den blutverschmierten Händen seines Herrn, dann verließ auch ihn das Leben. Schwer stürzte der massige Körper zu
Boden. Noch eine geraume Zeit stand Walram atemlos mit dem blutigen Fleisch in der Hand wie in Trance reglos da, ehe ganz langsam seine Besinnung halbwegs zurückkehrte. Er lehnte den Kopf zurück und starrte an die Decke. „Ah“, keuchte er und noch einmal, „aarrrrhg! Tat das gut! Wie lange habe ich dies schon vermisst. Rigomars Therapie scheint anzuschlagen. Oh, was fühle ich mich gut!“ Ganz in Gedanken versunken und noch im Bann des gerade Erlebten verließ Walram die Höhle und taumelte wie ein Schlafwandler den Weg in sein Brauhaus zurück. Er bemerkte nicht seine
entsetzten Untergebenen, die selbst keine Kinder von Traurigkeit waren. Aber angesichts seiner blutbesudelten und bedrohlich wirkenden Gestalt zogen sie sich in die schlecht einsehbaren Winkel ihrer Hütten und in den Schatten der Bäume zurück. Selbst Rigomar hielt angeekelt seinen beiden Kinder die Augen zu, was aber nicht viel nützte, denn die Neugier findet immer Mittel und Wege. So gelangte Walram schließlich wieder in das nur durch Kerzenschein erhellte Halbdunkel seines Lieblingszimmers und schmiss sich erschöpft in einem Liegestuhl. Er gab sich ganz seinen Gedanken hin, die jetzt schon ein wenig
größer und gewaltiger waren, als noch vor kurzer Zeit. Aus einer dunklen Ecke ließ sich ein leises Rascheln vernehmen. Walram, der noch immer mit sich selbst beschäftigt war, beachtete es nicht weiter. Nach einer kurzen Zeit des Lauerns ertönte es wieder, diesmal aber ein bisschen näher und von einem leichten Schlurfen begleitet. Walram sah noch immer träumerisch an die Decke und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Auch nicht, als das Rascheln und Schlurfen immer näher kamen. Erst als er eine feuchte Berührung an seiner herabhängenden Hand spürte, kam er langsam wieder zu sich. Das feuchte Lecken hatte seinen
Unterarm erreicht und brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Instinktiv sprang er auf und ein paar Schritte zurück. Doch dann musste er lächeln. Das Buch! Er hatte es ganz vergessen. Nun war es herangeschlichen und hatte damit begonnen, das noch feuchte Blut an seinen Armen und Händen abzuschlecken. Noch immer hielt Walram unbewusst das noch warme Herz des Flugdrachens in der Hand. War es das? War es so einfach? „Das willst du also!“, sinnierte er. „Das hätte ich mir auch denken können!“ Walram ließ sich auf die Knie herab und bot dem Buch das Herz dar. Misstrauisch, jederzeit zur Flucht bereit,
aber von einer unermesslichen inneren Gier getrieben, kam es Stückchen für Stückchen herangerutscht. Erst leckte es, dann fasste es sanft nach dem Fleisch schließlich riss es in Ekstase ganze Brocken heraus. „Ist ja gut, mein Liebes“, säuselte Walram und streichelte ganz sanft den Einband. Das Buch ließ es geschehen. Vielmehr schnurrte es zufrieden, dachte aber nicht einen Moment daran, sein Mahl zu unterbrechen. Erfreut beobachtete Walram, wie sich einzelne Buchstaben auf der Oberfläche bildeten, die zu den Rändern hinstrebten, sich um diese herumwanden und im Innern des Buches
verschwanden. Sein Versuch allerdings, das Buch zu öffnen, wurde abschlägig mit einem giftigen Knurren beantwortet. „Na gut“, meinte Walram, „ich habe Zeit!“ Er fuhr also fort, das Buch zu streicheln, wartete aber ab. Die Zeit verging und nichts passierte. Zuerst schmatzte das Buch, dann rülpste es und zum Schluss gähnte es. „Ich habe da so eine Ahnung“, murmelte Walram und gähnte ebenfalls, ohne dabei kundzutun, von was er eine Ahnung hatte. Und noch ehe er es selber wusste, war er tief und friedvoll eingeschlafen. Er träumte seinen Lieblingstraum, den von
ruhm- und siegreichen Schlachten. Es war ein Räuspern, welches anfangs noch zaghaft, aber dann doch immer nachdrücklicher wurde und ihn schließlich aus den Kriegswirren seiner Fantasie riss. „Was?“, schrie er aufbrausend. Die fettigen Haare flogen wie ein Kreisel um seinen Kopf herum, als er sich in Angriffslaune schlagartig erhob und den Kopf ruckartig zurückwarf. Doch er war nicht auf dem Schlachtfeld und Feinde waren weit und breit auch nicht zu sehen. Nur ein verängstigter Flugdrache und ein dämlich grinsender Wasserfalltroll standen vor ihm. Mantur war zurück und hatte Fosse gleich
mitgebracht, an seiner Seite der kleine Preistreiber, in dessen Augen noch immer der blanke Hass geschrieben stand. „Augenblick, bitte“, sagte Walram. So gut es ging, versteckte er seine noch blutigen Hände im Umhang und lief in das Nebengelass des Raumes, in dem so einige Utensilien des täglichen Bedarfs vor sich hindämmerten, darunter auch eine Waschgelegenheit. Mantur musste sich nicht erst fragen müssen, was das Blut an den Händen seines Meisters bedeutete. Auch wenn Walram das Wort Gewissensbisse bislang noch nicht einmal buchstabieren konnte, so musste sein kleiner Diener doch nicht unnötig in
seiner hündischen und bedingungslosen Liebe zu seinem Herrn erschüttert werden. Mit sauberen Händen kehrte Walram zurück und nahm Mantur ein wenig beiseite. „Ich habe eine schlechte Nachricht für dich“, flüsterte er, „mein Kleiner. Eine sehr Schlechte! Wenn du jetzt weinen willst, soll es mir recht sein. Tu dir keinen Zwang an. Es geht um deinen Vater.“ „Um meinen Vater?“, flüsterte mit angstvollen Augen Mantur zurück. „Oh, es tut mir leid. Ihr habt ihn erwischt! Ich habe ihm immer gesagt, dass dieses Geschäft hinter eurem Rücken nicht gut gehen kann. Aber er wollte nicht hören!
Hat sich immer für schlau gehalten. Aber nur Dummköpfe unterschätzen die Situation. Und er ist ein wirklich großer Dummkopf. Bitte, Meister, bestraft ihn nicht allzu hart. Ich will auch versuchen, es wieder gutzumachen.“ Interessiert beäugte Walram seinen kleinen quirligen Diener. Er konnte dessen Angst regelrecht riechen. Ein schönes Gefühl! Und er liebte diese bedingungslose und schleimige Ergebenheit. Das war ein noch viel besseres Erlebnis! Es war schon faszinierend, mit dem Willen, den Hoffnungen und Träumen seiner Geschöpfe zu spielen. Und vor allen Dingen, die Richtung ihrer Gedanken
ganz nach seinem Gutdünken zu bestimmen. Wie mitfühlend legte er dem bebenden Flugdrachen seinen Arm um den schlanken Hals und streichelte väterlich das weiche Fell auf dem harten Köpfchen. „Wo denkst du hin! Ich könnte deinem Vater nie etwas antun, schon allein deinetwegen nicht. Obwohl er mich schon manchmal arg herausgefordert hat! Aber zu meinen mir treu ergebenen Anhängern bin ich gut, denn das haben sie verdient und das soll ein Teil ihres Lohns sein.“ Walram spürte, wie das Zittern nachließ und Mantur sich langsam beruhigte. Jetzt, so dachte er, jetzt kommt der
Hammer und der wird wehtun, ach wie schön! „Nur, es ist etwas passiert, was so nicht vorhersehbar war. Dein Vater ist wohl mit einem seiner Kunden in einen Streit geraten. Es muss ein sehr heftiger und grausamer Streit gewesen sein. Jedenfalls hat ihn dein Vater nicht überlebt. Als ich ihn fand, war er fürchterlich zugerichtet. Es blieb mir nur noch, seinen Tod zu beklagen und traurig an dich, mein kleiner und liebenswerter Freund, zu denken. Die Menschen waren es. Sie brachten deinen Vater aus Habgier um. Glaub mir, wir werden uns rächen, ich und du!“ Bevor Walram den letzten Satz zu Ende
brachte, hatte Mantur laut aufschluchzend seinen Kopf in des Zauberers Umhang vergraben und nässte diesen mit bitterlichen Tränen. Sein armes kleines Drachenherz wollte schier zerspringen vor unsäglichem Gram. Noch eine kleine Weile streichelte Walram den traurigen Kerl, während Fosse schon ungeduldig schnaufte. Als Schauspieler war Walram gar nicht mal so schlecht, oh ja, er war wirklich gut. Anderen Wesen etwas vorzuspielen war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Und in der Regel schaffte er es auch, das darzustellen, was er wollte und somit seinem Ziel ein Stückchen näher zu
kommen. Lüge und Überzeugungskraft gingen einher und spornten sich gegenseitig zu Höchstleistungen an. Aber irgendwann findet jedes Stück einmal sein Ende, so auch dieses. Als Walram den Reiz an dieser Farce verlor und meinte, des Guten genug getan zu haben, rief er den Türsteher, einen hässlichen und schmutzigen Kobold, und ließ Mantur von ihm hinausbegleiten. „Gib ihm Speis und Trank sowie eine Unterkunft hier in der Bergfeste. Er soll nicht zurück in die Höhle seines Vaters! Räumt diese vielmehr aus und lasst sie zuschütten.“ Nachdem die beiden verschwunden waren, wandte er sich Fosse zu. „Und
jetzt zu dir, lieber Freund“, säuselte Walram. „Ich denke, Mantur hat dir erzählt, wer ich war und bin. Und was meine Angelegenheiten sind.“ „Schon“, erwiderte der für seine Gattung eher mickrig zu nennende Troll. Der Begriff Freund schmeichelte ihn einerseits, machte ihn andererseits aber auch misstrauisch. „Allerdings weiß ich nicht, was ich dazu tun könnte.“ „Oh, das werde ich dir sagen.“ Walram war jetzt dicht an Fosse herangetreten, sodass ihm dessen Parfüm, welches von dem Gestank verwesender Fische aus dem schorfigen Trollmaul veredelt wurde, in die Nase
stieg. Der Preistreiber an Fosses Seite knurrte grimmig. Er hatte wohl die letzte Begegnung mit Walram nicht vergessen und somit noch eine Rechnung offen. Lächerlich, dachte der Zauberer, jetzt mucken auch schon die letzten Fliegen auf. Es war allerhöchste Zeit, dass er sein Furcht einflößendes Äußeres wiederfand. Walram fasste dem Preistreiber unter das Kinn und tat so, als ob er es kraulen wollte. Aber er tat eben nur so! Vielmehr stieß er, für einen zufälligen Betrachter nicht sichtbar, einen seiner Finger schmerzhaft in den unteren Gaumen des Preistreibers. Langsam und genussvoll drückte Walram
den Finger höher und höher, sodass der Knirps sich lang machen musste, wollte er vermeiden, dass die scharfen Fingernägel in sein Fleisch schnitten. Schon stand er auf den Zehenspitzen und japste nach Luft, da schlug ihm Walram noch fix in die Magengrube, als Fosse gerade interessiert die Einrichtung betrachtete und einen Moment lang nicht hinsah. „Nein, was ist das nur für ein lieber feiner Kerl, den ihr da als Gehilfen habt“, sprach er und hielt dem Wicht den Mund zu. „Ja, ja, schon wahr. Aber verwöhnt ihn nicht, sonst wird er faul. Also, was wollt ihr? Seid ihr nicht zufrieden mit
dem, was ihr bei mir gekauft habt? Wollt ihr noch mehr? Oder wollt ihr gar etwas verkaufen?“ „Weder noch! Ganz im Gegenteil. Ich brauche dich. Und zwar mit Haut und Haaren! Siehst du, was hier für ein Chaos herrscht? Ich bin gerade dabei, mein altes Reich wiederzuerrichten und es darüber hinaus noch zu vergrößern. Das geht aber nicht ohne eine gute Organisation. Nur haben die meisten meiner Diener dieses Wort noch nie gehört. Und so kommt es, wie es kommen muss. Und so ist es, wie es ist. Es mangelt an allem! Und alles geht drunter und drüber. Tritt in meine Dienste, lieber Fosse. Ich würde dir gern
alles übertragen, was mit der Beschaffung, Lagerung und Verwaltung von Waren zu tun hat. Euer Geschäft in der Höhle hat damals einen überwältigenden Eindruck auf mich gemacht. Ich glaube, ihr seid der Richtige!“ Fosse war gerührt. Aber er war auch noch unschlüssig. „Warum sollte ich dies wollen? Ich habe doch alles, was ich brauche und bin dazu noch unabhängig. Ach, übrigens, was würdet ihr denn ausspucken wollen? Zaster meine ich, Pinke, Geld, Gold.“ „Bestimmt selbst euren Preis!“ „Meinen Preis selbst bestimmen? Das
könnte ich tun?“ „Aber ja doch! Ich weiß kluge und tatkräftige Leute sehr wohl zu schätzen. Und keine Angst, du sollst auch unabhängig bleiben. Ich wünsche es sogar. Schlag nur hier dein Hauptquartier auf. Hallen, Helfer und Wachen, all das stelle ich dir zur Verfügung. Du darfst deinen Handel so betreiben, wie du lustig bist. Was du mit dem Gewinn machst, ist deine Sache.“ „Ich kann alles behalten?“, staunte der Troll nicht schlecht. „Aber sicher! Das Einzige, was ich verlange, das ist, es muss immer alles unaufgefordert und in ausreichender Menge vorhanden sein. Zumindest das,
was gerade benötigt wird. Übrigens, du hattest nicht ganz recht, als du sagtest, du hättest alles!“ „So, was denn nicht?“, wollte Fosse neugierig wissen, der sich langsam für den Gedanken erwärmte, in die Dienste des Zauberers zu wechseln. „Macht!“, donnerte Walram. „Macht! Lass dir dieses Wort auf der Zunge zergehen. Bei mir bekommst du sie! Ich gebe dir die wirtschaftliche Verwaltung über alle meine Gebiete. Dazu die Aufsicht über all meine Sklaven und Leibeigenen. Solange ich mich nicht um Belanglosigkeiten kümmern muss und es meine Sache voranbringt, kannst du tun und lassen, was du willst. Na, wie sieht
es aus?“ Fosse schluckte ungläubig. Wenn er dieses Angebot ausschlug, dann wäre er ein Dummkopf. Unzählige Massen, Geschöpfe der unterschiedlichsten Gattung für sich arbeiten zu lassen, sie auszunehmen, dazu Geschäfte jeglicher Art mit dem nötigen Druck zu tätigen, das würde ihn letztendlich unermesslich reich machen. Nein, Fosse wollte auf gar keinen Fall ein Dummkopf sein! „Also gut“, nahm er Walrams Angebot an. „Ich werde alles tun, was ihr verlangt. Wenn genug für mich dabei abfällt, habe ich auch kein Problem damit.“ „Gut, gut! Und noch etwas. Ich möchte,
dass du meinen Geheimdienst aufbaust und ihn gleichzeitig leitest. Ein gerissener Kaufmann wie du weiß doch bestimmt, wie man an Informationen kommt!“ „Das möchte ich meinen!“, betonte Fosse seine Worte ein wenig überheblich. „Mach schnell! Große Dinge sind am Werden und ich brauche dich. Und gequatscht wird nicht, ist das klar! Offiziell kennst du mich nicht, begriffen? Du haftest mir mit deinem Kopf dafür! Alles klar? Und jetzt mach, dass du an die Arbeit kommst. Wenn du Hilfe brauchst, dann wende dich an Rigomar oder Mantur. Für eventuelle Umbaumaßnahmen sind die Zwerge
zuständig.“ Fosse war es noch ganz schummrig im Kopf. Innerhalb weniger Minuten hatte sich sein ganzes Leben verändert. Das ließ sich nicht so schnell begreifen. Mit tausend Verbeugungen, solche Worte wie danke und nochmals danke murmelnd, den immer noch maßlos wütenden Preistreiber mit sich ziehend, bewegte er sich in Richtung Ausgang. „Halt, warte noch!“, bellte Walram. „Das Erste, was ich von dir brauche, sind Käfige. Rattenkäfige! Und bitte jede Menge davon! Und vor allem schnell! Am besten heute noch!“ Und noch ehe Fosse ein Wort des Widerspruchs verlauten lassen konnte,
hatte der Zauberer ein letztes Dankeschön gebrüllt und sich anderen Dingen zugewandt. So schüttelte Fosse nur seinen Zottelkopf und verließ fassungslos das Brauhaus. Rattenkäfige! Eigenartig. Gab es hier etwa eine Plage? Fosse war absolut kein Freund dieser Viecher und der Gedanke, sein neues Zuhause mit diesen ekligen Geschöpfen teilen zu müssen, widerte ihn an. Währenddessen hatte sich Walram wieder dem Buch zugewandt. Erst jetzt war ihm aufgefallen, dass es sich von selbst geöffnet hatte. Deutlich, mit übergroßer Schrift geschrieben, konnte er einen kurzen Text erkennen. Walram setzte sich gemütlich hin, zog das Buch
zu sich heran, wischte die fettigen Haarsträhnen aus seinem Gesicht und fing an, den Text zu studieren. Ein Zauberspruch, na, wer sagt es denn! Etwas, wie man ungeliebten Nachbarn Pickel und Pustel anhexen konnte. Nichts Weltbewegendes, aber immerhin ein guter Anfang! Überrascht stellte Walram fest, dass die Buchstaben und Zeichen, nachdem er sie gelesen hatte, oder besser gesagt, nachdem diese fast wie von selbst in sein Hirn eingedrungen waren und sich dort verewigt hatten, ins Nichts verschwanden. Nach dem letzten Wort war auch der Zauberspruch weg und einen Zweiten gab es nicht. Walram konnte gerade noch die
Fingerspitzen zurückziehen, ehe das Buch mit einem trockenen Schnappen zuklappte und laut zu schnarchen anfing. „So ist das also“, feixte Walram. „Gutes Futter, viel Liebe und Schlaf. Dann klappt das auch zwischen uns beiden. Und jedes Mal einen Zauber für mich! Nichts, was mich vom Hocker reißt, aber immerhin! Vielleicht spuckst du ja auch bald mal etwas Besseres aus.“ Walram streichelte den Buchrücken und das Papier. Was es nicht alles gab! Selbst er lernte immer noch dazu. „Aber jeden Tag Flugdrachenherzen, das geht wirklich nicht. Da müssen wir wohl etwas anderes finden. Werwölfe, damit wollen wir es später einmal
versuchen, wenn du ausgeschlafen hast.“ Er stand auf und ging vorsichtig auf die Terrasse hinaus. Die Zwerge waren noch immer dabei, den Schutt zu beseitigen. Einige verlegten Fußbodenfliesen, andere stellten Säulen in der Nähe des Abgrundes auf, zwischen denen sie eine halbhohe durchbrochene Mauer bauten, um ein ungewolltes Herabstürzen in den Abgrund zu verhindern. Auch etliche Gartenzwerge wirbelten umher und pflanzten Wein, Rosen und Efeu in runde, auf Sockel ruhende und sauber geschliffene Kübel aus Granit. Hübsch, dachte Walram. Für mich schon bald zu hübsch! Für Feen und Elfen genau das
Richtige. Menschen, so erinnerte er sich, mochten auch so etwas. Für ihn aber war es zu hell und zu schön. Etwas düsterer wäre genau richtig! Ach was, Kleinigkeiten! Walram stellte sich an die fertige Balustrade und schaute über dem bedrohlich wirkenden Wald am Fuße der Felsen hinweg bis weit in das Land hinein. „Ratten“, murmelte er. „So schlecht ist die Idee eigentlich nicht. Nur etwas zu kurz geraten! Ich werde daraus einen Plan machen. Und in diesem passen die Ratten eigentlich ganz gut hinein. Ich werde sie zu den Menschen schicken! Wie sagen diese doch immer so schön? Ich lasse sie in ihrem eigenen Saft
schmoren! Ich werde ihnen das Leben vermiesen. Ganz langsam und genüsslich. Oh weh, das wird ein Spaß! Warum komme ich bloß erst jetzt darauf? Ha, und keiner wird merken, dass ich dahinter stecke! Einfach genial!“ Vor lauter Freude hätte er gerne einen Zwerg durch die Luft getreten. Aber im Augenblick waren die in ihrem Schaffen nützlicher. „Alles zu seiner Zeit“, freute sich Walram, zog einen Kreis, stampfte auf und fuhr abwärts. „Erst die Ratten!“, rief er laut. Und wieder spritzten alle, die es hörten,
auseinander.
