»Wissen sie? Ich habe schon immer gerne gemalt. Das hat mit Märchenfiguren angefangen. Rotkäppchen, Hänsel und Gretel, Dornröschen. Ich fand das sehr interessant. Schließlich begann ich auch eigene Werke zu Zeichen. Ich war überrascht davon, zu welchen Leistungen, die Fantasie imstande ist. Als ich dann diese Fähigkeiten entdeckte, wusste ich: Meine Grenzen sind
endlos.« »Nimm deine Füße vom Tisch!« Einen Tag vor dem Heiligen Abend kam Ethan wieder nach Hause. Gegen Mittag hatten sich die Ärzte endlich dazu erweichen lassen. Über die Feiertage wollte er nicht im Krankenhaus bleiben. So wurde er von seiner Tochter als Erstes gegrüßt, die stürmisch das Bein ihres Vaters mit einem Arm umklammerte. In der anderen Hand hielt sie Dumbo, der anscheinend eine Wäsche nötig hatte. »Papa ist da!« Naiomi saß auf dem Sofa und hatte die Füße auf dem Tisch abgelegt. Die
Aufforderung ignorierte sie einfach. Zur Begrüßung hob die Rothaarige nur die Hand und sah weiter Fern. Carrie stand in der Küche und kochte gerade das Mittagessen. Ein köstlicher Duft von Eintopf wehte durch das ganze Haus. Hinter ihm brachte Dwight seinen Koffer in den Eingangsbereich. »Man. Du bist zur richtigen Zeit entlassen worden«, erklärte er, als ihm der Geruch des Essens in die Nase drang. Der Doktor grinste nur und zog sich die Jacke aus. Er war froh, daheim zu sein, auch wenn die Umstände nicht die besten waren. Die Begegnung mit Katherina ging ihm nicht aus dem Kopf.
Sie war genauso verbittert wie früher. Als wäre ein Schalter umgelegt. Wie sollte er so zu ihr durchdringen? Sie war da draußen und sann auf Rache. Jederzeit konnte sie zuschlagen. Diese Furcht lauerte in seinem Inneren. Dennoch tat er alles, sich nichts davon anmerken zu lassen. So nahm er Sofia auf den Arm und trat die Küche. Seine Frau rührte gerade im Eintopf herum. Langsam trat sie auf ihn zu und umarmte ihn. Sofia schmiegte sich zwischen ihren Eltern und lächelte. »Willkommen zu Hause. Endlich bist du wieder hier.« Sie ließ von ihm ab und strich ihrer Tochter mit der Hand durchs Haar.
»Naiomi ist nicht gerade einfach. Du hast kein Bier mehr, und Sofia hat ein neues Wort gelernt.« Er hob skeptisch die Braue und setzte die 5-Jährige auf dem Boden ab. Lachend eilte sie wieder ins Wohnzimmer. »Was denn für ein Wort?« Seine Frau lehnte sich langsam vor und flüsterte ihm ins Ohr. Ihm stand nur der Mund offen, ehe er den Kopf schüttelte und seufzte. »Super. Ich bin ein paar Tage nicht da, und Naiomi verwandelt unseren kleinen Engel in des Satans jüngste Tochter. Hast du nicht versucht mit ihr zu
reden?« »Sie ist ziemlich stur. Erinnert mich ein bisschen an dich. Dafür putzt sie aber.« Entgeistert sah er sie an. »Sie putzt?!« Als sie bei ihm war, hatte sie nicht einen Finger gerührt. Das Haus war ein Meer aus Chaos. Wie hatte seine Frau es geschafft, dass sie sich an solche Regeln hielt? Er ließ sich auf einem der Küchenstühle nieder und zündete sich eine Zigarette an. Carrie machte sich daran, den Tisch zu decken. »Ja. Ohne Aufforderung. Ich musste sie sogar schon zur Seite nehmen, weil sie um 6 Uhr morgens das Wohnzimmer saugen
wollte.« »Sicher, dass das unsere Naiomi und nicht ein Klon ist?« Sie lachte. »Naja. Man kann sagen, sie und ich haben eine kleine Abmachung getroffen. Wenn sie im Haushalt mithilft, habe ich ihr erlaubt, dass sie in die Weihnachtsdisco gehen darf.« »Du hast sie bestochen!« Sie zuckte mit den Schultern. »Es hat funktioniert.« Er grinste und schritt zum Kühlschrank, wo er eine Flasche Traubensaft hervorholte. Bier war wirklich keins mehr da. Naiomi hatte seinen gesamten Vorrat vernichtet. Es war wohl besser,
wenn er ein Schloss kaufte. Allerdings würde das wohl wenig bringen. Es sei denn, es war eins aus Gummi. Oder er vergrub seine Vorräte im Garten. War auch eine Überlegung wert. Im Gedanken daran nahm er einen Schluck aus seiner Flasche, als Dwight in die Küche kam. »Hallo Dwight. Bleibst du auch zum Essen?« Er nickte und ließ sich auf dem Stuhl an der Tür nieder. »Gerne. Wegen morgen. Darf ich meinen Vater mitbringen? Er wäre sonst allein zu Hause.« »Natürlich. Ethans Vater kommt auch. Das tut den beiden sicher gut, wenn sie
