Tom und Billy sind, wie jeden zweiten Tag, auf dem Sportplatz, um Billys Fitness wieder herzustellen. Tom, Billys Bruder, trainiert selten mit, ist meistens nur da, um das Training zu überwachen. Sie waren schon seit 7 Uhr dort und gegen 10 steht zum Abschluss Schwimmen auf dem Plan. Danach würde Billy nach Hause fahren, um zu duschen und Tom fährt in die Klinik, um seiner Arbeit als Chirurg und Internist nachzugehen. Nebenbei ist er noch Oberarzt, aber davon will er gar nichts hören. Nach seinem letzten Motorradunfall, der das Resultat einer gemeinen Verfolgungsjagd war, konnte Billy seine Gesundheit nicht vollständig wiedererlangen. Ein Pistolenschuss, der die linke Herzkammer zerschmetterte, veranlasste Tom, seinem Bruder einen Herzschrittmacher zu implantieren. Doch es lebte sich praktisch wie zuvor. Mit viel Training und Ruhe war Billy beinahe wieder ganz der Alte.
Tom pfiff, um das Langstreckenlaufen zu beenden. „Ziehst Du Dich um? Wir gehen zur Halle. Heute sind wir alleine dort, der Verein macht einen Ausflug“ sagte Tom und packte die Flasche Wasser, das Handtuch und das Sweatshirt, das er heute Früh der Kälte wegen noch gebraucht hatte, in seinen Rucksack. Billy nickte stumm und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ist alles ok?“, fragte Tom besorgt. „Ich … Du solltest nachher mal nach dem Schrittmacher schauen. Hin und wieder spüre ich, dass das Herz einen Schlag aussetzt.“, erklärte Billy sachlich während er sich schon mal das durchnässte T-Shirt auszog. Immer wieder musste Tom fasziniert hinschauen, wenn er den Oberkörper seines Bruders ansah. All die Narben, all die Erinnerungen, all die bösen Erinnerungen. Aber Billy war nicht immer ganz unschuldig. Als ehemaliger Marine-Soldat und späterer Undercover-Bulle hatte er vielen Gangstern das Handwerk gelegt. Mal offiziell, mal auf eigene Faust. Die Rache der dunklen Seite war meist nicht weit und so hatte Tom seinen Bruder desöfteren zusammenflicken müssen. Der Schuß ins Herz war die Krönung und noch gar nicht so lange her. Es hat nicht viel gefehlt und es wäre vorbei gewesen.
Billy ist seinem Bruder mehr als dankbar, dass er immer bereit ist, ihm zu helfen. Umso mehr bedauert er, dass er ihn in den aktuellen Fall mit hineingezogen hat. Mehr oder weniger ungewollt. Tom wusste nichts von Mike und seiner Halbstarken-Gang und Billy versuchte, seinen Bruder nichts merken zu lassen. Von einem Drogenboss hat Billy, bevor er ihn erledigte, einen Code bekommen. Den Code zu einem Schließfach in der NY U-Bahn. Billy wollte sichergehen, dass er der einzige ist, der die Zahlenkombination kennt, und hat für den Inhalt des Schließfaches eine neue Unterbringung organisiert. Ein Spint im Krankenhaus seines Bruders. Wie konnte er nur. Aber die Ware sollte nicht für ewig dort bleiben. Das Zeug sollte er seinem ungeduldigen Chef aushändigen, aber bevor Billy das machen würde, würde es ihm noch als Druckmittel dienen. Der Code für das Schloß ist Toms Geburtsdatum.
Tom ist fast auf den Tag genau 3 Jahre älter als Billy und weitaus weniger lebensmüde. Eher der ruhige Typ und schon oft wurde Toms Haus Zufluchtsort für Billy, wenn er in seiner eigenen Bleibe für einen bestimmten Zeitraum nicht mehr sicher war. Meist endete eine solche Phase wieder in einer NotOP, bei der Tom ein, zwei oder mehrere Narben auf Billys Körper hinterließ. Das sind die Spitzen in Toms Leben und er kämpft bis auf den Tod für seinen Bruder, der ihm damals das Leben rettete. Ja, er würde sein Leben lassen, wenn er Billys Leben dadurch erhalten könnte. Daß Tom und Billy Brüder sind, weiß niemand. Es wäre fatal, wenn gewisse Leute davon Wind bekämen. Tom ist Billys einziger Halt, einziger Bezugspunkt und Tom wäre ein guter Köder, wenn Bösewichte Billy aus der Reserve locken wollten.