Gabriel versuchte den halb auf ihm liegenden und fest schlafenden menschlichen Körper beiseitezuschieben, aber dazu reichte seine Kraft schon lange nicht mehr aus. Unbarmherzig brannte die Sonne auf das große Schuppendach. Die Luft war heiß und stickig. Es roch nach menschlichem Schweiß, Erbrochenem, Urin und anderen Fäkalien. Unmengen von großen Fliegen schwirrten durch die Luft und peinigten die Gefangenen, die sich in ihren eisernen Fesseln kaum zu rühren vermochten. Sie alle hatten fürchterlichen Durst, der
in dieser brütenden Hitze zu einer unsäglichen Qual wurde. Seit Tagen gab es keine Nahrung. Ungewaschen stanken die Körper der Menschen erbärmlich und zogen jede Menge widerliches Ungeziefer an. Dicht an dicht lagen oder lehnten sie an der hölzernen Schuppenwand und harrten erschöpft und gleichgültig der Dinge, die da kommen sollten. Obwohl sie alle aus den Bergdörfern der näheren Umgebung stammten, kannten sie sich doch kaum. Einige von ihnen waren dem Wassermangel mittlerweile erlegen, andere bislang nur ohnmächtig. Viele stöhnten halblaut und ein paar weinten sich in den Schlaf. Gabriel hatte schon
lange keine Tränen mehr. Behutsam streckte er Arme und Beine. Und doch war er nicht vorsichtig genug! Das rohe Fleisch unter dem zu einem Ring geschlossenen rostigen Eisen, welches Hände und Füße fesselte, wehrte sich und trieb ganze Kaskaden von Schmerzen durch seinen dünnen ausgemergelten Körper. Die Wunden wollten einfach nicht heilen. Sie konnten es nicht. Denn immer wenn sich ein heilsamer Schorf zu bilden begann, riss die nächste Bewegung diesen wieder auf und Eiter in Verbindung mit einer wässrigen Flüssigkeit trat an seine Stelle. Von den anderen Schnittwunden auf
seiner Brust und an seinen Armen ganz zu schweigen. Blaue Flecke, entstanden durch harte und unbarmherzige Schläge, rührten hier überhaupt keinen zu Tränen. Obwohl Gabriel nicht gerade kräftig, sondern eher schwächlich war und keineswegs kampferfahren, hatte er sich doch nicht einfach der mordenden und plündernden Meute ergeben. Um sich geschlagen und um sich gebissen hatte er, ohne Rücksicht auf Verluste. Gekratzt wie eine Katze! Doch er war eben kein ernst zu nehmender Gegner und so endete seine Gegenwehr schnell und schmerzhaft. Mit Wehmut dachte Gabriel an frühere, bessere Tage, obwohl ihn das Leben
noch nie auf Rosen gebettet hatte. Er war ein Waisenknabe, geboren tief im Süden, weit hinter dem Gebirge am blauen Meer, wie manche Leute behaupteten, die vermeinten, es wie alles andere auch besser zu wissen. Mutter und Vater hatte er nie kennengelernt. Solange er zurückdenken konnte, hatte Gabriel in dieser kleinen und feuchten Erdhöhle oberhalb der Quelle gehaust, die ins Dorf hinab floss. Und in die hatte er des Öfteren sein Wasser gelassen, immer dann, wenn die doppelzüngigen Dörfler das kühle Nass für den Heimgebrauch schöpften. So rächte er sich in der Regel an ihnen für eine neuerlich erlittene
Schmach. Die Dorfbewohner waren arm. Sie kämpfen täglich um ihr Überleben. Solche Worte wie Freude und Glück waren ihnen unbekannt. Sechzehn Stunden und mehr war ihr Arbeitstag lang. Anschließend hungerten sie sich und ihre Kinder in den Schlaf. Jahraus, jahrein. Und trotzdem fanden sie die Zeit, dem verdammten Dieb und Bastard Beine zu machen. Denn dieses Spiel war eines der wenigen, was ihnen Spaß bereitete und zudem kostenlos war. Nach solchen unwichtigen Nebensächlichkeiten wie Schuld oder Nichtschuld wurde gar nicht erst lange gefragt. Recht hatte immer der, welcher
am lautesten schreien konnte und die Mehrheit auf seiner Seite hatte. Obwohl Gabriel hier und da auf den Gehöften für etwas Nahrung mitarbeitete, musste er sich doch dann und wann aufs Stehlen verlegen, um seine Rippen mit ein wenig zusätzlichem Speck zu bepflastern, wie man so sagte, um so den nächsten Tag zu erleben. Allerdings trugen es ihm die Dörfler nach, manchmal sogar sehr schmerzhaft. Sie jagten und schlugen ihn, wann immer sie seiner auch nur habhaft wurden. Und doch, allen Wünschen zum Trotz, erlebte er immer wieder den nächsten Winter. Er war das Unkraut dieser Welt. Überall zu finden, gegen die Unbilden
des Lebens weitgehend resistent, zäh und gesund, intelligent, widerstandsfähig und einfach nicht totzukriegen. Und so war Gabriel allein und ständig in dem alltäglichen Überlebenskampf verwickelt, der nie auch nur einen Moment Pause machte. Und das Wort Hass hatte er zu schreiben und buchstabieren gelernt. Er hasste alles und jeden. Und so kam es, dass er oft schlaflos in der Nacht am Eingang zu seinem dunklen Erdloch hockte und den Dorfbewohnern alles nur erdenklich Schlechte wünschte. Und wie durch ein Wunder schienen seine hitzigen Fantasien eines Tages wahr zu
werden. Das Grauen kam! Es ging um bei Nacht, später auch bei Tag. Es kam vom Rand des Gebirges heraufgekrochen, unaufhaltsam und nimmersatt. Ängstlich drängten sich die Menschen des Nachts an ihren spärlichen Herdfeuern und zitterten gemeinsam. Alte Geschichten aus längst vergangenen Tagen, an denen das Böse bekämpft und besiegt wurde, machten die Runde. Aber auch solche aus einer noch früheren Zeit, in der furchtbare und unaussprechliche Dinge geschehen waren. Die Alten des Dorfes, die schon einmal einen Druiden gesprochen hatten, denn die meisten hatten nicht mal einen gesehen, wurden
um Rat gefragt. Doch keiner wusste eine Antwort. Und so drängten sie sich noch näher zusammen und suchten einen fragwürdigen Schutz in ihrer wärmenden Gemeinschaft, während leuchtende Augen drohend durch ihre Fenster starrten und Wiedergänger mit Äxten auf ihre Türen einschlugen. Wölfe versuchten sich unter die Stallmauern hindurchzugraben, um das Vieh zu schlagen. Werwölfe jagten im Wald auf längst vergessenen Pfaden einsame Wanderer und Händler. Blutfledermäuse nutzten jeden größeren Spalt eines Hauses, um einzudringen und über die Bewohner
herzufallen. Erst der Tag hatte Erbarmen. Die Dörfler konnten das Vieh auf die Weide treiben und ihren Geschäften nachgehen. Und wenn sie ganz großes Glück hatten, dann fanden sie noch etwas Schlaf, bevor die nächste Nacht ihren Mantel der Furcht erneut ausbreitete und alle darin einhüllte. Und dann kamen die Wölfe auch am Tag und mordeten das Vieh, die einzige Lebensgrundlage der armen Menschen hier. Und mit ihnen kamen die Ratten und fielen über die wenigen Vorräte in den Speisekammern her. Und somit tauchte ein noch viel schlimmerer Feind auf, der die Hoffnung zerstörte,
Krankheiten hervorrief und die ohnehin schon schwächlichen Dörfler besiegte. Es kam der Hunger. Und er kam zu einer Zeit, in der die Vorratskammern ohnehin leer waren und das Getreide auf den Feldern gerade erst zu keinem begann. Und dann, eines Nachts, ertönte ein ohrenbetäubender Lärm. Werwölfe zogen den halb verhungerten Gabriel aus seiner Erdhöhle und trugen ihn zusammen mit anderen armen Seelen ins Dorf hinab. Dort schlugen Wiedergänger zusammen mit ein paar Wiesentrollen, alle beide widerliche und bösartige Geschöpfe der Erde, mit Äxten die Türen der Häuser ein und zerrten die verschreckten Bewohner auf die von
vielen Fackeln und brennenden Hütten hell erleuchtete Dorfstraße hinaus. So mancher brave Mensch verlor sein Leben in diesem einem Exzess der Gewalt gleichkommenden Getümmel und ward nie wieder gesehen. Bestimmte Geschöpfe der Dunkelheit, deren Name die Menschen sich nicht auszusprechen getrauten, sollten dem Menschenfleisch wohl sehr gewogen sein, so sagte man. Und so kam es, wie es die Gesetze der Gewalt und des Krieges vorherbestimmten. Die Dörfler hatten nicht die geringste Chance, und ehe sie sich versahen, wurden sie als brauchbar oder aber als nicht brauchbar eingestuft und aussortiert, um anschließend von
den Mordbrennern in Eisen gelegt zu werden. Alle anderen machten eine nähere Bekanntschaft mit dem Feuer, so mancher tollen Klinge oder aber den Magensäften bestimmter Geschöpfe der Finsternis. Und dann begann der lange und furchtbare Marsch in Ketten. Es ging die wilden und steilen Pfade an den Berghängen hinab ins Tal, hin zu den großen und dunklen Wäldern am Fuß des Gebirges. So mancher entkräfteter Körper gab sich der Hoffnungslosigkeit hin und sank am Wegesrand nieder, wo er sein Leben in eisernen Töpfen verlor, um anderes, dunkles Leben zu verlängern. Gabriel, sein ganzes Leben
lang an Entbehrungen gewöhnt, hielt sich noch verhältnismäßig gut. Und so war er einer von Wenigen, die das vorläufige Ende ihrer unfreiwilligen Reise erleben durften. Gabriel versuchte nochmals den fremden Körper abzuschütteln, was wiederum misslang. Der auf ihm liegende Fremde schlief nicht, wie er ursprünglich gedacht hatte, nein, er war tot. Grausame Pein schnürte Gabriel die Kehle zu und bescherte ihm eine Atemnot. Das lautstarke Wegrücken des Riegels an der Eingangstür lenkte ihn ab, sodass er wieder ein wenig Luft bekam. Die Doppeltür, welche windschief in ihren
Angeln hing und erbärmlich quietschte, wurde aufgestoßen und Licht fiel auf die vielen traurigen Gestalten, die den Innenraum bevölkerten. „Raus mit euch, ihr Lumpenpack!“, brüllte ein kleiner untersetzter Wiesentroll mit einer sich überschlagenden Stimme, den man nur als weitaus hässlicher als hässlich bezeichnen konnte. Er fasste das der Tür nächste Ende der langen Kette, welche die Gefangenen alle miteinander verband und zog an ihr. Nichts passierte! Auch als ihm einige seiner Wächterkumpane zu Hilfe kamen, bewegte sich noch immer nicht viel. Trotz Murren kamen sie nicht umhin, in
den Gestank der Hütte einzutauchen. Widerwillig mussten sie noch so manchen toten Körper aus Haut und Knochen, welcher vormals zu einem Menschen gehörte, der nun in ein anderes Reich hinübergewechselt war, von den Fesseln aus Eisen befreien. Erst dann ließen sich die noch Verbliebenen unter dem lauten Schrei der Qualen führen, hinaus ins grelle Tageslicht, welches schmerzhaft in ihre der Sonne entwöhnten Augen drang. Und jetzt befreite man auch den Letzten von seinen Fesseln. Anschließend wurden sie wie Vieh in eine Umzäunung getrieben und dort mit Wasser aus undichten Ledereimern überschüttet. Die
Trolle fluchten. „Sklavenarbeit ist das, was wir da tun“, schimpften sie und verpassten den Notleidenden noch so manchen Knuff. „Richtig!“, rief eine junge befehlsgewohnte Stimme. „Sklavenarbeit. Nur, damit diese getan werden kann, brauchen wir Sklaven! Und ihr habt sie besorgt. Gut! Also, tötet sie jetzt nicht noch, damit sie in Zukunft die von euch so ungeliebte Arbeit verrichten können, während ihr euch auf euren prallen Hinterbacken wälzt!“ Gabriel versuchte aus den Augenwinkeln heraus einen Blick auf den Sprecher zu erhaschen, der sich da so gebieterisch
gab. „Ach, der Herr Welf! Hat sich in das Menschenpack verliebt!“, höhnte ein dicker Troll. „Und dann noch hegen und pflegen, was? Schau her, so etwa?“ Der Unhold griff sich eine mittelgroße Keule und platzierte seinen Schlag mitten in das Gesicht des ihm am nächsten stehenden Gefangenen, der sofort stöhnend auf die Knie sank. Knochen splitterten, Zähne brachen, Blut floss. Ein kleines Weilchen zitterte der Geschundene noch, dann sank er zum Entsetzen seiner Mitgefangenen leblos nach hinten über. „Meinst du etwa so? Oder ist das noch nicht zärtlich
genug?“ Seine verwahrlosten und dreckigen Kameraden grinsten hämisch und zustimmend. „Ich warne euch!“, drohte Welf. „Ich warne euch wirklich und nachdrücklich. Treibt es nicht zu weit! Diese Menschen hier und noch etliche andere mehr brauchen wir zum Arbeiten. Oder wollt ihr mit zupacken? Wir haben große Aufgaben vor uns. Große Kämpfe warten auf euch! Ihr könnt euch noch mehr als genug beweisen und die Menschen jagen, so lange und so viele, wie es eure Kräfte hergeben. Diese hier aber lasst in Frieden! Und jeden anderen auch, der für den Herrn dieser Festung
arbeitet! Oder soll ich ihm berichten, dass seine angeblich so großen Krieger seine Befehle nicht achten? Und sich dazu noch stärker und klüger dünken als der Mächtige selber? Hm, was meint ihr? Soll ich es ihm sagen?“ Die grimmigen Wächter waren unter ihrer graugelben Lederhaut blass geworden. Sie schauten wütend drein und schwiegen gemeinschaftlich. „Dachte ich es mir doch“, fuhr Welf fort. „Also, säubert sie, gebt ihnen ihre Rationen und schafft sie anschließend zu Fosse, dem neuen Minister für Beschaffung und Profit oder wie er sich sonst noch nennen mag. Vorher aber lasst mich einen von ihnen auswählen.
