Aus dem Leben eines Sibiriers
Die Sonne kitzelte nicht nur meine Nase, sie wärmte mir auch den Bauch auf eine überaus angenehme Weise. Wohlig reckte und streckte ich mich und hätte eigentlich gerne noch ein bisschen länger die Sonnenstrahlen genossen, die durch das Fenster fielen. Doch ein verräterisches Grummeln im Magen deutete darauf hin - Frühstückszeit. Langsam erhob ich mich und warf einen Blick auf meine Herrschaften. Sie schliefen noch. Aber nicht mehr lange beschloss ich. Nun ja, Herrschaften ist vielleicht nicht die richtige Bezeichnung. Meine Chefs. Na, das ist ja nun vollkommen
daneben. Chef im Haus bin ich. Sie wissen es nur nicht. Obwohl, manchmal habe ich das Gefühl, dass sie es doch wissen aber nicht zugeben wollen. Ach, übrigens, ich heiße Oleg und bin ein Kater. Ein Sibirier. Das behaupten meine Besitzer jedenfalls. Ich kann mich nicht erinnern schon einmal dort gewesen zu sein. Ein bestimmtes Licht würde mein Fell blau schimmern lassen behaupten sie. Mir ist das egal. Besitzer ist ja vielleicht auch ein bescheuerter Name. Es sind einfach Corinna und Fred.
Jetzt muss ich erst einmal Corinna aus den Federn bekommen. Langsam pirsche ich
mich vom Fußende des Bettes bis zum Kopfende. Vorsichtig fahre ich mit der Pfote über ihr Gesicht. Bloß nicht versehentlich die Krallen ausfahren. Das gibt Ärger.
„Oleg, es ist noch zu früh.“
Das finde ich nicht. Geh ich doch ´mal rüber zu Fred. Was soll das denn? Der hat sich doch glatt die Decke über sein Gesicht gezogen. Also wieder zurück zu Corinna. Ich setze meine Geheimwaffe ein. Schnurren.
„Ja, ja, Oleg.“
Und schon steht sie auf. Jetzt aber die Treppe runter, schnell in die Küche und vor den Futternapf setzen. Was denn, der ist ja noch schmutzig. Das wird wieder dauern bis Corinna den sauber gemacht hat. Da kommt sie ja ... und sie nimmt den anderen
Futternapf. Kluge Entscheidung!
Hühnchen ... ? Was soll das? Hatte ich doch erst gestern Abend. Will ich nicht. Gehe ich eben zu den Nachbarn. Ab zur Tür.
„Oleg, was nun? Ist Majestät heute wieder wählerisch? Etwas anderes gibt´s jetzt nicht. Wenn du Hunger hast, wirst du schon fressen.“
Ja, ja ... mach die Tür auf! Danke! Drehe ich jetzt eine Runde im Garten oder gehe ich gleich zu Karin und Gerhard rüber? Erst einmal frühstücken bei den beiden. Na klar, die Tür ist noch zu. Langschläfer! Aber sonst ... feine Leute. Schade, dass sie nur im Sommer hier sind. Früher bekam ich von ihnen immer eine Scheibe Bierschinken zum Frühstück. Als Corinna das mitbekam, hat
sie Karin darauf aufmerksam gemacht, dass der zu viel Salz enthalten würde. Nicht gut für mich. Ich habe davon nichts gemerkt. Mir hat er geschmeckt. Seitdem kauft Karin Diätkochschinken. Direkt beim Fleischer. Schmeckt mir noch besser als der Bierschinken.
Ich könnte ja ´mal ein bisschen Krach machen. Hallo! Hallo! Meine Güte, die haben aber auch einen festen Schlaf oder verstehen die meine Sprache nicht mehr? Aber wie gesagt ... feine Leute. Mittags stellt Gerhard sich immer eine Campingliege auf ... für seinen Mittagsschlaf. Ich halte meinen Mittagsschlaf auf seiner Couch. Karin verschwindet im Schlafzimmer. Alles ein bisschen eng. Na, eben ein
Sommerbungalow. Mir reicht der Platz. Hallo! Hallo! Na gut, schauen wir ´mal, wer heute Nacht in meinem Garten war. Ach, der Igel. Na, der stört mich nicht. So, so, Felix war auch hier. Werde ihm nachher einen Besuch abstatten und ihm klar machen, dass er in seinem Garten zu bleiben hat.
Seine Schwester darf mich besuchen. Miezi ist eine tolle Braut. Sie darf sogar auf der Hollywoodschaukel ein bisschen chillen. Aber nur dort. Auf die Terrassensessel darf sie nicht. Die sind meine. A l l e! ´Theaterkatze`, sagt Fred immer. Die ´Bunte`, sagt Corinna. Mir auch egal. Für mich ist sie Miezi. Die Liebesfreuden kann ich ja leider nicht mehr genießen. Sieht ja keiner. Wegen meines langen Fells.
Also lass´ ich ab und zu den Macho raushängen.
Jetzt muss ich erst einmal sehen, was in meiner Straße los ist. Hopp, rauf auf den Torpfeiler.
