»Und Lou? Bist du jetzt dabei oder nicht?« Er kratzte sich an seinem fülligen Hinterteil und zog die Mutter mit dem Schraubenschlüssel fest. Mit einem Tuch wischte er sich den Schweiß von der Glatze. Der Mechaniker hasste es, früh am Morgen in der Kammer zu arbeiten. Vor allem verstand er den Sinn dahinter nicht. Dieser Ort diente nur dazu, um das Gedächtnis von Patienten zu formatieren. Dumm nur, dass die Zwillinge nicht mehr hier waren, um sie mit Energie zu speisen. So warf Lou einen Blick auf seinen hageren Kollegen:
Joe war Mitte 60, dünn wie eine Lauchstange und hustete ständig. Der Alte machte es sicher nicht mehr lange. Sie arbeiteten jetzt beinahe 20 Jahre hier zusammen. Das wirklich Spannende in letzter Zeit war der Ausbruch der Insassen gewesen. Sonst, war der Ablauf eher öde. »Ich muss noch Geschenke besorgen. Wer hätte gedacht, dass die Tage so schnell vergehen? In einer Woche ist schon Heiligabend.« Der andere legte den Kopf schief und zündete sich einen Zigarillo an. Seine Hände waren vom Rauchen bereits gelb verfärbt und er stank nach Nikotin. Der lange graue Bart war verfilzt.
»Mensch, Mensch, Mensch. Mach dich doch nicht verrückt. Besorg deiner Frau n paar Blumen. Das hilft immer. Ich versteh sowieso nicht, warum die Leute darum immer so einen Aufriss machen. Das Ganze ist doch sowieso nur ein Mittel der Großfirmen, um Geld einzuheimsen.« Da konnte Lou nicht zustimmen. Er stand auf und schritt zur Zelle im Zentrum des Raumes. Es war eine Art Scheibe, auf der die Patienten festgeschnallt wurden. Kabel und Elektroden führten von hier aus in alle Ecken und auch unter den Raum. »Pass du mal lieber auf, dass dich nicht
drei Geister besuchen mein Freund. Du bist viel zu verkniffen bei der Geschichte. Nur weil du keine Angehörigen Hast, denen du etwas schenken musst.« Der alte Mann paffte an seinem Zigarillo und fuhr sich mit der Hand durch das lange Haar. »Das würde ich auch so nicht machen. Aber wie gesagt: Ist dein Geld.« Der Dicke nickte und prüfte die Verbindungen des Kerns. Einen Moment flackerte das Licht im Raum. Er seufzte. Die Technik hier war wirklich veraltet. Ständig stimmte was nicht. In den letzten Tagen sowieso nicht.So legte er seinen Schraubenschlüssel
beiseite und wandte sich wieder seinem Mitarbeiter zu. »Scheint als spinnt da unten wieder ne Sicherung rum. Ich seh mir das mal an. Sieh du hier solange nach dem Rechten. Und schmeiß den Stummel nicht wieder in die Filteranlage. Das gibt jedes mal ne Riesensauerei.« »Jaja!« Die Hauptversorgung lag unterhalb der Kammer. Hier war es feucht und roch muffig. Die Rohre waren alt und zogen sich wie Schlangen die Wände entlang. Auf dem Boden hatten sich Pfützen gebildet. Das Licht war hier nur noch an ein paar Stellen vorhanden. Ständig
flackerte es auf. Das zwischen aus den Rohren ließ den Mechaniker aufschrecken. Er hasste sowas. Allerdings gehörte das nun Mal zum Job. Also, schnell rein, die Stromversorgung prüfen und dann wieder rauf. Hoffentlich stellte Joe nichts an. Wobei, wahrscheinlich nutzte er die Zeit, um zu schlafen. Noch so eine Alterserscheinung. Lou musste bei dem Gedanken daran grinsen. Er stieg die Stufen ins Untergeschoss hinab. Irgendwo piepte eine Ratte. Garstige Biester. In den letzten drei Wochen hatten sie vier Mal den Kammerjäger gerufen. Hier traute sich nur niemand mehr runter und so langsam wusste er
warum. Er hasste die Kellerräume. Das hatte immer sowas von einem Gruselfilm. »Für sowas bekomm ich wirklich zu wenig Geld«, murmelte er in sich hinein und bog um die nächste Ecke. Von irgendwoher tropfte Wasser auf dem Boden. Die alten Wände waren undicht, so dass der Wind einen Weg ins Innere fand. Ein grausiges Geräusch, das ihm durch Mark und Bein ging. An einer Kreuzung blieb er stehen. Der Strom fiel aus. Super. Er griff zu seinem Funkgerät, dass er am Gürtel trug. »Joe! Komm mal runter hier. Und bring ne Taschenlampe mit. Die Lampen
spielen wieder verrückt.« »Pisst sich da jemand in die Hosen?«, kam es schnippisch über die Leitung. Der Mechaniker verzog das Gesicht. »Sehr witzig. Jetzt komm.« »Bin schon unterwegs.« Lou seufzte und wischte sich über die Stirn. Er musste unbedingt mal mit Heidenreich darüber reden, mehr Geld in die Instandhaltung dieser Korridore zu stecken. Da konnte auch gleich um eine Gehaltserhöhung bitten. Langsam bahnte er sich den Weg nach vorne. Die Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Mit den Händen tastete er die Wand entlang. Das hier unten war wirklich ein Labyrinth. Eine Karte
brauchte er trotzdem nicht. Er war oft genug in den Katakomben, um zu wissen, welchen Weg er einschlagen musste. Der Hauptkern war nicht mehr weit weg. »Hey Lou. Wo bist du? Ich seh hier unten n Scheiß!« »Dann mach die Taschenlampe an.« Dieser alte Sack war wirklich nicht mehr zu fassen! Ständig konnte er nur rummosern. Zum Glück stand bei dem bald die Rente an. Lou musste leider noch ein paar Jahre warten, aber er freute sich schon sehr darauf, denn so konnte er den Lebensabend mit seiner Frau verbringen. Joe war soweit er wusste allein. Seine Lebensgefährtin war
