»Waaaaal!«, flötete Sofia fröhlich und drückte ihre kleinen Hände gegen die Scheiben des großen Aquariums. Ethan kniete sich neben seine Tochter, während hinter ihm die anderen Besucher ihrer Wege gingen. Der Killerwal schwamm in großen Zügen durch das tiefblaue Wasser. Seitdem Heidenreich ihn gefeuert hatte, war ein Monat vergangen. Seit her hatte sich viel geändert. Er konnte mehr Zeit mit seiner Familie verbringen und hatte eine kleine Stelle als Psychologe in einer Schule angenommen. Das war eine willkommene Abwechslung im Vergleich
zur Arbeit in Willows Creek. Natürlich vermisste er Dwight. Ab und zu lud er seinen ehemaligen Kollegen zu sich ein. Über die Arbeit sprachen sie allerdings nie, denn Rain wusste um das Betriebsgeheimnis der Einrichtung. Auch heute war der schwarzhaarige Student mit von der Party und schleckte ein Eis. Der Arzt lächelte und streichelte der 5-Jährigen durch die roten Haare. Seine Frau stand daneben und beobachtete die Situation lachend. »Genau Schatz. Das ist ein Wal. Und wie machen Wale?« Die Kleine stellte sich jetzt auf und versuchte das Geräusch der Tiere zu imitieren, wobei sie sich allerdings nicht
ganz so geschickt anstellte. In der einen Hand hielt sie ihr Stofftier Dumbo, welches mal wieder eine dunklere Färbung angenommen hatte. Ethan hatte schon überlegt ihn zwischendurch ins Aquarium zu tauchen, aber Sofia ließ ihn heute nicht aus den Augen. Mittlerweile wusste sie um die Entführungen ihres kleinen Lieblings und bemerkte auch, dass er manchmal anders roch als vorher. »Sie wird noch mal eine richtige Tierexpertin«, erklärte Dwight, ehe er einen Blick in das Becken warf. Ein paar Taucher waren gerade damit beschäftigt die Tiere zu pflegen und zu füttern. Die Show hatten sie schon hinter sich
gebracht. Am faszinierendsten war natürlich der Wal Okoko. Sofia konnte gar nicht genug von dem Jungtier kriegen. Am liebsten hätte sie ihn wohl mit nach Hause genommen, sehr zu Ethans Missfallen. Erst hatte sie gequengelt, bis er es schaffte, sie mit einer Tüte Süßigkeiten abzulenken. Seit dem war das Thema einigermaßen erledigt. »Wird sich dann zeigen. Hauptsache sie wird keine Ärztin. Noch einen Kittelträger ertrage ich nicht«, scherzte Carrie, woraufhin ihr Mann den Arm um sie legte und lächelte. »Wie darf ich das denn verstehen?« »Du weißt genau, was ich meine. Bei
jedem kleinen Wehwehchen spielst du Dr. House.« Er zuckte unschuldig mit den Schultern. Das Verhältnis zu seiner Frau war ebenfalls besser geworden. Er musste jetzt keine Geheimnisse mehr vor ihr haben. Das war befreiend. Damals hatte er ihr die Dinge immer verschweigen müssen. Diese Tage waren vorbei. Natürlich hatte er manchmal ein schlechtes Gewissen. Da draußen waren noch so viele Patienten, die eigentlich Hilfe benötigten, aber auf der anderen Seite musste er auch an sich denken. Beim Letzten Mal war er einmal mehr knapp dem Tod entronnen. Das hatte ihn wachgerüttelt. Er wollte seine Familie
nicht so verlassen. Deshalb hatte er sich für das hier entschieden und er würde es für nichts in der Welt wieder eintauchen. So setzte er sich seine Tochter auf die Schultern und warf einen Blick in das Becken. Etwas war merkwürdig. Einer der Taucher wurde von einem der Tiere angestoßen. Die anderen sahen zu. Man hielt es erst nur für einen Zufall, doch als dann auch ein zweiter Wal auf ihn zuschwamm, setzte der Doktor ein alarmiertes Gesicht auf. »Da stimmt doch was nicht.« Er nahm Sofia so, dass sie nicht mehr in das Becken sehen konnte. Gerade noch rechtzeitig, denn im Wasser brach
die Hölle los, als sich drei Killerwale nun auf ein und denselben Taucher konzentrierten. Erst noch begnügten sie sich damit ihn zu stoßen und so zu verletzen, ehe er von ihnen entzweigerissen wurde. »Furchtbar. Der arme Mann«, erklärte Carrie eine Stunde später. Sie saß auf einer Bank und wirkte ziemlich zerstört. Sofia schlief neben ihr. Das ganze hatte die Kleine sehr verwirrt. Inzwischen waren auch die Gesetzeshüter eingetroffen, worunter auch ein Mann vom FBI zählte. Peterson. Mitte 40 und sehr akribisch. Nach und nach befragte er die Leute. Dwight wirkte ein wenig
unsicher über die Lage. Mit verschränkten Armen stand er einfach nur da und beobachtete, wie der Mann gerade eine junge Frau befragte. »Das ist wirklich keine tolle Art abzutreten. Als Snack bei einem Waldreier.« »Dwight! Sofia ist hier!« Der Afroamerikaner sah ihn unschuldig an und schob sich seine Hornbrille zurecht. Auch Carrie warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Tschuldige. Ich meine ja nur. Ist halt seltsam.« Ethan wusste genau worauf sein Gegenüber hinaus wollte. Er vermutete einen Patienten dahinter. Allerdings gab
es in Willow Creek niemanden mit solchen Kräften. Wahrscheinlich war es einfach nur ein Unfall. So etwas kam immer mal vor. Man konnte den Tieren eben nicht ins Gehirn gucken. »Die Leute werden sich schon darum kümmern. Carrie. Lass uns fahren. Wir haben schon alles gesagt und ich denke, dass wir alle ein bisschen Ruhe brauchen.« Sie nickte und erhob sich, während er Sofia auf den Arm nahm. Er war müde und der Tag sehr anstrengend. Jetzt freute er sich auf seine Couch und einen gemütlichen Abend mit seiner Familie. Allerdings versiegte seine Vorfreude jäh, als Eileen Foster am Ort des Geschehens
eintrat. Sofort deutete Dwight auf sie und setzte ein nichts sagendes Gesicht auf. Schnurstracks trat die junge Frau auf Hickins zu. »Wieso haben sie ihr Telefon aus? Und was machen Sie eigentlich hier Rain?« Wie immer hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt. Man konnte ihr von der Nasenspitze aus ansehen, dass sie keinen Groll über seine Kündigung hegte. Er wusste zwar nicht, wie es jetzt in der Anstalt zuging, aber sein Weggang musste auch bedeuten, dass sie mehr Einfluss hatte. Gar nicht davon anzufangen, wie Dwight wohl unter ihr litt. Man konnte es ihm anmerken. Er beäugte sie nicht gerade wohlwollend.