Dem Glücklichen ist eine Sonderaufgabe zugedacht.“ Der Junge ließ die Gefangenen in einer Reihe Aufstellung nehmen und schritt diese dann ab, wobei er die eine oder andere abgerissene Kreatur ausgiebiger musterte. Er warf kleine Kiesel nach ihnen, die sie zu fangen versuchen mussten. Ein paar der Gefangenen verwickelte Welf in ein Gespräch, anderen wiederum befühlte er die Muskeln. So richtig zufrieden sah er allerdings nicht aus. Schließlich und nach langem Zögern entschied er sich für einen der Unglücklichen und befahl diesem, ihm zu folgen. Tränen standen dem Mann ins Gesicht. Nach ein paar
Metern fiel er auf die Knie, streckte seine Arme in die Luft und fing laut an zu wehklagen. „Das auch noch! Ein Jammerlappen! Genau das, was ich nicht brauche“, sagte Welf verächtlich und versetzte dem vor ihm Knienden einen Tritt, sodass dieser auch noch das restliche Stück zum Boden schaffte und den Staub küsste. „Ist ja auch egal, wen ich nehme. Alles die gleiche minderwertige Ware!“, schnaubte der Junge und griff sich den nächstbesten und der war zufällig Gabriel. „Und du? Bist du auch so eine Tränendrüse?“, fragte Welf genervt. Beherzt schüttelte Gabriel den Kopf,
sagte aber wohlweislich nichts. Vielleicht war dies seine Chance, vielleicht sogar die allerletzte, dem Schicksal der anderen zu entgehen. „Gut“, entschied Welf, „versuchen wir es mit dir. Folge mir!“ Und so schlug er die Richtung hin zu den zahlreichen und großen Einzäunungen ein, vor denen unzählige Hütten standen. Und sein Auserwählter trottete hoffnungsvoll wie ein Hündchen in einem angemessenen Abstand hinter ihm her. „Und was ist mit dem hier?“, brüllte der wachhabende Troll hinter Welf her und zeigte auf das jammernde Wesen im
Staub. „Kein Bedarf, Abfall, unbrauchbar“, schrie der Junge zurück, ohne sich auch nur umzudrehen. „Ha, Abfall ist gut, gefällt mir“, freute sich der Troll und ließ seine Keule auf den unglücklichen, immer noch am Boden liegenden Dörfler solange tanzen, bis dieser nie wieder jammerte. Welf schien das nicht weiter zu berühren. Und Gabriel, wie dieser erstaunt feststellte, eigentlich auch nicht. Vielmehr machte sich so etwas wie Schadenfreude in ihm breit. Die jahrelange Hänselei und die offenen Anfeindungen hatten ihre Spuren in ihm hinterlassen. So etwas wie Mitleid kam
nicht auf! Ganz im Gegenteil! Die beiden kamen vorbei an einer Vielzahl von Gehegen, in denen Werwölfe, Wald- und Wiesenwölfe und große, furchtbar anzuschauende Bluthunde herumtollten und sich gegenseitig in einer Art Wahnsinn bissen. „Nicht langsamer werden!“, drängte der Junge zur Eile. „Wir sind gleich da.“ Aber dann blieb er doch noch einmal stehen, um Gabriel ausgiebig zu betrachten. Unzufrieden rümpfte Welf die Nase und schüttelte den Kopf. „So können wir dich nicht herumlaufen lassen, nein, wirklich nicht!“, sagte der Junge. „Da bekäme ich ja was zu hören! Auf, komm mit, jetzt geht es baden“, rief
er fröhlich. Er wechselte die Richtung und stieg hinunter zum nahe gelegenen Fluss, welchen man zwar noch nicht zu sehen vermochte, dafür aber sein Rauschen schon umso deutlicher hören konnte. Ein schmaler ausgetretener Pfad führte durch die Baumreihen hindurch und an ein paar große, vereinzelt aus dem Boden herausragende Felsen vorbei. Und schon blinkte das graublaue schäumende Wasser durch die Zweige. Ein paar Schritte noch und sie hatten es geschafft. Das abschüssige und mit Geröll übersäte Ufer mit einem kleinen und bequemen Einstieg über eine ins Wasser hineinragende Felsplatte lag vor
ihnen. „Ausziehen!“, befahl Welf. Gehorsam zog Gabriel seine Jacke aus und wartete angstvoll. „Ganz!“, herrschte ihn der Junge an. „Mach, mach, mach, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“ Und er fasste mit zu und riss dem Gefangenen mit aller Kraft die Lumpen vom Leib und warf diese anschließend in den Fluss, der sie erfasste und mit sich fortführte. Obwohl Welf vielleicht gerade mal vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sein mochte, während Gabriel schon an der Schwelle zum Mannesalter stand, so hatte Rigomars Sohn doch die Körpergröße der Nordvölker geerbt und
war jetzt schon so groß wie sein hageres Gegenüber. Welf hatte aber nicht nur die Größe seiner Ahnen geerbt, sondern auch ihre Kräfte. Er gab Gabriel einen Tritt, und ehe der sich versah, fand er sich im kalten Wasser wieder. Der Fluss, angefüllt mit dem Schmelzwasser des Winters aus den Bergen, ließ ihn seine Kraft spüren, zog ihn spielerisch unter seine Oberfläche und gab ihm von seinem Lebenssaft zu kosten. Da erwachten wieder Gabriels Lebensgeister. In höchster Not strampelte er sich an die Oberfläche und entsann sich dort seiner Schwimmkünste, gelernt in früheren und
besseren Kindertagen. Welf, der bis zu den Knöcheln im Wasser stand und sich gerade den Oberkörper abwusch, staunte nicht schlecht. „Wo lernt ein Bewohner der Berge denn so schwimmen?“, fragte er. „Eigentlich stamme ich vom blauen Wasser, tief im Süden, weit hinter dem Gebirge. Dort habe ich es gelernt, als ich noch ganz klein war.“ Tief im Süden also, hm. Könnte sich als nützlich erweisen, so dachte Welf. Fast hätte er den Gefangenen gebeten, ihm seine in dieser Gegend seltenen Künste beizubringen, besann sich jedoch noch rechtzeitig. Es ziemte sich einfach nicht, einen Sklaven, Leibeigenen, Diener
oder was auch immer, um etwas zu bitten. Gewisse Grenzen mussten einfach gewahrt bleiben. Mistgrenzen, fluchte der Junge innerlich, reichte dem nackten und fröstelnden Gabriel aber immerhin die Hand und half ihm an Land. „So, das wäre dies“, sagt er lakonisch und: „Mir nach!“ Der Weg zurück war der gleiche wie hin. Lautes Gelächter und so manche höhnische Bemerkung begleiteten die beiden auf ihren Weg. „Na, einen nackten Frosch gefangen?“, tönte es von allen Seiten. Das war noch eine der harmloseren Bemerkungen und zudem ein riesengroßer Quatsch. Denn Frösche
sind schließlich immer nackt. Oder nicht? Aber Welf ließ sich nicht irritieren, obwohl so manche Trollfrau flötete und sich in den Hüften wiegte und so mancher Werwolfmann anzügliche Handbewegungen machte, über die hier lieber geschwiegen werden soll. Er führte seinen nassen Frosch in ein schönes großes Haus mit vielen Eingängen und dort in ein Zimmer mit etlichen großen Schränken und Truhen. Prüfend schaute er in die eine oder andere, bis er glaubte, gefunden zu haben, wonach er suchte. Es waren Welfs abgetragene und bereits abgelegte Klamotten, in denen der Junge noch ein
wenig unschlüssig herumkramte. Aber endlich hatte er sich entschieden und zog eine Lederhose, ein Lederwams sowie ein Leinenhemd und Stiefel hervor und schmiss diese dem schamhaft dastehenden Frosch hin. „Zieh an“, knurrte er. „Müsste passen. Vielleicht ein wenig groß. Aber ein bisschen Brot und du bekommst wieder Speck auf die Rippen.“ Zufrieden sah er zu, wie Gabriel sich in diese für ihn ungewohnten Sachen quälte. Obwohl schon gebraucht, so hatte er doch noch nie in seinem Leben etwas Gleichartiges, schon gar nicht in dieser Qualität, besessen. Passte, saß, wackelte und hatte Luft!
Gabriel fühlte sich langsam wohl. Er war sauber, hatte neue Kleidung, war seine Fesseln los und wurde zumindest im Moment so gut behandelt, wie noch nie in seinem Leben. Fehlte nur noch eine gute Mahlzeit. Oder auch zwei. Oh ja, dann wäre er zufrieden. Aber auch an das hatte sein neuer Herr gedacht. Und wieder ging es raus aus dem Haus und eine Eingangstür weiter wieder hinein. Ihr Weg, wie sich herausstellte, führte in eine übergroße Küche, in der geschäftiges Treiben herrschte. Hunderte Kobolde und Wichte versuchten sich in ihrem Eifer und Kochkünsten zu übertreffen. Köstliche
Düfte lagen in der Luft und ließen das sprichwörtliche Wasser im Mund zu einem Springquell werden. Gabriel seufzte tief und träumerisch. Hier eine kleine Schlaf- und Essecke, inmitten dieser Reichtümer an Nahrung, mehr würde er dem Leben nicht abverlangen. Welf drückte ihn auf eine mehlige Bank vor einem der extralangen Tische nahe dem Backofen, winkte einen Wicht mit weißer Schürze und einem hohen Hut heran und gab diesem eine knappe Anweisung. Schon flitzte der Kleine los und brachte ein paar Backwaren vom Vortag. Dazu einen Krug mit frischem und klarem Quellwasser und fertig war das
Festbankett. „Hier, habe ich ganz vergessen“, sagte Welf und zog noch einen zerknitterten Hut mit großer Krempe und langer Feder aus seiner Umhängetasche und patschte sie dem hungrigen Frosch auf den Kopf. „Damit deine langen Haare dir nicht beim Essen aus Versehen in den Mund geraten“, witzelte er und dann: „Iss jetzt und danach schlaf! Draußen vor dem Haus, vier Türen weiter nach links, findest du einen großen Schlafraum für die Knechte. Dort bekommst du bestimmt ein freies Lager. Und dort erwarte ich dich morgen Abend vor der Tür. Dann, wenn die Sonne im Westen versinkt. Lass mich nicht
warten!“ Welf erhob sich und ließ den ausgemergelten Südländer allein. Allein mit sich und seinen neuen Eindrücken. Allein mit seinem neuen Leben und einem Berg nie gekannter Schätze in Form von Backwaren, mochten andere dieses Zeug auch als Abfall betrachten. Und Gabriel aß. Er aß und aß, dass er meinte zu platzen. Und dann aß er weiter, wie noch nie in seinem Leben. Und dann schlief er wie noch nie in seinem Leben, glücklich und traumlos und nicht, wie befohlen im Schlafsaal der Knechte, sondern gleich hier am Tisch. Und jedes Mal, wenn er aufwachte, dann aß er weiter. Und siehe
da, Welfs alte Klamotten passten langsam. Schon seit geraumer Zeit wartete Gabriel vor der verabredeten Tür. Er hatte sich genauso eine kleine Umhängetasche mit Fransen geben lassen, wie er sie bei Welf gesehen hatte und diese randvoll mit Brötchen, Braten und Kuchen vollgestopft. In einem Moment der Schwäche hatte er die für ihn so kostbaren Sachen stibitzt. Aber es war wirklich nur ein Moment der Schwäche! Auch eine kleine Trinkflasche hatte Gabriel sich besorgt, diese mit einem drittklassigen und
verdünnten Wein gefüllt, der für ihn das Gleiche war, wie für die Biene der Honig. Mit einem selbst gefertigten Haken hatte er diese dann an seinem Gürtel befestigt und trug sie nun ständig bei sich. Jetzt wartete er wie befohlen auf seinen neuen Herrn. Gabriel war etwa eine Stunde früher gekommen als verlangt, denn er wollte die neuen Privilegien keinesfalls aufs Spiel setzen. Und so hockte er auf einem Hauklotz und knabberte an einem Stück Kuchen. Allzu lange musste er nicht warten, bis er ein Rumpeln hörte. Ein übergroßer Transportwagen, angefüllt mit Kisten, gezogen von sechs Ochsen, ein
angebundenes Pferd hintendran, Welf hoch droben lachend auf dem Kutschbock, die Zügel fest in der Hand, zuckelte heran und blieb neben ihm stehen. „Herauf mit dir, du nackter Frosch“, scherzte Welf und reichte Gabriel hilfreich seine Hand. Kaum hatte der sich auf den Wagen geschwungen, ging die Fahrt auch schon weiter. Die Sonne versank und die Sterne begannen sich wichtig zu machen. Es dauerte ewig, bis sie das in den letzten Wochen geradezu riesig gewordene Lager rings um die Bergfeste verließen. Welf lenkte den Wagen durch eine Schneise im Wald auf einer gut
ausgebauten, aber schmalen Straße nach Osten, immer am Rand des Gebirges entlang. Sie passierten Tore und Wachhäuschen in großer Zahl. Auch jetzt noch, wo eigentlich alle friedvollen Seelen ihre wohlverdiente Nachtruhe suchten, herrschte ein emsiger Verkehr auf der Straße. Handelsgüter in großer Zahl wurden herangekarrt. Andere Waren verließen die Bergfeste wiederum in alle Himmelsrichtungen. Man sieht deutlich Fosses Hand, dachte Welf. Für einen Troll ist der ganz schön clever. Und so zottelten sie gemächlich dahin und die Zeit mit ihnen. Hin und wieder musste Welf richtig brüllen, um so die gewünschte Vorfahrt zu erhalten. Zeigen,
wer Herr der Straße ist, so nannte Rigomars Sohn seine Ausfälle. Aber immer gelang dies auch nicht. Manchmal musste selbst er in allerletzter Sekunde in den flachen Straßengaben rollen, wenn ein verrückt gewordener Kutscher mit seinem Gefährt heranbrauste. Da hieß es Ruhe zu bewahren, den Kopf zu schütteln und sich den Angstschweiß von der Stirn zu wischen. In diesen Augenblicken verdampften Nerven und die Zunge verlor ihre Fähigkeit zur Sprache. Auch wenn Welf lauthals nach Rache schrie, so musste er im Augenblick doch an seinen Auftrag denken. Also, mit viel Mühe wieder raus aus dem Graben und
weiter die Straße entlang! Nachdem der größte Verkehr vorbei war, blieb er schließlich an einer günstigen Stelle stehen, an der die Straße um vieles breiter als bislang war und warf Gabriel die Zügel in den Schoß. „Jetzt du!“, forderte er und lehnte sich theatralisch mit angstvollem Blick zurück, wobei er sich an die Seitenwand des Kutschbockes klammerte und der Dinge harrte, die da kommen sollten. Aber nichts kam! Gabriel zog zwar die Zügel stramm und schrie aus Leibeskräften: „Los, los, zieht an, ihr dummen Viecher!“ Aber nichts geschah. Und so begann seine erste Lehrstunde. Und es folgte
eine Zweite, eine Dritte, eine Vierte. Dann erst hatte er begriffen und erst dann konnte man sagen, die Ochsen folgten seinem Willen. Oder zumindest taten sie so. Welf war unterdessen der Spaß vergangen. „Schlafen!“, befahl er. „Gefahren wird nur nachts, hörst du! Niemals am Tage. Befehl! Befolge ihn! Ebenso seine Brüder und Schwestern, die ohne Zweifel noch folgen werden. Tu es und du hast ein halbwegs angenehmes Leben.“ Gabriel gedachte sich daran zu halten. Inzwischen hatte sein neuer Herr den Wagen an den Rand des Weges und unter die großen Bäume gelenkt. Er
öffnete die Klappe unter dem Kutschbock, der in Wirklichkeit eigentlich eine riesige Kiste war. Dort lag eingerollt in einem großen Bärenfell ein Irrwicht, mit, für einen Irrwicht jedenfalls, gewaltigen Ausmaßen. Er war fast so groß wie ein ausgewachsener Werwolf. Welf trat ihm mehrmals unsanft in den Rücken, bis der Wicht sein Schnarchen vergaß und brummend erwachte. „Komm ja schon, gleich, gleich“, quäkte er weinerlich. Er rollte sich aus dem Fell und kletterte auf den Kutschbock, wo er die Kapuze von seinem zerschlissenen Umhang ganz tief ins Gesicht
zog. „Darf ich vorstellen, Harm ist sein Name“, schmunzelte Welf. „Er wacht am Tage und du arbeitest in der Nacht. Alles klar? Und jetzt komm! Schnell! Solange das Fell noch warm ist. Nachtruhe ist angesagt.“ Er krabbelte voran in die Kiste und zog Gabriel hinter sich her. Während die beiden sich schon in das Bärenfell kuschelten, verschloss Harm die Kiste von außen und stimmte halblaut ein uraltes Irrwichtlied an, das schläfrig machte und die beiden Nachtschwärmer in die Traumlandschaften
hinüberbegleitete. Als der Tag erneut Platz für die Nacht machte, kletterten sie wieder auf den Kutschbock und zogen weiter. So wurde das Bärenfell in der Schlafkiste nie kalt. Schweigsam hüllten sie sich zusätzlich in Decken, um die feuchte Kühle des Morgens zu verschrecken. Welf hatte etwas Brot und Käse hervorgekramt und brüderlich geteilt. Während sie mit vollem Mund kauten, hing jeder seinen Gedanken nach. Schon bald verzweigte sich der Weg und sie bogen nach rechts ab, weg von der Lebhaftigkeit der Straße. Der Waldweg
war einsam, was sich als sehr angenehm erwies. Aber er war auch schlechter, was schon weniger angenehm war. So wurden sie reichlich durchgeschüttelt. Selbst aus den zahlreichen Kisten ließ sich ein genervtes Fiepen und Fauchen vernehmen. Und dann sahen sie eines Tages viele Lichter vor sich. Ein Dorf. Die Nacht war noch jung und die Dörfler träumten wohl noch mit offenen Augen vor ihren Öfen. „Na endlich!“, stöhnte Welf. „Ich dachte schon, wir kommen nie an. Fahr bis zum Rand des Dorfes. Dort hältst du an. Dann zeige ich dir, was in der nächsten Zukunft deine Aufgabe
ist.“ Wortlos nahmen Gabriel die Zügel und tat wie ihm geheißen. Obwohl die Lichter so nahe schienen, dauerte es noch gut zwei Stunden, bis sie wieder anhielten. Ein Gutteil der Dörfler war mittlerweile ins Bett gegangen und auch so manches Licht hatte sich zur Ruhe begeben. „Um so besser“, flüsterte Welf und sprang vom Wagen. „Komm, heb deinen Hintern und hilf mir!“ Gabriel hopste in den weichen Sand und folgte ihm zur Rückseite des Wagens. Dort sah er, wie Rigomars Sohn gerade die Kisten studierte. Schließlich entschied Welf sich für eine, kletterte
auf den Wagen und reichte sie Gabriel herunter. Und dann noch eine. Das erschien ihm dann wohl als ausreichend und er folgte den Kisten. Er legte den Finger auf den Mund und machte: „Pst! Keiner darf dich je hören! Und nun pass auf.“ Die Kisten hatten, wie Gabriel jetzt sah, alle eine Klappe. Welf hob die eine an und heraus strömten jede Menge Ratten. „Da entlang!“, sagte er und wies mit dem Finger ins Dorf. Die pelzigen Viecher folgten ohne Zögern den ihnen gewiesenen Weg. „Nummer eins! Es folgt Nummer zwei.“ Und auch die nächste Kiste öffnete er und siehe da, zwei kleine Irrwichte
krabbelten unbeholfen heraus. „Ins Dorf, jedes Haus der Reihe nach, dann wieder von vorn!“, befahl Welf und die Irrwichte tobten davon. „Das war`s auch schon. Begriffen? Also, pro Dorf zwei Kisten. Eine mit braunem Deckel für die Ratten, eine mit blauem Deckel für die Irrwichte. Immer am Dorfrand, leise und heimlich und vor allem in der Nacht. Die Kisten kannst du anschließend in den Straßengraben schmeißen. Wir haben genug davon. So, hier hast du noch eine Karte mit den Straßen und Dörfern, welche du besuchen sollst. Die Dörfer, die ihr Geschenk erhalten haben, streichst du ab. Außerdem gebe ich dir noch diese
kleine Flöte. Sie ruft Irrwichte zurück und ist eigentlich für Harm gedacht. Also spiel nur darauf, wenn du es unbedingt musst. Und hier hast du einen Beutel mit Silbermünzen. Wenn du deine nächtliche Arbeit getan hast, kannst du von mir aus ins Dorf fahren. Wenn du jeweils bis zur Dorfmitte fährst, dann wirst du dort in der Regel einen Gasthof finden, der dich und die Ochsen versorgt. Und vergiss Harm nicht! Er könnte sehr böse werden und dann macht er dir Feuer unter dem Hintern. Die Irrwichte in den Kisten brauchen nichts, ebenso die Ratten. Der Hunger macht sie nur verrückter. Alles soweit
begriffen?“ „Ja, ich denke schon“, erwiderte Gabriel kleinlaut. „Ein Dorf, zwei Kisten, heimlich, nachts.“ „Genau! Es geht doch. Ich werde dich jetzt verlassen. Mach deine Sache gut und du wirst es nicht bereuen“, erklärte Welf weiter, während er sein Pferd losband und seine kleine Umhängetasche mit ein wenig Essbarem aus der Vorratskiste füllte. „Wie viel Zeit habe ich?“, fragte Gabriel nach. „Nun, reichlich. Lass dir Zeit, aber nicht zu lange. Wenn du mehrere Dörfer in einer Woche schaffst, um so besser. Sagen wir mal so, um so schneller du
fertig bist, um so höher wird meine Meinung von dir sein.“ Welf sah dem neuen Rattenverteiler offen ins Gesicht und spürte, wie dieser zitterte. „Was ist, Angst?“ „Ja, ein bisschen“, hauchte Gabriel, „ich fühle mich so allein.“ „Alleine?“, prustete sein Herr. „Ich hab mich wohl verhört! In der Gesellschaft von ein paar tausend Ratten und jeder Menge Irrwichte fühlst du dich allein?“ Schon wollte sich Welf auf sein Pferd schwingen, aber dann besann er sich noch einmal anders. Er kam zurück, kramte in seiner Tasche und zog eine silberne Schnur hervor, die er Gabriel
um den Hals legte. Dann steckte er einen Ring mit einem Luftgeist auf seinen Finger und murmelte den schon bekannten Zauberspruch. Gabriel fühlte in sich eine geistige Enge und wie ein untrennbares Band zu seinem Herrn entstand. Welf hatte ihn ein zweites Mal gefangen. „Nur zur Sicherheit“, meinte Rigomars Sohn und es hörte sich fast so an wie eine Entschuldigung. „Wenn du deine Zuverlässigkeit unter Beweis stellst, dann nehme ich dir die Schnur wieder ab.“ Er schwang sich auf sein Pferd, hob wortlos die Hand zum Gruß und verschwand in der Finsternis der Nacht.