jemanden in ihrem Alter haben.« Ethan stellte die Flasche ab und rauchte sich eine Zigarette. »Dann musst du aber noch anbauen. Leah kommt doch auch, oder? Rechne mal auf. Sie, ihr Mann und die Jungs? Wo willst du die denn noch unterbringen?« »Es kommen Jungs?« Naiomi wanderte langsam in die Küche und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Das ist kein Dating-Abend Naiomi. Die Jungs sind 8 und 10.« »Schade. Ist schon ein bisschen unfair oder? Alle haben jemanden, der so alt ist wie sie selbst, nur ich muss dumm aus der Wäsche
gucken!« Der Arzt zog an seiner Zigarette und stellte seinen Traubensaft auf der Arbeitsplatte ab. »Hast du keinen Freund in Wisconsin?« Sie schüttelte nur den Kopf. »Nee. Die sind alle total versnobt. Oder sie sind pottenhässlich. Nicht wirklich was für mich. Da gabs zwar einen, man war der süß, aber was kam dabei raus? Schwul. Alle netten Jungs sind irgendwie schwul.« »Ich bin auch nett«, erklärte Dwight. »Ganz ruhig Opa. Ich bin 16.« »So war das Jetzt nicht gemeint.« Der Afroamerikaner errötete. Ethan und seine Frau lachten nur, während die
junge Winchester süffisant grinste und sich neben ihm auf einem der Stühle niederließ. »Wobei, gut aussehen, tust du ja, Dwight. Stehst du auf jüngere?« »Naiomi!«, flötete Ethan. »Ist ja gut. Ich mach nur Spaß. Ich hab mich schon damit abgefunden, als alte Jungfer zu sterben. Für mich gibst irgendwie nicht den passenden Typen. Wenns heißt, dass zu jedem Topf ein Deckel passt, dann muss mein Topf wohl 9-eckig sein.« Carrie legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Denk mal nicht so. Du bist noch sehr jung. Ich hab Ethan auch erst kennen
gelernt, als ich Anfang 20 war.« »Und dann hat er dich geschwängert, und du hattest keine andere Wahl als bei ihm zu bleiben.« »Naiomi!« »Was denn?« Der 32-Jährige verdrehte die Augen. Er hoffte wirklich, dass sich Sofia nicht so entwickelte. Die saß vor dem Fernseher und gab ihr neu gelerntes Wort zum Besten. »Blödsack, Blödsack, Blödsack!« Der Schwarzhaarige sah die 16-Jährige fragend an, während diese nur unschuldig mit den Schultern zuckte. »Was denn? Ich kann auch nichts dafür, wenn sie mir alles
nachplappert.« »Erinnern sie sich noch an unser erstes Treffen?« Die Blondine kniete auf dem kargen Steinboden in der Halle und malte. Sie waren seit Stunden hier. Hammond saß gefesselt an einem Farbfass. Er wirkte ausgemergelt und halb verhungert. Sein rechtes Auge war angeschwollen und Blut lief ihm aus der Nase. Dennoch schien der Anstaltsleiter nichts von seiner Inneren Ruhe verloren zu haben. Bedächtig musterte er sie und nickte. »Das tue ich. Ann Arbor. Damals warst du verloren Katherina, und ich dachte, dass wir dir helfen können, einen Weg zu
finden, dir zu helfen. Damit du für dich selbst Stabilität in deinem Leben findest.« Das Mädchen grinste. In der Hand hielt sie ein Airbrush Gerät. Die Lederjacke war achtlos auf den Boden geworfen worden. Sie trug nur das schwarze Top und eine schwarze Lederhose. Schuhe hatte sie keine an. Die lagen ebenfalls unbeachtet in der Ecke. Die 16-Jährige warf einen kurzen Blick auf ihr halbfertiges Werk, ehe sie fortfuhr. Ein Lächeln huschte ihr über die Lippen. »Stabilität? Die hatte ich mal. Ich hatte ein Leben. Es war vielleicht nicht so harmonisch, wie das von Anderen, aber ich hatte alles. Ein Heim. Mutter und
Vater. Das hat nicht jeder. Wie war das bei ihnen?« Der alte Mann hob den Kopf. Ihm tat alles weh. Dennoch bemühte er sich um Fassung. Wichtig war jetzt, dass er versuchte zu dem Mädchen durchzudringen. Sie war noch nicht verloren. Das wusste er. Daran glaubte er. Irgendwo in ihrem Innern war die alte Katherina. Er musste sie nur erreichen. »Ich wuchs bei meinem Großvater auf. Er war ein weiser Mann, der mir viel beigebracht hat. Meine Eltern waren beruflich viel auf Reisen. Bis zu meinem 12. Lebensjahr habe ich sie kaum gekannt, aber das war nicht schlimm.