„Adi. Adi, komm´ her.“
Na, klar! Der bekloppte Perserkater von der Ecke. Der darf nur in Begleitung in den Garten. Er könnte sich ja schmutzig machen. Aber neulich habe ich es doch geschafft ihn auf den Baum zu jagen. Da blieb er ein paar Stunden. Meine Güte, hat seine Besitzerin einen Aufriss gemacht. Ach je, der dicke Moritz von gegenüber versucht wieder ´mal elegant über den Zaun zu kommen. Gelingt ihm aber nicht. Hängt wie ein nasser Sack am Gitter. Eine Diätkur
würde ihm nicht schaden. Aber ansonsten ist er ein Kämpfer. Nicht schlecht, Herr Specht! Habe ich jetzt Lust auf einen Kampf? Nein! Das Frühstück fehlt. Ach, da kommt die Hollerbiegel mit ihrem ausgefransten Handfeger. Diesen kleinen weißen Kläffer kann ich ja überhaupt nicht leiden. Die Hollerbiegel auch nicht. Die mag keine Katzen. Na, na, Handfeger vorne weg und an meinen Torpfeiler. Sieht der mich nicht? Was soll das? Pinkelt der doch tatsächlich an den Pfeiler. Hopps, runter und ihm anständig eins auf die Nase gegeben. Hat der gejault. Die Hollerbiegel auch.
„Verdammter Kater. Dich müsste man einsperren.“
Na, geht´s noch. Die spinnt doch. Dann
gehen wir erst einmal in ihren Garten. Vor einiger Zeit hat sie etwas in der Erde versteckt. Jetzt kommt da so grünes Zeug raus. Das werden wir´mal untersuchen. Schön weich die Erde. Scharren wir ´mal hier ein bisschen und dort kratzen wir etwas. Ups, was ist denn das? Das macht ja Spaß. Scharren, kratzen, buddeln.
So, jetzt sieht es hier doch super aus. Dieses grüne Zeug ist gleichmäßig verteilt. Aber jetzt schnell zu Karin und Gerhard. Ja, die Tür ist offen.
„Na Oleg, kommst du zum Frühstück?“
Was soll die Frage? Was sonst. Und da ist ja auch mein Kochschinken. Fein säuberlich in kleine Häppchen geschnitten auf einem kleinen Teller mit Goldrand. Ich sag´ doch.
Feine Leute. Die haben Kultur. Mmhhhm ... Eine zweite Scheibe wäre nicht schlecht. Ich setzte mich ´mal vor den Kühlschrank.
„Was denn, noch eine Scheibe, Oleg?“
Karin ist manchmal etwas schwer von Begriff.
"Gib´ ihm doch noch eine."
Gerhard kapiert schneller. Und schon kommt die zweite Scheibe.
Danke! Jetzt mache ich noch eine Runde durch meine Straße und dann könnte ich ein Nickerchen gebrauchen.
Ach, da kommt ja Bruno. Ist wieder ´mal von zuhause abgehauen. Na, bei der Größe macht er einen Schritt und schon ist er über den Zaun. So ein Neufundländer ist ganz schön groß. Ob Bruno schon einmal in
Neufundland war? Hallo, Bruno. Erst kommt die Nasenbegrüßung. Ein dufter Kumpel. Wenn diese Schlabberei nur nicht immer wäre. Nach der Begrüßung leckt er mich erst ´mal ewig ab. Ich brauche dann eine Stunde um mich wieder sauber zu putzen. Genug, Bruno! Genug! Ich muss jetzt doch kurz fauchen. Der hört ja sonst nicht auf. Da kommt ja schon sein Besitzer um die Ecke. Sucht ihn. Bruno gibt Fersengeld. Er möchte noch ein bisschen allein spazieren gehen. Na, klar. Putzen ist angesagt. Mann, oh Mann.
So, fertig ... und jetzt ein Nickerchen. Oder doch noch einmal in die Küche. Vielleicht ist etwas anderes im Futternapf. Fehlanzeige. Immer noch Hühnchen ... und schon ein
bisschen angetrocknet. Igitt!
„Na, Oleg, das frisst du doch nicht mehr. Kann ich wieder auf den Kompost bringen.“
Na, was denkst du denn? Corinna weiß, was Sache ist. Und jetzt holt sie eine neue Dose. Sauberer Napf und ... Meeresfrüchte. Geiler Tag! Und jetzt endlich ein Schläfchen. Ab ins Wohnzimmer.
Ja, was soll das denn? Fred sitzt in
m e i n e m Sessel. Liest Zeitung. Aber nicht mehr lange. Angeln wir ´mal die anderen Zeitungsblätter vom Tisch.
„Oleg, was soll das?“
Na, was schon? Ach, da liegt ja der Kugelschreiber. Den braucht Fred um sein Kreuzworträtsel zu raten. Den befördern wir jetzt möglichst weit weg. Dann muss er
aufstehen. Zack!
"Hast du Langeweile, Oleg?"
Nein, ich möchte nur in meinen Sessel. Und schon steht er auf. Der Kugelschreiber ist bis zum Kamin geflogen. Und hopp. Jetzt gemütlich hinlegen und den Mitleid heischenden Blick einschalten ... und die Ohren ein bisschen hängenlassen. Mit dem Blick das klappt ja, nur die Sache mit den Ohren muss ich noch üben.
„Oleg, das ist mein Sessel.“
So kann man sich irren, mein Lieber. Nochmal Mitleid heischender Blick. Warum stöhnt Fred so? Egal, er setzt sich in den anderen Sessel. Na, geht doch. Ach, ist das schön. Prima, mein Zuhause.
Das wird jetzt ein langes Nickerchen.
Danach gehe ich zu Felix rüber. Gerhard kann sich freuen. Er darf den Mittagsschlaf heute auf m e i n e r Couch halten.
©KaraList 09/2014