Noch lange lauschte Gabriel dem sich entfernenden Hufschlag, bevor sich dieser schließlich ganz verlor. Nur das leise Fiepen seiner Ratten war noch zu hören. Seufzend stieg Gabriel auf den Kutschbock und fuhr die Straße hinein ins Dorf, hin zu dem noch offenen Wirtshaus. Fröhlicher Lärm erklang aus dem alten windschiefen Gemäuer. „Wenn ihr wüsstet!“, sprach Gabriel leise zu sich selbst. Er wusste es. Dieses Dorf würde das gleiche Schicksal ereilen wie das Seinige. Nur, dass er diesmal maßgeblich an seinem Untergang beteiligt war. Aber wie schon so oft spürte er auch diesmal kein Mitleid.
Jahrelange Quälereien durch Menschenhand hatten sich unlöschbar in sein Hirn eingebrannt und die Spuren würden durch nichts zu tilgen sein. Rache, was für ein wunderschönes Wort! Vor allem, wenn man den Worten auch Taten folgen lassen konnte. Und ein glühendes Fieber nach mehr erfüllte ihn und stach blitzend aus seinen dunklen Augen. Wenn dies mein Platz in dieser Welt ist, dann soll es so sein, dachte Gabriel und hob den Kopf. Die dunkle Seite hatte ihn mit einer Aufgabe betraut und er würde diese erfüllen, oh ja, er würde sie gut erfüllen. Hastig nahm Gabriel die Zügel auf und fuhr am Wirtshaus vorbei, hin
zum anderen Ende des Dorfes und hinaus auf die Straße zum nächsten. Die Zeit drängte!
Endlich Wasser! Goram legte sich auf den Bauch und saugte gierig dieses köstliche und kühle Nass der unterirdischen Quelle auf. Er fühlte sich schwach und krank. Schon seit Tagen hatte er nichts mehr gegessen und kaum etwas getrunken. Ein Teil seiner Vorräte war verloren gegangen, ein anderer verbraucht. Er hatte sich in dem ehemaligen Bergwerk mit seinen vielen dunklen Gängen verirrt. Das feuchte Schwitzwasser hatte er von den glatten Granitfelsen geleckt, um nicht zu verdursten. Ganz gereicht hatte es trotzdem
nie. Und jetzt diese Quelle. Endlich! War dies ein Zeichen? Obwohl Goram nicht gerade zu der Gattung der Angsthasen gehörte, so hatte sich in den letzten Stunden doch ein Gefühl mit dem Namen Panik breitgemacht. Doch diese Quelle hier bedeutete Leben. Und Leben bedeutete Hoffnung. Jedenfalls fürs Erste! Goram wusch sich ausgiebig den Schweiß und Staub aus dem Gesicht und trank dann noch einen tiefen Schluck auf Vorrat. Den ersten Durst gestillt, lehnte er sich seufzend an die rückwärtige Wand. Er musste überlegen! Schon viel zu lange irrte er
durch diese dunklen Gänge. Wie lange, konnte er nicht sagen. Ohne den gewohnten Tag- und Nachtrhythmus verlor sich hier drinnen, so tief in der Erde, die Zeit. Also, Wasser hatte er jetzt für Erste. Mitnehmen konnte er es aber nicht. Also blieb ihm wieder nur wenig Zeit, nachdem er die Quelle verlassen würde. Die Tage ohne Nahrung zehrten an seinen Kräften. Dabei hatte Goram es sich so leicht vorgestellt. Wochenlang war er nun schon durch die Wälder gestreift. Hatte Berge erklommen, Höhen überwunden und Bäche durchwatet. Immer auf der Suche nach Riglef, dem Zwerg. Von seinen wundervollen und
magischen Arbeiten hatten die meisten schon gehört, aber keiner vermochte zu sagen, wo er sich gerade aufhielt. „Zwerge, wo werden die wohl sein?“, hieß es. Und dann: „Such in den Bergen, Freund, da wo die bärtigen Gesellen am tiefsten graben und am besten klopfen können.“ „Und in welchen Bergen?“ Schulterzucken. Und so suchte er weiter. In den Dörfern und Städten, in den Tälern und auf den Höhen dicht unter den Wolken. Dann kam der Tag, an dem das Glück über Goram stolperte, wohl nur aus Versehen, wie er sich sagte. Bei seinem Nachtmahl im Gasthaus Nirgendwo im Städtchen
Irgendwo verirrte sich die ach so herbeigesehnte Dame Fortuna in seine Nähe. Er sah sie, schnappte sie sich und hielt sie fest, bis er alles wusste, was er wissen wollte. Ein riesengroßer Braten und ein noch viel größerer Humpen mit frisch gezapftem Bier war der Preis, um den angetrunkenen und wohlgenährten Kaufmann davon zu überzeugen, ihm die Herkunft seiner neuesten Kollektion aus dem Hause Riglef in Form von handgearbeiteten Dolchen zu erklären und ihm eine Wegbeschreibung zum Meister selbst zu geben. Daraufhin war Goram am nächsten Tag zwar mit schwerem Kopf, aber wohlgemut in die beschriebene Richtung
aufgebrochen. Wie ein totaler Vollidiot, wie er sich im Nachhinein eingestand! Ohne Fackeln, Notrationen und Trinkflasche. Und ohne vollständige Wegbeschreibung. Wie er bis zu dem alten, schon lange aufgegebenen Bergwerk und jetzigen Zufluchtsort Riglefs kam, hatte er erfragt. Den Weg hinunter zu den Arbeitsstätten allerdings nicht! Ja, hatte er denn erwartet, die Zwerge sitzen oben am Eingang im vollen Tageslicht und jubeln bei seinem Erscheinen? Goram hätte mit dem Kopf an die Wand schlagen können, wenn es irgendetwas gebracht hätte. Dummheit war schlimm, die eigene gerade zu tödlich. Und dann
war da noch dieses Ding! Anders wusste er es nicht zu beschreiben. Wenn nur diese entsetzliche Dunkelheit nicht wäre! Man sah ja die eigene Hand nicht vor Augen. Die einzelnen Gänge systematisch auf der Suche nach dem Ausgang zu durchstreifen und zu markieren, das konnte er sich gleich ganz klemmen. Und so saß er hier unten und wusste nicht weiter. Selbst Riglef war kein unfreiwilliger Helfer. Kein Klopfen, kein Gehämmer, kein herabfallendes Gestein. Auch keine der sonst so typischen Geräusche, wie diese in großer Zahl von den schwer arbeitenden Zwergen hervorgerufen wurden. Auch keine
Spuren von ihnen! Nichts! Nur das Geräusch von stetig fallenden Wassertropfen in der Dunkelheit. Und eben das Ding! Goram fühlte sich unwohl. Irgendetwas oder irgendjemand war ihm hier in der Tiefe in die Quere gekommen. Es war groß. Sehr groß sogar! Es musste weitaus größer als Goram sein. Urplötzlich hatte er einen heißen Atem in seinem Nacken gespürt. Ein schabendes Geräusch, in größeren regelmäßigen Abständen ein leichtes Klicken, das war alles, was Goram wusste. Aber mehr brauchte er auch nicht zu wissen. Gefahr! Gefahr! Jede Faser seines Körpers schrie dieses so alarmierende Wort. Ohne zu zögern,
hatte er seine Beine in die Hand genommen und war in die Dunkelheit gelaufen. Und hier saß er nun und wusste nicht weiter. Am liebsten wollte er schlafen, aber das durfte er nicht. Zeit war jetzt sein kostbarstes Gut im Kampf gegen den Tod. Er tauchte sein Taschentuch ins Wasser, um die zahlreichen Beulen und Abschürfungen zu kühlen, die er sich bei seinem planlosen Umherirren im Untergrund zugezogen hatte. Als er das Tuch aus seiner Tasche zog, fiel irgendetwas klirrend zu Boden. Nachdem er sich den kühlenden Umschlag auf die Stirn gelegt hatte,
tastete er in der Dunkelheit nach dem, was ihm da wohl aus der Tasche gefallen war. Er fand es unweit seiner Position. Glück gehabt! Es war der Runenstern, Walrams Erkennungszeichen für Riglef. Er nahm ihn auf und hielt ihn ganz fest umklammert. „Ach, guter Vater“, seufzte Goram, „ich weiß nicht, ob ich diesen Auftrag je erfüllen kann. Riglef, wo bist du nur?“ Und dann war Goram mit einem Male hellwach. Kaum hatte er seine letzte Frage ausgesprochen, begann einer der acht Zacken des Runensterns zu leuchten, und zwar so hell, dass Gorams lichtentwöhnte Augen wehtaten. Erst
nach und nach passten sie sich an das Licht an. Und erst dann konnte er seine nähere Umgebung betrachten. Das Leuchten reichte aus, um mehr als nur Umrisse zu erkennen. „Guter alter Walram“, murmelte Goram. „Warum hast du mir nichts davon gesagt? Wolltest du, dass ich von selbst darauf komme? Oder hast du es ganz einfach nur vergessen?“ Ab jetzt konnte er sich gefahrlos bewegen. Die Gänge absuchen und markieren. Und so vielleicht den Ausgang finden. Blieb nur noch dieses Ding. Ach was, kommt Zeit, kommt Rat. Sein Schwert hatte er schließlich noch. Jetzt konnte er seinen Gegner
zumindest sehen. Ha, das Biest sollte ruhig kommen! Dass dieses Ding, so wie Goram es nannte, ihn im Licht jetzt ebenfalls viel besser sehen konnte, hatte er bislang aber noch nicht bedacht. Kein Wunder, denn etwas anderes beschäftigte ihn viel mehr. Denn da war noch ein weiterer Gedanke. Ziellos und schwer zu fassen irrte dieser durch seinen Kopf und versuchte sich zu artikulieren. Goram wusste, dass er ihm Zeit geben musste. Und er ließ ihm Zeit. Nichts war so schlimm und brachte in den meisten Fällen so wenig, als über das gewisse Etwas, das einem sprichwörtlich auf der Zunge lag, nachzudenken. Man musste es für eine
kurze Zeit einfach vergessen und dann seine Überlegungen noch einmal von vorn beginnen. Damit hatte er in der Vergangenheit schon immer die größeren Erfolge erzielt. So auch diesmal. Da war er wieder, der Gedanke! Und diesmal wollte er mit aller Macht hinaus! Und Goram hinderte ihn nicht daran. „Wo ist Walram“, fragte er laut und siehe da, der Runenstern ließ eine andere Zacke aufleuchten. „Ein Wegweiser! Und eine Lampe! Dazu noch ein Erkennungszeichen!“ Goram lachte leise. Die Hoffnung war zurückgekehrt. „Da habe ich aber Glück gehabt! Was hätte ich wohl gemacht, wenn sich mein
Vater und sein Freund Riglef in der gleichen Himmelsrichtung aufgehalten hätten?“ Er trank noch einen Schluck auf den Weg und machte sich dann auf. „Zeig mir, wo Riglef ist!“, brummte er und folgte dann vertrauensvoll dem gewiesenen Weg. „Ich bin ja gespannt, was der Stern macht, wenn ich an eine Weggabelung komme! Ob er wohl mitdenkt?“ Gar keine Frage, er tat es. Schon am nächsten Durchgang wechselte das Leuchten auf eine andere Zacke über und der Weg führte quasi zurück in die Richtung, aus der er eben erst gekommen war. Allerdings war jetzt eine
Wand dazwischen und es ging ein wenig bergauf. „Genial!“ Nur in diesem einen Wort kleidete Goram sein Erstaunen. Und weiter ging es, immer weiter und stetig bergauf. Schon lange zählte Goram nicht mehr die verschiedenen Gänge, die sich trafen, um wieder auseinander zu laufen. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass sein Weg ihn so tief ins Erdreich geführt hatte. Es dauerte mehrere kleine Ewigkeiten, bevor er die eine oder andere Stelle, den einen Gang oder die andere Kreuzung glaubte wiederzuerkennen. Das stimmte ihn froh und verschaffte ihm neue Kraft.
Der bis dahin so grausam nagende Hunger war im Moment wie weggeblasen und auch der Durst schien sich zurzeit mit anderen Dingen zu beschäftigen. Das muss ich ausnutzen, dachte Goram und redete seinen Beinen gut zu. Macht doch etwas schneller, so bat er sie, was diese nach einigem Hin und Her auch bereitwillig taten. Und dann endlich, nach so langer Zeit und den vielen Entbehrungen, glaubte er in der Ferne ein helles Fünkchen, nicht größer als ein Stecknadelkopf, zu sehen. War es das Tageslicht? War dies der so lang ersehnte Ausgang aus dem Stollen des Bergwerkes? Laut dem Runenstern konnte sich Riglef also gar nicht hier
aufhalten! Eine schöne Pleite! Fast hätte er sein Leben für nichts und wieder nichts hingegeben. Wenn er den Kaufmann noch einmal in die Finger bekommen würde! Ha, dann würde sein Schwert und nicht sein Mund Klartext reden! Wenn irgendjemand auf dieser Welt zu Goram sagen würde, er sei nachtragend, dann hätte dieser jemand unbedingt recht und Goram wäre keineswegs beleidigt. Im Gegenteil! Er betrachtete es eher als Tugend, rigoros und ohne jegliche Ausnahme sich an diejenigen zu rächen, welche ihm auf die Füße traten. Aber jetzt hieß es erst mal raus hier. Nahrung und Wasser zu finden, danach
Schlaf! Die Gedanken an diese drei Köstlichkeiten waren so verlockend, dass er alle Vorsicht über Bord warf und im Laufschritt auf das Fünkchen in der Ferne zustürmte. Und richtig, es war das Tageslicht! Langsam, aber sicher wurde es größer. Schon konnte man einzelne verspielte Sonnenstrahlen erkennen, die sich im flimmernden Quarz an den Seitenwänden des Stollens brachen. Den Runenstern hatte er jetzt erst einmal nicht mehr nötig und so beschloss er, ihn wegzustecken. War Goram nun nicht richtig bei der Sache oder war es der eine Fehltritt zu viel auf dem nicht ganz ebenen Untergrund? Egal, wie dem auch war,
jedenfalls rutschte der Stern aus seiner Hand, fiel zu Boden und glitt ein kleines Stück den Gang hinunter, wo er stetig weiterleuchtete. Goram stoppte und wollte sich gerade umdrehen, als er wieder diesen heißen Atem im Nacken verspürte. Und diesmal fühlte er zudem noch ein Etwas, was man vielleicht als eine Art Rohr bezeichnen konnte. Und dieses Etwas versuchte auf seinem Rücken das Leder seiner Weste zu durchstoßen. So schnell er es nur vermochte, drehte Goram sich um, schlug mit seinem angewinkelten linken Arm dieses rohrähnliche Gebilde beiseite und stieß mit dem Schwert, welches er schon in der Drehung instinktiv gezogen
hatte, blind in das Halbdunkel. Ein lautes und wütendes Zirpen ertönte und dann spürte Goram auch schon, wie ein anderes Etwas versuchte, ihm die Beine wegzuziehen. Das Problem war, er wusste nicht, mit was er es hier zu tun hatte. Zudem war das Licht des Runensterns durch den riesigen Körper des angreifenden Wesens verdeckt. Zwar ließ der fahle Lichtschein noch die Umrisse seines Gegners gespenstisch in Erscheinung treten, mehr aber auch nicht. Und das, was man sah, trug auch nicht zu des Rätsels Lösung bei, ganz im Gegenteil! Riesig, wie schon gesagt, war das, was man erkennen konnte. Zwei ungeheuer
große Augen, vielleicht eine Art Facettenaugen, konnte man erkennen, in denen sich das grelle Sonnenlicht widerspiegelte, welches durch den Eingang huschte. Beine, fast so groß wie ein Pferd. Und viel mehr davon als nur zwei! Waren es vier? Oder gar sechs? Schlecht zu sagen. Sie hatten nichts Fleischliches an sich. Vielmehr schienen sie aus reinen Knochen zu bestehen. Und das da, auf dem Rücken von diesem Vieh, waren das etwa Flügel? Was es auch sein mochte, es war zurzeit nicht von Bedeutung. Goram beschloss blitzschnell Flügel Flügel sein zu lassen und seine Haut in Sicherheit zu bringen, zumal ein langer und
biegsamer Rüssel nach ihm tastete. Es war das gleiche rohrähnliche Gebilde, mit dem er schon einmal Bekanntschaft gemacht hatte. Goram erkannte es wieder und ohne Zögern schlug er noch einmal mit seinem Schwert zu. Diesmal zielte er auf das knochige Gebilde unter dem Körper. Goram hörte es splittern. Jetzt aber nichts wie weg, dachte er und rannte, ohne sich umzuschauen in Richtung Ausgang, den er kurz danach gewann. Keuchend und schweißnass lehnte er sich an die schroffe Felswand, welche er langsam, aber stetig kraftlos herabrutschte, während er noch nach Atem rang. Mist, dass er auch noch den
Runenstern verlieren musste! Hätte er ihn noch, dann könnte er jetzt seiner Wege gehen, sich über seine neu gewonnene Freiheit freuen und brauchte sich um das grässliche Vieh da drinnen nicht zu kümmern. Sollte das angriffslustige Etwas in den dunklen Gängen zusehen, wo es sein nächstes Frühstück herbekam. Goram wollte es auf gar keinen Fall noch einmal belästigen. Wenn, ja wenn Walrams Stern nicht wäre! Er würde ihn wiederfinden müssen! Der Stern war zu wertvoll, das wusste er jetzt. Außerdem, wenn er so richtig in sich hineinhorchte, dann ärgerte er sich doch mächtig, dass ihm
dieses hässliche Knochengerüst sein Spielzeug weggenommen hatte. Aber jetzt erst einmal weg vom Eingang! Ein bisschen ausruhen und dann etwas zu essen besorgen! Ächzend schob Goram seinen Körper in die Höhe und begann den Weg vom Stollen abwärts in Richtung Tal zu gehen. Schon nach mehreren hundert Metern fand er eine schwer einsehbare Nische in der Wand entlang des Weges, die ein grüner und dicker Vorhang aus Kletterpflanzen bedeckte. Hier werde ich einen Augenblick ruhen, dachte Goram und schob das Grünzeug beiseite. Die Nische entpuppte sich als eine etwas größere Höhle mit feinem
Sand als Untergrund. Sehr bequem! Ideal! Ein gutes Versteck! Hier war er für den Moment sicher. Schon wollte Goram sich niederlassen, als er einen heftigen und schmerzhaften Schlag auf seinem Hinterkopf verspürte. Im selben Augenblick wurde es ihm schwarz vor Augen. Er sah noch eine rote ausgefranste Aura ringsum, mit klitzekleinen und quicklebendigen Fünkchen, die in der Schwärze tanzten. Dann verschwand auch dieses Bild genauso schnell, wie es gekommen war. Goram verlor das Bewusstsein.
