von
A.B.Schuetze
... an meine Leser!
Wer glaubt nicht hin und wieder an Wunder, wenn es darum geht, sich seine dringlichsten Wünsche zu erfüllen? Darum soll es in diesem Buch gehen. Anna Belle, eine Frau von Mitte 50, ist mehr oder weniger freiwillig aus dem Berufsleben ausgeschieden und hat versucht, die nun zur Verfügung stehende freie Zeit nur für sich zu nutzen. Damals ... Sie wollte unbedingt abnehmen.
Sie wollte sich selbst finden und verwirklichen. Sie wollte etwas in ihrem Familienleben verändern. Nun, drei Jahre später, schaut sie ihre damaligen Aufzeichnungen durch und zieht ihr Resümee. Was sie damals in ihrem Tagebuch geschrieben hat, was sie dabei über sich selbst herausgefunden hat und wie sie diese Erkenntnisse heute verarbeitet und umsetzt, könnt ihr nachlesen in:
„Warten auf drei Sternschnuppen“
Ich denke, es ist ein Buch, welches zwar zum Nachdenken anregen kann, sollte, ...
aber trotzdem nicht ohne Humor, vielleicht auch Galgenhumor auskommt.
Sollte ich nunmehr euer Interesse geweckt haben, dann schaut rein. Viel Spaß beim Lesen.
A.B.Schuetze
Ich möchte mich bei all denen bedanken,
die mir ihr persönliches Material für dieses Buch zur Verfügung gestellt haben,
die mich ermutigt haben, dieses Buch zu schreiben
und natürlich bei denen,
die dieses Buch lesen.
A.B.Schuetze
Prolog
'Heute Nacht könnte die Sternschnuppen - Nacht dieses Jahres werden, denn laut Aussagen im Radio werden mit den Perseiden bis zu 100 Lichtblitze pro Stunde am Himmel erwartet. Also werde ich mich zwischen 22:00 und 04:00 Uhr in Position begeben und warten. Kein Mondlicht sollte die Sicht auf die Sternschnuppen stören, denn der Mond, der ohnehin nur eine schmale Sichel ist, geht bereits gegen 23 Uhr unter. Aber das Wetter! Das Wetter müsste natürlich auch mitspielen. Und das sieht ganz und gar nicht danach aus. Dicke Wolken verhängen den Sternenhimmel.'
Anna Belle steht auf dem Balkon ihrer Wohnung in der 10. Etage eines Hochhauses in Berlin, wo die Aussicht auf einen klaren Sternenhimmel durch die vielen Großstadtlichter ohnehin schon arg eingeschränkt ist, und schaut verdrießlich in die regnerische Nacht hinaus.
'Da wartet man und wartet und dann verstecken sich die so lang ersehnten Sternschnuppen allem Anschein nach hinter dieser Wolkendecke. Wollen sie vielleicht in diesem Jahr keine Wünsche erfüllen? Ob irgend jemand glaubt, dass Sternschnuppen Wünsche erfüllen können? Wenn ich einmal eine Sternschnuppe sehe, denke ich mit ganzer Kraft an meinen größten Wunsch und
hoffe, dass er in Erfüllung geht, was bei mir aber noch nie funktioniert hat. Ich denke, ich habe nichts falsch gemacht und auch keinem von meinem Wunsch erzählt. Man hört ja immer wieder von anderen Leuten, dass ihnen eine Sternschnuppe wirklich so viel Glück gebracht haben soll, dass ihr größter Herzenswunsch in Erfüllung gegangen ist. Vielleicht wünsche ich nicht genug von Herzen? Oder liegt es daran, dass ich auf die Schnuppen w a r t e? Kann man sich nur etwas wünschen, wenn man mit etwas Glück zufällig eine sieht?' Anna hat sich schon ihre drei Wünsche zurechtgelegt, um die Gelegenheit nicht zu verpassen, wenn eine Sternschnuppe zu
sehen sei. Drei Wünsche. Darf man drei Wünsche haben oder ist dies zu anmaßend? Einen der Wünsche hat sie schon ihr ganzes Leben lang. Oder waren es doch zwei? Nein, es waren doch alle drei. Doch wieder einmal wird sie auf eine übersinnliche Erfüllung ihrer Wünsche warten müssen.
'Tja, das wird wohl nix. Ich werde es halt im November nochmals versuchen müssen, wenn der Leonidenstrom seine Schnuppen auf die Erde schickt. Die Sternschnuppen haben bestimmt mehr Magie, einen Wunsch zu erfüllen, weil sie heute nicht mehr so aktiv sind, wie in längst vergangenen Zeiten. Sie
sind halt viel seltener. Bei diesem Ereignis dabei zu sein und eine Schnuppe zu
beobachten zeugt von viel mehr Glück, Zufall, Vorhersehung.'
Anna hat sich in Sachen Sternschnuppen schlau gemacht. Noch vor Jahren galt der November schlechthin als Sternschnuppenmonat. Inzwischen ist die Trümmerwolke des Ursprungskometen jedoch schon sehr weit gestreut, weshalb die Anzahl der Sternschnuppen in der Regel ein nur schwach ausgeprägtes Maximum aufweist. 'Genau, das wird es sein. Wahrscheinlicher ist, dass seltene und vereinzelt auftretende Sternschnuppen diesen magischen Zauber haben. Obwohl, ich bin mir nicht sicher, ob
Sternschnuppen wirklich Glück bringen oder ob es nur ein Mythos ist. Nichts desto trotz, schaden kann es nichts. Ich will daran glauben. Ich muss daran glauben, schließlich habe ich drei ganz dringliche Wünsche. Nun gut, dann eben heute nicht. Muss ich wohl allein in die Spur kommen und etwas für mein weiteres Leben tun.'
Seufzend verlässt Anna mit allen guten Vorsätzen, ihr Leben auch weiterhin irgendwie zu meistern, den Balkon und begibt sich ins eheliche Schlafzimmer. Gerd grinst ihr schon schadenfroh über den Misserfolg entgegen. Wahrscheinlich würde ihm der Spaß und die Freude vergehen, wenn er von Annas drei dringlichsten Wünsche wüsste.
1. Kapitel
Sie wirbelt durch die Wohnung und putzt. Staub feudeln, saugen, wischen. Alles um den Kopf frei zu bekommen und nicht immerzu gegen den ständig wachsenden Frust in ihrem Inneren anzukämpfen. Nicht, dass Hausarbeit Anna irgendeine körperliche Befriedigung verschaffen würde, aber sie lenkt sie von ihren unerfüllten Sehnsüchten ab. Sie zwingt sich, über andere Dinge nachzudenken. Dinge, die sie immer schon machen wollte. 'Mein Buch. Ich werde jetzt endlich mein Buch schreiben. Vorgenommen habe ich mir
das schon vor einiger Zeit. Angefangen habe ich auch schon so oft. Angefangen und dann immer wieder lustlos zur Seite geschoben. Ach ich weiß auch nicht. Ich konnte mich bisher nie so recht durchringen, obwohl ich doch schon so viel Material gesammelt habe.'
Anna begutachtet mit Genugtuung die für wenige Stunden saubere Wohnung, denn wenn ihre Männer nach Hause kommen, ist es das mit der Ordnung gewesen. Dabei bleibt ihr Blick an den beiden Büchern hängen, die sie in den letzten drei Tagen regelrecht verschlungen hat. Bücher über große starke, vor allem gutaussehende und zärtlich Männer, die mehr als Menschen sind, über Karpatianer und Gestaltenwandler,
Götter, Vampire und Werwölfe. Unsterbliche schlechthin. Spannend und sexuell mitreißend erzählt. Eine Form von Büchern der Fantasie und Leidenschaft, in denen nicht nur über Wesen der Fantasie geschrieben wird, sondern die auch auf jegliche Art und Weise die eigene Fantasie anregen. Und Anna ist für diese Lektüre sehr empfänglich. Mit einem tiefen Atemzug legt sie die Bücher ins Regal, überlegend, ob sie sich nicht auch die vorangegangenen Teile dieser Bücher bestellen sollte. Mit einem Kopfschütteln verwirft sie diese verführerische Idee und widmet sich nunmehr ihrem Laptop.
Schnell ein wenig im Internet chaten und
spielen. Was sein muss, muss sein. Dann alle Fragen der Kinder aus dem Chat beantwortet. Ihre beiden Internetspiele auf Vordermann gebracht. Immer diese Spielereien. Oh man, das muss sich auch dringend ändern.
'Vielleicht sollte ich an einem Blog schreiben, den ich wahrscheinlich nie ins Internet stellen werde, der aber für mein Buch von Bedeutung sein könnte. Gleichzeitig werde ich meine Aufzeichnungen durcharbeiten und schauen, was und wie ich sie für mein Buch verwenden kann. Also zuerst den Blog „Heb die Hufe, schwing die Hüften, komm aus dem Arsch“. Der Titel passt wie die Faust auf's Auge.'
1. Eintrag Was ich nie erwartet hätte, ich bin in einem Sumpf der Unzufriedenheit gelandet, in jeglicher Hinsicht. Doch das soll sich ab sofort ändern. Und wieder dürft ihr alle daran teilhaben. Heute geht’s los. Ganz wichtig für mich, ich brauche einen bestimmten Zwang, eigentlich jemanden, der mich ständig in den Hintern tritt, Konsequenzen, wenn ich nicht funktioniere. Aber so einen Jemanden gibt es leider nicht. Also springe ich für ihn ein. Witzig was? Ich höre schon:
„Das klappt nie! Das wird so wie so nichts! Hat man denn so was schon mal gehört? ...“ Es ist meine letzte Chance, mit dem Arsch an die Wand zu kommen, noch Mal was aus mir
und meinem Leben zu machen. Ich muss das schaffen. Mein Tagesablauf ist ab heute strengsten eingeteilt. Der Wecker klingelt, aber nur für mich. Das hat sich im Laufe der Jahre so ergeben und man gewöhnt sich daran. Es ist auch nicht das Übelste, 30 Minuten nur für mich allein zu haben. Vor allem aber, wenn alle Mitbewohner den Morgenmuffel raus hängen lassen. Für meinen morgendlichen Badaufenthalt treten mit sofortiger Wirkung Neuerungen in Kraft. Beginnen wir mit 40 Armbeugen an der Tür (gibt Muckis und beugt schlaff runter hängender Haut am Oberarm entgegen, letzteres könnte bei mir schon zu spät sein), 500 Marschschritte beim Zähneputzen (man muss sich nicht immer im Spiegel begaffen
und schauen, ob noch alle Zähne da sind. Wo sollen die über Nacht auch hin sein?) und da wir doch alle mit 55 noch wie 30 ausschauen wollen, gibt’s im Anschluss an Waschen und Hauteinfetten noch eine Gesichtsgymnastik (wer zieht nicht gern Fratzen: Grinsen, Kussmund, langes Gesicht, Knautschgesicht, Backen aufblasen...) Kleiner Nebeneffekt: wir starten gleich viel munterer in den neuen Tag. Ha, wer kann uns was?!
Nun werden mein Hausfrauenpflichten auf den Plan gerufen. Das sind so Kleinigkeiten, die bereits seit beinahe 30 Jahren systematisch abgespult werden. Familie wecken, Kaffee kochen, Arbeitsstullen schmieren, Frühstückstisch decken ...
gehören auf jeden Fall dazu.
Erst wenn ich dann „sturmfreie“ Bude habe, beginnt mein Leben, mein Tagesablauf. Das bisschen Haushalt, das unbedingt gemacht werden muss, wie Betten bauen, saugen, Wäsche waschen etc. und Einkaufen ist schnell erledigt. Ich mache es nicht gern, deshalb auch alles huschi huschi, zack zack. Dann ab an den Laptop und den ganzen Tag spielen, spielen, spielen. Stooooop!!!!! Damit ist doch ab heute Schluss. Bis 8:00 Uhr wird der Laptop angeschmissen, Tochter im Internet begrüßen und schnell meine beiden Spiele abgearbeitet. Die Zeit reicht gerade dafür. Von 8:00 bis 9:00Uhr steht Sport auf der Tagesordnung. Meinen Vertrag
mit dem Fitness-Studio habe ich gekündigt. Immer da hin fahren und das noch dazu allein. Irgendwie hat sich da meine Motivation ständig verkrümelt. Spare ich doch lieber das Geld. Aber eine einmalige Ausgabe habe ich mir dann doch geleistet, nämlich drei DVD's mit Yoga, Aerobic und Workout. Die werden jetzt immer umschichtig abgearbeitet. Heute habe ich mit Ballett-Workout begonnen. Geht eigentlich eine Stunde, aber ich war nach 30 Minuten schon Schweiß überströmt und fix und foxi. Zum Glück hat mich keiner gesehen. Ich wäre bestimmt die Lachnummer des Tages gewesen, eine Nilpferd im Tütü.
Egal; was muss – das muss. Schließlich will
ich bis Jahresende ein Uhu sein. Kein Vogel, ich meine ein „unter Hundert“ Wiegender. Ich muss das durchhalten. Nun habe ich die Zeit schon überschritten, denn zum Bloggen habe ich nur eine Stunde eingerechnet. Aber es gab einfach so viel heute zu erzählen. 'Oh es stimmt. Beim Schreiben vergeht die Zeit wie im Flug. Vielleicht schaffe ich ja noch ein paar Seiten meiner Aufzeichnungen von vor zwei Jahren durchzuschauen, bevor Gerd nach Hause kommt. Schau'n wir mal, was wir so alles schon geschrieben und auf dem USP-Stick abgespeichert haben. Meine ersten Notizen: „Das Jahr danach“. Wie oft habe ich das nun schon gelesen und den
Titel geändert? Oft, vielleicht zu oft, dass ich gar nicht mehr weiß, was und wie ich mein Buch aufbauen soll.'
Anna betrachtet ihre Aufzeichnungen von vor über einem Jahr. Sie hatte mit einem Tagebuch angefangen, um irgend wann und auch nur vielleicht ein Buch zu schreiben. Ein Buch über eine Frau Mitte Fünfzig. Der Job ist weg, in den sie aber auch nie zurückgehen wollen würde. Und andere Möglichkeiten? Kaum. Die Familie zerbröckelt. Mit ihrem Mann verbindet sie nichts, außer die gemeinsamen Wohnung und den Kindern. Aber die Kinder sind erwachsen und werden bald das Elternhaus verlassen. Was bleibt dann noch? Ein Buch
über einen Neuanfang, das Erforschen der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Ein Buch über das Selbstfinden und Verwirklichen. Aber Anna zweifelt auch, ob sie je ein Buch schreiben würde. Sie ist keine Schriftstellerin und hat auf diesem Gebiet keinen blassen Schimmer. So beginnt sie also mit einem Gefühl der Skepsis ihre alten Notizen durchzuschauen. --------------------------------------------- Mein Tagebuch Ich schreibe ein Buch über das Jahr danach, das Jahr, als alles vorbei war oder neu begann. Aber das ist eine Frage der Betrachtungsweise. Auf jeden Fall werde ich
alles aufschreiben, was so erwähnenswert scheint. Viel wird es möglicherweise nicht sein, denn voraussichtlich wird sich jeder Tag immer wiederholen. Auch werde ich einige Kommentare zu meinem Gewichtsproblem und die Vorhaben, dagegen anzugehen, darlegen. Na mal schauen, was da so draus wird. Machen wir uns also erst mal Notizen. Und los geht's. Dieses Jahr steht mir zur freien Verfügung. Ich kann machen was ich will, möglicherweise auch arbeiten gehen. Doch scheint mir letzteres nicht sehr verlockend. Ihr müsst euch vorstellen, ein Jahr vom Chef freigestellt zu sein und dafür auch noch bezahlt zu werden. Könnt ihr nicht glauben? Hättet ihr auch gern? Nun ja, der Preis dafür: Ich brauche danach auch nicht
wieder zu kommen, mein Arbeitsplatz und viele andere wurden ersatzlos weg rationalisiert. Endlich nach 35 Jahren schinden, aufopfern na und so weiter, endlich Zeit für mich, für mich und meine Hobbys. Ach, wer ich bin ?! Stellt euch vor, eine Frau – Anfang 50, voller Energie, Witz und Tatendrang, so hoch wie breit (eine Kugel trifft es nicht ganz – eher ein kleiner dicker Pinguin) und einen Haufen Ideen und Blödsinn im Kopf (eines davon ist dieses Buch). Ich werde euch jetzt jeden Tag zu labern, wie es mir in diesem Jahr ergangen ist. Ich sagte ja schon, so hoch wie breit. Bitte alle mitdenken. „Die will abnehmen, Sport treiben und Diät machen. Das wird ein Buch: Wie nehme ich am besten
ab.“ Irrtum. Sicherlich spielt das auch eine Rolle, aber wer will 365 Tage schlecht gelaunt durchs Leben stampfen. Ein bisschen Beauty darf's auch sein und faulenzen und alles tun, wofür ich bisher kaum Zeit hatte: Lesen, Stricken, Nähen, Basteln. Ich hoffe, meinen drei Kindern bei der Wohnungssuche helfen zu dürfen, endlich wieder einmal in den Urlaub fahren zu können und das Leben zu genießen. Seid ihr immer noch dabei? Dann geht’s jetzt los. **** Die ersten beiden Tage in diesem Jahr sind nicht weiter erwähnenswert. Ich habe im
Kreise der Familie relaxt. Mein Mann und die Lütte haben sich seelisch und moralisch auf den Arbeitsbeginn vorbereitet, über meinen Sohn schweigen wir (wer weiß, was er gemacht hat - wahrscheinlich, wie immer nichts) und ich habe mich voll und ganz meiner Hausfrauenrolle hingegeben. Mit Wäsche waschen, Essen kochen und meine Lieben verwöhnen war ich vollständig ausgelastet. Aber heute fängt der Ernst des Lebens an. Obwohl ich den ganzen Tag zu Hause verbringen darf, fängt der Alltag morgens um 5:00 Uhr an. Wohlgemerkt für mich. Wenn ich mich erfrischt und gehübscht habe, wecke ich mit viel Liebe die berufstätigen Familienmitglieder, bereite den Arbeitsproviant, (immer darauf bedacht,
diesen so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten – mit Stullen, Sandwich, Obst und etwas Süßem) und dann decke ich den Frühstückstisch. Dann kommen sie, die Geldverdiener, die bemitleidenswerten Personen, hinaus in die Welt der arbeitenden Bevölkerung geschickt werden und ihrem schweren Los nicht entgehen können. Ich bekomme schon fast ein schlechtes Gewissen. Obwohl, heute sind beide erstaunlich verträglich. Das ist nicht immer der Fall, ihr werdet es noch merken. Wir frühstücken und dann wird sich nach strengen Ritualen zum Aufbruch fertig gemacht. Es ist genau geregelt, wer wann noch mal ins Bad darf, wer wann seine Schuhe anzieht und so weiter. Man darf sich
dabei nur nicht ins Gehege kommen, sonst fällt das Stimmungsbarometer sehr tief in den Keller. Mit dem letzten meiner Lieben begebe auch ich mich aus dem Haus – zu meiner morgendlichen Jogginrunde. Joggen kann man das wahrscheinlich gar nicht nennen, vielleicht schnell gehen, gehen trifft es wohl eher, gehen und zwischendurch immer mal wieder verschnaufen. Es ging mir aber heute auch gar nicht so gut. Muss wohl an den üppigen Schlemmereien über die Feiertage gelegen haben. Man, ständig musste ich stehen bleiben, weil mir mein Ischias zu schaffen gemacht hat. Aber, ich habe die volle Strecke geschafft und habe jeder Abkürzung widerstanden. Ich bin so stolz auf mich. Ha, einen Blick in den Spiegel und ich
erschrecke mich vor mir selbst. Puder rot und von Schweiß überströmt starrt mich da irgend etwas an. Solche schlimmen Auswirkungen hat also so ein bisschen Sport. Gleich erst mal ausruhen, am besten bei einer Spielerunde im Internet. Zocken macht doch Spaß (und süchtig?). Doch ich muss mich losreißen, denn der Staubsauger schreit regelrecht nach mir. Auch das ist eine Arbeit, die fast an meine physischen Grenzen geht. Warum? Im Flur liegt der einzige Teppich unserer Wohnung und danach sieht er ja dann wohl auch aus, dreckige und nasse Schuhe jetzt im Winter, der Rollsplitt von der Straße, verschleppter Staub aus den Zimmern der Kinder, von Bürsten und Kleidung herab fallende Haare und was weiß
ich noch. Alles macht sich auf dem Teppich breit. Da ist doch Wäsche waschen, aufhängen, abnehmen und zusammenlegen eine Kleinigkeit. Ihr meint, schon wieder? Na klar, war doch erst Ultimo und die Bettwäsche fordert mehr Aufmerksamkeit und zu guter Letzt habe ich meiner Großen angeboten, ihre Wäsche mit zu waschen und zu bügeln (riesengroße Reisetasche). So bin ich halt. Die Güte in Person. Neben all der Hausarbeit läuft in der Kiste „Herr der Ringe“ (wahrscheinlich zum Tausendsten Mal – und morgen gibt’s Teil 3). Hoffentlich schaffe ich den ganzen Film, bis ich von der Lütten zum Einkaufen angefordert werde.
****
Heute gab es keinen Morgenlauf, mein Ischias nervt. Also muss sich mein Körper wohl zwischendurch immer mal mit ein wenig Gymnastik zufrieden geben. Zwischendurch heißt es, Wäsche waschen (ha, ha, ha – na noch vier Maschinen oder so) und dem Aufräumen meines Schrankfaches für Nähutensilien. Seit dem Einzug in diese Wohnung vor zweieinhalb Jahren befindet es sich in einer Art Provisorium und müsste dringend in einen wohlgeordneten Zustand gebracht werden. Also : „Herr der Ringe“ rein und los geht’s. Man sollte kaum glauben, was sich doch für ein Zeugs ansammelt, wenn man keine Ordnung in den Fächern hält. Ich
hoffe, der Müllschlucker wird nicht zu überlastet von dem, was ich alles entsorge. Vielleicht sollte man ja doch dies oder das aufheben. Wer weiß, wozu man das mal gebrauchen kann. Da habe ich tatsächlich noch Wäscheetiketten zur Kennzeichnung von Kinderwäsche, dabei ist mein jüngstes Kind 20 Jahre alt. Aufheben oder weg damit? Ich habe die Etiketten dann aber doch aufgehoben, genau so wie Reißverschlüsse, Druckknöpfe, Ösen und Haken, diverse Nieten, Knöpfe und Garne. Wie hoch mag wohl die Wahrscheinlichkeit sein, dass ich all den Kram nochmals brauche? Heute, wo doch jeder neue Klamotten kauft und wenn sie kaputt sind, fliegen sie weg oder kommen in die Kleiderkiste. Ich habe aber auch
Strickmuster gefunden. Nicht einfach nur Strickmuster, nein, sondern für filigrane Deckchen und Decken. Oh man, die waren schon so alt, dass sie sich in ihre Einzelteile zerlegten. Ich glaube, die müssen besonders archiviert werden. **** Tja zum Thema archivieren, heute habe ich unseren Dokumentenschrank (für alles gibt’s einen extra Schrank) unter die Lupe genommen und wieder etwas zum Recycling beigetragen. Aber auch wichtige Papiere wurden ans Tageslicht befördert, zum Beispiel eine Wohnraumzuweisung 25 Jahre alt und der dazugehörige Mietvertrag,
Zeitzeugen einer vergangen Epoche unseres Landes (ehemals DDR). Da werden Erinnerungen geweckt, schöne und weniger schöne. Doch was soll’s. Ich werde diese Dokumente in Klarsichtfolien packen, wer weiß, wozu man sie noch gebrauchen kann (schon wieder). Übrigens ist heute mein Liebesfilmtag. Ich habe mir „Stolz und Vorurteil“, „Sinn und Sinnlichkeit“ und „Geliebte Jane“ reingezogen...Schmacht... Ach war das schön. Da geht die Hausarbeit (3 Stunden T-Shirts bügeln) fast von ganz allein so nebenbei von der Hand. **** Freitag, die Kinder sind alle außer Haus. Sie
sind nach Jena zur Großen gefahren, um mit ihr Geburtstag zu feiern. Gerd genießt sichtlich die Ruhe und kann sich gar nicht genug daran erfreuen: „ Ach hörst du das? So ruhig! Schöööööön.“ **** Samstag gegen Mittag war das dann auchvorbei. Küsschen hier und Küsschen da: „Erzähl doch mal, wie war’s denn? Hat alles geklappt?“ Schnatter, schnatter... Alle Kinder wieder im Haus. Ich brauche den Trubel, knuddeln mit der Brut, quatschen über dies und jenes, spielen und wieder knuddeln. Gestern Nachmittag dann Geburtstagsgäste. Staunen, alle Omas sind gekommen, was
wahrlich eine Seltenheit ist. Keiner hat sich lumpen lassen mit den Geschenken. Wollte wohl jeder den anderen übertrumpfen. Selbst die Oma, die zu Weihnachten nicht ein Mal das Geld für eine Kleinigkeit für ihre Enkelkinder hat, schmeißt das Geld mit offenen Händen zum Fenster raus ( Dove-Pflegeserie und 50,00 Euro). Scheint wohl am 25. Geburtstag zu liegen. Man, schon 25 Jahre her. Ich war damals schon nicht mehr taufrisch (27 Jahre) und heute? Ich mag kaum noch in den Spiegel schauen. Aber, ich habe die Große ganz gut hinbekommen. Schlank, schlau, ehrgeizig, selbstbewusst, sie geht regelmäßig zum Sport (auch alleine), zum Tanzen, hat einen großen Bekanntenkreis (hoher
Beliebtheitsgrad).... wau...., genau so, wie ich immer sein wollte. Ich bin stolz auf mich / sie !!! --------------------------------------------- Anna schaut gedankenverloren von ihren Notizen auf. Viel hat sich seitdem verändert. Und nicht alles zum Besten. Oder doch? Das kommt dann wohl auf die Betrachtungsweise und den jeweiligen Betrachter an. Fanny lebt heute mit ihrem Freund in Nordrhein-Westfalen, Ian ist wieder beim Bund und Zsuzsa ... ist vielleicht ihrerseits nicht so recht zufrieden mit ihrem Leben, aber sie ist selbständig. Anna macht diese Entwicklung immer ein wenig melancholisch.
'Hm. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, als ich das alles geschrieben habe. Sollte ich irgendwas ändern? Einen anderen Aufbau bevorzugen? Kann ich es dabei belassen? Ich könnte mich natürlich auch damit auseinander setzen und sehen, was ich daraus gelernt und verändert habe. Ach was. Gedanken in Form eines Tagebuches zu fassen, ist schon nicht so verkehrt. Nach allem was bisher geschehen ist, werde ich mal wieder den Titel ändern. „Mein Tagebuch: Das ist alles (?/!)“ trifft es auf jeden Fall besser. Er drückt sowohl zweifelnde Frage als auch endgültige Antwort aus. Ja, ich denke, der Titel ist es.'
Noch immer nachdenklich aber trotzdem mit
sich zufrieden schließt sie einstweilen ihre literarischen Ergüsse und wendet sich wieder der Hausarbeit zu. Schließlich will die Wäsche noch gebügelt und in den Schränken verstaut werden. Hatte doch Gerd erst letztens vorwurfsvoll zu ihr gesagt: "Jetzt, wo ich nach Hause komme, fängst du mit der Hausarbeit an? Was treibst du bloß den ganzen Tag?“ Was auch immer er damit bezwecken wollte, letztlich könnte ihm das so egal sein. Er kommt, zieht seine Arbeitssachen aus und setzt sich hin, stopft seine Zigaretten und schaut fern. Doch Anna ist sehr harmoniebedürftig und zieht es vor, jeglichen Streit aus dem Weg zu gehen. Also Haushalt jetzt, solange ihr Mann arbeiten ist. Sie wirft
einen bösen Blick auf die Wäsche des vergangenen Wochenendes, holt mürrisch das Bügelbrett aus der Kammer und überlegt, welche DVD heute passend wäre, um sich etwas abzulenken. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „Rapunzel“ genau der richtige Film ist. Da gibt es keine Liebe. Nicht diese Liebe,die Anna stets dahin schmelzen läst und die sie so schmerzlich vermisst. Und... sie kann bei diesem Film mitsingen.
2. Kapitel
Die Uhr schlägt die elfte Stunde. Anna, die in der Sofaecke lümmelt und in einem Nora-Roberts-Roman liest, schreckt zusammen.
'Oh nein, schon um elf. Eine Stunde zu lange gelesen, aber die paar Seiten müssen noch sein. Die Hausarbeit läuft ja Gott sei Dank nicht weg. Muss ich mich halt dann beeilen. Nur noch die letzten Seiten.' „... und weinte ein wenig um das, was war, und das, was vielleicht einmal sein würde“ damit war der zweite Teil der Trilogie zu Ende.
'Schön. So müsste man auch schreiben können, „um das, was war, ... um das was vielleicht einmal sein würde“. Ich könnte auch heulen, um das was bisher war, denn so prickelnd war mein bisheriges Leben nicht. Noch dazu, wenn das wirklich alles gewesen sein soll. In Büchern bekommt Jede ihren Traumprinzen.'
Mit einem sehnsüchtigen Bedauern legt Anna das Buch zur Seite und schielt schon auf den letzten Teil. Eigentlich möchte sie gleich zum dritten Buch greifen, aber die Pflichten rufen. Immer ihr Ziel vor Augen, sich so schnell wie nur möglich wieder ihren Büchern zu widmen, sei es das, welches sie selbst schreiben will oder jenes, welches im Regal auf sie wartet,
um gelesen zu werden, geht ihr die Hausarbeit heute flink von der Hand. Nun, ein wenig saugen und das bisschen Wäsche zusammenlegen, denn gebügelt wird morgen, wenn der Rest der Bügelwäsche gewaschen ist, ist in weniger als einer Stunde erledigt. So nutzt sie die verbleibende Zeit wie immer, um an ihrem „Tagebuch“ weiter zu arbeiten. ------------------------------------------- Mein Tagebuch Gott, wie muss ich doch bescheuert sein, jetzt fege ich schon im Nachthemd hinter meiner Familie her. Hat doch mein Mann mit seinen Arbeitsschuhen solchen Dreck (Rollsplitt von den Straßen, ursprünglich mal
um das Glatteis zu verhindern – nun, um meine Wohnung einzusauen) auf unserem einzigen Teppich (ihr erinnert euch – der liegt im Flur) hinterlassen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der sich durch Hausschuhe und Socken in allen Zimmern breit zu machen versucht. Also, flux und hurtig, Borstwisch und Schippe zur Hand und ans Werk gemacht. Fängt so der Hausfrauenkollaps an? Ähm..., auch in anderen Situationen merke ich schon, dass ich zum Hausmütterchen mutiere. Da ein kleiner Handgriff, da ein Fussel, dort ein Spritzer, oh ... Kalkauf dem Wasserhahn ..., weg, weg, weg. Jetzt geht es also los. -------------------------------------------------------
Anna zieht die Stirn in Falten. Oh ja, sie erinnert und sich und sie kann nicht umhin fest zu stellen, dass schon damals der Haushalt im Mittelpunkt ihres Daseins stand.
'Fing das wirklich zu diesem Zeitpunkt schon an, dass ich Sklave der Wohnung wurde? Das wäre dann wohl der Zeitpunkt gewesen, etwas zu ändern. Und weiter geht’s. Neuer Tag, neue Herausforderungen. Schau'n wir mal.' --------------------------------------------- Mein Tagebuch Ihr habt mich schon vermisst?
Es ist doch unglaublich, wie man aus seinen
eben erst angeeigneten Gewohnheiten herausgerissen wird, wenn unvorhersehbare Dinge geschehen. Wahrscheinlich liegt es aber auch an meiner nicht sonderlich ausgeprägten Willensstärke. Mein innerer Schweinehund ist halt noch ganz schön dominant. Was geschehen ist während der letzten 10 Tage? Zsuzsa war eine Woche krank geschrieben – Husten. Es war auch ganz schön arg. Dadurch war mein gesamter Tagesablauf ..., wie sag ich’s doch gleich,... im Eimer. Morgens bin ich wieder ins Bett gekrochen und habe bis gegen 10:00 Uhr geschlafen, dann bisschen Wäsche, Einkaufen und Spielen, spielen, spielen... und lesen. Kein Laufen, kein Sport, keine Ideen niedergeschrieben, ja nicht einmal
meinen Speiseplan dokumentiert. Aber jetzt, jetzt geht es wieder richtig los. Ich habe mir eine Personenwaage gekauft. Davon abgesehen, dass ich mich schon nicht mehr im Spiegel betrachten möchte, Fotos sind schon lange tabu, möchte ich am liebsten auch gar nicht die Zahlen auf der Waage zur Kenntnis nehmen. 134,5 kg – ich komme mir vor, wie ein Medizinball. Das ist das Hoch aller Zeiten. Was nutzt es, wenn ich mich wie 40 Jahre und mich einiger maßen fit fühle, wenn es nicht so rüber kommt? Gott, ich könnte kotzen. -------------------------------------------- 'Ich wusste doch schon immer, das kann unmöglich ich sein. Ich stecke im falschen
Körper. Wo ist meiner? Wer hat sich da einen Scherz erlaubt. Ha, wäre auch ein guter Stoff für ein Buch. Nicht abschweifen, weiter! Ach ja das Exen-Treffen.' --------------------------------------------- Mein Tagebuch Am Mittwoch hatten wir das erste Treffen der Ex-Kollegen. Es hielt sich im Rahmen. Was antwortet man auf die Frage: „Was machst du so den ganzen Tag“? Ich gammle vor mich hin, lebe einfach so in den Tag hinein, erledige Arbeiten, die sonst immer liegen geblieben sind u.s.w.. Das Verblüffende an der Sache ist nur, den anderen geht es genau so. Nach zwei Stunden hatte ich alles
erfahren, was man wissen wollte, sollte oder so und ich habe das Wenige zur Unterhaltung beigetragen, was erwähnenswert schien. Also habe ich, nachdem ich eine Pizza „Hawaii“, welche sporadisch belegt und trocken und hart wie eine alte Schuhsohle war, in mich hinein gewürgt hatte, als erste diese Runde verlassen, nicht umhin zukommen, für das nächste Treffen im April zu zusagen. Bis April ist noch lange hin und vielleicht habe ich dann schon sichtbare Kilos abgespeckt. **** Ich weiß, ich wollte nicht übers abnehmen
reden. Doch bei meinem morgendlichen „Gehen“ spuken einem da so verschiedenen Gedanken durch den Kopf. Ich muss mich belohnen. Und zwar immer dann, wenn ich 10 Kilo abgenommen habe. Als erstes werde ich regelmäßig zur Fußpflege gehen, zweitens merke ich mir mal schon monatliche Massagen vor, verwöhnen im Kosmetikstudio könnte drittens sein und nicht zuletzt öfters Kinobesuche. Joppen kommt dann von ganz alleine, weil dann hoffentlich die Plünnen nicht mehr passen. Gestern waren Mutti und Isa (meine Tante) da. Zwei alte Damen, wie sie im Buche stehen ( ich meine, nicht in meinem). Sie mussten in alle Zimmer gucken;(klar, Isa war ja auch das erste Mal bei mir zu Hause) Blumen , die sie mitgebracht hatten,
wurden auch gleich von ihnen selbst in Vasen gestellt und dabei das Anschneiden nicht vergessen; hinsetzen und feststellen, dass eine Hunger hat, die andere nicht; Mittagessen und dabei anpreisen, welche Nahrungsmittel bevorzugt werden( Kartoffeln nicht aus den Netz oder Beutel, Brandenburger Kräuterquark – wohl das einzige, was Mutti so zu sich nimmt); ein bisschen die gegenwärtige Politik madig machen (nur um zu beweisen, dass man noch auf dem Laufenden ist) und so weiter. Fragen von Isa konnte ich kaum beantworten, weil Mutti ständig ins Wort gefallen ist oder die Fragen selbst beantwortet hat. Sie ist anstrengend. Eine Stunde mit beiden war dann aber schon das
höchste der Gefühle. Ob ich auch mal so werde?
----------------------------------------------------- 'Ob ich auch mal so werde. Gute Frage. Hoffentlich nicht.' Anna beobachtet ein am fernen Horizont aufsteigendes Flugzeug, wie es hinter den Hochhäusern am nahe gelegenen Park verschwindet und lässt sich den letzten Satz nochmals durch den Kopf gehen. Soeben laufen die 16-Uhr-Nachrichten im Radio.
'Ob ich auch mal so werde. Werden Töchter wie ihre Mütter? Tja. Schon Vier. Schon wieder ein Tag um und eigentlich ist
nichts geschehen. Bald kommen Gerd und Ian nach Hause und der ewig langweilige Fernsehabend beginnt. Heute kommt noch nicht einmal was in der Kiste. Oh man. Was ist bloß aus meinem Leben geworden. Langweiliges Einerlei, ohne Sinn und Plan. Was hatte ich geschrieben? Ob ich auch mal so werde?'
Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel, sie weiß, sie tut alles um dem mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Schon der kleinste Ansatz, die Unarten ihrer Mutter anzunehmen, bekämpft sie im Keim.
'Und was war da noch? „Belohnen, wenn ich abgenommen habe?“ '
Dieses Mal grinst sie nicht nur in sich hinein. Aus ihrer Kehle schlüpft ein kleines Glucksen vor unterdrücktem Lachen.
'Zum Glück habe ich noch keinerlei Erfolge verzeichnen können. Ich wüsste gar nicht, wovon ich meine Belohnung bezahlen sollte.'
Ein Blick auf die Uhr und Anna schnappt sich das nächste Buch aus dem Regal.
'Nur bis Gerd nach Hause kommt.'
Damit verkrümelt sie sich in ihr Leseecke.
'Schiet. War ja nicht viel, was ich da gelesen habe. Er kommt schon.'
„Hi, schon zu Hause?“
'Oh man, na das Gesicht spricht ja schon wieder Bände.'
Gerd steht mit dem ewig mürrischen Gesicht im Flur und knurrt ein leises „Hallo!“ Auf die Frage, ob es irgend etwas gab, dass er so ein böses Gesicht macht, bekommt Anna wie immer keine Antwort. Die Arbeitsschuhe fliegen ins Schuhregal, der Rucksack auf die Sitzbank und die Arbeitshosen ins Schlafzimmer. „Wenn du gleich duschen gehst, mache ich inzwischen Kaffee fertig. ...Du bist doch bestimmt total durchgeschwitzt? ...Und? Was gibt’s Neues? Sind alle wieder aus dem
Urlaub zurück?“ Während Anna ein Gespräch in Gang bringen will, schlurft Gerd durch die Wohnung und brabbelt vor sich hin.
„Meinst du, Ian will heute wirklich noch Getränke kaufen fahren? Hab nämlich keine Lust dazu. Muss ich ja erst wieder richtige Sachen anziehen.“
'Oh Gott, ständig dieses Rumgemurmel. Was nervt der Mann mich schon wieder ab. Eigentlich kann er bleiben, wo der Pfeffer wächst.'
„Zieh dir was Richtiges an, schaden kann's nicht“ erwidert Anna aus der Küche, wo sie alles für den Kaffeetisch bereitet.
„...Ach da kommt Ian schon. Und er hat Jana
mit gebracht.“ Unwilliges Murmeln aus dem Bad bekundet Gerd's Begeisterung.