Man braucht keine Eltern, um Liebe zu erfahren. Es reicht, wenn man Menschen hat, die einem etwas bedeuten.« Sie ließ sich im Schneidersitz nieder und legte die Hände auf die Oberschenkel. Die Regenbogenaugen fixierten ihn. Ihre Kraft war gewachsen. Das wusste er. Bald würde niemand mehr ihr Widerstand leisten können. »Freunde. Die hatte ich auch. Zumindest so lange, bis das alles anfing. Dann verstießen sie mich. Nannten mich Monster.« »Das meine ich nicht Katherina. Wahre Freunde bleiben bei dir, auch wenn sie all deine düsteren Geheimnisse
kennen.« Sie legte den Kopf schief. »Sie meinen Ethan. Den tollen Doktor. Der hat sich doch nie für mich interessiert. Genau so wie Sie Norman. Sie waren genauso falsch. Sie taten zwar immer so, als würde ihnen unser Wohl am Herzen liegen, aber am Ende haben sie nur denen geholfen, die sie mochten.« Er seufzte. Diese Vorwürfe hatte er in seinem Leben schon oft gehört. Es stimmte. Man konnte nicht jedem von ihnen helfen. Auch wenn man es noch so sehr versuchte. Es gab einfach Fälle, bei denen es keine Lösung gab. Das waren diejenigen, die ihm am meisten zu
Herzen gingen. Leute wie die Zwillinge, oder Viktor Waslow. Er hatte Jahre damit zugebracht, einen Weg zu suchen, um auch ihr Leiden zu lindern. Erfolglos. »Man kann nicht allen helfen, Kat. Das weißt du. Ich wünschte ich könnte es. Ich wünschte, vieles in meinem Leben wäre anders gelaufen. Es gibt Dinge, die ich sehr bereue und die ich gerne ändern würde, aber es geht nicht. Mit dieser Erkenntnis muss ich leben.« »Jetzt werden sie aber mitleiderregend. Wo sie aber gerade davon sprechen: Ich hab tatsächlich jemanden gefunden, der mit ihnen sprechen will. Er ist erpicht darauf sie wieder zu
sehen.« Sie grinste, als hinter ihr jemand aus dem Schatten schritt. Ein Mann, mit blondem kurzen Haar, der einen langen schwarzen Wintermantel und die dazugehörigen Handschuhe trug. Ruhig sah er auf den Anstaltsleiter hinab. »Hallo Norman. Es ist schön, dich wiederzusehen. Ich hoffe, das Mädchen hat dich nicht zu sehr verletzt.« Wilkins hatte sich seit dem letzten Treffen verändert. Er wirkte ruhiger und souveräner. Norman hatte von Ethan zwar gehört, dass er ihm auf dem Friedhof begegnet war, aber das war alles. »Ich würde dich gerne entsprechend
begrüßen Albert, aber wie du siehst, sind mir die Hände gebunden.« Der D-Patient lachte. Katherina wandte sich wieder ihrer Malerei zu. Albert sah ihr zu und stellte sich neben sie. Die Hände legte er hinter den Rücken. »Ist das wirklich nötig, ihn so zu behandeln?« »Besser, als ihn hier frei herumlaufen zu lassen.« Sie ließ sich auf nichts ein. Sie hatte ihre eigene Meinung an der sie festhielt. Ein starker Charakter, an dem jemand wie er zu knabbern hatte. Hammond wusste nicht, wie dieser Tag endete, aber das Auftauchen von Albert Wilkins, hatte die Situation
verändert. »Was hast du vor Albert? Ich dachte, du wolltest dich an mir rächen. Wie genau passt Miss Compton in deinen Plan?« Er lächelte matt und strich der 16-Jährigen durch das lange Haar. »Nun Norman. Sie ist essentiell wichtig für mich. Für dich ist sie nur eine Akte, aber ich sehe so viel mehr. Potenzial, das nur darauf wartet, ausgeschöpft zu werden. Ihre Kräfte sind so einzigartig. Die Welt steht uns damit offen. Das hast du nur nie realisiert. Genau wie bei mir damals. Als es dir zu heikel wurde, hast du mich weggesperrt. Als hätte dir das nicht genügt, war es dir sogar gleichgültig, ob Eva dabei ihr Leben
