Wie lange er schlief, konnte Ethan nicht genau sagen. Die Erinnerungen lagen brach im Kopf. Im Körper herrschte das Gefühl von Ermattung. Er öffnete die Augen. Das dämmrige Licht eines Krankenzimmers begrüßte ihn. Der Herzmonitor piepte monoton. Auf dem Nachttisch standen Rosen. Höchstens einen Tag alt. Neben dem Bett ein leerer Stuhl, auf dem eine Jacke hing. Die Brust war nackt und mit einem Verband versehen. Nachdem er versuchte sich aufzusetzen, zog ein stechender Schmerz durch den Oberkörper. Nach Luft schnappend hielt er die Stelle für
einen Augenblick, bevor er seine Brille suchte. Das Bild wurde klarer. Wahrscheinlich war es früher Nachmittag, so wie das Sonnenlicht in den Raum schien. Etwas später wurde die Tür aufgeschoben. Dwight betrat das Zimmer. »Ethan. Du bist wach! Ich dachte schon, du willst Weihnachten verschlafen!« Er wirkte erleichtert. Der Afroamerikaner nahm Platz und trank einen Schluck aus dem Becher Kaffee, den er in der Hand hatte. Der Verletzte runzelte die Stirn und gab sich nach einem weiteren Versuch, in die Sitzposition zu gelangen, geschlagen und
verharrte liegend. Ein klarer Gedanke war im Augenblick unmöglich. Dafür, war er noch zu müde. »Was ist passiert? Wie lange bin ich hier?« »Fünf Tage. Ich wechsle mich mit Carrie ab. Die ist allerdings gerade zum Bahnhof. Naiomi abholen.« Stimmt. Das war ihm vollkommen entfallen. Über die Feiertage war die junge Winchester eingeladen. Er konnte gar nicht glauben, dass er beinahe eine Woche außer Gefecht gesetzt war. Katherina hatte ihm übel zugesetzt. Bitter verzog er die Mundwinkel. Das wahrzuhaben war schwer. Die Wunde schmerzte sehr. Immer wieder musste er
sich bemühen, nicht zu tief zu atmen. Das linderte die Pein ein wenig. »Und was sagen die Ärzte?« »Die sind ratlos. Bis jetzt ist nichts von dem Schnitt geheilt. Hätten sie es nicht fachmännisch genäht, würdest du Bluten wie ein aufgeschlitztes Schwein.« Er nickte bedächtig. Ein weiterer Nachteil der Fähigkeiten des Mädchens. Was gemalt war, war unumkehrbar, solange man nicht das Objekt zerstörte, dass es geschaffen hatte. »Was ist mit Hammond?« Ein Kopfschütteln war die Antwort des Studenten. Er nahm einen Schluck von seinem Heißgetränk und seufzte. »Nichts. Er ist verschwunden. Wo auch
immer sie ihn hingebracht hat, es ist gut versteckt. Wir haben keine Ahnung, was sie vorhat Ethan. Seit der Sache im D-Trakt hat sie niemand gesehen, oder eine Spur. Foster sucht zusammen mit Peterson, aber bis jetzt ohne Erfolg.« Ethan schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Er deutete auf eine Flasche Wasser, die auf dem Tisch stand. Dwight goss ihm etwas in ein Glas und reichte es dem Verletzten. Großzügig trank er daraus. Sein Hals war total trocken. Als hätte er Monate lang geschlafen. Das Getränk verschaffte allerdings wenig Linderung im Angesicht der Tatsache, dass sie vor einer Wand standen.
»Kaum zu glauben, dass das alles wirklich passiert. Ich mein, es ist Katherina. Die steht auf Zauberei, malt gerne und verschlingt Pizza in Massen, bei denen anderen die Galle hochkommt. Ich verstehe das einfach nicht.« »Die Kraft der Zwillinge. Die Abbilder besaßen auch ihr Bewusstsein. Sie haben ihr Gedächtnis wieder hergestellt und damit unsere ganze Arbeit zu Nichte gemacht.« Er biss sich auf die Lippen. Das alles wirkte wie einer dieser banalen Alpträume, aus welchen es kein Entrinnen gab. Die 16-Jährige sollte jetzt ihre Gegenspielerin sein? Allein der
Gedanke war absurd. Auch Dwight war betroffen. »Was heißt hier Arbeit? Katha ist eine Freundin. Ich kenne sie, seitdem ich in Willow Creek angefangen habe. Sie zu jagen wie ein Tier. Das will ich nicht.« »Ich weiß. Das wahrzuhaben ist schwer. Dennoch ist sie ein Risikofaktor. Sie hat Hammond entführt und tut ihm weiß Gott was an. Sie könnte im Augenblick überall sein und wir wissen nicht, wie ihre ersten Schritte aussehen.« Der Afroamerikaner leerte seinen Kaffeebecher. »Aber du weißt, wie sie tickt Ethan! Du hast schon mit ihr zusammengearbeitet,
bevor ich ins Sanatorium kam!« »Das kannst du nicht vergleichen. Wir reden hier von zwei vollkommen verschiedenen Menschen. Die Katherina, die du kennst, besitzt ein ganz anderes Bewusstsein. So, wie wir sie kannten, war sie nur, weil wir sie so gemacht haben.« Sein Blick war geradeaus gerichtet. Die Hände lagen auf seinen Oberschenkeln. Der Student sah ihn einfach nur an und schüttelte den Kopf. »Es gibt wohl eine Menge Dinge, über die ich noch nichts weiß.« Es klang beinahe wie eine Anklage. Ethan fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah zu ihm.