Anna steckt den Kopf aus der Küchentür:
„Ihr trinkt 'ne Tasse Kaffee mit? Hallo Jana! Wie war der Urlaub? ...Und heute der erste Schultag.“
Anna mag die neue Freundin von Ian. Obwohl sie noch keine achtzehn ist, sie tut ihrem Sohn gut. Jana ist ein freundliches, umgängliches und aufgeschlossenes Mädchen, welches sich auf Anhieb zu Annas Familie zugehörig fühlt. Vor allen hat sie Ian voll im Griff und das braucht er auch.
„Ian, fahrt ihr heute noch Getränke holen oder wollt ihr das verschieben?“ fragt Anna mit einem Blick auf Gerd, der sich mit gespielter Freundlichkeit in seinen Sessel
plumpsen lässt. „Nee, nee, wir fahren gleich. Ach und Jana bleibt zum Abendbrot.“
'Es ist doch Gold wert, wenn solche Info's rechtzeitig erfolgen. Tja, dann bekommt halt jeder etwas weniger. Wird schon reichen. Ian und Jana, wie Kinder. Sind ja auch noch welche. Mehr oder weniger. Immer dieses Rumalbern.'
Mit einem Lächeln schüttelt Anna den Kopf. Eine Geste, die sowohl ihren Sohn einschließlich Freundin betreffen könnte, als auch ihren Mann, der dem Geschehen scheinbar keine Aufmerksam beimisst.
'Und der Alte sitzt total unbeteiligt in seinem Sessel und stopft sich sein Croissant in
den Mund. Kein Interesse am Gespräch. Dann eben nicht. So... und wenn die weg sind, kann ich ja noch ein wenig lesen oder ich schreibe schnell meinen Blog.'
Gleich nach dem Kaffee herrscht allgemeine Aufbruchstimmung. Die Tür fällt mit lautem Krachen ins Schloss. Gerd, Ian und Jana sind weg. Schnell räumt Anna den Tisch ab, bereitet das Abendessen vor und beginnt dann mit ihrem heutigen Blog.
2. Eintrag Und da bin ich wieder. Ihr habt mich mal
wieder vermisst? Kein Thema, alles im grünen Bereich. Gestern Nachmittag war ich also dann bei meiner Lütten. Sie ist 22 Jahre alt und ich habe sie im vergangenen November aus dem Nest geworfen. Als Mutter war ich der Meinung, sie ist flügge. Darüber lässt sich natürlich streiten und möglicherweise habe ich nun zwei Haushalte an der Backe, doch habe ich somit gegen eventuell auftretende Langeweile Vorsorge getragen. Schon in der weisen Voraussicht, dass es so kommen könnte, haben wir die Wohnung unweit der unsrigen gesucht. Mit einem Fußmarsch von 15 bis 20 Minuten bist du dabei. Das ist doch noch durchaus im Bereich des Machbaren. Abends wieder Hausmütterchen, so mit kochen für den
„Göttergatten“. Ich bin ja seit Jahr und Tag auf Diät. Zählt Eis eigentlich zu diätetischen Lebensmitteln? Muss ich mal drüber nachdenken und ggf. den Verzehr Selbigen einschränken. Man gönnt sich aber auch gar nichts. Ja und dann wieder lesen, lesen, lesen. Sonst habe ich immer gespielt. Doch zur Zeit befinde ich mich im totalen Lesewahn. Wen stört's? Wir haben uns ja doch nichts zu erzählen. Meinen Mann müsste ich nur anschweigen. Hm, ist halt so. Nach Hause kommen, irgendwann duschen, sich dann den ganzen restlichen Tag im Schlafanzug in den Fernsehsessel knallen und in die Glotze starren. Wenn ich so zurück denke ... es war eigentlich schon immer so. Ich sagte ja
bereits, äußerst komplizierte Beziehung.
3. Kapitel
„Ein Paket für Frau Anna Belle Schulz.“ Aufgeregt nimmt Anna das Paket entgegen. Ein Paket von der Schule „Seminare im Fernstudium“ .
'Oh man. Jetzt kann's also losgehen. Jetzt lerne ich schreiben. Oh mein Gott.'
Anna hat nach langem Hin und Her beschlossen, einen Kurs für „Kreatives Schreiben“ zu belegen. Will sie doch ihr Buch nicht ohne jegliches professionelles Wissen schreiben. Also hat sie sich im Internet umgeschaut, ob es da nicht eine Möglichkeit
gibt. So ist sie auf die Schule „Seminare im Fernstudium“ gestoßen und hat sich gleich für einen Kurs eingeschrieben. Sicherlich hätte Anna auch an der hiesigen Volkshochschule einen Kurs belegen können, aber es mangelt ihr an Kontaktfreudigkeit, sie kann mit direkter Kritik nicht so gut umgehen, sie traut sich nicht, vor anderen Menschen zu reden und eigene Ideen vorzutragen; kurz um: es mangelt ihr an Selbstvertrauen. Ganz hippelig vor spannender Erwartung durchstöbert Anna den Inhalt des Pakets.
Sie liest: „Jagen, Sammeln, Säen, Ziehen, Pflanzen, Ernten, Handwerk, Industrie, Technologie, Kommunikation und Virtuelle Welten“. Bei diesen Begriffen schnellt
skeptisch eine Augenbraue nach oben. Nicht ganz davon überzeugt, ob sie so das Schreiben erlernen kann, blättert Anna das erste Helft durch.
'Hört sich eher an, als ob ich Volkswirtschaft studieren will.'
Und es soll noch eigenartiger werden, als sie sich ansieht, was auf sie zukommt. Es geht um die Darstellung und Entstehung von Buchstaben, Schriftweisen, Piktogramme, Rebusse und um Firmenlogos. Anna schüttelt entsetzt den Kopf.
'Nie im Leben kann ich mir so etwas merken. Die Hälfte der Begriffe verstehe ich ja
noch nicht einmal. Was sind Rebusse? Das packe ich niemals nicht. Das Beste wird sein, ich kümmere mich gleich um die erste Einsendeaufgabe und dann sehen wir weiter. Ich bin ja noch in der Probezeit.'
Also überfliegt sie schnell die Seiten ohne sich intensiv damit auseinander zu setzen und startet gleich die ersten beiden der Aufgaben:
„Sammeln Sie Piktogramme und stellen Sie daraus zwei Bilderwitze her“ und „Fertigen Sie mit Hilfe Ihres PC zwei Comics an, die Buchstaben und Zeichen der Tastatur als Personen enthalten. Sie sollen aus kleinen Pointen bestehen. Schreiben Sie Sprechblasen dazu“.
'Ich soll was!? Ich will schreiben lernen und keine Comics zeichnen.' Hin - und hergerissen, ob sie sich dieser Aufgabe wirklich stellen will und kann, tigert sie durch alle Zimmer.
'So schwer kann das doch nicht sein. Schließlich sind ja schon Beispiele im Übungsheft. Schau'n wir mal auf den Internetseiten, was es so an Piktogrammen gibt. Ich will das einfach schaffen. Ich muss das schaffen. Das wäre doch gelacht.'
Für die erste Bildergeschichte entscheidet sich Anna für zwei Piktogramme aus dem Internet. Das Erste stellt zwei sich
freundschaftlich umarmende Menschen, zu sehen sind zwei Männer, dar. Beim Zweiten entscheidet sich Anna für ein Schild, welches auf die Geschlechtertrennung hingewiesen wird. Es zeigt eine Frau getrennt durch einen dicken Balken von einem Mann. Vermutlich zu finden auf öffentlichen Toiletten, Umkleideräume oder ähnlichem. Diese beiden Piktogramme stellt Anna unter dem Thema „Beziehungskiste“ gegenüber, geschlechtliche Umorientierung des Mannes hin zur „Männerfreundschaft“ und weg von seiner Freundin mit der Bemerkung derselbigen „... dann geh doch!“.
'Für mich ist das eindeutig zu verstehen. Er outet sich und entscheidet sich klipp und
klar für ihn und trennt sich von ihr. Hm. Logisch. Und die zweite Geschichte? Vielleicht Essen sammeln aus Mülltonnen? Ist ja heut' zu tage in.'
Also nimmt sich Anna für das Piktogramm einer durchgestrichenen Mülltonne, wahrscheinlich „Mülltonnen aufstellen verboten“ und gibt diesem einen anderen Sinn „Sammeln aus Mülltonnen verboten“. Im Kontrast dazu setzt Anna ein Schild, welches Besteck und ein Glas zeigt, vermutlich als Hinweis auf ein Restaurant gedacht. Dazu wählt sie eine Überschrift „... und ich habe extra mein Besteck mitgebracht!“
'Prima. Fertig. So. Jetzt noch zwei Comics aus
Buchstaben mit Sprechblasen. Wer sich so einen Mist einfallen lässt. Hm. Ein O und ein B. Hm. Mal schau'n. Das O auf der linken Seite durch einen Strich begradigen und dann in der Mitte von rects nach links eindrücken – ergibt ein B. Und was soll in die Sprechblase? Sagt das O zum B: „ Und...was hat der Stock im ...Rücken genützt? Vornehmes Gehabe und trotzdem musst du den Gürtel enger schnallen!“ '
Anna betrachtet ihren ersten Comic und findet ihn recht gelungen. Deshalb macht sie sich auch gleich daran, den nächsten auf Papier zu bringen. Sie nimmt ein kleines l und ein kleines b.
'Wenn das l einen dicken Bauch hätte, könnte es als b durchgehen. Und die Geschichte? Sagt das l zum b: „Das Kind kann aber nicht von mir sein. Bestimmt hatte da das o ...die Hand im Spiel!“ Jipp. Das ist witzig. Ich finde es witzig.'
Stolz auf sich, diese Aufgabe bewältigt zu haben, schickt Anna ihr Werk auch sofort ab. Nur nicht noch ein Mal darüber nachdenken. Damit packt sie alles beiseite und wenn sie schon dabei ist, sich künstlerisch zu betätigen, zückt sie auch gleich ihren USB-Stick, um sich ihre alten Aufzeichnungen anzuschauen.
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Mein Tagebuch „Hallo Ihr Lieben, am Samstag wird Ritas lieber Ehemann mit seiner schönen Stimme und tollen Liedern die Gäste wieder begeistern. Wer hat Interesse und Lust mit dabei zu sein? Ein Feedback wäre toll, damit ich Rita die Sitzplatzreservierung mitteilen kann. Die Mitkommenden hören dann anschließend von mir. (evtl. Treffpunkt / Fahrgemeinschaften) Freue mich von Euch zu hören. Viele Grüße Brigitte" Ich weiß nicht so genau. Nur um Rollo singen zu hören und die anderen Exen wieder zu sehen, muss ich nicht wirklich da hinaus? Nein, ich glaube nicht. Ich werde mich einfach nicht melden. Ignorieren, das ist das, was ich
am besten kann. Nicht gerade ein feiner Zug an mir. **** Jetzt, wo ich Zeit habe, werde ich mal mit einigen ehemaligen Studienfreunden Kontakt aufnehmen. Vielleicht entwickelt sich ja etwas daraus. „Hallo Marina, dachte so in einem jugendlichen Leichtsinn, meldest dich einfach mal wieder bei der Marina aus Hildburghausen. Ich bin ja nun zu Hause. Als die Mutterbank meinen Arbeitgeber aufgekauft hat, hat sie auch gleich mal einige Arbeitsplätze (es durfte nur jeder 5. bleiben) ersatzlos gestrichen. Unglücklicherweise saß ich auch auf einem solchen. Nun bin ich bis
zum Jahresende bei vollem Gehalt freigestellt und danach habe ich einen Aufhebungsvertrag mit 'ner Abfindung, die eigentlich (wenn man sich ein bisschen streckt) bis zur Rente reichen sollte. Jetzt werde ich erst mal was für mich tun (die Zeit geht ja nicht an einem vorbei - jünger werden wir nicht) und dann werde ich endlich die Kinder aus dem Haus schmeißen. Fanny (25 Jahre) geht im Sommer als Lehrerin irgendwo in die alten Bundesländer. Da kann ich ihr ja zur Hand gehen. Ian (23 Jahre), na mal sehn. Seit der vom Bund zurück ist und Arbeitslosengeld bekommt, tut er sich mit der Arbeitssuche ein wenig schwer. Vielleicht klappt's ja im Sommer mit der Feuerwehr. Und dann kann er auf Budensuche gehen.
Zsuzsa (21 Jahre) hat nun endlich auch einen festen (hoffentlich) Job als Bürokauffrau gefunden und nun kann ich anfangen, sie zu entwöhnen (Schluss mit Mutters Streicheleinheiten). Ansonsten ist meine Brut noch frank und frei, keinen Anhang, keine Enkelkinder oder so. Vielleicht schaffen wir es ja in diesem Jahr uns mal wiederzusehen. Ich könnte euch ja mal ein paar Tage zu mir einladen ( Ferienwohnung über meinen Vermieter) und wir machen einen drauf, gegebenenfalls auch mit Männern. Frag doch mal bei Ela und Betty nach. Von den beiden habe ich nämlich weder Adresse, noch Telefon oder Mail. Vielleicht schleife ich meinen "Alten" auch mal nach Thüringen. Mal schauen. So nun
hast du dich genug gewundert. Bis bald Anna“ ****
„Hallo liebe Anna, vielen Dank für deine E-mail. Habe mich sehr darüber gefreut. So wie du schreibst, bist du nach wie vor: Anna-Belle. Jetzt, wo du für ein Jahr das Geld mit der Post bekommst, hast Du doch Zeit ein Treff zu organisieren. Ich würde mich sehr freuen, wenn im Großen, also die Seminargruppe, als auch im Kleinen, wir vier, ein Wiedersehen zustande käme. Also mir kannst du den Termin schreiben. Von Betty habe ich eine Telefon Nr. und von Ela auch. Arbeiten tut sie in der Volkssolidarität.
Vielleicht schaffst du ja ein Wiedersehen. In meinem bzw. unserem Leben ist soweit alles beim Alten. Letztes Jahr hatten wir den 30.Hochzeitstag. Wir wohnen und arbeiten wie eh und je seit den letzten Schreiben. Unser Sohnemann Steven (26) lebt in der Schweiz, in der Nähe von Chur und kommt alle Monate nach Hause. Der Bäcker hat noch keine Schwiegertochter gebacken. Irgendwann wird es denn werden. Seinen Haushalt schmeißt er selbst und Ordnung herrscht auch. Ich bin ja nun schon seit 20 Jahren bei der Wohnungsgesellschaft hier beschäftigt. So bleibt es hoffentlich bis zur Rente. Uwe musste die Arbeitsstellen schon mal wechseln, aber arbeitslos ist er immer nur mal 3-4 Wochen gewesen. Es wird jetzt in
unserem Alter bestimmt schwieriger werden, etwas zu finden. Aber dies steht zur Zeit nicht zur Debatte. Übrigens das Angebot Berlin zu besuchen, nehme ich gern zur Kenntnis. Eigentlich wollten wir dieses Jahr eine Woche nach Andalusien (Spanien) für eine Woche. Vielleicht kommen wir dann auf dein Angebot zurück. Außerdem haben wir vor, in unserem Garten Veränderungen am Haus vorzunehmen. Ich weiß noch gar nicht, wie das alles werden soll. Aber arbeiten tun wir genug und deshalb muss ich Uwe weg zerren, sonst hat der überhaupt keine Ruhephase im Jahr. Der ist ein richtiger Workerhollig. Das ist mitunter auch nervig. Was zu unternehmen - das muss immer verordnet werden, sonst ist alles wichtiger als
Freizeitgestaltung. Nun jetzt ist gut, vielleicht schreiben,hören oder sehen wir uns mal wieder. Ich freue mich. Liebe Grüße auch unbekannter Weise an deine Familie Marina und Uwe“ **** Ich hätte ja nicht gedacht, dass Marina sich so schnell meldet. Und noch viel weniger hätte ich angenommen, dass ich ein Klassentreffen organisieren soll. Liegt mir eigentlich gar nicht mehr. Früher habe ich so etwas gern gemacht, aber heute? Ich bin nicht mehr so kontaktfreudig. Wir haben uns alle 31 Jahre bzw. (wann war das letzte Klassentreffen?) 10 Jahre nicht gesehen. Ich
weiß auch einfach nicht, was ich mich mit den Leuten unterhalten soll. Ich bin doch eher der Zuhörer. ---------------------------------------------
Anna hat natürlich kein Klassentreffen organisiert, noch nicht einmal ihre ehemaligen Freundinnen nach Berlin eingeladen. 'Das ist auch schon wieder viel zu lange her. Warum melden sich andere nur, wenn ich den ersten Schritt dazu tue? '
Mit diesem Gedanken und der Gewissheit, dass andere die Vergangenheit ad akta gelegt haben und dererlei Beziehungen keine
Zukunft haben, schließt sie ihre Aufzeichnungen für den heutigen Tag. Schnell hat Anna alle Erinnerungen beiseite geschoben und widmet sich wieder ihrer Trilogie von Liebe, Vertrauen und Kampf. Entspannt sitzt sie in ihrer Leseecke und verschmilzt mit den Figuren ihres Romans. Sie liebt mit ihnen, sie leidet mit ihnen, sie kämpft mit ihnen. Dabei spielt die Zeit keine Rolle. Später legt sie verträumt das nun auch ausgelesene Buch zu den anderen beiden in das Regal und wünscht wieder ein Mal mehr, ihr Leben würde sich auch so zum Schönen entwickeln. Am Abend schreibt sie dann in ihrem Blog:
3. Eintrag
Ich stehe total neben mir. Es ist nichts, so wie es sein sollte, so wie ich es mir wünschte. „ ... Lippen glitten über ihre und dann küsste er sie leidenschaftlich. ... Er berührte ihren Körper, als ob er ein Schatz sei, den zu erforschen ... und während er tief in ihr Augen blickte, ... Seine Hand glitt über die seidige Haut ihrer Schenkel ... küssend ihren Körper hinunterrutschte und mit seiner Zunge um ihre Hitze fuhr … “ und so etwas gibt es wirklich? Dann will ich das auch haben. Das Kribbeln im Bauch, an den intimsten Stellen, am ganzen Körper habe ich schon beim Lesen bekommen, aber ich hätte gern den Mann dazu. Einen, der zärtlich ist,
der mir immer mal eine kleine Aufmerksamkeit mitbringt, einen der sich ganz toll pflegen kann. Eben so einen, wie aus meinen Romanen. Statt dessen sitzt mein „Göttergatte“ im Schlafanzug im Sessel und schnalzt mit der Zunge, um irgendwelche angeblichen Essensreste aus seiner Prothese zu bekommen. Krrrrr... es nervt. Nun muss ich mir auch noch irgend so eine Bausendung in der fünften Wiederholung anschauen. Ich hasse das. Gibt’s nichts ordentliches im Fernsehen? Deshalb mein Blog zu so ungewöhnlicher Zeit. Mein Mann wird mir nicht über die Schulter schauen, er muss ja den Mist anschauen. Ich werde mir jetzt eine lauwarme Dusche genehmigen, zum einen, um dem Fernsehprogramm zu
entkommen und zum anderen, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Wie gesagt, ich stehe etwas neben mir. Ich bin frustiert.
4. Kapitel
Wieder ein Mal fühlt sich Anna in ihrem Tagesablauf gestört. Ian hat Urlaub und bringt mit seiner Anwesenheit den gesamten Rhythmus durcheinander. 'Es ist schon eine Umstellung, dass Ian jetzt für die nächsten zwei Monate wieder zu Hause eingezogen ist, aber jetzt auch noch zwei Wochen Urlaub, in denen er am liebsten rumgammeln möchte. Ich bin das nicht mehr gewöhnt.' Anna verdreht die Augen als sich ihr Sohn mit einer Schüssel Müsli vor den Fernseher
setzt. „Ich fahre dann in die Kaserne, meine Sani-Klamotten abholen. Die haben gesagt, ich kann einfach vorbeikommen. Dann fahre ich ins Fitness-Studio und auch gleich beim Autohaus vorbei“, meint er und switcht dabei durch alle Programme. 'Ok, dann ist er ja gleich weg und ich kann schnell durchsaugen, sein Zimmer ausgenommen.' „Dann bist du vor heute Abend nicht da? Triffst du dich mit Jana? Bist du zum Abendessen da?“ Das sind wohl zu viele Fragen auf einmal, denn Ian murmelt nur: „Muss ich mal schauen, aber zum Essen bin
ich auf jeden Fall wieder da.“
Anna schaut sich in Ian's Zimmer um : „Deine frische Wäsche räumst du aber bitte vorher noch aus dem Wohnzimmer weg ... und müssen die Armeesachen gewaschen werden?“ 'Gott sieht das in dem Zimmer wieder aus. Wie kann man nur so schlampig sein. Wenn ich jetzt sauge und der aus seinem Zimmer kommt, ist alles gleich wieder schmutzig.' „Ja, schon. Aber das hat Zeit. Muss ich doch nicht gleich aussortieren. Später.“, gibt Ian sichtlich genervt vom Ordnungsfimmel seiner Mutter zu Antwort. Damit zieht er seine Schuhe an, dreht provokatorisch noch eine
Runde durch alle Zimmer und verschwindet mit einem Tschüß aus der Wohnung. 'Na schön, Augen zu und durch. Nur nicht aufregen. Ich schaue gar nicht erst noch mal in sein Zimmer. Nur schnell saugen und dann kann ich mich für wenige Momente wieder meinen Aufzeichnungen widmen.' --------------------------------------------
Mein Tagebuch Bin ich masochistisch angehaucht? Muss ich mir das antun? Zsuzsa fühlte sich heute morgen nicht so gut, irgendetwas mit dem Kreislauf. „Gib mir mal schnell was zu trinken,... das wird nicht besser. Gibt mir mal
was zu Essen.“ Dabei lag sie auf dem Sofa im Wohnzimmer. Dann der allmorgendliche Ablauf (Bad, Anziehen, Essen, noch etwas ausruhen). 5:54 Uhr, eine Minute zu früh, setzt sie sich auf, nur um zu trinken und was mache ich? Ich setze mich auch auf: „ Es ist noch nicht so spät. Was treibst du mich denn so an?“ „Es ist doch ...55. Zeit fürs Bad.“ „Immer mit der Ruhe.“ „Du weißt doch, dann ist der Papa wieder stinkig, wenn er warten muss.“ „ Der soll sich mal nicht so haben. Der kommt schon nicht zu spät.“ Im Endeffekt habe ich Gerd 3 Minuten zu spät geweckt und mürrisch, wie er war, musste er dann auch noch bummeln auf dem Weg ins Bad. „Na wo bleibt der denn. Hab ich mich umsonst beeilt. Und wo bist du nun schon
wieder? Anstatt mich zu verabschieden, baust du eure Betten. Schließlich muss ich jetzt raus in die Kälte“ bellte auch schon wieder die Lütte. Da soll man kein schlechtes Gewissen bekommen, dass man zu Hause bleiben darf und die anderen arbeiten gehen müssen!? -------------------------------------------
Anna hält mitten im Lesen inne. Sie hat manches Mal gedacht, wie schön es doch ist, nicht hinaus zu müssen. Aber es ist ihr auch heute noch innerlich oft unangenehm, eine Abfindung bekommen zu haben, die es ihr ermöglicht, zu Hause bleiben zu dürfen. In solchen Momenten, wie im Tagebuch beschrieben, beschleicht sie das schlechte
Gewissen. Dann schüttelt Anna den Kopf.
'Gott sei dank ist das alles Schnee von gestern. Das muss ich nicht wieder haben. Man gewöhnt sich so schnell an derartige Annehmlichkeiten des Lebens, dass man sie vielleicht gar nicht so richtig zu schätzen weiß. Hat man den Trubel, ist es zu viel. Andererseits … Hm. Weiter im Text. … Noch mehr Familie? … Nee, jetzt kommt's. Ich hab' nen Laptop.' --------------------------------------------
Mein Tagebuch Wow, jetzt habe ich einen eigenen Laptop. Habe mich auch schon daran geübt. Das
schöne ist ja, dass keiner mehr lesen kann, was ich nieder zu schreiben habe. Vielleicht entwickele ich mich noch zum technischen Genie. Immerhin habe ich schon meine Dokumente vom Computer auf USB-Stick und von da auf den Laptop übertragen. Das alles, ohne dass mir jemand gezeigt hätte, wie es funktioniert. Ich konnte sogar das Schreibprogramm ändern. Am Wochenende war Fanny zu Hause, ganz überraschend. Sie hat mir das Nötigste am Laptop gezeigt und eingerichtet. Die Mädchen waren am Samstag auf dem Alex und endlich hat Zsuzsa ihr „Ferkel“ bekommen. Mir haben sie eine neue DVD mitgebracht, "Mama mia". Gott finde ich die toll. Ich sehe die Schauspieler Meryl Streep und Pierce
Brosnan so gern, deshalb musste ich mir den Film gleich am Montag reinziehen. **** Heute bin ich total down. Was sagt mir meine Waage heute morgen? 133,8 Kilo, wo ich doch mit maximal 132 in die neue Woche starten müsste. Ich habe fleißig meinen Sport getrieben, habe nicht genascht und auch sonst habe ich mich essenstechnisch sehr zurückgehalten. Von Freitag (131,8) bis heute am Montag habe ich 2 kilo zu genommen. Geht so etwas überhaupt? Trotzdem werde ich tapfer nach meinen Regeln weitermachen. Irgendwann muss sich das doch auszahlen. Werden meine
monatlichen Fusspflegetermine halt noch warten müssen. Am Wochenende habe ich Zsuzsa die Haare geschnitten und im Gegenzug wollte sie mir die Haare färben. Aber nun habe ich mich entschlossen, meine Naturfarbe, grau oder weiß oder so, raus wachsen zu lassen. Nur mal um zu sehen, wie das ausschaut. Natürlich muss ich dann auch irgendwann die Haare wieder abschneiden lassen, was mir momentan schwer fallen würde. Sie sind gerade lang genug, um sie hoch zu stecken. **** In der letzten Woche ist nichts besonderes passiert. Wie auch? Ich sitze zu Hause und
gammle vor mich hin. Kann mich einfach nicht aufraffen, irgendetwas zu tun. Draußen ist es kalt und beim Laufen erfriere ich mir höchstens etwas. Zum Glück habe ich am Montag 131,6 Kilo gewogen und somit im Limit. Jeden Tag schaue ich mir "Mama mia" an und boah, Pierce Brosnan hats echt drauf in dem Film. Ich sehne mich auch nach so einem Mann, der mich so richtig liebt, mit dem man reisen, ins Kino gehen und lieben kann. Vor allem möchte ich geliebt werden, mit viel küssen. Ich küsse für mein Leben gern. Vor vielen Jahren zu wenigsten. Kann man sich das eigentlich vorstellen, dass ich seit 21 Jahren keinen Sex mehr hatte? Mit Gerd kann ich aber auch darauf verzichten. Eigentlich leben wir zusammen, wie in einer
WG. Mehr kann ich mir auch nicht vorstellen. Immer wieder sage ich mir, du hättest das Kind nehmen sollen und fertig. Das war vor 25 Jahren. Nicht dass ich meine beiden anderen Kinder nicht lieben würde, aber es wäre alles um ein Vielfaches einfacher gewesen. Oft mache ich mir Gedanken, wie alles gewesen wäre. Ich weiß nicht, ob mein Leben schön gewesen ist, mit all dem Stress. Gerd hat gesoffen, nach der Wende war er fast 10 Jahre arbeitslos mit Unterbrechung - aber um eine Arbeit hat er selbst sich nicht gekümmert, dann die kleine Wohnung für 5 Personen, 20 Jahre im Wohnzimmer schlafen und die vielen Bemühungen umzuziehen. Erst als Zsuzsa die Bemerkung fallen ließ, wir würden auch ohne ihn umziehen, war er
plötzlich bereit. Im Nachhinein wäre es mir lieber gewesen, er hätte sich von mir getrennt. Er lässt sich immer so gehen, furzen, rülpsen und so und auch sein Äußeres lässt manchmal zu wünschen übrig
(seine Füße könnten eine Pediküre gebrauchen), dann liegen sie beim Fernsehen auf dem Tisch oder er schabt mit den Händen die Hornhaut auf den Fußboden. Er lässt sich halt gehen und sagen oder darauf hinweisen darf man nicht, denn das ist ja dann Bevormunden. Ihm gefällt's und andere haben sich damit abzufinden. -----------------------------------------------------
'Daran hat sich auch bis heute nichts
geändert. Leider. Was hat Ian letztens erst gesagt: „Statistisch gesehen, lassen sich immer mehr Fauen mit 60 scheiden.“ und hat mich dabei herausfordernd angegrinst. Ich weiß, dass meine Kinder sehr dafür sind. Aber ich? ' Anna hat Gerd vor 28 Jahren kennengelernt und gedacht, lieber den als gar keinen. Wenn es schon nicht die große Liebe sein soll, so wollte sie doch zu wenigstens ein Leben mit mindestens vier Kindern. Ihren Kindern. Fanny, Ian und Zsuzsa hat sie ganz gut hinbekommen. An ein viertes Kind war aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu denken. Es waren nicht immer glückliche und leichte 28 Jahre und wie oft hat sie über die
Möglichkeit einer Trennung nachgedacht, ist aber immer zu dem Schluss gekommen, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war.
Gibt es für Scheidung einen richtigen Zeitpunkt?
Anna versteckt sich gern hinter ihrem inneren Schweinehund und meistert nur Herausforderungen, wenn sie denen nicht mehr aus dem Weg gehen kann. Eine Scheidung gehört nicht dazu.
Tief durchatmend und sich damit einstweilen abfindend richtet Anna ihre Aufmerksamkeit ihren E-Mails zu.
Die Fachabteilung „Kreatives Schreiben“ der Schule „Seminare im Fernstudium“ hat ihre erste Einsendung bewertet.
„Sehr geehrte Frau Schulz, Sie zeigen hier gleich, dass Sie sich auf die Pointe verstehen und auch wissen, wie Witze gemacht werden. Sie zeigen sich als humorvoller Mensch, der seine Effekte zu setzen weiß. Ihre Comics haben die Chance der Pointe sehr gut genutzt. Sie sind sofort eingängig und leicht zu verstehen. Das ist bei Bildern dieser Art wichtig. Hier zeigen Sie, dass Sie assoziative Verknüpfungen herstellen können, die den Betrachter überraschen. Auch Leser lieben es, auf diese Weise neue Blicke auf die Welt zu werfen. Dieser Lehrgang richtet sich an alle, die gerne schreiben und die gerne etwas über das Schreiben selbst erfahren wollen.
Ich möchte Ihnen empfehlen, sich auf die Aufgaben, die hier gestellt werden, einzulassen. Mit freundlichen Grüßen Ihr Kurt Stift“ Glücklich über eine solche Beurteilung hüpft Anna wie ein kleines Kind durch die Wohnung. Aber es ist niemand da, der sie dafür beglückwünschen und sich mit ihr freuen könnte. Wie auch? Es interessiert keinen, weder dass Anna schreiben will, noch dass sie positive Kritiken bekommen könnte. Ihre Töchter vielleicht, aber die sind nicht da. Hochmotiviert setzt sie sich deshalb erneut an ihren Laptop und schreibt an ihrem Blog.
4. Eintrag Ich weiß, ich bin eine treulose Tomate. Aber leider schaffe ich es nicht immer, euch meine Tageseindrücke zu vermitteln. Heute jedoch habe ich gleich zwei Top-Info's für euch. Mein Herz hat doch tatsächlich ein riesen Hüpfer gemacht. Ich liege bei 122,8 Kg. Man so „leicht“ war ich seit langen nicht mehr. So kann's weiter gehen. Ach übrigens, die Sport-DVD's sind irgendwo im Schrank verschwunden. Die gingen mal gar nicht. Ihr wisst noch, Yoga, Ballettworkout und Tanzaerobic. Ich konnte mich nicht durchringen, mir das jeden Tag eine Stunde lang anzutun. Statt dessen bin ich nun bemüht, jeden Tag 10.000 Schritte zusätzlich
zu machen. Bis 7.000 hab ich es schon gebracht. Aber ich bleibe am Ball. Ist doch mal eine Supermeldung und die zweite folgt zugleich. Ich habe doch nun tatsächlich ein Seminar für „Kreatives Schreiben“ begonnen. Hab ich euch das schon erzählt? Auf jeden Fall habe ich die erste Hausaufgabe schon eingesendet und was muss ich euch sagen? Die Beurteilung meines Mentors war fantastisch. Ich werde auf jeden Fall weiterschreiben und euch auf dem Laufenden halten.
5. Kapitel
Die Zahlen auf der Waage lassen Anna alle Haare zu Berge stehen. Es musste sich ja rächen. Aber gleich zwei Kilo! Ist das alles ungerecht. Wütend über sich selbst schiebt sie das ungeliebte Bad - Accessoir wieder an seinen Platz zurück. Mürrisch setzt sich Anna an den Computer um ihrem Frust Luft zu machen.
5. Eintrag Halli, Hallo, Hallöle! Da haben wir schon den Schlamassel. In den letzten beiden Tagen hat mein innerer Schweinehund gewonnen und
ich bin meinen beiden verwerflichsten Sünden erlegen. Ich habe gespielt, gespielt, gespielt. Und wenn ich nicht gespielt habe, habe ich mir den Wanst vollgefressen. Ich musste einfach. Ich hatte so einen Drang, alles Essbare in mich hineinzustopfen. Wenn ich nicht so ungelenkig wäre, könnte ich mich in meinen großen Hintern beißen. Leute, die Abrechnung gab's dann auch gleich heute Morgen auf der Waage. Ich hab alles wieder drauf: 124,9kg. Ich könnte verzweifeln. Aber was bringt das schon. Also aufraffen und von vorn beginnen. Diese Disziplin beherrschen wir ja schon und wir wissen, wo sich der Start befindet. Und ich sage euch, irgendwann werde ich auch das Ziel finden. Nur nicht den Mut und vor allem den Humor verlieren! Dann
werde ich ab heute jede Stunde tausend Schritte gehen. Ihr entschuldigt mich einen Moment. Muss meinen Vorsatz sofort in die Tat umsetzen. Bin gleich wieder da, denn ich hab ja noch mehr zu berichten... Damit schwingt sich Anna vom Stuhl und beginnt nach der Musik im Radio ihre ersten tausende Schritte auf der Stelle zu gehen. Zum Nachdenken hat sie dabei keine Zeit, denn sie zählt in Gedanken jeden Schritt des rechten Beins mit: zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig ... Nach dem fünften Mal ... neunundneunzig, hundert ein paar Schulter- und Hüftkreisen, ein Glas Wasser und fertig.
'Hm, mein Schrittzähler wäre schon nicht schlecht. Aber wo hab ich den? Hm! Wenn ich schon mal stehe, kann ich auch gleich die Wäsche aufhängen, dann noch mal tausend Schritte und dann schreibe ich weiter.'
Mit einem Blick auf die Uhr holt sie die Wäsche aus dem Bad und hängt sie auf dem Balkon auf. Das ist für heute die einzige Hausarbeit, abgesehen vom abendlichen Kochen für ihre beiden Männer, die es zu erledigen gilt. Also bleibt Anna heute genügend Zeit, sich ihrer Schreiberei zu widmen.
Immer noch 5. Eintrag
... und da bin ich wieder. Das Thema Gewicht
ist abgehakt und nun lasst uns zu meinen Aktivitäten kommen, sowohl die, die ich plane und die, die ich schon in Angriff genommen habe. Im Anschluss an diesen Blog werde ich mich gleich wieder um mein „Kreatives Schreiben“ kümmern. Ich muss gestehen, ich hab es immer ein bisschen vor mir her geschoben. Es ist schon nicht so einfach. Wisst ihr, was Rebusse sind? Ich auch nicht. Aber irgendwie werde ich es schon hin bekommen. Dann hab ich einen Aushang gesehen, dass die Schule, gleich bei mir um die Ecke, jemanden für die Schulbibliothek sucht. Da werde ich mich nächste Woche vorstellen. Ist zwar ehrenamtlich, aber besser als gar nicht unter Leute zu kommen. Schau'n wir mal, ob's mir zusagt und welche
Anforderungen an mich gestellt werden. Drückt mir mal die Daumen!
Später wendet sich Anna ihren Studien zu. Vor ihr iegt ein Schulungsheft mit der Aufschrift „Sammeln + Jagen“.
'Sammeln und Jagen. Und was soll ich sammeln und jagen? Bin ich ein Neandertaler? Was soll das? Verschriften von Geräuschen – das bekomme ich ja vielleicht noch hin, aber den Vokalen eine Farbe zuordnen. Keine Ahnung.'
Anna sieht nicht sehr glücklich aus, denn sie verzweifelt bei den gestellten Aufgaben. Und so schaut Anna wieder in den Auflösungen
nach und kann sich einfach nicht erklären, dass es Farb-Klang-Empfindungen gibt, dass jeder über eine individuelle Vokal-Farb-Harmonie verfügen soll.
'Denke ich an einen Buchstaben, wenn ich „schwarz“ oder „rot“ höre? Oder verbinde ich das „e“, „a“ mit einer Farbe? Ich glaube nicht. Wenn das für kreatives Schreiben, für Schreiben von Romanen, Geschichten oder was auch immer eine Grundlage, eine Voraussetzung ist, dann kann ich das nicht erlernen. Diese Fähigkeit geht mir ab. Das kann ich nicht.'
Nichts desto trotz, Anna arbeitet sich weiter durch die Materie. Mit sich uneins, ob es
wirklich lohnt, dieses Studium fortzusetzen, stößt sie auf das nächste für sie Unerklärliche. Mit dem Haiku kann sie auch gar nichts anfangen und ist froh, dass sich diese japanische Gedichtform nicht auch in Europa ausgebreitet hat. Wieder einmal überfliegt Anna die nächsten Seiten und ist sich sicher, Gedichte werden auf keinen Fall geschrieben. Ergo braucht sie dies auch nicht zu lernen.
'Schau'n wir doch mal auf die nächste einzusendende Hausaufgabe. Hoffentlich kein Haiku. '
„Schreiben Sie eine Entwicklungsgeschichte der menschlichen Sprache. Berücksichtigen
Sie dabei, dass es noch keine Worte gab, nur Gesten, Zeichen und verschriftete Tierlaute.“
'Oh nein! Leichter wird’s echt nicht. Ich kann mich eigentlich nur auf die Zeichen stützen, die im Arbeitsmaterial schon angeführt sind. Vielleicht fallen mir ja noch weitere ein. Oh man!' Anna schaut ratlos aus dem Fenster, beobachtet die Blätter der Bäume, die sich leicht im Wind bewegen und schaut einen Reinigungsfahrzeug nach. Und ihr fällt nichts ein. Ihr Kopf ist leer. Sie kann sich einfach nicht auf die gestellte Aufgabe konzentrieren.
'Schreibblockade? Dazu gibt’s bestimmt auch noch eine Lektion. Irgendwo, irgendwann! Weiter hinten, wenn eh alles zu spät ist.'
Lustlos setzt sie sich wieder vor ihren Laptop und beginnt, ohne weiter nachzudenken, mit dem Schreiben.
