Ist das das Ende?
Ich fiel wie durch einen Tunnel. Verschiedenfarbige Türen blitzten neben mir auf, doch ich fiel zu schnell, als dass ich sie genauer erkennen konnte. Ich sah hinab, doch erkannte nur einen unendlich scheinenden Tunnel. Ich entsann mich, dass ich die Klippen hinabgestürzt war, ich wunderte mich, dass unter mir nicht das Wasser lag. Irgendwann wurde ich langsamer. Ich konnte jetzt mehr Details erkennen. Ich befand mich offenbar in einer Art Traumwelt. Ist das das Paradies, wie es in der Bibel beschrieben wird? Wo waren dann die Engel, oder Petrus mit dem Himmelstor? Und wieso fiel ich abwärts,
wenn das Paradies im Himmel liegen sollte?
Ich blieb in der Luft hängen und sah mich um. Über mir konnte ich schwach einen Lichtpunkt in der Ferne erkennen, rund um mich herum befanden sich Fenster mit blauen Rahmen. Und direkt vor mir war eine Tür. Eine einfache Holztür, auf der in verschlungenen blauen Buchstaben mein Name stand. Unbewusst schien ich zu wissen, was zu tun war, denn ich öffnete sie und lugte hinein. Es war alles ruhig, also fasste ich Mut und ging hinein. Niemand war da. Es sah aus wie unser altes Haus, damals, als Mom und Dad noch glücklich zusammen waren. Ich erinnerte mich
schwach an gemütliche Abende als Familie, mit Pizza und Disneyfilmen. Das war längst Vergangenheit, wieso sah es hier so aus? Ich ging weiter und kam an eine Wand, in deren Mitte sich ein kleines Loch befand. Unwillkürlich schaute ich hindurch und erschrak fürchterlich. Hier der Wand befand sich offensichtlich noch ein Raum, und in diesem Raum sah es aus wie in dem Kinderzimmer meiner Grundschulzeit. In der Ecke stand meine kleine Ritterburg aus Holz, und auf dem Bett lagen Unmengen an Stofftieren. Ich musste schmunzeln. Mom hate sich immer beschwert, dass ich so viele Plüschtiere hatte, doch immer noch mehr wollte. Wie konnte ich in diesen Raum hineinkommen? Ich sah keine Tür
oder ähnliches, da war nur dieses kleine Loch. Plötzlich berührte mich jemand von hinten an der Schulter und ich schrie auf, doch es kam kein Laut aus meinem Mund. Alles war dumpf, als befände ich mich unter Wasser. Ich drehte mich um und schaute in dunkelblaue Augen. Ellas Augen. Ich fiel ihr um den Hals, doch sie hielt mich zurück und bedeutete mir, ihr zu folgen. Sie nahm meine Hand und schweigend liefen wir durch einen langen Flur. War der vorhin auch schon da gewesen? Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis wir eine weitere Holztür erreichten. Sie war schäbig und heruntergekommen, dennoch kam sie mir wunderschön vor. Ella öffnete sie und ließ
mich zuert hindurch. Drinnen war nichts, nur ein kleines rosa Sofa mit einem schwarzen Kissen. Davor stand ein kleiner schwarzer Tisch, auf dem ein Zettel lag. Es schien ein Brief zu sein. Neugierig nahm ich ihn und bemerkte, dass auf dem Umschlag nur ein Name stand. Mein Name. Ich öffnete den Brief und begann zu lesen.
Liebe Mia,
Ich weiß, wenn du dies ließt bin ich tot. Doch das bedeutet nicht, dass ich dich verlassen habe. Im Gegenteil, ich bin immer bei dir.
Du fragst dich bestimmt, was das hier ist. Nun, das weiß keiner so genau. Jeder, der stirbt scheint hier einen eigenen Raum zu
haben, der nur für eine selbst bestimmt ist. Dies ist dein Raum, Mia. Hier ist alles so, dass du dich wohl fühlst. Wonach dein Herz sich sehnt, das findest du hier. Geh nun weiter. Bleibe auf keine Fall auf diesem Sofa sitzen, dass wäre ein fataler Fehler. Ich kann dir nicht sagen, weshalb. Vertrau mir. Geh durch die Tür gegenüber von dir.
Ich liebe dich.
Mama
Dieser Brief war von meiner Mutter! Ich begann zu weinen, stumm, doch keine Tränen rollten über mein Gesicht. Ich steckte den Brief in meine Tasche und lief durch die Tür, aus der ich auch schon gekommen war. Ella war verschwunden, das
machte mich nur noch trauriger. Der lange Flur war ebenfalls verschwunden und stattdessen befand ich mich in unserer Küche in Madrid. Meine Mutter stand in einer Ecke und lächelte mich an. Ich rannte auf sie zu und fiel ihr um den Hals. Sie lachte glücklich, leise. Ich wollte ihr den Brief zeigen, doch er war nicht mehr in meiner Tasche. Auch bemerkte ich, dass die seltsame Taubheit verschwunden war, ich konnte wieder normal reden und hören. Ich sagte nur drei Wörter zu Mom. „Ich liebe dich.“ Das war alles was zählte. „Ich liebe dich auch, mein Engel.“, antwortete meine Mutter. „Komm, ich zeige dir alles!“
„Mom? Was ist das hier?“
„Das wirst du gleich sehen!“, meinte sie
und nahm meine Hand. Wir liefen nach draußen. Es war ein strahlender Sommertag, genau so wie ich es am liebsten hatte. Wir liefen eine schmale Straße entlang, neben uns kleine Häuser. „Mom, wer wohnt hier?“
„Niemand, Maus. Noch niemand. Dies hier ist deine Welt, hier kannst du wunschlos glücklich sein. Sieh dir deine Arme an.“ Ich blickte hinab auf meine Arme. Mir fiel auf, dass ich einfach nur ein weißes T-Shirt und eine schwarze Hose anhatte, dazu meine alten schwarzen Vans. Als ich mir meinen Arm genauer ansah, stellte ich fest, dass er narbenfrei war. Ich sah meine Mutter mit großen Augen an. Sie nickte und lächelte dabei liebevoll. Wir kamen an
einen Fluss, über den eine Brücke führte. Auf der Brücke saß ein grau-schwarzer Kater und blinzelte in unsere Richtung. Es war Mause, der Kater den wir hatten, als ich fünf war. Er war früh gestorben, da er von einem Auto angefahren worden war. Ich rannte auf ihn zu und nahm ihn auf den Arm. er schnurrte und rieb seinen Kopf an meinem Hals. Mom bedeutete mir, ich solle ihr weiter folgen. Wir kamen an ein kleines Haus, das dem von Ella ziemlich ähnlich, wenn auch nicht gleich aussah. Als wir hineinkamen, stand Ella schon vor der Tür und drückte mich. „Hey Mia!“ ich strahlte sie an. Endlich war dieses schreckliche Leben vorbei. Hier konnte ich auf ewig glücklich sein Mir wurde klar, dass dies
wirklich echt war. Ich war tot, doch der Tod bedeutet nicht das Ende.