schon 10 Jahre tot. Danach hatte er nicht noch einmal geheiratet. Er fühlte sich zu alt dafür. »Bin jetzt im Hauptkorridor. Wo bist du denn?« »Gleich am Kern. Wir treffen uns dann da.« Es rauschte auf der anderen Seite. Perplex starrte der Dicke auf das Funkgerät. »Joe?« Keine Antwort. Er schlug ein paar Mal mit der Hand auf das Gerät. Nichts tat sich. »Schöne Scheiße! In dem Laden funktioniert überhaupt nichts!« Er ging weiter. Inzwischen war es
komplett dunkel um ihn herum. Man konnte die bloße Hand vor Augen kaum sehen. Lou hielt inne. Er spitzte die Ohren. Jemand sang. Was war das denn? War noch jemand hier unten? »Hallo?!« Die Antwort war schweigen. Er ballte die Hand zur Faust. »Joe! Wenn du dir hier nen Scherz erlaubst, dann gibst was auf die Fresse! Das ist nicht lustig!« Wieder nichts. Er ging weiter. Das Lied summte in seinen Ohren. ›London Bridge is Fallling Down.‹ Es war eine kindliche Stimme. Ihm wurde langsam mulmig. »Ist da jemand? Hier unten ist der
Aufenthalt verboten!« Jetzt lachte irgendwo ein Kind. Toll. Wahrscheinlich war irgendwo ein Riss in der Wand und sie waren dadurch reingekommen. Er hatte keine Lust sich jetzt noch mit irgendwelchen Bälgern herum zuschlagen. Der Gesang wurde lauter. Hinter seinem Rücken, nahm der Mechaniker eine Bewegung war. Als er sich umwandte, war jedoch niemand da. »Joe? Hör auf mit dem Scheiß!« Er wandte sich wieder um - und blickte direkt in das Antlitz zweiter Kinder, die ihm gegenüber standen. Im Dunkeln konnte er sie nicht richtig erkennen. Sie trugen alte abgetragene Kleidung. Er fasste sich und sah streng in ihre
Richtung. »Kinder, ihr dürft nicht hier unten sein! Kommt. Ich bringe euch nach oben!« Einer der beiden kicherte nur. Dann beide, während sie ihn mit ihren düsteren Augen ansahen. »Ethan!« Die Blondine kam über den Korridor hinweg auf ihn zugerannt und sprang dem Arzt mit voller Wucht in die Arme. Es riss ihn von den Füßen. Ein Lächeln glitt ihm über die Gesichtszüge, während er ihr durch das Haar strich. Dwight stand neben ihm und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ist ja gut Kata. Ich hab dich auch
vermisst.« Die 16-Jährige hob den Kopf. Tränen standen ihr in den Augen. Die Zeit im D-Trakt hatte spuren hinterlassen. Sie war mager und ihre Augen unterlaufen. Dennoch war sie noch immer das lebhafte Mädchen. »Nicht mehr allein lassen!« Er schüttelte den Kopf und rappelte sich auf. Dann half er ihr auf die Füße. »Nein Kata. Ich lass dich nicht mehr allein!« Damit glitt ihre Aufmerksamkeit zu Hickins. Sie begrüßte ihn mit einer stürmischen Umarmung. »Der braune Mann!« Es hatte noch etwas gedauert, bis die
letzten Formalitäten erledigt waren. Nun war Katherina wieder im A-Trakt untergebracht. Die anderen Patienten beobachteten die Situation. Ein paar lächelten sogar. Die Blondine griff sogleich nach einem Kugelschreiber in Dwights Hemdtasche und malte sich eine Eiswaffel. Im D-Trakt hatte man ihr sämtliche Stifte verboten. »Eis!« Sie reichte dem Afroamerikaner eine Waffel, bevor sie sich selbst eine herzauberte. Sie schien wirklich ganz die Alte. Er war froh, dass Heidenreich eingelenkt hatte. Dort unten versauerte sie nur. Jetzt konnte er sich wieder
ausgiebig auf ihre Therapie konzentrieren. Vielleicht konnte er sie mit Miss Wood zusammenlegen. Das würde Michaela sicher gut tun, auch wenn sie vom Alter 10 Jahre auseinanderlagen. »Also Kata. Wie gehst dir?« Sie lächelte über beide Ohren. Innerhalb der letzten fünf Sekunden hatte sie es geschafft, sich das Gesicht mit Schokoladeneis vollzuschmieren. »Kata ist müde und hat Hunger. D-Trakt böse! Gruselig!« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte, ehe er sich eine Malboro anzündete. Sie hustete und schlug sich den Qualm weg, bevor sie ihn tadelnd
ansah. »Rauchen ist böse!« Sie versuchte ihm die Zigarette mit ihren Fingern zu entreißen. Er hob sie einfach ein wenig in die Höhe, so dass sie den Glimmstängel nicht erreichen konnte. Dwight nahm dem Mädchen den Kugelschreiber wieder ab und verstaute diesen in seiner Tasche. »Hör auf das Mädchen Ethan. Sie weiß genau, was gut für einen ist.« Damit schleckte er wieder an seiner Eiswaffel. Der Arzt legte die Hände an die Hüften und schüttelte den Kopf. Um sie herum waren ein paar der Patienten damit beschäftigt den Trakt weihnachtlich zu schmücken. Auch eine
Therapiemethode. Es half den Kontakt zur Außenwelt nicht gänzlich zu verlieren. Unter ihnen war auch Karl Collins, der Opernsänger, den sie zu Beginn ihres Auftrags gefangen hatten. Ihm half Michaela. Sie wirkte noch ein wenig schüchtern, aber so langsam schien sie sich hier einzuleben. »Rausgehen?«, war die erste Frage der 16-Jährigen, wobei sie die beiden mit großen Augen ansah. Das war gut nachzuvollziehen. Er konnte sich gar nicht ausmalen, wie es für sie wohl im D-Trakt gewesen sein musste. Er würde allerdings auch nicht danach fragen, wenn sie es nicht von sich aus erzählte. Es war besser, wenn man solche
Erfahrungen nicht wachrüttelte. »Bald Kleines. Erst mal wollen wir doch, dass du wieder auf dein Zimmer kommst oder?« Sie nickte heftig und strahlte über beide Wangen hinweg. Sofort nahm sie beide an der Hand und führte sie den Flur entlang. Den Weg kannte sie noch im Schlaf und sogleich standen sie vor der Tür, die mit Blumen verziert war. Ethan hatte verboten, dass sie entfernt waren. Er war überrascht, dass nach seinem Rauswurf sich noch jemand daran hielt. Allerdings war es so besser für Katherina. Vorsichtig öffnete sie die Tür und trat ein. Die Vorhänge waren zugezogen. Es war kalt. Die Betten