„Neues über die Entwicklung der menschlichen Sprache" Vor Tausenden von Jahren lebten die Menschen am Waldrand. Die Bäume gaben ihnen den nötigen Schutz vor Hitze und Kälte, vor Wind, Regen, Schnee und Sonne und sie konnten den Wald gleichermaßen wie das weite Land mit Wiesen und Flüssen als
Lebensraum nutzen. Sie verständigten sich durch Gebärden, Gesten und gemalten Zeichen, da sie noch nicht in der Lage waren, sich durch Geräusche zu äußern. Diese Fähigkeit eigneten sie sich erst später an, als sie begannen verschiedene Tiere (muuuu - Kuh, nagnagnag - Ente, määäää - Schaf) nachzuahmen und Gesten durch bestimmte Laute zu untermalen. Viele geschichtliche Fakten und Überlieferungen, wie Höhlenmalerei, alte Runen und Zeichen geben Auskunft über die Kommunikation zur damaligen Zeit, die zum Beispiel so ausgesehen hat. Waren alle Mitglieder einer Sippe gemeint, führte man mit einem Arm eine waagerechte kreisförmige Bewegung aus (ähnlich einem a - alle, all), wollte man
verschiedene Gruppen einteilen, nutzte man die gleiche Bewegung jedoch mit einem anschließendem Wink in eine bestimmte Richtung (also das a + bestimmte Richtung I ergibt ein d - dort, da , dahin...), für unten zeigte man ein u (wie ein Vertiefung in der Erde) und für oben ein O (etwa wie eine Baumkrone). Die Menschen fanden aber nicht nur für Gesten und Gebärden bestimmte Zeichen, sondern auch für Gegenstände, Pflanzen und Tiere. So steht das Zeichen )( für ein gehörntes Tier (daraus entstand später das K - Kuh, aber auch das H - Hirsch). Ein großer flacher Stein waagerecht auf einem dicken senkrechten Stein diente zum Beispiel als Arbeitsunterlage ( T – Tisch, Tableau, …) und
für einen See oder einen Fluss stand das Zeichen w (W – Welle, später auch Wasser). So könnte es gewesen sein. Die Erforschung der Entwicklung der Sprache gibt uns auch heute noch Rätsel auf, denn … wir waren nicht dabei.
(c) ABS
'Ok, das war's. Besser geht es nicht und gleich weg damit. Vielleicht sollte ich schon mal nach der letzten Aufgabe schauen. Nur für den Fall, dass ich lange überlegen muss.' Sie blättert die letzten Seiten des Übungsheftes durch und ist freudig erstaunt.
'Hm. Wie schreibe und beschreibe ich
etwas ,damit der Leser es auch fühlen kann? Na da kommen wir der Schreiberei doch schon näher. Das ist es doch, was ich lernen will. Schmecken, riechen – wie kann ich das vermitteln. Ah, da ist ja auch die Aufgabe.' „Beschreiben Sie eine Ihrer eigenen Geschmacks- oder Dufterinnerung!“
'Ha, das kann ich. Da fällt mir gleich was zu ein.'
Getrieben von innerer Freude und Zuversicht diese Aufgabe zu meistern, macht sich Anna voller Eifer sofort ans Werk.
"Nach einer Gewitternacht"
Nach einer Gewitternacht morgens sechs Uhr auf meinem Balkon. Ich nehme eine Nase voll der frischen Luft und denke, es riecht wie … . Ja, wie eigentlich? Es riecht wie ein noch kühler Morgen an der Ostsee nach einer Gewitternacht. Die Kiefern auf dem Zeltplatz verströmen einen Geruch von Harz und nassem Holz. Es riecht salzig und schlammig nach Seetang, der von der stürmischen See des nachts an den Strand gespült wurde. Das Rauschen der Wellen ist zu hören und mir ist, als ob ich die Weite der Ostsee in mir spüre. Es prickelt auf meiner Haut, denn ich kann das salzige, leicht modrige Wasser riechen. Modrig ist wohl nicht der richtige
Ausdruck. Ein Geruch nach Tang, Algen, vielleicht auch Fisch trifft es wohl eher. Es fällt mir schwer, meine Empfindungen und Wahrnehmungen in Worte zu kleiden. Für mich riecht es eben nach Meer, nach unendlicher Weite, nach Freiheit, nach Abenteuer. Sehnsucht erwacht in mir, da hinaus, immer dem Horizont entgegen. Die Sonne geht langsam auf. Ein feiner Nebel, nach feuchten Sand und Kiefernadeln riechend, steigt langsam auf. Bestimmt wird es ein schöner Tag. Es ist noch ganz still. Nur ein paar Vögel begrüßen den neuen Tag. Keine Menschen, keine Autos, kein Großstadtlärm, nur reine Natur. Ich sauge die Luft regelrecht in mich ein und öffne dann wieder meine Augen. Ich stehe noch immer
auf dem Balkon meiner Großstadtwohnung. Woher kommt dann aber nur dieser Duft der Luft? Wahrscheinlich aus dem gegenüberliegenden Park mit seinem kleinen Teich. Es hatte die ganze Nacht geregnet.
(c) ABS
Mit sich sichtlich zufrieden schickt Anna auch diese Aufgabe an die Schule „Seminare im Fernstudium“ und lächelt bei dem Gedanken, dass ihr Mentor nun erst einmal alle Hände bzw. Augen voll zu tun hat, ihre Arbeiten zu bewerten. Damit klappt sie die Kiste mit dem Studienordnern zu. Die Nachrichten im Radio vermelden die Mittagsstunde und Anna läuft noch tausend Schritte bevor sie sich eine
Kleinigkeit zu Essen macht und sich danach wieder ihrem Hobby, dem Schreiben zuwendet. Sie öffnet die Datei „Das war Alles (!)(?)“ und schaut ihre Niederschriften des vergangenen Jahres durch. Daraus wollte sie irgendwann ein Buch schreiben. -------------------------------------------- Mein Tagebuch Zsuzsa hat ja nun endlich eine feste Anstellung gefunden. Aber ständig dieses Rumgemecker. Immer wieder dieses " Ich habe das beschissenste Leben. Andere brauchen dies und jenes nicht. Warum muss ich das alles machen" und so weiter. Na gut, gegenüber früher hat sich das merklich
gebessert. Da hat sie totale Aussetzergehabt. Das fing schon im Kleinkindalter an, mit "du bist nicht meine Mutter! Du hast mir gar nichts zu sagen!" und dabei trottete sie als 4-Jährige hinter mir her und brüllte die ganze Umgebung zusammen. Oder sie warf sich gleich mal auf die Straße, weil sie ihren Kopf nicht durchsetzen konnte. Wenn sie nicht in die Schule gehen wollte, schrie sie das ganze Haus zusammen, so dass man uns wegen Kindesmisshandlung das Jugendamt auf den Hals hetzen wollte. Wie oft war ich mit ihr beim Kinderpsychologen. Ich musste sie regelrecht "hinprügeln", aber da war sie das liebste und unauffälligste Kind der Welt. Meine Aussagen standen ständig wie eine Lüge im Raum.
Diese Wutanfälle endeten später stets in Selbstverstümmelung, ritzen in den Arm. Auch der Jugendpsychologe, den wir auf Wunsch des OSZ (Oberstufenzentrum) aufgesucht haben, denn auch da war sie auffällig wegen plötzlicher Wutausbrüche, versuchte die Ursachen in meiner Kindheit zu finden. Ich hätte Zsuzsa total falsch erzogen, mal zu viel und mal zu wenig Liebe gegeben. Na was nun? Meine Erziehung hat den anderen beiden Kindern doch auch nicht geschadet. Die haben nie mit dem Leben so gehadert wie die Jüngste. "Warum hast du mich auf die Welt gebracht, ohne mich zu fragen. Nun bist du immer für mich verantwortlich. Du musst machen, was ich dir sage, was ich will. Ich muss gar nichts, nur du.
Du hast mich ja schließlich gewollt, nun sieh zu, wie du damit fertig wirst." Was soll man dazu noch sagen? Aber was habe ich nicht alles getan, damit es ihr später einmal gut geht, angefangen von Ohren anlegen lassen bis hin zu schönen Zähnen (Zahnspange und Inplantate, weil zwei Schneidezähne nicht angelegt waren). Zsuzsa durfte sich alleine die Realschule aussuchen, alleine das OSZ wählen, Berufsausbildung mit Fachabitur machen. Sie war immer die Jüngste und relativ unreif, ich denke mal so zwei Jahre zurück gegenüber anderen. Aber das ist halt nur meine Meinung. Auch nach der Ausbildung machte sich ihr unreifes Benehmen bemerkbar. Über ein Jahr haben wir nach einer Anstellung für sie gesucht. Ich
muss schon sagen, dass sie sich mithin ungemein ins Zeug gelegt hat, aber immer wieder kam dieser Zug "und was muss Ian machen, der liegt nur zu Hause rum, der macht gar nichts immer nur ich" durch. Und trotz allem liebe ich dieses Kind und bin stolz auf ihre Entwicklung, obwohl noch manches zu tun ist. **** Die Waage meint es nicht gut mit mir.132,1 Kilo nach zwei Monaten sind ja wohl noch 3 Kilo zu viel. Dabei habe ich mir doch die allergrößte Mühe gegeben, den Sport durchzuhalten und das Essen einigermaßen nach Plan zu gestalten. Nun musste ich mich
heute leider wieder gezwungen sehen, Speisetagebuch zu führen. Momentan bin ich so was von unzufrieden mit mir. Aus dem Spiegel starrt mich irgend so ein aufgedunsenes altes Weib mit grauen Haaren an. Das kann doch wohl unmöglich ich sein. Irgendwie scheinen meine guten Vorsätze und Träume in Nichts aufzugehen. Wie soll ich das jemals schaffen? Bestimmt nicht, wenn ich die Flinte ins Korn werfe und michgrenzenlos gehe lasse. Ich wollte die Couch reinigen, doch auch das funktioniert nicht so wie gewollt. Also habe ich den Plan auch aufgegeben. Nun schaue ich bestimmt zum Hundertsten Mal "Mama mia" an. "... und es gleitet mir immer wieder durch die Finger ...". Genau so geht es mir und ich habe das
ewig wehmütige Gefühl nichts so richtig auf die Reihe zu bekommen. Ich bin nicht schön, nicht erfolgreich und nicht so richtig geliebt. Schade, das immer nur im Film alles ein Happy End hat und das wirkliche Leben ganz anders ausschaut. --------------------------------------------- 'An den drei Problemen hat sich auch bis heute nichts geändert. Na ja, schön? Schön ist subjektiv. Ich bin klein und dick, eher rund. Ich glaube, das meine ich damit. Unsexi. Und warum? Weil, weil mein innerer Schweinhund das so will. Ich, eigentlich nicht. Die anderen beiden Probleme... nicht erfolgreich und nicht geliebt. Erfolgreich, wie denn? Weiß ja noch nicht mal womit. Muss
mich schleunigstfinden. Geliebt. Das ist ein Ding, welches möglicherweise nur durch andere bewerkstelligt werden kann. Hab ich keinen Einfluss drauf. Denk ich mal. So! ... Hm! Jetzt verfalle ich auch noch ins Grübeln. War das damit bezweckt? Ob überhaupt jemanden das Geschriebene interessiert? Kann man man so etwas überhaupt in einem Buch verarbeiten? Meine Tagebuchaufzeichnungen hören sich ja echt gruselig an. Vielleicht sollte ich jetzt nicht weiter darüber nachdenken. Eigentlich ist es genug für heute.'
Frustriert schließt Anna ihre Aufzeichnungen. Sie überlegt ernsthaft, weiter zu lesen und Gewesenes aufzuarbeiten oder alles zu
löschen und in der Gegenwart ganz normal und unbeeinflusst weiter zu leben. Ein Blick auf die Chat-Nachrichten auf Facebook und Anna beschließt, diese Entscheidung nicht heute zu treffen. Morgen ist auch noch ein Tag ... und übermorgen ... überübermorgen ... später.
'Ich werde wohl noch 'ne Runde spielen und dann lesen. Eigentlich müsste ich auch noch eine Rezension für eins meiner Bücher schreiben. Zugesagt ist zugesagt. Also erst die Rezension und dann lesen. Oh ja, lesen.'
Anna besitzt die Gabe, sich in ihren Büchern zu verlieren und die Gegenwart gänzlich zu vergessen. Warum auch nicht, was versäumt
sie schon im Jetzt und Hier? Bücher sind ihre Zuflucht und so kam es auch, dass sie sich als Hobby-Leserin bereit erklärt hat, auf verschiedenen Internetplattformen für ausgewählte Bücher erste Leseeindrücke und Rezensionen zu schreiben. Eine Stunde später nahm sie eins von vier historischen Romanen aus dem Regal und ließ sich in der Sofaecke nieder. Historische Romane kommen bei Anna gleich nach „Fantasie und Leidenschaft“ und wenn sie ein Buch angefangen hat zu lesen, dann sind 1200 Seiten in wenigen Tage verschlungen. Heute fängt sie das vierte und letzte Buch aus der Reihe über das England des 14.,15. und 16.Jh. an, über Könige, Ritter, Kriege, Intrigen, Liebe und Verwirrspiele.
6. Kapitel
Sehr geehrte Frau Schulz,
herzlichen Dank für Ihre Fantasie über die Entwicklung eines menschlichen Zeichensystems. Sie haben das sehr gut gemacht, denn Sie haben ganz konkrete Beispiele für solche Zeichen gegeben und plausibel erklärt, wie sie entstanden sind, wie sie gegeben und schließlich zu einer Schriftsprache ausgearbeitet wurden. Das ist überzeugend, auch wenn Sie zum Schluss zu Recht sagen, dass wir es nicht genau wissen, weil wir eben nicht dabei waren. Sie schreiben sehr gut, fehlerfrei und
ansprechend. Sie verfolgen einen überzeugenden Gedanken. Die Sprache entstand erst akustisch, als die Menschen begannen, die Laute von Tieren nachzuahmen. Interessant ist auch der Übergang von einer Sprache der Zeichen zu ihrer Visualisierung, denn es besteht ein viel direkterer Weg vom Hand- und Körperzeichen zu einem Bild als von dem Laut zum Bild. So dürfte die Entwicklung wohl verlaufen sein, dass sich aus der Zeichensprache und der Wiedergabe von Geschehnissen eine Bildsprache entwickelt hat, die sich später irgendwie mit der sich parallel entwickelnden Lautsprache vereint hat zu Lautzeichen. Das sind sehr gute Überlegungen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Kurt Stift
'So, so. Ich schreibe also sehr gut, fehlerfrei und ansprechend. Ich glaube, ich kann eigentlich nur auf das Prädikat „ansprechend“ großen Wert legen, denn fehlerfrei schreiben, sollte eigentlich bei einem guten Computerprogramm kein Problem darstellen.'
Und obwohl mit sich und ihrer Leistung zufrieden, kann sich Anna nicht so richtig über die Kritik freuen. Zweifel nagen an ihr, Zweifel, ob diese Kritiken von Herrn Stift der Wirklichkeit entsprechen, ob diese Kritiken den Anforderungen an einen ernsthaften
Schriftsteller standhalten.
Nun, zu mindestens wird sie vorerst nicht aufgeben. Momentan läuft alles, wie sie es sich erhofft hatte.
'Ob ich gleich mit der nächsten Aufgabe fortfahren soll?'
Noch steht das Urteil über die Arbeit „Beschreibung eines Geschmacks- oder Dufterlebnisses“ aus und somit verschiebt Anna jegliche weitere Schreiberei auf den folgenden Tag. Heute hat sie noch eine Verabredung mit der Direktorin der Schule, bei der sie sich als ehrenamtliche Mitarbeiterin für die Schulbibliothek gemeldet hat.
Aufgeregt macht sie sich auf den Weg in die Schule, in der sie selber vor fast 40 Jahren die Schulbank gedrückt hatte. Anna hat kaum schöne Erinnerungen an diese Zeit. Mit beinahe 15 aus dem vertrauten Freundeskreis des kleinen Städtchens in Mecklenburg-Vorpommern herausgerissen und hinein geschubst in die Anonymität der Großstadt mit ihrem Plattenbau-Flair, dem ruhelosen und gehetzten Verkehr von Fußgängern, Autos, Straßenbahnen und Bussen und nicht zu Letzt den schnoddrigen Jugendlichen, die vor nichts und niemanden Respekt hatten. Sie war nicht sonderlich willkommen in ihrer neuen Schule, sie, die nicht von hier war und einen anderen Dialekt sprach. Aber das ist schon so lange her.
Heute erinnert sich kein Mensch mehr an diese Zeit. Keiner ist mehr hier, verstreut in alle Himmelsrichtungen. Anna betritt die Schule und staunt. Kinder der unterschiedlichsten Nationalitäten rennen die Gänge rauf und runter. Es herrscht ein buntes Treiben. Damit hatte sie nicht gerechnet.
„Kann ich dir helfen? Suchst du jemanden?“ fragte plötzlich ein kleines Mädchen und sah Anna neugierig an.
„Ja, kannst du mir bitte die Bibliothek zeigen?“
Die Kleine mit den langen schwarzen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, nahm Anna an der Hand und zog sie hinter sich her den Gang hinunter.
„Hier ist die Bibliothek. Willst du Frau Paulsen helfen? Frau Paulsen arbeitet in der Bibliothek und gibt uns immer Bücher.“
Anna beschleicht ein Gefühl der Zufriedenheit.
'Oh ja, hier könnte mir das Arbeiten schon Spass machen, wenn alle Kinder so sind, wie die kleine Vietnamesin. Schaun wir mal.'
„Na ja, kann schon sein. Ich will mir alles erst einmal anschauen. Und wenn es mir gefällt und Frau Paulsen mich haben möchte... Vielleicht“ lächelte Anna das Mädchen an. Als Anna den Raum betritt, erhebt sich eine Frau, irgendwo jenseits der siebzig, graue kurze Haare, Brille und ein gewinnbringendes
Lächeln, geht auf Anna zu und begrüßt sie herzlich.
„Ich bin Frau Paulsen, die Bibliothekarin. Und sie müssen Frau Schulz sein. Das ist Frau Langner, Frau Brause, Frau Senkbeil … unsere Lesepatinnen und Frau Domky … die Dirketorin der Schule“ und zu dem kleinen Mädchen, welches noch immer an der Tür steht flüstert sie:
„Shau An, es sind jetzt alle da. Hier ein Pfeffi für's Gedächtnis und dann kannst du zurück in deine Hortgruppe gehen. Und mach die Tür zu.“
Das Kind nahm den Pfefferminzdrops und verschwand. Es war eine gemütliche Kaffeerunde. Frau Domky und Frau Paulsen erzählten, welche Anstrengungen in den
vergangenen Jahren an der Schule in Sachen Bibliothek gemeistert wurden und welche Erwartungen an die neuen Helfer gestellte werden.
Anna ist nicht der Typ von Mensch, der immer und überall mitreden muss und so hört sie nur zu und macht sich ihr eigenes Bild von der Situation.
'Ja, das ist ist durchaus etwas für mich. Einen Tag in der Woche kann ich getrost für diese Aufgabe aufwenden. Vormittags als Lesepate und am Nachmittag dann Bücher verleihen. Ich glaube, das bekomme ich hin. Hauptsache, ich bin mit den Kindern alleine und keiner quatscht mir dazwischen. Ich hab da schon eine ganze Menge Ideen, was
ich noch so machen könnte.
„Also, Frau Domky, Frau Paulsen. ich bin auf jeden Fall dabei und stehe ihnen gern jeden Dienstag von 8:00 bis 16:00 Uhr zur Verfügung.“
„Das freut mich zu hören, aber ich muss sie daraufhin weisen, dass nur maximal zwei Doppelstunden pro Woche vergütet werden können“ meinte die Direktorin mit teils erleichterten aber auch skeptischen Blick in die Runde.
Anna hatte von vornherein nicht mit einer Vergütung gerechnet und so willigte sie ein. Sie würde also ab sofort jeden Dienstag in den ersten vier Unterrichtsstunden mit den Kindern lesen und am Nachmittag typischen
Arbeiten einer Bücherei nachgehen. Zufrieden und himmelhochjauchzend ob ihrer neuen Tätigkeit eilt Anna nach Hause. Doch außer bei ihren Töchtern, denen sie von ihrem Unterfangen gleich am Telefon erzählt und die davon ganz begeistert sind, stößt die neue Freizeitbeschäftigung nicht auf großes Interesse und Verständnis.
„Lass dich aber nicht so ausnehmen von denen. Du bekommst schließlich kein Geld dafür. Aber wenn du meinst, dass du das machen musst, … wegen meiner“ knurrt Gerd mehr oder weniger ablehnend.
'Tja, und wenn du dich Kopf stellst. Das ist eine Aufgabe, die mir Spaß machen wird und damit basta. Dir muss es ja nicht gefallen.
Und da du heute mal wieder so brummig bist, kann ich auch gleich noch meinen Blog schreiben. Ich hab einfach keine Lust mich ständig wegen irgendetwas zu rechtfertigen.'
6. Eintrag
Heute war ein ereignisreicher Tag. Ich habe die Stelle in der Schule angenommen. Der erste Eindruck war ganz ok. Schau'n wir mal, wie sich alles entwickelt. Ich hätte nicht gedacht, dass so viel „Ausländerkinder“ in der Schule sind. Nur jedes dritte Kind ist deutschstämmig. Kaum zu glauben, dass so viele „Ausländer“ in unserem Wohngebiet zu Hause sind. Und dann dieses Schulsystem. Könnt ihr euch vorstellen, dass die Kinder in
den ersten beiden Jahren in einem Klassenverband lernen und erst mit der entsprechenden Reife in die dritte Klasse versetzt werden? Manche Schüler lernen drei Jahre im Klassenverband und müssen extra gefördert werden. Ich werde mit den Kindern lesen lernen. Ich freue mich drauf. Zum Zweiten habe ich heute wieder eine Beurteilung von der Schule „Seminare im Fernstudium“ bekommen. Demnach zu urteilen, müsste ich wohl Talent zum schreiben haben. Wie hat mein Mentor geschrieben? „Sie schreiben sehr gut, fehlerfrei und ansprechend. Sie verfolgen einen überzeugenden Gedanken. ...Das sind sehr gute Überlegungen.“ Ha, ich bin ein
Genie.
Hm, und da ich ein paar Tage nicht geschrieben habe, wisst ihr natürlich auch nicht, dass ich nun endlich mal beim Arzt war, um was gegen meine dicken Beine zu tun. Habe Entwässerungstabletten bekommen. Was muss ich sagen? Habe schon fünf Kilo abgenommen und das in nur einer Woche. Vielleicht bekomme ich ja den Bogen, wenn ich erst mal alles unnötige Wasser ausgespült habe. Ja ich weiß, das ist nur Augenwischerei und ich komme um mehr Bewegung nicht herum. Doch ich bin noch immer dabei, zehntausend Schritte am Tag zu meistern. Nun geschafft habe ich es noch nicht, aber ich bleibe am Ball. Oh mein Gott, was schreibe ich denn da alles? Interessiert das Jemanden? Was wollte ich eigentlich mit
dem Blog mitteilen? Da muss ich schnell am Anfang nochmals nachschauen. ... Ich will mein Leben wieder in den Griff bekommen, regelmäßige Tagesabläufe und so. Ich bin auf dem besten Weg dahin. Denke ich. 'Denke ich das? Eigentlich bin ich doch noch ziehmlich chaotisch. Heute himmelhoch jauchzend – morgen zu Tode betrübt. Abhängig von meinen Büchern und geprägt von der Gefühlswelt, die sie in mir auslösen.'
Aber heute, so beschließt Anna, ist einer ihrer guten Tage. Sie hat Bewegung in ihr, wie sagt sie immer so schön, „sozial-gesellschaftliches“ Leben gebracht. Sie hat die Tür zu „sozialen Kontakten“ aufgestoßen.
Die Außenwelt hat sie wieder. Und weil heute alles so fantastisch läuft, widmet sie sich noch einigen Abschnitten ihrer alten Aufzeichnungen. ---------------------------------------------- Mein Tagebuch Gestern hatte ich mit meiner Mutti eine handfeste Auseinandersetzung, so dass sie einfach den Telefonhörer aufgelegt hat: "Ich wollte mich nur mal wieder melden. Ich war ja jetzt so krank. Ich hatte so einen Husten, dass ich Antibiotika nehmen musste. Da habe ich doch Pickelchen im Dekoltee und auf den Wangen bekommen. Weißt du noch, Anfang der 70iger Jahre hatte ich auch mal
so eine allergische Reaktion auf irgend etwas. Die Hautärzte waren dann der Meinung, es wären die Wechseljahre (mit 35) oder ungesunde Lebensweise, wie Rauchen und Trinken. Na so ein Quatsch aber auch. Wie geht es denn Zsuzsa? Ist sie wieder gesund?"... "Ja, ja. Aber am Freitag müssen wir noch mal zum HNO - Arzt, weil sie so schlecht schlucken kann. Deshalb können wir auch nicht kommen. Dann gehen wir noch aufs Bürgeramt wegen es neuen Personalausweises."... "Na die Mandeln hättet ihr ja schon längst raus nehmen lassen können. Was ist denn bei Ian mit der Feuerwehr? Und Fanny, hat die schon Bescheid bekommen?"... "Fanny bekommt doch erst im Mai Bescheid, haben wir dir doch
gesagt und die Feuerwehr hat Ian abgesagt. Waren zu viele Bewerber. Aber gestern hatte er ein Vorstellungsgespräch in Hessen. Er hat dann bei Fanny in Jena übernachtet, weil es doch zu anstrengend gewesen wäre, noch zurückzukommen. Der war dann abends schon ganz schön knülle."... " Was heißt hier knülle, der ist doch ein junger Mensch und Pausen wird er ja wohl auch gemacht haben. Wenn er mit seiner Ische unterwegs ist, wird ihm doch auch nichts zu viel."... "Na hör mal, wenn er sieben Stunden mit dem Auto hinfährt, das Vorstellungsgespräch hat und dann nochmal 3 Stunden bis zu Fanny fährt, wird er doch wohl knülle sein dürfen. Egal wie erwachsen er ist."... "Nimm ihn doch nicht immer so in Schutz. Er ist doch kein kleines
Kind mehr. Du musst deine Kinder nicht immer so bemuttern. Es wird Zeit, das sie aus dem Haus kommen. Klammer dich nicht so an sie."... " Was hat das denn damit zu tun, dass er von der langen Fahrt kaputt ist? Ich verstehe gar nicht, was du jetzt von mir willst?"... " Na dann eben nicht , machs gut"... und das war's dann. Manchmal glaube ich, nicht die Anderen, über die sie redet, über die sie herzieht trifft es wohl eher, sind ein bisschen sonderbar, sondern meine Mutti selbst. Sie ist manchmal so verbiestert und bösartig und sie bemitleidet sich gern selbst, wenn sie nicht im Mittelpunkt steht. Hoffentlich werde ich nicht genauso. Ich versuche meinen Frust, ob nun über mich oder über andere, nur mit mir persönlich
auszutragen. Das verlangt mir mein Harmoniebedürfnis ab. Vielleicht bin ich gerade deshalb der Buh-Mann für alle, weil sie ihre Konflikte untereinander lieber über mich austragen, als selber miteinander zu sprechen.
****
Endlich mal ein paar Minuten ohne dass Ian mir über die Schulter schaut. Wird Zeit, dass er auch bald einen Job bekommt. Ich brauche einfach täglich meine "Minuten" für mich. In der vergangenen Woche haben mir meine Kinder die Haare abgeschnitten, gerade rüber schneiden, da wo die längsten Kurzen sind. Ich weiß, klingt sehr kompliziert,
aber ich habe es auch gezeigt. Was ist passiert? Von den Kurzen der Kurzen haben sie auch noch was mit abgeschnitten. Nun sind die Haare ca. 10 bis 15 cm kürzer als geplant. Man kann noch damit leben. Es reicht noch für ein kleines Schwänzchen und hochstecken geht auch gerade noch so. Stinki ist gerade ins Bad gegangen und wird mir nun bald wieder auf die Pelle rücken. Also fix, fix, damit ich zu wenigsten ein bisschen schreiben kann. Heute war ich mit MP3-Player laufen. Macht echt Spaß und man bleibt im Rhythmus. Man denkt gar nicht an die Strapazen und den Weg. War eine gute Idee von meiner Lütten, mir unbedingt so ein Ding einzureden. Ich wollte ja im letzten Moment noch einen Rückzieher
machen, aber Zsuzsa hat darauf bestanden.
****
Deprimierend. Eine Woche ganz tapfer den sportlichen Aktivitäten nachgegangen, es tut einem schon alles weh, aber nicht ein Gramm abgenommen. Ich scheine wohl übermäßig viel rum gefressen und genascht zu haben. Schei..eiei. Also wird ab heute wieder jeder Bissen und Schluck gezählt und aufgeschrieben. Damit fällt das Naschen weg, denn da vergesse ich nur die Hälfte auszuschreiben. Wer soll sich auch die Unmengen merken. Ich muss es einfach schaffen. Nachdem ich nun mit 5 Kilo im Rückstand liege, werde ich wohl ab der 10
Woche meine Ziele neu stecken müssen. Irgendwie erinnert mich das an die vergangenen 30 Jahre. Am Freitag kommt Fanny nach "Hause". Nun ja, sie ist ja eigentlich nicht mehr richtig bei mir zu Hause. --------------------------------------------- Anna schüttelt wie so oft, wenn sie ihre alten Aufzeichnungen gelesen hat, in sich hinein lächelnd den Kopf.
'Unglaublich. Schon wieder so ein Mist. Dass ich so etwas je geschrieben habe. Wer will denn so etwas wissen? Ich glaube kaum, dass ich daraus ein Buch schreiben kann. So ein Schmarren aber auch.'
Amüsiert über ihren Plan, aus diesem Material ein Buch über ihr bisheriges Leben, verpasste Chancen und vieles mehr bis hin zu ihrem „Hausfrauendasein“ zu schreiben, schließt Anna für heute schmunzelnd den Laptop und wendet sich ihren eigentlichen Pflichten zu – dem Haushalt und der Familie.
7. Kapitel
7. Einrag
Hey Leute!
Ob ihr's glaubt oder nicht, in der letzten Woche habe ich ein Buch gelesen ...ein Mal... und noch ein Mal... und noch ein Mal. Ich fand es einfach so fantastisch, dass ich gar nicht genug davon bekommen konnte. Oh man. So was ist mir noch nie passiert. Ich kann noch nicht mal sagen, was mich daran so ... so ... so fasziniert, so begeistert hat. Frost, so heißt die Hauptperson, ein Mädchen von 17 Jahren trägt einen Wolfsdämon in sich. Angst und Unsicherheit
prägen ihr Handeln, wenn sie sich bedroht fühlt, bricht der Wolf aus ihr heraus, eine unzähmbare Wut, die sie nicht kontrollieren kann. Und trotzdem, sie ist herzensgut, aufopfernd, hilfsbereit. Nach Jahren der Einsamkeit lernt sie Liebe, Zuneigung und Vertrauen kennen. Ach Mensch. Und die beiden jungen Männer, die sie schätzen und lieben ... einfach toll. Sie glauben an Frost. Dadurch gelingt es ihr, ihren Dämon zu besiegen. Vielleicht bräuchte ich auch mal so was. Na gut, den Dämon habe ich bereits. Es ist kein Wolf, nur ein Schweinehund, der in Form von Lustlosigkeit und Selbstzweifel aus mir herausbricht und mich regelrecht in den Wahnsinn treibt. Zur Zeit ist er wieder besonders schlimm. Mir geht’s nicht so recht
gut. Könnte bei jeder Kleinigkeit in Tränen ausbrechen. Meine Sehnsucht nach ein bisschen Verständnis, ein paar Streicheleinheiten, ein paar aufmunternden Worten oder irgend etwas das mir gut tut, nimmt schon erschreckende Ausmaße an und es tut weh. Es tut weh in mir drin. Ständig habe ich das Gefühl, jeden Moment passiert was ... ja was? Ich fühle eine solche innere Leere, dass ich denke, ich werde noch verrückt. Ist das der erste Schritt zum Wahnsinn?
Schon beim Schreiben ihres Blog's kommen Anna wieder die Tränen, von denen sie soeben geschrieben hat. Im Radio läuft einer dieser Schmusesongs und da gibt es kein
Halten mehr. Ob sie will oder nicht, die Tränen kullern ihr über die Wangen. Ein Druck in der Brust, ein Ziehen im Bauch, eine große innere Leere und Unruhe lassen Anna ihre Unzufriedenheit, Unerfülltheit, Einsamkeit erkennen. Seelische Schmerzen. Die sieht keiner, die bemerkt keiner. Anna weiß diese Gefühle gut, seht gut zu verbergen. Wer sollte ihr auch helfen? Helfen wollen? Also lächeln und durch. So zwingt Anna sich, durch „kreatives Schreiben“ Ablenkung zu finden, als das Telefon klingelt. Zsuzsa ist auf dem Weg nach Hause und startet den alltäglichen Anruf. Ein bisschen Smalltalk über Arbeit, Einkauf, Schule. Nur nichts anmerken lassen. Alles bestens. Immer für alle da sein und ein offenes Ohr haben.
Der gute Geist der Familie. Und nun zum nächsten Studienheft ... schreiben lernen. Heute geht es um Schreibblockade, Ideen, Wörter und Gedanken finden.
„Wenn der Wunsch der Vater des Gedanken ist, wie heißt dann seine Mutter?“
'Gute Frage. Wer kommt nur auf solche Ideen? Hm, ... Schreibblockade. Hm, ... Gedanken sind da und wie weiter? Formulieren in Worte, Sätze ... aber wie?Hm. ... Wie heißt denn die neue Hausaufgabe? '
„Der Fahrstuhl bleibt stecken. Außer Ihnen fährt eine Oma mit ihrem sechsjährigen Enkel mit. Panik bricht aus. Erzählen Sie dem Kind zur Beruhigung eine Geschichte!“
'Was erzählt man einem Sechsjährigen ... sofern die sich was erzählen lassen. Wobei, das wäre auch so eine Idee von mir, ein Kinderbuch für die Ersti's und Zweiti's für den „Lesepate-Unterricht“. Aber das ist ja auch etwas anderes. Jetzt und hier auf die Schnelle, schließlich stecke ich ja im Fahrstuhl ... in Gedanken natürlich. Als ob ich fremde Kinder anspreche.' Anna kann keine Rücksicht nehmen auf ihre Befindlichkeiten anderen Menschen gegenüber. Ihr wurde eine Aufgabe gestellt und die gilt es zu erfüllen. Also versetzt sie sich in Gedanken in die geforderte Situation und überlegt, was das Interesse eines solchen Knirpses wecken könnte. Vielleicht
Fantasie - und Märchengestalten.
„Was sind Eletei?"
Der Fahrstuhl steht. Nichts geht mehr.
„Na, geschafft? Alle Eletei in die Flucht geschlagen mit deinem Krawall? Wer soll den Fahrstuhl nun weiterbewegen? Die Riesen vielleicht?“ Der Junge schaut mich trotzig an: „Pah, der Fahrstuhl fährt mit Strom und überhaupt, was soll denn das sein Ele...wie?“ Also ein neunmalkluger 6-Jähriger. Ich werde ihm schon eine Geschichte erzählen. „Also, die Eletei sind Strom. Setze dich her und ich erzähle dir davon. Vor langer Zeit, als noch Keiner von den Eletei gehört hatte, es also noch keinen Strom gab, mussten Riesen aus
einem fernen Land die Fahrstühle rauf und runter bewegen. Du musst wissen, die Menschen bauten ihre Burgen und Klöster auf hohen Felsen. Die Landesgrenzen wurden durch riesige Mauern, auf denen Soldaten patrouillierten, vor dem Feind geschützt. Tief in der Erde wurde nach Erz und Edelsteinen gesucht und überall gab es Fahrstühle, um dahin zu gelangen. Die Fahrstühle waren nicht wie heute, sondern nur Körbe oder Käfige, die durch ein großes Rad bewegt wurden. Die Menschen aber fürchteten sich vor den Riesen, weil sie so groß und stark waren, viel stärker als sie selbst. Deshalb suchten sie nach irgendetwas, was die Riesen ersetzen könnte. Ein ganz schlauer Mann hat nach
langer Suche die Eletei gefunden. Sie sind ganz winzig klein, mit deinen Augen kannst du sie gar nicht sehen. Sie flitzen in den Leitungen hin und her und können dabei alles bewegen. Weißt du, wenn wir auf den Etagenknopf im Fahrstuhl drücken, sehen das die Eletei und sausen los, damit der Fahrstuhl rauf oder runter fährt. Die Riesen wurden nun nicht mehr gebraucht und gingen in ihr Land zurück, zurück in das Land der Elfen und Kobolde, Zwerge und Riesen, Meerjungfrauen und Einhörner. Nur wenige Riesen, wie Eon oder Watenfall sind bei den Menschen geblieben, um die Eletei zu beaufsichtigen. Gerade jetzt sind sie auf der Suche nach den verschreckten kleinen Dingern und … oh, sie haben sie gefunden,
denn unser Fahrstuhl fährt wieder.
(c) ABS
'Oh mein Gott. Welches Kind glaubteinem denn so was? Aber ich muss schon sagen, ich habe Fantasie! Hauptsache der Stift sieht das auch so.'
Abgelenkt von ihren trübsinnigen Gefühlen und nun voll Enthusiasmus schickt Anna ihre Geschichte an die Schule „Seminare im Fernstudium“ und nimmt sich gleich ihre alten Aufzeichnungen wieder vor. --------------------------------------------- MeinTagebuch
Oh mein Gott. Waren das 5 Schlemmertage. Ich habe alle meine guten Vorsätze über den Haufen geworfen - kein Sport, viel genascht und geschlemmt, faul bis zum Abwinken. Aber das ist auch kein Wunder, Fanny war da. Am ersten Tag ist sie noch mit gelaufen, am zweiten war sie krank und ab dem dritten Tag habe ich den Sport auch aufgegeben. Dafür haben wir gekuschelt, Fanny und ich. Auch das muss mal sein und ist so toll. Nun ja, wir waren aber auch nicht nur faul. Nein. Fanny hat mal wieder Wäsche von einem ganzen Monat mitgebracht und die will schließlich gewaschen und gebügelt werden. Dann haben wir endlich Blumen für meine Blumenkästen auf dem Balkon gekauft. Jetzt macht der doch gleich was her. Noch dazu, wo
ich ihn in der vorigen Woche generalüberholt habe, ich habe ihn geputzt, wie eine Irre. Die Markise ist auch wieder aufgestellt und nun kann der Sommer kommen. Mittwoch hatte Gerd Geburtstag und am Freitag waren dann auch Schwiegermutter und sein Bruder zum Feiern da. Grund genug, um mal wieder einen über den Durst zu trinken. Natürlich nicht ich. Gestern nun ist Fanny wieder nach Jena gefahren. Abends hatte sie nämlich ihren Frühlingsball von der Tanzschule. Eigentlich wollte ich dafür noch ein langes altes Kleid von ihr kürzen und einen gelben Gürtel dazu nähen. War auch schon alles gekürzt, heißt abgeschnitten und bei der letzten Anprobe merke ich doch, dass da ein Loch auf der rechten Pobacke im Kleid ist.
Also die ganze Arbeit und Aufregung umsonst. Sie zieht eines ihrer "alten" Ballkleider an.