lassen musste.« Der alte Mann biss sich auf die Lippen. Das hatte Albert ihm nie verziehen. Der Tod von Eva nagte an ihm. All die Jahre. Sie war einer der wenigen Menschen, die ihn so angenommen hatte, wie er war. Trotz ihrer Fähigkeiten. Ihr Verlust hatte den Mann zerstört, der er einst gewesen war. Zurück blieben nur Scherben. Der Mann, der einmal ein guter Freund war, war verschwunden. »Evas Tod war für uns beide ein schmerzhafter Verlust. Sie war eine gute Freundin.« »Und sie hat den Preis bezahlt. Sie und mein Sohn, den ich nie in den Armen
halten durfte.« Der Blonde trat auf ihn zu und ging vor ihm in die Hocke. Mit einer Hand klatschte er ihm sanft gegen die Wange. »Aber keine Sorge Norman. Bald kriegen alle genau das, was sie auch verdienen. Und du darfst dabei zusehen.« Was auch immer Wilkins im Schilde führte. Es schien nichts gutes zu sein. Leider konnte er in seiner jetzigen Verfassung nichts dagegen tun. Die Anderen waren außerhalb seiner Reichweite. Wer wusste schon, ob Ethan und die Anderen ihn fanden? Sicher würden sie nicht aufgeben, aber er selbst wusste ja nicht einmal, wo er sich im Augenblick befand. Außerdem
hatte er keine Ahnung, wie es Rain gerade ging, oder ob er noch lebte. Das letzte Mal, als er ihn lebend sah, hatte Katherina ihm schwer zugesetzt. Es würde einem Wunder gleichen, wenn er sich von dieser Verletzung wieder erholte. Dennoch würde Hammond seinen Glauben nicht verlieren. Er kannte diese Leute und wusste, wozu sie fähig sein konnten. Vielleicht verstanden sie einander nicht immer sehr gut, aber Hickins, Rain und Foster waren ein gutes Team. Mit diesem Peterson als Neuzugang, waren sie noch stärker. Zwischen ihnen gab es ein starkes Band. Etwas das Albert nicht sah und niemals zerstören konnte. Dafür
war sein Blick viel zu sehr nach Innen gerichtet. „Du bist von Zorn zerfressen Albert. Du benutzt Katherina um deine eigenen Pläne zu verfolgen. Genau wie Lambert. Der Junge hat damit nichts zu tun und dennoch hast du ihn damit reingezogen. Ist er ein weiterer unschuldiger, der für deine Gier nach Rache geopfert wird?“ Wilkins lächelte süffisant. „Über Andere zu urteilen ist dir schon immer denkbar leicht gefallen Norman. Deine Arroganz ist unangefochten. Lambert und Compton sind bei mir, weil sie bei mir sein wollen. Wir sind gleich. Wir achten einander und haben keine Vorurteile. Nicht wie du und
deinesgleichen, die überhaupt nichts über uns wissen, und sich dennoch anmaßen es zu tun. Das habe ich schon immer an dir gehasst. Du denkst, du verstehst diese Welt. Unsere Kräfte und unser Wesen. Dabei tust du es nicht. Du spekulierst nur und es ist dir egal, wer am Ende darunter leidet.“ Hammond seufzte und schloss die Augen. Wilkins war so sehr von seinem Kummer zerfressen, dass er mit Vernunft bei ihm nichts ausrichten konnte. Er würde keinem seiner Worte Gehör schenken. Am Ende würde er ihn wahrscheinlich sogar töten. Allerdings spielte Katherina in dieser Rechnung eine wichtige Rolle. Wenn sie seinen Tod
gewollt hätte, wäre es für sie kaum die Mühe wert gewesen, ihn aus der Anstalt zu schaffen. Er wusste zwar noch nicht, was sie letztendlich im Schilde führte, aber dass er noch lebte hatte einen Grund.So sah er zu, wie sich der D-Patient nun wieder damit begnügte, der Blondine bei ihrer Arbeit zuzusehen. Langsam hockte er sich neben das Mädchen. Die war vollauf mit ihrem Werk beschäftigt. „Such Michael. Im Moment lenkst du mich nur ab, mit deiner Balzerei.“ Angesäuert verzog der Blonde das Gesicht und erhob sich, ehe er nach draußen Schritt. Hammond blieb mit dem Mädchen