»Ich war mit Dwight und meiner Familie hier. Ist glaube ich nicht verboten Foster!« Sie nickte einfach nur und sah sich um. Als sie Peterson erblickte, strahlte sie plötzlich übers ganze Gesicht. »Dirk? Meine Güte! Das ist ja Monate her!« Sofort trat sie auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. Auch er schien erfreut die junge Frau wieder zu sehen. Ethan vermutete alte Kollegen. »Das kann ich nur zurückgeben. Mensch Ellie. Was machst du hier? Ich dachte du bist jetzt in so ner neuen
Einheit.« »Bin ich auch. Das hier ist mein Partner, Dwight Hickins. Also. Was genau ist hier passiert?« Damit zog sie den Afroamerikaner auch schon mit sich. Ethan winkte ihm noch zum Abschied, ehe er sich seufzend seiner Frau zuwandte. Die sah ihn einfach nur lächelnd an. Er hob fragend die Braue. »Was denn?« »Du vermisst es. Deine alte Arbeit.« Er schüttelte den Kopf. »Unsinn. Foster ist ein Drachen und dem weine ich nicht nach. Außerdem sehe ich Dwight immer noch. Also, keine Sorge. Und vor allem hat das
Ganze ja etwas positives: Ich hab mehr Zeit für euch!« Er küsste sie auf die Lippen, ehe er sich zum Gehen wandte. Noch einmal sah er zu den Dreien, die gerade berieten. Dann verließ er mit Carrie den Schauplatz. »Ich kann das immer noch nicht fassen.«, erklärte seine Frau. Ethan zog an seiner Zigarette, während sie durch einen Rundbogen schritten. Um sie herum schwammen die Fische in einem großen Tank, der von dem der Orcas abgeschottet war. Sofia hatte sich an seine Brust gekuschelt und döste vor sich hin. Er war froh, dass sie das nicht
mit ansehen musste. Es war für alle ein Schock. So hatte er sich das Ende dieses Ausflugs wohl kaum vorgestellt. Egal wo er hin ging - die Arbeit schien ihn immer zu verfolgen. »In dem Job muss man immer damit rechnen, dass mal etwas schief geht, Schatz.« Sie schüttelte den Kopf und schmiegte sich an seine Schulter. »Aber diese Art und Weise. So systematisch wie eine Hinrichtung Ethan.« Ein unwohles Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus. Stumm sah er sie an und strich ihr durch das rote Haar. Um ihn herum gab es noch andere
Leute, die von dem Unfall gehört, oder ihn direkt mitbekommen hatten. In einer Ecke stand ein Mann, der versuchte seine beiden Töchter zu beruhigen. Grausam. Besonders in so jungen Alter, konnte diese Art von Erfahrung ihre Spuren hinterlassen. Sein Blick fiel auf eine einsame Frau, die im Neoprenanzug an der Wand lehnte. Das Gesicht wahr in der Hand verborgen. »Willst du vielleicht mit ihr reden?« Perplex sah er zu Carrie. »Was? Wieso?« Sie nahm Sofia aus seinem Arm. »Naja. Du bist Psychiater. Diese Frau sieht aus, als könne sie jetzt jemanden zum Reden
brauchen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein nein. Wichtig ist, dass ihr jetzt nach Hause kommt.« »Ethan. Ist schon okay. Ich bringe Sofia nach Hause und koche uns was. Wir laufen dir nicht weg.« Er überlegte. Eigentlich war es nicht seine Aufgabe, aber wenn er ehrlich war, schlummerte die Neugierde in ihm. So verabschiedete er sich von seiner Familie und ging langsam auf die fremde zu. Ihr nasses Haar glänzte im Licht der Sonne, das durch die Dachfenster hineinschien. Die Arme hatte sie um den Oberkörper geschlungen. Der Arzt griff in seine Tasche und holte seine
Schachtel Zigaretten hervor, von denen er ihr eine reichte. Einen Moment sah sie ihn an, ehe sie dankend nickte. Er zündete ihr an und stellte sich neben sie. »Danke. Die kann ich jetzt gut gebrauchen«, erklärte sie mit brüchiger Stimme. Ihre Augen waren rot unterlaufen. Die Wangen glänzten noch vom Weinen. Sie hustete. »Sie rauchen nicht sooft oder?« Ein Kopfschütteln war die Antwort. »Nein. Eigentlich gar nicht. Gerade schien es irgendwie richtig zu sein.« Sie drehte sich zu ihm. »Michaela.«, stellte sie sich vor und wischte sich durch die glatten
Gesichtszüge. Die grauen Augen wirkten ein wenig verloren. Der Arzt schüttelte ihr die Hand und zog noch einmal an seinem Glimmstängel, ehe er diesen auf dem Boden ausdrückte. »Ethan. Das muss schrecklich sein. Ich habe alles mit angesehen. Sie waren im Aquarium, nicht wahr?« Sie nickte. Damit brachen die Tränen erneut aus ihr heraus. Das ganze bestürzte sie sehr. Mitfühlend legte er ihr die Hand auf die Schulter und reichte ihr ein Taschentuch. Innerlich seufzte er. »Ich habe erst gar nicht gemerkt, was eigentlich los war. Da war es schon zu spät und sie griffen Ryan an. Ich konnte