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Kleine Kinder - kleine Sorgen; große Kinder ... Fanny hat sich nun bereits in 3 Bundesländern als Referendar beworben. Eines davon stellt kurzfristig schon zum Mai ein, also in 4 Wochen. Erstmal hat sie zugesagt, man kann ja nie wissen. Nun hat sie bereits die Zusage bekommen, auch noch für ihren Erstwunsch nach Wolfsburg. Aber eigentlich will sie ja lieber nach Schleswig - Hollstein. Deshalb hat sie nach einigen Beratungen mit mir diese Stelle abgesagt. Sie
bleibt aber auf jeden Fall noch in der Auswahl zum August. Also ist noch alles offen. Aber immer diese Entscheidungen, dazu noch so kurzfristige. Ein Glück habe ich diesen Lebensabschnitt lange hinter mir gelassen. Ich kann ein weiteres Leben gelassen angehen. Der Vorteil des Alters. Heute werde ich mich mal um eine Wellnessreise für uns drei Weiber kümmern. Wir wollen über Himmelfahrt mal ein paar Tage von den Männern frei nehmen. Am liebsten würde ich ja nach Thüringen (Oberhof) fahren und dann bei dieser Gelegenheit einige alte Studienfreundinnen treffen. Möglicherweise klappt es ja in diesem Jahr. Vor 2 Jahren war das ja ein Schuss in den Ofen. Dann werde ich das mal in Angriff
nehmen.
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Ich bin total lustlos. Gestern schon. Heute Nacht habe ich nicht besonders gut geschlafen, Kreuzschmerzen und meine rechte Schulter haben enorm geschmerzt. Heute morgen war ich dann wie gerädert. Ich glaube, viel werde ich heute nicht machen, bisschen Wäsche und Einkaufen. Aber sonst, na ich weiß nicht. Ich war ja nicht mal in der Lage, meine gesamte Runde zu laufen, habe nur ein viertel geschafft.
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Ich glaube, ich falle in ein tiefes Loch. Beinahe hätte mich mein innerer Schweinehund überlistet. Am liebsten wäre ich wieder ins Bett gegangen. Ich fühle mich total am Boden. Doch ich habe mich aufgerappelt und ich muss sagen, die große Runde Gehen ist mir ganz gut bekommen. Ich werde heute Dinge erledigen, die mir schon zum Hals rauskommen, aber gemacht werden müssen ( die Halskette von Gerd umfädeln und Zsuzsas Strickjacke fertig stellen). Aber erst mal "Mama Mia" und Spielen im Internet. -----------------------------------------------------
'Jipp und da ist es auch schon gewesen: Schweinehund, Lustlosigkeit, am Boden
zerstört. Das ist der Grund, warum ich dieses Jahr etwas ändern will und muss. Doch bis jetzt war es wohl ohne Erfolg. Vielleicht kommt's ja noch. Schaun wir mal. Lassen wir uns überraschen. Oh, da kommt ja schon mein „Göttergatte“. Viel zu früh. Dann war's das wohl für heute.'
Eine willkommene Entschuldigung für das Nichterledigte. Viel hat Anna heute nicht geschafft. Nicht das, was sie sich vorgenommen hatte. Morgens war sie in der Schule zur Einweihung der neuen Lese-Oase und hat da mit den größeren Kindern die neuen „pädagogisch-wertvollen“ Spiele eingeweiht. Eine schöne Abwechslung, denn da wird sie voll und ganz akzeptiert und die
Kinder bringen ihr nicht nur Sympathie, sondern auch das Gefühl gebraucht zu werden, entgegen. Doch wie so oft, dieses Hochstimmung hält nicht lange vor. Schon beim Verlassen des Schulgebäudes kehrte diese innere Leere und Lustlosigkeit zurück und damit der Schweinehund, sich in Selbstmitleid zu suhlen. Wie gesagt, nicht das geschafft, was sie sich vorgenommen hatte. Nun sitzt Anna vor ihrem Laptop und surft durch das Facebook, springt von einem Spiel zum nächsten. Was soll sie auch sonst tun. Nichts als die stumme Akzeptanz des eintönigen, schleichenden, unspektakulären Alltags seit die Kinder aus dem Haus sind. Gerd, der sich wie immer gleich nach Feierabend geduscht und im Schlafanzug vor
die Röhre gesetzt hat, schabt geräuschvoll an seinen nackten ungepflegten Füßen, gibt hin und wieder einen dummen Kommentar zum Fernsehprogramm von sich und bringt Anna damit zur Weißglut.
'Nur nicht aufregen. Schön ruhig bleiben. Wir tun einfach so, als ob uns das alles gar nix angeht. Irgendwann, ganz bestimmt irgendwann wird das alles anders. Nur nicht die Hoffnungverlieren. ... Oh schiet. Was haben wir heute für einen? Nein! Meine Schnuppen! Ich habe meine Sternschnuppen verpasst! Was ist denn jetzt mit meinen drei Wünschen? Karriere und Ansehen und Selbstverwirklichung, Gesundheit und Schlanksein und Schönheit, Liebe und
begehrt werden und meinen Mann weg! Jetzt muss ich doch wieder allein daran arbeiten. Bis zur nächsten Sternschnuppennacht ist es jetzt noch ein dreiviertel Jahr. Schiet aber noch mal! Jetzt muss ich noch länger warten. Oh nein! Atmen! Atmen nicht vergessen. Also atmen und durch.'
Anna verdreht die Augen. Außer einem tiefen Durchatmen und innerlichen Stöhnen wird sie ihrem Unmut auch heute wieder in keinster Weise Luft machen.
8. Kapitel
„...Faustitia verließ das Zimmer, um die Liebenden nicht länger zu stören.“
Und damit war auch dieses Buch zu Ende. Die Welt hat Anna wieder. Seit mehreren Wochen hat sie sich in ihre Fantasie - und Traumwelt zurückgezogen. Stunde um Stunde, Tag um Tag hat sie ein Buch nach dem anderen verschlungen, um nicht über das wirkliche Leben nachdenken zu müssen. Nachdem Anna von der Krebserkrankung ihrer Mutter erfahren hatte, von der Totaloperation, vom künstlichen Darmausgang, von der bevorstehenden Chemotherapie haben sich in ihrem Inneren
Ängste aufgebaut, mit denen sie nicht umzugehen weiß. 'Ist damit mein Wunsch nach Gesundheit hinfällig? Habe ich auch diese Krankheit, diese Gene? Was, wenn die Vorsorgeuntersuchung, zu der ich eh nur mit Widerwillen, Zweifel und Bangen hingehe, etwas unerfreuliches ergibt? Oh nein, dann ist da diese Ausschabung, die auf jeden Fall noch ansteht. Wenn die was feststellen? Was dann?' Nur der Gedanke an diesen operativen Eingriff, die Narkose, der Operationsstuhl ... lässt Anna am ganzen Körper zittern.
Ihre Familie weiß wohl von ihren Ängsten,
aber über das Ausmaß kann sich keiner ein Bild machen. Deshalb bleibt auch das Verständnis und Unterstützung bei der Bewältigung des Problems aus. Oder empfindet sie es nur so? Also verschließt sie sich. Sie will nicht daran denken. Sie will es nicht. Der einzige Weg, der Realität zu entfliehen: Lesen Lesen Lesen. Und so flüchtet sie sich in die Welt der Karpatianer, Vampire, Werwölfe... Es ist wie eine Sucht. Eine Sucht nach Abenteuer und dem Unbekannten, nach Liebe und Leidenschaft. Nach all dem, was in ihrem Leben nicht stattfindet.
'So, das war das letzte Buch. Ich muss mal wieder was im Haushalt erledigen, Mantel
von Zsuzsa kürzen, das Aquarium entsorgen, Küchenschränke Grundreinigen und deren Aussehen aufpeppen, bis das Geld für eine neue Küche da ist, und einiges mehr. Es hat schon was, sich in die Ecke zu setzten und lesen, lesen, lesen. Aber das kann ja nicht alles sein. Also hoch den Hintern und tu etwas für dich. Gott, ich hab aber auch alles liegen lassen. Vor der OP noch ein bisschen was erledigen. Man weiß ja nie. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal in meinem Block geschrieben? Ich glaube die vermissen mich schon.' 8. Eintrag
Hallo Leute. Ich weiß, ich war lange nicht da.
Ich will euch auch nicht mit unnötigen Gelaber zu dichten. Die letzten Wochen war ich nicht so ganz bei mir. Ich habe mich wirklich und wahrhaftig in die Welt meiner Bücher zurückgezogen. Mein Mann hat meine Bibliothek aufgebaut und ich habe gelesen. Gelesen, um nicht über das wirkliche Leben nachdenken zu müssen. Nicht daran erinnert werden, wie beschissen es doch laufen kann. Ich bin eh schon nicht mit meinem bisherigen Leben zufrieden gewesen und dann das. Vater Prostatakrebs, Mutter gestreuter Eierstockkrebs, Großmutter mit künstlichem Darmausgang, Mutter mit künstlichem Darmausgang. Kann es schlimmer kommen? Genau! Und wenn's mich auch erwischt? Ich mein, ich bin jetzt 55
und was habe ich vom Leben noch zu erwarten? Liebe? Gesundheit? Erfolg? Ich sehe meine Chancen schwinden. Und da haben wir es auch schon. Ich labere euch mit meinen Problemen voll. Und weil ich gerade so schön angefressen bin, kann ich auch gleich weiter motzen. Ich liebe Bücher mit „Fantasie und Leidenschaft“ über alles und ich dachte schon, was da so geschrieben wird, hat sich die Schriftstellerin alles nur ausgedacht. Ich meine das mit den Sex, dem hemmungslosen Sex, dem Sex in jeglich nur erdenklicher Lage, wo die Bedürfnisse der Frauen im Vordergrund stehen, wo Männer ihre Frauen bis zum Wahnsinn verwöhnen, sie von einem Orgasmus in den nächsten treiben und dann mit wilder animalischer und
leicht brutaler Lust ihre eigenen Bedürfnisse stillen. Ich dachte, das gibt’s nicht. Oder doch? Wie können mehrere Autoren die gleichen Dinge beschreiben, wenn es das nicht geben würde? Oder haben die das nur irgendwo nachgeschlagen, gelesen? Also, wenn es das wirklich gibt, wer hat dann solchen Sex? Ich will das auch! Ihr denkt gewiss, jetzt dreht sie an der Uhr, jetzt gehen sie mit ihr durch. Ihr habt recht. Solchen Sex haben nur perfekte Menschen. Frauen mit flachem Bauch, großen hohen festen Brüsten, schlanker Taille, runden Hüften und einem strammen kleinen Po. Männer mit schmalen Hüften, strammen Schenkeln, von der Natur gut ausgestattet zwischen den Beinen, flachen muskulösen Bauch, eine
Brust wie Beton und auch sonst alles wohlproportioniert. Und genau so sehen die Romanfiguren gewöhnlich aus. Vielleicht haben sie hier und da ein paar Makel, Narben durch Kämpfe, ein paar Falten oder graue Haarsträhnen durchs Alter und den Strapazen, die sie auf sich nehmen mussten. Doch im großen und ganzen, äußerst heiß und sexy. Wo ist da die Rede von Cellulite, Hängetitten, Schwangerschaftsstreifen, dicken Hintern und ausladenden Hüften, möglicherweise zu viel Haut am Bauch vom Abspecken und gar ist der Speck noch da? Kann man so was auch lieben? 'Ups. Am besten ich höre jetzt auf damit. Vielleicht habe ich ja doch schon einen
Knacks.'
Erschrocken über sich selbst beendet Anna ihren Block.
'So wollte ich nicht meine geheimsten Sehnsüchte offenbaren. Ich bin 55 und habe drei Kinder. Da sollte man doch meinen, dass ich ein erfülltes Leben hatte und ein gewisses Selbstwertgefühl besitze. Aber weit gefehlt. Ich bin alles andere als eine gefestigte und zufriedene Person. Das war ich wohl in meinemganzen Leben nicht. Irgendetwas hat immer gefehlt.' Um von ihrem Frust abzulenken und nicht so viel zu grübeln, wirft sie sich jetzt mit voller
Power in die Hausarbeit. Und während sie den Teppich von Straßenschmutz und ausgefallenen Haaren befreit, denkt sie schon wieder über den Sinn und Zweck ihrer Tätigkeit nach. 'Wen stört eigentlich der Dreck? Ich meine außer mich. Die anderen sehen den nicht einmal und demnach sieht's auch keiner, wenn er weg ist. Was hab ich dann den ganzen Tag gemacht? Ach schiet. Wie man's dreht und wendet, es ist und bleibt unbefriedigend. Vielleicht sollte ich die restlichen Tagebuchaufzeichnungen sichten. Schreiben müsste ich mal wieder was. Hab doch mein Selbststudium total vernachlässigt.'
In den 146 E-Mails der vergangenen Wochen musste natürlich auch ein Eingang der Schule „Seminare im Fernstudium“ dabei sein. Beinahe hätte Anna die Einschätzung ihrer letzten eingesendeten Arbeit übersehen. Sehr geehrte Frau Schulz, vielen Dank für Ihre ironische und witzige Geschichte von den Eletei. Die Geschichte ist für einen Fünfjährigen angemessen. Gleichzeitig haben Sie augenzwinkernd zu den Erwachsenen hin gesprochen, als dass nämlich die Riesen, die heute Vattenfall und E-ON heißen, ein zusätzlicher Scherz sein dürfte. Vielleicht ist diese Eingangsbemerkung, dass der Junge im
Aufzug rumgelärmt habe, erzieherisch nicht ganz top, dafür verfehlt sie aber nicht ihre Wirkung, denn die Sprecherin hat die Aufmerksamkeit des Jungen auf sich gezogen. Sie erzählen von den Riesen, die früher die Fahrstühle angetrieben haben und warum die Eletei diese Aufgabe nun erfüllen. Ihre Geschichte könnte noch durch die Tatsache aufgewertet werden, dass nicht nur die Angst der Menschen vor den Riesen, sondern auch ihre Taten für den Wechsel verantwortlich waren. Vielleicht haben die Riesen gestreikt und mehr Futter gefordert oder sie waren gewalttätig und haben die Menschen gefährdet. Das würde noch schlagender erklären, warum die Riesen ausgemustert und durch die Eletei ersetzt
wurden. Bleibt festzuhalten, dass das Überleben der Riesen in Vattenfall und E-on ein sehr witziger Einfall ist und dass Sie mit dem Wechsel von den Riesen zu den Eletei eine anschauliche und überzeugende Erklärung für den elektrischen Strom gegeben haben. Die Geschichte selbst ist unterhaltsam und könnte als Ursprungsmythos weitererzählt werden.
Mit freundlichen Grüßen Ihr Kurt Stift
'Hätte, könnte, wollte. Man, ich denke die Geschichte sollte nur einen 6-Jährigen beruhigen. Interessiert den das, dass die Riesen vielleicht gestreikt haben oder
gewalttätig gewesen sein könnten? Das könnte man in Betracht ziehen, wenn ich diese Geschichte einem Jugendlichen oder Erwachsenen erzählen würde, aber sonst. Nun ja, so eine Ausarbeitung ist halt immer subjektiv zu betrachten. Okay, im Großen und ganzen war Stift ja ganz zufrieden mit mir.' Und während sich Anna noch über die Einschätzung ihres Mentors aufregt, stellt sie fest, dass da noch eine Beurteilung fehlt. Die Beurteilung ihrer Wahrnehmung von Duft, Farben und Geschmack. Schnell scrollt sie nochmals ihre Mails der vergangenen Wochen durch und wird dann bei den bereits in den Papierkorb gelegten Mails fündig.
'Oh da ist ja noch eine Einschätzung. Stiftchen überschlägt sich ja geradezu.'
Sehr geehrte Frau Schulz,
Sie haben die Aufgabe überzeugend erfüllt. Sie beschreiben einen Augenblick, in dem die Hauptperson an einem frühen Morgen auf dem Balkon ein ganz bestimmter Duft trifft. Sofort werden Erinnerungen an das Meer wach, an die Ostsee, an Seetang und den Duft der Kiefern. Die Person begibt sich ganz intensiv in dieses Erlebnis, das auch ihre Fantasie anregt. Dann kehrt sie in ihre Gegenwart zurück. Woher kommt der Geruch? Sie überlegt: Aus dem Park gegenüber, von dem Teich, denn es hat die
ganze Nacht geregnet. Dieses Dufterlebnis und wie es eine Pforte in die Erinnerung öffnet, beschreiben Sie sehr einfühlsam und sehr gut. Ich habe nur wenig in Ihren Text eingegriffen, immer dann, wenn Sie über das Schreiben sprechen, über die Unmöglichkeit das auszudrücken, was Sie ausdrücken wollen. Das ist nicht die Aufgabe des Autors. Der Autor soll sagen, was er meint. „Unbeschreiblich“ ist ein Adjektiv, das nur sehr allgemein eine erhöhte Stimmung ausdrückt und somit ein Nono-Wort für Autoren. Alles lässt sich beschreiben. Was der Autor nicht beschreiben kann, sollte er fortlassen. Der Sinn dieser Übung lag darin, eine Person zu zeigen, die an ein bestimmtes Dufterlebnis erinnert wird. Der Geruchssinn
ist wie das Hören und nicht so klar und realistisch wie das Sehen. Für diese Erfahrungen besitzen wir keine Sprache. Gefühle lassen sich nur sehr unvollkommen in Wörtern ausdrücken. Wir müssen sie neu erzeugen, indem wir an Situationen erinnern, in denen wir sie gespürt haben. Handelt es sich um häufig wiederkehrende, bekannte Gefühle, finden wir Sprachbilder, in denen wir sie beschreiben können. Nur für die grundlegenden Gefühle gibt es Wörter: Liebe, Lust, Wohlbehagen, aber auch Hass, Wut und Schock. Alle anderen sind nur über Metaphern und Vergleiche und über die Erzählung darstellbar. Das machen Sie sehr gut. Ihre Hauptperson nimmt einen frühen, reinen Duft der Großstadt auf und wird sofort
in eine andere Situation versetzt, in der die Großstadt fern ist. Das haben Sie bestens gemacht. Auch wie Sie wieder zurückkehren in die Ausgangssituation, ist ansprechend beschrieben. Mit freundlichen Grüßen Ihr Kurt Stift Anna zieht leicht die Stirn kraus. Sie hat die Sache sehr gut gemacht, aber... 'Wie soll ich was beschreiben, was ich nicht beschreiben kann? Warum darf ich dem Leser nicht vermitteln, wie schwer etwas greifbar ist oder man keine Worte für etwas findet? Drücke ich eventuell meine
Unfähigkeit aus, wenn ich „unbeschreiblich“ sage? Ich weiß nicht. Und wenn ich das „Unbeschreibliche“ weg lasse verfälscht es mein Gefühl.'
Das ist im Moment zu viel für Anna. Eine Unmenge Gedanken wirbeln wild durch ihren Kopf. Sie ist sich keineswegs sicher, diesen Anforderungen eines Schreiberlings gerecht zu werden. Bevor jedoch der Drang, alles hinzuwerfen Formen annimmt, klappt Anna ihre Studienmaterialien und den Laptop zu.
'Weg vom Schreiben, hin zum Lesen. Lange nicht gelesen. Fangen wir die Karpatianer“ nochmals von vorn an?'
Anna grinst in freudiger Erwartung in sich hinein, schnappt sich den ersten Teil der Buch-Reihe und will sich gerade in die Sofaecke vergraben, als ihr Blick auf ihren USP-Stick fällt.
'Okay, dann eben keine Karpatianer sondern Tagesbuch. Muss ja auch mal fertig werden'.
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Mein Tagebuch
Ian ist nun wieder weg, doch dafür werde ich in Kürze von meiner Tochter, der Jüngeren, in Beschlag genommen. Dieses Kind ist so erbarmungslos fordernd, ohne Rücksicht auf Verluste. Ihr Motto ist ja nicht umhin "Du hast
mich zur Welt gebracht, ohne mich zu fragen, nun kümmere dich auch". Was soll man da entgegensetzen?
****
Totales Gefühlschaos. Gestern Abend war mir dann alles so zu viel, das laute Kauen von Gummizeugs bei meinem Mann, seine ungepflegten Füße auf dem Wohnzimmertisch, seine stinkigen Hausschuhe und dann das Gemurmel im Bett. Mir sind einfach die Tränen aus den Augen geschossen, ich habe mich in den Schlaf geweint. Genau so fühle ich mich dann aber auch heute Morgen, niedergeschlagen, innerlich zerrissen. Ach ich
weiß auch nicht. Zu mindestens hat es die Waage heute gut mit mir gemeint, 126,9kg, immerhin 1,5kg weniger als vor einer Woche. Bei Weight Watchers habe ich erst mal so richtig meinen Frust abgelassen, sollen doch die anderen auch sehen, dass es mir emotional beschissen geht. Vielleicht sind es ja auch nur die Hormone, dass ich so neben der Spur stehe. **** Gestern hatten die Exen mal wieder ein Treffen. Bin natürlich nicht hingegangen, zum einen habe ich nicht abgenommen,dann habe ich nichts zu erzählen , na und in dem jetzigen Zustand wäredas eh nur 'ne Qual.
****
Heute gehe ich mit Zsuzsa auf's Arbeitsamt, das heißt, sie geht eigentlich mit mir. Nicht dass ich arbeiten gehen will, ne, aber das Geld wäre schon nicht so verkehrt. Na das kann ja dann ein Kampf werden. Notfalls muss ich halt dann mit Kürzungen oder Streichungen leben. Auch kein Problem. Hauptsache, ich werde nicht wieder in irgendeine ungeliebte Arbeit reingezwängt. Wenn ich was machen will, dann nur nach meiner Fasson. -----------------------------------------------
'Was war das jetzt alles? Weight Watchers? Nur Geldfresser. Hab ich schon längst wieder
verlassen. Brachte eh nix. Was noch? Ach ja. Arbeitsamt. Hab ich auch aufgegeben.
'Von wegen „Schulung zur Wiedereingliederung auf den Areitsmarkt“ und „Wie bewerbe ich mich effektiv“. Man ich bin gerade eben erst arbeitslos geworden. Ich komme vom Arbeitsmarkt. Und Bewerbungen hab ich mit meinen Kindern Unmengen geschrieben. Was soll der Scheiß? Na und arbeiten bei einer Zeitarbeitsfirma ist auch nicht drin. Dann lande ich irgendwann in meiner alten „Firma“ für ein Minimum an Geld. Ergo: Ich hab's geschmissen. Soll'n die sich das Geld doch sonst wohin stecken. Was kommt jetzt?. Uh, Karpatianer oder „die Herren der Unterwelt“.Spielt keine Rolle.'
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Mein Tagebuch
Unsterblich, tausende von Jahren alt. Wau. Ich glaube, das wäre auch etwas für mich. Nicht daran zu denken, dass ich vielleicht nach 80 Jahren nie mehr da sein werde. Das Vielleicht bezieht sich auf die 80 Jahre. Möglicherweise sind es ja auch mehr oder gar weniger (nicht auszudenken). Was geschieht dann mit mir.… Na mein Körper wird, wenn deine Kinder es so wollen, zum Diamanten verarbeitet und imeine Seele wird in die Anderwelt gehen, ... oder sich einen neuen Körper besorgen … oder ...
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Ich mache die Augen zu und dann sehe ich mich. Quatsch nicht, du siehst natürlich mich; jung, schlank, gutaussehend - eine Augenweite für jeden Mann. Nicht groß, aber wohlproportioniert, Rundungen, da, wo sie hingehören und ein schönen festen Busen , nicht zu groß und nicht zu klein, mit harten rosa Nippel. Ich werde immer soaussehen und du kannst dir so viel Mühe geben, wie du willst. Du wirst es niemals schaffen, ich zu sein, mir Konkurrenz zu machen. Schau dich an. Mach die Augen auf. Oh ja, klein, fett und von jung kann mit 53 Jahren keine Rede sein. Selbst wenn ich an mir arbeite, werde ich niemals du sein, ich weiß. Mit viel Mühe und Spucke werde ich vielleicht schlank werden, wenn man das so sagen kann, aber
wie schaue ich dann aus? Meine Haut wird in riesigen Lappen an mir herunterhängen, der Busen, der jetzt schon eh viel zu groß ist und noch nie gestanden hat, wird sein pralles Aussehen verlieren und wie zwei leere Einkaufsbeutel bis zum Bauchnabelhängen, das Dekolletee wird an einen Truthahn erinnern... Du wirst wahrscheinlich nur in Klamotten einen einigermaßen passablen Eindruck machen. Warum nehme ich dann die ganzen Strapazen des Abnehmens auf mich? Ich habe irgendwo immer noch die Hoffnung, mal so schön zu sein, wie du. Auch wenn Hoffnung nur ein trügerischer Dämon ist, so ist es doch oftmals der einzige Strohhalm, an den man sich klammern kann. -----------------------------------------------
'Na witzig. Haben sich doch mein „Inneres Ich“ und mein Körpermiteinander gestritten. Hi, hi. Das machen die öfters. Immer dann, wenn ich mich anders fühle als ich aussehe. hi hi' -----------------------------------------------
MeinTagebuch Ich glaube, mache Bücher bekommen mir nicht so gut. Meine Töchter haben das auch schon festgestellt. Ich sehne mich dann nach unendlich viel Zärtlichkeit, Liebe und Sex. Schon beim Lesen hatte ich eine sexuelle Erregung nach der anderen, so dass es manches mal schon richtig weh tat. Ich verspüre ein Verlangen zu sexuellen
Handlungen, wie sie die Romanfiguren praktizieren ( den Penis lecken, am Partner rumzuknabbern, mich an der Liebesperle lecken zu lassen, dass er mit Zunge, Finger und zu letztendlich mit seinem Schwanz in mich eindringt, schnell und stark) die mich bisher immer abgestoßen haben. Aber sich danach immer nur selbst zu berühren, erfüllt nicht das große sehnsüchtige Verlangen. Man legt das Buch aus der Hand und dann ist es wieder da, das Fordern der Familie, Mama mach das und dies und jenes, mein Mann hat seine ekligen Füße auf dem Tisch oder stopft sich mürrisch Zigaretten ohne auf den runter fallenden Tabak zu achten... und dann ist sie wieder da, die unendliche Leere, die ewige Sehnsucht nach Aufmerksamkeit
und Geborgenheit, der Drang geliebt und verwöhnt zu werden. ----------------------------------------------- 'Da ist es schon wieder. Ich glaube, mittlerweile zieht sich das durch alle Seiten des Tagebuchs. Die Sehsucht nach Sex. Ich kann es nicht fassen. Dann auch noch so direkt geschrieben. Streichen oder drin lassen? Gefangen in eigenen Wahnsinn? Das was ich geschrieben habe oder was noch kommt?'
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Mein Tagebuch Gefangen im eigenen Wahnsinn. Ich denke
doch tatsächlich, ich hätte noch unendlich Zeit, um mein Leben zu leben, aber mein Körper weiß genau: er ist schon 53 Jahre und wie lange macht der noch? Aber ich muss unbedingt einen schönen Körper haben, schlank sein , abnehmen und dann, dann die Haut korrigieren lassen und das mit 55. Da kann man sich nur fragen, wofür. Glaube ich wirklich, mich schaut in dem Alter noch einer an, wo möglich so einer, wie aus meinen Romanen. Doch ach nein, ich will schön sein, mit einer Topfigur und das ist jetzt erst mal mein größter Traum, mein größtes Ziel. Und ich werde es schaffen. Melancholie, wenn ich eh schon melancholisch drauf bin, warum höre ich mir dann noch Nana Mouskouri an. Das ist ja
dann Öl ins Feuer giesen. Gestern war ich auf dem Arbeitsamt. Habe da klar durchblicken lassen, dass ich an keinem Job interessiert bin. Mal schauen, was daraus wird. Andererseits habe ich für mich erkannt, dass ich etwas machen muss. Ich muss mich selbst erkennen und an mir arbeiten.Heute war ich denn dann auch schon mal wieder laufen. und was muss ich sagen, es hat mir gut getan. Wenn ich mein Bla Bla hier beendet habe, werde ich mir mal 'ne Schulung beim AA reinziehen, kann ja nicht schaden. Und dann wollte ich mich auch mal ein bisschen über England, Schottland und Irland sachkundig machen, immer auf den Spuren meiner Romanfiguren. Es kann ja nichts schaden, vielleicht schreibe ich ja doch
auch ein Buch und brauche das dazu. Ideen hätte ich ja schon. **** Hab dann heute auch schon mal unser Beauty-Wochenende zu Himmelfahrt auf der Bastei gebucht. Hoffentlich klappt alles so, wie ich geplant habe. Dann kann ich ja den Mädchen vielleicht auch eine Cabrio-Fahrt spendieren. Mal schauen. Da fällt mir wieder ein, dass ich ja für mich und Gerd auch eine Reise buchen wollte, aber wenn er nicht sagt, wann und wohin, na ...ich habe dann auch keine Meinung. Weiß auch noch nicht mal, wann er seinen ganzen Urlaub nehmen will, am besten gar nicht, dann kann er mir auch
nicht auf den Senkel gehen. Zsuzsa will ja die Woche vor Weihnachten ihren Urlaub nehmen und zu Fanny fahren. Ich hatte eigentlich die Idee, dass mein Vati uns hinfahren kann, übernachten und mich dann am nächsten Tag mit zurücknimmt. Das werden wir klären, wenn Fanny übernächste Woche nach Hause kommt. Gott. Was Gerd wohl dazu sagen wird? Er hat aber auch nie eine Meinung... ------------------------------------------------ 'Na zum Glück hat der nie 'ne Meinung. Das mit meinem Vati war natürlich eine Schnapsidee. Als würde mein Vater uns dahin fahren. Dumm von mir. Wir haben doch so gut wie gar keinen Kontakt. Ich hatte
aber auch komische Gedanken zu der Zeit. Okay, das reicht aber jetzt für heute. Alles weg, weg, weg. ... Und nun wieder meine Karpatianer.'
9. Kapitel
Anna steht an der Tür zum Balkon. Dicke Tränen laufen über ihre Wange und sie unterdrückt das Schluchzen, welches sie innerlich erbeben lässt. Ihre Kinder müssen nicht sehen, wie tief sie der vorangegangene Streit, der Wutanfall von Zsuzsa und die Vorwürfe ihrer Jüngsten erschüttert und ihre Seele zerreißt. Also steht sie da und starrt reglos auf den Balkon, ohne die vielen Spaziergänger im gegenüberliegenden Park oder die Skater, die mit ihren Brettern die Halfpipe entlang donnern, wahrzunehmen.
Es ist schon Monate, ja fast schon ein Jahr her, als Zsuzsa ihren letztenTobsuchtsanfall
hatte. Meist hat sie diese nur, wenn sie aufgrund des Verdachtes, nicht im direkten Mittelpunkt zu stehen, leicht emotional angekratzt ist. Ein Funke, eine Äußerung des vermeintlichen Eindringlings, genügt für eine Explosion. Genau dies ist passiert.
Anna und Zsuzsa haben DVD's geschaut und dabei Nintendo gespielt. Eh schon leicht gereizt, weil Ian sich dazugesetzt hat, das Spiel wohl nicht so wie Zsuzsa wollte und Anna nicht in der Lage war, die Spiellösungen im Internet schnell genug abzurufen, musste Ian zu allem Unglück auch noch seine Meinung kund tun. Das Zünglein an der Waage und ein Orkan brach herein. Schreien und Gezetergegen Mutter und Bruder, Faustschläge gegen den eigenen
Kopf, Zerkratzen der Arme und des Gesichts. Das war für Anna zu viel. Jeder Versuch, ihre Tochter zu beruhigen, schlug in neuerlichem Gekeife fehl. Außerstande der Situation Herr zu werden, hat Anna sich dazu verleiten lassen, Zsuzsa ebenfalls zu schlagen.
Ein Wort gab das Andere.
Nun steht Anna mit verschränkten Armen an der Balkontür und schaut hinaus. Sie hört, wie Zsuzsa ihre Sachen packt, vor sich hin schimpft und dann knallt die Tür. Zsuzsa ist weg und Anna bleibt mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Sie grübelt, ob es wahrlich an dem ist, was Zsuzsa ihr so alles an den Kopf geschmissen hat. Ob das Leben in der Tat so sein muss. Ob und wann sie so richtig glücklich in ihrem Leben gewesen ist. Immer
wieder kommen ihr die Tränen, die scheinbar nicht versiegen wollen. 'Hab ich das verdient? Hab ich irgendwas verbrochen? Ich hab einfach die Faxen so satt. Erst die Diagnosen vom Frauenarzt, Ausschaben und dann auch noch okkultes Blut im Stuhl. Vor lauter Schiss hab ich jetzt noch Bauchgrummeln seit dem Wochenende und wahnsinnige Kreuzschmerzen, die aber wahrscheinlich nur vom Ischias oder wie die Ärztin gesagt hat, von den Unterbrustwirbelnherrühren, also nicht von Darm. Aber Schiss bleibt Schiss bis alles geklärt ist. Und jetzt kommt auch noch der Frust meiner Kinder dazu. Ich hätte so gern Friede, Freude, Eierkuchen. Wenn Eins
kommt, ist Zwei nicht weit. Eben alles auf ein Mal. Wann lief in meinem Leben mal alles so, wie ich es gern wollte? Gab es einen Moment, wo ich echt glücklich war? Okay, als ich mit den Kindern schwanger war. Das habe ich genossen und als sie geboren wurden. Das war mein Traum. Traum, der sich als Alptraum entpuppt hat? Bin ich für das Leben meiner Jüngsten verantwortlich? Ich hab's ihr geschenkt. Bin ich jetzt für alle Zeit für sie verantwortlich? Mein Traum, ihr Alptraum, weil sie nicht auf der Welt sein will? Wen haben meine Entscheidungen wirklich glücklich gemacht? Anna fallen plötzlich all die Filme ein, in denen immer so coole Sätze fallen wie „Eine Hochzeit sollte niemals
ein Kompromiss sein. Man betrügt sich nur
selbst damit.“ Stimmt. 28 Jahre im Selbstbetrug, aber besser als keinen Kerl? „Wer weiß, ob jemals wieder einer um ihre Hand anhält!?“ Und dann letztendlich: „Die hatte so lange keinen Sex, dass ihr die Vagina zusammengewachsen ist." Das glaube ich kaum, ich wurde in meinem gesamten Leben maximal zwanzig Mal gepoppt. Von Sex, so fern es etwas sinnlich erotisches sein sollte, konnte da keine Rede sein. Rauf, rein und fertig. Und seit dreiundzwanzig Jahren gar nicht mehr. Aber zugewachsen ist da nix. Selbst ist die Frau. Oh man! Ich hätte so gern einen Mann, der mich versteht, mich verwöhnt, der alles für
mich macht. Einfach, der mich liebt, so wie ich bin.'
Anna geht ins Bad und vernichtet die Tränenspuren in ihrem Gesicht. Ein, zwei Hand voll kaltes Wasser und die Welt sieht schon wieder besser aus. Tief Luft holen und dann eine Tätigkeit suchen, die sie von all den Problemen ablenkt. Da Anna mit ihrem „Kreativen-Schreiben-Aufgaben“ schon in Rückstand geraten ist, rafft sie sich auf, die Lernordner zur Hand zu nehmen und sich den nächsten Studien zu zuwenden.
Und wieder ein Mal stellen sich ihr alle Haare auf.
Neue Wörter finden und erfinden, Simplizia, Neologismus.
Anna bezweifelt, dass dies notwendige Begriffe, Lehren, was auch immer, für das Erlernen des kreativen Schreibens sein
sollen. Also arbeitet sie nach dem ihr vertrauten Muster und geht gleich zur nächsten Einsendeaufgabe.
„Schreiben Sie ein Märchen in Jugendsprache per SMS mit maximal 160 Zeichen.“
Anna kann es nicht glauben.
'Wer spricht denn Jugendsprache? Jugendliche?'
Sie könnte auf das Vokabular ihrer Kinder zurückgreifen, nur dass diese nicht im üblichen Jugendjargon kommunizieren. Pech. Nun muss sich Anna also auf die Suche nach einschlägiger Literatur machen. Und das geht nicht von heut auf morgen.
Um aber nicht umsonst die Studienmaterialien aus dem untersten Winkel ihres Schrankes hervorgeholt zu haben, widmet sie sich der nächstfolgenden Aufgabe. Damit kommt sie genau zu dem Genre, zu welchem sie nun einfach keinen Draht hat, Gedichte. „Schreiben Sie ein Gedicht über die jetzige Jahreszeit. Sammeln Sie Nomen, die zur Jahreszeit passen und ihre Befindlichkeit wiedergeben. Stellen Sie Vorstellungen zur Jahreszeit mit der Wirklichkeit gegenüber.“ 'Komplizierter hätte man eine Aufgabe auch nicht formulieren können. Und Gedichte sind eh nicht meins. Wie soll ich das nur beginnen. Schauen wir mal. Winter –
kalt, Schnee, Eislaufen, Schlitten fahren, Frost ... und wie sieht es draußen aus? Lau, alles grünt und blüht, die ersten Zugvögel sind zurück – geht glatt als Frühling durch. Dann will ich das alles mal in Gedichtform bringen.' "Januar" Ist es wirklich Januar? Oh es ist wahr, die Zugvögel kehren wieder und singen ihre Morgenlieder. Bäume werden grün und die ersten Frühlingsblumen blüh'n.
Die Natur hat sich aufs Winterüberspringen eingestellt
und wenn's uns auch gefällt, das kann und darf und soll nicht sein! Es ist Januar! Es muss nun endlich schnei'n. Jetzt ist die Zeit für Winter und alle Kinder warten auf die weißen Flocken, wollen nicht mehr in den Stuben hocken, träumen von Eislauf, Schlittenfahren, Schneeballschlacht.
Plötzlich über Nacht
gibt’s Schnee und Eis, der Himmel blau, die Erde weiß.
Eiseskälte brach herein, trotz Zuckerschnee und Wintersonnenschein. Draußen ist es frostig kalt, man erkennt kaum jung und alt,
weil sie dick eingemummelt durch die Straßen
geh'n.
Doch die Kinder finden's schön. Endlich stimmt die Jahreszeit. Es ist Winterwetter, es ist bitter kalt und es schneit. (c) ABS
'Na ja. Ich weiß auch nicht so recht. Doch wie gesagt, mit Gedichten hab ich es nicht so. Also ab die Post und nicht weiter drüber nachgedacht. Und wenn ich jetzt eh schon mal vorm Laptop sitze, kann ich auch gleich meinen Blog schreiben.' Solange Anna noch Zeit zum Schreiben hat und sie gerade so schön im Schreibfluss ist, nutzt sie die Gelegenheit um auch gleich
ihren Blog zu aktualisieren. Als sie die letzten Eintragungen liest, hat sie das Gefühl,dass nicht nur die Abstände zwischen ihren Blogs immer größer werden, nein sie fällt beim Schreiben immer mehr in Gezeter und Mordio. Dabei sollte der Blog dazu da sein, um anderen zu zeigen, wie sie ihr Leben meistert und alle Probleme in den Griff bekommt. Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben. Also rafft sie sich auf und zieht ganz nüchtern Bilanz. 9. Eintrag Hallo Leute!
Heute wird mein Eintrag nicht so, wie gewohnt. Ich werde Bilanz ziehen. Dabei stelle
ich leider fest, dass ich mich in den letzten Einträgen habe gehen lassen. Das ist ab sofort vorbei. Denke ich zu wenigsten. Rumjammern hilft mir nicht weiter. Also Kopf hoch, Bauch rein, Brust raus.