»Es ist nicht immer alles so einfach, Dwight. Diese Welt ist weitaus komplizierter, als du denkst. Es sind Dinge am Werk, die die normalen Menschen einfach nicht verstehen. Deshalb gibt es Willow Creek. Zum Einen, damit die Welt nichts über diese Leute weiß und zum anderen, damit wir diesen Individuen helfen können. Manchmal gelingt uns das. Manchmal versagen wir. Wir können nicht alle von ihnen retten Dwight. Das ist nun mal so. Wir müssen dann andere Wege finden. Bei Katha hat es nur so funktioniert. Sie war zu zerfressen von ihren negativen
Gefühlen.« Dwight hob fragend die Braue. »Wie meinst du das?« »Bevor Katherina nach Willows Creek kam, führte sie ein ganz normales Leben. Sie war ein nettes junges Mädchen, das friedlich bei ihren Eltern aufwuchs. Sie hatte Freunde in der Nachbarschaft, ging zur Schule, wie jeder andere auch. Ein aufgewecktes Kind eben. Ihre Kräfte entdeckte sie erst im Alter von 12 Jahren. Da benutzte Sie sie zum ersten Mal. Von einem Augenblick auf den Anderen, sahen die Menschen um sie herum sie nur noch als Monster. Sie verabscheuten sie regelrecht. Sie hassten sie für etwas,
das sie nicht verstehen konnten. Selbst ihre besten Freunde verachteten sie. Ihre Eltern, schlossen sie ein, misshandelten sie. Weil sie anders war. Das ließ sie verbittern. Sie begann, die Menschen zu hassen. Sie machte die Welt für ihr Leiden verantwortlich. Das erste Mal wurde Hammond auf sie aufmerksam, als Sie drei Mitschüler tötete. Damals hatte ich noch einen Partner. Frederik Brown. Doppelt so alt wie du. Er hat mir alles beigebracht, was ich wissen muss. Neben Norman, war er der beste Mentor, den ich hatte. Zusammen stießen wir auf diesen außergewöhnlichen Fall. Drei enthauptete
Kinder.« Er machte eine Pause. Die Erinnerung daran lag weit zurück, doch wirkte alles noch genau so, als wäre es gestern gewesen. 3 ½ Jahre früher - Sommer 2001 »Und? Läuft Sofia mittlerweile?« Brown nippte an seinem Kaffee, ehe er sich wieder seinem Heidelbeerkuchen zuwandte. Mittlerweile war es Nachmittag geworden. Im Aufenthaltsraum des A-Traktes von Willow Creek herrschte reges Treiben. Die Patienten saßen dam Tisch und begnügten sich mit ihrer Kaffeepause.