gar nichts tun. Ich dachte, ich wäre die Nächste.« »Ryan war ein guter Freund, nicht wahr?« Sie bestätigte knapp und presste die Lippen aneinander. Er fuhr sich durch die rabenschwarzen Haare. Er war immer froh, dass es in seinem Beruf nie einen seiner liebsten getroffen hatte. Der Gedanke für ihn war unvorstellbar und absurd. Michaela war gebrochen. Das sah man ihr an. Dennoch mühte sie sich um Fassung. »Ich hab davor noch mit ihm gesprochen. Alles war wie immer. Tumak, Sheila und Okoko. Sie waren nie aggressiv. Ryan hat schon zehn Jahre
mit den Tieren gearbeitet. Für sie war er wie ein Familienmitglied.« Verständnislos starrte sie ins Leere. Er schloss die Augen. Kein Wunder, dass sie so fertig war. So etwas war für niemanden einfach. »Sind die Tiere heute Morgen irgendwie unruhig gewesen? Haben sie sich anders verhalten als sonst?« Die junge Frau schüttelte den Kopf und sah ihn hilfesuchend an. »Nein. Nein sie waren wie immer. Vor der Show ist Ryan sogar noch mit ihnen geschwommen. Er konnte seinen Kopf in ihr Maul legen, ohne dass etwas passierte. Das war blindes Vertrauen. Ich, ich kann mir das einfach nicht
erklären.« Niedergeschlagen ging sie in die Hocke. In dem Moment preschte im Aquarium ein Delfin gegen die Scheibe und rollte sich ab. Erschrocken wich Ethan zurück. Michaela hob beschwichtigend die Hand. »Das machen sie manchmal. Keine Angst. Die Tiere sind wirklich nicht gefährlich.« Er nickte und half ihr aufzustehen. Es gab nicht viel, was er für sie tun konnte, außer ihr ein wenig Trost zu spenden. Sicher war hierbei nichts und ob sie das ganze verkraftete, war reine Spekulation. Dieser Mann war ihr wichtig gewesen. Das konnte er ihr
sofort ansehen. Niemand reagierte so extrem auf den Tod eines anderen, wenn da nicht auch Gefühle im Spiel waren. Das hatte ihn die Erfahrung gelehrt. »Kommen sie. Ich lade sie zum Kaffee ein. Das wird ihnen gut tun. Außerdem ist es besser, wenn sie jetzt nicht hier sind.« Sie sah ihn fragend an. »Sind sie Psychiater?« Er nickte nur. »Genau. Keine Angst. Ich gehör nicht zum FBI oder den Anderen, die hier rumstreifen. Eigentlich war ich mit meiner Familie hier. Ich sah sie und dachte mir, dass sie vielleicht ein paar aufmunternde Worte brauchen. Sie
müssen nicht, wenn sie nicht wollen. Es ist nur ein Angebot.« »Gerne. Ich glaube, sie haben Recht. Ich ziehe mir nur kurz etwas anderes an.« Er nickte. Sie schritt langsam in Richtung der Umkleiden davon. Sie tat ihm wirklich leid. Sie machte von Natur aus einen verletzlichen Eindruck. Wenn dann noch so etwas passierte, konnte das für die Psyche sehr schädigend sein. Deshalb war es besser, sie für’s Erste im Auge zu behalten. So ließ er sich auf einer Bank nieder, um auf Michaela zu warten. Wenig später stieß Dwight dazu und setzte sich neben ihn. Er wirkte zerzaust. Ethan
warf ihm einen grinsenden Blick zu. »Foster?« »Sie ist der Teufel Ethan. Die Leute sind sowieso schon fertig genug und was macht sie? Sie legt noch einen drauf. Verdächtigt hier und da und dieser komische Peterson springt noch darauf an. Wenn du mich fragst, dann hatten die beiden mal was am Laufen. Würd mich nicht wundern, wenn er sie abserviert hat. Sie ist ja nicht gerade für ihr liebliches Temperament bekannt.« Er nickte zustimmend. »Eileen wird sich nie ändern. Sie wird immer auf ihre Prinzipien beharren. Egal was es kostet. Das war schon bei Naiomi
so.« »Apropos, wie geht es ihr?« »Gut. Wir telefonieren öfter. Ich musste mir sowieso ein neues Handy zulegen, nachdem Foster mein letztes abhörte. Sie geht jetzt zur Schule, hat allerdings noch so ihre Probleme. Ihr Onkel meinte, sie war in einer Woche dreimal beim Direktor.« Dwight sah ihn an. »Klingt doch gut. Naja, das letzte nicht, aber immerhin gliedert sie sich ein. Das hast du echt gut gemacht Ethan. Heidenreich hatte kein Recht dich zu feuern.« Der Arzt seufzte und schob die Brille
gerade. »Das Leben ist nicht immer fair. Sonst würde Ryan zum Beispiel noch leben.« »Der Tote. Woher weißt du das denn?« Fragend sah der Afroamerikaner ihn an. »Ich habe mit Michaela gesprochen. Sie arbeitet hier und war unter den Tauchern, als der Angriff geschah.« »Meine Fresse. Die arme. Foster denkt direkt, dass hier ein Patient seine Finger im Spiel hat und verheddert sich in allerhand banalen Vermutungen.« Ethan schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. In Willow Creek gibt es keine Patienten, die auch nur ähnliche Fähigkeiten besitzen.« »Das wär wie
Aquaman.« Perplex sah der 32-Jährige den Studenten an. »Aquaman?« »Der Comic Ethan! Du weißt schon: Der Superheld, der die Meerestiere kontrolliert!« Der Arzt seufzte. »Dann frag ich mich was der Superheld sich dabei dachte, einen Tierpfleger umzubringen. Außerdem habe ich immer nur Batman gelesen, als ich klein war. Wie dem auch sei. Wenn es danach geht, dann kann jeder der Verantwortliche sein Dwight. Du kennst das. Die Leute prahlen nicht gerade in aller Öffentlichkeit mit ihren Kräften. Es sei