Okay, letztes ist nicht so schwer, denn davon ist genug da. Ach ja. Und den Humor nicht verlieren. Wenn ich daran denke, mit welchen Ambitionen ich diesen Blog begonnen habe und ich mir selbst in den Hintern treten wollte, wenn's nicht so klappt. Nun, viel hab ich nicht geschafft. Wenig Einträge und noch weniger Erfolge. Ich höre euch schon: „Wir habens ja gleich gewusst.“ Und ihr habt recht. Ich werde mich ab sofort wieder mehr auf mich, meine Persönlichkeit und das was ich will konzentrieren. Egal was
auch immer passieren mag, es geht immer weiter. Also Leute, ab sofort geht’s wieder ins Fitnessstudio, zusammen mit meiner Lütten. Haben uns schon angemeldet. Undich werde mich mal wieder ums Abnehmen kümmern. Rumfressen ist ab sofort gestrichen. Ihr wisst noch? Ich wollte ein Uhu werden. Davon bin ich noch weit entfernt. Ich wollte meine alten Aufzeichnungen durcharbeiten und ein Buch schreiben. Durcharbeiten ist noch angesagt, Buchschreiben – ich glaube kaum. Es wäre ein weiteres Buch, welches die Welt nicht braucht. Aber: ich werde weiter den Kurs “Kreatives Schreiben” vorantreiben. Was ist noch zu berichten? Ach ihr erinnert euch? Meine ganzen Gesundheitsuntersuchen? Oh man ich sag euch. Bald ist alles überstanden.
Je näher die Termine rücken, um so schlechter geht es mir. Wenn ich das alles gut überstanden habe, starte ich total neu durch. Ich hab's mir ganz doll vorgenommen. Neues Projekt: Vielleicht lerne ich dann auch englisch. Ihr dürft mal wieder über mich grinsen. Und genau deshalb werde ich für heute Schluss machen. Nur damit euch das Grinsen nicht vergeht, aber leider ist die Zeit um und mein Laptop neigt dazu, durchzudrehen. Irgend etwas ist mit der Tastatur nicht in Ordnung. Deshalb werde ich an dieser Stelle schließen. Da, wie Anna bereits in ihrem Blog erwähnt hat, ihr Laptop nicht mehr funktioniert, setzt sie sich in der Bibliothek an den PC. Gerd
kann sich derweil getrost im Wohnszimmer seine Soaps und sonstiges Unterschichtenfernsehen reinziehen. So arbeitet Anna schnell noch einige Kapitel ihres Tagebuchs durch. 'Oh nein, das geht ja da weiter, wo das letzte Mal ... boah. Ein Sex-Traum. Prima. Wie bin ich da bloß draufgewesen? Nun ja, nicht anders als heute. Aber musste ich das alles schreiben? Vielleicht lösche ich ja doch das Schlimmste raus. Dann los!'
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Mein Tagebuch Nicht dass sich meine sexuellen Phantasien
erledigt hätten, nein, jetzt träume ich schon davon. Silvia hat eine Rolle gespielt und ein Typ, ich kenne ihn irgendwo her. Aber ich weiß nicht wer, doch ich bin ganz sicher, ich habe ihn schon gesehen, ich kenne ihn. Ich wollte ihn mit Silvia verkuppeln, er Jahrgang '48 bedeutend jünger aussehend und Silvia Jahrgang '54 sieht bedeutend älter aus. Wären doch ein schönes Paar. Aber er wollte mich: "Erinnerst du dich an Silvester? Es war doch schön. Ich will dich, n u r dich". Obwohl er nicht sehr groß und kräftig aussah, hat er mich an die Wand gedrückt, einen Arm hinter meinen Rücken geschoben und somit meine Armefestgehalten und mich dann stürmisch geküsst. Ich spürte seine Zungein meinem Mund. Er konnte nicht genug bekommen, mir
blieb beinahe die Luft weg. Er hat ein Bein zwischen die meinen geschoben und drückte seine Erektion fordernd gegen mich. Er spreizte mit seinem Knie meine Schenkel und seine andere Hand streichelte über meinen Bauch hinab in die Hose und den Slip, in mein feuchtes Dreieck. Während er gierig mit seiner Zunge jeden Winkel meines Mundes auskostete, spielten seine Finger mit meiner Perle und tasteten langsam in mich hinein. Gott war ich feucht. Mein Bauch, mein Rücken, meine Beine, alles an mir verkrampfte sich, ich habe dieses Gefühl total genossen. Es war wie echt. Selbst nach dem Erwachen konnte ich diese Lust noch nachempfinden. Ich glaube, ich drehe langsam durch. Noch nie in meinem Leben
habe ich so ein sexuelles Verlangen gehabt. Aber auf gar keinen Fall mit meinem Mann. Das wäre das absolute no go. **** Vielleicht sollte ich bald anfangen, mein Buch zu schreiben. Oder doch erst einen Kurs in "Kreatives Schreiben" belegen? Oder gleich loslegen? Oder doch erst im nächsten Jahr? *****
Man, ich weiß gar nicht was das soll. Ich denke, ich bin in den Wechseljahren, für fast 53 Jahre ist das wohl ja auch zu erwarten. Aber nein, ich denk, ich entwickele mich
langsam zurück. Bekomme ich doch schon wieder meine Regel, als ob nicht 2x im Jahr ausreichend wäre. Und ausgerechnet in 14 Tage will ich zum Frauenarzt, hoffentlich hat sich das bis dahin verzogen. So ein Mist aber auch. Zum Glück wirkt sich das nicht auf meinen Appetit aus, denn ich bin gerade dabei so richtig schön abzunehmen. Liege schon bei unter 124 Kilo, sind seit Juli immerhin fast 10 Kilo. Ich fühle mich beinahe spitze.Schließlich weiß ich ja, wo ich hin will. Ich versuche mich jetzt auch bei Weigth Watchers online mehreinzubringen, sprich, kommunikativer werden. Ist mehr oder weniger anonym, nur keine sozialen Kontakte aufbauen, die sind immer so verpflichtend. Deshalb halte ich mich mit meinen Exen ja
auch so zurück.
****
Fensterputzen bei meiner Mutti. Zsuzsa hat sich mal wieder eine goldene Nase verdient. Auch sonst war sie an diesem Tag der Liebling der Oma. Nun ja, mit mir hat sie kaum 20 Worte gewechselt und die waren auch nicht der Rede wert: "Du kannst mir glauben, Zsuzsahat ganz schön abgenommen, sie muss sich nur noch eleganter anziehen. Du gehst doch nicht etwa mit dem Haargummi auf die Straße?" Was für eine blöde Frage. Dann hat sie mir ihre vielen Tabletten für alles mögliche gezeigt: "Das ist Magnesium, weil ich immer
solche Muskelkrämpfe habe. Da die Kieselerde ist gut für Nägel und Haare."
Was für Haare?
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'Oh mein Gott. Da hab ich noch Witze gemacht, über die Haare meiner Mutter und heute sehe ich genau so aus. Ich will wieder Haare haben. Heul! Nee weiter.'
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Mein Tagebuch Gott sei dank dauert so ein Tag nicht ewig. Der Heimweg (Straßenbahn - S-Bahn - Straßenbahn - Straßenbahn) war dann auch ganz verträglich, da wir immer an der
Einsatzstation eingestiegen sind. Wenn man dann da so sitzt, gönnt man sich auch mal einen Blick nach attraktiven Kerlen. In meinem Alter zwar nicht so ziehmlich, aber was solls. ------------------------------------------------
'Genau, was soll's. Auch in meinem Alter ist doch ein bisschen Spaß nicht verkehrt.'
Bei dem Gedanken schüttelt Anna leicht den Kopf und ein sehnsüchtiges Lächeln umspielt ihren Mund. Besagten Spaß hatte sie schon lange nicht mehr. Daran ist auch in naher Zukunft nicht zu denken.
10.Kapitel
„... die Dinge, die im Leben zählen, all die Dinge, die uns bewegen. Rings um uns herum ist so viel Schönes. ... Wir alle müssen mit den Problemen des Alltags fertig werden. Mit den Geldsorgen, Krankheiten, selbst mit dem Tod – oder damit jemanden zu lieben, der unsere Liebe nicht erwidert. ... Aber trotzdem können wir alle leben und all das Schöne sehen, das es gibt. Es ist da. ... Hoffnung trotz innerer Qualen. Freude trotz großer Schmerzen. Man muss das Leben mit beiden Händen packen, nicht einfach dasitzen und es an sich vorbeiziehen lassen“. Irgendwo in ihren vielen gesammelten Notizen
hat Anna diese Zeilen gefunden. Sie weiß nicht mehr, wo sie sie her hat, wer es gesagt oder geschrieben hat. Doch sie findet sie ausgesprochen bewegend. So schön. So wahr. In letzter Zeit haben sie derlei Aussagen einigermaßen aufrecht gehalten. Die ärztlichen Untersuchungen und Eingriffe hat Anna gut überstanden und es ist alles in bester Ordnung. Damit geht es ihr gleich viel besser. Die Aufregung, die Ängste sind verschwunden und damit das allgemeine Unwohlsein. Körperlich. Seelisch ... ist eine ganz andere Sache. An der muss Anna alleine arbeiten. Genau, wie sie sich vorgenommen hatte, startet Anna neu durch. Sie legt einen detaillierten Schlachtplan für die nächste Zeit fest und begibt sich hernach
gleich in die Spur, um sich dem „Kreativen Schreiben“ zu widmen. 'Ich hab's gelesen. Tagebuchaufzeichnungen haben keinen Wert für die Öffentlichkeit. Wen interessieren schon die hingeworfenen Gedanken einer 50-jährigen? Uff! Also doch kein Buch. Nichts desto trotz, werde ich dann noch einige Zeilen meiner Aufzeichnungen durchackern. Dann eben nur für mich. Zu nächst aber die neue Hausaufgabe. Und nun s o l l ich ein Tagebuch schreiben. Soll wohl gutsein, gegen eine Schreibblockade. Was soll es diesmal sein?'
„Schreiben Sie Ihre Erfahrungen beim Tagebuchschreiben auf. Welche Art war ihr
Tagebuch – welche Geschehnisse – täglich oder nur gelegentlich?“
'Okay, dann werde ich dem mal erzählen, wie die Dinge mit dem Tagebuch so laufen.' Anna erzählt von ihrem ersten Tagebuch, geschrieben als Kind, welches dann von der ganzen Familie gelesen und sie verhöhnt wurde. Sie erzählt von ihrem erneuten Versuch ein Tagebuch zu schreiben. Sie war gerade 53 Jahre geworden und arbeitslos. In diesem Tagebuch verarbeitet sie ihren Tagesablauf, ihre Probleme, Sehnsüchte und vieles mehr. Und sie erzählt, dass sie aus diesem Tagebuch gern ein Buch geschrieben hätte und deshalb den Kurs „Kreatives
Schreiben“ begonnen hat.
Eigentlich wollte sie dies alles gar nicht preisgeben. So schnell wie sie ihre Aufzeichnungen gefertigt hatte, so schnell waren sie auch schon abgeschickt. Bleibt Anna nun nur zu hoffen, dass ihr Mentor das auch zu schätzen weiß.
Sie blättert weitere Seiten im neuen Studienheft durch.
'Hm. „Mit dem ersten Satz knipst der Autordas Licht an.“ So geht das also. Licht an. Licht aus. „Jemand der für andere schreibt, ist ein Führer durch die Dunkelheit.“ So seh'n die das also? Ich will ein Führer durch die Dunkelheit werden. Oh und weiter geht’s mit der „Wirkung des Lichts“. Ich
will doch kein Elektriker werden. Was noch? Titel. Ok, der ist sehr wohl wichtig. Deshalb habe ich ja mein Tagebuch auch ständig umbenannt. Ich hab keine Lust, mir das alles durchzulesen.' Anna schwirren die einzelnen Begriffe aus dem Arbeitsheft durch den Kopf. Alles durchlesen möchte sie nicht. Sie versteht ohnehin nur die Hälfte.
Ein Selbststudium ist wohl nicht das Richtige für sie. Ein gibt keinen, der alles erklärt. Selbststudium. Man studiert allein. Sie sitzt schon mehreren Stunden und müht sich ab, das Geschriebene zu verstehen. Erfolglos. Auch die nächste Aufgabe zum Einsenden kann sie nicht ermutigen, mit mehr Elan an
das Studium zu gehen.
„Erfinden Sie zehn Titel und beschreiben Sie kurz den Stoff und die Problematik.“
'Zehn Titel. Fallen einem auf Anhieb zehn Titel ein? Dann noch kurz die Story erklären. Boah.' 1.Spiegel meiner Träume:
Irgendwas mit Mutter und Tochter. Mutter sieht inTochter all das, was sie gern gewesen wäre. 2.Wenn Oma erzählt:
Enkelkinder wollen von Oma wissen, wiees war, als sie jung war.
3.Preis der Harmonie:
Konflikte, Streitigkeiten in der Familie; Was ist der Preis für ein harmonisches Familienleben? 4.Die Kausalität von Wollen und Können gebärt ein Buch:
'Oh Gott, was für ein bekloppter Titel! Gehts nicht anders? Und die Story? Ich will, weil ich kann: Es stehen mir alle Möglichkeiten offen, keiner hindert mich daran, ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Ich kann, weil ich will: Die Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Schreiben eines Bucheshabe ich mir aus freien Stücken angeeignet. Dies ist der Ursprung für mein erstes Buch. Das geht
mal gar nicht. Viel zu philosophisch. Aber mir fällt nix ein. Heul!' 5.Hilfe, flirten mit 55+ verboten:
Jetzt geht’s erst richtig los. Die zweite Hälfte des Lebens ist zum Genießen da. Also flirten was das Zeug hält. Das stößt gelegentlich auf Unverständnis und Missbilligung. Lustige Geschichte zum Nachdenken. 6.Ich liebe jedes Pfund an mir:
Kein Ratgeber. Dies ist mein Tagebuch. „Ich liebe jedes Pfund an mir!“
7.Brummel und Grummel auf Entdeckungsreise:
Brummel und Grummelauf Urlaubsreise durch
ganz Deutschland. Kleine Geschichten für Kinder, lustig, interessant und lehrreich erzählt. 8.Sehnsucht:
Die Liebe zu Büchern und die Sehnsucht nach ferneLänder, vergangene Zeiten, Abenteuern ... 9.Die Nächste bitte!:
eine Odyssee auf dem „Berliner Wohnungsmarkt“ 10.Tot im Zeichen des Sichelmondes:
eine SOKO „Sichelmond“, junge Frauen als Opfer, ermordet bei Mond in Form einer Sichel, der Sichelmondmörder, Tatmotiv
'Nun gut, die Storys müssen noch ausgebaut werden, aber als Gedanke. Ach ich weiß nicht. Oder doch?' Anna nimmt sich für die Erledigung der häuslichen Pflichten eine Auszeit vom Studium, ohne ganz abzuschalten. Ständig spukt ihr die Ausformulierung des Storys durch den Kopf. Zum Glück ist im Haushalt nicht viel falsch zu machen, denn bei der Sache ist Anna nicht. Also wieder ran an den Laptop und die Schreibarbeiten zu Ende gebracht. Sie müssen vom Tisch. 'So fertig. Heute werden die restlichen Aufzeichnungen schnell noch durchgeschaut, damit dies zum Ende kommt. '
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Mein Tagebuch
Hi Evi,
brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Die Zeit vergeht wie im Flug und schon ist eine Ewigkeit vorbei. War jetzt eine Woche bei der Großen in Jena. Wenn du willst, komm doch am Dienstag (übermorgen) zu einem späteren Frühstück (ca. 10:00Uhr) zu mir. Können wir plauschen und nebenbei vielleicht eine DVD rein schieben ("Mama Mia" vielleicht oder so). Ian hat an dem Tag ein Vorstellungsgespräch auf Nodernei und die anderen sind arbeiten. Bei der Gelegenheit können wir Irma auf Band sprechen mit einem Terminvorschlag.
Gruß Anna **** Hallo Anna,
ich war schon einige Tage nicht in meinen E-Mails. Es hat einfach keiner geschrieben und dann habe ich es vernachlässigt immer reinzuschauen. Nun ist dein vorgeschlagener Termin: Dienstag 10:00 Uhr vorbei. Zum Absprechen ist es da einfach besser wenn wir telefonieren. Aber du hast recht. Die Zeit vergeht wirklich sehr sehr schnell. Ich habe auch keine große Lust mich mit irgendwelchen "wichtigen" Dingen zubeschäftigen. Noch genieße ich einfach die schön e freie Zeit. Es ist noch so schön
entspannend. Eigentlich habe ich auch keine Lust auf Jobsuche zu gehen. Noch nicht. Melde dich ruhig.
Grüße! Evi ------------------------------------------------
'Das ist nun auch schon ewige Zeiten her. Gesehen und gehört haben wir uns auch nicht wieder. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dabei waren wir wirklich gute Freundinnen. Damals. Mehr als 30 Jahre ist das nun schon her. Oh Gott, wir werden alt. Anna denkt an die Zeiten mit Eva und Irma zurück, an die Freundschaft, während sie zusammen ihre Berufsausbildung gemacht haben, an die Cliquenbildung innerhalb der Ausbildungsklasse. Das waren schon
verrückte Zeiten. Wie oft hat Eva Frühstücksbrote mitgebracht, weil es bei Anna zu Hause mal wieder Trouble gab? Wie oft haben die beiden abends in der Clubgaststätte gesessen und „Murfatlar“ der „Gotnari“ getrunken, eine Schachtel „Cabinett“ oder „Semper“ geraucht und auf Evas Freund gewartet, der bei der hiesigen Einheit der NVA, der Armee der DDR, stationiert war. Das ist nun wirklich schon sehr lange her. Aus und vorbei. Das war damals und jetzt ist jetzt. Schau'n wir mal, was es in meinen Aufzeichnungen noch so gab. '
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Mein Tagebuch
Wenn man sich beim Laufen total der Musik hingibt, kann man schon mal ganz melancholisch werden, noch dazu bei Titeln von Andrea Berg. Liebe hier und Herzschmerz da, dann kommt man auf dumme Gedanken. Eigentlich kenne ich das alles gar nicht, ich wurde nie richtig geliebt, noch habe ich richtig geliebt. Das stimmt so auch nicht. Stark verliebt war ich wohl ab und an mal. Doch waren das meist nur gute Freunde. Ich hätte auch gern jemanden der mich und den ich ohne Tabus lieben könnte. Aber so was gibst wahrscheinlich nur im Film und Buch. Das wirkliche Leben sieht dann wohl ganz anders aus. Wann hatte ich denn den letzten Sex? Sex kann man auch das nicht nennen, es war nur Geschlechtsverkehr
zum Zeugen von Kindern und das liegt nun bereits 21 Jahre zurück. Ich kann einfach nicht mit meinem Mann. Wir leben eigentlich nur in einer Art WG. Es kann wohl keiner glauben, dass ich mit meinen 53 Jahren meinen "Sex ohne Liebe" an allen zehn Finger abzählen kann, vielleicht nehmen wir die Zehen noch dazu, aber das war's dann auch schon und ist wohl glaube ich auch noch zu hoch gegriffen. Ob es wohl irgendwo noch jemanden gibt, der mich so richtig begehrt? Aber so wie ich aussehe, ist das wohl unvorstellbar. Und selbst wenn, ich glaube ich würde es nicht zulassen. Ich habe keinerlei Selbstvertrauen. Man kann mich nicht lieben, weil ich mich auch nicht liebe. ------------------------------------------------
'Das hab ich nicht wirklich geschrieben. Okay, ist ja die Wahrheit. Aber dass ich da schon so 'ne frustrierte Zicke gewesen bin. Lässt ja tief blicken. Besser ist es nicht geworden. Zum Glück habe ich mir das mit dem Buch abgeschminkt. So was kann man doch nicht veröffentlichen. Weiter lesen oder lieber aufhören? Wer weiß, was noch so rüberkommt! Also weiterlesen, denn irgendwann muss das Tagebuch ja auch mal ein Ende haben.'
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Mein Tagebuch Irgendwie klappt das heute mit dem Programm nicht. Fanny hat mir da was neues
auf den Computer gezogen und nun ist irgendwie alles anders. Na mal schauen, ob ich das gebacken kriege. Komisches Wort, entweder falsch geschrieben oder es gibt es nicht. Was schreibe ich heute nur für einen Stuss zusammen. Eine Woche hatte ich keinen Trieb irgendetwas zu tun, weder schreiben noch meinen täglichen Sport. Einfach ne Flaute gehabt. Ich habe mich total gehen lassen. Und genau das sieht man auch. Ich bin wieder fetter und fetter und meine guten Vorsätze sind um Monate zurückgeschlagen. Ich glaube, auch in diesem Jahr schaffe ich das nicht. Zum Trotz habe ich mir heute einen Trinktag auferlegt. Es muss doch irgendwie möglich sein, unter 130 Kilo zu kommen. Ich habe nun endgültig
das Wellnesswochenende in Friedrichroda gebucht. Muss jedoch nochmals anrufen,ob auch alles o.k. geht. Wir haben uns im Netz mal die Zimmer so angeschaut und festgestellt, dass das teuerste auch das kleinste Zimmer ist. Wo wollen die denn dann noch ein Zustellbett aufstellen? Die Wünsche für die Wellnessanwendungen haben wir auch an das Hotel gemailt. Na, wenn das mal alles so klappt, wie geplant. Die Fahrkarten sind nach langem hin und her auch bestellt. Zsuzsa war da nicht so leicht zufrieden zu stellen. „ich will vorwärts fahren. Ich will im Gang sitzen. Ich will ein Abteil“ und so weiter. Es nervt. Hoffentlich geht das dann nicht die ganzen 6 Tage so. Ich habe auch den Thüringer Studentenfreundinnen mitgeteilt,
dass ich in Friedrichroda bin. Mal sehn, ob sie sich mit mir treffen wollen. So richtig Lust habe ich nicht ( schließlich habe ich seit damals 50 Kilo zugelegt) und die erkennen mich womöglich gar nicht mehr, so als kleine Tonne. **** Ich glaube, ich bin spielsüchtig. Wieder 50 Euro verzockt. **** Endlich mal ein Morgen, an welchen beide
(Zsuzsa und Gerd) gute Laune haben, dachte ich zu wenigstes, bis sie
aufeinandergestoßen sind. „Na, hast dich aber heute im Bad beeilt.“ „Du hast mich ja auch angetrieben.“ Gab Zsuzsa daraufhin mit etwas lauter Stimme zur Antwort. „ Deshalb musst du ja nicht so schreien.“ Meinte Gerd, ob nun scherzhaft oder im Ernst, wer weiß das schon und es kam natürlich so an, dass der Morgen wieder gelaufen war. „Ich schnauze dich auch nicht immer an, wenn du mit schlechtgelaunten Gesicht aufstehst und in deinen Bart brabbelst.“ Das war der Beginn eines guten Streits, der mit rumbrabbeln, schreien und Türe knallen endete. Warum ist das so? Jeder beharrt auf seiner Meinung und seinem Recht. Keiner gibt nach. Aber ausgerechnet heute, die Sonne scheint und noch wenige Minuten
zuvor dachte ich, das wird ein schöner Tag. Alle gut gelaunt, dann gehe ich laufen und so weiter. Und nun. Es erinert mich an die anderen Tage, an denen Gerd mit grimmiger Miene am Frühstückstisch sitzt, die Finger voller Butter, Teller und Tisch vollgekrümelt und rießige Happen in den Mund schiebt um diese dort lautstark zu kauen und im Mund rumzuschmeißen. Alter Mann ohne Manieren. Jeden Morgen das Gleiche. ---------------------------------------------- 'Oh man. Eigentlich traurig. Es hat sichnicht wesentlich etwas geändert. Nichts verändert?'
Zsuzsa ist ausgezogen und das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist mit der
Entfernung besser geworden. Anna hat zwar noch immer arge Gewichtsprobleme, aber immerhin sind 10 Kilo verschwunden und durch ihre regelmäßigen Besuche im Fitness-Studio sollen weitere folgen. Nun, am fehlenden Sex und Gerds Manieren hat sich wirklich nichts geändert.
Doch da Anna an beiden Themen nicht rühren möchte, wird es auch einstweilen so bleiben. Und trotzdem, bei diesem Gedanken seufzt Anna und hofft inständig, sie möge eines Tages den Mut aufbringen und einen Schlussstrich ziehen.
Sie schließt die Datei „Das war alles!?“, denn noch mehr von diesen „Ergüssen“ kann und will sie heute nicht ertragen. Es ist doch ständig das gleiche Einerlei. Ihr Entschluss
steht jetzt fest. Ein Buch werden diese Aufzeichnungen auf gar keinen Fall. Bestenfalls geben sie den Anstoß, über Veränderungen in ihrem Leben nachzudenken.
Ein Blick auf die Uhr und Anna wird klar, dass sie mehr oder weniger den ganzen Tag mit Schreiben und Lesen vertan hat. Jeden Moment kann Gerd nach Hause kommen. Sie überlegt, ob noch genügend Zeit bleibt, schnell ihren Blog zu schreiben. 'Es müssen Prioritäten gesetzt undkeinerleiRücksichten genommen werden'
10. Eintrag
Und da bin ich auch schon wieder. Alle Gesundheitsuntersuchungen hinter mir. Aufatmen! Alles Bestens. Alles Schön. Nun habe ich einen 3-Punkte-Plan gefasst. Punkt 1: Ab sofort wird sie ein Ernährungstagebuch führen.
Punkt 2: Ich lerne jetzt englisch. Vielleicht. Punkt 3: Ich werde bei der Stellensuche für Zsuzsa auch für sich selbst mit schauen. Sicher, sie hat ihre Abfindung, mit der sie bis zur Rente auskommen kann. Mit einer gewissen finanzieller Unabhängigkeit liegen die Chancen, dass sie einen Schlussstrich unter ihre „wg-ähnliche“ Ehe zieht, nicht so schlecht. Der Schweinehund steht schon in den Startlöchern. Und ihr könnt schon mal lachen.
Mit dem Schreiben läuft es nicht so. Hab zur Zeit auch keine rechte Lust. Ich weiß mitunter gar nicht, was die beim Studium von mir wollen. Decken einen mit Metapher, Intuition, Licht an und aus und sonst so 'nem Zeugs ein. Ich weiß auch nicht. Möglicherweise ist Schreiben doch nicht meins. Dann soll ich eine Geschichte über zweieinhalb Normseiten schreiben über ein Kindermädchen, einen Witwer und zwei Kinder. Was schreibt man da so? Genau. Keine Ahnung. Also werde ich eine Geschichte schreiben über den Muttertag. Ungefähr so: Der Junge will seine Hausaufgaben nicht machen, weil er eine Zeichnung für die Mutter zum Muttertag malen soll. Aber die Mutter der Kinder ist tot. Das jüngere Mädchen malt ein Bild für das
Kindermädchen. Auf die Frage, ob diese für immer bei den Kindern bleibt, antwortet sie wie in „Mary Poppin“ oder „Die Nanny“ mit dem Gebrauchtwerden und so weiter. Dann wendet sie sich dem Jungen zu und versucht ihm zu erklären, dass sie auf keinen Fall die Stelle der Mutter einnehmen will. Wenn er Lust hat, malt er ein Bild für die Omas, die ja auch Mütter sind, nämlich von Mama und Papa. Sie fertigen noch Einladungskarten an, backen einen Kuchen und gehen am Nachmittag zusammen mit dem Vater ans Grab der Mutter und bringen ihr Blumen. Damit hat sie das Problem gelöst. Das Kindermädchen wird von den Kinder geliebt und vielleicht auch vom Vater. Was haltet ihr davon? Muss es nur noch ausarbeiten.
Ihr wisst ja, zweieinhalb Normseiten.Dann werde ich mich mal an die Arbeit machen. Was höre ich da? Gerd! Also dann morgen. Und tschüß!
11. Kapitel
Ich schaue mich um. ... Wasser. ... Überall Wasser und nur ein schmaler Streifen Land um trockenen Fußes vor dem nahenden Hochwasser zu entfliehen. Ich laufe und laufe. Doch das Wasser kommt immer näher. ... Plötzlich war mein Weg versperrt, zu Ende, kein Entkommen. Ich stehe wie angewurzelt. Vor mir taucht, wie aus dem Nichts eine Felsüberhang auf, der, je weiter ich gehe, schmaler und niedriger wird. Ich sitze fest. Auf der einen Seite – eine Felsenwand. Auf der anderen Seite – ein Drahtzaum. Panik macht sich in mir breit. ... Da steht ein Mann auf der anderen Seite und öffnet ein Tor im
Zaun, welches ich nicht gesehen hatte. ...Ich laufe über eine stark befahrene Straße, die in Serpentinen um den Berg herumführt. Der Mann ruft mir etwas hinterher, aber ich kann ihn nicht verstehen. ... Er kommt zu mir herüber und ich frage ihn nach seiner Handynummer. ... Als ich auf den Zettel in meiner Hand schaue, merke ich, dass die Tinte verlaufen war. Das Papier war nass.
Anna schreckt aus ihrem Traum auf. Der Wecker zeigt 4:15 Uhr an.
'Was war das denn? So ein bescheuerter Traum. Erst viertel fünf. Kann ich ja noch eine Stunde schlafen. Aber so einbekloppter Traum.Heiß war der Typ schon. Muss dran
denken, dann den Traumdeuter zu fragen.' Sie dreht sich um, hört das Schnarchen hinter sich und weiß, an Schlaf ist wohl nicht mehr zu denken. Also bemüht sie sich, den Traum in allen Einzelheiten nochmals Revue passieren zu lassen.
Eine Stunde später reißt der Wecker Anna aus einem Halbschlaf und ein neuer Tag nimmt seinen Anfang. Im Laufe des Vormittags nimmt sich Anna dann die Zeit, im Internet nach dem „Traumdeuter“ zu suchen.
'Mal schauen, was mein Unterbewusstsein mir zu sagen versucht.'
Hochwasser: bedrohlich hochsteigend
Gefühle, die jeden Moment überschwappen;
Man träumt vom Hochwasser, wenn man Angst vor der eigenen Gefühlsintensität hat, deren Folgen Schaden anrichten können. 'Ah ja. Ist das so?' Land: Erfüllung von Hoffnungen und das Ende von Schwierigkeiten; Blickt man von oben darauf, soll das vor Überheblichkeit und Spekulationen warnen. 'Aber ich habe ja nicht von oben darauf geschaut. Ich bin darauf gelaufen.'
Fußes: der eigene Standpunkt; Weißt auf das zügige Weiterschreiten auf dem
Lebensweg hin, das nicht gelingt, wenn der Fuß verletzt ist. 'Na verletzt war ich ja nicht. Dann schreiten wir mal weiter.' Stand: je besser der Halt, desto stärker das Selbstbewusstsein; Bei der Deutung dieses Traumbildes kommt es darauf an, wie sicher der Träumende im Traum auf den Beinen steht. 'Keine Ahnung, ich musste ja stehenbleiben. Das ergibt irgendwie keinen Sinn.' Unter: das Unbewusstes, der niederer Aspekt des Selbst; Während man im Wachzustand
gewöhnlich keinen Zugang zum Unbewussten hat, kann man im Traum mit dieser Seite leicht in Kontakt treten. 'Also ich bin für Traumdeutung wohl echt zu blöd. Wird ja immer komplizierter.' Weg: stets der Lebensweg der die Richtung symbolisiert; Symbolisiert mitunter die Gefühle des Träumenden hinsichtlich einer Beziehung oder einer Situation. 'Okay? Also immer in Serpentinen bergauf? Komme ich immer an der gleichen Stelle an, nur eine Etage höher?' Ende: das Erreichen eines Zieles, oder das
Erreichen eines Punktes, an dem die Dinge sich unvermeidlich ändern müssen.
' Ich hab's gewusst. Es ist zu Ende. Schon lange.Und jetzt kommt der Schock.' Tauchen: unangenehme Einsichten, denen man sich durch untertauchen zu entziehen versucht; Kann auch bedeuten, dass man in seine Seele eintaucht, um sich selbst zu erkennen und um sich mit seiner Gefühlswelt auseinanderzusetzen. Unangenehme Einsichten, denen man sich zu entziehen sucht.
'Das kann ich gut. Ha!'
Anna ist sich nicht sicher, ob sie diese Traumdeutung weiterlesen soll. Ihr Gefühlsleben scheint ganz schön in Aufruhr zu sein. Selbst die Erkenntnis, dass irgendetwas an der Traumdeutung der Wahrheit entsprechen könnte, ändert nichts an der Situation. Anna ist nicht in der Lage, ihre Gefühlswelt für ihr inneres Gleichgewicht in den Griff zu bekommen. Um sich noch einen Schlag in die Magengrube versetzen und sich ihre Unzulänglichkeiten vor Augen führen zu lassen, ließt Anna weiter. Fremder: die Bereiche der eigenen Persönlichkeit, die man fremdartig findet, nicht zum Selbstbild passend ansieht, oft strikt ablehnt, unterdrückt und verdrängt.
'Dazu habe ich nix zu sagen.' Mann: versinnbildlicht als Ursymbol meist Bewusstsein, Verstand, Geist, Tatkraft und Willen, oft gepaart mit Härte und Aggressivität. Bei Frauen kann er sexuelle Bedürfnisse anzeigen. 'Na, wie witzig'.
Tor: sich Zugang zu bestimmten Orten oder Räumen schaffen; Die Tür, das Tor, die Pforte sind immer auch Symbole des Überganges, eine Schwelle zwischen zwei Bereichen.
'Was denn für Bereiche?'
Zaun: steht meist für soziale Barrieren oder Schranken; Oft erkennt man darin auch Hindernisse, die man selbst errichtet hat, auch kann er Schutz und Geborgenheit bietet. 'Puh!' Lief: weist auf Geschwindigkeit und Fluss hin; Vorwärtslaufen steht für Zuversicht und Leistungsfähigkeit. Laufen wollen und nicht können, prophezeit die Erfolglosigkeit einer Arbeit. 'Das beherrsche ich aus dem FF.'
Straßen: verkörpern den Lebensweg des
Träumenden; Schwierige und gewundene Wege geben eine schwierige Lebenssituation wieder. 'Na, wem sagen wir denn das?' Bergauf: Symbol für Anstrengung und mühsames Gelingen Felsen: weisen auf Stabilität in der realen Welt hin; Häufig steht der Fels für Idealismus, innere Festigkeit, Ausdauer, Standhaftigkeit und unerschütterliches Selbstvertrauen. 'Da muss wohl was falsch sein. Alles Eigenschaften, die mir abgehen.' Rief: kann Erkenntnisse aus dem
Unbewussten anzeigen, die oft auf reale Risiken im Alltag hinweisen. Manchmal wird man auch auf einen anderen Menschen aufmerksam gemacht. Fragte: selbst stellen, weist auf ein gewisses Maß an Selbstzweifeln hin. 'Ha! Ich hab's doch gewusst.' Nummer: der Versuch Informationen, die man besitzt, weiterzugeben, schreiben umfasst Teile der Persönlichkeit, die man allmählich klarer erkennt und besser versteht Papier: Symbol für Unselbständigkeit, Anpassungsfähigkeit, Wunsch und das Bemühen nach Orientierung nass = kündigt oft Ungerechtigkeit und Verlust des guten
Rufs an.
'Oh man, ich gebe es auf, da durchsehen zu wollen. Was man doch aus so einem Traum alles raus lesen oder rein interpretieren kann. Und mit 'nem bisschenMühe, kann das auf alles und jeden zutreffen.' Anna beschließt, der Traumdeutung keinerlei Bedeutung beizumessen und in ihren eingefahrenen Bahnen weiter zu machen. Für ihr Tagebuch fehlt ihr heute jegliche Muse. Dann also „Kreatives Schreiben“.
Die Lexika über Jugendjargon hat sie noch nicht bekommen. Muss diese Aufgabe noch immer warten.
In den Mails ist auch noch keine neue
Einschätzung ihres Mentors zu finden.
'Der lässt sich aber auch 'ne Menge Zeit mit seinen Beurteilungen. Wahrscheinlich war er von meinem Gedicht hin und weg.'
Dabei lacht sie lauthals los, denn Gedichte schreiben ist nun wirklich nicht ihr Ding. Bei dem Gedanken, dass noch ein ganzes Studienheft nur mit Gedichten auf sie zu kommt, verdreht Anna die Augen.
Doch das kommt später. Viel später.
Nun arbeitet sich Anna langsam an das Material „Pflanzen und Ernten“ heran. Dabei stellt sie sich vor, wie sie im Garten am Werkeln ist, in der Erde buddelt und nach Wörtern und Sätzen sucht.
Was findet sie?
Die nächste Aufgabe. „Scheiben Sie eine Episode aus der Sicht eines Menschen, der vor zweihundert Jahren gestorben ist und in der heutigen Zeit wieder erweckt wurde. Was sieht er? Was fühlt er?“ Schnell blättert Anna im Heft zurück um irgend einen Anhaltspunkt zu finden, auf welche Kapitel des Erlernten sich diese Aufgabe beziehen könnte. Sie schüttelt genervt den Kopf. 'Keine Ahnung, wie dieses Studium aufgebaut ist. Da stimmt doch alles hinten und vorne nicht. Da passt das Eine nicht zum anderen. Was hat diese Aufgabe mit Handwerkszeug, Synonymlexikon, Handschrift oder Maschinenschrift, vom Wort
zu Satz und anderen Artikeln, die
natürlich kein Mensch versteht, zu tun? Aber was rege ich mich hier auf. Diewollen das so, dann bekommen die das so. Hm. Vor 200 Jahren. Was war denn da so? Herrscher? Krieg? Was gab's und was gab's nicht?' Aufgaben, die zeitgetreu und geschichtlich exakt und nachvollziehbar sein müssen, liegen Anna ganz und gar nicht. Das bedeutet, Recherche, Recherche, Recherche. Blättern in Geschichtsbüchern, suchen in Nachschlagewerken und stöbern im Internet. Notizen und dann eine Geschichte ausdenken.