Ethan nickte und kratzte sein Kinn. »Sie wird immer sicherer. Allerdings gefällt das Carrie nicht sonderlich. Sie muss die ganzen Sachen jetzt eine ebene höher platzieren!« Sein Gegenüber lachte. Frederik Brown war mitte 40 und durch seine ständige Kuchennascherei etwas pummelig. Das Haar an einigen Stellen schon ergraut. Falten zeigten sich in seinem aufgedunsenen Gesicht. Die Dicke Nase war schon immer ein Aufhänger auf der Arbeit. Allerdings besaß er das Talent, diesbezügliche Kommentare einfach zu ignorieren. »Tja. So sind Kinder, wenn es ins richtige Alter geht. Bei Polly hatten wir
auch so unsere Probleme, aber glaub mir: Das ist noch gar nichts. Warte mal ab, bis deine Kleine in die Pubertät kommt!« Er grinste und schob sich mit der Gabel ein weiteres Stück Kuchen in den Mund. »Dann kannst du nämlich gar nichts mehr richtig machen. Egal wie sehr du dich anstrengst. Sie wird dann ständig an dir rummeckern. Sie wird dir vorhalten, dass dein Musikgeschmack aus der Steinzeit kommt, genau wie deine Klamotten. Von den Jungs will ich gar nicht erst anfangen. Jeder Versuch das Beste für sie zu wollen, wird von ihr sofort als Angriff auf sie angesehen. Und dann ist da natürlich noch die Sache
mit der Knete. In zwei Jahren hat Martha Pollys Taschengeld dreimal erhöht. Außerdem wollte sie dann unbedingt dieses neumodische Mobiltelefon. Mittlerweile sind sie ja sogar dabei die Dinger mit ner Kamera zu versehen. Man. Wenn man die Technik so sieht, dann fühlt man sich echt wie ein alter Sack.« Ethan lachte. »Du bist ein alter Sack Fred. Und hör auf damit ständig den Kuchen in dich reinzuschaufeln! Deine Frau meckert schon genug. Wie hoch ist dein Blutzucker?« Sein Gegenüber zuckte mit den
Schultern. »Keine Ahnung. Solange ich nicht umfalle, kann ich noch die kleinen Freuden des Lebens genießen oder? Lass mir doch wenigstens diesen kleinen Aufheller. Solltest du übrigens auch mal probieren. Es geht nichts über ein Stück Kuchen. Am besten mit Sahne oben drauf.« »Klingt für mich nach einem Freifahrtschein für Diabetis« Im Radio lief der neue Lifehouse Song. Hanging by a Moment. Die ganze Woche rauf und runter. Die Patienten mochten es. Ethan grinste nur und schob sich seine Brille zurecht. »Du hast überhaupt keinen Sinn für ein
gutes Laster.« »Muss ich auch nicht. Es reicht, wenn einer von uns sich mit Kuchen vollstopft, raucht und Whiskey trinkt, wie ein Profi.« Fred hob die Hand. »Hey. Es geht nichts über ein gutes Gläschen Jack Daniels nach der Arbeit und eine Malboro. Hörst du dir eigentlich selber zu? Du klingst schon wie Martha.« »Mit dem Unterschied, dass ich wahrscheinlich attraktiver bin.« »Das stimmt wohl.« Brown verdrückte den Rest seines Kuchens und rieb sich die Hände. Er wirkte zufrieden. Rain hatte noch nie
jemanden mit so guter Laune getroffen. Es gab kaum etwas, dass seinen Freund zum Rasen brachte. Wie die Ruhe selbst. Einfach erstaunlich. »Also, was steht noch an?« »Die Patientengespräche sind für heute durch. Ich glaub ich mache noch ne Stunde und fahr dann nach Hause. Carrie will in diesen neuen Film gehen. A Beatiful Mind. Du weißt ja, wie sie auf Russel Crowe abfährt.« »Ja. Das weiß ich. Man. Ganz der Familienpapi was? Wann gehen wir denn mal wieder weg? Du schuldest mir noch nen Abend im Hard Rock Café. Kannst ja deinen alten Herrn mitbringen.« Ethan nickte.
»Klar. Am Wochenende hätte ich Zeit. Das heißt natürlich, wenn deine Frau dir die Ketten abnimmt.« »Du mich auch Ethan. So. Ich hab noch n Gespräch mit Waslow vor mir. Wir sehen uns dann spätestens morgen früh in alter Frische. Mach nicht zu lang Kurzer!« Fred wollte gerade aufstehen, als der Lautsprecher ertönte. »Ethan Rain und Frederik Brown bitte sofort in das Büro des Direktors. Ich wiederhole: Ethan Rain und Frederik Brown bitte sofort in das Büro des Direktors!« »Und das war’s wohl mit dem freien