denn, sie fühlen sich bedroht.« »Oder jemand hatte Frust und sich gedacht: ›Verarbeite ich den guten Ryan doch mal zu Fischfutter!‹ »Herr Gott Dwight. Ein bisschen Feingefühl schadet ab und an nicht. Lassen wir das. Es bringt nichts sich darin zu verstricken. Außerdem hab ich gekündigt, schon vergessen? Du solltest dich mit Foster beraten. Nicht mit mir.« Hilfesuchend sah der Andere ihn an. »Sehr lustig. Die hört überhaupt nicht auf mich. Ich bin wie ein Chihuahua, der von den Frauen in ihren Handtaschen herumgetragen wird. Glaub mir: Ich hab hier nicht wirklich was zu sagen. Außerdem hole ich mir bei dir nur
ein paar Ratschläge. Das ist nicht verboten.« Er lehnte sich zu dem Schwarzhaarigen herüber. »Meinst du, dass diese Michaela vielleicht was damit zu tun hat?« »Wohl kaum. Sie hat diesen Mann geliebt.« Dwight grinste. »Naja. Vielleicht hat er ja in einem fremden Teich gefischt. Da kann man schon mal ausrasten oder?« Ethan sah ihn tadelnd an. »Das hier ist keine Dramaserie Dwight. Du klingst ja schon wie Foster, die akribisch nach einem Schuldigen sucht.« »Jaja. Jedenfalls solltest du aufpassen:
Wenn die Michaela in die Finger kriegt, dann wird sie auch solche Schlüsse ziehen. Du weißt, wie sie ist.« In dem Moment kam die Tierpflegerin aus den Umkleiden zurück. Sie trug jetzt eine Jeans und eine beige Jacke. Das Haar war glatt nach hinten gekämmt. Dennoch sah sie weiterhin fertig aus. Selbst ein wenig Schminke konnte die Trauer nicht einfach wegwischen. Rain stand auf und lächelte. »Sind sie so weit? Ich kenne da ein gutes Café in der Stadt.« Sie nickte. »Gerne.« »Und das ist ein Hard Rock
Café?« Ethan öffnete ihr die Glastür, so dass sie hindurch schritt. Am Nachmittag war der Laden immer gut besucht. Er selbst war schon lange nicht mehr hier gewesen. Ihm fehlte einfach die Zeit dazu. Früher war er oft mit seinem Vater hier gewesen, bevor die Demenz des alten Mannes zu schwerwiegend geworden war. Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, noch einmal hier aufzutauchen, aber man wusste eben nie, was das Schicksal für einen bereit hielt. »Genau. Eigentlich ein ganz netter Laden. Die Bedienungen sind alle sehr nett und die Preise auch in
Ordnung.« Er steuerte mit ihr auf einen freien Tisch zu und nahm ihr die Jacke ab. Dann ließ er sich auf dem dunklen Holzstuhl nieder. Er fingerte nach seiner Zigarettenschachtel und zündete sich eine an, bevor er Michaela die Schachtel hinhielt. Die schüttelte den Kopf. »Ich glaube eine genügt. Sonst gewöhne ich mir das Rauchen noch an.« Weiterhin sprach sie mit dieser gebrochenen Stimme. Auch wenn sie jetzt ein wenig gefasster wirkte, wusste Ethan, dass sich die Trauer so schnell nicht abschütteln ließ. Sie würde noch ein paar Tage so sein. Ob sie das ganze letztendlich verkraftete, war nur zu
vermuten. »Da haben sie auch wieder Recht. Allerdings kann es manchmal ein hilfreiches Laster sein.« Ihr entfuhr ein mattes Lächeln, während sie nickte und die Hände ineinander faltete. Ein beleibter Kellner brachte die Getränkekarte und begrüßte die beiden. »Ethan. Dich habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Wie geht es deinem Vater?« »Gut, wenn man die Umstände bedenkt.« Sie bestellten beide ein Wasser, wobei Michaela wohl einfach nur seiner Geste folgte. Sie sah unbehaglich aus. Er fühlte sich ebenfalls ein wenig seltsam. Es war, als würde er wieder arbeiten.
Wichtig war jedoch im Augenblick nur, ihr zu helfen. Es schien niemanden zu geben, an den sie sich sonst wenden konnte. Sonst wäre sie nicht so einfach mit ihm mitgegangen. In solchen Fällen zogen die Leute Vertrautheit vor, anstatt eines Fremden. »Sie haben ihren Vater erwähnt. Sind sie oft mit ihm hier gewesen?« Er nickte matt und spielte mit einem Bierdeckel. Dabei verzog er leicht den Mundwinkel. »Ja. Allerdings war das früher. Mein Vater ist schwer krank. Demenz in hohem Stadium. Er kann nicht mal mehr richtig sprechen. Er ist gerne hierher gekommen. Rock ›n Roll war immer
seine Leidenschaft. Er hat all die alten Platten. Rolling Stones, Led Zeppelin und wie sie nicht alle heißen. Das ist eigentlich alles, was er noch aus seinem Leben hat. Und mich.« Sie sah ihn mitfühlend an und trank einen Schluck aus dem Glas. »Ich war oft mit Ryan aus. Allerdings nie in solchen Läden. Er mochte die Musik nicht. Er wollte aus allem immer etwas Besonderes machen. Wir sind mindestens zwei mal die Woche irgendwo Essen gegangen. Heute wäre es wieder so weit gewesen. Er hatte sogar schon einen Tisch reserviert.« Einzelne Tränen liefen ihr über die Wange.