“200 Jahre später - mein neues Leben”
Tot. Ich bin tot. Franzosen. Ich bin bei der Zerstörung der Schleif- und Poliermühle gestorben. Ist dies das Leben nach dem Tod? Bin ich im Himmel? Ich habe sie gesehen, die Engel. Ganz in Weiß sind sie an mir vorübergeschwebt. Doch jetzt bin ich wach und liege in einem Bett. Ich kann es kaum glauben. Ein Bett ganz für mich allein und es ist so weich. Ich stehe nicht auf, ich muss einfach liegen bleiben. Dabei denke ich an meinen alten durchgelegenen Strohsack, den ich mit drei meiner Geschwister teilen mußte und das winzig kleine Zimmer, in dem wir neun Kinder zusammen mit Mutter und Vater wohnten. Aber das war vor meinem...,
tja, was auch immer. Der Oberarzt, wie ihn die Engel nannten, erzählte mir, es wäre ein Feno..., na eben ein seltsames Ereigniss geschehen, eigentlich eine Unmöglichkeit. Es habe einen Zeitsprung gegeben und ich würde nicht mehr in meiner Zeit leben, sondern 200 Jahre später. Egal, hauptsache ich bin nicht tot. Die Engel sind auch gar keine Engel, sondern heißen Sandra und Kathi und sind Krankenschwestern. Ich bin übrigens Wilhelm, benannt nach unserem König Friedrich Wilhelm III. und jetzt bin ich also hier. Vieles ist hier ganz anders als bei mir zu Hause. Ich habe ein Zimmer für mich ganz alleine, ein eigenes Bett und ein B a d . Das ist eine komische Sache, ein Zimmer mit Abort, einer Waschschüssel, die an der Wand
hängt und einem großen weißen Zuper, den sie Wanne nennen. Der Abort heißt WC und durch Knopfdruck wird das Große und Kleine weggespült. Die Waschschüssel heißt Waschbecken und auch da kommt einfach kaltes und sogar warmes Wasser aus der Wand, genau wie bei der Wanne. Das Wasser läuft dann einfach in den Fußboden. Man kann nicht sehen wohin. Ich habe aus dem Fenster geschaut, ob es vielleicht draußen in die Gosse läuft, aber da war keine Gosse. Breite schwarze Streifen mit weißen Strichen habe ich gesehen. Auf denen sind komische Kutschen gefahren, ohne Pferde, wie von Geisterhand gezogen, nur viel, viel schneller. Die sausten hin und her. Von Kathi weiß ich, dass die schwarzen
Streifen Straßen sind, auf denen Autos fahren. Wie das mit den Autos funktioniert, muss ich mir noch erklären lassen. Da, wo sich zwei Straßen kreuzen, steht ein länglicher Kasten auf einer Stange, der hat drei Laternen in verschiedenen Farben, rot, gelb und grün. Wenn die rote Laterne leuchtet, bleiben alle Autos stehen und viele Menschen überqueren die Straße. Das ist schon ein komisches Gewimmel da draußen. Die Menschen sehen auch ganz anders aus. Es gibt keine Arbeiter in abgerissener Kluft, aber auch keine feinen Damen und Herren in vornehmen eleganten Roben und Hüten. Irgendwie sehen alle gleich aus. Man kann nicht erkennen, ob es arme oder reiche Menschen sind. Sie beachten untereinander
auch nicht. Sie sind nur von Eile getrieben. Und dann sind da noch die hohen Häuser, die bis in den Himmel reichen. Sandra und Kathi sagen, dass da Menschen drin wohnen. Das kann ich nicht glauben, denn bis ganz nach oben muss man viel zu viele Treppen steigen. Da oben kann keiner wohnen. Mit einem Fahrstuhl käme man da rauf. Was soll das denn sein? Ein Stuhl, der fährt, so wie eine Kutsche? Das muss ich mir morgen anschauen, wenn ich mit meinen beiden Engeln spazieren gehe. Dann zeigen sie mir auch viele Geschäfte. Das sollen Märkte in großen Räumen sein und man könne da alles kaufen, Essen und Trinken, Kleidung, Bücher. Ich kann nicht lesen. Ich mußte immer in der Gewehrfabrik arbeiten. ...
Und Spielsachen, elektronische Geräte was auch immer das ist, und viele andere Dinge. Morgen. Für heute habe ich genug gesehen und gelernt. Es ist alles so fremd, aber auch aufregend. Es gibt so vieles zu erkunden und zu lernen. Aber nicht mehr heute. Morgen!
(c) ABS
'Okay. Ich finde, das ist okay. Wilhelm hat genug gestaunt und mehr darf ich eh nicht schreiben ... also ab die Post und weg. Und nun? Schiet, schon wieder zwölf. Na gut, dann eben erst schnell die Hütte putzen und dann noch den Block. Obwohl, lesen könnte man auch mal wieder.' Anna ließ ihren Blick durch die Wohnung
schweifen. Auf zwei der sechs Stühle, die den großen schwarzen sechseckigen Tisch standen, lag genug Wäsche zum Zusammenlegen und Bügeln, dass sie die nächsten Stunden zu tun haben würde. Aber will sie das auch? In der Bibliothek steht noch der Drucker, der gestern geliefert wurde, eingepackt und darauf wartend, endlich angeschlossen zu werden. 'Das ist eine Tätigkeit für Gerd. Heute wollte er eher nach Hause kommen. Überstunden abbummeln. Vielleicht. Er ist ja so wichtig auf Arbeit. Die Glühbirne für die Wohnzimmerlampe liegt auch noch auf dem Fensterbrett und hofft demnächst ihre Fassung zu finden. Wenn sie gekonnt und
Flügel gehabt hätte, wäre sie bestimmt
allein zur Lampe geflogen. Wäre und Hätte. Wenn, das Wörtchen wenn nicht wär, wär mein Vater Millionär. So ist das halt.' Schnell flitzt sie durch alle Zimmer, da ein Handgriff, dort Staub gewischt, einige rumliegende Klamotten in die Wäschetruhe, Kissen zurechtgerückt, fertig. Wenn keiner zu Hause ist, fällt auch nicht zu viel Arbeit an. Damit bleibt mehr Zeit, sich den schönen Dingen des Lebens zu widmen. Lesen zum Beispiel. „Die Liebe deines Lebens“ - fertig gelesen und nun? Es stehen noch einige ungelesene Bücher in der Bibliothek. Doch für manch ein Buch braucht Anna die nötige Lust? Inspiration? Dan Brown's Romane
Infero, Illuminati, Sakrileg, Das verlorene Symbol, sie alle stehen da und warten, endlich gelesen zu werden. Irgendwie fehlt jedoch die Muse für derartige Literatur. Sicher, sie mussten sofort alle gleich gekauft werden, aber lesen? Später einmal.
Lieber widmet sich Anna der Internetplattform „vorablesen“.
Aus noch nicht erschienenen Büchern Leseproben lesen und seinen ersten Eindruck veröffentlichen, immer in der Hoffnung eins der zu verlosenden Bücher zu ergattern. So auch heute wieder.
'Endlich mal wieder eine Woche nach meinem Geschmack. Wo fange ich an? Mit dem Buch über einen Mann in der
Midlifecrisis? Oder lieber Trennung – Erbe –
Rätsel? Das dritte Buch: Lügen,
Sehnsüchte,Verbrechen? Welches nun zuerst? Telefon.
„Hallo meine Süße! Schon zu Hause?“ Zsuzsa und ihre Flatrate. Da kann so ein Gespräch schon mal eine viertel Stunde dauern. Das mag nicht viel sein, aber Anna und Zsuzsa sind in Punkto telefonieren auch keine typischen Frauen. Wie in so vielen andern Dingen auch nicht.
„Oh man, war das mal wieder ein Tag. Ich bin so kaputt. Ich habe Rücken“ jammerte Zsuzsa in den Hörer.
Mit Sicherheit lümmelte sie dabei auf ihrer
großen bequemen Couch und war nur darauf erpicht, ein paar oh's und ah's von ihrer Mama zu erhaschen, ein paar Streicheleinheiten durch die Leitung.
„Na dann erzähl mal. Was gab's denn heute wieder auf Arbeit.“
Anna muss nicht viel sagen, lieber hört sie zu und wirft ab und an ein „mein armes Mäuschen“ oder „du armes Spätzchen“ ein. „Armes“ muss unbedingt dabei sein, um auszudrücken, was für ein schweres Los ihre Tochter doch in ihrem Job hat.
Und noch während die beiden miteinander plauschen und ihre Scherzchen machen, wird der Wohnungsschlüssel unsanft ins Schloss gerammelt, die Tür wird aufgestoßen und, man sollte es nicht glauben, ein relativ
entspanntes „Hallo“ ist zu hören.
„Ah, der Papa ist wohl nach Hause gekommen? Was brabbelt der denn schon wieder?“ erkundigt sich Zsuzsa, was Anna sofort verneinte.
„Dann wollen wir mal Schluss machen, damit du dich um deinen Mann kümmern kannst“ kicherte Zsuzsa und warf Anna ein „Schneckengruß und Küsschen“ zu.
Damit ist das Gespräch beendet und Anna kann ihre volle Aufmerksamkeit dem „Herrn des Hauses“ zu wenden.
Meist beschränkt sich das auf Kaffee kochen, gelegentlich ein paar unwichtige Gesprächsfetzen, Abendessen kochen und fern sehen. Mehr nicht. Gerd hüpft nach dem Duschen wieder im Schlafanzug durch die
Wohnung und Anna vermeidet es tunlichst, von Gerd Notiz zu nehmen.
Statt sich mit Gerd dem „Unterschichtenfernsehen“ zu zuwenden, schreibt Anna lieber am PC und denkt frustriert an den Traum der vergangenen Nacht. Ein Ping am Laptop und das Mail-Fenster blinkt. 'Ah, also doch noch eine Mail vom Stift. Was hat er denn bewertet. Gleich malschauen.' Sehr geehrte Frau Schulz, herzlichen Dank für Ihre ehrlichen Zeilen über das Tagebuchschreiben. Sie waren in einer besonderen und aufgewühlten Situation
und haben versucht Ihre Gefühle und Gedanken auf Papier zu bringen. Das beschreiben Sie sehr anschaulich und sehr gut. Mit der Menge dessen, was man aufschreibt, versteht man auch, wann sich Dinge wiederholen und dass die ständige Wiederholung des Ewiggleichen für andere interessant ist. Interessant finde ich auch Ihren Hinweis, dass Sie ihr eigenes Tagebuch redigieren. Das habe ich eigentlich noch nie gehört. Ist aber eine sehr gute Idee, denn auf diese Weise setzen Sie sich mit dem, was Sie geschrieben haben, auseinander. Das ist eine sehr intensive und sehr lohnenswerte Tätigkeit. Das Hauptproblem des modernen Menschen ist, dass er allein ist in der Welt. Sie sind auf sich selbst gestellt. Sie können
alles werden, sind aber auch für alles selbst verantwortlich. Vor allem für ihr Glück. Der französische Essayist Alain spricht in diesem Zusammenhang von der „Pflicht, glücklich zu sein.“ Seine Einsamkeit kann der Mensch in der Liebe aufheben. Deshalb sehnen wir uns alle danach. Aber auch mit einem Partner an unserer Seite können wir immer wieder die Einsamkeit spüren. In den meisten kritischen Situationen ist er allein und auf sich gestellt. Der Mensch wird selbst dafür sorgen, dass es ihm besser geht. Und er wird niemand anderen mehr dafür verantwortlich machen, wenn es ihm schlecht geht. Wenn Sie Tagebuch schreiben, so hat das noch einen sehr wichtigen Nebeneffekt. Sie werden im Schreiben noch geläufiger. Schreiben ist wie
ein Sport: Wenn Sie zu wenig üben, verschlechtert sich auch Ihre Leistung.
Mit freundlichen Grüßen Ihr Kurt Stift
'Soll das ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen sein. Heute ist aber auch ein komischer Tag. So viele Hinweise, wie ich mein Leben verändern soll.'
Anna kann ein hysterischen Lachen kaum unterdrücken. Traumdeuter, dann ihr Mentor Kurt Stift. Alle sind der Meinung, in Annas leben müsse sich wohl etwas ändern.
Sie hat dieses Gefühl, dass sie jeder dazu drängt, aber keiner sagt wie.
Immer noch den Brief im Kopf und was Herr Stift geschrieben hat, ringt sich Anna durch, ihre Fans im Blog damit zu bombardieren.
11.Eintrag Hallo Leute, heute ist ein arg komischer Tag. Hab' meinen letzten Traum deuten lassen. Irgend so seltsame Sachen, wie mein Unterbewusstsein weiß schon, dass ich mich von meinem Mann trennen muss und neue Wege einschlagen soll. Wer auch immer an s einen Mist glaubt. Ich eigentlich nicht, aber es verunsichert einen doch ganz schön. Dann kam da noch die Einschätzung vom ollen Stift zu meinem Tagebuchthema. Äh was hat der geschrieben? Moment: ... „Pflicht,
glücklich zu sein.“ und „... auf diese Weise setzen Sie sich mit dem, was Sie geschrieben haben, auseinander.“ Setze ich mich damit auseinander oder überarbeite ich das ganze nur? Okay, ich sehe schon Parallelen zu meinem heutigen Leben und warum soll ich heute gut finden, wenn's damals Scheiße war? Wartet und dann schreibt der Stift noch „... Aber auch mit einem Partner an unserer Seite können wir immer wieder die Einsamkeit spüren. In den meisten kritischen Situationen ist er allein und auf sich gestellt. Der Mensch wird selbst dafür sorgen, dass es ihm besser geht.“ Also wo er recht hat, hat er recht. Muss ich nun nur noch dafür sorgen, dass es mir besser geht. Langsam komme ich wirklich zu dem Schluss, dass sich etwas ändern
muss. Kleiner Reim am Ende, ha ha und damit bis zum nächsten Mal.
12. Kapitel
„Kein Mensch braucht noch ein Buch über Probleme der Frauen ab 40, Diäten, Frust, Beziehungskisten. Damit hat sich die Autorin keinen Gefallen getan. Dieses Buch ist Mist, Schrott. Nicht empfehlenswert. Sparen Sie ihr Geld....“
'So einen Kommentar kann scheinbar auch nur ein männlicher Buchkritiker von sich geben. Geht es gegen die Ehre der Männer, wenn auch Frauen in der Mitte ihres Lebens nach Möglichkeiten suchen, aus dem ewigen Familien – und Ehetrott auszubrechen? Bleibt dieser Weg nur den Herren der
Schöpfung vorbehalten, wenn sie in
die Midlifecrisis schlittern? Hm! Demnach sollte ich also gar nicht erst auf die Idee kommen, ein Buch über mein für die Gesellschaft uninteressantes Dasein zu verzapfen? Ein weiteres Buch, welches die Welt nicht braucht? Davon ganz abgesehen, dass ich eh nicht wüsste, wann und ob und überhaupt ich jemals anfangen, geschweige denn, es fertig bringen würde.' Auch wenn Anna scheinbar zu dem Schluss gekommen ist, kein Buch zu schreiben, erachtet sie es als gar nicht so verkehrt, trotz alledem ihre Aufzeichnungen durch zu arbeiten. Und sei es nur, um sich vor Augen zu halten, wie sie in diesem besagten Jahr in
den Tag hinein gelebt hat und ob sich irgendetwas geändert hat, beziehungsweise in Angriff genommen werden sollte. Aber nicht sofort. Lieber schwelgt sie im Tal der grünen Langeweile, in Gedanken noch bei den Büchern, die sie in den letzten Tagen verschlungen hat. Sehnsüchtig denkt sie an die Karpatianer und kann es kaum erwarten, dass eine weitere Geschichte im Handel erscheint. Mit dem letzten Buch eines spanischen Schriftstellers war Anna nicht ganz so glücklich. Sicher, sie hat es in wenigen Tagen gelesen, aber die Schreibweise, viele Fremdwörter, lange Sätze, vage Andeutungen... liegen ihr so gar nicht.
Zu intellektuell. Vielleicht. Der Text auf dem
Bucheinband verhieß eine magische Geschichte über Liebe, Intrigen und mehr. Anna hat all dies vermisst, ob schon sie das Buch nicht schlecht fand. Es hat sie nur nicht vom Hocker oder in ihrem Fall aus der Sofaecke gerissen.
Mehr oder weniger eifrig bei der Sache ist Anna mit Spielen im Internet beschäftigt. Lustlos. Keine Leichtigkeit, von der grünen Langeweile befallen zu sein.
Ein Schwebezustand zwischen „Müssen“ und „nicht Können“ oder „nicht Wollen“, wenn sich die Notwendigkeit mit dem Schweinehund einen Kampf liefert. Meist gewinnt der Schweinehund und dann wird Anna wieder von schweren Selbstvorwürfen und -zweifeln gebeutelt. Sie lässt mal wieder
ihre Aufzeichnungen, ihre Aufgaben des "Kreativen Schreibens" sowie notwendige Arbeiten im Haushalt links liegen und widmet sich lieber dem nächsten Buch. Es liegt schon parat. Ein Buch über Tod, Geister und Liebe. Und während sie noch überlegt und nach dem Buch greifen will, fallen ihr Worte ein, die sie glaubt, irgendwo gelesen zu haben: „Es gibt Dinge im Leben eines Menschen, da lohnt es sich zu kämpfen und für andere eben nicht. Wer kannte noch nie das Gefühl irgendwie stehen zu bleiben, im Leben nicht mehr voran zukommen. Manchmal hat man keine Kraft mehr, fühlt sich ausgelaugt und gibt sich dem Stillstand hin. Wer sowas mal erlebt hat, weiß vielleicht wie schwer es ist, aus dieser Antriebslosigkeit
wieder rauszukommen. Warum fallen wir, um zu lernen wieder aufzustehen......“
Anna legt das Buch wieder zur Seite. Heute wird nicht gelesen, sich nicht in die Welt der Fantasie geflüchtet. Es ist nicht mehr viel übrig vom Tagebuch und so macht sich Anna daran, den Rest durchzuarbeiten.
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Mein Tagebuch Die Stimme erinnert mich an mein vergangenes Leben. So lange ich denken kann, hatten wir zu Hause nie Geld, obwohl die Eltern doch eigentlich gut verdient hatten. Alles drehte sich ständig nur um den schnöden Mammon. Wie sagten meine Eltern
immer: "Erst Schule, guten Beruf und dann standesgemäße Heirat. Bei dir muss man einfach aufpassen, denn du hast einen Hang zum Niederen, zum Schwererziehbaren, zu Problemkindern, na eben zu solchen die nicht zu uns passen, in unser Beuteschema. Damit kannst du nichts erreichen, denn Geld ist das Wichtigste." Scheint wohl so, möglich dass sich meine Eltern mal geliebt haben, aber als Kind habe ich davon nichts mehr gemerkt. Vielleicht hat die beiden ja auch der Alltag eingeholt, der Kampf in und um die Familie, Kinder, Arbeit, sich was gönnen können. Auf der Jagd nach einem besseren Leben ist die Liebe wohl auf der Strecke geblieben. Selbst ich, als Älteste hatte stets das Gefühl, nur für die Familie zu
funktionieren, für die Geschwister, den Haushalt, den Garten, die Großeltern. Mach dies, mach das, das ist falsch, das muss so sein, kannst du das nicht begreifen, das gibt es nicht... Ich hatte das Gefühl, ich müsste alles auf die Reihe bringen, aber was ist mit meinen Eltern. Wie oft flog bei uns zu Hause das Geschirr an die Wand?! Bis mein Vater dann plötzlich ausgezogen ist. Er hatte eine andere Frau gefunden. Nicht einfach nur eine Frau, nein, eine Freundin der Familie. Und dann die ewigen Vorwürfe meine Mutter: "Ich musste immer alles alleine stemmen, habe euch drei unerwünschten Kinder fast allein großziehen müssen, weil euer Vater lange Zeit aufgrund eines schweren Unfalls im Krankenhaus gelegen hat, ihm ein
Hochschulstudium nicht gereicht hat und somit noch ein zweites sein musste und wenn er die Zeit fand, ging er fremd." Doch hat er das alles geplant, allein entschieden? Wo war bei allem die Liebe in der Familie? Es gab sie nicht. Ich habe sie nicht kennengelernt, nur Misstrauen und fordern und müssen, müssen, müssen.
**** Die Stimme erinnerte mich auch daran, dass sie eigentlich immer da war. Damals, als ich mir vorgestellt hatte, wie es wohl wäre, wenn Frank, Lothar, Edmund, Klaus mich wahr genommen hätten, mich gemocht, meine Freunde gewesen wären. Keiner wollte mit mir
gehen. Ich war zu verklemmt, zu dick, kein Selbstwertgefühl. Wahrscheinlich war ich zu schüchtern, aber auch zu ... Ich weiß nicht. Ich hatte einfach keinen gefestigten Charakter, jetzt lieb und im nächsten Moment aufbrausend, himmelhochjauchzend dann zu tote betrübt, total überzeugend aber dann zweifelnd bis zur Selbstaufgabe, um jeden Preis auffallen (Alkohol, Zigarette,...) bis hin zum grauen Mäuschen. Tja, wer möchte schon mit so jemanden zusammen sein? Und wenn ich die Sache richtig betrachte, verlief so meine gesamte Jugend. Gefangen habe ich mich erst, als ich meinen Mann kennenlernte. Ich war schon nicht mehr ganz jung und wollte unbedingt ein Kind.
****
Die Stimme erinnerte mich aber auch an meine Träume, die ich nie verwirklicht habe, weil mir einfach der Mut dazu fehlte oder auch eine mir helfende Hand. Auf wen hätte ich auch zählen können? Mir fällt da keiner ein. Träume, wie mein Waschsalon, ein Treff, wo jeder seine Wäsche waschen konnte, nebenbei Kaffee und Kuchen geniesen, die Kinder betreut wurden. Außerhalb der Öffnungszeiten konnte dann gewaschen werden für Restaurants, Schulen, Kitas oder Menschen, die es allein nicht schafften. Ich fand das einfach eine tolle Idee. Oder jetz nach meiner Kündigung; ein kleiner Buchladen mit Herz. Die Einrichtung wollte ich
ganz nach meinen Vorstellungen allein bauen, ausgewählte Kinderbücher verkaufen, alte Bücher ankaufen, Bücher verleihen, Vorlesestunden abhalten und Schulbücher ankaufen und wieder verkaufen oder verleihen. Ich hatte sogar schon meinen Töchtern davon erzählt und gehofft, dass Zsuzsa Feuer und Flamme wäre und vielleicht mich vorantreiben würde. Aber außer einem "naja fein und schön und wenn du meinst" ist da nicht viel an Unterstützung gekommen. Ich weiß, ein bißchen mehr Eigeninitiative wäre schon angebracht gewesen, aber dem stand ständig die Unsicherheit in der Zukunft entgegen. Ich muss einfach das Gefühl haben, auf der sicheren Seite zu sein. Anscheinend ein
Mitbringsel meiner Erziehung. Und da ist es wieder: Das Geld. -----------------------------------------------
'So, so. Also immer diese Stimme. Kann aber auch nichts Gegenteiliges sagen. Sie hatte ja recht, diese Stimme. Und wie es so ist, ich hatte wirklich tolle Ideen, nur mit der Umsetzung haperte es halt. Da ich nicht ins kalte Wasser springen will, wirddas wohl auch so bleiben.'
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Mein Tagebuch
Heute geht's mir mal so richtig gut oder nicht? War schon laufen und die Waage
meinte es auch besonders gut mit mir. Wiege heute 123,5 Kilo. Was sagt uns das? So leicht war ich schon lange nicht mehr. Beim Duschen habe ich auf jeden Fall für mich beschlossen, dass ich nach meiner Gesamtabnahme auf jeden Fall meinen Busen machen lasse. Egal ob sich das mit ca 55 jahren noch lohnt oder nicht. Auf jeden Fall will ich mal 'nen Stehbusen haben. **** Habe mir Gedanken gemacht, ob ich vielleicht ein Fernstudium "Kreatives Schreiben" beginnen soll und wenn ja, an welcher Akademie. Lohnt sich das, ist das nötig und ganz billig ist das auch nicht.
Bekomme ich evtl. auch ein Buch ohne das nötige Grundwissen hin? Will ich überhaupt ein Buch schreiben? Auf jeden Fall muss ich mir Aufgaben suchen, um nicht zu Hause zu versauern. Ich muss zu mir finden. **** Wie's der Zufall so will, hat gerade jemand vom Sportclub angerufen, um zu sagen, dass Linedance am Freitag ausfällt. Bei der gelegenheit habe ich unserer Teilnahme gleich gekenzelt. Ich werde mit Zsuzsa ins Fitness-Studio gehen und mal sehen, wie es da so ist. Müssen nur noch mit Ian einen Termin machen, zum Schnupperkurs. Da kann man ja auch Kurse besuchen und sich
auch allein "vergnügen".
****
Ob ich es wohl heute auf die Reihe bekomme, die Nähmaschine aufzustellen und die Flickwäsche wegzunähen? Immerhin steht die Maschine schon seit Montag parat. Immer wieder habe ich es verschoben, mal gings mir nicht gut, mal musste ich Wäsche machen und so weiter. Eigentlich würde ich mich heute lieber hinsetzen und lesen. **** Die Wäsche ist noch nicht genäht, die Maschine steht an der gleichen Stelle, wo ich
sie vergangene Woche abgestellt habe. Ich kann mich einfach nicht durchringen. Dafür habe ich schon wieder ein Buch mit 890 Seiten voller Fantasie in mich hineingezogen. Wenn die so spannend sind, kann ich einfach nicht an mich halten. Ich muss einfach lesen, lesen, lesen. Schon habe ich den zweiten Teil der Triologie zur Hand genommen. Es ist aber auch zu verführerisch, in andere Welten einzutauchen und mit den Helden der Geschichten zu kämpfen, zu lieben, zu fühlen. Ich gehöre dann einfach dazu.
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'Ich glaube, die Nähmaschine hatte ich dann wohl wieder so weggestellt, denn noch immer
steht der Sack mit Nähwäsche in der Kammer. Wie lange ist das jetzt her?
Ich rechne lieber nicht nach. Tja und das mit dem Lesen, war wohl damals auch schon so. Immer diese Parallelen.' Bei diesen Gedanken muss Anna mal wieder in sich hinein grinsen. Es ist schon seltsam, wie sich alles wiederholt. Vor allem, was Anna damals schon geplant hatte und heute verwirklicht hat. Das „Kreative Schreiben“ war also schon lange geplant. Anna liest weiter, was noch so alles passiert ist. -----------------------------------------------
Mein Tagebuch
Zu mindestens habe ich Wäsche gewaschen, gebügelt und auch sonst ist der Haushalt einigermaßen o.k. Man will sich ja nicht nachsagen lassen, man vernachlässige die Familie. Wobei, sie tut ja auch nicht viel für mich. Ich bin halt zu Hause und für alle die Putzfee. Gut nur, dass genug Zeit für mich bleibt. Ich nehme sie mir einfach. Das mit dem Schreiben ist auch noch nicht vom Tisch. Ich frage mich nur, bekomme ich das mit dem Buch so auf die Reihe oder ist es ratsam, durch ein Fernstudium, das Handwerk zu erlernen und sich die Fähigkeit des Schreibens anzueignen? Auf jeden Fall habe ich von den beiden Akademien schon mal Studienführer zugeschickt bekommen und bin nun gleich als Streber in der Familie
verschriehen. Aber..., ich habe auch an Ian gedacht, für den auch ein Fernkurs hilfreich für seine berufliche Karriere wäre. Bin gespannt, ob er diese Chance nutzt und endlich mal aus den Botten kommt. **** Heute habe ich schon mal die ersten Zeilen für mein Buch niedergeschrieben. Mal sehn, ob das was wird. Ich kämpfe noch immer mit mir, ob ich mich für das Fernstudium "Kreatives Schreiben" anmelden soll oder nicht, immerhin sind es über tausend Euro Studiengebühren. Aber andererseits, es wäre ja eine Chance, mal etwas anderes zu machen. Und tut's mir weh? Warum sollte ich
mir nicht auch was gönnen.
****
Letzte Woche war Fanny da. Am Anfang ging ja auch noch alles gut, mit Zsuzsa und Fanny. Aber am Ende der Woche, Zsuzsa hatte ihre Tage, war wieder Tod und Teufel los. Es flogen richtig die Fetzen. Wie kann man nur so neidisch oder eifersüchtig sein. Zsuzsa nimmt mich ja nun jeden Tag in Beschlag. Was hat Fanny schon groß von mir gehabt. Die ersten drei Tage war sie krank und hat fast nur geschlafen und die restlichen Tage hat sie für die Schule gearbeitet. Tja ich weiß auch nicht.
****
Montag das Schlafzimmer, Dienstag das Wohnzimmer .... Fenster geputzt, Gardinen gewaschen, gewischt, Wäsche erledigt, Glasvitrine geputzt... und keiner sieht was bzw. sagt irgend einen Ton. Immerhin hätte ich auch gern eine Anerkennung. Aber nein, sind ja nur Hausfrauenarbeiten. Doch dafür tut mir heute alles weh, angefangen vom Rücken (sprich Hüften / Ischias) bis hin zum Kopf. Muss heute noch mit Ian zur BSR die alte Matratze von Zsuzsa wegbringen. Hat zwar jetzt die letzten Male Fanny drauf geschlafen, wenn sie da war, doch Zsuzsa hat beschlossen (in einer Wutanwandlung), dass das Ding entsorgt werden muss.
Entweder wir kaufen dann eine Luftmatraze (Gästbett) oder Fanny muss immer im Wohnzimmer auf der Couch schlafen. Pech für Gerd, der kann dann eben nicht mehr so lange Fernsehen.
**** Seit Fanny da war, habe ich mein Abnehmprogramm vernachlässigt. Dafür habe ich auch gleich mal über einen Kilo in einer Woche zugenommen. Ist doch schei... Wie soll ich denn dann mein Programm schaffen. Für 4 Monate sind 10 Kilo so wie so schon viel zu wenig. So kann das nichts werden und das frustet ganz schön. Frust heißt dann wieder essen und essen bedeutet
wiederzunehmen. Erst gestern habe ich mich wieder mit Schokolade vollgestopft. Bei WW habe ich auch schon lange nichts gepostet. Bin halt nicht in Stimmung und die Aufmunterungen der anderen bringen mich auch nicht wirklich voran. **** Ich glaube, ich habe mich wieder eingekriegt. Das Gewicht geht wieder runter, abends halte ich mich mühsam im Zaum und morgen gehts ins Fitnessstudio mit Zsuzsa. Erst mal nur so zum schauen, nehmen auch nur die Turnschuhe mit. Wollen uns dann einen Termin für Donnerstag geben lassen, wo es dann so richtig los geht. Ich bin dann mal
gespannt.
****
Schmatz. Gerd hat sich heute morgen mal wieder selber übertroffen. Kleine Häppchen schneiden, Butter an den Fingern, schmatzen und nicht nur, wenn er was im Mund hat, nein auch einfach mal so zwischen durch. Und dann schlürf und ah und schmatz. Das Essen richtig im Mund hin und her schmeißen, beim Trinken laut glucksen und nicht zu vergessen, zum Abschluss einen richtigen Rülpser. Es spielt auch keine Rolle, ob ich fertig bin. Aufstehen und Rauchen gehen. Gott hat mich das heute wieder angeekelt. Ich glaube, der macht das
mutwillig, ummich zu frusten. Na prima.
****
Heute soll's Sternschnuppen regnen. So an die 300 Stück sollen runter kommen. Da wird doch wohl eine für mich dabei sein. Also werde ich mich die ganze Nacht auf den Balkon stellen und zum Himmel starren. **** Ich hab zum Himmel gestarrt. Nicht ständig, nur sporadisch. Aber Schnuppen kamen da keine. Ert gegen 3:30 Uhr, als ich wegen der Schwüle, die in der Luft lag, nicht so richtig schlafen konnte und nochmals nach meinen
Schnuppen Ausschau gehalten hatte, da endlich ... Das muss eine gewesen sein. Ich wünsche mir: „Mein Mann muss weg. Egal wie. Ich will ihn nicht mehr. Ich möchte den Mann meiner Träume.“ Eigentlich könnte ich mir noch eine Aufgabe wünschen, die mir Spass macht und in der ich Erfolg haben werde und dann noch ganz viel Gesundheit und ... Oh, noch eine Schnuppe und da gleich noch eine. Vor lauter Auffregung hab ich mir den allerersten Wunsch noch zweimal gewünscht. So ein Mist aber auch. Ich war so aufgeregt, dass ich gleich meine ganzen Wünsche vergessen hatte, als es darauf ankam. Vielleicht hat es ja auch was zu bedeuten: „Drei Sternschnuppen – ein Wunsch“?
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'Was bin ich doch blöd. War ich blöd oder was auch immer. Damals war ich zu blöd, mir meine Wünsche zu merken und heute bin ich so blöd und habe nix draus gelernt. Drei Schnuppen – ein Wunsch. Ist er in Erfüllung gegangen? Nada, niente, nee. Man Schulzen wach auf. So geht das nicht. Sternschnuppenwünsche sind Käse. Genauso wie die Idee mit dem Buch. Die ist auch Käse. Der Buchkritiker hat schon recht. Es gibt Bücher, die niemals geschrieben werden sollten.' Das bedeutet jedoch nicht, dass Anna das kreative Schreiben aufgibt, denn für ihre
Tätigkeit als Lesepate kann sich dies als sehr nützlich erweisen. Kleine Geschichten zum Lesenlernen kommen bei den Ersti's und Zweiti's immer gut an. Schnell umdenken. Weg von den Aufzeichnungen und hin zum Studium. Das hebt sofort Anna's Stimmung. Hat sie sich doch tatsächlich Bücher über jugendlichen Jargon gekauft. Wie war die Aufgabe aus dem Studienheft? „Schreiben Sie ein Märchen in Jugendsprache per SMS mit maximal 160 Zeichen.“ 'Dann woll'n wir mal. ... Also das ist ja kaum zu glauben. ... So sollen sich Jugendliche unterhalten? Niemals nicht. ... Tackern oder igeln = Geschlechtsverkehr haben;
Speichelhockey = Zungenkuss; Hasenhirn= Dummkopf; Heimscheißer = Streber; und
so weiter. ... Kein Mensch redet so. Das sind bestimmt nur ausgedachte Begriffe, die besonders ausgefallen und lustig sein sollen. Doch was soll's. Die Aufgage verlangt es. Und los geht’s.' Sich das Märchen vom Rotkäppchen vor sich hersagend, schlägt Anna die meisten Worte im Wörterbuch der Jugendsprache nach, um die jeweiligen Ausdrücke dazu zu finden. Noch ist die Geschichte zu lang, denn sie darf nur 160 Zeichen beinhalten. Nach mühseeligen Hin- und Herschreiben, Eintippen ins Handy, wieder löschen ... hat Anna den Text fertig.
"Rotkäppchen" RK krallt sich den Fresskorb mit Fettmachstulle und Traubenpisse für Big Mom. Die hat's nämlich ausgenockt. Unterwegs traf sie den Nullchecker Wolf.
Der war auch auf dem Weg zu BM. Hat 'nen Jackpot geplant. Da braucht er Zeit.
RK soll noch Duftgemüse für BM besorgen. Wolf flitzt zu BM, klatsch und in die Kiste. Erstmal chillaxen. Da kommt schon RK. Boah! Hey Glubschi, was für'ne Muckerzähne und Mundgulli. Wolf war angefickt.
Geb dir gleich 'ne Bombe. RK hat Eierflattern. Kumpel mit'm Schnittlauch traf ein. Den hat sie beim Zocken vom Heuchlerbesen getroffen. Die haben dann
Wolf platt gemacht und BM befreit. Uff, fuck die Henne. (c) ABS
'Hoffentlich versteht der Stift das. Echt unglaublich. Frag mich, wer auf solche Ideen kommt. Was hat das mit Schreiben lernen zu tun. Wirklich, echt unglaublich. Vielleicht sollte ich das Thema mal in meinem Blog ansprechen. Die lachen sich bestimmt kaputt.' 12.Eintrag Habe gerade ein Märchen per SMS im Jugendjargon geschrieben. Die bei „Kreativ Schreiben“ kommen echt auf komische Ideen. Hänge euch den Text, dann im
Anschluss mal ran. Ansonsten läufts so la la mit dem Schreiben. Das Buch, welches ich geplant hatte, wird wohl was für die Tonne sein. Hab ich ja schon angekündigt und nun definitiv. Schluss, aus, vorbei. Weine ich keine Träne nach. Such ich mir was anderes Kreatives. Ich werde mich in Zukunft auf meine Tätigkeit als Lesepate konzentrieren. Auch wenn Gerd das nicht will, weil es ja ehrenamtlich ist. Dabei kann ich aber meine Geschichten schreiben und mit den Kindern meine selbst ausgedachten Rätsel lösen. Mir machts Spaß und gibt mir eine kleine Befriedigung. Im Wohngebietsclub gibt es Aquarellmalen für Anfänger. Könnte ich mir auch vorstellen, wenn ich nicht so feige wäre. Hab einfach keine Traute. Irgendwas werde
ich schon finden, um tagsüber über die Runden zu kommen. Ihr dürft alle mal grinsen. Smilie! Wir werden sehen. Aso Leute ! Bis denne!
13. Kapitel
Anna ist heute rastlos. Zum Lesen eines ihrer vielen noch neuen Büchern findet sie nicht die richtige Muse. Die „Standard“-Spiele im Internet schenken ihr heute auch nicht die nötige Erfüllung. Getrieben von innerer Unruhe hetzt sie durch die Wohnung, erledigt notwendige Hausarbeiten. Setzt sich, nimmt ein Buch zur Hand „... wenn man andere Leute darum beneidet, das ihre Ehe in die Brüche geht, weiß man, dass man selbst Eheprobleme hat.“ 'Das weiß ich auch so.'
Frustriert legt sie das Buch wieder zurück, tigert durch die Küche, das Bad.... Vor dem großen Spiegel im Flur bleibt sie stehen und betrachtet verzweifelt ihr bereits ergrautes Haar. 'Oh man, die Frisur geht mal auch gar nicht. Und die Kapseln gegen Haarausfall reißen höchstens ein beträchtliches Loch in meine Haushaltskasse. Haare lassen die nicht wachsen und nötig wäre es. Ich sehe jetzt schon beinahe wie meine Mutter aus. Die ist 78 und ich 55. Ich sehe schon, mit 60 habe ich dann tatsächlich eine Glatze.' Anna hat seit geraumer Zeit starken Haarausfall und der Hautarzt war alles andere
als kompetent.
„Es könnte an den Wechseljahren liegen. Sie sind doch schon in den Wechseljahren?“ 'Na wie charmant! Ich bin 55 und denke, den Mist langsam hinter mich gebracht zu haben.' „Es könnte auch an Eisenmangel liegen. Haben sie mal eine Blutuntersuchung machen lassen?“ 'Was nun, bin ich angehalten, meinen Hausarzt danach zu fragen. Ich denke die ist Ärztin! Kann die das nicht machen?'
„Und es könnte auch erblich sein. Wie sieht es denn in ihrer Familie aus?“
'Das hat mir gerade noch gefehlt. Doch wie meine Mutter. Ein Rezept für ein nicht verschreibungspflichtiges Präparat und fertig.' Nun wird Anna die Kapseln aus der Apotheke noch weitere 2 Monate nehmen und hofft, dass die restlichen Haare auf ihrem Kopf bleiben. Andernfalls muss sie sich ernsthaft weitere Gedanken machen müssen. Aber nicht jetzt und nicht sofort. Und weiter geht`s durch die Wohnung.
Gerd steckt hin und wieder den Kopf aus der Bibliothek, seinem Arbeitszimmer, wie er es zu bezeichnen pflegt. Mit Sicherheit kann bei seinen Tätigkeiten, denen er in diesem Zimmer nachgeht, nicht von Arbeit die Rede sein. Ein Schreibtisch ist nicht gleich zu
setzen mit „Büro“. Er steckt den Kopf aus besagtem Zimmer und grinst Anna an, wirft ihr ab und an ein Küsschen zu und Anna denkt genervt: 'Boah, lass mich bloß in Frieden. Wie würdest du reagieren, wenn ich dir jetzt sagen würde: „Ich möchte mich von dir trennen“? Ich weiß ja, ich traue mich nicht und zum anderen fehlt irgendwie die finanzielle Absicherung.' Immer wieder die Erkenntnisse, dass das Leben kein „Ponyhof“ ist und sich nicht alles wie in Anna's Büchern entwickelt. Finanziell unabhängig von jedermann und dann von vorn anfangen. Irgendein Lieblingsprojekt
verwirklichen. Das wäre doch mal ein Traum. Wild wirbeln die Gedanken in Anna's Kopf durcheinander. Kaum bekommt sie einen Gedanken zu fassen, schon wird er vom nächsten verdrängt. Lesen. Spielen. Lesen. Vor sich hinstarren. Überlegen. Chaten auf einer ihrer Webseiten im sozialen Netzwerk bringt sie auch nicht zur Ruhe. 'Sex ab 50. Die haben haben auch gar keine anderen Probleme. „Er will, sie nicht. Warum auch immer. Man sollte noch attraktiv ausschauen ....“ bla bla bla und schon bin ich mal wieder außen vor.' Also verlässt sie diese Diskussionsrunde wieder und nimmt ihren Rundgang durch die
Wohnung wieder auf. Anna tritt auf den Balkon hinaus und betrachtet in sich versunken den Sonnenuntergang.