Billy hingegen lebt ziemlich gefährlich. Seit dem Motorradunfall ist er sein eigener Herr und nur in Ausnahmefällen wird sein Talent verlangt. Sein Boss möchte ihn schonen. Er würde ihn noch brauchen und kann es nicht verantworten, dass er sich mit seinen 32 Jahren über den Haufen schießen lässt. Umso mehr widmet sich Billy derzeit dem Sport. Er will wieder ganz fit sein. Seine Schulter ist wieder voll beweglich und der Herzschrittmacher stört ihn eher wenig, außer, wenn er wie heute, nicht ganz so will wie er soll. Aber dafür ist Tom ja da. Neben dem Training besucht Billy seinen Bruder jeden zweiten Mittwoch Nachmittag im KH, um sich durchchecken zu lassen.
„Ich geh schon mal vor“, sagte Tom und drehte sich um, um zu gehen. „Warte, ich komme direkt mit!“, entgegnete Billy. Immer im Hinterkopf, dass Tom in Gefahr war, wenn er mit ihm zusammen war. Also gingen sie zusammen zur Halle rüber. Sonst hatte Billy viel aus seiner Vergangenheit zu erzählen und es gab immer noch etwas, das Tom nicht wusste. Und dann lachten sie beide über dumme Ganoven und die, die gern welche wären. Doch heute gingen sie stumm nebeneinander her. Billy hatte den Kopf leicht gesenkt und stolperte sogar über eine Baumwurzel. Tom hielt ihn am Ellbogen fest und blickte ihm in die Augen „Was ist los? Raus mit der Sprache! So kenne ich Dich gar nicht mehr. Nur zu den Zeiten als …“ Billy entschwand Toms durchdringendem Blick und biss sich auf die Unterlippe. Tom ließ Billys Arm los und atmete tief ein. „Muss das denn sein? Darf ich Dich demnächst wieder auf meinem OP Tisch vorfinden? Nicht, dass ich mich nicht freue, wenn ich Dir Kugeln aus der Schulter holen und Schnittwunden zusammennähen darf – ist ja ne gute Übung – aber sollte das nicht jetzt mal vorbei sein?“ Er boxte Billy leicht in den Magen und Billy zuckte zusammen. Ganz aus seinen Gedanken gerissen sagte er: „Mike ist wieder da. Er wurde vor einer Woche aus dem Knast entlassen und hat seine so genannten Freunde zusammengetrommelt. Ich habe ihn gestern gesehen, wie er mit Jake sprach. Sie standen auf dem Friedhof an Xs Grab.“ „Was machst Du denn auf dem Friedhof?“, fragte Tom entgeistert. „Mich schon mal an die Umgebung gewöhnen!“, sagte Billy mit einem Grinsen und beide mussten laut lachen.