„Interessant“, sagte Walram, während er überlegend auf und ab ging. „Wäre es denn möglich? Höchst unwahrscheinlich! Aber was, wenn doch? Wer ist dieser Akne eigentlich? Ist er zuverlässig?“ „Ich denke schon“, antwortete Fosse, der sich lässig in einem der bequemen Ledersessel rekelte, welche in der Mitte des großen Saals standen, dessen zweiter Ausgang zur Terrasse hinausführte. Er war einer der Wenigen, die das Privileg genossen, in Walrams Gegenwart sitzen zu dürfen.
„Ich kenne ihn von früher her. Hat mir schon damals sehr gute Informationen verschafft. Keine Spinnereien, wenn ihr versteht, was ich meine.“ „Werde bloß nicht frech! Natürlich verstehe ich, was du meinst. Aber berichte weiter.“ „Verzeiht, ich wollte euch nicht beleidigen. Ich doch nicht! Aber weiter! Dieser Akne ist einer von den seltenen Vertretern seiner Spezies, welche vorher überlegen, bevor sie etwas tun. Und nicht aus dem Bauch heraus entscheiden. Manchmal dauert es zwar schon recht lange mit ihm, bis er zu Potte kommt. Das gebe ich zu, aber
immerhin. Er ist schlau. Und er ist gierig nach Gold. Gerade deshalb ist er auch als besonders aufmerksam und fleißig in diesem hinterhältigen Geschäft bekannt. Aus diesem Grunde würde ich sein Schreiben ernst nehmen. Wir sollten es zumindest überprüfen. Ich denke, die Sache wäre es wert.“ „Ich weiß nicht! Ich kann es mir kaum vorstellen. Natürlich haben wir nach ihm suchen lassen! Wieder und immer wieder. Dass wir ihn allerdings eines Tages finden würden, nein, daran habe ich eigentlich schon nicht mehr geglaubt. Jedenfalls nicht wirklich. Im Stillen habe ich vermutet, er wäre tot. Selbst dieser Akne ist sich ja nicht
sicher! Lies mir doch noch mal die entsprechenden Passagen vor!“ Fosse nahm ein weiteres Mal die zusammengerollte Schriftrolle zur Hand, die durch ihre lange Reise schon ein wenig in Mitleidenschaft gezogen worden war. Er holte tief Luft und fing stockend an, die Sauklaue, so nämlich bezeichnete er das Geschmiere seines besten Spions, zu entziffern und laut vorzulesen. „Bericht A einunddreißig, Akne, Albenheim. Zweite Woche des fünften Mondes im Jahr des Wolfes. Hatte heute ein sonderbares Erlebnis. Kann etwas bedeuten, kann aber auch nicht. Bitte um nähere Anweisung
zwecks weiteren Vorgehens. Auch ein wenig Gold käme ganz gut. Hatte erhebliche Ausgaben! Aber ich will nicht ablenken. War heute in der Stadt einkaufen. Verlor darüber die Zeit. War schon dunkel, als ich fertig war. Dachte, schläfst mal in einem Gasthaus, lässt es dir gut gehen. Ich also los, samt meinen Einkäufen und rein in die nächste Kaschemme und ein Zimmer gemietet. War zwar eher ein Loch, aber ausnahmsweise flohfrei.“ „Ja, ja, ja“, stöhnte Walram leidend und hielt sich die Ohren zu. „Doch nicht dieses Geschwafel über seine blöden Erlebnisse! Das interessiert hier doch kein Schwein! Ein paar hundert Sätze
später! Lies da weiter, wo er sich einen angesoffen hat.“ „Gut, gut, ich such ja schon.“ Fosses Augen rutschten über den Text. „Ah, vielleicht hier. Ich saß also da und wartete. Der Geruch von gebratenen Hühnchen stieg mir in die Nase ... Nein, dies wohl auch nicht. Lass mal sehen. Aha, das hier sieht schon besser aus. Also: Eine Gruppe von mehr oder weniger zerlumpten Gestalten an einen der vielen Nebentische schwatzte ziemlich laut und ungeniert. Bekam schon einen Wutanfall, dass ich mir diesen Mist, ohne dass ich es wollte, reinziehen musste. Und dann
fielen diese Worte, welche mich sofort aufmerken ließen. Und jetzt haltet Euch fest! Ritter des Lichts, so sagten sie! Na, ist das was? Wie viele Leute unterhalten sich schon über die Ritter des Lichts? Und jetzt kommt es! Einmal neugierig geworden, habe ich mir diese drei Kerle, so viele waren es nämlich, plus einem räudigen und hässlichen Wolf, mal näher angesehen. Und ich sage Euch, auf einen von diesen drei passte die Beschreibung der gesuchten Person, so wie ich sie von Euch erhalten habe, ganz genau. Nur leider fiel mir dies erst viel später in meinem Zimmer auf. Als das Gespräch in der Gaststube stattfand, war ich nämlich
gerade mit anderen Problemen beschäftigt. Zum Beispiel musste ich mir laufend Gedanken über ein schönes und angemessenes Gehalt machen. Wenn Ihr eure treuen Diener nämlich ein bisschen besser entlohnen würdet, dann brauchten diese auch nicht solch einen minderwertigen Wein zu saufen, welcher in den Kopf und die Beine steigt, anstatt die feinen Sinne zu stimulieren. Die Folge wäre, dass man ganz einfach viel, viel aufmerksamer wäre.“ Walram hielt sich wieder die Ohren zu. „Wahnsinn, nervt der dich immer so? Aber mir soll es egal sein, schließlich musst du ja mit ihm fertig werden. Aber lass uns mal überlegen. Die Kenntnis um
die Ritter, das gleiche Aussehen wie Goram! Umso mehr ich es mir durch den Kopf gehen lasse, umso mehr glaube ich, es könnte doch etwas dran sein. Und wenn man Fragezeichen in seinem Kopf hat, dann wäre es doch dumm, nicht nachzuhaken. Und diesmal habe ich beschlossen, keine Dummheiten zu dulden. Also gut, Fosse, diese Angelegenheit hat ab sofort größte Priorität. Großeinsatz! Das Problem ist nur, ich müsste eigentlich persönlich hin. Aber die Reise würde Tage, wenn nicht gar Wochen dauern. Solange kann ich hier garantiert nicht weg. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir die Sache mit den Drachen in den Griff kriegen.
Aber dazu muss Goram endlich wieder auftauchen. Wo der Bengel bloß steckt?“ „Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen! Soll ich nach ihm suchen lassen?“ „Nein, nein, noch nicht. Ich habe ihm ja den Runenstern mitgegeben. Ich würde es körperlich spüren, wenn er tot wäre. Was ist denn nun schon wieder? Hörst du den Krach, dieses Gezeter da unten in der Vorhalle? Von morgens bis abends, Tag für Tag muss ich mir dieses antun lassen. Sobald man irgendwelche Wesen an sich heranlässt, hat man nur Stress. Lärm und nochmals Lärm! Aber da muss ich vorerst durch. Zurück zu Akne. Mantur muss fliegen. Es eilt! Da geht es nicht anders. Seine Intelligenz ist
zwar nicht die größte, aber dafür ist er treu und gewissenhaft. Und zudem haben wir im Moment keine große Wahl. Du musst also einen Brief mit Anweisungen schreiben. Was ist das da unten nur für ein Lärm? Gleich schlag ich dazwischen!“, fluchte Walram. „Was schrieb er eigentlich noch über diesen, wie heißt er doch gleich, diesen Rufgar?“ „Warte mal“, schnaubte Fosse. „Lass mal sehen. Da war so eine Passage von einer Art Kriegerbestattung. Nur, dass der Tote eben kein Krieger war, sondern ein Wolf. Ein eigenartiges Volk, nicht wahr?“ „Ja, du hast recht! Das ist wirklich sehr
eigenartig. Aber es ist ja allgemein bekannt, dass die Menschenwesen sehr merkwürdige Dinge machen. Angeblich sollen sie diese, so sagte man mir, manchmal selbst nicht verstehen. Einen Wolf wie einen Krieger zu verbrennen, also ich weiß nicht! Vielleicht ist es dort im hohen Norden ja so kalt, dass das letzte bisschen Verstand einfach einfriert!“ „Hä, hä“, feixte Fosse. „Könnte ich mir gut vorstellen. Wir müssten mal einen aufschneiden, sobald wir einen kriegen und nachschauen. Aber lass mal sehen, weiter im Text. Wo war die Stelle doch gleich? Ah, hier! Ich konnte die ganze Nacht nicht so
richtig schlafen. Diese Art Schlaflosigkeit ist grausam! Wenn man unbedingt schlafen möchte, den Schlaf regelrecht braucht, aber partout nicht kann, weil einem Gedanken aller Art quälen. Man könnte regelrecht wahnsinnig werden! Da es zwecklos war, sich Stunde um Stunde im Bett wach hin und her zu drehen, stand ich schließlich kurz vor dem Morgengrauen auf. Ich packte meinen tragbaren Tisch und ein paar andere Klamotten zusammen und schlich hinunter zum Hafen. Aus Gründen der Tarnung habe ich immer einen kleinen mobilen Laden dabei. Ich gebe mich dann als Händler aus. Macht sich ganz gut. So kann ich
den ganzen Tag auf einer Stelle stehen und die Leute beobachten, ohne dass meine Anwesenheit Argwohn hervorruft. So stand ich denn da am Hafen herum und beobachtete das Lager der Nordleute. Die drei Typen vom Vorabend müssen zu diesem verkommenen Stamm aus Dieben und Vagabunden gehören! So heruntergekommen, wie die aussahen, laufen nur Nordleute umher! Da gehe ich jede Wette ein! Und richtig! Wie immer, so hatte ich auch diesmal recht! Zuerst konnte ich sie lange nicht entdecken und mein übergroßer Verstand fragte sich schon, ob ich mich nicht vielleicht doch geirrt hätte. Ich bekam Hunger, aber von Eurem schmalen Lohn
kann man ja nicht leben! Also musste ich vor Hunger darben und vor Schwäche ließ meine Aufmerksamkeit dramatisch nach. Also, ich muss Euch doch höflichst und ergebenst bitten, noch einmal zu prüfen, ob eine gewisse Lohnerhöhung nicht angebracht wäre. Aber ich will nicht ablenken. Wie dem auch sei, im Laufe des nächsten Tages tauchte die Bande zum Glück dann doch noch auf, zwei andere, ebenso überflüssige Typen im Gefolge. Und dann gab es eine gewisse Bewegung im Lager. Mit etwas mehr Gold in der Tasche hätte ich bestimmt schärfere Augen und könnte nun hier Genaueres vermelden. Aber ich will nicht ablenken.
Der Tüchtige hat Glück, so heißt es und bestimmt hat man mich damit gemeint. Denn ich hatte Glück. Etwas später kam einer von diesem widerlichen Nordlandpack zu mir herauf und fragte mich nach einer besonderen Waffe. Ihr wisst schon, von welcher Sorte Waffe ich rede. Ich meine die Art, welche zum Einsatz kommt, wenn wir jemanden los sein wollen, es selber aber nicht gewesen sein dürfen. Mein nordischer Kunde jedenfalls war maßlos wütend und angefüllt mit Hass. Die Informationen sprudelten wie von selber nur so aus ihm heraus. Ich hielt ihm also fix die Schale der Neugier hin, um seine Geschichte aufzufangen. Seiner
Schilderung nach war er der Bruder desjenigen, auf dem Eure Beschreibung passt und den Ihr sucht, also meine Zielperson. Dabei wurde doch immer gesagt, er hätte zwar einen Bruder, aber der sei bei Euch im Süden. Wie dieser Widerspruch zu erklären ist, weiß ich auch nicht. Mit einem etwas höheren Lohn könnte man auch viel besser nachdenken! Na ja, jedenfalls erzählte dieser Ragnar irgendetwas von Verrat und Verleumdung hinter seinem Rücken und er wollte dieses blonde Gift, das gleichzeitig sein Bruder sei, so ein bisschen rasch und mal eben vor dem Abendbrot noch umbringen. Und, so meinte diese hinterhältige Ratte, ob ich
ihm dann nicht bei der Wahl seiner Methoden etwas behilflich sein könnte. Ein wirklich reizendes Menschlein, das muss ich schon sagen! Wenn Ihr nicht so knauserig wärt, dann könnte dieser Ragnar ein wirklich guter Mitarbeiter für Euch sein. Aber ich will nicht ablenken! Jedenfalls habe ich ihm dann geholfen, so gut es ging und dabei, so hoffe ich wenigstens, im doppelten Interesse für Euch gehandelt. Zum einen wäre die Zielperson ein wenig tot und zum anderen hätte ich meinen äußerst schmalen Lohn ein wenig aufgebessert. Es müsste gerademal reichen, um mir eine Scheibe trockenes Brot zu kaufen. Oh, wie schön! Dann kann ich ja eine,
vielleicht sogar zwei Stunden überleben. Gleichzeitig hätte ich Euch somit ein wenig entlastet, da Ihr ja scheinbar an einer grausamen Armut zu leiden habt. Aber ich will nicht ablenken. Zurück zu meiner Geschichte. Leider kam die Zielperson davon. Ein räudiger Wolf sprang zwischen ihm und seinem Tod. Wie dem auch sei, ich jedenfalls hatte meine Arbeit gut gemacht. Eine falsche Spur war gelegt und sie war gut! Keiner von diesen Trotteln wird je dahinter kommen. Es sei denn ...“ „Halt, es reicht“, säuselte Walram. „Obwohl dieser Akne eine Nervensäge ist, so erscheint er mir doch ausgesprochen clever zu sein. Mantur
soll also hinfliegen. Vielleicht kann der einen Blick auf die, wie sagt der Kerl doch so schön, Zielperson werfen. Er kennt Goram. Wenn eine Ähnlichkeit besteht, dann wird sogar dieser Dummkopf es bemerken. Die Söhne des Lichts sehen schon seit einer Ewigkeit einer wie der andere aus. Also, schreib Akne einen Brief! Seine Idee ist gut. Er soll diesen Roger oder so einstellen. Sollte sich unser Verdacht bestätigen, sollen sie zusammen Jagd auf unsere Zielperson machen. Wenn es der Gesuchte ist, bekommt Akne jede Art von Unterstützung. Jede, die er nur wünscht und sich vorstellen kann. Leute, Gold! Kein Problem! Sie sollen
aber auch an den Reif denken! Und in erster Linie an den Reif denken! Ein bisschen Gold, dann der Reif, dann diese, äh, Zielperson, dann noch mehr Gold. Nach dieser Formel oder so. Ich denke, das wird er begreifen. Also, los, worauf wartest du noch?“ Walram trat mit voller Wucht gegen den Sessel, in dem sich sein Geheimdienstchef noch immer herumfläzte, sodass dieser umkippte und Fosse durch die gute Stube kullerte. Verschnupft rappelte der sich nach seiner sportlichen Übung wieder auf und trat dienernd im Rückwärtsgang die Flucht an. „Schick einen dicken und vollen Beutel
Gold mit“, rief Walram ihm nach, was umgehend Fosses Beweglichkeit einschränkte. „Wir haben aber nichts mehr“, winselte er kleinlaut. Dass sein Bett aus purem Gold und Silber bestand und täglich höher wurde, sodass er schon ernsthaft darüber nachdachte, die Höhe seiner Zimmerdecke nach oben hin zu erweitern, sagte er aber nicht. „Fosse, lieber Fosse, mache es nicht so kompliziert und lege einfach die Summe doch bitte erst einmal aus“, bettelte Walram schleimig. Ja, das Schleimen war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Eine, in der er
es zu einer wahren Meisterschaft gebracht hatte. Ein kleiner Schmollmund, feuchte Augen und ein bettelndes hündisches Auftreten! Und ehe man sich versah, schon waren die auserwählten Opfer von oben bis unten mit Schleim bespritzt und in Lügen eingewickelt. Ja, sie trieften geradezu. Klappte immer wieder! So auch diesmal. „Du bekommst es doch wieder! Doppelt und dreifach sogar. Denkst du, ich würde dich betrügen?“ „Ich mache es ja, ich mach es, nur fange bitte nicht an zu weinen“, greinte Fosse und machte, dass er davonkam, ehe er noch mehr von seinen gestapelten Reichtümern
loswurde. So, das wäre geschafft! Walram hatte einen neuen Bankier. Zufrieden rieb er sich die Hände. Er fischte nach einem Stück Fleisch, welches zahlreich in einem großen Krug inmitten einer Tunke aus saurer Sahne und diversen Küchenkräutern eingelegt war, um die tägliche Buchfütterung durchzuführen. Zweimal in der Woche, das hatte er herausgefunden, bekam das Buch Hunger. Und genauso oft spuckte es anschließend einen Zauberspruch aus, der sich regelrecht in das Hirn des Lesers saugte, um dort seiner weiteren Verwendung zu harren. Man brauchte nicht zu lernen! Man musste den Text
nur einmal lesen! Und man wusste den Spruch und vor allen Dingen, man vergaß ihn nie wieder! Eine ganze Reihe nützlicher Zaubersprüche hatte er so schon erfahren. Begierig las Walram, was ihm das Buch heute zu bieten hatte. „Ach ne“, knurrte der Zauberer ärgerlich. „Den kenne ich doch schon! Na ja, nützt nichts, dann eben bis zum nächsten Mal.“ Er gab dem Buch einen freundschaftlichen Klaps und wollte gerade auf die Terrasse hinauseilen, als Rigomar atemlos hereingestürzt kam. „Probleme!“, rief sein oberster Ratgeber, richtete den umgestürzten Sessel wieder auf und fiel schwer
atmend hinein. „Hat das was mit dem Lärm zu tun?“, fragte Walram ahnungsvoll. „Lärm? Wo? Was?“, stotterte Rigomar und war gar nicht so richtig bei der Sache. „Ach so, ja, die Zwerge. Ja. Sie wollen nicht mehr arbeiten. Es geht um Silber und Gold. Auch um Wohnraum, glaube ich. Und um einen roten Stein. Riesig soll er sein. Da war doch was! Wenn ich es bloß wüsste“, überlegte der Alte laut. „Mir fällt es nur nicht ein. Wenn ich es bloß wüsste! Ein großer und geschliffener Rubin in der Tiefe! In einer blauen Kammer! Da war doch was! Wenn ich es bloß wüsste.“ So plötzlich, wie Rigomar aufgetaucht
war, so plötzlich verschwand er auch wieder. Wie von einer Tarantel gestochen sprang der Zauberer auf und stürzte hinaus. „Bin gleich wieder da!“, schrie er noch und schon war er weg. Und das war auch gut so, denn ansonsten hätte ihn wohl der große Kristallkelch getroffen, den Walram voller Wut nach ihm warf und der jetzt die Wand küsste, wobei das herrliche Stück in tausend Scherben zersplitterte. „Ist denn das eine Art“, tobte Walram. „macht denn hier jeder, was er will? Ist dies hier die allererste Absteige und ich der Wirt?“ Weiter kam er nicht, denn die Halle fing
an, sich mit Zwergen zu füllen. Die kleinen quicklebendigen Gesellen, ein jeder mit einem langen Rauschebart beglückt, schoben und schubsten sich gegenseitig schüchtern durch die Eingangstür, wobei einer dem anderen Mut zu machen versuchte. So mancher vorwurfsvolle Blick wanderte zwischen dem zerstörten Kunstwerk aus Kristall und ihrem Herrn und Meister hin und her. Und da waren so leise getuschelte Worte wie Banause, Kunstverächter, Ignorant und noch etliche andere, weitaus schlimmere zu vernehmen. Jetzt gab Walram auf. Für heute war dies eindeutig zu viel. Er winkte nur noch kraftlos ab und sank nun
seinerseits in den Ledersessel. „Was gibt es?“, hauchte er lakonisch. Die Zwerge, die vorne standen, drucksten herum und schoben sich gegenseitig in sein Blickfeld, um gleich darauf wieder in die hinteren Reihen zu verschwinden. „Also los! Was soll das, Jungs? Wenn ihr was zu sagen habt, dann sagt es jetzt. Ansonsten gehe ich nämlich schlafen!“ Die kleinen Männer und Frauen schubsten sich noch eine Weile gegenseitig herum, dann hatten sie ihren Sprecher gefunden. „Herr, nichts für ungut“, fing dieser an rumzudrucksen.