zurück. Die 16-Jährige schüttelte den Kopf. „Ich war solange eingesperrt, und trotzdem hat sich die Arroganz der Erwachsenen kein bisschen geändert. Dabei hätte man denken können, dass sich in den Jahren zumindest etwas tut, nicht wahr?“ Sie sah ihn fragend an. Etwas unschuldiges lag in ihren Augen. Er nickte nur. „Manchmal sind die Leute nicht in der Lage, über den Horizont ihrer Gefühle hinaus zudenken Katherina. Albert hat viel in seinem Leben verloren. Das hat ein Loch hinterlassen, welches er zu füllen versucht. Jedoch erkennt er nicht,
dass das unmöglich ist. Nicht auf diese Weise. Ich versuchte ihm zu helfen. Vergeblich. Bei dir besteht allerdings Hoffnung. Das muss nicht auf diese Weise enden. Habe ich dir jemals wirklich geschadet? Stets war ich um das Wohl meiner Patienten bedacht. Dazu gehörst auch du. In Willow Creek war stets ein Platz für dich. Die Leute haben dich immer so genommen, wie du warst. Wir sind nicht deine Feinde.“ Bitte lächelte sie und hielt inne. „Das mag sein, aber verstanden hat man mich nie. Als sie sahen, was ich wirklich konnte, hatten sie Angst davor. Sie haben mir einen Maulkorb angelegt und mich domestiziert. Das war ihre Art,
zu helfen. Willow Creek war ein Gefängnis. Das ist es noch. Menschen, die so sind wie ich, finden dort keinen Frieden. Sie werden dort eingesperrt wie Vieh. Sie reden sich das alles schön. Versuchen sie es nicht Norman. Ich weiß wie diese Welt funktioniert. Sie müssen mir kein anderes Bild von ihr vorheucheln.“ Sie legte das Airbrush-Gerät zur Seite und lächelte zufrieden, ehe sie sich in den Schneidersitz niederließ. Das Mädchen pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und reckte die Glieder. „Fertig. Haben sie Hunger? Malen macht mich immer ziemlich
hungrig.“ „Wie kannst du bei dem Wetter hier draußen sitzen? Es ist arschkalt!“ Ethan saß im kalten Gras seines Gartens und lauschte dem Klang der Vögel. Die Nachmittagssonne hatte sich über Detroit gesenkt. Alles wirkte friedlich. Naiomi ließ sich neben ihm nieder und reichte ihm eine Dose Bier. „Wo hast du das denn her?“ „Gekauft? Du weißt schon: Das ist das, wo man in einen Laden geht und Geld gegen Ware eintauscht! Wenn du's nicht willst auch gut. Bleibt mehr für mich.“ Kopfschüttelnd nahm er die Dose an und öffnete sie. Die Rothaarige zündete sich
eine Zigarette an. Nach dem Essen war Dwight wieder nach Hause gefahren. Sofia lag drinnen auf dem Sofa und gönnte sich ein kleines Päuschen, während ihre Mutter noch ein paar Sachen besorgte. Ein angenehmer Moment der Ruhe, den man auskosten musste, denn man konnte nie wissen, was als nächstes auf sie zukam. In der letzten Zeit schienen solche Augenblicke immer trügerisch. Wie eine Lüge, die einem sanft ins Ohr geflüstert wurde. Der Arzt nahm einen Schluck von dem Bier. Die Kälte tat gut im Hals. Es schien Ewigkeiten her, dass er sich Zeit für sich genommen hatte. Naiomi seufzte und legte sich mit dem Rücken
auf die Wiese. „Was willst du jetzt machen? Ich mein wegen deiner Freundin. Kann man ihr wirklich helfen? Sie wirkte sehr überzeugend.“ Er zuckte mit den Schultern und zog die Beine an. Das war eine Frage, die er im Moment nicht beantworten konnte. „Ich konnte sie nicht erreichen. Nach all den Jahren ist sie wie eine Fremde, die ich nicht verstehe. Du kennst Sie. Katherina war immer fröhlich, aufgeweckt und hat sich nie etwas zu Herzen genommen.“ „Sie war höchstens Mal traurig, als sie im Garten auftauchte, und meinen Pudding haben wollte, den ich dann vor