waren frisch bezogen. Auch hier waren die Malereien nicht entfernt worden. Die 16-Jährige hielt inne. »Zu Hause«, flötete sie und trat langsam ein. Der Arzt sah ihr nach. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er Dwight damals das Zimmer gezeigt hatte. Der 32-Jährige erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen. Bis auf ein paar Reinlichkeitsarbeiten war nichts verändert worden. Die Blondine setzte sich auf ihr Bett und vertilgte den Rest vom Eis. Etwas trauriges lag in ihren Augen. Behutsam legte er ihr eine Hand auf die Schulter. »Was ist los Kata?« Ihre blauen Augen suchten seinen
Blick. »Kata hat euch vermisst.« Damit kullerten einzelne Tränen über ihre Wangen. Auch Dwight schien ein wenig befangen von der Situation, denn er vergrub das Gesicht in der Hand. Ethan sah zu ihm und zog an seiner Zigarette. »Weinst du Dwight?« Er schüttelte den Kopf. »Ach was. Mir ist nur n bisschen Zigarettenqualm in die Augen gekommen!« Ethan lächelte und warf einen Blick zum Fenster. Er erbleichte und wandte sich um. Einen Moment sah es so aus, als hätte noch jemand im Raum
gestanden. Da war aber niemand. Fragend musterte sein Partner ihn. »Was ist los Ethan?« Der Arzt schüttelte den Kopf und fuhr sich durch das schwarze Haar. »Ach, nichts. Mein Verstand hat mir wohl einen Streich gespielt.« Es war beinahe so, als hätte er die Zwillinge gesehen, aber das konnte nicht sein. Wahrscheinlicher war es, dass er einfach nur übermüdet war. Er war ja auch schon 6 Stunden hier. Seit er wieder angefangen hatte in Willow Creek zu arbeiten, war nicht mehr viel mit Schlafen. Auch zu Hause war er weniger. Auf einer Seite freute sich Carrie natürlich für ihn, dass er seinen
Job wieder hatte, aber es lief nicht mehr so harmonisch wie vorher. Irgendwie schien sie ihm das auch übel zu nehmen. Er hoffte, dass die Weihnachtstage die Wogen wieder glätten konnten. Die Tür öffnete sich. Peterson betrat den Raum. Dicht gefolgt von Foster. »Hier seid ihr ja. Ich hab schon überall nach euch gesucht.« Die Agentin winkte Katherina zu, aber die drehte den Kopf weg und verschränkte die Arme vor der Brust. Dirk grinste. »Da scheint dich jemand nicht gut leiden zu können.« Er ging auf die 16-Jährige zu und kniete sich vor ihr auf den Boden. Aus seiner
Hemdtasche holte er einen Schokoriegel hervor, den er dem Mädchen reichte. »Hier. Das ist für dich. Ich bin Dirk. Und wie heißt du?« »Kata!«, flötete sie und nahm die Süßigkeit lächelnd an. Damit hatte der Agent das Eis gebrochen. Eileen sah das nur kopfschüttelnd mit an. »Immerhin muss ich die Leute nicht bestechen, damit sie mich mögen. Rain. Heidenreich will uns sehen. Dringen hat sie gesagt!« Er nickte und seufzte. Dann schritt er langsam in Richtung Tür. Sofort stand Katherina auf. »Mitkommen?« Alle Blicke gingen in ihre Richtung. Sie
sah Ethan mit ihren großen Rehaugen an. Er nickte. Foster schüttelte den Kopf. »Was? Sie kann nicht mitkommen! Das ist eine wichtige Besprechung!« »Katherina hat den geistigen Verstand einer 5-Jährigen. Sie hat keine Ahnung, wovon wir eigentlich sprechen Foster. Also keine Sorge.« Murrend verließ die junge Frau den Raum. Die Blondine sah ihr nach und streckte die Zunge heraus. »Hexe!« »Wir haben ein Problem«, erklärte Heidenreich zehn Muten später in ihrem Büro. Ethan saß zusammen mit Katherina
vor dem Schreibtisch. Die Anderen mussten stehen, weil es nicht genug Platz gab. Zwar hatte die Anstaltsleiterin die 16-Jährige kritisch beäugt, als sie eingetreten war, aber das kümmerte den Arzt nicht. Sie war ein Mitglied der Gruppe und dieser Umstand änderte sich nicht, nur weil sie ein paar Monate ausgefallen war. »Zwei Handwerker sind vorhin in den Korridoren unter der Kammer gefunden worden. Keiner von ihnen war in der Lage zu sprechen, oder die Situation zu erklären. Sie waren vollkommen verstört. Dort unten spielt der Strom zur Zeit verrückt. Auch andere Mitarbeiter haben sich über seltsame
Ereignisse beschwert.« Ethan hob fragend die Braue und lehnte sich nach vorne. »Wer? Und was für Ereignisse?« Die alte Frau zog an ihrer Zigarette. Ihr Pudel stand neben ihr und ließ sich von ihr streicheln. »Joe Hawkins und Lou Tillman. Die anderen aus der Kammer erzählten nur, dass Lou in den Keller gegangen ist, um eine Störung zu überprüfen. Joe ist ihm später gefolgt. Als man dann nachsah, hat man sie in diesem Zustand gefunden. Ansonsten erzählen die Leute, dass sie angeblich zwei Kinder dort unten gesehen hätten.« Ihm stockte der Atem. Er nahm seine
Brille ab und fuhr sich mit der Hand durch sein Gesicht. Skeptisch sah seine Chefin ihn an. »Gibt es da etwas, das sie mir vielleicht sagen möchten?« »Die Zwillinge. Ich hab sie auch gesehen. Vorhin in Katherinas Zimmer!« Heidenreich wirkte alarmiert. Die Anderen tauschten nervöse Blicke aus. »Die beiden? Das ist unmöglich! Wie sollten sie bitte auf das Gelände kommen?« Ethan hob die Hände, um sie zum Schweigen zu bringen. »So dürfen sie das nicht verstehen. Es war schon immer so, dass die Kraft der Zwillinge die Kammer gespeist hat.