Abend!«, erklärte Frederik, und nahm seine Jacke vom Stuhl. Der Arzt runzelte die Stirn. Neugierig war er ja schon, was Hammond um die Zeit noch wollte. Allerdings bedeutete das auch, dass er zu spät zu seiner Verabredung mit Carrie kam. Leah passte extra auf Sofia auf. Das würde Ärger geben. Im Büro des Anstaltsleiters angekommen, ließ sich Ethan auf einem Stuhl nieder. Fred zündete sich eine Zigarette an und stützte sich an die Lehne. Hammond trankt gerade eine Tasse Kaffee und warf einen Blick auf einen Zeitungsbericht. »Meine Herren. Ich weiß, dass es
eigentlich schon spät ist, aber wir haben da etwas. Die Pioneer High School in Ann Arbor. Drei Schüler sind tot. Enthauptet.« Brown kratzte sich an seinem Bart. »Klingt ja rosig. Und wie kommen sie darauf, dass das was für uns ist?« »Die Mitschüler und einige Lehrer beschuldigen eine Schülerin für die Taten. Sie erzählen, dass sie das was sie malt zum Leben erwecken kann.« Ethan wurde hellhörig. Er hatte hier zwar schon so manches erlebt, aber das war selbst für ihn ein wenig seltsam. »Geht das überhaupt?« Frederik legte seinem Kollegen eine Hand auf die Schulter und lächelte
matt. »Das fragst du noch? Du weißt, wo wir arbeiten. Hier ist leider nichts unmöglich. Wir haben hier einen Typen, der alles um sich herum zu Eis gefrieren lassen kann. Ein anderer ist ein laufendes Elektrizitätswerk. Also Ethan. Ja ich denke schon, dass das geht.« Er wandte seinen Blick zu Norman. »Haben wir auch einen Namen?« Der Anstaltsleiter legte ihm ein Foto hin. Es war ein hübsches Mädchen mit blonden langen Haaren, das in die Kamera lächelte. »Katherina Compton. Tochter von Rose und Bernhardt Compton. 13 Jahre alt. Eine der Besten in ihrem
Jahrgang.« »Wirkt für mich wie ein unschuldiges Kind. Naja was Solls. Wir werden uns umhören. Ethan. Tut mir leid, aber du musst für heute absagen. Carrie versteht das sicher!« Der Angesprochene seufzte. Er hätte wissen müssen, dass so etwas passierte. Der Wagen bog langsam in die Norfolk Avenue ein. Der späte Nachmittag hatte Einzug gehalten. Vor einem weißen einstöckigen Haus machten sie halt. Ein Bann war gerade dabei den Rasen zu bewässern. Brown legte die Hände auf das Lenkrad und sah sich das ganze in Ruhe an.
»Man. Dieses Vorstadtspießerleben muss ja echt lustig sein. Ich frag mich immer, was die Leute davon haben so zu leben. Man kriegt doch gar nichts vom Leben mit. Es ist wie ein sicheres Nest.« »Ist es nicht das, was eigentlich jeder will?«, warf Ethan ein. Der Andere schüttelte den Kopf und sah ihn an. »Wenn du mich fragst, gibt es nichts Langweiligeres, oder willst du so enden?« Er deutete auf den Mann im Vorgarten. »Schön im Vorgarten, eine kleine Bierplauze, den Rasen wässern und schön unter dem Pantoffel der Ehefrau. Wahrscheinlich noch vier Kinder. Das
wär doch sicher dein Traum Ethan.« »Naja. Carrie und ich wollen irgendwann schon noch eins, wenn Sofia alt genug ist.« Der Andere grinste nur und schüttelte den Kopf. »Manchmal frag ich mich, wie du eigentlich durch den Tag kommst. Was Solls. Fühlen wir Papi mal auf den Zahn!« Er stieg aus dem Camaro aus und zündete sich eine Malboro an. Beide schritten über den Rasen hinweg auf den Mann zu, der sie skeptisch ansah. In der Hand hielt er weiterhin den Gartenschlauch. Er war Mitte 30. Vorne etwas kahl. Ethan konnte sich nicht
vorstellen so zu enden. Vor der hünenhaften Gestalt Browns, machte der Mann einen Schritt rückwärts. »Kann ich ihnen helfen, Sir?« »Vielleicht. Mein Name ist Frederik Brown und das hier ist Ethan Rain. Wir kommen wegen ihrer Tochter Mr. Compton.« Der Angesprochene nickte bedächtig und schaltete das Wasser ab. Er führte sie zu ein paar Gartenstühlen, die vor dem Haus standen. »Setzen sie sich. Möchten sie ein Glas Limonade? Rose macht die beste in der Nachbarschaft. Es gibt glaube ich sogar noch Kuchen.« »Dazu sage ich nicht
nein!« Der Mann nickte und ging ins Haus. Rain seufzte nur und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Die Beine legte er übereinander. »Du sagst wirklich nie nein oder?« Fred zuckte mit den Schultern. »Wenn er es mir doch anbietet? Warum soll ich die gute alte Gastfreundschaft von Ann Arbor ausschlagen? Außerdem bringt er Mami gleich mit und wir können in Ruhe mit beiden reden.« Es dauerte auch nicht lange, bis die beiden Eheleute nach draußen kamen. Bernhardt hielt zwei Teller mit Kuchen in der Hand. Rose folgte mit der Limonade.