„Dein Name, sag mir erst mal deinen Namen“, ermunterte ihn Walram. „Utgri, Sohn von Sindri, Herr, zu Diensten!“, polterte der Zwerg. „Wir möchten mit euch über unseren Lohn sprechen, Herr! Es wurde uns ...“ „Sindri“, unterbrach ihn Walram, „etwa der Sindri, welcher die Rüstungen für die Nibelungen geschmiedet hat? Das ist dein Vater?“ „Genau, so ist es“, sagte Utgri stolz und ein bisschen selbstbewusster fuhr er fort: „Also, man hatte uns versprochen, wenn wir beim Bau der Bergfeste helfen, dann können wir all das Gold und Silber behalten, welches wir bei
unserer Arbeit in der Tiefe finden. Das sei unser Lohn, so wurde gesagt!“ „Und? Könnt ihr es nicht?“ „Nein, Herr! Wir müssen alles an Fosse abgeben. Er hat uns sogar Wächter zur Seite gestellt! Verbrecher! Banditen! Schmarotzer! Selbst nichts erwirtschaften, aber in Saus und Braus leben! Und den ehrlichen Arbeitern gewissenlos mit ihren schmierigen Pfoten in die leere Tasche greifen. Im wahrsten Sinne des Wortes, Diebe! Sie nehmen uns gleich wieder alles das ab, was wir finden. Wie sollen wir denn leben, Familien gründen und unseren Stolz zeigen können, wenn wir irgendwann einmal in unsere Heimat
zurückkehren? Könnt ihr diesen diebischen Strolchen nicht die Pfoten abhacken lassen? Die glauben nämlich, dass ihr sie beschützt! Und nur deshalb klauen sie wie die Raben. Ohne euren Schutz würde die eigene Feigheit sie auffressen. Nur, es ist doch so, dass jedes Wesen irgendwann in seinem Leben einmal an den Falschen gerät. Und wenn irgendeiner diesen Dieben gesagt hat, sie können ungestraft alles tun, dann hat dieser Jemand sie belogen. Ihr seid zurzeit unser Herr und Auftraggeber. Deshalb kommen wir zuerst zu euch. Damit aber kein Irrtum aufkommt, sollten wir hier nicht zu unserem Recht kommen, dann werden
wir die Sache alleine in die Hand nehmen und die Felsen werden sich rot färben.“ Walram überlegte. Mit den Zwergen durfte er es sich auf gar keinen Fall verderben. Solche Baumeister brauchte man immer. Auch wenn die Grundfesten dieser Welt erschüttert wurden und neue Herrscher den Thron bestiegen. Ja, dann eigentlich erst recht! „Sindri, dein Vater, ist das derselbe Sindri, der Odins Ring Draupnir schmiedete, den Schlüssel zu den neun Ebenen der Welt? Den Ring Draupnir, welcher jeden Tag neue Ringe hervorbringt?“ „Ja“, antwortete Utgri, verdutzt über den
plötzlichen Themenwechsel. „Und du bist sein Schüler? Du hast bei ihm gelernt?“, wollte Walram weiter wissen. „Das kann man wohl sagen“, brüllte ein kräftiger Zwerg mit einem gewaltigen Bart, der bis zum Boden reichte, ungefragt dazwischen. Vermutlich ein Freund des so mutigen Sprechers. „Er ist der Besten einer! Nur aus diesem Grunde sind wir ihm bis hierher gefolgt!“ „Sieh an, sieh an“, flötete Walram scheinheilig. Er sprang auf und lief wie ein Tiger im Käfig mit auf den Rücken verschränkten Armen überlegend hin und
her. „Es ist nur so, wir sind hier alle ein wenig knapp bei Kasse. Das ist natürlich kein Grund, euch den Lohn vorzuenthalten.“ Mich würde interessieren, wie viel dieser verdammte Wasserfalltroll mittlerweile beiseitegeschafft hat, dachte Walram übellaunig. Es war nicht gut, diesen Finanzjongleur ohne Aufsicht herumtanzen zu lassen. Und wie der alte Zauberer so dastand, mit erhobenem Haupt, und wie in Trance scheinbar durch die Felsendecke des Saals hindurchschaute, da gebar ihm die Göttin aller Launen in den Windungen seines Hirns eine Idee. Wie ein Blitzstrahl durchfuhr diese seinen
Körper und lähmte ihn für eine nicht ganz unerhebliche Zeit. Es war eine wahrhaft große Idee! Und wie das manchmal so ist, diese Idee vermehrte sich und eine Zweite wurde geboren. Und jene war noch weitaus besser. Sie war so genial und doch so einfach, dass Walram regelrecht in einen Lachkrampf verfiel und gar nicht mehr aufhören wollte. Warum musste man eigentlich immer alles selber machen? Warum ließ er diese dummen Wesen nicht tatkräftig an der Mitwirkung seiner großen Pläne teilhaftig werden? Sollten sie ihm doch helfen, die Götterdämmerung herbeizuführen! Ihr Schade sollte es nicht sein. Und seiner
schon gar nicht! Ja, warum eigentlich nicht? „Hör zu, Utgri, Sohn von Sindri“, sagte er deshalb hoheitsvoll. „Ich werde dir jetzt ein Angebot machen. Eines, wie du es noch nie erhalten hast und auch höchstwahrscheinlich niemals wieder erhalten wirst. Es ist ein Angebot, wie es einem Zwerg aus dem Geschlecht Sindris angemessen ist. Ein Angebot, das dir niemand streitig machen wird und dass ich mit meinem Blute besiegeln werde. Hörst du, Utgri, hörst du? Höre gut zu! Ich lasse nicht nur diese Feste weiter ausbauen, nein, auch die angrenzenden Berge, genauer gesagt, das halbe Gebirge. Und nennen werde ich
dieses stolze Bauwerk den Wehrwall. Und du sollst diese Arbeiten durchführen, Utgri! Aber mehr noch. Merk auf! Ich, Walram, Bote der nahenden Götterdämmerung, zweites Gesetz im dunklen Reich, ich mache dich, Utgri, Sohn von Sindri, zum Herrscher und König auf dem Wehrwall. Für jetzt und alle Zeit! Dein Wort soll Gesetz sein, dein Schwert Schrecken, deine Arbeit Ruhm! Das Einzige, was ich verlange, ist, dass du und deine Nachfahren mir für alle Ewigkeiten die Treue geloben und mich bei all meinen Unternehmungen unterstützt. Gebt mir drei Teile von zehn an Gold und Silber. Der Rest sei euer. Errichtet die Bauten
meines künftigen Reiches und umsorgt sie! Mehr verlange ich nicht, aber auch nicht weniger! Diese Bergfeste hier bleibt allerdings vorerst meine Heimstatt mit Rigomar als Herrn. Na, was sagst du, Utgri, willst du mein treuer Vasall werden und die Königswürde erringen? Dein Vater wäre stolz auf dich!“ Erwartungsvoll sah Walram in die Gesichter der aufgereihten Zwerge. Würde es gelingen? Würden sie überlaufen? Sich in den Dienst der bösen Macht stellen, ihren Müttern und Vätern, sowie den anderen Anverwandten in den verschiedensten Teilen dieser Welt zum Trutze? Würden sie ihre seit Anbeginn der Zeit
bestehende Unabhängigkeit aufkündigen und damit seine Macht um ein gewaltiges Stück vergrößern? Prüfend sah Walram in die vielen vor Rührung feuchten und glänzenden Zwergenaugen. Er horchte in die Stille der sich bildenden Meinung hinein, sah den Mut und die Erfahrung vieler Generationen um einen Entschluss ringen. Und schließlich trat Utgri vor und beugte sein Knie. Während er sich mit der einen Hand auf den Stiel seiner Doppelaxt stützte, führte er die andere zuerst zum Mund und küsste sie. Anschließend senkte er die noch lippenfeuchte Hand ab und übertrug symbolisch den Kuss streichelnd auf den
Boden. „Ich, Utgri, Sohn von Sindri, gelobe dir, Walram, Bote der Götterdämmerung und zweites Gesetz im dunklen Reich, auf ewig meine Treue. Die meine und die all derer, die nach mir folgen. Ich werde zu dem für mein Volk heiligen Berg Zwergenrot pilgern und diesen Eid mit meinem Blut besiegelt. Auf das ein grausamer Fluch all diejenigen heimsuchen möge, welche sich nicht an dieses heilige Gelöbnis halten. Alle deine Bedingungen, oh Gebieter, seien akzeptiert, jetzt und immerdar. Ihr habt einen namenlosen Zwergenvorarbeiter verloren, aber einen König gewonnen!“ Ein unbeschreiblicher Jubel entfuhr den
vielen Zwergenkehlen. Nach und nach taten sie es ihrem neuen König gleich und beugten das Knie zum Gelöbnis auf Walrams Macht. Und als Treuebekenntnis für den neuen Herrn auf dem Wehrwall, dessen Wille nun Gesetz ward. Walram hob die Hand zum Segen und nahm ein kunstvolles Langschwert als Ausdruck seiner unumstößlichen Entscheidung von einem der Tische. „Halt!“, schrie es vom Eingang her und noch einmal: „Halt!“ Walram war irritiert. Aber nicht nur er allein. Wer wagte es nun schon wieder, ihn zu stören? Es wurde Zeit, dass er ein Exempel statuierte, um die ganze
Bande ein wenig willfähriger zu machen! Dies hier war doch keine Demokratie! Denn die sollte nämlich gemäß dem Willen der Schicksalsnornen erst Äonen später erfunden werden und ganz zum Gefallen der Menschen. Die würden mit ihrer Hilfe eine Art neuen und zweifelhaften Sport kreieren, bei dem man sich ungestraft und nach Herzenslust gegenseitig ärgern, streiten und einmischen konnte. Auch nur jede denkbare Art von Gehässigkeit würden sie unter einem Deckmantel der Objektivität verstecken. Es würde eine Zeit der Gaukler, der Hütchenspieler und Leithammel werden. Für Walram war es ein unglaublicher Trost, dass dieses
Zeitalter erst noch geboren werden musste. „Rigomar, du schon wieder!“, grollte er und seine donnernde Stimme brach sich an den Wänden und ließ das Inventar vibrieren. Die dunkle Stimme wurde um ein Vielfaches als Echo zurückgeworfen, sodass die Anwesenden unwillkürlich ihre Köpfe einzogen. Das überraschte selbst Walram. Seit seiner Wiedererweckung hatte er dieses Kunststück nicht ein einziges Mal mehr zuwege gebracht. Siskas ekelhaftes Gebräu, was er nun täglich mit einem ungeheuren Ekel widerwillig in sich hineingoss, zeitigte wahrhaft Wirkung.