Durch ihre Kräfte war es uns möglich, das Gedächtnis der Patienten zu verändern. Nach ihrer Flucht funktionierte alles noch, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis es dazu kommt. Wissen sie. Unter der Kammer befindet sich der Hauptkern. Essentia. Ich hab auch nie wirklich gewusst, wie er funktioniert, aber ich glaube, sie haben ihn in eine Art Gleichgewicht gehalten. Ihre ganze Kraft fließt durch diesen Kern. Bei einer Störung tritt Energie aus. In diesem Fall die Kraft der Zwillinge.« Roberta schloss die Augen. Sie wirkte überhaupt nicht erfreut über diese Informationen. Foster trat einen Schritt
nach vorne. »Wer sind diese Zwillinge eigentlich?« Rain warf ihr einen Blick zu. »Lesen sie eigentlich die Patientenakten Foster, oder gehen sie einfach nur auf die Jagd?« Die Frau sah ihn angesäuert an und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Der Arzt zündete sich eine Zigarette an und runzelte die Stirn. »Wie dem auch sei: Beide sind Patienten der D-Kategorie. Lucas und Rebecca Adams. Sie sind hier, seitdem sie Babys waren. Davor lebten sie mit ihren Eltern in Tilbury. Allerdings waren ihre Fähigkeiten schon damals so weit ausgeprägt, dass sie die Persönlichkeit
eines ganzen Blocks verändern konnten. Daher hielt Hammond es für besser, sie in seine Obhut zu nehmen. Beide sind jetzt 13 Jahre alt. Rebecca kann das Gedächtnis einer Person löschen. Teile einfach herausnehmen, wie aus einem Puzzle. Lucas kann neue Dinge hinzufügen, die eigentlich nie passiert sind, aber dem Betroffenen genau so vorkommen. Kombiniert haben wir die Fähigkeit für die Kammer benutzt. Allerdings war es immer ein Risiko mit ihnen zu arbeiten. Mithilfe von Essentia waren wir in der Lage ihnen die Fähigkeiten zu entziehen. Sie quasi auf Eis zu legen.« »Essentia kann einem Patienten die Kraft
entziehen?«, fragte Dwight verwundert. »Ja, aber sie nicht vollständig auflösen. Als sie ausgebrochen sind, waren sie noch keine wirkliche Gefahr. Mittlerweile befürchte ich allerdings, dass sie wieder ihr volles Potenzial ausschöpfen können.« Heidenreich nickte und ließ sich auf ihrem Stuhl nieder. »Das weiß ich. Deshalb war es eigentlich immer höchste Priorität, dass die beiden früh gefangen werden. Allerdings scheinen sie, wie vom Erdboden verschluckt.« Ethan zog an seiner Zigarette. »Das letzte mal habe ich sie in Detroit gesehen. Das war, nachdem wir Collins
gefasst hatten. Es ist wahrscheinlich, dass sie andere Patienten gefunden haben. Ich war schon damals von der Vermutung bestärkt, dass die Patienten untereinander spüren können und deshalb einander suchen.« »Und wie hilft uns das bei unserem Problem?«, wollte Foster wissen. »Wenn ihre Energie austritt, dann ist die ganze Anstalt gefährdet. Kann man Essentia nicht abschalten?« Rain schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht. Es ist keine Maschine, die einen Ausschalter besitzt. Selbst Hammond konnte mir nie wirklich sagen, wie der Kern funktioniert. Es muss etwas ins Ungleichgewicht geraten
sein. Diese Schwankungen, die Lou untersucht hat, könnten der Auslöser gewesen sein. Das bedeutet, etwas stimmt mit der Stromversorgung nicht.« »Klasse, dann rufen wir doch den Elektriker«, scherzte Peterson und grinste dabei. Heidenreich warf ihm einen bösen Blick zu. »Also stellen wir die Versorgung wieder her.« »So einfach ist das nicht. Das System ist wie die Wurzel eines Baumes. Man müsste einen gezielten Energiestoß auslösen, der die Linien wieder in die richtige Richtung lenkt. Mir fällt in diesem Fall nur ein Mensch ein, der uns wirklich helfen
kann.« Er machte eine Pause, in der die Anderen ihn abwartend anblickten. »Norman Hammond.« Hammond brauchte beinahe zwei Stunden, ehe er endlich in der Anstalt angekommen war. Seit seinem Rücktritt hatte Ethan ihn nicht mehr gesehen. Er wirkte gesünder. Der Ruhestand stand ihm gut und hatte für Fülle gesorgt. Er trug einen einfachen Mantel sowie eine Melone. Komplett in Schwarz. Katherina war die Erste die aufstand, und den alten Mann umarmte. Er lächelte matt und setzte seinen Hut ab, bevor er ihr mit den Fingern über die Wange
strich. »Hallo Katherina. Es ist schön, dich wiederzusehen. Wie geht es dir?« »Katha Okay!« Nicht jeder empfing ihn so herzlich. Heidenreich war mit ihren Formularen beschäftigt. Er hingegen reichte ihr sofort die Hand zur Begrüßung. Sie sah auf und nahm sie an. »Roberta. Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Es klang am Telefon sehr dringend.« Die alte Frau nickte und erhob sich von ihrem Stuhl. Dabei streichelte sie ihren Pudel, der Hammond böse anknurrte. Der bebrillte ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen. Er war ruhig. Wie