»Also. Sie sind wegen Katherina hier?« Rose klang nervös, während sie den beiden zu trinken eingoss. Fred machte sich sofort über den Kuchen her und nickte. »Ja. So ist es. Wir hörten, dass man sie mit dieser Tragödie in der Schule in Verbindung bringt. Ist das Pflaumenkuchen?« Die Frau nickte nur und lächelte. »Ja. Selbstgebacken.« »Großartig!« Ethan seufzte nur und schob seinen Teller von sich. Er hatte wirklich keinen Hunger. Die Situation war auch nicht eine derer, in der man sich zurücklehnen
und mit Backwaren vollstopfen konnte. Er verstand nicht, wie sein Partner nur so ruhig bleiben konnte. »Sind sie vom FBI?«, wollte Bernhardt wissen. Fred schüttelte lachend den Kopf und holte einen gefälschten Ausweis aus seiner Tasche. Das war in ihrem Gewerbe üblich. »Schulaufsichtsbehörde. Der Stadtrat meint, wir sollen uns die Sache mal genauer ansehen. Also. Erzählen sie mir etwas über ihre Tochter.« Nachdenklich fuhr sich Rose mit der Hand den Hals entlang. »Naja. Wo soll ich anfangen? Katherina war eigentlich immer ein liebes Mädchen wissen sie? Gute Noten, immer höflich
zu allen. Naja, bis diese Sache anfing.« »Sache?« Die Frau seufzte. Man konnte ihr ansehen, dass ihr das Thema nicht besonders behagte. Ihr Mann hüllte sich in Schweigen. Ethans Blick wanderte zu einem der Fenster. Ein Mädchen beobachtete sie. Als er sie entdeckte, zog sie schnell die Vorhänge zu. »Sie malt gerne. Das hat sie schon als kleines Kind gemacht. Das war ihr liebstes Hobbie. Naja und dann passierte dieser Unfall in der Schule. Ich hab es erst für einen Witz gehalten. Die Lehrerin erzählte, Katherina hätte einen Vogel gemalt und den zum Leben erweckt. Vollkommen banal nicht
wahr?« Fred schüttelte nur den Kopf. »Naja. Sie wissen nicht, was heutzutage alles möglich sein kann. Wenn es schon schnurlose Telefone mit Kameras gibt, warum nicht das?« Das war seine Art und Weise, die Sympathie der Leute zu gewinnen und bei den Comptons schien das zu funktionieren. Sogleich wurden sie etwas entspannter. »Ja, schon. Aber, stellen sie sich das Mal vor: Die Leute erzählen plötzlich, dass ihre Tochter Dinge zum Leben erwecken kann.« »Ich wäre froh, wenn es bei meiner Tochter nur das wäre. Sie ist 17 wissen
sie. Schwieriges Alter. Also, sie glaubten das nicht?« Bernhardt schüttelte den Kopf. »Zuerst nicht, nein. Sie ist immerhin unsere Tochter und wir lieben sie. Als dann die anderen Schüler damit anfingen, sie zu hänseln und fertig zu machen, verschlechterte sie sich natürlich in der Schule. Wir sprachen sie darauf an und in einem Ausbruch, passierte es auch hier. Es war keine Lüge, verstehen sie? Katherina malt etwas und es erwacht zum Leben.« Brown nickte, während Ethan aufstand. »Wo ist hier die Toilette?« »Einfach geradeaus. Die Haustür ist
offen!« »Danke.« Das war der perfekte Zeitpunkt. Während Fred die Eltern ablenkte, konnte er sich in aller Ruhe dem Mädchen widmen. Vielleicht gab das ja mehr Aufschluss. Immerhin war sie die Betroffene. So betrat er das peinlichst aufgeräumte Haus der Comptons. Sofort fand er den Raum, von dem aus das Mädchen ihn beobachtet hatte. Es war das typische Zimmer einer 13-Jährigen. Poster, Musik CDS. Allerdings auch viele Malereien. Auf dem Boden saß sie und zeichnete gerade etwas. Langsam beugte sich Ethan über sie und sah ihr dabei zu. Sie roch nach Parfum. Die
Nägel waren schwarz lackiert. Das Gesicht blass geschminkt und die Augen schwarz umrandet. »Das sieht gut aus. Was wird es denn, wenn es fertig ist?« Sie sah nicht zu ihm auf, sondern beschäftigte sich weiter damit, die Konturen zu zeichnen. »Ein Elch.« »Ah. Malst du gerne Tiere?« Sie nickte. »Ich mag sie. Sie sind ganz anders als die Menschen. Sie haben keine Vorurteile.« Sein Blick wanderte durch den Raum und fiel auf einen Stapel Bücher. Geschichten aller Art. Eine richtige