Stolz sah Walram auf die Wesen, die in seinen Augen alle nur Würmer waren, wie sie erschreckt zusammenkrochen und das Schlimmste erwarteten. Selbst Rigomar war bleich geworden. Na ja, da war wohl ein wenig Freundlichkeit wieder angebracht. Man war ja kein Unmensch! Die Menschlein hatten da so ein hübsches Sprichwort. Und das hieß: Zuckerbrot und Peitsche. Diese merkwürdige und streitbare Rasse hatte eigentlich für alles einen Spruch parat, sei es nun ein dummer oder ein intelligenter. Diese Wesen waren schon eine recht eigenartige Spezies. Aber manchmal hatten sie sogar recht. Und dieser Spruch passte hier wie die
sogenannte Faust aufs Auge. Das war`s! Seine Untergebenen durften nie wissen, welcher Laune er sich gerade hingab. Das würde ihre Angst schüren, sie unterwürfiger machen. Ach, sie waren ja so leicht zu lenken. „Was ist denn, Rigomar?“, fuhr er ein wenig gemäßigter fort. „Ich hoffe, du hast einen guten Grund, die Krönung eines Königs zu verzögern. Er könnte es dir sonst übel nehmen!“ Und richtig, das tat dieser auch. Utgri betrachtete den Störenfried mit tödlichen Blicken, was diesen, nachdem er sich wieder gefangen hatte, jedoch nicht weiter anfocht. Eilig kam Rigomar heran und erklärte
hastig: „Es geht um den Stein! Klärt vorher seinen Besitz!“ Alle Augenpaare richteten sich erstaunt auf den alten Zauberer. „Den Stein?“, fragte Walram und Utgri wie aus einem Mund. „Wovon redet ihr, in Hels Namen?“ „Von dem Rubin in der Tiefe! Dem roten Stein in der blauen Kammer, dort unten, tief im Fels! Ich habe euch doch vorhin davon unterrichtet.“ „Ach so, ja“, erinnerte sich Walram. „Irgendetwas hast du gebrabbelt. Aber ich schätze, daraus sind noch nicht mal meine Hausratten schlau geworden. Also, was ist mit ihm?“ Rigomar rang noch immer nach Luft. „Er
darf nicht in Zwergenhand geraten. Oder in die Hand von irgendjemand anderem. Er gehört euch allein. Vielleicht wäre es sogar besser, ihn an Ort und Stelle zu belassen und die Kammern mit Schutt und Geröll wieder zu verschließen.“ Jetzt wurde Walram doch neugierig. Da gab es wohl ein Geheimnis und Rigomar wusste davon. Also musste er erst einmal die überflüssigen Ohren los werden. „Wie ist deine Meinung dazu?“, wandte sich Walram an Utgri. Der überlegte nur ganz kurz und antwortete dann mit fester Stimme: „Es stimmt, wir haben dort unten einen
wunderschönen und kunstvoll geschliffenen Rubin im Fels gefunden. Er ist fest in das Gestein eingelassen und wir rätseln noch, wie wir ihn am besten herausbrechen können. Ich weiß allerdings nicht, was dieser Schreihals für ein Gewese darum macht. Gewiss, er ist traumhaft schön, aber dieses Springmännchen hier führt sich ja auf, als ginge es um Leben und Tod. Wenn dieser Stein denn so wichtig für dich ist, dann sollst ihn haben. Keinen Augenblick zögere ich, gemäß meinen neuen Pflichten, dir zu Diensten zu sein!“ Das hörte Walram gern. „Ist das in Ordnung für dich? Kannst du
damit leben?“, fragte er Rigomar, dem die Erleichterung deutlich ins Gesicht geschrieben stand und der nun eifrig nickte. „Also gut, dann wäre das geklärt. So lass mich denn nun fortfahren und die Zeremonie zu Ende führen.“ Und er hob das Schwert zu der zeremoniellen Berührung und die Hand zum Segen. Es war ein ergreifender Festakt. Allen Beteiligten stand das Wasser in den Augen und sie schluchzten hemmungslos. Selbst Walram als Ausführender war ergriffen. Ist es denn wahr, dachte er bei sich, ist es denn wirklich wahr, dass ich einfach alles
kann? Nachdem die Zwerge ihrem neuen König gehuldigt hatten, flüsterte Walram Utgri ins Ohr: „Entlasse sie jetzt. Du bleibst hier. Wir wollen doch mal hören, weshalb der alte Zauberer so ein Gewese um diesen merkwürdigen Stein macht.“ Der neue und frischgebackene Zwergenkönig tat, wie ihm geheißen, zumal auch ihn die Neugier plagte. Als sich die große Halle schließlich geleert hatte, führte sie Walram hin zu einer kleinen Sitzgruppe, wo die Drei sich im Kreis bequem niederließen. „Also, erzähl schon“, forderte Walram seinen Ratgeber
auf. Den Besten übrigens, den er je gehabt hatte, wie er im Stillen zugab. Aber laut würde er so etwas nie sagen. „Der Stein“, fing Rigomar an, „als ich ihn sah, funkte es plötzlich bei mir. Eine uralte Erinnerung aus längst vergangenen Tagen geisterte in meinem Kopf herum. Sie war so alt, dass ich sie nicht sofort zu fassen bekam. Zum Glück habe ich viele Aufzeichnungen über die Geschichten aus diesem Teil der Welt. Darunter sind auch Berichte aus den glorreichen Zeiten vor der Geburt der Götter. Und unter den vergilbten Pergamentrollen fand ich eine, die von großen und mächtigen
Reichen auf diesem Boden hier, auf dem wir im Augenblick stehen, kündete und die heute vergangen sind. Starke Völker waren einst vereint oder im gegenseitigen Kampf. Großartige Taten wurden vollbracht, fantastischer Ruhm geerntet. Aber es gab nicht nur die Völker der alten Welt. Völker, wie es sie heute nicht oder nur noch zum Teil gibt. Nein, auch andere Wesen einer uns unbekannten Art, in großer Zahl und mit herausragenden Fähigkeiten bewohnten diese Welt und hinterließen ihre Spuren. Keiner kennt heute noch ihren Namen und keiner weiß, wohin sie entschwunden sind. Sie aber schufen diesen Stein. Ein Stein von unsagbarer
Macht in der Hand desjenigen, der ihn beherrschen kann. Denn der Stein hat einen eigenen Willen. Und der ist stark genug, den der meisten anderen Wesen zu brechen oder zumindest fügsam zu machen. Deshalb darf er nie in die Hände der Zwerge gelangen. Der Stein würde sie versklaven und sein eigenes Reich auf dieser Welt errichten und glaub mir, wir alle wären die blutigen Opfer auf seinem Altar der Macht. Nur die Götter und der finstere Wolf besitzen einen größeren Willen als der wundersame Rubin. Und vielleicht auch du, Walram, Wegbereiter der Götterdämmerung! Aber eben nur vielleicht! Wenn du nicht sicher bist,
solltest du diese Kammer wieder schließen und mit Flüchen schützen lassen! Und anschließend schleudere das Wissen um diesen Stein zurück in das ewige Reich des Vergessens!“ Minutenlang herrschte bedrückendes Schweigen. Utgri fand als Erster seine Worte wieder. „Es gibt ihn also tatsächlich!“, hauchte er ehrfurchtsvoll. „Auch mein Volk hat solche Aufzeichnungen aus alten Tagen und wir, die direkten Nachkommen der alten Völker wurden gewarnt. Dann ist es gut, Rigomar, das du rechtzeitig gekommen bist, ehe ich den Stein herausbrechen konnte.“ Walram kratzte sich am Hinterkopf. Auch
er war beeindruckt und unsicher. Was war jetzt zu tun? Alte Prophezeiung waren selbst ihm, der es von jeher gewohnt war Geschichte zu machen, statt sie nur zu erleben, nicht ganz geheuer. „Gesetzt der Fall, ich würde es schaffen, mir diese Macht untertan zu machen“, wollte er schließlich wissen, „was kann ich gewinnen? Was ich verlieren könnte, weiß ich ja nun so ungefähr.“ „Du hättest eine unbeschreibliche Macht in den Händen. Eine, wie du sie noch niemals vorher besessen hast, ja, nicht einmal erträumen konntest. Dieser Stein kann Berge schaffen. Er kann sie aber
auch wieder zerschmettern. Er schafft Land und Wasser und beherrscht zudem die Elemente. Ganze Länder könntest du mit einem Gedanken zerstören, Inseln entstehen und wieder verschwinden lassen. Feuerberge würden sich gemäß deinem Willen aus dem Schoß der Erde hervordrängen und wachsen. Du könntest riesige Erdteile mit Eis überziehen. Wind würde zu Sturm werden, Regen zur Sintflut. Ein Gedanke würde Feuerregen hervorrufen, Dürre, Hitze und Kälte. Und dein Mantel der Wut könnte den Himmel verdunkeln. Und noch eins! Deine Macht könnte so gewaltig sein, dass du über alle Wesen dieser Welt stehen könntest. Selbst der
Fenriswolf, den du zu befreien gedenkst, wäre nicht in der Lage, dir entgegenzutreten, sodass dieser für alle Zeiten in deinem Schatten stehen würde. Aber bitte verrate keinem, dass ich diese letzten Worte ausgesprochen habe, falls nämlich alles ganz anders kommt. Vorausgesetzt, bei unserem Fund handelt es sich tatsächlich um diesen bewussten Stein.“ Und wieder herrschte minutenlanges Schweigen. Jeder der Drei war beeindruckt und musste erst einmal seine Gedanken ordnen. Denn nicht nur die Geschichte dieser Welt würde sich ändern, nein, auch ihr Schicksal wäre betroffen. Und wieder war es Utgri, der
als Erster die lang anhaltende Stille durchbrach. „War es das? War es das, Rigomar, was du zu sagen hattest?“ „Ja, schon“, lautete die erstaunte Antwort. „War etwas nicht richtig?“ „Doch, doch“, beeilte sich der Zwerg zu versichern. „Es ist alles richtig, was du gesagt hast. So steht es auch in unseren Rollen geschrieben. Nur hast du etwas vergessen, etwas sehr Wesentliches sogar.“ „Ich etwas vergessen!“, empörte sich Rigomar. „Das musst du erklären!“ „Ja, das werde ich, auch ohne dass du es verlangst“, lächelte Utgri. „Hast du dich nie gefragt, warum dieser Stein da
unten im Gestein eingebettet ist?“ „Nein, wirklich nicht“, antwortete Rigomar unsicher. Nun mischte sich auch Walram ein, der vor Aufregung schon ganz zappelig war. „Vielleicht ging er verloren. Was weiß denn ich! Oder er wurde vergessen.“ „In einer sorgsam ausgeschmückten Kammer, auf eine besondere Weise in den Fels eingelassen und dann verloren gegangen? Ich bitte euch!“, grinste Utgri. „Vielleicht wurde er mit Absicht dorthin verbracht“, wollte Rigomar wiederum wissen. „Vielleicht hatte man Angst oder wollte ihn verstecken. Oder er sollte aus irgendwelchen uns unbekannten Gründen
gesichert werden.“ „Schon besser“, sagte Utgri. „Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Ihr erinnert euch doch bestimmt, dass ich vorhin sagte, auch mein Volk besäße Aufzeichnungen voll von Warnungen. Allerdings wurden wir nicht nur vor dem Stein gewarnt, sondern auch von dem, was hinter ihm ist.“ „Hinter ihm?“, tönte Walram. „Was könnte denn hinter ihm sein?“ „Geduld, Gebieter, ich komme gleich darauf zurück“, beruhigte Utgri die aufgeregten Gemüter. „Es stimmt, der Stein wurde mit Absicht dort in die Tiefe gebracht. Er ging nicht verloren und wurde auch nicht versteckt.
Vielmehr wurde er als eine Art Wache an diesem besonderen Platz belassen.“ „Als Wache?“, fiel Walram dem Zwerg erneut ins Wort. „Was bewacht er? Noch größere Schätze? Noch mächtigere Magie?“ „Weder noch! Geduld, Herr, bitte. Zu Rigomars Erzählung über die alten Völker muss noch einiges hinzugefügt werden. So sind sie zum Beispiel keineswegs tot oder ausgestorben. Nein, es gibt sie noch. Manche leben sogar mitten unter uns, wie zum Beispiel die Alben und auch die mit ihnen verwandte Linie der Elfen und Elben. Ihr Zauberer stammt doch ebenfalls aus dieser Zeit! Wusstet ihr das nicht? Auch andere
Wesen sollen noch existieren, nur auf anderen Ebenen, in anderen Zeiten und in anderen Welten, zu denen wir keinen Zutritt haben. Es gibt verschiedene geheime und verschlossene Pfade dorthin, manche führen sogar durch Raum und Zeit. Und nur die Auserwählten können diese finden und beschreiten. Darüber hinaus sind bestimmte Schlüssel notwendig. Wie zum Beispiel Ringe und Runensteine und dergleichen. Nur mit solch einem magischen Schlüssel kann man jeweils eins der großen Tore zu diesen Ebenen öffnen. Das Wissen um den Verbleib dieser Artefakte ist allerdings mehr als dürftig. Aber lass mich mit meiner
Erzählung fortfahren. Die Mächtigen der alten Welt jedenfalls hatten ebenso mächtige Feinde. Es gab einen furchtbaren und alles umfassenden Krieg, der Letzte in einer ganzen Reihe, welcher das Zeitalter der großen Taten beendete. Die Überlebenden dieser Völker flohen in die verschiedenen Ebenen, für die sie jeweils die entsprechenden Schlüssel besaßen. Waren sie erst einmal in einer dieser Welten, dann waren sie für alle Ewigkeiten Gefangene, denn ein Zurück ohne Hilfe von außen gab es nicht mehr. Allerdings waren sie so auch vor ihren Feinden in Sicherheit. Die zweite Seite der Medaille. Und ihr werdet mir sicher
recht geben, durchaus überlegenswert. Denn damals ging es den alten Aufzeichnungen zufolge nicht mehr um Sieg oder Niederlage, sondern um das nackte Überleben. Und dieser einleuchtende Grund war wohl dafür ausschlaggebend, dass die alten Völker diese Option wählten. Es ist eben, wie so vieles andere auch, nur eine Frage der Ansicht. Und seitdem leben sie hinter unsichtbaren Mauern und magischen Barrieren getrennt von unserer Welt. Aber wie das eben so ist, auch hier gibt es Ausnahmen. Manche der alten und jüngeren Geschöpfe können unter ganz bestimmten Umständen durch einige dieser Welten
wandern. Denkt an die Götter.“ „Oder die Söhne des Lichts“, meldete sich Walram. „Die Ritter aus der Himmelsburg, Riesen, Elfen, Feen“, steuerte Rigomar eifrig sein Wissen bei. „Hm, ganz genau. Aber lasst mich fortfahren“, ergriff Utgri wieder das Wort. Wo war ich stehen geblieben? Ach so, ja, die Durchlässe. Es ist nämlich so, dass die Türen und Tore nur von unserer Seite aus geöffnet werden können. Wir leben nämlich im Mittelpunkt der neun Ebenen und nur hier steht bei uns hoch im Norden der Lebensbaum, der alles und jedes umfasst und zusammenhält. Aber ich
schweife ab! Lasst mich zu den Überlieferungen zurückkehren. Kurz vor dem Ende des fürchterlichen Krieges, der vormals schon so viele Jahrhunderte andauerte, kam es dazu, dass eine der unteren Ebenen beschädigt wurde. Es entstand ein Spalt in Raum und Zeit. Und dieser Spalt war gleichzeitig quasi ein Durchlass ohne Schlüssel. Wesen aus dem Schoß der Erde konnten dort gefahrlos überleben und jederzeit in diese andere Ebene wechseln, wann immer es ihnen behagte. Was sie auch taten! Ich rede von diesen grausamen Kannibalen, welche in den alten Schriften als Narruks bezeichnet
werden.“ „Narruks, noch nie gehört“, meldete sich Walram. „Ich glaube, diesen Namen habe ich irgendwo schon einmal gelesen“, versuchte sich Rigomar zu erinnern. „Ja, richtig, es war in einer dieser alten Höhlen in Muspelheim. Eine große überdimensionale Felszeichnung zeigte hässliche, mit Warzen übersäte Wesen. Schweineschnauzen hatten sie. Und lange dicke und gefährlich aussehende Hauer ragten aus ihrem Mund. Ihr Rücken war mit Auswüchsen übersät, ihre ganzen Gliedmaßen waren krumm, uah, mit Krallen an Händen und Füßen. Hässlicher als alles, was ich bislang
gesehen habe.“ „Ja, das klingt ganz nach den Narruks“, bestätigte Utgri. „So sollen sie ausgesehen haben. Sie waren es jedenfalls, welche den unverhofften Vorteil der Spalte nutzten. Sie durchschritten den Durchlass und schöpften an dem sicheren Ort fern des Krieges neue Kräfte, während ihre Gegner immer schwächer wurden.“ „Warum folgte man ihnen nicht und bekämpfte sie dort hinter dem Durchlass?“, wollte Walram wissen. „Dies wäre der Tod für jeden Verfolger gewesen. Ohne Hilfsmittel konnten die Bewohner der oberen Ebenen dort in der Tiefe, in diesem ewigen Flammenmeer
nicht überleben. Die Narruks hingegen lebten seit alters her in oder an den großen Flammenbergen. Sie waren die Hitze, die Trockenheit und die Feuerstürme gewohnt. Und was noch wichtiger war, sie hatten Freunde dort unten. Denn die Narruks waren nicht die eigentlichen Bewohner dieser feurigen Ebene. Andere Wesen, viel furchtbarer und grausamer, stärker und wilder als alles, was ihr euch nur ausmalen könnt, hausten in dem Schlund der Tiefe seit Anbeginn der Zeit. Diese Wesen beherrschten mit den anderen namenlosen Erstgeborenen zusammen diese Welt, als der Himmel noch keinen Regen kannte und die Erde Feuer war.