früher. Ethan sah ihn genauer an. Etwas an seinem Ausdruck hatte sich verändert. Er versteckte es gut. Noch konnte der Arzt nicht deuten, was mit dem alten Mann los war, aber ein ruhiges Gespräch würde sicher etwas Licht in die Sache bringen. »Das ist es Norman. Essentia spielt verrückt. Die Versorgung der Kammer schwankt stark und wie es scheint sind dabei Kräfte der Zwillinge freigesetzt worden. Ein paar unserer Mitarbeiter sind bereits Opfer davon geworden. Wir haben sie ins Krankenhaus bringen lassen. Allerdings wissen wir nicht ob und wann sie wieder genesen. Mr. Rain war so freundlich uns über alles was er
weis in Kenntnis zu setzen. Es war sein Anraten, dass uns dazu brachte, sie zu kontaktieren.« Der alte Mann sah zu Ethan und nickte. Dann schritt er zu Hickins und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es freut mich sehr zu sehen, dass sie immer noch hier arbeiten. Es ist immer schwer gute Menschen zu finden.« Er wandte sich zu den Anderen. »Das gilt auch für sie Eileen. Und das wird wohl ein Neuer sein!«, schloss er mit prüfendem Blick auf Peterson ab. Auch der nickte und schüttelte ihm die Hand. »Es freut mich, sie kennen zu lernen. Ich habe bereits eine Menge von ihnen
gehört Mr. Hammond.« Ethan stand auf und bot dem Neuankömmling seinen Stuhl an. Dieser ließ sich nieder und hielt einen Augenblick Inne, um die Situation auf sich wirken zu lassen. »Nun. Ich habe befürchtet, dass so etwas irgendwann passiert. Essentia ist schwer zu verstehen. Ursprünglich dachten wir, wir könnten die Kräfte der Patienten dauerhaft ausschalten, aber es kompensiert sie nur. Deshalb haben wir die Kraft der Zwillinge für die Kammer benutzt und sie blockiert. Das war möglich. Jedoch funktioniert das nur, solange sich jemand direkt dem Kern aussetzt. Die anderen Trakte sind nicht
betroffen. Bei ihnen hatten wir stets die Hoffnung die Insassen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Nur D-Patienten wurden dem Einfluss von Essentia ausgesetzt.« Heidenreich nickte interessiert und goss sich eine Tasse Tee ein. »Mr. Rain meinte, dass ein gezielter Energiestoß das Problem lösen könnte. Das würde alles wieder in die richtigen Bahnen lenken.« Hammond schüttelte den Kopf und setzte seine Brille ab. Dann kratzte er sich an der Nase und sah sie an. »Für den Augenblick. Auf Dauer wird das jedoch nicht helfen. Die Kraft der Zwillinge ist überhaupt der Grund,
warum die Kammer und der Kern funktionieren. Ihnen mag das vielleicht nicht gefallen, aber ohne die beiden werden in Willow Creek bald die Lichter ausgehen. Für immer.« Es wurde still im Raum. Alle Blicke waren auf den alten Mann gerichtet. Selbst Ethan wusste nicht, dass die Situation so ernst ist. Es gab wohl eine Menge, dass sein alter Mentor ihm über die Jahre verschwiegen hatte. Die Lage war denkbar kritisch nicht nur dass die Maschine verrückt spielte. Nein. Sie brauchten auch noch die Zwillinge, um sie wieder zum Laufen zu bringen. »Dann wird von jetzt an oberste Priorität
sein Rebecca und Lucas Adams zu finden. Rain sagte er habe sie zuletzt nach einem Fall in der Stadt gesehen. Gibt es sonst irgendwelche Anhaltspunkte?« Schweigen war die Antwort. »Das dachte ich mir. Haben sie irgendwelche Vorlieben? Etwas, das sie anzieht?« »Ich kann mir eigentlich nur vorstellen, dass sie sich andere Patienten gesucht haben. Sie wollten auch zu Collins, bevor wir ihn einfangen konnten«, erklärte Ethan. Das sorgte nicht gerade für Hochstimmung. Dirk grinste. »Also gehen wir davon aus, dass wir nicht nur sie, sondern auch den
schlimmsten Haufen von Patienten finden, wenn wir nach ihnen suchen. Ich habe schon ein paar Akten gelesen. Klingt ja nicht gerade rosig. Dieser Wilkins und dann noch der Russe. Wasilli?« »Waslow«, berichtigte Hammond. »Rain hat Wilkins zuletzt mit Mr. Lambert angetroffen. Laut seiner Aussage ist Albert noch mächtiger geworden. Wir wissen auch nicht, wofür er den Jungen benutzt. Allerdings hat er die Fähigkeit des Knaben stark gefördert. Zum Beispiel können seine Toten jetzt auch Leute verletzen. Das Ganze ist wie ein Pulverfass und ich weiß nicht, wann es
hochgeht.« Heidenreich sprach mit ernster Stimme und nippte an ihrer Tasse. Hammond sah sie kurz an. »Wilkins ist von Hass zerfressen. Er macht mich für den Tod seiner Frau verantwortlich. Das hat er beim letzten Mal nur allzu deutlich gemacht. Ihm ist nicht einfach beizukommen. Seine Kräfte liegen nicht umsonst in der D-Kategorie! Und bei den Zwillingen ist es sogar noch mal schwieriger. Sie sind viel stärker als Wilkins.« Wieder meldete sich Peterson. »Wenn ich mal stören darf: Haben wir nicht auch einen D-Patienten?« Er deutete auf Katherina, die ihn fragend
ansah. »Helfen?« »Nun, zugegeben. Sie hat einen Maulkorb bekommen, aber ihre Kräfte sind doch immer noch dieselben. Außerdem haben sie doch auch noch andere Patienten mit besonderen Fähigkeiten.« Ethan musterte ihn skeptisch. Dieser Gedankengang gefiel ihm nicht. Der Arzt schritt etwas näher an den anderen heran, der sich am Hinterkopf kratzte.Der 32-Jährige schüttelte nur den Kopf und blickte den Anderen durch seine Brille an. »Und ich dachte, sie besäßen etwas mehr Ethik unter ihrem braunen Schopf.