»So ist das wohl. Wenn die Menschen die wir mögen nicht mehr da sind, bleibt uns nur noch die Erinnerung.« Er seufzte. Eigentlich war er derjenige, der sie beruhigen wollte und jetzt dachte er selbst an die alten Zeiten. Erst war seine Mutter gestorben. Das hatte sein Vater nie wirklich verkraftet. Zwar hatte er sich immer noch als der starke Mann und das Oberhaupt gegeben, aber im Innern litt er. Das hatte Ethan ihm immer angesehen. Als er dann krank wurde, vergaß er sogar, dass sie überhaupt gestorben war. Manchmal, da rief er ihren Namen. Stundenlang. Heute war von dem Mann der er einst war, nur
noch ein Schatten übrig. Kein Schicksal, dass er sich für sich selbst wünschte. In Augenblicken wie diesen hasste er sich dafür, dass er nicht mehr Zeit mit ihm verbrachte. Er zwang sich zu einem Lächeln und setzte sein Glas an. »Es klingt so, als wäre Ryan ein sehr netter Mensch gewesen.« Sie nickte. »Ja. Ja das war er. Er konnte den Leuten nie etwas abschlagen. Hat immer einen Gefallen angenommen, wenn man ihn darum bat. Die Tiere mochten ihn. Er war einfach...er war...« »Etwas besonderes.« Ein heftiges Nicken, sowie die
anschließende Träneneflut kam als Antwort. »Und es gab niemanden, der ihm ein solches Schicksal gewünscht hätte?« Perplex sah die junge Frau ihn an und schüttelte den Kopf. Innerlich rügte er sich selbst für diesen Ausrutscher. »Nein. Warum denn? Das war ein Unfall. Die Leute liebten ihn. Ich liebte ihn.« Dwight hätte das jetzt ein taktisches Eigentor genannt. Er musste seine Arbeit wirklich aus seinem Kopf kriegen. Leider ließen sich Gewohnheiten nicht so einfach ablegen, wie er es wohl hoffte. Michaela sah ihn immer noch mit diesem fragenden
Ausdruck an. Er lächelte und hob beschwichtigend die Hand. »Tut mir leid. Ich wollte ihnen nicht zu nahe treten. Ich hab wohl einfach zu viele Krimis gesehen.« »Ist schon gut. Der Tag war für uns alle sehr hart. Sie waren mit ihrer Familie da?« Er nickte. »Mit meiner Frau und meiner Tochter. Die Kleine hat es nicht gesehen. Dafür habe ich gesorgt. Daran will ich nicht mal denken. Ich meine, wie soll man einer 5-Jährigen so etwas erklären?« »Das kann man nicht. Selbst ich kann mir das nicht erklären. Ich bin immer noch wie paralysiert. Ich weiß nicht was
ich tun oder denken soll. Wie es jetzt weitergeht. Es fehlt einfach ein Stück.« Unweigerlich musste er an Katherina denken. Seit Hammonds Rücktritt hatte er das Mädchen nicht mehr gesehen. Ihr Schicksal war ein Mysterium und irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass auch sie für immer fort war. Ein bitterer Gedanke. Sie hatte ihr Schicksal nicht verdient. Er wollte gar nicht daran denken, was sie im Augenblick wohl durchmachen musste. Er schob das tief in sein Inneres. Das machte die ganze Sache leichter. »Unsere Wege verlaufen leider nicht immer so, wie wir es uns erhoffen. Auch wenn das so endgültig klingt.
Denken sie an die guten Zeiten, die sie mit ihrem Freund hatten. Halten sie ihn so in Erinnerung und vergessen sie die Bilder, seiner letzten Sekunden. Das war nicht der Eindruck den sie von ihm behalten sollten.« Sie presste die Lippen aufeinander und trank noch einen hastigen Schluck. Sie mied seinen Blick. Es war unangenehm darüber zu sprechen. Auch ihm lag das Thema schwer auf dem Magen. Er konnte sich einfach zu sehr damit identifizieren. Zwar war niemand in der letzten Zeit in seinem Umfeld gestorben, aber Verlust fand man auf viele Arten. Ethan brachte Michaela noch nach
Hause, ehe er selbst heimwärts zog. Für heute hatte es genug Aufregung gegeben. Der Himmel hatte eine kaminrote Farbe angenommen. Carrie stand bereits draußen im Vorgarten, als er mit dem Toyota in die Garage fuhr. Mittlerweile war der Wagen repariert worden. Nach der Geschichte auf dem Friedhof hatte der Arzt wenig Hoffnung gehabt, dass der Mechaniker das gute Stück noch einmal hinbekommt. Dennoch: Es gab immer Überraschungen im Leben. Er stieg aus und wurde sogleich stürmisch von Sofia umarmt, die an ihrer Mutter vorbeihuschte. Dabei hatte sie ihren Teddybären achtlos auf den
Gehweg geworfen. Sofort gab der 32-Jährige seiner Frau das Zeichen dafür, dass es mal wieder Zeit für die Waschmaschine war. Lächelnd strich er Sofia durch die Haare. »Na mein Schatz. Hast du schon auf Papa gewartet?« Sie nickte eifrig. Der Mund war mit Marmelade verschmiert. Sie wirkte ein wenig traurig. Fragend sah er die Kleine an. »Was ist denn los Liebling?« »Papa? Wann kommt Nanoi wieder?« Sie vermisste die 16-Jährige sehr. Immerhin hatte sie im letzten Monat so etwas wie eine große Schwester gehabt und selbst ein Kind in ihrem Alter vergaß
das nicht so schnell. Er hob seine Tochter auf den Arm und Schritt mit ihr in Richtung Eingang. Eine leichte Brise wehte ihm durchs Haar. Es wurde frischer. Heute war es zwar noch einmal schön gewesen, aber der November zeigte langsam aber sicher sein kühles Antlitz. »Naiomi hat viel zu tun, weißt du? Sie ist jetzt in der Schule.« »Kann ich auf ihre Schule gehen?« Er lachte. Manchmal wünschte er sich, es würde wirklich alles so simpel funktionieren, wie es sich Kinder wünschten. Dann gäbe es wohl deutlich weniger Probleme. Sie gingen ins Innere. Die Kleine sah sich einen
Moment um und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. »Papa. Dumbo ist weg!« Er setzte ein gespieltes schockiertes Gesicht auf, während Carrie aus der Waschküche kam und den Daumen hob. »Keine Sorge. Dumbo macht sicher eine Pause. Morgen früh ist er sicher wieder da.« »Das ist doof! Immer wenn er weggeht, dann stinkt er so komisch.« Er musste sich das Grinsen verkneifen. Behutsam setzte er sie auf dem Boden ab. Anschließend begab sie sich direkt auf die Suche nach ihrem Teddy. Ethan zündete sich eine Zigarette an und watschelte ins Wohnzimmer, wo er sich
auf dem Sofa niederließ. Seine Knochen taten ihm weh. Langsam schien sich das Alter bemerkbar zu machen. Carrie stand hinter ihm und massierte seine Schultern. »Und? Wie ist es gelaufen?« »Naja. Es geht ihr ein bisschen besser, aber so leicht vergisst man diese Dinge nicht. Wie geht es Dir?« Sie winkte ab. »Schon etwas besser. Ich bin nur froh, dass Sofia das nicht gesehen hat. Sie will morgen schon wieder dahin. Sie hat einen echten Narren an diesem ähhh....Okuko-« »Okoko.« »Genau. Sie ist richtig vernarrt in das
Tier.« Sie schritt in die Küche und holte ihm ein kühles Bier. Genau das, was er jetzt brauchte. Er nahm einen großzügigen Schluck aus der Flasche und seufze vergnügt, ehe er an seiner Zigarette zog. Carrie setzte sich daneben und schmiegte sich an ihn. Sofia saß im Flur und spielte mit Bauklötzen, wobei sie eine kleine Stadt aufbaute und diese dann als großes Monster wieder zerstörte. »Dwight hat angerufen und nach dir gefragt. Ich hab ihm aber gesagt, dass du noch nicht zu Hause bist. Er wollte uns nur einen schönen Abend
wünschen.« Ethan nickte. Wahrscheinlich wollte der Student ihn wegen Michaela befragen. Morgen würde er sich darum kümmern. Allerdings war er nicht sicher, in wieweit sie für diese Geschichte von Nutzen sein konnte. Ganz davon abgesehen, ob dieser Fall wirklich etwas für sie war, oder ob Heidenreich und Foster sich nicht zu sehr in die Sache hineinsteigerten. Es klopfte an der Tür. Fragend warf Ethan einen Blick in Richtung Eingangstür. Wer konnte so spät noch hier sein? Dwight war sicher zu Hause, oder unternahm etwas mit seinem Vater.
