Schon in früher Zeit gibt es die Sagengestalt des Einhorns, dem man überirdische Fähigkeiten nachsagt.
Zwei Helden, zwei Kreuzritter, begehrten Einlass. Der Doge von Venedig, er hieß Pietro Ziani (1155–1229, Doge wahrscheinlich ab 1202), gewährte huldvoll die Audienz. Was die Kreuzritter feilzubieten hatten, war grundsätzlich nicht von schlechten Eltern. Vorher schon hatte der Doge, also der uneingeschränkte Herrscher über Venedig, die Quadriga erworben. Eine Beute von anderen Kreutzrittern aus dem geplünderten Konstantinopel.
[Die Quadriga kann man immer noch auf dem Markusdom bewundern. Die orginalen
Plastiken befinden sich im Museum von San Marco]
Wir wissen nicht ganz genau, wann die zwei Herren vorsprachen, aber wir können den Zeitpfeil eingrenzen. Konstantinopel wurde 1203, genau ab dem 3.März, von den Kreutzrittern erstürmt. Nach der ausgiebigen Plünderung kehrten die Kreutzritter meistens in kleinen Gruppen zurück. Venedig hatte zum Großteil die Belagerung mitfinanziert.
Ich nehme an, dass diese Begegnung im Frühjahr 1204, es mag auch Sommer gewesen sein, statt gefunden hat. Vorher wäre wohl die Überfahrt über das Mittelmeer etwas zu gefährlich gewesen. Außerdem musste man ja noch ein Weilchen den Sieg über Konstantinopel feiern. Und das geschah
im Mittelalter ausgiebig.
Jedenfalls standen nun die beiden Kreuzritter vor Pietro Ziani.
Sie boten Unglaubliches an. Sie hatten das Horn des sagenumwobenen Einhorns in Händen. Es war über eineinhalb Meter lang und gedreht wie eine Schraube.
So etwas sagenhaftes hatte Ziani wirklich noch nie gesehen.
Völlig klar, dass er es haben musste, versprach doch der Besitz Wunderdinge und Wunderkräfte. Was die Kreutzritter im Morgenland leider auch gelernt hatten, das war das Feilschen.
Und so wechselte das Horn des Einhorns seinen Besitzer. Die beiden Plünderer hatten
es nachweislich aus Konstantinopel gestohlen.
Damit waren diese beiden Kreutzritter unter den wenigen, die von dem orientalischen Abenteuer mit ordentlichen Gewinn zurück kamen.
Das Horn befindet sich noch heute in der Schatzkammer des Markusdoms.
So sehr die Sache mit dem Einhorn unsere Phantasie beflügelt, so wissen wir doch heute, wer der Besitzer eines solchen Horns ist.
Es ist der Narwal. Und es ist auch kein Horn, sondern ein überlanger Zahn, auch Ainkhürn genannt.
(Zeichnung aus wikipedia)
Natürlich gehört der Narwal zu den Säugetieren und den Zahnwalen (was sonst). Er wird bis zu 2,74 Metern lang, zumindest im
deutschen Ledermuseum ist ein solches Prachtexemplar ausgestellt. Dazu kommt die Länge des besagten Zahns.
1,90, ja über zwei Meter wurden bei solchen Zahnrelikten schon gemessen.
Es handelt sich um den linken Schneidezahn, der direkt durch die Oberlippe heraus wächst.
Weil er als Beweis für die Existenz des Einhorns galt, wurde er praktisch mit Gold aufgewogen. Und das ist nicht wenig, kann der Zahn doch durchaus bis zu 10kg wiegen.