Das sind Menschen, die unsere Hilfe brauchen und keine Kampfhunde, die wir für uns trainieren.« Dirk sah ihn schuldig an. Ethan selbst wollte ihn nicht anfahren. Peterson wusste es nicht besser. Er war auch noch nicht so lange hier. Dennoch hatte diese Idee etwas in dem Arzt ausgelöst. »So hab ich das nicht gemeint. Entschuldige Ethan. Ich bin wahrscheinlich auch noch nicht lange genug hier, um mir ein Urteil zu erlauben.« Nun war es Foster, die einschritt und ihre Hände auf die Lehne von Katherinas Stuhl legte. Sie nickte bestätigend, doch der 32-Jährige wusste, dass er mit
Sicherheit nicht gemeint war. »Peterson hat durchaus Recht, wobei Miss Compton nicht meine erste Wahl wäre. Sie mag spezielle Fähigkeiten besitzen, aber mit ihrem geistigen Verstand nützt uns das nichts.« Sie begann im Raum auf und ab zu schreiten, wobei Katherina ihr die Zunge hinter dem Rücken herausstreckte. Das Mädchen konnte die junge Frau wirklich nicht leiden. Noch ein Sympathiepunkt für die Blondine. Dwight grinste ebenfalls und kratzte sich am Stoppelbart. Der alte Hammond legte skeptisch den Zeigefinger vor die Lippen und sah sich die Situation an. Bisher hatte er geschwiegen. Blieb
allerdings abzuwarten, ob er immer noch so ruhig war, wenn Eileen so weitermachte. »Es mag ihnen vielleicht nicht gefallen Dr. Rain, aber wir befinden uns in einer misslichen Situation. Die entflohenen Insassen-« »Patienten!« »Wie auch immer. Sie sind entkommen, weil sie selbst zu nachsichtig waren. Sie haben die Kräfte von Katherina unterschätzt und die Quittung bekommen.« Er ballte die Hand zur Faust. »Was wollen sie denn jetzt damit sagen?« »Was wohl? Miss Compton mag zwar nicht die Hellste sein. Dennoch ist sie an
der Misere überhaupt. Daher sollte sie auch einen Anteil dazu leisten, die Entflohenen wieder zurückzubringen.« Das war zu viel des Guten. Zorn flackerte in seinen Augen auf. Bestimmend setzte er auf sie zu, doch Dirk stellte sich dazwischen. Behutsam legte er ihm eine Hand auf die Schulter. »Glauben sie mir. Wegen der wollen sie keinen Ärger bekommen Doktor. Wenn sie jemanden schlagen wollen, dann mich. Ich habe die Idee überhaupt erst losgetreten. Außerdem wissen sie ja, dass Ellie schon immer gut darin war, mit dem Finger auf die Leute zu zeigen.« Entrüstet sah seine Kollegin ihn an. »Fällst du mir jetzt etwa in den
Rücken?!« »Ruhe jetzt! Und zwar alle! Benehmen sie sich Rain. Miss Foster, hören sie mit diesen Provokationen auf! Im Augenblick können wir uns das nicht erlauben! Und jetzt Schluss damit! Wir sind hier nicht im Kindergarten. Ihr Balzverhalten geht mir langsam auf die Nerven!« Heidenreichs Stimme donnerte durch das Büro. Sie fuhr sich mit der Hand durch das silbrige Haar und seufzte. Ethan wusste, dass sie sich sonst immer um ihre Souveränität bemühte. In diesem Fall allerdings war die Lage Ernst und da konnte man die Zeit nicht mit irgendwelchen Kindereien
verschwenden. »Also. Wir werden erst einmal die Lage wieder stabilisieren. Danach können wir uns immer noch um die Zwillinge kümmern. Norman. Kann Katherina mit ihren Fähigkeiten diese Schockwelle auslösen, von der wir sprachen?« Der alte Mann nickte. »Das kann sie. Sie braucht nur einen Stift. Das wissen sie doch!« Die Blondine rutschte nervös in ihrem Stuhl auf und ab. Euphorie zog sich über das ganze Gesicht. »Katha helfen!« Vorsichtig öffnete Ethan die Tür zum D-Trakt. Seit der Massenflucht diente
der Korridor hauptsächlich zur Ablage von Unterlagen. Kisten mit Akten standen in den Fluren ohne wirkliche Ordnung. Ansonsten war es ruhig. Blätter lagen auf dem Boden verstreut. Der Wind fegte durch den Gang. Heidenreich hatte das Personal aus dem Trakt evakuiert, solange die Störungen auftraten. Besonders in diesem Bereich der Anlage waren sie stark. Rain hatte Katherina an die Hand genommen, die zögernd hinter ihm herkam. »Gruselig!«, jammerte sie nur. Dwight beäugte sie mitfühlend. Neben ihm war nur noch Hammond mitgekommen. Es war besser, wenn sie nur wenige waren. Außerdem kannten
sich Foster und Peterson nicht so gut mit der ganzen Sache aus. Vor allem war die Stimmung gerade nicht sonderlich gut zwischen ihr und dem Arzt. Es war gut, wenn er ihre Visage nicht die ganze Zeit sehen musste. So schritten sie vorsichtig den Gang entlang. Ein Pappbecher lag achtlos auf dem Boden und hatte eine Pfütze Kaffee hinterlassen. Die Leute hatten reißaus genommen. Kein Wunder. »Und was machen wir, wenn die Zwillinge auftauchen? Also äh, die Geisterzwillinge meine ich. Sind sie eigentlich Geister?« Hammond schüttelte den Kopf. »Eine Kopie ihres Selbst trifft es eher Hickins.