Blieb eigentlich nur einer. Foster. Carrie ging an die Tür und öffnete. Jedoch war es nicht die Agentin, die ihn besuchte. Eine männliche Stimme begrüßte seine Frau. »Guten Abend Mrs. Rain. Entschuldigen sie die späte Störung. Mein Name ist Dirk Peterson. Darf ich rein kommen?« Der Arzt stand auf und schritt zur Tür. Es war der Mann aus dem Aquarium. Leger gekleidet. Schwarzes Hemd und die dazu passende Hose. Nun hatte Ethan die Chance sich ihn mal etwas genauer anzusehen. Er hatte wirklich markante Gesichtszüge. Eisblaue Augen und diesen Dreitagebart, den manche Frauen sehr charmant fanden. Der
32-Jährige zog an seiner Zigarette und schüttelte dem Fremden die Hand. »Hallo. Was kann ich für sie tun?« »Keine Sorge. Ich bin nicht im Dienst hier. Naja, irgendwie schon, aber eher aus eigenem Interesse. Darf ich?« Er deutete mit seiner Hand nach innen. Rain nickte und ließ ihn ein. Er roch nach Parfum und Haarwachs. »Möchten sie n Bier?« »Gerne.« Carrie kümmerte sich derweil darum Sofia ins Bett zu bringen, während er den Gast ins Wohnzimmer führte. Dann schritt er in die Küche, um zwei Flaschen zu holen. Peterson öffnete sein mit einem Ring, den er am Mittelfinger
trug, und prostete dem Psychiater zu. Rain sah ihn nachdenklich an und drückte seine Zigarette aus. »Wie kann ich ihnen helfen?« »Bitte. Nenn mich Dirk Ethan. Wie schon gesagt: Total eigennützig und so gut, wie ihr Bier schmeckt, sollte ich wohl öfter bei ihnen vorbeikommen.« Der Angesprochene grinste nur und lehnte sich in das Sofa zurück. »Ich dachte schon, Foster hätte sie mir auf den Hals gehetzt.« Der Agent schüttelte den Kopf und hob die Hand. »Nein, nein. Obwohl sie sich ziemlich über sie ausgelassen hat. Ihr beide seid wohl keine besten
Freunde.« »Nicht in allen Paralleluniversen die es gibt.« Damit stellte er sein Bier ab und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er warf einen Blick durch den Raum. Seit Naiomi weg war, sah es hier auch wieder ordentlicher aus, so dass er ohne Sorgen spontanen Besuch einlassen konnte. Peterson schien sich allerdings eher für das Bier zu interessieren. Er lächelte süffisant und hob den Zeigefinger. »So war sie schon früher. Ein richtiger Besen. Zu Karriereversessen. Ihr fehlt der Blick für die wichtigen Dinge. Das fand ich immer sehr schade. Aber was
Solls. Ich bin nicht hier um über Eileen zu sprechen. Sie haben ja vorher mit ihr und Hickins zusammengearbeitet. In dieser Spezialeinheit. Die beiden waren wirklich Geheimniskrämer. Ich meine, das ganze war ein Unfall, wenn auch ein ziemlich makaberer wie ich hörte. Der Tote, ein Freund von Michaela Wood. Foster hat sich aufgeregt, dass sie wohl mit ihr verschwunden sind. Keine Angst, ich hab mir ihr gesprochen. Konnten sie wenigstens was Brauchbares herausfinden?« Ethan schüttelte den Kopf und leerte seine Flasche. Auch Dirk war mit seinem fertig. »Noch
eine?« Sein Gegenüber nickte und der Arzt wanderte zum Kühlschrank. Binnen zwei Sekunden saß er wieder auf dem Sofa. »Naja. Wie soll ich sagen? Wood hatte eine Beziehung mit Ryan. Sie war sehr aufgelöst und in meiner Position als Psychiater hielt ich es für angemessen sie zu beruhigen. Immerhin hat sie heute einen wichtigen Menschen verloren. Das ist für niemanden einfach.« Peterson nickte. »Da haben sie Recht. Die Leute, die ich befragt habe, bestätigten das. Ich glaub auch nicht daran, dass da mehr dran ist als ein unglücklicher Schlag des Schicksals, auch wenn es bitter
klingt.« »Ändern können wir sowieso nichts mehr daran, auch wenn ich nicht glaube, dass Foster einfach aufgibt. Dafür kenne ich sie mittlerweile zu gut. Es würde mich nicht wundern, wenn sie morgen vor meiner Tür auftaucht.« Dirk lachte nur und kratzte sich am Kinn. »Jaja. So war sie schon früher. Unsere Eileen. War nicht immer leicht mit ihr. Dennoch ist sie ein guter Mensch, wenngleich sie auch andere Vorstellungen hat als sie und ich. Nehmen sie zum Beispiel mal an, sie wollen mit ihr in den Urlaub fahren. Sie sind derjenige, der am Pool liegen will,
um zu entspannen und sie besteht darauf mit ihnen in die Berge zum Wandern.« »Klingt ja beinahe so als waren sie ein Paar.« Sein Gegenüber nickte. »Das ist schon etwas her. Es war schön, aber auch anstrengend. Wie die Frauen eben sind. Sie hatte immer Angst, ich hätte etwas mit der jungen Frau aus der Buchhaltung. Das hat sie richtig fuchsig gemacht.« Der Arzt lächelte. Die gute alte Eifersucht. Das konnte so manche Beziehung zerstören. Er führte das Bier zum Mund und hielt plötzlich in der Bewegung inne. Sein Instinkt meldete sich. Peterson betrachtete ihn.