Der Narwal räubert in den Tiefen des Meeres. Wie alle Wale, ist er auf Grund seiner besonderen Ausstattung (hoher roter Blutkörperchen Anteil, spezielle Lungenanpassung, usw.) für solche unterseeischen Ausflüge in die Tiefe des
Meeres hervorragend angepasst. Sein Hunger ist nicht von schlechten Eltern. Er frisst bis zu 80 kg Fisch, täglich! Der Name kommt übrigens aus dem norwegischen. Nar bedeutet "Leiche". Je älter nämlich der Narwal wird, desto mehr weiße Flecken bekommt er, so dass ganz alte Greise leichenblass aussehen.
Stellen sie sich vor, sie würden mit solch einem Dolch-Gerät herum hantieren wollen. Nicht gerade erstrebenswert! Wir würden im ersten Moment logisch davon ausgehen, dass dieses Werkzeug nur hinderlich sein kann.
Eine weitere, ganz besondere
Verhaltensweise wurde bei Narwalen festgestellt. Bei Schiffsschraubengeräuschen, beim Annähern von Feinden, reagiert er nämlich mit dem sogenannten Inuktitut. Bei keiner anderen Walart gibt es dieses Verhalten. Er verfällt in eine Art Starre, welche die Ortung durch die Orcas (auch Schwert-, oder Killerwale genannt, seine einzig bekannten Feinde) fast unmöglich macht und er lässt sich dann regungslos ohne Aktivität absinken. Woher also weiß er, dass Gefahr droht?
Es bleibt das Problem des Zahnauswuchses.
Deswegen rätselten die Wissenschaftler bis vor kurzem wild durch die Gegend herum,
warum diese extreme Anomalie überhaupt vorhanden ist.
Er müsste doch eigentlich, wie oben erwähnt, bei der Jagd nur hinderlich sein. Man könnte annehmen, dass er vielleicht dem Balzverhalten dienen würde. Man hat schon Narrwalbullen beobachtet, die sich anscheinend mit den Zahnschwertern Gefechte liefern. (a la Star Wars)
Alles rätselhaft! Und wie kann er seine Feinde, die Schwertwale, rechtzeitig orten?
Aber Wissenschaftler hatten noch andere Lösungsvorschläge.
Der Zahn würde dazu dienen den Untergrund aufzubohren, um Fische aufzuscheuchen. Welch Blödsinn! Davon soll
ein Wal satt werden, indem er in eisigen Meerestiefen herumstochert und Grundfische aufstöbert?
Wenig wahrscheinlich war auch die Vermutung, dass in den eisigen Gebieten der Zahn als Bohrer für das Aufbrechen des Eispanzers für Atemlöcher benutzt werden würde. Wenn sie vom Wasser aus versuchen würden mit einem Knochen eine glitschige Eisdecke anzubohren, dann wäre es um den Bohrer geschehen.
Schließlich kam schon früh die Idee auf, dass der Narwal mit seinem Zahn die Fische aufspießen, der Zahn also als Lanze
fungieren würde. Wie verspeist man dann einen Happen, der fast zwei Meter entfernt auf der Degenspitze steckt?
Kurz und gut, man wusste es bis vor kurzem einfach nicht. Zuletzt blieb nur die oben erwähnte Brautschau. Wer den größten Zahn hat, der erobert die Weiblichkeit.
Dagegen spricht, dass dieser Auswuchs nicht nur bei Männchen, sondern auch bei Weibchen feststellbar ist. Außerdem hat man schon Narrwale mit zwei dieser irren Zähne entdeckt.
Nun aber scheint das Rätsel gelöst. Erst kürzlich wurde es fundiert veröffentlicht. Schon länger war man auf der Spur, aber jetzt ist es wissenschaftlich belegt:
Der Zahn dient als Sensor, quasi als Antenne!
Wenn sie sich diversen Flugzeuge
anschauen, die der Wissenschaft dienen, so werden sie in den meisten Fällen Antennenfortsätze erkennen. So also auch beim Narwal.
Das mag jetzt auf Anhieb nichts besonderes sein, aber..