Leseratte also. Einen Moment lang fragte er sich, wie Sofia wohl in diesem Alter sein würde. »Menschen, sind auch nur Tiere, wenn man es von einem gewissen Standpunkt aussieht. Haben sie dir gegenüber etwa Vorurteile?« »Sie hassen mich, weil ich anders bin.« »Weil du Dinge kannst, die sie nicht können?« Sie hob den Kopf und musterte ihn. »Genau. Ich wollte das selber auch nicht. Es ist einfach passiert. Seitdem tun sie alle so, als wäre ich ein Monster. Selbst meine Eltern tun das.« Er ließ einen Blick über das Mädchen schweifen. Am Nacken konnte er einen
blauen Fleck erkennen, sowie auch an ihren Handgelenken. Besorgt sah er sie an. »Waren das deine Eltern?« Sie senkte den Kopf. »Sie haben Angst vor mir. Sie denken, dass ich ihnen etwas antun könnte, aber sie verstehen nicht, dass ich das niemals tun würde. Sie sind meine Eltern. Trotzdem behandeln sie mich wie Dreck. Ich hasse sie dafür! Genau wie die Anderen!« »Haben die Anderen dir auch wehgetan? Die Kinder in deiner Schule?« Sie wandte den Blick ab und stand auf. Die Lippen hatte sie fest zusammengepresst und die Hände zu
Fäusten geballt. »Sie sind die Monster. Nicht ich. Sie waren alle meine Freunde, bevor das passierte. Dann zeigten sie ihr wahres Gesicht.« Sie schob ihren Pullover nach oben und zeigte ihm den Rücken. Schlagspuren zogen sich über die Haut, als hätte sie jemand mit einem Stock geschlagen. Einige waren sehr frisch. »Sie haben sich einen Spaß daraus gemacht. ›Schlagen wir Katherina, bis sie blutet. Vielleicht kann sie ja auch mit ihrem Blut malen!‹ Sie haben mich ausgelacht. Immer und immer wieder haben sie mich geschlagen, bis ich nicht mehr bei Bewusstsein war. Dann
schlugen sie mich immer noch. Die Lehrer tun nichts. Meine Eltern tun nichts.« Zorn wanderte in ihren Blick. »Bis mir klar wurde, dass ich nicht allein bin. Ich kann Dinge, die kein anderer kann. Ich mache mir selbst Freunde. Freunde, die mich niemals enttäuschen. Die immer zu mir stehen, und die mich beschützen.« Ihr Blick ging an die Wand. Das dort hängende Bild zog direkt seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Hügel, umringt von Toten Bäumen. Auf dessen Spitze ein schwarzer Hengst mit rotglühenden Augen. Der Reiter kopflos. »Eine Interpretation der Geschichte von
Sleepy Hollow. Ein Kriegssöldner, der enthauptet wird und dem Grab ensteigt, um jene, die ihm das antaten, zu bestrafen.« Der Arzt senkte den Blick. »Hat er auch die Kinder bestraft?« »Er beschützt mich. Er ist immer für mich da. Er ist ein wahrer Freund. Er hat keine Vorurteile. Er existiert nur für mich. Er ist mein Schutzengel.« Sie lächelte bei diesen Worten. Sein Magen verkrampfte. Sie hatte es wirklich getan und sprach darüber, als ob es gar nichts wäre. Hammond hatte sie genau zum richtigen Ort geführt. Allerdings stellte sich jetzt die Frage, wie er weiter vorging. Behutsamkeit war
das richtige Zauberwort. »Weißt du Katherina. Du fühlst dich sicher allein damit. Mit diesen Kräften. Aber, das bist du nicht.« Fragend sah sie ihn an. »Was meint ihr damit?« »Nenn mich Ethan. Und ich meine damit, dass es andere gibt, die ebenfalls besondere Dinge können. Vielleicht können sie nicht das, was du kannst, aber sie sind auf ihre Art und Weise speziell.« Er setzte ein warmes Lächeln auf. Sie bot ihm einen Platz auf ihrem Bett an, wo er sich niederließ. Das schien sie neugierig gemacht zu haben. Interessiert musterte sie ihn.