»Ihnen ist gerade etwas eingefallen!« »Nicht direkt. Es ist eine Ahnung! Ich muss mal kurz telefonieren!« Er verließ das Wohnzimmer und schritt in den Vorgarten. Schnell hatte er Dwights Nummer gewählt. »Ethan? Was ist los?« »Dwight! Hatte dieser Ryan vielleicht ein Verhältnis mit einer anderen Mitarbeiterin? Hat sich jemand dazu geäußert?« Es herrschte ein Moment des Schweigens. »Lass mich mal überlegen. Naja da war dieses junge Ding aber...Halt! Meinst du etwa, der hat im falschen Teich
gefischt?« Der Arzt nickte in sich hinein und nahm einen Schluck aus seiner Flasche Bier. Er wirkte sehr beunruhigt. »Scheiße. Eigentlich war das total klar! Denk doch mal nach: Er flirtet mit der jungen unschuldigen Tierpflegerin, Michaela findet das raus-« »Und verfüttert ihn an Free Willy!« »Hoffen wir das nicht. Wo ist diese Pflegerin jetzt?« »Im Aquarium glaub ich. Sie wollte ein paar Becken reinigen und sich um die Tiere kümmern.« Sämtliche Alarmglocken klingelten. Sollte er wirklich Recht haben, dann war er vollkommen blind gewesen, was
die junge Frau anging. Er hatte es einfach ignoriert. Wollte seinen alten Job so weit wie möglich weg schieben. Peterson kam nach draußen und sah ihn fragend an. »Was ist los?« »Können sie noch fahren?« Der Agent leerte die Reste seines Biers und lächelte. »Wo geht’s denn hin?« Es war komplett dunkel, als der Wagen auf dem Parkplatz des Aquariums vorfuhr. Ethan stieg aus und klopfte sich den Mantel zurecht. Peterson legte eine Hand aufs Autodach und sah ihn fragend an.
»Also, nur um das richtig zu verstehen: Sie glauben Miss Wood hat was damit zu tun?« Sie setzten sich in Bewegung. Rain zündete sich eine Zigarette an und nickte knapp. »Glauben sie mir. In meinem alten Job gab es die größten Überraschungen.« Plötzlich zog Dirk ihn zurück und drückte seinen Kopf nach unten. Erst wirkte der Arzt ein wenig geschockt, doch dann deutete der andere zum Eingang. Michaela ging hinein. »Ich hasse es, wenn jemand mit solchen Dingen Recht hat.« Er rüstete sich mit Handschellen und
Pistole aus. Ethan legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ganz ruhig. Wir sollten versuchen mit ihr zu reden. Sie darf sich nicht bedroht fühlen!« Das wäre ganz schlecht. Besonders wenn Dwight mit seiner Vermutung über ihre Fähigkeiten Recht hatte. Jemand der Meerestiere kontrollieren konnte. Dieser Gedanke war absolut banal. Warum hatte bisher niemand davon gewusst? War sie wirklich so gut darin, das zu verstecken? Unsicher betraten die beiden den Eingang. Es dauerte keine zwei Sekunden, da traf auch Hickins ein. Er wirkte abgehetzt. Ihm folgte Foster.
»Rain! Peterson? Was machen sie hier?!« Dirk legte einen Arm um die junge Frau und lächelte. »Nachforschen. Ethan hatte da eine Idee. Es kann sein, dass Wood etwas damit zu tun hat. Ryan hat wohl fremd gepokert. Sie könnte die Tiere unter Drogen gesetzt haben, damit sie ihn angreifen.« Perplex sah Eileen ihn an. Dann fiel ihr Blick auf den Arzt. »Und Sie? Was tun Sie hier?! Sie sind gefeuert! Schon vergessen? Sie haben hier überhaupt keine Befugnis Rain!« Er wollte gerade den Mund öffnen, doch wieder schritt Peterson für ihn ein.
