Vorwort
225 Tage in Südamerika erscheint in mehreren Teilen.
Der erste Teil Die Überfahrt erzählt die Reise von der Schweiz nach Frankreich und der nachfolgenden Atlantiküberquerung in einem Frachtschiff.
Im zweiten Teil Uruguay wird von den ersten Reiseeindrücken durch Uruguay erzählt.
Text © by Amarillo
Bildermaterial © by Amarillo
September 2014
3. TEIL - ARGENTINIEN
Unsere erste Handlung in Argentinien ist der Abschluss einer Haftpflichtversicherung für unser Fahrzeug. Mit den Versicherungspapieren in der Tasche und kaum zehn gefahrenen Kilometer auf argentinischen Strassen auf dem Tacho werden wir von der Polizei angehalten. Mein Partner steigt aus und erfährt, dass bei uns ein Unterfahrschutz fehlt (ist in der Schweiz und Deutschland für unser Fahrzeug nicht nötig). Weiter bemängeln sie, dass reflektierende Streifen und ein Geschwindigkeitskleber fehlen. Sie wollen 200 Euro. Das wir die
Versicherungspapiere vorweisen können, stimmt die Polizisten schon mal gütiger. Wir diskutieren und versichern, dass wir einen Unterfahrschutz in nächster Zeit montieren werden. Nach einer halben Stunde können wir ohne zu bezahlen weiterfahren. Am Nachmittag erleben wir nochmal das gleiche Spiel. Wieder werden wir angehalten und die gleichen Mängel beanstandet. Wieder diskutiert mein Partner mit den Polizisten und wieder können wir ohne zu bezahlen weiterfahren. Für uns ist klar, dass wir die Kleber besorgen und einen Unterfahrschutz schweissen lassen. Wir staunen ab den vorbeifahrenden Autos, die so verrostet
sind, dass sie längst schon in ihre Einzelteile zerfallen müssten. Wir sehen fahrende Autos ohne Frontscheibe, mit fehlenden Motorhauben oder Pickups, die auf der Brücke ihre halbe Verwandtschaft transportieren.
Die ersten 840 km in Argentinien führen uns durch flaches, landwirtschaftlich benutztes Gebiet. Um eine klarere Vorstellung von den Grössenordnungen in der Region zu erhalten, ist ein vergleichender Blick auf die Flächennutzungen am Beispiel Argentinien und Deutschland hilfreich. In Argentinien werden aktuell 32 Mio. ha Fläche für Acker- und Pflanzenbau
genutzt, 100 Mio. ha für Wiesen und Weiden sowie 30 Mio. ha für Wald. Bei einer Gesamtfläche des Landes von 270 Mio. ha werden also rund 160 Mio. ha gut zwei Drittel des Landes land- und forstwirtschaftlich genutzt.
Deutschland weist dagegen rund 35 Mio. ha an Gesamtfläche auf, davon sind 17 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche - weniger als die Hälfte des Landes. Dabei ist ein Detail besonders interessant: Bei rund einem Achtel der Fläche Argentiniens produziert Deutschland fast halb so viel Rindfleisch wie Argentinien, 1,2 Mio. Tiere in Deutschland versus 2,6 Mio. in Argentinien.
Wir umfahren das 1.3 Mio. Einwohner zählende Cordoba und verlassen die Umfahrungsstrasse im Süden. Wir kommen durch eine hügelige Landschaft, fahren an einem Stausee vorbei direkt nach Villa General Belgrano. Hier waren wir schon öfters und wir werden vom Campingbesitzer „La Florida“ herzlich empfangen. Wir wollen uns hier etwas an Argentinien angewöhnen und bleiben 18 Nächte bei spätsommerlichen Temperaturen. Die Siesta wird streng eingehalten, alle Geschäfte sind von 13.00-17.00 Uhr geschlossen. Das wöchentliche Sonntags-Assado in „La Florida“ ist schon eine Reise wert. Die Köstlichkeiten wie
Rindsfilet, Pouletschenkel, Schweinskoteletten, Spearrips und verschieden scharfe Würste, die über dem Feuer brutzeln, lassen sogar einen Vegetarier schwach werden.