»Und was sind das für Leute?« »Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Sie leben alle zusammen an einem besonderen Platz weißt du? Dort gibt es niemanden, der sie für das was sie sind verurteilt. Dort sind sie ganz normal.« Das Mädchen verzog bitter das Gesicht. »Normal. Das wäre ich gerne. Ein Kind wie alle anderen. Dann wäre das alles nicht passiert. Ich hätte immer noch meine Freunde. Meine Eltern würden mich nicht einsperren. Manchmal hoffe ich, all das hier ist nur ein böser Traum, aus dem ich irgendwann wieder aufwache.« »Manchmal geschehen Dinge, die wir
einfach nicht ändern können Katherina. Wir können nur lernen, mit ihnen zu leben. Es ist nicht immer einfach, aber diese Sachen sind es die uns ausmachen. Sie zeigen, wer wir wirklich sind.« »Monster.« Sie schritt auf eine ihrer Zeichnungen zu. Es war ein Hund. Ein Bernhardiner, der fröhlich herumtollte. Sie hob das Papier auf und nahm es in die Hand. Dann wandte sie sich dem Doktor zu. »Möchten sie es sehen?« Er nickte. Sie legte die Hand auf das Papier. Es begann zu leuchten und mit einem Mal saß dort neben ihr ein Hund und hechelte fröhlich, mit raushängender
Zunge. Ihm blieb die Spucke weg. Er hatte schon so manches gesehen, aber das hier war wirklich etwas Neues. Sofort kam der Bernhardiner auf ihn zu. Er streichelte dem Tier über den Kopf. »Na. Was bist du denn für ein feiner Kerl? Hat er auch einen Namen?« »Bodo.« »Hallo Bodo! Ich bin Ethan. Findest du nicht auch, dass Katherina ein ganz nettes Mädchen ist?« Er bellte vergnügt und schlabberte ihm über die Hand. Just in diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen. Mr. Compton kam mit hochrotem Kopf herein. Dicht gefolgt von Frederik. Sofort schritt er auf das
Mädchen zu und schlug sie. »Ich habe dir gesagt, du sollst das nicht mehr tun!« Ethan stand auf und hob die Hände. »Hören sie damit auf Mr. Compton!« Er sah ihn zornfunkelt an. »Erklären sie mir nicht, wie ich meine Tochter zu erziehen habe! Sie ermutigen sie noch zu diesen Dingen!« Bodo knurrte böse und stellte sich schützend vor Katherina. Die hilt sich die Wange. Ihre Nase blutete. Der Blick war leer und ausdruckslos. Rain ging auf sie zu, aber sie wandte sich von ihm ab, schritt schnurstracks zum Bild des kopflosen Reiters.
»NEIN!« Es war zu spät. Mit einem wiehernden Geräusch brach der düstere Reiter aus dem Bild hervor, wobei er Ethan und Fred zu Boden warf. Katherinas Vater stand mit offenem Mund vor der Schöpfung seiner Tochter. Die Blondine stand neben dem Pferd und strich ihm über den Hals. Finster sah sie ihren Vater an. »Du wirst mich nie wieder anfassen!« Er hob beschwichtigend die Hände. »Katherina. Mach doch keinen Unsinn! Wir reden darüber! Ich bin doch dein Vater!« »Ein Vater schlägt seiner Tochter
nicht!«, erklärte Brown und erhob sich vom Boden. Er und Ethan hielten gebührenden Abstand zum Reiter, der sich Katherina zuwandte und auf etwas zu warten schien. Sie sah ihn ausdruckslos an. Einen Moment lang schien sie zu überlegen. Rain trat einen Schritt auf sie zu, doch sofort blockierte der Reiter seinen Weg. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Insgesamt ragte der Kopflose über zwei Meter in die Höhe. Natürlich nur, weil er auf dem Pferd saß, aber dennoch war es einschüchternd. »Katherina. Das musst du nicht tun. Ich weiß, dein Vater hat dir sehr wehgetan, aber das ist nicht der
Weg.« Nun war auch Rose ins Zimmer gekommen. Beim Anblick der Kreatur stieß sie einen spitzen Schrei aus. Das Ross stieß Dampf aus seinen Nüstern. Die ganze Situation war zum Bersten gespannt. Die Blondine warf einen Blick auf ihre Eltern. Mit einem Mal schien das Mädchen von vorhin verschwunden. »Töte sie alle!« Der erste Hieb kam schnell und trennte Bernhardts Kopf von den Schultern. Ethan konnte nur geschockt zusehen, während Brown ihn und Rose am Arm hinter sich her Zog. Es ging in den Vorgarten. Richtung Auto. Der Reiter brach einfach aus dem Fenster hervor