Nirgends, im ganzen Tierreich, hat man eine solche Koexistenz gefunden. Eine Verhornung, noch dazu härtester Zahnschmelz, die gleichzeitig mit über 10 Millionen hochempfindlichen Sensoren, also mit lebenden Zellen durchwirkt ist, läßt sogar den wissenschaftlichen Projektleiter verblüffen.
Das heißt, es existiert eine Nervenbahnstruktur und deren Synapsen, die
durch ein verhorntes, abgestorbenes Material hindurch geht.
Egal, was sie anführen, ob Elch, Hirsch, oder Nashorn, immer handelt es sich dabei um abgestorbenes Material, natürlich gut geschützt. In der Mitte befindet sich bei den meisten Tieren (einschließlich wir) noch eine Nervenbahn (ich sage nur : Besuch beim Zahnarzt), die den äußeren, harten Schmelz versorgt. Der Bastüberzug von Hirschgeweihen z.B., dient dem Aufbau neuer Knochenstrukturen und ist durchblutet, bis er dann abgeworfen wird, wenn das Geweih nachgewachsen ist. Aber ein Zahn, der als Antenne fungiert, das ist einzigartig und wirklich
sensationell.
Auch kann man sich nicht erklären, wie eine solche Zusammenarbeit der Zellen entstanden ist. Und vor allem, wie kam die Natur nur darauf, dass ein Zahn als Antennenmöglichkeit in Erwägung gezogen wurde?
Wie kann abgestorbenes, hartes Material gleichzeitig lebende Nervenzellen an sich binden, die ja versorgt werden müssen?
Jedenfalls ist der Zahnschwertkampf jetzt unter einem ganz anderen Licht zu betrachten. Die Herrschaften „befühlen“ sich gegenseitig.
Der Zahn dient also vornehmlich dazu,
Beutetiere zu orten. Es geht sogar soweit, dass der Narwal offensichtlich den Salzgehalt des umgebenden Wassers und Temperaturunterschiede durch seinen Zahn feststellen kann. Die veränderlichen Druckwellen, die ein Fisch im Wasser durch seine Bewegungen auslöst, erkennt der Narwal durch sein Zahnradar. Das hilft bei Tintenfischen genauso, wie bei Krebstieren, der bevorzugten Beute des Narrwals.
Bei diesen Beutetieren wären Wärmesensoren, wenn ein schützender Chitinpanzer vorhanden ist, sowieso in kaltem Gewässer keine geeignete Lösung. In der Dunkelheit der Tiefsee aber hat der Narwal mit seiner Zahnantenne den Lottogewinn abgegriffen. Darüber hinaus
verfügt er auch noch über ein Sonar, wie wir es von anderen Walarten kennen. Er stößt ebenfalls Klicklaute aus, um Beute zu orten.
Inwiefern die Radarantenne bei der Brautwerbung eine Rolle spielt, das muss nun völlig neu betrachtet werden. Es ist also noch ungeklärt, denn unter dieser neuen Erkenntnis muss das alles unter einem anderem Blickwinkel betrachtet werden.
Es ist sogar nicht ausgeschlossen, dass dieses "Organ" noch weit empfindsamer ist, als bisher angenommen. Was bis jetzt herausgefunden wurde, das erstaunt sowieso schon.
Eine feine Erfindung präsentiert sich hier.
Geschützt durch eine Lanze, die „vorfühlen“ kann, ein gedrehtes Knochengerüst, kann der Narwal sensible Daten empfangen.
Die Spiralform unterstützt noch die "Empfangsqualität". Der Narwal ist fast ausgestorben und erst jetzt erkennen wir, wie einzigartig diese Spezies ausgestattet ist.
Im Übrigen stürzen sich nun ganz andere Fachbereiche der Wissenschaft auf diese einmalige Eigenschaft, nämlich abgestorbenes, verhorntes Material mit lebenden Zellen zu verbinden.
Im Hightech-Bereich und in der Medizin tropft buchstäblich der Zahn.
Diese einmalige Sensation im Tierreich hätten wir fast verpasst!