Villa General Belgrano ist von Deutsch-, Schweizer-, und Österreichstämmigen gegründet worden, was an dem Baustil der Häuser unschwer zu erkennen ist. Einige Besatzungsmitglieder der Admiral Graf Spee liessen sich hier nieder. (Das Panzerschiff Admiral Graf Spee wurde während des Spanischen Bürgerkrieges und zu Beginn des Zweiten Weltkrieges eingesetzt. Nach einem kurzen Aufenthalt im Hafen von
Montevideo wurde das Schiff am 17. Dezember 1939 von der eigenen Besatzung selbst versenkt. Das Schiff legte sich auf dem nur wenige Meter tiefen Rio de la Plata und brannte drei Tage lang.)
Von unserem Ausgangspunkt, 36 km westlich von Córdoba, Villa Carlos Paz, welches am schönen Stausee Lago San Roque liegt und im Sommer ein beliebtes Ferienziel für einheimische Touristen darstellt, fahren wir nach wenigen Kilometern, die uns Richtung Westen führen, auf löcheriger Schotterpiste. Die Strasse führt uns immer höher hinauf in die Sierra de Córdoba, die Landschaft ist karg, nur mit ein paar dornigen Büschen bestückt und eine grosse Staubwolke ziert unser Heck. Beim Cerro los Gigantes auf 1833 M.ü.M. finden wir einen einsamen, von Wind gepeitschten Übernachtungsplatz.
Der nächste Morgen begrüsst uns mit strahlendem Sonnenschein. Weiter führt uns der Weg wieder in die Eben hinunter, vorbei an einem markanten, erloschenen Vulkankegel. Die Schotterstrasse wird von einer sandigen, schnurgeraden Erdstrasse abgelöst, auf der wir ein Tempo von 20-40 km/h fahren
können. Später wird die Strasse kurvig und wir erklimmen den Cerro Pecho, ohne auch nur ein weiteres Fahrzeug zu kreuzen.
Der Fahrweg ist oft nur einspurig in den Fels gehauen und bietet eine fabelhafte Szenerie. Unser Blick über die grüne Buschebene wird von einer geraden, dünnen Linie angezogen, unser morgiger Weg. In der Abendthermik sehen wir einen Kondor, der einsam in der Luft dahingleitet. Am nächsten Morgen haben wir in der Ebene 80 Kilometer zu überwinden, ein kleines Abenteuer.
Die Piste besteht vorwiegend aus Sand, einerseits etwas festgefahren und andererseits oft sehr pulvrig, mit grossen Löchern bestückt, die bei Regen jegliches Durchkommen verunmöglicht. Wir benötigen fast fünf Stunden und kreuzen nur selten andere Fahrzeuge oder Menschen. Rechts und links sehen
wir grüne Büsche und dornige Sträucher, vereinzelte, sehr ärmlich wirkende Häuser und wenig Tiere. Wie ist es, hier als Kind aufzuwachsen? Ohne Spielkammeraden, Schränke voller Spielwaren, Kino oder I-Phone? Eine andere Welt.
Kurz vor Chepes kommen wir wieder auf
Asphaltstrasse und atmen tief durch, das Gerüttel hat vorerst ein Ende.
Unser nächstes Ziel ist der Provinzpark Ischigualasto, (Tierra sin vida Land ohne Leben), den wir auf angenehmer Asphaltstrasse der Ruta 555, die am Fuss der Sierra de la Huerta vorbei führt, erreichen. Hier verbirgt die Erdoberfläche weitere sechs unterschiedliche Schichten unter sich, die sich bei der Plattenverschiebung in die Höhe schoben und dadurch Versteinerungen von Pflanzen sowie Skelette von Dinosaurier hervorbrachten. Im Park wurde im 2011 ein fast vollständig erhaltenes Skelett
eines zwei Meter und siebzig Kilo schweren zweibeinigen Dinosaurier gefunden. Dieser Dinosaurier wird als Vorfahre des Tyrannosaurus Rex vermutet. In den letzten 550 Millionen Jahren gab es fünf Massenaussterben, wodurch mindestens 40% aller Gattungen untergingen. Bei einer davon, vor etwa 65 Millionen Jahren, starben schätzungsweise 50% der Gattungen aus, darunter alle Nicht-Vogel-Dinosaurier. Verschiedene Hypothesen wurden aufgestellt, um die Ursachen dieses Massensterbens zu erklären. Ursachen wie Meteoriteneinschlag, Vulkanausbruch oder beide zusammen gelten als wahrscheinlich. Die möglichen
Folgen für das Ökosystem sind schwer zu ermitteln. Forscher diskutieren über starke Temperaturschwankungen, Reduzierung der Sonneneinstrahlung bis zu 20% durch eine Staubwolke, sowie saurer Regen oder Tsunami.