»Ganz ruhig Ellie. Er hilft mir in beratender Position. Immerhin ist er Psychiater. Er kann Miss Wood davon überzeugen, keinen Schaden mehr anzurichten. Keine Angst. Ich hab ihn im Auge.« Sie knirschte mit den Zähnen. Das schien ihr überhaupt nicht zugefallen. Erheitert lächelte Rain. Sie schritten den ersten Korridor entlang. Um sie herum benahmen sich die Tiere vollkommen normal. Von Michaela oder der Mitarbeiterin war keine Spur zu entdecken. Ein Schrei durchbrach die Stille. Die Vier setzten sich in Bewegung. Es ging
zum Orcabecken. Auf einem Steg stand Michaela. Ihr gegenüber eine blonde junge Frau. Um sie herum zogen die Wale durch das Wasser. Wood wirkte wütend, was sich offensichtlich auf die Tiere auswirkte. »Du hast ihn mir weggenommen!«, brüllte sie. Die andere schüttelte nur den Kopf. »Nein! Nein! Das ist doch gar nicht wahr. Michaela bitte!« »Blödsinn! Lüg mich nicht an!« Einer der Wale rammte jetzt den Steg. Die junge Pflegerin klammerte sich am Steg fest, um nicht ins Wasser zu fallen. Ethan trat vor. Foster wollte ihn zurückhalten, doch Peterson brachte sie
mit einem ernsten Blick zum Schweigen. »Michaela!« Die junge Frau wandte sich um und sah zu Ethan. Ihr Blick verwandelte sich in Überraschung. »Ethan? Was machst du denn hier?« »Ich will nur mit dir reden.« Er hob beschwichtigend die Hände und machte einen Schritt auf sie zu. Die Tiere schienen wieder ruhiger zu werden. Vollkommen sanft schwammen sie jetzt im Becken herum. »Michaela. Du kannst etwas, das keiner sonst kann, oder?« Die Angesprochene sah ihn unsicher an und machte einen Schritt zurück. Die Pflegerin kauerte mittlerweile auf dem
Boden und wimmerte. Sie waren gerade noch rechtzeitig gekommen, um Schlimmeres zu verhindern. »Ich weiß nicht, was du meinst.« »Doch das tust du. Du musst keine Angst haben. Ich weiß wie das ist. Ich kann dir sagen, du bist damit nicht allein. Es gibt viele Menschen auf dieser Welt, die ähnlich sind wie du. Sie können Dinge, die sich nicht einfach so erklären lassen. Der eine kann zum Beispiel gemaltes zum Leben erwecken. Ein anderer kann Tote kontrollieren. Es gibt so viele verschiedene Facetten. Allerdings ist das nichts Schlechtes.« Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Sie fixierte
ihn. »Bleiben sie weg von mir!« Einer der Wale stieß wieder gegen den Steg. Ethan umklammerte das Geländer. Foster hob ihre Waffe, doch Dwight hielt sie zurück. Der Arzt blieb vollkommen ruhig. Langsam aber sicher verstand er. »Du kannst es nicht steuern. Stimmt das? Es passiert einfach, ohne dass du Kontrolle darüber hast. Ist das auch bei Ryan passiert?« Michaela begann zu weinen. »Ich...Ich war so wütend. Ich habe gedacht er betrügt mich mit dieser Schlampe! Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich war im Becken. Wir haben
gestritten, bevor wir reingingen und ich dachte mir einfach nur, wie er so ruhig bleiben kann. Als würde ihm das ganze überhaupt nichts bedeuten.« »Und du hast dir seinen Tod gewünscht.« Sie nickte heftig. Er ging weiter auf sie zu. Dieses Mal blieb sie ruhig. »Ich wollte das nicht.« »Es ist nicht deine Schuld. Weißt du, deine Gefühle übertragen sich auf die Tiere. Alles, was im Wasser lebt. Deine Wut hat sich in diesem Moment auf die Wale übertragen. Sie wollten dich beschützen, so wie sie es auch jetzt tun. Wenn du wütend, oder traurig bist, denken die Orcas du bist in Gefahr. Du
musst dich beruhigen und ihnen zeigen, dass kein Grund zur Besorgnis besteht.« Er war jetzt etwa noch zwei Meter von ihr entfernt. Die Tiere waren wieder unruhiger geworden. Einer streifte mit seiner Flosse den Steg. Ethans Herz raste. »Ich kann dir helfen, Michaela. Wir sind nicht deine Feinde. Es gibt einen Platz. Da helfen wir Menschen mit besonderen Kräften diese zu kontrollieren, und mit ihnen zu leben. Das kannst du auch.« Er kam wieder näher und streckte seine Hand aus. Stumm beobachteten die anderen den Arzt. Sie wirkte sehr unsicher. Ihr Blick fiel auf die Tiere um sich herum, ehe sie einen Schritt auf ihn
zu machte und ihn in den Arm nahm. »Ich wollte das wirklich nicht!« Behutsam strich er ihr über den Rücken, während Peterson an ihm vorbeiging, um die andere Pflegerin zu beruhigen. »Ich weiß. Ich weiß.« »Nun«, begann Heidenreich und stand am Fenster ihres Büros. Sie sah nach draußen. Der Morgen graute. Man konnte die Vögel zwitschern hören. Ihr Pudel schlief in seinem Körbchen. Ethan saß zusammen mit Dwight und Foster vor dem Schreibtisch. »Also hat Mr. Rain den Einsatz zu einem guten Ende gebracht. Dieser Peterson, er hat ebenfalls seinen Anteil geleistet
Foster?« Die junge Frau nickte. »Er war sehr hilfreich ja. Dank ihm wurde Rain auf die Tatsache aufmerksam, dass Miss Wood unser Ziel ist. Ohne ihn hätten wir es wohl nicht so schnell herausgefunden.« Die Chefin nickte und zog an ihrer Zigarette. »Gut gut. Miss Woods kommt in den A-Trakt. Hier kann sie keinen Schaden anrichten. Ich werde mich mit diesem Peterson in Verbindung setzen. Mir scheint, als wäre er eine gute Verstärkung für unsere Gruppe.« Die Anwesenden nickten. Ethan bemitleidete den FBI-Agenten jetzt
schon. Das ganze war kein einfacher Job. Heidenreich hatte keine Ahnung, was sie ihm damit antat. Dennoch stand es ihm nicht zu, darüber zu urteilen. Er hatte hier nichts mehr zu sagen. Er wunderte sich sowieso, warum er überhaupt hier war. »Mr. Rain. Ich weiß, dass wir unsere Differenzen hatten. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass sie für diese Einrichtung unabkömmlich sind. Deshalb frage ich sie: Wollen sie wieder für uns arbeiten? Ich stelle sie wieder ein.« »Miss Heidenreich ich-« »Bei doppeltem Gehalt.« Er schüttelte den
Kopf. »Nein ich-« »Und - sie dürfen frei über die Patienten verfügen. Sie dürfen die Therapien aussuchen und entscheiden, wie mit ihnen verfahren wird. Als erste Amtshandlung, verfüge ich auch, dass Miss Compton wieder in den A-Trakt verlegt wird.« Ihm stand der Mund offen. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Was sollte er tun? Eigentlich wollte er nicht wieder hier arbeiten, aber diese Aussicht. Er konnte endlich wieder so arbeiten wie er wollte, wenn sich Heidenreich wirklich an ihre Abmachung hielt. Er zögerte einen Moment. Dann nickte er
schließlich. Irgendwie würde er das Carrie schon beibringen. Die alte Frau lächelte.
»Gut. Sie fangen direkt damit an, Miss Woods die Anlage zu zeigen. Sie dürfen gehen. Schönen Tag noch!«
Einen Moment noch sah er aus, als hätte ihn jemand mit einer Torte beworfen. Dann erhob er sich und verließ das Büro. Zielsicher ging er auf sein altes Büro zu. Ein Lächeln zierte seine Lippen.