'Eigentlich schön, wie die Sonne hinter den Häusern verschwindet und das Flugzeug weit oben am blauen Himmel so silbern blinkt. Oh man. Schon so spät und noch so hell. Nicht mehr lange und es ist wieder Sternschnuppenzeit. Wie die Zeit vergeht. ... Ich sollte noch ein bisschen was arbeiten. Vielleicht ein paar Tagebuchseiten durcharbeiten.'
Anna zückt ihren USP-Stick und los geht’s mit „Das war alles!?“
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Mein Tagebuch Silvi war zum Frühstück da. Eigentlich habe ich dem Treffen nur zugestimmt, weil sie sonst eh nicht locker gelassen hätte und ich ja doch meine sozialen Kontakte pflegen muss, wenn ich nicht zu Hause in Kreise meiner Familie verdummen, vereinsamen oder was auch immer will. Viel zu erzählen hatten wir uns allerdings nicht. Wie auch. Nicht einmal als wir noch zusammen gearbeitet haben, waren wir dicke. Vielleicht bin ich auch nur nicht der Mensch, der gern kommuniziert. So ein bisschen blabla über die Familien (Mann, Kinder, Garten – Kinder, Urlaub, Familienalltag) und über ehemalige
Kolleginnen, ansonsten gab es nichts wichtiges zu berichten. Nach 2 ½ Stunden sind wir dann so verblieben, dass ich sie das nächste Mal besuchen gehe, ggf. mal mit ihr nach Polen fahre zum Zigaretten kaufen und mir mal ihren Garten anschaue. Na ob ich zu all dem Lust und Laune habe, ich weiß ja nicht.
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'Genau, ich weiß ja nicht. Natürlich nicht. Mit Silvi war ich eh nie befreundet und nur weil wir zu diesem Zeitpunkt „Leidensgenossinnen“ waren, muss ich ja nicht unbedingt regen Kontakt pflegen. Neuer Tag, neuer Eintrag.'
Anna liest weiter.
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Mein Tagebuch
Ich bin jetzt jeden Morgen gelaufen und habe auch meine Übungen gemacht, aber … ich habe nicht ein Gramm abgenommen. Das einzig gute, ich fühle mich ganz gut dabei. Nur heute, ihr wisst schon, Stress mit den Berufstätigen, ist mir echt die Lust vergangen. Bin gleich mal wieder antriebslos. Werde wohl auch in der Wohnung nicht allzu viel machen. Schaue gerade „Rapunzel – neu verfönt“ an, und ich habe auch einen Traum oder doch gleich drei? -----------------------------------------------
'Ja genau, drei Wünsche. Die hab ich immer noch. Keine Schnuppen bisher gesichtet. So ein Mist aber auch. Okay und weiter im Text. Ich sehschon. Immer das gleiche Gejammer. Wann hört das bloß auf?' ------------------------------------------------
Mein Tagebuch
Was ist nur mit Zsuzsa los. Gestern Abend hat sie sich dann auch noch mit ihrer großen Schwester gezofft. Warum ist sie der Meinung, dass sie am meisten und am schwersten arbeitet, 30 Stunden plus ¾ Stunde Pausen plus ca. 1 Stunde Fahrweg ( morgens und abends). OK, andere lassen die Pausen weg und der Fahrweg ist nicht so
lang, aber muss man das abwerten? Fanny war nie arbeitslos zu Hause, sie hat studiert und nebenbei in der Schülerhilfe gearbeitet. Auch das ist anstrengend. Warum kann Zsuzsa die Arbeit und Bemühungen anderer nicht anerkennen. Es ist schwer, ihr dann den eigenen Standpunkt klar zu machen, denn sofort fühlt sie sich angegriffen und unverstanden und vernachlässigt. Gefährliche Mischung. **** Nach nun gut einem viertel Jahr melde ich mich zurück. Ich bin durcheinander. Bestimmt liegt es an all den Büchern, die ich gelesen habe und die mein inneres Ich total aufwühlt
haben. ICH MÖCHTE AUCH GELIEBT UND BEGEHRT WERDEN. Solche Männer, wie in der Fantasie von Nora Roberts kann es doch gar nicht geben: reich, gutaussehend, männlich, energiegeladen, wild, ständig sexuell erregt, animalisch wie wilde Tiere und doch so einfühlsam ihrer Partnerin gegenüber, unnachgiebig in der Besitzergreifung als auch geduldig hoffend. Wobei die Partnerin fairerweise immer gutaussehend, von Natur aus mit Idealmaßen ausgestattet, charakterlich nicht immer einfach, aber selbstbewusst ... ------------------------------------------------
'Sicher? Bei Nora Roberts gab's solche Typen? Was hab ich denn da gelesen?
Hört sich eher an wie die „Herren der Unterwelt“ von Gena Showalter. Hm, wer weiß. Und ja, es stimmt, solche Bücher machen mich schon an. Hab halt Phantasien. Und jetzt kommt gleich wieder die Selbstkasteiung.'
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Mein Tagebuch
Ich bin Mitte 50, mit einem ungeliebten Mann verheiratet, von dem ich mich beinahe schon abgestoßen fühle, da sein Äußeres und sein Auftreten nicht meinen Vorstellungen entspricht. Sicherlich kann ich froh sein, überhaupt einen Mann bekommen zu haben, denn immerhin entspreche ich nicht dem
Klischee der Buchautoren. Ich bin klein und dick und wer schon am Anfang meiner Aufzeichnungen aufmerksam gewesen ist, wird feststellen, dass es mir an der nötigen Ernsthaftigkeit fehlt, irgend ein Projekt durchzuziehen. Immer fange ich irgendetwas an und dann!? Tja und dann, verläuft alles irgendwo im Sande. Ich wäre so gern schlank und attraktiv, geliebt und begehrt und ich möchte jede Menge guten Sex, sensibel und einfühlend andererseits aber auch schnell und brutal. Bein Lesen der letzten fünf Romane war ich so sexuell erregt, dass ich zwischen durch mit lesen aufhören musste und mich selbst befriedigt habe. Sicherlich ersetzt das keinen Mann, aber ich hatte bei den Beschreibungen der Liebesakte ein
inneres Ziehen im Bauch und zwischen den Beinen und ich war feucht und heiß. Diesen Zustand auszunutzen war für mich ein drängendes Verlangen. Selten war ich so sexuell fixiert, wie gerade in den letzten Tagen und Wochen. Ich will noch mehr vom Leben, als nur so dahin zu vegetieren. ---------------------------------------------
'Das hab ich auf keinen Fall geschrieben. Ich bekomme ja beim Lesen 'nen roten Kopf. So was wollte ich in einem Buch verarbeiten. Das kann nicht sein. Man kann es zwar erleben und tun. Aber muss man gleich darüber schreiben?' Erst letztens hat sich Anna in einer
Chat-Runde in der das Thema „erotisches Schreiben“ zur Diskussion stand, weit aus dem Fenster gehängt. Sie war der Meinung, auch ohne praktische Erfahrungen in Sachen Liebe und Sex zu mindestens erotisch schreiben zu können. Es sei halt nur die Vorstellungskraft und Fantasie gefordert. Es reiche, wenn man weiß, was man will und wie man es will. Nun jedoch stört sie sich an ihren eigenen Aufzeichnungen und findet es im Gegensatz zu sexuellen Beschreibungen in ihren Büchern abstoßend und schockierend. Vorsichtig beäugt sie die nächsten Seiten und löscht das Geschriebene.
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Mein Tagebuch
Also gute Miene zu bösem Spiel. Damit Ian mir nicht bei meinen Tätigkeiten am Computer zuschaut, man muss seine Geheimnisse wahren, musste ich den letzten Teil der Trilogie von Nora Roberts beginnen. Oh mein Gott. Ich will auch so glücklich sein, wie Brianna und Greyson sowie Maggie und Rogan. Gibt es so etwas im wirklichen Leben.? Ich kann es mir beinahe gar nicht vorstellen. Ich wüsste nicht, dass ich jemanden in meinem Bekannten und Verwandtenkreis kenne, bei denen das so ist. Aber wer trägt schon seine Gefühle derart offen zur Schau? ------------------------------------------------ 'Tja, wer trägt seine Gefühle schon offen
zur Schau? Fanny und Chris vielleicht. Die knutschen und fummeln ständig. Es ist schon beinahe peinlich. Könnte ich mich zurückhalten, wenn ...'
Wahrscheinlich könnte Anna es nicht.
Sie vermisst diese Zärtlichkeiten und würde sie in vollen Zügen auskosten.
Die Erfüllung derartiger Wünsche steht jedoch in den Sternen.
Keiner weiß ob, wann und überhaupt einer davon in Erfüllung geht. Was Anna mit Sicherheit weiß, sie muss unbedingt ihr Selbststudium „Kreatives Schreiben“ fortsetzen.
Sehr geehrte Frau Schulz, Sie haben die Stimmung und den Umschwung im Januar zum Thema Ihres Jahreszeitengedichts gemacht. Und das sehr gut. Sie haben gut gereimt und wunderschöne Wörter, wie Zuckerschnee, Wintersonnenschein und Eingemummeltsein gefunden. Sie haben auch sehr schön die Lust der Kinder auf die winterlichen Freuden gegen den eher skeptischen Blick der Erwachsenen gestellt, der ja zu Anfang noch vorherrscht. Im Großen und Ganzen ist Ihr Gedicht in Ordnung. Sie können sich nicht recht entscheiden, ob Sie ein Gedicht mit überschaubaren Versen und Reimwörtern am Ende des Verses
schreiben wollten oder ob sie eher der Prosa zugeneigt sind. Ihr Gedicht wirkt auf den Leser wie eine mitunter zufällig gereimte Prosa. Dagegen gibt es nichts zu sagen. Vielleicht denken Sie, dass Sie keinen Zugang zur Lyrik haben oder waren vorsichtig, allzu streng zu reimen.
Alles ist in Ordnung.
In einem späteren Studienheft werden wir uns nochmals den Gedichten zuwenden. Dann können Sie sich entscheiden, eine strengere Form zu übernehmen.
Auch einen herzlichen Dank für Ihr Rotkäppchen im SMS-Stil. Sie haben die Aufgabe ausgezeichnet gelöst.
Das Märchen wurde komplett dargestellt und
auch die Längenvorgabe eingehalten. Das ist schon mal eine sehr gute Leistung. Zudem haben Sie wunderbaren Slang geschrieben und den Text derart klar verkürzt.
Das haben Sie sehr gut gemacht.
Wenn Sie Geschichten schreiben, dann sollten Sie sich angewöhnen, sich zunächst über deren Struktur, dem erzählerischen Kern ... dramatischen Kern ... im Klaren zu werden. Das ist nicht nur eine Spielerei.
So spielen diese Dinge beispielsweise beim Pitchen eine wichtige Rolle, wie es im Filmgeschäft üblich ist. Nur wenn Sie die beiden wichtigsten Stationen des Spannungsbogen, das Problem und deren Lösung, Ihres Stoffes angeben können, können Sie erfolgreich pitchen.
Mit freundlichen Grüßen Ihr Kurt Stift 'Hä? Was? Was will der denn von mir? Pitchen? Keine Ahnung! Spannungsbogen? Was auch immer der Stift damit sagen will!' Anna hat keine Ahnung was ihr Mentor mit diesen Aussagen mitteilen möchte. Es interessiert sie auch nicht. Sie weiß, Gedichte sind nicht ihr Ding. Damit kann sie leben. Anna will auch keine Gedichte schreiben. Sie findet es viel zu anstrengend, sich ständig auf Reimwörter zu konzentrieren. Sie schreibt lieber hintereinander weg. Mehr als die Kritik des Gedichtes bringt sie die Beurteilung der SMS im Jugendchargon ins
Grübeln.
Anna versteht nicht, was Herr Stift mit Spannungsbogen und Pitchen, erzählerischer Kern und dramatischer Kern meint. Muss sie sich, bevor sie etwas schreiben will, um derlei Dinge Gedanken machen? Dann ist Schreiben auf keinen Fall etwas für sie. Sicher, der Kurs wird nun zu Ende gebracht. Was angefangen wird, wird auch beendet. Danach wird das Thema jedoch abgehakt. Wenig motiviert durch die Einschätzung ihrer Arbeiten und der nun gefassten Erkenntnis, nur ungenügend schreiben zu können, überlegt Anna, ob es ratsam ist, sich sofort der nächsten Hausarbeit zu zu wenden. Sie merkt schnell, es war keine gute Idee.
„Lesen Sie den folgenden Text und entwickeln Sie daraus ein Hörspiel. Achten Sie auf die Rollenverteilung (Erzähler, zwei Sprecher und Geräuschkulisse).“ 'Das heißt ja Erzähler: bla bla bla ... 1. Sprecher: bla bla bla ... 2. Sprecher: bla bla bla ... und so weiter und zwischendurch irgendwelche Regieanweisungen für Geräusche: Straßenlärm .... Na ja. Auch das will ich nicht unbedingt können, aber wie gesagt, es steht nun mal im Lehrplan.'
Damit macht sich Anna an die Arbeit und schreibt den vorgegebenen Text in ein Hörspiel um. Da sie sich nichts ausdenken muss, ist sie schon nach wenigen Minuten
fertig mit dieser Aufgabe.
'Und wenn ich schon mal dabei bin, auch gleich die letzte Aufgabe aus diesem Helft. Dann hab ich wieder eins geschafft. Nur noch sechs. Also her damit .... Boah, schon wieder ein Gedicht. Schiet.' „Schreiben Sie ein Liebesgedicht aus drei Strophen je 4 Verse. Beginnen Sie immer mit: Er gehört zu ihr, wie ...“ 'Ich hasse Gedichte! Er gehört zu ihr, wie .... Ja wie? Wie ich zu dir? Blöd. Und weiter? Wie die Mutter zum Vater. Was reimt sich auf Vater? Kater. Wie der Schnaps zu Kater? Nee, der Kater gehörtzum Schnaps. Also
was nun? Die Mutter zum Vater und die Katze zum Kater. Okay. Erste Strophe fertig. Ha und die zweite wird witzig. Die spricht mir aus der Seele. Er gehört zu ihr, wie meine Pfunde zu mir, wie die Waage zur Diät und Kräuter zum Beet. Kann man das so schreiben? Eigentlich heißt es ja: die Kräuter in ein Beet. Aber was soll's. So und noch 'ne dritte Strophe.' Gerade als Anna ihre beiden Aufgaben abschicken will, sieht sie, sie hat die Aufgabenstellung es Gedichts nicht zu Ende gelesen. „... ein Liebesgedicht ..., wo die Dinge nicht zusammenpassen.“
'Was ist das denn für ein Schnulli. Wenn's nicht zusammenpasst, ist es doch kein Liebesgedicht. Dann ist es ein Anti-Liebes-Gedicht. Ts. Ts. Ts. Hm. Er gehört zu ihr, wie die Axt zur Tür ... wie eine Fliege zum Bier ... wie Jedermann zu mir ... wie die Blattlaus zur Rose, wie der Fleck zur Hose, wie der Klotz zum Bein, wie Gift zum Wein, wie das Eselsohr zum Buch, wie das Loch um Tuch. Mag vielleicht grammatisch nicht so einwandfrei sein, aber irgendwie ... man weiß, was gemeint ist. So schreib ich das und fertig.' Gesagt, getan und ab die Post. Ein Blick auf die Uhr sagt Anna, der Tag neigt sich dem Ende zu. Schafft sie schnell noch einen
kurzen Eintrag in ihren Blog? Erst letztens ist schon ein Eintrag verschwunden, nicht geschrieben, nicht gespeichert. Was auch immer. Den Lesern hat es nicht gefallen. So schreibt Anna nur ein paar Zeilen, der Ordnung halber. 13. Eintrag Hi Leute. Heute war irgendwie nicht mein Tag. Ständig hatte ich das Gefühl, es müsste etwas passieren. Ich war von einer komischen inneren Unruhe befallen, hatte zu nix Lust und konnte mich auf nix konzentrieren. Habt ihr das auch schon mal gehabt? Nun, passiert ist nichts. Die Zeit ist so dahingeschlichen und als ich mich endlich
aufrafft hatte, was nützliches zu tun ist sie nur so davon gerannt. Deshalb mein Blogeintrag zu so später Stunde. Was ist passiert? Nicht gelesen. Nicht gespielt. Tagebuch durchgearbeitet. Man was da drin stand. Ich weiß nicht, ob man so was schreiben sollte. Mit Mitte 50 affengeil, rattenscharf, „spitz wie Nachbars Lumpi“ zu sein, ist das normal? Mit dem Alter wächst das sexuelle Verlangen, jetzt, nach den Wechseljahren. Ehrlich. Ist das normal? Dabei, ihr wisst, hab ich mit so was gar keine Erfahrung. Peinlich. Peinlich. Schon bei dem Gedanken.... Aus! Themenwechsel. Mit den Schreiben geht’s zur Zeit auch nicht so gut voran. Lauter so 'ne Sachen, die mir gar nicht liegen. Gedichte. Hörspiele. Krrrr.... Und der
Stift hat mich auch wieder mit einem Vokabular voll gebombt. Da schwirren einem nur so die Gedanken durch den Kopf. Sehe vor Überdrehung lauter Sterne. Ich weiß nicht mal, was der von mir will. Scheinbar ist die Schonfrist jetzt um und wir ballern auf die Studenten ein, damit denen Hören und Sehen vergeht. Aber noch bekommt der mich nicht klein. Ich beiße mich da schon irgendwie durch. So meine Lieben. Bevor mein Kopf auf die Tastatur fällt, vor Müdigkeit natürlich, mache ich jetzt Schluss. Und ihr wisst: Der Schönheitsschlaf findet vor Mitternacht statt und wenn's nur ein paar Minuten sind. Wir können es uns nicht leisten, auch nur eine zu verschenken.
Gute Nacht.
14.Kapitel
„Oh schau mal. Knupperkirschen. Woll'n wir die Männer mal fragen, ob sie uns welche holen?“
Anna schaut Zsuzsa an und schon stehen sie vor Ian und Gerd.
„Wie wär's? Habt ihr gesehen? Da gibt’s Knupperkirschen. Wir hätten gern eine Tüte“ sagt Anna zu Gerd. Und genau, wie sie es erwartet hat, dreht sich Gerd zu Ian um und meint:
„Gibt den Beiden mal Geld für Knupperkirschen.“
Zsuzsa und Anna sehen sich an und klimpern dann mit einem Lächeln im Gesicht mit den
Augenlidern. „Wir dachten, ihr holt uns welche. Wir möchten da nicht hingehen. Macht ihr doch bitte mal.“
Und klimper, klimper. Aber irgendwie kommt das bei den Männern gar nicht gut an. Oder haben die das nicht bemerkt?
„Man ... wir bezahlen sie doch. Holen müsst ihr sie euch schon alleine“ gibt Ian zu verstehen. Die Frauen verdrehen die Augen.
„Bezahlen können wir die auch alleine. Wir dachten einfach nur, ihr holt uns welche. Na ja. Dann eben nicht.“ Damit gehen die beiden weiter und die Männer trotten hinter ihnen her.
„Na ihr hättet doch das Geld von uns haben können. Jetzt zickt ihr wieder rum“ rief Ian hinter Anna und Zsuzsa her. Gerd macht mal
wieder nur ein mürrisches Gesicht, brabbelt vor sich hin und läuft, auf der Suche nach einem Eisladen einfach weiter, ohne darauf zu achten, welchen Weg die Frauen einschlagen. Dann sind die Männer weg. Anfangs schauen sich beide Parteien noch gegenseitig suchend um, doch
dann ... .
Damit ist der Nachmittag gelaufen. Ursprünglich sind Anna und Gerd gemeinsam mit ihren Kindern zum diesjährigen Sommerfest im nahegelegenen Park aufgebrochen. Nach der ersten halben Stunde verließ jedoch die Vier die Lust am Fest, sei es nun, weil noch nichts los war oder weil die Sonne erbarmungslos auf sie hernieder knallte und es brütend heiß war.
Die Männer beschlossen einen Eisladen aufzutun und die Frauen fügten sich. Aber weit und breit nur ein Café, in dem zwar Eis verkauft wurde, aber den Herren der Schöpfung zu teuer war. Und dann ... dann kam die Katastrophe mit den Knupperkirschen und die Wege trennten sich. Schweigend gingen Anna und Zsuzsa nebeneinander her.
'Das ist doch mal typisch mein Mann. Was ist denn so schwer daran
zu verstehen, dass man einfach mal was gekauft haben möchte ohne alles allein tun zu müssen. Wir haben ein total verkehrtes Bild von einem Mann. „Hier haste das Geld und kauf dir was!“ Gott wie unromantisch.
Eine kleine nette Geste wäre schon nicht schlecht.'
Später, man hat sich auf einem der wenigen Wege des Parks wie durch Zufall, der Park ist ja nicht so groß, wieder getroffen. Ian feixend, Gerd verknarzt und die Mädels gleichgültig mit erhobenen Hauptes, so schlendern die Vier dann wieder in Richtung „Heimat“, wo Anna sich gleich daran macht, das Abendessen vorzubereiten. Den ganzen Abend wird kaum ein Wort miteinander gewechselt. Knupperkirschen – ein einschneidendes Erlebnis. Auch am nächsten Tag werfen die Knupperkirschen noch ihre Schatten. Gerd schlurft geschäftig durch die Wohnung, was auch immer er
macht. Irgendwelche Sachen um räumen, aus der einen Besenkammer in die Handwerks- und Fahrradkammer, aus einer Kiste in eine andere, hin und her und her und hin. Fraglich, ob es etwas bringt. Anna findet nie, das was sie sucht, wenn Gerd mal wieder umgeschichtet hat. Die Kammer hat Anna so genannt, weil sich die Besenkammer in der Wohnung befindet und ursprünglich für Putzmittel und sonstigen Hausrat verwendet werden sollte. Das war vor 6 Jahren. Mittlerweile hat Gerd sie sich unter den Nagel gerissen, als „Kammer für alles Mögliche“. Davon abgesehen besitzt er dann noch die Kammer im Treppenhaus für seine Werkzeuge.
„Kannst du nicht die Füße heben, wenn du hier ständig durch die Wohnung schlurfst?“
'Ups. Das hat Zsuzsa jetzt aber nichtgesagt. Oh doch. Gerd's Gesicht wird immer länger. Dann verziehe ich mich am besten in die Küche, wo eine Frau ja hingehört, und mache schnell
mal Happenpappen. Nach dem Kaffeetrinken bringe ich dann die Lütte nach Hause. Wenn's bloß nicht so heiß wäre. Aber bis zum Supermarkt auf jeden Fall. Muss ja selbst noch was einholen. Könnte ja auch mal einer fragen: „Soll'n wir schnell noch was holen? Soll ich euch dann rüber fahren? Könnten auch alle zusammen hinüberfahren und gleich die paar Handwerksarbeiten in
Zsuzsa's Wohnung erledigen. Man Anna, träume weiter.' Wie geplant hat Anna ihre Jüngste bis zum Supermarkt begleitet, schnell ihre Einkäufe erledigt und sich dann langsam auf den Heimweg begeben. Dabei überlegte sie, was so noch alles im Haushalt anstehen könnte oder ob sie sich gleich ihrem Laptop widmen kann. Es war Samstagnachmittag. Kein Tag, an dem der Haushalt schreit. Nein, ein Tag für privates Vergnügen.
Anna schnappt sich ihren Laptop und checkt ihre Mails.
'Ah der Stift hat sich wieder gemeldet. Woll'n mal schauen, welche meiner Einsendungen er bewertet hat. Ich verliere schon langsam den Überblick. Was fehlt mir eigentlich alles noch? 'Muttertag', ach ja, die '10 Bücher' undwas ist mit dem '200 Jahre später...?
Hm. Na vielleicht sind es ja auch mehre Beurteilungen. Dann woll'n wir mal.'
Sehr geehrte Frau Schulz,
Ihre Kurzfassungen der Stoffe geben auf sehr unterschiedliche Weise wieder, was Sie beabsichtigen. Wir haben es hier mit klaren Roman- oder Krimiprojekten genauso zu tun wie mit Sachtexten. Die Themen sind alle ansprechend. Oftmals aber habe ich den
Eindruck, dass eine konkrete Story mit klar konturierten Figuren nicht erkennbar ist. Zwar gehe ich davon aus, dass Sie eine Story im Kopf haben, aber nicht immer wird diese Story durch Ihre Worte vermitteln. Worin besteht die dramatische Situation? Wie löst sich das Problem? Nur so können Sie einem Hörer / Leser einen Stoff erkennbar machen. Denken Sie zunächst nicht daran, was Ihre Protagonistin fühlt, sondern in welcher Realität sie steckt und welche Handlungen von ihr gefordert werden. Wenn Ihre Figur nämlich zu handeln beginnt oder über Handlungen nachzudenken beginnt, dann weiß man auch sofort, was für ein Mensch sie ist. Figuren sollten Ziele haben, die anstreben und verwirklichen
wollen. Auf diese Weise entstehen Stoffe. Achten Sie darauf, dass jede Figur konkrete Probleme zu lösen hat und dass sich Ihre Figuren am besten darin zeigen können, wenn sie nach einer Lösung suchen. Auch müssen Personen auftreten oder Ereignisse stattfinden, die Ihre Figuren aus der Bahn werfen und sie miteinander oder gegeneinander zum Handeln zwingen. Denn Leser interessieren sich nur für Ihren Stoff, wenn Sie das Mitdenken einschalten.
Letztlich geht es in Romanen und bei Figuren natürlich immer um Gefühle. Aber der Romanautor sollte vorsichtig sein, über die Gefühle der Figuren zu sprechen. Er sollte darauf achten, durch dramatische Plots beim Leser Gefühle auszulösen.
Das sollte sich auch schon in einer Projektbeschreibung ausdrücken.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Kurt Stift 'Ich hab's ja mal wieder gewusst. Schreiben ist nicht mein Ding. Was verstehe ich schon von Spannungsbogen, Plots und all dem Schei... Der hat aber auch in all meine Buchtitel und deren kurzen Inhaltsangaben sonst etwas hinein interpretiert... Da rollen sich einem die Zehnnägel auf. Ich kann's halt nicht. Hätt' ich bloß den Mist nicht angefangen. Und zu allem Übel hat der auch gleich zwei Einschätzungen geschickt.'
Sehr geehrte Frau Schulz,
herzlichen Dank für die Muttertagsepisode. Sie haben eine sehr anrührende und schöne Geschichte geschrieben. Ich habe nur wenig in Ihren Text eingegriffen. Über die Struktur ihrer Geschichte sollten sie noch einmal kurz nachdenken. Nach meiner Meinung könnten die einzelnen Teile noch genauer an den Spannungsbogen angelehnt werden. Der Spannungsbogen in ihrer Geschichte sieht so aus: (Einleitung) Wolfhard schimpft über seine Aufgabe und verschwindet in sein Zimmer. Dolli, Marie und später Stoffelhuber besprechen die Situation. (Orientierung) Die Erschwernis für die Kinder, die gerade zum Muttertag besonders zu Buche schlägt.
(Problem /dramatische Situation) Wolfhards Trauer in seinem Zimmer. Marie will mit ihm sprechen, aber er will nicht. Er wirft sie aus seinem Zimmer. Marie bietet ihm Hilfe an, wenn er das will. (Bewertung) Diese Phase haben Sie sehr gut aus der Perspektive von Marie beschrieben, die mit Dolly bei den Bildern sitzt. Dann kommt Wolfhard zurück. (Lösung) Wolfhard entschuldigt sich. Er hat eingesehen, dass Marie nichts dafür kann, dass die Situation für ihn schwer ist. Marie macht den Vorschlag, die Großmütter zu beglücken. (Schluss) Als Schluss hätten Sie das Muttertagsfest mit den Großeltern darstellen können. Nach dem Spannungsbogen folgt auf die Lösung des
Problems noch der Schluss. Das hängt damit zusammen, dass jenseits des Happyends, das ja große Gefühle erzeugen soll, der Leser noch einige Zeit braucht, vielleicht einen ganzen Abschnitt, damit diese Gefühle ausklingen können. Ein solches Nachspiel ist wichtig, um die Leser nach den Aufregungen der besonderen Zeit wieder zurückkehren zu lassen in den Alltag. Ihre Geschichte gefällt mir sehr gut. Sie haben mit sehr viel Einfühlungsvermögen geschrieben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Kurt Stift
Anna hat keine Ahnung, was sie von dieser Einschätzung halten soll. Wieder waren da die
Begriffe Spannungsbogen, Einleitung, Orientierung, Bewertung, Lösung, Schluss. Anna kümmert sich beim Schreiben nicht um derlei Begriffe. Sie schreibt, wie ihr die Gedanken kommen. Sie denkt nicht im Traum daran, sich derartigen Regeln des Schreibens unterzuordnen. Ihr würde es genügen, wenn ihre Geschichten gefallen und gern gelesen würden. Dazu müssten sie aber erst ein Mal von jemanden gelesen werden. Damit ist Anna wieder an dem Punkt angelangt, wo sie sich in die Öffentlichkeit begeben müsste. Resigniert nimmt Anna das nächste Studienheft zur Hand und oft heimlich, es möge bald ein Ende finden. Angefangen also auch zu Ende bringen.
'Geborene Erzähler – na ich bestimmt nicht. Ich kann mir ja nicht mal Geschichten
ausdenken und einfach so erzählen. Von wegen die Ideen kommen einfach so beim Erzählen. Nee bei mir nicht. Um was geht es noch? Geschichtenhandeln vom Leben – Warum sind dann Geschichten nicht das Leben? Gefühle hat jeder, Gefühle erzeugen ... ?
Figuren, Orte, Dialoge ... Protagonistin und Antagonisten ... erzählerischer Kern ... Wahl der Perspektive ... Oh nein, das übersteigt schon wieder meinen Horizont. Gleich zur nächsten Aufgabe.'
„Schreiben Sie einen inneren Monolog. Schreiben Sie als Ich-Erzähler, welche
Gedankensplitter Ihnen beim Frühstückmachen durch den Kopf gehen.“
'Tja, was geht mir da wohl so durch den Kopf. Am besten ich warte damit bisMontag morgen und achte dann mal drauf.'
Anna war so mit der Aufgabe aus dem Lernmaterial beschäftigt, dass hie ständig die Gedanken im Kopf herumspukten. Stets formulierte sie ihre Gedanken, als ob sie sie aufschreiben wollte. Sie kam sich schon ein wenig sonderbar vor, sich über ihre Gedanken Gedanken zu machen. Das Wochenende verlief wie die meisten Wochenenden, still, ein jeder in „seinem“ Zimmer, vor seinem Computer. Nichts
Aufregendes. Am Montag morgen konzentrierte sich Anna auf alles was sie dachte und notierte es sofort auf einem bereitliegenden Zettel. Nichts, aber auch gar nicht wollte sie vergessen. Am Vormittag brachte sie dann ihre Aufzeichnungen ins Reine und schickte sie an die Schule für „Seminare im Fernstudium“.
"Gedanken am Morgen"
man wieder die Erste ... wie immer ... Tablett Teller Tassen Mülsischüssel ... Mist ... ist noch im Geschirrspüler ... na die muss auch gehen ... Besteck ... was esse ich denn heute wieder Stulle? ... ach mache mir Joghurt mit Körnern Sharon Kiwi Banane ... bekommt
Gerd halt heute Obstsalat mit ... hab gestern nach Weiht Watchers gegessen und trotzdem wieder 1 Kilo mehr ... man wie machen das nur die Anderen ... muss dann beim Posten wieder ein bisschen schwindeln ... Wetter? naja zum Laufen o.k. aber keine Lust ... Teewasser und noch keine Beutel in Tasse und Kanne ... was nehmen wir denn heute ... Roibusch und für mich grünen Tee ... Tee hm ... ob der gut für mein Wasser in den Beinen ist? ... vielleicht sollte ich heute eher Wasser trinken ... Wasser ... ha ha ha keine Magnesiumtabletten mehr ... soll sowieso nicht so gesund sein ... nehm' ich heute mal Calcium ... müssen schließlich auch weg ... sollte mich bei diesem Zeugs ein bisschen einschränken oder ganz weg lassen ...
Mischbrot oder Vollkorn für Zsuzsa ... hm ... Vollkorn und ja den Rand abmachen ... Gott ständig diese Extras ... Pudding Monte Pfirsich ... vielleicht noch was Süßes ... was haben wir denn noch ... ach Balisto ... muss reichen ... hat eh einen kurzen Tag ... Wurst ... hm ... na die alten Scheiben auf die Stulle ... die neuen Packungen auf's Tablett ... merkt der so wie so nicht ... zwei drei vier ... zehn elf ... vierzehn ... mehr Müsli ist sie so wie so nicht ... den Teebeutel wieder zu lange drin gelassen ... was liegt denn heute so an? ... keine Lust ... Staubsaugen Wäsche ... schreiben ... ah Krimi schreiben ... boah ... bin ganz schön in Verzug ... Milch Sahne Toast ... wie spät? ... halb sechs Stullenbüchsen zu ... restliche Wurst in den
Kühlschrank ... ach für Gerd auch was Süßes ... kann nicht schaden ... Abfälle weg ... o.k. Fertig ... hinsetzen und auf Zsuzsa warten ... ah ... vorher noch die Fische füttern
(c) ABS
'Okay, die Aufgabe ist abgeschickt. Und was war da noch? Einen Krimi schreiben? Für heute ist gerade noch Zeit für meinen Blog-Eintrag und dann der Haushalt'.
14. Eintrag
So Aufzeichnungen sind weg. Als nächstes soll ich einen Krimi schreiben? Das Thema bzw. die Geschichte ist schon vorgegeben. Da hat doch einer seinen Pagen umgebracht,
weil der ein Verhältnis mit seiner Frau hatte. Das Herz des Geliebten hat er braten lassen und seiner Frau vorgesetzt und ihr nach dem Mahl den Kopf des Geliebten gezeigt. Na wie pervers ist das denn. Daraus soll ich einen Krimi schreiben. 3 Normseiten – 5400 Zeichen. Aber das werde ich heute nicht mehr schaffen. Meine Lieben, was soll ich euch berichten? Das Wochenende war so lala. Wie immer eben. Am Freitag dachten die Lütte und ich mal wieder an die Ritterlichkeit der Herren rühren zu können und wollten uns was kaufen lassen. Die hätten uns doch tatsächlich das Geld in die Hände gedrückt?! Was sind denn das für Manieren. Wo sind bloß die Männer geblieben, die ihrer Holden mal was
geschenkt haben, sie mit etwas überrascht oder was weiß ich. Heute bekommste das Geld in die Hand gedrückt und mach doch selber. Kennt ihr das auch? Können wir auch drauf verzichten. Oder? Ich hab's. Ich bin nicht die Holde. ----Lach----
15. Kapitel
'Endlich. Endlich ist es wieder so weit. Ein paar Tage nur für mich allein. Und eigentlich braucht er auch gar nicht wieder zu kommen. Nicht dass ich Gerd die Pest an den Hals wünschen würde, aber ... was sind wir heute wieder bösartig.' Gerd ist wie jedes Jahr mit seinen Arbeitskollegen für eine reichliche Woche zum Angeln an die dänische Küste gefahren. Anna genießt diese Tage regelrecht. Sich um niemanden kümmern zu müssen, niemandes Dreck wegräumen. Einfach nur sie allein.
Vielleicht mit ihrer Jüngsten. Aber die geht abends auch nach Hause. Nun sitzt Anna vor ihrem Laptop und liest die letzten Eintragungen ihres Tagebuches nochmals durch.
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Mein Tagebuch Ich bin Mitte 50, mit einem ungeliebten Mann verheiratet, von dem ich mich beinahe schon abgestoßen fühle, da sein Äußeres und sein Auftreten nicht mehr meinen Vorstellungen entspricht. Sicherlich kann ich froh sein, überhaupt einen Mann bekommen zu haben, denn immerhin entspreche ich nicht dem Klischee der Buchautoren. Ich bin klein und
dick und wer schon am Anfang meiner Aufzeichnungen aufmerksamgewesen ist, wird feststellen, dass es mir an der nötigen Ernsthaftigkeit fehlt, irgend ein Projekt durchzuziehen. Immer fange ich irgendetwas an und dann!? Tja und dann, verläuft alles irgendwo im Sande. ------------------------------------------------
'Hm, im Sande, So ist das wohl. … und das war's dann wohl auch mit meinem Tagebuch. Noch ein wenig über meinen sexuellen Frust und so und dann habe ich auch dieses Projekt abgebrochen. Sicher, ein Jahr Tagebuch genügt, wenn eh immer das Gleiche passiert. Und nun ist das auch Geschichte. Ein Buch wird es nicht geben
und wozu soll ich dieses ganze Geschreibsel aufheben. Es ist nur peinlich.' Damit löscht Anna ihre gesamten Tagebuchaufzeichnungen vom USP-Stick und zieht einen Strich unter ein nicht vollendetes Vorhaben. Sie zieht ein Schlussstrich und weiß, sie muss dringend etwas in ihrem Leben ändern. So kann es auf keinen Fall weiter gehen. Wie oft hat sie sich das schon gesagt. '...mit einem ungeliebten Mann verheiratet, von dem ich mich beinahe schon abgestoßen fühle, da sein Äußeres und sein Auftreten nicht meinen Vorstellungen entspricht. Sicherlich kann ich froh sein, überhaupt
einen Mann bekommen zuhaben.' Nachdenklich starrte Anna Löscher in den Himmel. 'Wie war das doch damals? Mir ist so vieles entfallen. Sicher es war eine Zeit voller Entscheidungen, voller Geschehnisse. Kann es sein, dass man sich an bestimmte Zeiten nicht erinnern kann oder dass einem einfach ganze Zeitabschnitte abhanden kommen? Warum auch immer? Wie war das bloß?' Anna wohnte im Hinterhaus, linker Seitenflügel, drittes Obergeschoss. Er wohnte im Hinterhaus, rechter Seitenflügel, erstes Obergeschoss. Sie konnte ihm direkt in
die Wohnung schauen. Oftmals stand sie dann abends am Fenster und wartete. Wartet, dass beiihm das Licht anging. Wo war er? Musste er wieder länger arbeiten? Hatte er Spätdienst? Wer war er überhaupt. Oh, er war groß, blond und wie es schien, nicht hässlich. Damals. Bei einer Versammlung der Hausgemeinschaft hat Anna dann Gerd kennengelernt.
Ihn und Rudolf.
Rudolf war das genaue Gegenteil. Er war groß, dunkelhaarig und nicht ganz so stämmig wie Gerd. Und sie waren Freunde. Freunde, weil sie schon lange Nachbarn waren, weil sie gern gemeinsam Einen trinken gingen, weil ...