ihren Augen aufgegessen habe.“ Er grinste. „Erinnere mich nicht daran. Es hat ewig gedauert, bis sie sich wieder beruhigt hat. Ich musste einen aus der Küche stibitzen. Sie hat gestrahlt wie ein Baby, als ich ihr dann den Nachtisch brachte. Allerdings hat sie über dich geflucht, auf ihre Art und Weise versteht sich. Ihre Welt war immer sehr simpel. Wenn die Sonne schien war alles gut. Sie hatte nie schlechte Laune, oder einen miesen Tag. Und sie war für alles zu Begeistern.“ Naiomi nickte und trank einen Schluck Bier. Dann nahm sie einen Zug von ihrer Zigarette und blies den Qualm gen
Himmel. Über ihnen zogen die Wolken dahin. Einzelne Schneeflocken rieselten auf sie nieder. Wie es aussah, würde es doch weiße Weihnachten geben. Zumindest etwas positives. „Ich möchte gerne helfen, aber ich weiß nicht ob ich das kann Ethan. Sie ist sehr stark. Ihre Kräfte übersteigen meine bei weitem. Ich kann nur Metall verbiegen und keine Monster erschaffen. Wenn ich so darüber nachdenke, scheint die Sache ziemlich aussichtslos. Natürlich bin ich kein Freund von Schwarzmalerei. Pessimisten sind Scheiße, aber sehen wir den Tatsachen mal ins Auge. Du bist n halber Krüppel und Dwight kann nicht mal n Grashalm umknicken. Rechne
unsere Chancen aus.“ Sie grinste und kratzte sich am Kinn. „Du strotzt ja förmlich vor Optimismus.“ „Ich sag nur wie's is. Wir sind doch so oder so am Arsch. Überleg doch mal: Da draußen ist nicht nur Katha. Da sind noch andere Freaks und wir wissen nie, wann die zuschlagen. Oder denkst du die machen mal ne Pause, weil morgen Heiligabend ist? Wohl kaum.“ Sein Handy klingelte. Langsam erhob er sich und nahm noch einen Zug aus seiner Bierdose, ehe er annahm. „Ethan. Dwight hier. Foster hat mich angerufen. Sie hat Lambert gefunden. Belle Island. Sie ist mit Peterson schon dort. Offenbar gehen ein paar üble Bilder
durch die Nachrichten. Er zieht wieder seine Thriller-Nummer ab. Verletzte gibt es zwar noch keine, aber wir sollten uns beeilen.“ Er nickte in sich hinein. „Wir treffen uns dann da.“ Er legte auf und sah zu Naiomi. „Ich muss los. Wir haben Michael Lambert gefunden. Wenn Carrie wieder da ist, kommst du sofort nach. Solange musst du nach Sofia sehen.“ „Aber die pennt doch!“ „Keine Widerrede!“ „Arsch! Aber lass noch was für mich übrig!“ Es dauerte keine halbe Stunde. Dwight
wartete bereits am Ende der einzigen Brücke, die nach Belle Island führte. Leute waren keine zu sehen und es wirkte friedlich. Keine Spur von irgendwelchen Untoten. Fragend ging er auf den Afroamerikaner zu und sah ihn an. „Wo ist Foster Dwight? Ich dachte Lambert wäre hier.“ Der Student zuckte mit den Schultern und schob seine Hornbrille zurecht. „Keine Ahnung. Wir sollten uns hier mit ihnen Treffen. Das ist alles was ich weiß. Vielleicht sind sie woanders in Schwierigkeiten.“ Der 32-Jährige nickte und zündete sich eine Zigarette an. Eine kühle Winterbrise
wehte ihm durchs Haar, während er mit seinem Partner die Straße entlang schritt. Es war ruhig. Zu ruhig. Keine Menschenseele. Nur die Bäume, die sich rhythmisch im Wind hin und her wiegten. Das roch geradezu nach einer Falle. Es stellte sich nur die Frage, ob er sie zuschnappen lassen sollte, oder die Zeit abwarten, bis Naiomi zu ihnen stieß. Dwight und er konnten nicht viel gegen Lambert ausrichten, wenn er auftauchte. Die Untoten waren schon tot. „Hast du das Betäubungsgewehr mitgenommen?“, wollte Rain wissen. Der Andere schüttelte den Kopf. So etwas sah ihm nicht ähnlich.