Ein Schuss fiel. Tom sackte auf die Knie. Billy hockte sich zu ihm nieder und sah, dass sein Bruder am Oberschenkel getroffen war. Ob der Schuss ihm gegolten hat? „Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er“, flüsterte Tom und nickte Richtung Sporthalle. „Allein?“ „Nein“, sagte Tom „er und 3 finster dreinblickende Helferlein“. „Geht’s bei Dir?“, fragte Billy besorgt. Sein Bruder nickte . Billy stand auf und drehte sich langsam um. Drei Pistolenläufe zeigten aus der Ferne auf ihn und Mike hielt seine kleine Schnellfeuerwaffe in der Hand. „Was genau wollen die denn von Dir?“, fragte Tom berechtigterweise. „Eine Zahlenkombination. 6 kleine Zahlen. Mehr nicht“, sprach Billy. „Pah, mehr nicht. Mensch, Billy. Wie konnte das denn nun wieder passieren?“, beschwerte sich Tom, stemmte sich ächzend hoch und hielt sich an Billys Schulter fest. „Das erzähle ich Dir, wenn ich es dann noch kann.“, versprach Billy und ließ sein T-Shirt fallen. Die 4 Bösewichte waren nur noch 5 Schritte von den Brüdern entfernt und blieben stehen. „Die Zahlen!“, murrte Mike „los, raus mit der Sprache!“ „Wolltest Du wirklich Tom abschießen oder hast Du nur danebengeschossen?“, grinste Billy und bedeutete Tom hinter seinem Rücken, dass er sich setzen solle. Tom tat das und war recht dankbar, denn sein Bein schmerzte und blutete ziemlich stark. Billy tat ein paar Schritte auf Mike zu. Unbeeindruckt der vielen Pistolen, die auf ihn zeigten, und schaute ihm tief in die Augen „Wollen wir X nicht ruhen lassen?“, fragte er, obwohl er wusste, dass es sinnlos war mit Mike zu diskutieren. Mikes Sprache war Gewalt. Pure Gewalt. Und wer nicht spurte, wurde erledigt. Egal, ob ihm das nutzte oder nicht. Der Gorilla rechts von Mike sprang auf Billy zu. Mit einem schnellen Tritt gegen die Brust setze Billy ihn außer Gefecht. Der Typ fiel stöhnend zu Boden und japste nach Luft. „Ich glaube, der braucht schnell Hilfe!“, sagte Billy. Er hatte nicht bemerkt, dass sich der Kerl links von Mike weggeschlichen hat, um sich Tom zu schnappen. Erst, als er Tom hörte, merkte er, dass einer fehlt. Billy drehte sich herum und sah, wie der Kerl Tom hochriss und ihm die Knarre an die Schläfe hielt. „Scheiße“, dachte Billy. In seiner Lähmung und Besorgnis um Tom, war er nicht fähig zu reagieren. Normalerweise würde er kurzen Prozess machen wie schon einmal, als er Mike, bevor dieser im Gefängnis landete, mitsamt seinen Fußabtretern ungespitzt in den Boden rammte. Aber Tom war sein wunder Punkt und das wurde ihm in dem Augenblick sehr bewusst. Jetzt war ihm alles egal. Mike packte Billy von hinten und schlang seinen schweren Arm um seinen Hals und drückte ihm die Kehle zu. „Los runter auf den Boden!“ sprach Mike und bohrte ihm den Revolverlauf in den Rücken. Jetzt ging alles ganz fix. Billy lag auf dem Bauch auf dem Boden, Gorilla Nummer drei (Nummer eins lehnte noch ächzend am Baum) kniete sich in seinen Nacken und bog seine Arme schmerzvoll nach hinten. Billy stöhnte auf, wehrte sich aber nicht. Er schaute hoch zu Tom, der sein Gesicht zu einer besorgten Mine verzogen hatte. Mike zückte ein Bündel Kabelbinder. Billy wusste, was jetzt kommt, es war nicht das erste Mal … Dass Mike mit seiner Folter nicht weit kommen würde, wusste dieser, aber er probierte es immer und immer wieder. Die Arme an den Unterarmen auf dem Rücken zusammengebunden, zog der hirnlose Muskelprotz Billy auf die Beine. Tom musste in ein schmerzverzerrtes Gesicht schauen und vergaß darüber ganz seine eigene Pein. Mit einem Ruck löste er sich aus der Gewalt des Gorillas und schlug diesem die Waffe aus der Hand und setzte noch einen Haken nach, genau auf die Nase des Kerls, der dann laut aufheulte und sich die blutende Nase hielt. „Oh, das hat er sich aber gut abgeschaut!“, dachte Billy und bemerkte kurz darauf einen brennenden Schmerz an seinem Hals. Mike hatte in aller Ruhe seine Pistole gegen ein Messer eintauschen können und riss damit einen zarten Kratzer über seine Kehle. „Tom! Sieh mal her!“, schrie Mike. Augenblicklich schaute Tom auf, völlig abgelenkt von dem, was er sah, verharrte er und konnte so von Gorilla Nummer zwei überwältigt werden. Kabelbinder kamen erneut zum Einsatz. „Verdammt“, sagte Tom. „Bind ihm die Schusswunde ab“, sagte Mike zu dem Typen, „wir brauchen ihn noch, falls es nötig ist, Billy am Leben zu halten!“. Tom schaute Billy an und schluckte. „Das meinte ich mit „wenn ich es dann noch kann“, sagte Billy, „jetzt bist Du mal hautnah dabei. Es tut mir leid!“