Genau das ist unser Problem. Sie haben keinen Körper. Dennoch funktionieren ihre Kräfte. Wir können ihnen keinen Schaden zufügen. Das macht die ganze Geschichte ja so gefährlich.« Der Afroamerikaner runzelte die Stirn. »Noch so eine Sache, die nicht im Infoschreiben stand. Wie gehen wir vor?« »Wir versuchen natürlich, die Katakomben zu erreichen. Katherina muss den Schock direkt im Kern von Essentia ausführen.« Sie stiegen die Stufen hinab in den Korridor, der zur Kammer führte. Das Licht flackerte immer wieder auf. Es dauerte nicht lange, bis das Lachen von
Kindern an ihre Ohren drang. Dann folgte Gesang. Der Arzt wusste, dass sie nicht lange unbeobachtet blieben. Er warf einen Blick um die Ecke. Nichts. Die 16-Jährige hielt ihn am Arm fest. »Katha mag das Lied nicht. Es macht Katha Angst!« Er sah sie fragend an, ehe er verstand. Anscheinend war sie schon zuvor diesen Bildnissen ausgesetzt gewesen, wenn auch nicht stark. Jetzt ergaben ihre Aussagen auch einen Sinn. Vor allem war sie eigentlich noch ganz sicher. Die Zwillinge hätten keinen Nutzen darin, sie auszuschalten. Auch wenn es nur ihre Abbilder waren, so vermutete er, dass sie auch den Verstand der Kinder
besaßen. Sie erreichten die Treppe zu den Katakomben. Dort unten war es stockfinster. Er wandte sich zu Katherina und reichte ihr einen Kugelschreiber. »Malst du mir eine Taschenlampe?« Sie lächelte und sogleich war das Objekt herbeigerufen. Er leuchtete durch den Gang und schritt die Stufen hinab. Dwight und Hammond blieben dicht hinter ihm. »Sie haben also Wilkins getroffen Ethan?« Er nickte langsam. »Ja. Wissen sie. Es ist alles nicht so leicht, seitdem sie weg sind. Heidenreich
verfolgt eine etwas andere Philosophie als sie. Auch wenn sie mir Freiheiten lässt, glaube ich nicht, dass sie ohne weiteres die Kontrolle abgibt. Sie will mich im Auge behalten. Deshalb hat sie mich wohl überhaupt erst wieder eingestellt.« Überrascht sah der alte Mann ihn und fuhr sich durchs Haar. »Ich wusste gar nicht, dass man sie gefeuert hat.« »Das ist eine längere Geschichte. Irgendwann konnte ich mein Gewissen nicht mehr mit diesen Handlungsweisen vereinbaren.« »Das ist noch milde ausgedrückt, Sir. Ethan ist ein Held. Er hat Naiomi
Winchester bei sich aufgenommen und dafür gesorgt, dass sie bei ihrem Onkel in Wisconsin unterkommt, um ein eigenes Leben aufzubauen. Außerdem hat er Michaela Wood, eine neue Patientin, davon überzeugt, das wir ihr helfen können.« Zufrieden lächelte der ehemalige Anstaltsleiter. »Ich wusste, dass ich die Anstalt in ihrer Obhut lassen kann Ethan. Sie haben den wahren Sinn von Willow Creek verstanden. Nehmen sie sich ein Beispiel an diesem Mann Hickins. Sie werden nirgendwo eine freundlichere Seele finden als hier. Es ist wichtig, dass sie ihn unterstützen, auch wenn es
manchmal schwer ist. Zusammen können sie eine Menge bewirken.« Dwight nickte. Katherina mischte sich ein. »Katha auch!« »Ja, Katherina. Du auch.« Ethan blieb abrupt stehen. Die Kammer lag direkt vor ihnen. Von hier an würde es sicher nicht mehr so einfach werden. Als der Arzt weiter voranschritt, hielt die A-Patientin ihm am Arm fest und schüttelte vehement den Kopf. »Nein, nein! Katha will nicht!« Sie wirkte mit einem Mal richtig lethargisch. Energisch riss sie sich von dem 32-Jährigen los und machte ein paar Schritte rückwärts, wobei sie mit
dem Rücken gegen Dwight stieß. Ethan ging vorsichtig auf sie zu. »Schon gut Katherina. Alles ist gut.« Dwight hob fragend die Braue. »Was hat sie denn?« »Das fragst du noch? Ich habe dir doch einmal erzählt, dass Katherinas Verstand neu geformt wurde. Das war hier. Sie mag zwar jetzt vollkommen anders sein als früher, aber Erinnerungen lassen sich niemals vollständig auslöschen.« Das Mädchen kauerte an der Wand und weinte. Umsichtig kniete er sich vor ihr nieder und wischte ihr eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Keine Sorge Katha. Dir passiert nichts. Ich bin bei dir. Niemand tut dir
weh!« »Können sie ihr das denn wirklich versprechen, Doktor? Ich dachte immer, man darf nicht lügen!« Er erschauderte. Die anderen beiden Männer warfen den Blick zum Ende des Korridors. Dort stand das Mädchen mit den blonden langen Haaren und diesem düsteren Ausdruck auf dem Gesicht. Unschuldig hatte sie die Arme vor ihrer Patientenkleidung zusammengefaltet. »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Auch wenn er dann die Wahrheit spricht!« Lucas kam von der anderen Seite. Beide Zwillinge lächelten. Das war denkbar schlecht. Rebecca deutete auf den alten
Mann. »Guck mal! Guck mal Bruder. Hammond ist zum Spielen gekommen!« Der ehemalige Anstaltsleiter wandte sich ihr zu. Ethan war immer noch damit beschäftigt, Katherina zu beruhigen. Sie hatte die Augen geschlossen und schüttelte den Kopf. »Nein! Sie sollen weggehen! Ich mag sie nicht! Sie sind böse!« Dwight stand indessen vor Lucas. Ihm war die Angst ins Gesicht geschrieben. Der Junge kratzte sich an der Lippe und musterte ihn argwöhnisch. »Wer ist das denn? Ist der neu? Haben sie uns ein Spielzeug mitgebracht
Doktor?« »Ich war mal ein Spielzeug, wenn es dich interessiert«, erklärte der Student und mühte sich darum standhaft zu bleiben. »Oh. Hörst du das, Schwester? Er war mal ein Spielzeug. Geht das überhaupt?« Rebecca grinste und hüpfte ein paar Schritte auf Hammond zu. Dieser hob beschwichtigend die Hände. »Es ist genug. Es muss niemand mehr verletzt werden. Ich weiß, dass ihr das verstehen könnt. Ich weiß auch, dass es nicht immer leicht für euch war. Es war stets nur zu eurem Besten.« Jetzt lachten beide synchron. Das verlieh der Situation eine zusätzliche
gruselige Note, auf die jeder von ihnen gerne verzichten konnte. »Hast du das gehört? Er wollte uns nur helfen Bruder. Ist Hammond nicht niedlich?« Der Andere nickte. »Ja. Und weißt du was? Es macht sicher sehr viel mehr Spaß mit ihm zu spielen, als mit den anderen.« »Au ja!« Inzwischen hatte Ethan Katherina auf die Beine geholfen. Das Mädchen zitterte am ganzen Körper. In ihrer Verfassung konnte man sie wohl kaum als Hilfe bezeichnen. Dennoch blieb ihm keine Wahl. Er musste sie weiter antreiben.