Normalerweise war das das erste, das er einpackte, wenn es an so einen Auftrag ging. „Habs vergessen.“ Ethan nickte und distanzierte sich einen Schritt von dem Anderen.Ein seltsames Gefühl überkam den 32-Jährigen. „Sag mal, wie war der Ausflug mit deinem Dad heute?“ Fragend sah er seinen Gegenüber an und zog an seiner Zigarette. „Ganz gut. Wieso fragst du?“ „Weil du bei mir warst!“ Der Andere hob überrascht die Braue und grinste. Gewissheit machte sich breit. Das hier war nicht Dwight. Hinter ihm tauchte Lambert auf, gefolgt von
einigen Untoten. Ethan seufzte. 'Klasse. Das hat nach einer Falle geschrien, und du trittst mitten rein.' Er war nicht vollständig ohne Bewaffnung gekommen. Ein Revolver. Zwar nicht seine Art, aber zumindest ein Druckmittel. Der falsche Dwight lachte nur. „Nettes Schießeisen.“ Rain drückte ab. Die Kugel bohrte sich durch die Schulter des Afroamerikaners. Farbe lief aus der Schulter. „Wie ich mir dachte.“ Das war nicht unbedingt eine Situation in die er geraten wollte. Alleine dem Feind gegenüberstehend. In solchen Momenten wünschte er sich manchmal
eigene Fähigkeiten. Das würde einiges erleichtern. Leider war er nicht mit diesem Los geboren. So blieb ihm nichts anderes übrig, als das ganze in die Länge zu ziehen, bis Naiomi eintraf. Das würde zumindest die Fronten ein wenig glätten. „Woher hast du eigentlich meine Nummer?“ „Von mir!“ Wilkins trat hinter Lambert hervor. Das hätte Ethan sich ja denken können. Das machte die Sache nicht leichter. Er sah sich um. Von Katherina war nichts zu entdecken. Wahrscheinlich hielt sie sich bei dieser Geschichte im Hintergrund. Das war auch gut so. Zwei reichten
vollkommen aus. „Nette Idee. Ist die dir alleine eingefallen Albert? Wo ist Hammond?“ „Dem geht’s gut. Noch jedenfalls. Was man von dir allerdings nicht mehr lange behaupten kann Ethan.“ Diese Überheblichkeit kotzte ihn an. Genau wie die Tatsache, dass sein Gegenüber nicht zögerte, ihm zur Begrüßung eine elektrische Ladung entgegenzujagen. Der ersten konnte er noch ausweichen. Die zweite zwang ihn in die Knie. Die Zigarette fiel ihm aus der Hand und rollte über den Boden, während die Untoten den Kreis um ihn enger zogen. Es waren zwar nicht viele, aber dennoch war er im Nachteil. Blut
lief ihm aus der Nase und seine Brust schmerzte. Das Metall in ihm, war offensichtlich ein guter Stromleiter. Umso schlechter für ihn. Es zerriss ihn beinahe. Das war leider ein Nachteil bei Naiomis Geschenk. Gegen Albert war er machtlos. Das bekam er in vollem Ausmaß zu spüren. Der D-Patient grinste. „Schon am Ende? Ich dachte sie haben für solche Gelegenheiten immer ein Ass im Ärmel!“ Er trat einen Schritt auf ihn zu. Ethan hob den Revolver und drückte ab. Er schoss meilenweit daneben und traf stattdessen eine der Leichen, die murrend stehen blieb, und sich davon
eher unbeeindruckt sah. „Netter Schuss. Das war wohl nie deine Stärke oder? Bei dem ganzen Schreibtischkram bleibt wohl nicht viel Zeit, um das zu üben!“ Ein zweiter Schuss löste sich. Jedoch kam der nicht von Ethan. Urplötzlich gingen die Untoten in die Knie und sanken leblos zu Boden. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe die Situation überschaubar war: Ein Betäubungspfeil steckte in Lamberts Hals. Überrascht zog er ihn heraus, ehe er das Bewusstsein verlor. Suchend sah Wilkins zu der Stelle, aus der der Schuss erfolgt war und entdeckte Foster. Neben ihr standen Naiomi,
Dwight und Peterson. Letztere ebenfalls mit einem Betäubungsgewehr bewaffnet. Hinter ihnen standen 20 andere Männer. Wahrscheinlich von Heidenreich geschickt um sie zu unterstützen. „Es ist vorbei Albert! Geben sie auf!“, raunte die ehemalige FBI-Agentin. Der D-Patient schloss die Augen und grinste. „Wieder falsch. Aber netter Versuch.“ Die Untoten erhoben sich wieder. Perplex sah Ethan zu Lambert. Aus seinem Hals lief ebenfalls Farbe. „Noch eine Attrappe.“ „So wie diese schlechte Kopie von mir da vorne?“ „Genau