Der Provinzpark Ischigualasto ist 63000 ha goss, liegt weit weg von einer
grösseren Stadt und wurde im Jahr 2000 im Katalog des UNESCOs Weltnaturerbe aufgenommen. Der Park präsentiert sich uns in unwahrscheinlich vielseitiger Form, Farben und Licht. Die Landschaft ist trocken und Farben von Grau, Ocker, Gelb, Rot bis zu Schwarz schimmern in der Sonne. In Millionen von Jahren haben die Fluten des heute fast ausgetrockneten Rio Ischigualasto Figuren aus dem roten Sandstein, dem einfarbigen Lehm und der vulkanischen Asche herausmodelliert. Auch der stetige Wind, der mit konstanten etwa 40 km/h bläst, trägt zu den bizarren Formen bei.
Beim Park gibt es eine Campingmöglichkeit und wir sind überrascht, hier Internetzugang direkt in unserer Wohnkabine zu erhalten. Eine dreistündige Tour durch den Park wird stündlich angeboten und kann mit dem eigenen Fahrzeug im Konvoi mitgefahren werden.
Unser nächster Stopp ist nicht mal 100 Kilometer nördlich entfernt, der Nationalpark Talampaya, der ebenfalls im Jahr 2000 zum Weltnaturerbe der UNESCO ernannt wurde. Auch hier können wir campieren und am nächsten Morgen bei Sonnenschein und tiefblauen Himmel die Tour besuchen. Die
Besichtigung kann nicht mit dem eigenen Fahrzeug unternommen werden, sondern ein Unternehmen bietet verschiedene Touren mit Reisebegleitung in den Canyon an. Unsere Runde dauert drei Stunden und führt durch den beeindruckenden Canyon, welcher aus rotem Stein besteht der unendlich in den Himmel zu ragen scheint.
Es geht weiter zu hohen, surrealen Felsformationen, die alleine, wie vergessen, in der Landschaft stehen. Zum Schluss besichtigen wir eine kleinere Schlucht, die wir zu Fuss ein Stück hineinwandern.
Wir sehen viele Tiere wie, Vicuñas, Maras, Gürteltiere und Füchse.
Nach dieser Abgeschiedenheit brausen wir in das ca. 70 Kilometer entfernte Villa Union, wo wir an der Tankstelle einen netten Übernachtungsplatz finden, an der Plaza im Wifi surfen, sowie unsere Lebensmittel in den Supermercados, die an einen Tante Emma-Laden erinnern, aufstocken und in
der Metzgerei ein feines Stück Fleisch kaufen. Die Metzgerei ist sehr einfach ausgestattet und ein Käfer krabbelt über die Waage. Nun, dann muss dieses Fleisch wohl kräftig angebraten werden.
Von Villa Union führt unser Weg zum Ersten Mal auf der berühmten Ruta 40, die sich durch ganz Argentinien den Anden entlang zieht. Die Cuesta de Miranda ist ein Pass, der sich von der Ebene, die auf 1100 M.ü.M. liegt, auf 2000 M.ü.M. erhebt und die Strecke in enger, sandiger und kurviger Erdpiste überwindet. Ein wahres Fahrvergnügen. Wir rollen immer weiter nordwärts, meist
auf Asphaltstrasse, durch eine trockene, mit Kandelaber Kakteen bestückte Landschaft, wo in Flussnähe immer wieder Dörfer zu sehen sind, die umgeben von Obst- und Laubbäume sind, deren Äste ihr farbiges Herbstkleid zögerlich abstreifen. Famatina ist ein herziges, kleines Dorf mit dem gleichnamigen Berg, an dessen Fusse es liegt. Die Sierra de Famatina ist ein eigenes Gestein, welches nicht zu den Anden gehört. Wir erfahren, dass der Berg Gold enthält und dass die grossen Minengesellschaften dieses bergen wollen. Die Einheimischen protestieren, da die Verschmutzung garantiert ist und sie den Berg in seinem Ursprung lassen
wollen. Hoffentlich können sie sich noch lange wehren…
In Quilmes steht eine eindrückliche Ruinenstadt am Fuss der Sierra de Quilmes eingebettet, die um das Jahr 1000 gebaut wurde und 5000 Menschen Schutz bot. Den Konflikt mit den Inkas überstanden die Bewohner von Quilmes,
doch 1667 wurden die übriggebliebenen 2000 Bewohner von den Spaniern nach Buenos Aires verschleppt.
2'440 gefahrene Kilomete
(13.04.13 21.05.13 )