»Katha. Du musst dich jetzt konzentrieren. Für mich. Mal mir etwas, okay?« Sie nickte. »Ich will dass du mir eine Falltür malst, damit wir nach unten können. Verstehst du? Wir müssen runter!« Er reichte ihr seinen Bleistift, den sie zögernd in die Finger nahm. Lucas legte den Kopf schief und hob tadelnd den Zeigefinger. »Nanana. Nicht weglaufen. Es wird doch gerade lustig. Das ist unfair. Immer wollen sie einem den Spaß verderben! Das ist nicht nett! Sie schulden uns war Doc. Immerhin haben
sie uns angelogen! Lügen ist nicht nett. Stimmts Schwester?« Rebecca nickte bestätigend. »Nein nein. Das ist es nicht.« Dwight sah fragend in seine Richtung. »Was meinen die damit Ethan?« »Nicht jetzt Diwght. Katherina! Male!« Die Blondine hockte sich auf den Boden und begann die Falltür auf den Stein zu kritzeln. Ihre Hand zitterte. Mit einem Mal stand Rebecca direkt vor ihr und schüttelte den Kopf. »Du bist ein ganz böses Mädchen!« Und damit legte sie ihr die Hand auf den Kopf. Sie schrie. Die Hand der 13-Jährigen glühte. Ethan versuchte sie wegzustoßen, doch griff er nach Luft.
Das Abbild blieb stehen und agierte weiterhin. »Scheiße Ethan! Tu was!«, raunte Dwight Die 16-Jährige hielt sich mit beiden Händen an den Kopf. »Aufhören! Bitte aufhören!« Jetzt war auch Lucas da und lächelte. Unschuldig blickte der den Arzt an. »Das wird ein ganz lustiges Spiel Doktor!« Dann legte er seine Hand ebenfalls auf ihren Kopf. Geißendes Licht ergoss sich durch den Korridor. Ethan hörte nur Katherinas Schreie. Dann wurde er wie von einer Schockwelle auf den Boden gerissen. Alles drehte sich. Mit einem
Mal herrschte Stille. Der Arzt brauchte einen Moment, ehe er wieder klar sehen konnte. Die Zwillinge waren weg. Das Licht funktionierte wieder. Dwight saß im Flur und atmete schwer. Katherina hockte einfach nur da. Hammond sah zu. »Was ist passiert?« Fragend sah der Student die beiden anderen Männer an. »Als die Zwillinge ihr volles Potenzial nutzten, muss das offensichtlich etwas in Essentia ausgelöst haben. Sie haben den Kern wieder aufgeladen!« »Heißt das, es ist vorbei?« »Für den Augenblick!« Ethan hörte ihnen gar nicht zu. Seine
Aufmerksamkeit galt voll und ganz der 16-Jährigen, die in die Leere starrte. In ihrer Hand hielt sie immer noch den Bleistift. Vorsichtig legte er ihr eine Hand auf die Schulter und sah sie väterlich an. »Katha? Hörst du mich?« Sie zitterte gar nicht mehr. Wie ein Stein saß sie einfach nur da, ehe sie den Blick zu ihm wandte und ihn musterte. Auch Hammond und Dwight nährten sich jetzt der Szene. Das schlimmste war überstanden. »Keine Angst. Alles wird wieder gut. Du bist hier in Sicherheit.« Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. »Ich schon. Du
nicht!« Der Bleistift zischte nur so durch die Luft, ehe der Arzt einen stechenden Schmerz in der Brust spürte. Er fühlte die Feuchtigkeit von Blut und presste die Hand japsend auf die Stelle. »ETHAN!« Der Afroamerikaner eilte herbei, doch wieder hob die Blondine ihren Stift, malte Ketten, die ihn an die Wand pinnten. Langsam erhob sie sich und warf den Blick auf Hammond. Mit schnellen Handbewegungen klopfte sie sich den Staub von der Kleidung. Der Arzt lag auf dem Boden. Die Verletzung war schwer. Der Schmerz bohre sich förmlich in seinen
Brustkorb. Er sah, wie Sie auf den alten Mann zuging. »Hammond. Oder soll ich Norman sagen?« Schwarze Punkte tanzten vor den Augen des 32-Jährigen auf und ab. Er kämpfte gegen die Ohnmacht. Was hatten die Zwillinge gemacht? Ihm schwante böses. Jedoch war er nicht in der Verfassung einen klaren Gedanken zu fassen. Dwight kämpfte mit den Fesseln. »Ethan! Bleib wach Ethan!« Er sah nur noch, wie Katherina auf den alten Mann zutrat und ihn mit einer Malerei fesselte. Sie wandte sich zu ihm um und lächelte.
»Wir sehen uns!«
Damit glitt er tiefer in die Schwärze hinab. Dwights Stimme immer noch in seinem Kopf hörend.
»Ethan! Du musst Wachbleiben!«
Dann umfing ihn Dunkelheit.
»ETHAN!«