Dwight.“ Anscheinend war Wilkins der einzige, der hier echt war. Lambert versteckte sich sicher irgendwo und kontrollierte von dort aus die Leichen. Naiomi trat vor und zog die Ärmel ihrer Jacke hoch. Peterson stellte sich neben sie und hob seine Waffe. Die Luft war zum zerreißen gespannt.Albert fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Das wird interessant.“ Und damit brach der Sturm los. Die Untoten stürzten sich auf sie. Ethan konnte einem ersten entgehen und ihm ein Bein stellen. Er ging zu Boden. Ein zweiter packte den Arzt am Kragen, wurde jedoch durch einen Kopfschuss zu
Fall gebracht. Blitze zuckten zwischen den Kämpfenden hindurch und trafen auf ein paar der Männer, die sich vor Schmerzen krümmten. Naiomi setzte direkt auf Wilkins zu. Mit einer Seitwärtsrolle entging sie einem Stromangriff, ehe sie dem D-Patienten einen Schlag mit der Faust verpasste. Er packte sie direkt am Kragen und verpasste ihr einen Kopfstoß. Rain war zur Stelle und griff Albert von hinten an. Der schickte eine Ladung Strom durch seinen eigenen Körper, um die beiden wieder auf Distanz zu bringen. Wieder durchzog ein brennender Schmerz Ethans Brust. Naiomi sah ihn sorgevoll an. Wilkins setzte direkt nach
und trat ihn gegen das Zwerchfell, was ihn auf den harten Steinboden schickte. Der Arzt brauchte einen Moment um sich zu fassen. Schwarze punkte tänzelten vor seinen Augen. Diesem Gegner war er nicht gewachsen. Er suchte die Anderen. Peterson und Foster waren eingekesselt, schlugen sich aber gut. Dwight kämpfte gegen seinen Doppelgänger und verpasste ihm gerade einen Kinnhaken. Ethan hustete und rappelte sich wieder auf. Die Rothaarige Winchester versuchte gerade Wilkins mit seiner eigenen Halskette zu erwürgen, indem sie ihre Fähigkeiten einsetzte. Das fand allerdings wieder ein jähes Ende, durch eine Ladung Blitze. Sie
wurde regelrecht durch die Luft geschleudert. Das war sein Moment. Rain setzte los und brachte den Blonden zu Fall, indem er sich einfach auf ihn stürzte. Dann schlug er ihm mehrmals ins Gesicht. Der Patient lachte nur. „Mutig Ethan. Wirklich mutig.“ Er schockte ihn. „Aber vergeblich.“ Der Arzt sackte zur Seite weg, während sich sein Gegner wieder erhob und nun über ihm stand. Naiomi wollte zu ihm, doch ein paar Untote schnitten ihr den Weg ab. Er war auf sich gestellt. Gleichzeitig kämpfte er gegen die Bewusstlosigkeit an. „Muss das nicht ein beschämendes
Gefühl sein? Zu wissen, dass du eigentlich keine Chance hast, das hier zu überstehen? Sieh dich an Ethan. Du bist alt und verbraucht. Trotz allem was du hier versuchst, bist du nur ein schwacher jämmerlicher Mensch. Gegen jemanden wie mich, wirst du nie-“ Naiomi war wieder zur Stelle und verpasste ihm einen Fausthieb. Die Nase des D-Patienten brach mit einem lauten Knacken, ehe Albert zurücktaumelte. Wütend sah er sie an. „Du mieses Flittchen!“ Er hob seine Hand. Blitze zuckten zwischen seinen Fingern hin und her. Der Arzt schüttelte den Kopf. Die Lage war aussichtslos. Sie war ihm nicht
gewachsen. Zumindest nicht so. Sie sah ihn an und grinste, ehe sie sich wieder auf den anderen warf. Albert umfasste sie und jagte ihr Elektrizität durch den Körper. Sie schrie. Er lachte nur. „Siehst du, was dir das einbringt, wenn du dein Leben für so jemanden wegwirfst?“ Sie setzte ein schmerzverzerrtes Grinsen auf. „E-Eine Menge! E-Ethan?“ Er sah zu ihr. Mittlerweile lief ihr Blut aus Nase und Ohren. Ein seltsames Gefühl machte sich in seiner Brust breit. „Sorry.“ Mit einem Schrei des Arztes schoss das
Metallstück aus seiner Brust hervor und durchbohrte den Blonden in einem Streich. Albert verharrte, während sein Angriff endete. Ungläubig starrte er auf das Loch in seinem Oberkörper. Das Metallstück war in einem Laternenpfahl hinter ihm eingeschlagen. Blut lief ihm aus dem Mund. „Miese...Schlampe!“ Damit sank er zu Boden. Naiomi ging in die Knie. Ethan lag auf dem Boden. Blut lief in Strömen aus seiner Brust. Sofort war sie bei ihm und drückte die Wunde ab. Um sie herum wütete noch immer der Kampf. „Ruhig Ethan.“ Er hustete. Mit aller Kraft stemmte sie
sich auf die Wunde, ehe ein Schwert sie von hinten durchbohrte und in die Höhe hob. Fassungslos musste er mit ansehen, wie die 16-Jährige vor Schmerz aufschrie. Die Klinge verlief durch ihre Brust. Geführt vom Kopflosen Reiter. Hinter ihm stand Katherina.
„NEIN!“, presste Ethan hervor, ehe er einen Schwall Blut erbrach. Dann verlor er das Bewusstsein.
Fortsetzung folgt.