Nichts konnte ihnen widerstehen, nichts sie erschrecken, geschweige denn aufhalten. Erst als die Vorfahren der Alben geboren wurden und sie das Wasser schufen, erst da war eine Macht entstanden, die ihnen widerstand. Von den Ahnen der Alben, ihren Töchtern und Söhnen stammen die Feen und Flussgeister ab, welche die Seen und Meere schufen und somit den Regen. Und dies war der gefährlichste Feind, welcher den alten Völkern jemals entgegengetreten war, denn er kam unverhofft und erreichte sie fast überall. Da war der Zeitpunkt gekommen, an dem die Erstgeborenen sich eine neue Welt suchten. Die
Feuerwesen zogen sich in das Innere der Erde zurück und versiegelten die Tore ihrer Heimat, hin zu den anderen Welten. Nur hin und wieder, wenn eine Fee den Lauf einer neuen Quelle nicht sorgsam genug anlegt und das Wasser in ihr unterirdisches Reich dringt, dann schleudern sie ihre flammende Wut und ihren heißen Atem in diese unsere Welt. Und jene Feuerwesen waren der Grund, weshalb es den Bewohnern der oberen Ebenen unmöglich war, den Narruks in die Tiefe zu folgen. Denn das wäre ihr Untergang gewesen. Und so kam es, wie es kam. Als die großen und mächtigen Völker den Kampf verloren hatten, zogen sich die Überlebenden in die
einzelnen Ebenen zurück. Die Narruks unterdessen hatten an den Feuern der Tiefe neue Kräfte geschöpft und holten zu ihrem letzten großen Schlag aus. In diesem kritischen Augenblick der höchsten Not schlossen sich die letzten großen Magier der Völker zusammen und schufen diesen Stein. Zusammen, denn nur zusammen konnten sie den Willen des Steins beherrschen, brachten sie ihn hinunter an den Riss in den Eingeweiden des Berges und versiegelten ihn. Keiner weiß, was dann aus ihnen geworden ist. Ihren Völkern vermochten die Magier nicht mehr zu folgen, denn die Türen hatten sich geschlossen. Ob der Tod sich ihrer
annahm oder ob sie im Fluss der Zeit umherirren, niemand vermag es zu sagen.“ „Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe“, dachte Walram laut, „dann lauern dort unten zwei Gefahren. Der Stein und die Narruks. Nein, eigentlich sind es ja wohl drei, denn diese Feuerwesen muss man ja wohl mit dazurechnen.“ Utgri nickte zustimmend. „Und wenn ich das Weitere auch noch richtig verstanden habe, dann kann keines dieser Völker hinaus aus ihrer Welt. Und eigentlich auch keiner hinein zu ihnen, denn die Schlüssel zu den Türen der Welten sind angeblich verloren gegangen“, nahm Rigomar den
Faden auf. „Nicht ganz“, berichtigte ihn Walram schmunzelnd. „Was unser neuer und guter Freund Utgri noch nicht weiß und womöglich vergessen hat, wir haben einen dieser Schlüssel.“ „Die Ebene, in der sich die Himmelsburg befindet und die Ritter des Lichts wohnen!“ „Richtig! Und dann nicht zu vergessen, da gibt es noch jemanden wie Odin, der quasi durch seinen Ring Draupnir eine Art Generalschlüssel in den Händen hält.“ „Da stimme ich dir zu. Odin hätte überall Zutritt. Wann er will und wo er
will.“ „Und außerdem wollen wir nicht vergessen“, meldete sich Utgri, „du, Herr, hast noch einen weiteren Schlüssel.“ „Genau!“, grinste Walram. „Sehr richtig! Auch der Stein in der Tiefe ist ein Schlüssel! Zwar zu einer Hintertür, aber das ist hier im Augenblick ohne Belang.“ „Die Frage ist nur, was gedenkt ihr zu tun, mein Gebieter“, wollte Utgri wissen. „Diese Frage kann ich dir noch nicht beantworten“, seufzte Walram. „Zu viele Dinge wollen bedacht sein. Diese Narruks könnte ich gut gebrauchen. Sie scheinen das Gute zu hassen, so wie ich
selber. Was meint ihr? Könnte ich sie beherrschen?“ „Vielleicht“, antwortete Rigomar. „Schon möglich. Mit der Hilfe des Steins bestimmt!“ „Die Frage ist also“, fuhr Walram weiter fort, „beherrsche ich den Stein?“ „Darauf eine Antwort zu geben, getraue ich mich nicht“, gab Rigomar zu. „Um ehrlich zu sein, ich habe Angst davor, diese Frage zu beantworten.“ „Dann habe ich also ein Problem“, sinnierte Walram weiter. „Wenn ich den Stein herausbreche, wird er versuchen meinen Willen zu brechen oder mich sogar töten. Gleichzeitig habe ich mindestens eine Horde dieser Narruks am
Hals, vielleicht sogar eine ganze Armee. Dann blieben da auch noch die Feuerwesen!“ „Ich glaube, Letztere kannst du erst einmal vergessen“, sagte Rigomar. „Wenn du ihr Reich nicht betrittst, sie rufst oder anderweitig reizt, werden sie wohl vorerst stillhalten.“ „Ja, das ist wahr. Also eine Gefahr weniger“, stimmte Walram zu. „Bleibt nur noch das Problem mit dem Stein. Utgri, gesetzt der Fall, ich erringe die Herrschaft über den Stein. Alles klar? Kannst du folgen? Also nur mal angenommen, ich schaffe das, was müsste ich tun, um seine Macht zu
gebrauchen?“ „Gute Frage“, rätselte Utgri und kratzte sich gedankenverloren an seiner Nase. „Ich denke, man müsste einen großen Zauberstab schmieden. Und an seiner Spitze müsste sich so eine Art Käfig befinden, welcher den Stein aufnimmt. Der Stab sollte die Energie aufnehmen und bündeln. Und gleichzeitig muss er sie unter Kontrolle halten. So weit doch ganz logisch, oder? Also, der Stab ist somit unmittelbar abhängig von der Größe der Steins. Dieser ist immerhin doppelt so groß wie ein Hühnerei. Folglich sollte der Zauberstab schon mindestens so groß sein, wie der Besitzer selber. So in etwa müsste der
Stab meiner Vorstellung nach ausgesehen haben, mit dem die Magier das mächtige Artefakt vor langer Zeit transportierten.“ „Utgri, du sagtest selbst, du seiest der Besten einer. Würdest du dir zutrauen, einen solchen Stab für mich zu schmieden?“ „Nein, das kann ich nicht“, gab Utgri kleinlaut zu. „Einen solchen magischen Gegenstand, welcher in der Lage ist, dieser so ungeheuren Macht des Steins standzuhalten, kann niemals von einem Zwerg alleine geschaffen werden. Um eine solch gewaltige Aufgabe zu bewältigen, müssten sich schon mehr Zwerge zusammenfinden. Einer der
Besten zu sein reicht da leider nicht aus. Ich denke da schon eher an eine magische Zahl. Neun Zwerge, das müsste reichen, ja, das wäre gut. Dazu kommt, dass der Stab bei Vollmond in der Glut des Sternenfeuers und in der Tiefe der Erde geschmiedet werden muss. In einer dunklen Kaverne, angefüllt mit dem heißen und tödlichen Atem der Unterwelt. Ein starker und magischer Gegenstand muss ihm seine Kraft schenken, das Blut von einem heiligen Lebewesen.“ „Oh weh, das ist kompliziert“, sagte Walram enttäuscht. „Wo soll ich denn nur ein Sternenfeuer herbekommen? Und erst so viele Zwerge, welche die
Schmiedekunst und gleichzeitig die Magie beherrschen? Unter neun machst du es wohl nicht, oder?“ „Hm, ja, schon, vielleicht. Drei Zwerge würden eventuell auch reichen. Aber dann müssten es wirklich die Meister der Meister sein. Das Sternenfeuer ist übrigens gar nicht so ein großes Problem, wie du denken magst. Wir könnten es von meinem Vater bekommen. Soweit ich weiß, brennt zurzeit in seiner Schmiede eins.“ „Also, wenn ich mich selber frage, so muss ich sagen, das hört sich schon weitaus besser an. Drei Zwerge! Da fallen mir doch gleich mal pauschal drei Namen ein. Sindri und du, Utgri. Das
wären schon mal zwei. Mein Sohn Goram ist unterwegs und holt Riglef. Dann hätten wir drei. Mit dem Sternenfeuer würde auch alles klargehen, oder? Was meinst du, Utgri? Möchtest du nicht einmal deinen Vater hierher einladen?“ „Er wird nicht kommen können, oh Gebieter, so sehr es ihn auch danach verlangen täte. Er arbeitet zurzeit weit entfernt von hier. Von uns aus gesehen nordöstlich in einem kleinen Gebirge, genannt das Zwergengebirge. Dort schlägt sein Volk im Auftrage Odins eine riesige und kolossale Grabkammer in den Fels. Die Zeit sitzt ihm im Nacken. Zweihundert Jahre schafft mein Vater
schon und bislang ist nicht einmal die Hälfte fertig. Für dreihundert Jahre hat er aber nur Lohn bekommen. Da heißt es in die Hände zu spucken, ehe er in die roten Zahlen rutscht. Die Grabkammern sollen dereinst, aber nicht einmal Odin weiß wann, einem großen und herausragenden Menschenkönig als Ruhestätte bis zu dem Tage seiner Wiedergeburt dienen. Dieser kommende König, geboren in einer fernen oder nahen Zukunft, soll angeblich in irgendeinem Verwandtschaftsverhältnis zum Schicksal selbst stehen. Mit gewissen Tricks hatte Odin diese Information den Schicksalsnornen irgendwann einmal aus der Nase
gezogen. Aber er konnte nicht alles erfahren. Er weiß weder um das Wann, noch das Wie und Wo. Theoretisch können so auch noch mehrere tausend Jahre ins Land gehen, bevor diese Kammern eines Tages gebraucht werden. Aber dies kann eben auch schon in hundert Jahren so weit sein und deshalb drängt der Gott meinen Vater zur Eile. Schon jetzt erpresst er den Zwerg Andwari, der einen goldenen Ring besitzen soll, mit dessen Hilfe er Gold regelrecht aus dem Nichts herbeizaubern kann. Odin presst ihn aus wie eine Zitrone und lässt all die Schätze für diesen Menschenkönig in den fertigen Hallen bis unter die Decke
einlagern. Einen ganzen Bergkomplex soll die fertige Anlage einmal umfassen.“ „Hm, das versteh ich natürlich, eine verzwickte Lage. Aber sehr interessant finde ich den Teil deiner Erzählung über diesen Zwerg und seine Schätze. Es ist schon das zweite Mal, dass ich Kunde von ihm vernehme. Irgendwann wird man sich um ihn kümmern müssen. Zu dieser Zeit jedoch möchte ich Odin unter gar keinen Umständen in die Quere kommen. Also, wenn du mich fragst, Utgri, so muss ich sagen: Besuch doch einmal deinen Vater und nimm Riglef gleich mit. Zeig Sindri, was aus dir geworden ist. Erzähl ihm von deinem
neuen Königreich. Und wenn ihr dann zwischen den Feiern ein paar Minuten Zeit habt, dann könntet ihr mir vielleicht fix mal einen klitzekleinen Stab schmieden. Na, was sagst du?“ Utgri schnaufte ein wenig. Von wegen ein paar Minuten und eben mal fix! Aber je länger er darüber nachdachte, umso mehr freundete er sich mit dem Gedanken an. Er konnte das stolze Gesicht seines Vaters schon regelrecht vor sich sehen. Sein Sohn ein König! Mit eigenem Reich und Volk! Letzteres war zwar noch ein wenig klein, aber das würde schon noch werden. So fiel es ihm dann auch nicht weiter schwer, Walrams Vorschlag zuzustimmen. Und
dann hatte er es mit einem Male sehr eilig. Von Skizzen anfertigen sprach er noch, vom genauen Vermessen des Steins und diversen anderen Reisevorbereitungen. „Da geht er hin“, resümierte Walram zufrieden. „Er glaubt, nun sei er reich und mächtig, glücklich und unabhängig. Und doch macht unser kleiner neuer König letztendlich nur das, was ich will!“ „Ja“, stimmte Rigomar zu, „es war ein ausgesprochen kluger Schachzug, den Teil seines Volkes, welcher ihm folgt, an dich zu binden.“ „Ach, das ist noch gar nichts“, schrie Walram. „Warts ab! Ich mache sie alle
miteinander uneins. Am Ende werden sie sich nur noch um sich selber kümmern, sich bekriegen und somit schwächen. Und dann komme ich und lese die Brocken auf!“ „Sehr raffiniert. Ich muss schon sagen! Sind als Nächstes die Menschen dran? Vielleicht die im Süden?“ „Nein, mein Guter, ganz gewiss nicht. Um die Menschen brauche ich mich im Moment nicht zu kümmern. Die schlagen sich auch so schon die Köpfe ein. Später, ja später werde ich auch mit ihnen meine Spielchen spielen. Aber jetzt denke ich an ein anderes Volk. Stark und klug ist es. Was in unseren Reihen nämlich fehlt, ist ein bisschen
Intelligenz. Die Stärke bekommen wir schon durch die Massen. Aber Intelligenz kann man nicht lernen. Ich denke hierbei an das Volk der Elfen, Rigomar. Die Elfen! Was vor mir noch niemand geschafft hat, werde ich schaffen. Ich werde ihr Volk spalten und einen Teil auf unsere Seite ziehen. Die Elfen, Rigomar!“, rief Walram und eilte in sein Brauhaus. „Nicht die Menschen!“ Bewundernd sah ihm sein Ratgeber hinterher. Sie konnten es tatsächlich schaffen, den kommenden Krieg zu gewinnen. Was er am Anfang nur halbherzig geglaubt hatte, jetzt tat er es aus vollem Herzen. Sie würden gewinnen
und bei Odin, sie würden in Blut waten. Und er war dabei. Laut prasselnd und Funken stiebend verbrannte das frische Kiefernholz mit den erst halbtrockenen Nadeln im Wachfeuer, sodass die mannshohen züngelnden Flammen nicht nur Hitze in dieser kühlen und wolkenverhangenen Nacht spendeten, sondern auch die Umgebung in weitem Umkreis erleuchteten. Ein potenzieller Spion, ein Dieb oder was auch immer, sollte es so schwer wie möglich haben, an den grimmigen Wachen vorbeizukommen. Lichtscheues Gesindel gab es schließlich
wie zu allen Zeiten mehr als genug. Abel, einer der beiden Waldschrate, die hier und in dieser Nacht ihren Wachdienst versahen, schöpfte sich gerade wieder eine große Kelle von dem heißen Kräuteraufguss aus dem Kessel, den sie erst vor wenigen Augenblicken vom Feuer genommen hatten. Das bittere Zeug schmeckte zwar widerlich, aber zumindest wärmte es. Außerdem hatte er sich etwas eingefangen. Eine leichte Erkältung vielleicht, aber wer weiß das immer schon so genau. Da tat dieser Aufguss seinem trocknen und rohen Hals so richtig gut. Was war das? Fast meinte Abel, er hätte da ein Geräusch gehört. Oder doch
nicht? „Verdammte Ratten!“, schimpfte er heiser. „Nehmen wirklich überhand, diese Viecher! Ich weiß nicht, wie viele sie noch züchten wollen. Wenn wenigstens die Käfige dicht wären! Aber nicht mal das schaffen sie! Aber ein großes Maul haben diese Besserwisser, wie es größer schon gar nicht mehr geht. Und wenn es darauf ankommt, nichts dahinter! Immer nur halbe Sachen.“ „Heiße Luft“, stimmte Berad zu, der andere der beiden Schrate. Er war größer und stämmiger als Abel, der in den Wäldern rund um den Wichtelstein beheimatet war, während er
aus den Bergen bei Trollingen kam. Steile Pfade kräftigen die Muskeln, so pflegte er immer zu sagen. Aber nicht das Hirn, gab dann Abel spöttisch zur Antwort. Aber ansonsten verstanden die beiden sich gut. „Es sind immer die da oben, welche den größten Mist verzapfen“, fuhr Abel fort. „Wenn sie es glücklicherweise mal schaffen, eine halbe Idee auszubrüten, dann folgt gleich die Tat. Ohne zu überlegen, was diese eine Idee für Folgen nach sich zieht!“ „Richtig, furchtbare Folgen“, tönte Berad und wärmte sich die Hände am Feuer. Eigentlich wäre er für ein kurzes
Nickerchen. Er konnte nicht glauben, dass sich ein Spion oder was auch immer, so dicht an ein solch riesiges Lager heranwagen würde. Warum auch? Um die Ratten zu zählen? „Und dann halten sie sich für die Größten! Nie etwas richtig gelernt und schon wollen sie uns erzählen, wie es besser gemacht wird. Dabei sind doch wir die Fachleute!“, wetterte Abel und geriet langsam so richtig in Fahrt. „Nichts außer Dummquatschen gelernt“, säuselte Berad und gähnte ausgiebig. „Schau dir unsere Waffen an. Alles Schrott! Den Helm! Ja, der Helm, zum Beispiel! Er hat innen keine Polster, sodass die Kopfhaut ewig wund ist und
einem laufend das Fell ausfällt. Ich habe mir schon einen Leinenlappen unter dem Helm gelegt, sodass er nicht ganz so arg scheuert. Aber auch den musste ich mir alleine besorgen. Die da oben haben Polster aus Leder oder weichen Samt, um das zu schützen, was nicht da ist.“ „Ups, das hilft?“, fragte Berad erstaunt. „Einen Lappen hätte ich auch.“ „Still!“, zischte Abel. Er vermeinte wieder ein leichtes Rascheln gehört zu haben. Ohne sich durch eine großartige Körperbewegung zu verraten, stellte er seine seitwärts abstehenden Schlappohren auf und drehte sie dem Geräusch zu. Diese gewaltigen Horchorgane glichen denen
einer Katze, na ja, vielleicht eher denen eines Hundes, nur dass sie weitaus größer waren. Das dem Menschen weit überlegende Gehör verschaffte den Schraten als ideale Wachposten geradezu eine Dauerstellung. „Wieder eine Ratte?“, flüsterte Abel. „Oder größer?“ „He, ihr beiden da“, bellte da die Stimme ihres Hordenführers durch die Nacht. Ein riesiger Bergschrat trat aus dem Dunkel und in den Lichtkreis des Feuers. Er kam von dem Zeltlager am Berghang herüber, wo sich auch die festen aus Stein gebauten Wachstuben befanden. In jeder Hand trug er eine
saftige, noch blutige, anscheinend frisch ausgerissene Hammelkeule. „Ihr müsst noch ein wenig länger stehen“, erklärte er befehlsgewohnt. „Eure Ablösung ist besoffen. Aber das werden diese Schluckspechte büßen. Einen ganzen Monat sollen sie, sobald die Hunde wieder nüchtern sind, euch beiden zu Diensten sein und alles nur Erdenkliche für euch tun. Alles, was immer ihr auch nur befehlt. Einverstanden?“ „Na klar doch“, freute sich Berad diebisch und sprach Abel damit aus dem Herzen. Den beiden fielen auf Anhieb Hunderte von Gemeinheiten ein. Das würde ein
Spaß werden! Dafür stand man doch gern ein wenig länger. Und ein Nickerchen würde dabei auch noch abfallen. Wenigstens ein ganz Kleines. „Disziplin ist alles, was ich verlange!“, donnerte der Gruppenführer hämisch. „Ich habe euch noch ein paar Leckerbissen mitgebracht. Eure Ration Bier bekommt ihr nach der Ablösung.“ „Juhu“, jubelte Abel glücklich. „Ein Hoch auf unseren Anführer!“ Dann fielen die beiden Wachleute über die Keulen her, während sich ihr Vorgesetzter kopfschüttelnd auf seinen Rückweg machte. Große schwarze und spitze Zähne gruben sich in das noch warme Fleisch. Sie rissen blutige Fetzen
heraus und vertilgten alles, was da war, einschließlich Fell und Knochen. Der Hunger war übermächtig und ließ alles andere in den Hintergrund rücken. Außerdem heckte jeder für sich schon mal ein paar Quälereien aus, mit denen sie ihre im Vollrausch erwischten Kameraden beglücken wollten. Und so kam es, dass keiner die kleine und vollständig in einen Umhang gehüllte einsame Gestalt mit dem Pony bemerkte. Sie hatte sich am Feuer vorbeigemogelt, genau dort, wo Licht und Schatten aufeinandertrafen. Weit außerhalb der Sichtweite der beiden wachenden Schrate stieg die kleine Gestalt mit einem Stoßseufzer der
Erleichterung auf das ebenfalls kleine Pferd und ritt eilig in den vom Boden aufsteigenden Nebel der Nacht davon. Sie nahm den Weg Richtung Nordost, dort, wo die Sümpfe der Leiden lagen und viel, viel weiter sich irgendwann die spitzen Grate des Zwergengebirges drohend in den Himmel erhoben und die Wolken kitzelten.
Anhang: Akne - Spion aus Albenheim Alben - verwandte Lichtwesen der Elben und Elfen (auch Zwerge) Alberich - Zauberer, König der Alben, Schmied, Zwerg Andwari - Zwerg Angelo - Veltens Sohn, Begleiter Ragnars Angus - Ritter aus Burgund, Leifs Gefährte Asgard - Himmelswelt Bea - Wolf, Tochter von Geri Bifröst - Regenbogenbrücke durch das
Sternenzelt Drago - Nordmann aus Thorsfelsen, Ragnars Freund Emilia - Walrams Tante Fabri - Zwerg, Riglefs Sohn, Gorams Freund Falk - Alb, Sohn von Folke, Leifs Begleiter Fay - Hexe, Ragnars Begleiterin Fenrir - Wolf, Dämon Finn - Luftgeist Fiona - Fee, Tochter von Sigrun Folke - Alb, Falks Vater, berühmter Handwerker Fosse - Wasserfalltroll, Diener Walrams Freki - Wolf, Odins Begleiter Gabriel - Angehöriger der Südvölker,
Walrams Gefangener Gar - Wesen in den Felsen Geri - Wolf, Odins Begleiter Goram - Sohn des Lichts, Leifs Bruder, Ase Götterdämmerung - Ragnarök, Weltuntergang Hafnar - Nordmann, Dorfhäuptling, Ragnars Vater Hati - Himmelswolf, jagt den Mondwagen, Fenrirs Sohn Heimdall - Riese, Wächter der Regenbogenbrücke Bifröst Hel - Göttin der Unterwelt, Schwester vom Fenriswolf Hugin - Odins Rabe, Götterbote Knurr -
Flugdrache Leif - Sohn des Lichts, Gorams Bruder, Ase Loki - Gott, Trickser Maike - Hafnars Frau, Leifs Pflegemutter, Heilerin Mani - Mondgott Mantur - Flugdrache Marcus - Sklave, Angehöriger des Westvolkes, Leifs Gefährte Mugin - Odins Rabe, Götterbote, (auch Munin) Muspelheim - Heimat der Feuerriesen Narruks - Geschöpfe der Unterwelt Norne - Schicksalsgöttin Odin - Gott, Allvater Ragnar - Nordmann aus Thorsfelsen,
Sohn von Hafnar Riglef - Zwerg, berühmter Schmied Rigomar - Zauberer, Diener Walrams Schrat - Waldgeist Sigrun - Fee, Druidin, Fionas Mutter Sindri - Zwerg, berühmter Schmied Siska - Rigomars Tochter Skalli - Himmelswolf, jagt den Sonnenwagen, Fenrirs Sohn Sleipnir - Odins Pferd Sol - Sonnengöttin Thor - Donnergott, Odins Sohn Thoralf - Nordmann aus Thorsfelsen, Leifs Freund Vali - Wolf, Sohn Lokis Velten - Räuber, Angelos Vater Vran - Zwerg, Heiler, Lehrer von
Fabri
Walhalla - Wohnsitz Odins, Halle der Helden
Walküre - Odins Kriegerin, geleitet die Helden gen Walhalla
Walram - Zauberer, Führer der dunklen Seite, Gorams Pflegevater
Welf - Rigomars Sohn