und mit zwei mächtigen Schritten seines Rosses, hatte er sie eingeholt. Die Klinge sauste erneut nieder. Katherinas Mutter fiel. Fred und Ethan erreichten den Wagen. Der Motor startete und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. »SCHEISSE!« Mehr konnte er nicht sagen. Im Rückspiegel sahen sie, wie der Reiter Katherina aufs Pferd half, ehe er die Verfolgung aufnahm. Gegenwart - 2005 »Fred und ich sind nur knapp entkommen. Der Reiter folgte uns bis zur
Grenze von Ann Arbor. Wir hatten Glück. Katherinas Eltern allerdings nicht. Hingeschlachtet von der eigenen Tochter. Ich dachte wirklich, ich wäre zu ihr durchgedrungen, aber ich habe mich getäuscht.« Wehmütig sah Ethan ins Leere. Diese Erinnerungen plagten ihn, jetzt wo ihn die Vergangenheit wieder einzuholen schien. Wie Hammond sich wohl mit Albert gefühlt hatte? Wahrscheinlich genauso, wie er es tat. Ein Seufzer entkam seiner Kehle. Einfach nur Hierzusitzen und nichts tun zu können, war die Hölle. Katherina war da draußen und sie hatten keine Ahnung, wie ihre nächsten Schritte aussahen. Mit
Hammond in ihrer Gewalt konnte sie nahezu überall sein. »Und dein Partner? Was ist mit Frederik passiert?« Ethan senkte den Blick. »Wir waren dem Reiter knapp entkommen. Noch nie hatten wir einer solchen Situation gegenüber gestanden. Nach der Geschichte gingen wir direkt ins Sanatorium zurück, um Hammond mit unseren neusten Erkenntnissen zu konfrontieren. Fred war denkbar aufgebracht.« 3 ½ Jahre früher - Sommer 2001 »Verflucht nochmal Norman! Ethan und
ich sind nur knapp dem Tod entkommen! Dieses Mädchen hat ihre Eltern kaltblütig ermordet. Dieser Reiter hat uns quer durch Ann Arbor gehetzt. Das hättest du uns wohl nicht vorher sagen können oder?« Brown ließ sich auf dem Stuhl nieder und zündete sich eine Zigarette an. Die Erschöpfung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Auch Rain war fertig mit den Nerven. Das Mädchen hatte einfach alles, was er bis jetzt kannte über den Haufen geworfen. Solch eine Kraft war ihm noch nie untergekommen. Wie sollten sie es mit ihr aufnehmen? Sie waren nur zwei stinknormale Männer, die nicht wirklich viel zu bieten hatten.
Hammond saß ruhig da und warf noch einmal einen Blick auf die Zeitungsberichte. »Das sind denkbar schlechte Nachrichten. Miss Compton scheint stärker zu sein, als ich angenommen hatte.« »Ach wirklich Norman?«, raunte Brown. »Dieses Mädchen kann alles, was sie malt, und ich meine alles, zum Leben erwecken. Wie sollen wir uns dagegen zur Wehr setzen? Es ist ein Wunder, dass wir beide überhaupt noch unseren Kopf auf den Schultern tragen. Ganz zu schweigen davon, dass die Kleine mit ihrem Feldzug sicher noch nicht fertig
ist.« »Ethan nickte zustimmend. »Sie sinnt auf Rache. Das ist eindeutig. Die drei Schüler und ihre Eltern waren erst der Anfang. Sie wird weitermachen, bis all ihre Peiniger aus dem Weg geräumt sind.« Norman sah ihn über seine Brille hinweg an. »Das müssen wir unter allen Umständen verhindern. Ich werde ein Team zusammenstellen, dass sie unterstützt. Finden sie das Mädchen und bringen Sie sie her.« »Und was dann? Was wenn sie hier ist?« Der Anstaltsleiter senkte den Blick. »Wir werden versuchen ihr zu helfen.
Schon jetzt denke ich, dass sie definitiv in die D-Kategorie gehört. Wir müssen ihre Kräfte mit Essentia unterdrücken. Vielleicht, so Gott will, kann man sie wieder heilen, so dass sie den Schreckenk, der ihr wiederfahren ist vergisst. Das müssen wir einfach hoffen.« »Und wenn nicht?« »Dann bleibt wohl nur eines. Dann werden wir die Kammer nutzen müssen.« Frederik lächelte müde und zog an seiner Zigarette. »Dafür müssen wir das Mädchen erst einmal haben. Das ist mir zu viel Spekulation. Was bringt ein Team gegen eine solche Macht? Das sind nur noch
mehr kopflose Leichen. Ich werde niemanden, wie die Lämmer zur Schlachtbank führen Norman. Das ist zu groß für uns. Das hättest du wissen müssen. Das ist mit einem Viktor Waslow nicht vergleichbar. Sie ist viel mächtiger, wenn sie erst lernt ihre Fähigkeiten richtig zu nutzen. Dann gibt es niemanden, der es mit ihr aufnehmen kann.«
Fortsetzung folgt