Nun, sie erklärten sich bereit, Anna bei ihrer
Arbeit als Hausgemeinschaftsvorsitzende tatkräftig zu unterstützen. Sie musste sich bereiterklären, diesen Posten zu übernehmen. Bedingung für die Wohnung. Für ihre erste, schwer erkämpfte Wohnung. Schön war sie nicht, aber sie gehörte ihr allein. Ihr allein bis zu dieser Versammlung. So begann alles ... Es begann eine Zeit, wo die jungen Leute aus dem Haus gemeinsam um die Häuser zogen und Anna sich nicht entscheiden konnte, ob sie Gerd oder Rudolf den Vorzug geben sollte. Heute, so im Nachhinein waren beide ein Fehler. Zu Gerds 31. Geburtstag fiel dann die Entscheidung. Es war Gerd, der dann bei ihr einzog. ... und in all den Jahren, die sie nun mit Gerd zusammen war, hat sie diesen Tag und ihre
eigene Feigheit nicht nur ein Mal verflucht. Sicher, damals war sie froh, dass sich überhaupt jemand für sie interessiert hatte. Mit 26 Jahren, heute lacht man darüber, war sie nicht mehr so jung, um sich mit der Familienplanung noch viel Zeit nehmen zu können.
All ihre Freundinnen waren bereits seit Jahren verheiratet, hatten schon Kinder. Anna hatte eine begonnene Karriere. Dann kam Gerd und neun Monate später Fanny. Anna war glücklich.
Glücklich?
Sie kämpfte für eine größere Wohnung, sie kämpfte gegen die Trinkerei von Gerd, sie kämpfte um ihre Karriere, sie kämpfte für ihre kleine Familie, die sich in den Jahren
erweiterte, sie kämpfte gegen Gerds Arbeitslosigkeit, sie kämpfte ...
Irgendwo blieb ihr Glück auf der Strecke. Anna war für alle da und stets bemüht, es allen recht zu machen. Heute, wenn sie so zurück blickt ... Sie hat nie den Absprung geschafft.
Vor sechs Jahren wäre wohl die ideale Möglichkeit gewesen. Anna wollte unbedingt eine neue Wohnung. Gerd nicht. Dummerweise wollte er aber auch nicht allein in der alten Wohnung bleiben. Als er merkte, wie ernst es Anna war und dass sie auch ohne ihn ausziehen würde, war er plötzlich Feuer und Flamme. Eine von vielen verschenkten Chancen.
'Es lässt sich nicht ändern. Die Zeit istvorbei. Muss ich halt nach vorn blicken. Auch wenn ich die Hälftemeines Lebenshinter mir habe, meine Zeit kommt. Irgendwann. Und jetzt Schluss mit der Grübelei. Das Tagebuch ist abgeschlossen und jetzt geht’s an neue Aufgaben.' Das fünfte Arbeitsheft der Schule „Seminare im Fernstudium“ hervorholend, konzentriert sich Anna auf die nächste Hausaufgabe. „Schreiben Sie eine Kriminalgeschichte, in der der Page Guillaume Rabsteing (Geliebte von Marguerite) von seinem Herrn Raymond de Roussillon geköpft und sein Herz herausgeschnitten wurde. Roussillon soll seiner Frau das Herz gebraten vorsetzen und
ihr zum Nachtisch den Kopf des Pagen servieren.Redewendungen: 'Welch ein süßes Gedenken, das mir die Liebe so oft gibt!','Hat es geschmeckt?' und 'Ich möchte mir durch nichts mehr den herrlichen Geschmack verderben lassen.' sollen dabei eine Rolle spielen.“ 'Ist ja wohl auch mal eine Aufgabe mit vielen Herangehensweisen. Was haben wir in dem Heft gelernt? Wahl der Perspektive. Erzähle ich die Geschichte oder bin ich nur Beobachter? Externer Erzähler, interner Erzähler, allwissender Erzähler? Das ist einfach schon wieder zu viel für mich. Nachdenken. Püh. Einfachschreiben.'
"Liebe süßsauer serviert" De Roussillon stand auf der Terrasse des großen Salons, ein Glas Cognac der Hand und blickte über das Lichtermeer der nahegelegenen Stadt, als er plötzlich die Stimme seiner Frau aus der Halle hörte. Seit Stunden schon wartete er auf sie. Marguerite war am frühen Nachmittag zu einem Treffen in die Stadt gefahren. Oh, er wusste, mit wem sie sich treffen wollte und die Eifersucht machte ihn schier rasend. Heute! Heute sollte es so weit sein. Der richtige Zeitpunkt, seine schon so lang ersehnte Rache in die Tat umzusetzen. Er hatte alles schon vorbereitete. Und da war sie endlich, seineFrau. „Guillaume!“
Die junge Frau legte Hut und Mantel ab und rief erneut leicht gereizt nach dem Pagen. Aber nichts, keine Antwort. Es war merkwürdig ruhig im Haus. Nervös und voller Unbehagen lies sie ihren Blick durch die Halle, über die breite Freitreppe und die Galerie schweifen. Diese seltsame Stille im ganzen Haus beunruhigte sie. Keine Dienstboten eilten geschäftig durch die Zimmer und auch von Guillaume de Rabsteing war nichts zu sehen. Seine Abwesenheit und nicht zu wissen, was hier vor sich ging, machten ihr große Sorgen. Irgendetwas stimmte nicht. Hastig begab sich Marguerite deRoussillon hinauf in ihre Gemächer, immer hoffend, ihr ungutes Gefühl würde sie trügen. Doch ihre Hoffnung
erfüllte sich nicht. Kein Zeichen, keine Nachricht! Guillaume war nicht da, genau so wenig, wie er zu ihrem geheimen Treffen in die Stadt gekommen war. Sie hatte voller Sehnsucht auf ihn gewartet, Stunde um Stunde. Aber er kam nicht. Noch nie hatte de Rabsteing eines ihrer Treffen versäumt. Zu groß waren ihr gegenseitiges Verlangen und Zuneigung gewesen, als dass sie irgend etwas aufgehalten hätte. Nicht so heute. Es musste etwas vorgefallen sein. Sie schrak aus ihren Gedanken auf, als die große Standuhr im der Halle Achtschlug, Zeit für das Dinner. Die Tradition wurde im Hause de Roussillon hoch gehalten. Sicherlich würde Raymond schon wegen ihrer Verspätung erzürnt sein. Marguerite zwang sich zur Ruhe.
Sie machte sich frisch, kleidete sich zum Dinner um und begab sich in den großen Salon. Ihr stockte fast der Atem. Das hatte sie nicht erwartet. Der Salon war in warmes Kerzenlicht gehüllt. Der Duft eines Blumenmeers schwängerte die Luft. Auf der festlich gedeckten Tafel inmitten des Zimmers häuften sich auserlesenen Speisen und Getränke. Marguerites Gedanken wirbelten durcheinander. Was sollte das? Was hat das alles zu bedeuten? Sie konnte keine Erklärung für einen derartiges Arrangements finden. Raymond, der von der Terrasse ins Zimmer trat, genoss sichtlich das Erstaunen seiner Frau und ein teuflisches Grinsen huschte über sein Gesicht. Mit spöttisch, leicht zynischem Tonfall meinte er:
„Na meine Liebe, wie war dein Treffen? Du bist spät, heute Abend.“
Marguerite zuckte zusammen als er ihr seine Hand auf die Schulter legte. Sie hatte ihn nicht kommen hören.
„Was hat das alles zu bedeuten? Wo sind denn alle Angestellten? Wo ist Guillaume? Ich verstehe nicht!“
Ihre Stimme verriet ein leichtes Zittern. Panik machte sich in ihr breit. Sein Grinsen wurde breiter. DieseSituation bereitete ihm ganz ohne Zweifel Freude. Er hatte die Fäden in der Hand und die Macht sein perfides Spiel in die Tat umzusetzen.
„Wir feiern unseren Abschied.“ Dabei prostete er ihr zu.
„Hast du gedacht, ich wüsste nichts von euren
heimlichen Treffen, euren Liebesstunden? Du hast mich hintergangen, mich betrogen. Ha, Guillaume! Er ist heute nicht gekommen? Ich habe ihn ...“
Raymond blickte auf das Glas in seine Hand und fuhr nach kurzer Überlegung fort: „Guillaume weilt nicht länger unter uns. Er hat uns für immer verlassen.“
Marguerite konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken. Sie war bei den Worten ihres Mannes kreidebleichgeworden. Ihre Knie drohten nachzugeben. Sie krallte ihre Fingernägel in die Lehne des nahe gelegenen Sessels, um nicht den Halt zu verlieren. De Roussillon sah dies mit Genugtuung.
„Sei doch nicht so dramatisch, Marguerite. Ihr
habt euch wahrlich verdient. Er ist ganz dein, mit Herz und Kopf. Das war mir in dem Moment klar, als er bei seinem Abgang meinte: 'Welch ein süßes Gedenken, das mir die Liebe so oft gibt!' Wenn dieser Abend, den du mit mir verbringen wirst, zu Ende ist, kannst du ihm gern folgen. Ich werde dich nicht halten. Aber nun lass uns zu Tisch gehen.“
Seine Stimme klang kalt, seine Augen funkelten, doch sonst verriet sein Gesicht keinerlei Emotionen. Marguerite hatte sich etwas gefasst und lies sich von ihrem Gatten an den Tisch geleiten. Er füllte ihr Glas mit vollmundigen rubinroten Wein. Blut, schoss es ihr durch den Kopf. Hatte ihre Phantasie ihr soeben einen Streich gespielt? Raymond
erhob sein Glas auf diesen wunderschönen Abend und konnte nicht umhin zu bemerken, dass dieser Wein das Blut von reifen Früchten sei. Seine Frau hingegen kämpfte gegen die erneut aufsteigende Panik und zwang sich zur Ruhe und Gleichgültigkeit.
Sie widmete sich schweigend ihrem Hauptgericht, lüftetet die Tellerhaube und sah eine mit Liebe angerichtete Speise,Herz „süß-sauer“ mit Püree von Süßkartoffeln und verschiedenen Gemüsen.
Obwohl Marguerite keinen großen Appetit verspürte, verspeiste sie, wie von einer inneren Stimme getrieben, das Herz.
„Nun, hat es dir geschmeckt meine Liebe?“ Raymond saß ihr mit zusammengekniffenen Augen erwartungsvoll gegenüber und konnte
kaum seine Spannung auf den nächsten Gang verbergen.
„Dann lass uns den Nachtisch genießen!“ Triumphierend und voller Glücksgefühle eröffnete er ihr das Dessert.
Auf dem Tablett sah Marguerite den Kopf ihres geliebten Guillaumes. Mit einem Mal fiel jegliche innere Spannung und Unruhe von ihr ab. Große Ruhe und Kälte machten sich in ihr breit.
Gelassen stand Sie auf und zischte ihren Mann kaum hörbar an: „Du Wahnsinniger! Aber du hast Recht! Er gehört mir, mit Herz und Kopf! Ich danke dir!“ Ein befreiendes Lachen entrang sich ihrer Kehle. Sie griff den Kopf und auf dem Weg zur Terrasse meinte sie triumphierend an ihren Mann gewandt:
„Ich möchte mir durch nichts mehr den herrlichen Geschmack verderben lassen!“ Dann sprang sie in die Tiefe.
(c) ABS 'Ha, spitzenmäßiger Krimi. Denke ich zu wenigsten. Also ab die Post und mal schauen, was das Stiftilein dazu sagt.Wirdeh eins meiner letzten Werke sein. Danach wird’s nur noch ... na ja.Drehbücher und so was will ich nicht schreiben und Gedichte kommen dann auch schon wieder. Also, ich merke schon, wieder ein Projekt, welches ich nicht zu ende führe.' Anna zuckt mit den Schultern. Sie kann es nicht ändern. Es liegt ihr eben nicht. Damit
macht sie sich an ihre Mail, weil noch Bewertungen zu vorangegangenen Arbeiten ausstehen. 'Oh ja, die Einschätzung zu meinen „Gedanken am Morgen“. Mal seh'n, ob die das Kurtchen aus der Fassunggebrachthaben.' Liebe Frau Schulz, Ihre »Gedanken am Morgen« sind ein echter innerer Monolog. Wir verfolgen hier praktisch, was in Ihrem Kopf vor sich geht, wie Ihnen an diesem Morgen zumute ist, woran Sie denken, welche Besorgnisse Sie haben und wie Sie alles für die Menschen, mit
denen Sie zusammenleben, zubereiten und einrichten. Dabei haben Sie die Sprache dem assoziativen Denken angepasst. Das haben Sie sogar formal erkennbar gemacht, indem Sie größere Lücken zwischen den einzelnen Abschnitten gelassen haben. So erscheinen dieseWortgruppen wie Gedankenfetzen, die Ihnen durch den Kopf schießen. Das alles sind Wortgruppen, die wie Gedankenschnipsel wirken, letztlich aber doch für den Leser ein Bild ergeben: Hier ist jemand mit seiner Gesundheit beschäftigt und damit, es seinen Lieben recht zu machen. Das haben sie sehr gut dargestellt. Der Leser befindet sich praktisch im Kopf des Erzählers und nimmt wahr, was dieser wahrnimmt. Das ist Ihnen überzeugend
gelungen. Dabei ist man selbstverständlich immer in der Gefahr, unverständlich zu werden. Wenn Sie den Leser nicht mit klaren Signalen wach halten, wird er einen Text sofort beiseitelegen. Deshalb muss ein innerer Monolog das Intime des Vorganges hervorkehren: Wir haben auf einmal Einblick in den Geist eines Menschen. Das ist der Reiz, der von dieser Textform ausgeht. Und diesen Reiz haben Sie hervorragend bedient. Das ist nur dann möglich, wenn der Leser wirklich etwas erfährt, was sonst nicht zur Sprache gekommen wäre, etwa eine ganz andere Einstellung zum Leben oder zum Beruf, als sie offiziell sag bar wäre. Oder wenn der innere Monolog in einer Geschichte stattfände, dann könnte er zu einem neuen
Bild des Menschen dienen, um den es hier geht. Das ist keine Kritik an Ihrem Text, sondern ein Versuch, dieseTextform literarisch einzuordnen. Mit freundlichen Grüßen Ihr Kurt Stift 'Okay, also nichts auszusetzen gehabt. Binich halt auch zufrieden. Hm. Nächste Aufgabe, damit ich fertig werde? Ach nee lieber nicht.' Anna legt die Studienunterlagen beiseite und überlegt, was sie sonst noch so anstellen könnte. Schließlich hat sie alle Zeit der Welt. Lesen ist momentan nicht angesagt. Spielen
im Internet mag sie auch nicht. Was dann? Anna seppt gelangweilt durch einige Seiten, schaut bei Seniorbook, was es da Neues gibt,blättert weiter auf FanFiktion und vorablesen. Aber nichts kann sie so richtig befriedigen. Dann sucht sie „Bücher schreiben und veröffentlichen“.
Nicht, dass Anna ein Buch geschrieben hätte. Das Projekt mit dem Tagebuch wurde ja verworfen. Doch einfach mal schauen, ob und wie andere Menschen schreiben oder welche Ratschläge Anna bekommen könnte, das würde sie schon interessieren.
So landet Anna auf myStorys.
'Anmelden oder nicht? Schaden kann es nicht. Trotzdem. Lieber nicht.'
Dann arbeitet sie sich durch die verschiedenen Seiten. Sie liest hier eine Geschichte und dort ein Gedicht. Dabei denkt sie nicht nur ein Mal, so müsste man schreiben können. 'Ob es wohl jemanden stört, wenn ich hier nur lese und keine eigenen Werke einstelle? Wenn ich nicht auf mich aufmerksam mache, dann merkt auch keiner, dass ich hier bin. Die sind auch alle noch so jung. Boah .... und schreiben ... tja sie schreiben alle schon immer. Ich nicht. Vielleicht bin ich ja doch schon zu alt, um jetzt noch zu beginnen. Werde mich erst ein bisschen einlesen und wenn's mich überkommt ... dann kann ich
immer noch schreiben.'
Anna hat gefunden, was sie gesucht hat. Sie liest und blättert, holt sich Inspirationen, durchforstet Fragen und Anregungen und landet letztlich bei lustigen Spielchen. Wenn sie jedoch hier mitmacht, werden andere auf sie aufmerksam. Dann lieber nicht. Nach Stunden verlässt Anna die Community wieder und widmet sich zum Tagesende ihrem Blog, um ihre Leser auf dem Laufenden zu halten. 15. Eintrag Hallo Leute, ich bin allein.
Mein „Göttergatte“ ist für ein paar Tage zum Angeln gefahren. Wisst ihr, was das heißt? Ich kann tun und lassen, was ich will. Morgen früh muss nicht der Wecker um fünf klingeln.
Ich habe das ganze Ehebett für mich zwei mal zwei Meter. Wenn ich mich diagonal reinlege , wen stört's. Keiner schnarcht in meinem Rücken oder pustet mir ins Genick. Es wird herrlich werden. So, was noch?
Also, Projekt Tagebuch endgültig abgehakt. Aber... ich bin jetzt bei myStorys angemeldet. Vielleicht überkommt's mich ja irgendwann mal was anderes zu schreiben. Da sind echt irre Typen und die können schreiben. Bin schon ganz grün vor Neid. Ja, ja ich weiß. Dran bleiben. Ich brauche den sozialen Kontakt. Hab auch nicht vor, da so schnell wieder zu verschwinden. ... Was noch? Eigentlich nichts. Ich schaue immer noch so aus wie immer. Mein Gewichthängt an mir. Bin halt zu gut zu meinen Pfunden. So lange ich
nicht schnaufend durch die Gegend wälze, ist das auch ok. Muss mich eben nur so annehmen, wie ich bin. Doch, doch. Ich bleibe auf jeden Fall am Ball. Fitnessstudio ist immer noch angesagt. Schule mit den Erstis und Zweitis ist noch angesagt. Also alles kein Thema. So meine Süßen, das wäre es denn mal für heute. Gehe jetzt in mein Riesenbett. Bis demnächst wieder.
16. Kapitel
Anna hat in den letzten Wochen nichts gelesen. Ihr fehlte irgendwie die Muse dafür. Neue Bücher stapeln sich schon im Regal und von „vorablesen“ hat sie auch schon eine Erinnerung bekommen, doch endlich ihre Rezession für das letzte Buch abzugeben. Doch irgendwie ist die Luft raus. Zum Glück steht das alljährliche Wellnessprogramm an. Erst vor zwei Wochen war Gerd mit seinen Arbeitskollegen zum Angeln gewesen und das nun kommende Wochenende gehört ganz allein Anna und ihren Töchtern. In diesem Jahr geht’s auf die Bastei in der Sächsischen Schweiz.
Die Koffer sind schon gepackt und eine große Programmliste liegt auch schon parat. Es kann also losgehen.
'Programmliste. Boah. Das heißt, in Dresden den Onkel besuchen und mit ihm die Stadt unsicher machen. … Zwinger, grünes Gewölbe, Frauenkirche und so. Einen Tag wollen wir wandern gehen. Na ob das was für die Lütte ist? Schau'n wir mal. Na und dann viel Massagen, Kosmetik und so'n Weiberkram halt.'
Weiberkram. Bei dem Gedanken muss Anna lachen. Eigentlich ist es ja nicht nur was für Frauen. Den Männern würde das auch gut Gesicht stehen. Aber die müssen ja zu Hause
bleiben. Notgedrungen und mit mürrischem Gesicht. Anna überlegt, ob sie ihren Laptop mitnehmen soll oder nicht. Nebenbei so ein paar Spielchen, vielleicht auch bei myStorys die eine oder andere Geschichte lesen, ein wenig am Tagebuch weiterarbeiten...
'Ach lieber nicht. Soll Erholung sein. Dann arbeite ich jetzt lieber schnell noch etwas ab. Oh Gott. Wie bekloppt bin ich eigentlich. Tagebuch. Ist doch Schnee von gestern. Wenn ich es recht bedenke, fehlt mir jetzt etwas. Aber zu Ende ist zu Ende. Bleibt also nur noch dasSeminar.'
Enttäuscht holt Anna ihre Studienordner hervor. Das Tagebuch durch zu arbeiten hat
ihr schon Spaß gemacht, auch wenn sie sich das so nicht eingestehen würde. So schaut sie schnell nach, ob sich nicht noch eine verirrte Beurteilung von Herrn Kurt Stift in ihren Mails versteckt hat.
'Ups. Was ist das denn? Dr. Jurasch, Dieter? Hä? Wer ist... ach, der neue Sonderschullehrer. Oh man, was will der denn?'
Dr. Jurasch hat Anna in der vergangenen Woche angesprochen.
„Sie schreiben für die Kinder kleine Geschichten?“, hatte er gefragt. Anna meinte, dass sie diese als Lesepate ganz ok findet und kleine Rätselspiele darauf
ausrichtet.
Jurasch war ganz begeistert und hat Anne den Vorschlag gemacht, doch mal in den Schreib- und Lesezirkel zu kommen, in dem er hobbymäßig tätig ist.
Das wäre das Letzte, was Anna besuchen würde.
Einen Schreib- und Lesekreis.
Auf gar keinen Fall. Da sitzen Leute, die mit einem reden wollen.
Nichts für Anna.
Nicht ohne Grund hat sie sich eine Schule für ihr „Kreatives Schreiben“ im Internet ausgesucht. Jetzt soll sie vor wildfremden Menschen vorlesen und reden?
Sie öffnet die Mail:
„Hallo Frau Schulz,
ich würde mich freuen, wenn Sie mich am nächsten Mittwoch zu meinem Zirkel begleiten würden. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, aber ich habe den anderen Teilnehmern schon von Ihren Arbeiten vorgeschwärmt. Nun sind alle mächtig gespannt auf Sie.
Ihr Dieter Jurasch.“
'Man oh man. Das hat mir gerade noch gefehlt. Dussel, der. Eigentlich müsste er jetzt die Suppe allein auslöffeln, die er sich eingebrockt hat. Boah.'
Unwillig und mit zerknirschtem Gesicht schreibt Anna, dass sie sehr gern mit kommen würde. Sie kann eben nicht NEIN sagen. Die nächste Mail war dann doch noch von Kurt Stift. Es war schon die Einschätzung zum erst letztlich eingereichten Krimi. Gespannt liest Anna, wie diese ausgefallen ist.
Liebe Frau Schulz,
herzlichen Dank für Ihre schöne Geschichte von dem finsteren Guillaume und seinem bestialischen Mord an dem Geliebten seiner Frau, der sie in den Selbstmord treibt. Sie haben die Geschichte mit sehr viel Spannung und überzeugend erzählt. Sie haben sich im
Wesentlichen an die Einheit von Ort, Zeit und Handlung gehalten, an eine geschlossene Dramaturgie. Das ist sehr gut. Geschichten und Episoden sollten möglichst zur selben Zeit und im selben Raum ablaufen (Einheit von Ort, Zeit und Handlung). Das ist zwar eine Forderung aus dem Theater, aber auch Geschichten sollten immer wieder daraufhin geprüft werden, ob sie dieser Einheit genügen können. Für diese Geschichte haben Sie das überzeugend gelöst. Die Geschichte sollte so geformt werden, dass Sie die Handlung an dem Tag und in der Stunde ablaufen lassen, da die entscheidende Wende geschieht. Die Forderung nach der Einheit von Ort, Zeit und Handlung ist noch heute gültig. Sie können
das auch auf die Erzählung anwenden. Jeder Orts- und Zeitwechsel entfernt den Leser vom unmittelbaren Geschehen. Wenn aber berichtet wird, ist der Leser nicht mehr so stark emotional engagiert wie wenn er einer dramatischen Handlung folgt. Deshalb ist es gut, sich vor dem Schreiben Gedanken zu machen, wann sich die Handlung abspielt, die man beschreiben möchte, und welchen Zeitraum sie umfasst. Ist das geklärt, sollten Sie sich um die innere Struktur Ihrer Handlung kümmern. Dazu gehört zunächst die Frage, aus welcher Perspektive Sie schreiben. Ich habe in Ihrer Geschichte die Perspektivwechsel vermerkt. Sie beschreiben wechselseitig, einmal aus der Perspektive des Grafen, einmal aus der Perspektive der
Gräfin. Das ist theatermäßig gedacht, denn auch da vermitteln sich die Figuren mit der jeweiligen Zielsetzung, die sie verfolgen. In der Literatur können Sie aber anders vorgehen, nämlich so, dass Sie das ganze Geschehen aus nur einer Perspektive erzählen. Das könnte die Perspektive des Grafen sein, der mit einer teuflischen Genugtuung mit ansieht, wie seine Frau an seinen Taten zerbricht. Das könnte auch die Perspektive der Gräfin sein, die mit einer Vorahnung und mit wachsendem Entsetzen erkennt, welches Spiel der Graf für sie aufgebaut hat. Ich selbst hätte die Perspektive der Gräfin bevorzugt. Aber es gibt auch genügend Gründe, um den Grafen zu wählen, denn er überlebt das Geschehen
zunächst und könnte etwas weiter erzählen als Marguerite.
'Und ich habe mir ums solche Sachen halt keine Gedanken gemacht. Na und? Ist die Geschichte deshalb schlechter? Das Leben wird auch nicht nur von einer Seite betrachtet. Ts.'
Nun folgt aber die Feinstruktur der Geschichte. Dabei können Sie sich nach dem Spannungsbogen richten. Eine Geschichte ist wohl geformt, wenn sie dem Spannungsbogen folgt. Nach dem Spannungsbogen müsste die Geschichte die Elemente „Einleitung“, „Orientierung“, „Konflikt (Verwicklung, Problem)“,
„Bewertung“, „Auflösung“ und „Schluss“ enthalten. Im ersten Drittel des Textes sollte …
'Jetzt geht das mit dem Spannungsbogen schon wieder los. Hab ich doch schon erklärt, das ich damit nix anfangen kann.'
Sichtlich genervt von der Beurteilung, überfliegt Anna die nächsten Zeilen. Eine Geschichte zu erzählen, heißt, aus der an sich grenzenlosen Wirklichkeit ein Stück herauszufiltern, einen Anfang zu setzen, eine Idee zu entwickeln und einen erzählerischen Kern. Geschichten aber werden von dem erzählerischen Kern und von ihrem Ende her geschrieben. Denn Geschichten sollen auf
die eine oder andere Art ihre Leser fesseln. Das erreichen Sie dadurch, dass Sie die Geschichte um ihren erzählerischen Kern herum erzählen. Den erzählerischen Kern einer Geschichte finden Sie dadurch, dass Sie die Frage beantworten: „Wo liegt das Problem (meiner Hauptfigur? In meiner Geschichte?).“ Die dramatische Situation ist dieselbe, einerlei, ob Sie aus dem Blickwinkel des Grafen oder den der Gräfin das Geschehen betrachten. Aber jeweils aus einem anderen Grund.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Kurt Stift
'Mache ich mir wirklich so viele
Gedanken, wenn ich eine Geschichte schreibe? Ich lege einfach los.'
Und wieder einmal kommt Anna zu dem Schluss, wenn man beim Schreiben so wissenschaftlich an die Dinge herangehen muss, dann ist dies mit Sicherheit nichts für sie. Aber trotzdem ist da noch eine letzte Aufgabe, die Anna lösen möchte im Studienmaterial.Wohl gemerkt, die die Anna lösen möchte. Danach ist nichts, was Anna reizen könnte. 10 Normseiten eines Drehbuches. Ab diesem Moment schmeißt Anna das Handtuch.
'Okay, die letzte Aufgabe und dann adieu Studium. Für die Geschichten der Kids
ist mein Können gerade gut genug. Dann muss ich ja noch in diesen komischen Zirkel. Wer weiß, was die von mir erwarten.'
Doch im Moment widmet sich Anna der letzten Aufgabe.
„Zeitungsnotiz: ...stürzt ein alliierter Flieger, dessen Fallschirm sich nicht geöffnet hatte, in ein Treibhaus. Ein Berg geernteter Tomaten rettete ihm das Leben. Schreiben Sie die Zeitungsnotiz in eine Geschichte um. Schilder Sie die Augenblicke, der Einsicht, dass sich der Fallschirm nicht öffnen würde bis hin zur Überraschung, dass der Flieger überlebt hat.“
'Da wollen die doch nun bestimmt,
wissen, welche Position ich beziehe. Bin ich der Flieger? Der Dorfbewohner? Oder bin ich ein neutraler Erzähler? Hab ich die Geschichte irgendwo gehört. … Hm. Ich erzähle eine Geschichte, die ich gehört habe. Genau.'
"Tomaten retten ein Leben"
Es war Ende des zweiten Weltkrieges als dieser Mann einfach so vom Himmel fiel. Oh ja, er fiel vom Himmel, im wahrsten Sinne des Wortes. Alles begann mit dem Motorengeräusch eines Flugzeuges, welches die Bewohner eines kleinen Dorfes misstrauisch beobachteten. Sie starrten gespannt und fragend in den Himmel. Einer
von uns? Ein Feind? Wieder ein Aufklärer? Plötzlich, da! War das ein Fallschirmspringer? Was mag der hier wollen? Wo wird er wohl runter kommen? Alle murmelten aufgeregt durcheinander. Sie ließen den immer größer werdenden dunklen Punkt nicht einen Augenblick aus den Augen. Er fiel und fiel. Doch was war das? Wäre es nicht schon längst an der Zeit gewesen, den Fallschirm zu öffnen? Doch er tat es nicht. Da wird doch nicht vielleicht etwas passiert sein? Vermutungen wurden angestellt, die von einem Defekt am Fallschirm bis hin zur Bewusstlosigkeit des Springers reichten. Sollte sich da nicht zu mindestens der Ersatzschirm öffnen? Aber nichts geschah. Er fiel und fiel. Schon konnten die Leute
einzelnes Details des Springers erkennen. Jeden Moment musste er aufschlagen. Neunhundert, achthundert, siebenhundert... Eine wilde Aufregung machte sich auf dem Marktplatz des kleinen Dorfes breit. Vierhundert, dreihundert, zweihundert... er fiel und fiel. Die jungen Leute rannten los. Da hinten, hinter der Gärtnerei musste er einschlagen. Und dann? Was sollten die Einwohner der kleinen Ortschaft dann machen? Ein ohrenbetäubendes Klirren und Bersten von Glas waren zu hören. Oh nein! Er musste ins Treibhaus gefallen sein. Er konnte den Sturz nicht überlebt haben. Auf gar keinen Fall. Man konnte nur hoffen, dass der Schaden am Treibhaus nicht so groß war, denn hier wurden Obst und Gemüse für
die Verpflegung des deutschen Heeres gezogen. Ein Oh und Ah durchlief die Menschenmenge, die am Treibhaus angekommen war. Sie sahen, dass aus den Trümmern des Treibhauses ein blasser, über und über blutverschmierter junger Mann in Fallschirmuniform schwankte. Dass er noch lebte, konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Er taumelte Halt suchend auf die Dorfbewohner zu. Und dann sahen es alle ganz genau. Es war kein Blut an ihm. Tomaten! Es waren Tomaten. Er war auf einem Berg frisch geernteter Tomaten gelandet. Ein Aufatmen, große Erleichterung und Freude erfasste die umstehenden Menschen. So haben die Tomaten, die für die deutsche Wehrmacht bestimmt waren, einem,
wie sich später herausstellte, Fallschirmspringer der alliierten Streitkräfte das Leben gerettet.
(c) ABS
'Na das habe ich ja mal wieder fein hinbekommen. Und egal, was das Stiftchen sagt. Nichts kann mich mehr erschüttern.'
Mit diesen Gedanken wurde die Geschichte sofort angeschickt. Noch blieb ein wenig Zeit, um schnell den heutigen Eintrag in ihren Blog einzutragen und den Leuten die neusten Neuigkeiten mitzuteilen. Danach muss Anna das bisschen Haushalt schmeißen und bald steht dann ihr Göttergatte auf der Matte und verlangt nach seinem Kaffee.
16. Eintrag
Hey Leute, das war gerade mal die letzte Aufgabe für „Kreatives Schreiben“. Ich schmeiße das Handtuch. Schluss, aus, vorbei. Ich weiß, wieder ein abgebrochenes Projekt. Hey, muss wohl an den fehlenden Sternschnuppen liegen. Ihr erinnert euch, vor nun fast einem Jahr? Ich hab keine gesehen. Kein Wunder, dass ich nix auf die Reihe bekomme. Ha, ha, ha … Wunder. Genau. Werde ich wohl wirklich und wahrhaftig alles alleine bewerkstelligen müssen. Wobei, lange ist es ja nun auch nicht mehr hin, bis zum nächsten Sternenschauer. Sollte ich vielleicht nochmal einen Anlauf starten? Morgen fahre ich wieder mit den Mädels zum Wellness.
Dieses Mal geht’s auf die Bastei. Vielleicht ist ja Besuch der Felsenbühne Rathen drin. Haben die jetzt eigentlich schon Vorführungen? Muss ich dann gleich mal schauen. Hm... am Mittwoch muss ich zu irgend so einem Leseabend. Der neue Soziallehrer hat mich dazu eingeladen. Grins... grins... grns... Da läuft nix und dieser Hobbyzirkel ist auch nichts für mich. Muss ich ja raus unter Menschen. Okay, stand irgendwo in meinem Vorhabenkatalog. Soziale Kontakte pflegen. Aber doch nicht sofort. Schaut mich mal an. Hab noch nicht ein Gramm abgespeckt. Kann ich unmöglich unter Menschen. … Der Sozi-Pädagoge? Hm... von der Bettkante würde ich ihn wahrscheinlich nicht schubsen. Aber was soll
der denn mit mir. Wie der ausschaut? Ich hätte ihn nicht für einen Lehrer gehalten. Mittleren Alters, stämmig, Glatze und ein Bärtchen, Ohrring. Ich glaube, die Kinder finden den cool. Mal was anderes als immer die Möchtegerntussis. Ich glaube, so in den Schulen und sogar in Kindergärten sind Männer gefragter. Meist haben die Kinder zu Hause schon den Zugang zu Frauen sprich Müttern und meist fehlt der Vater. Sei es nun, weil es keinen gibt oder er zu viel arbeiten muss. Aber in der Kita und Schulen steh'n sie kostenlos zur Verfügung. So ihr Schneckchens. Schluss für heute.Melde mich dann nächste Woche wieder. Dann erzähle ich euch alles über die Wellness und … ja natürlich dem Literaturzirkel. ----Lach---
17. Kapitel
'Nägel feilen, polieren... Ich war noch nie zur Maniküre. Aber die macht das toll. … und meine Nägel sind sogar lang genug. Brauche nicht mal künstliche Dinger.'
Anna schaut ganz gespannt zu, wie ihre Fingernägel in Form gebracht werden. So was kann sie sich nur im Wellness-Urlaub leisten. Also ein Mal im Jahr.
Und während sie der Angestellten auf die Finger starrt, fallen ihr Worte von ihm ein. Er hat mal ein Gedicht über die Maniküre ihrer Fingernägel geschrieben. Anna ist ganz begeistert davon.
'Was hat er doch gleich geschrieben? Er hat sie beobachtet beim Feilen, Polieren, Lackieren... ach ja beim Wedeln, damit sie schneller trocknen... und er war ganz gefesselt, von ihrer Art, von dem Geruch des Lacks, von der Farbe...'
Ein leiser Seufzer von Anna und ihr Gegenüber blickt sie verwundert und fragend an. Anna lächelt verlegen und meint es wäre nichts.
'Nichts. So kann man es nicht sagen. Was würde wohl Gerd dazu sagen. Würde er es auch erotisch anregend finden, wenn er mir beim Nägel lackieren zuschauen würde. Wahrscheinlich nicht. Ihm würde es
stinken, wenn er es denn bemerken würde.'
Gerade kann Anna einen weiteren Seufzer unterdrücken. Was sollte auch die Nageldesignerin oder wie auch immer die Maniküreladys heißen von ihr denken. Ein zufriedener Blick auf ihre Hände, die oval gefeilten und mit einem Klarlack verschönerten Nägel und die Frage, ob es ihm auch gefallen würde. Mit einem entrückten Lächeln um ihren Mund bedankt sich Anna und macht sich auf den Weg, ihre Töchter zu treffen.
'Die müssten mit ihrer Pediküre eigentlich auch schon fertig sein. … und dann schauen wir uns mal ein bisschen hier um.
Einen Spaziergang durch den Wald runter nach Rathen... Na schau'n wir mal, wie fit die beiden Damen sind. '
Zsuzsa und Fanny sind noch nicht da und so setzt sich Anna auf eine der vielen Bänke und beobachtet die vorbeiziehende Menschentraube.
'Bestimmt wieder so ein Touristenbus angekommen. Lassen sich hier hoch fahren, stellen sich auf die Basteibrücke. Ein Foto hier und eines da und fertig. … Mittagessen und dann weiter mit dem Bus. … Ätsch, wir waren auf der Bastei. War ein toller Ausflug....'
Anna verdreht die Augen. Sie ist mehr oder weniger hier in der Sächsischen Schweiz aufgewachsen und weiß, hier muss gewandert werden. Berg rauf und Berg runter. Ob sie ihre Töchter davon überzeugen kann? Ach bestimmt. Der alte Mann ist nicht dabei und da können sich die drei Frauen auch ruhig mal ein bisschen daneben benehmen. Mal ein Lied ganz laut schmettern oder andere Wanderer „von der Seite anmachen“ und keiner zieht dabei ein fieses finsteres und abgenervtes Gesicht. „Hallo, hallo, halloho. Zeig her deine Krallen.“, so begrüßt Fanny ihre Mama. Äußerst zufrieden mit dem Ergebnis meint sie, dass es nichts schaden könne, wenn sich Anna öfter mal ein wenig aufpimpt.
Schließlich sei sie noch keine alte Schachtel. Zsuzsa hat sich mittlerweile auch die manikürten Hände angeschaut und überlegt, ob das wohl noch in ihren Budget drin sei. Dann ein Zwinker Zwinker und Anna weiß sofort Bescheid, dass diese Kosten wohl auf ihrer Rechnung landen würden.
„Okay, aber nur, wenn du ohne Rummotzen jetzt mit uns nach Rathen runter wanderst. … Ähm … und natürlich auch wieder herauf... Wie war das gleich? Zwinker, Zwinker.“
Dabei zwinkert Anna nun ihrerseits ihrer Tochter zu und grinst sie schief an. Also dann wandern. Hinunter nach Rathen entscheiden sich die drei für einen, nun man kann sagen einfachen Weg. Keine Stufen.
Gut begehbarer Wanderpfad. Vielleicht ein
wenig voll. Aber da haben sie zu wenigsten „Lästermaterial“. Der Weg endete fast in der City, so fern Rathen eine City hat. Keinesfalls auf dieser Elbseite. Mit etwas Proviant aus dem Tante-Emma-Laden setzen sich Anna und ihre Töchter an die Elbe und genießen den schönen Tag.
'Mal so auf der Elbe mit 'nem alten Lastkahn runter schippern. Boah, das macht bestimmt auch Spaß. Eigentlich ganz schön hier. Bestimmt wäre den anderen bei „myStorys“ schon wieder jede Menge schöne Worte eingefallen, um diese Idylle hier zu beschreiben. Hm.... ich kann das nicht.... Ach was soll's.'
„Na Ladys. Aufgemampft?... Können wir dann weiter?“ Anna schaut in die Runde und die Mädchen nicken zustimmend.
„Und wie geht’s jetzt weiter?“, wollte Zsuzsa wissen.
„Nun ich denke, wir schlendern am Amselsee hinter an der Felsenbühne Rathen vorbei. Vielleicht können wir ja da schon hinaufkraxeln. Ansonsten laufen wir zu den Schwedenlöschern weiter.“
Anna war schon lange nicht mehr hier. Aber so in etwa muss es gehen.
'Schwedenlöscher. Immer die Treppe rauf, rauf, rauf und dann … oh, ich glaube, da kommen so enge Stellen.... hoffentlich passe ich da durch.'
Bei dem Gedanken entgleisen Anna die Gesichtszüge.
„Was ist dir denn?“ Fanny findet die von ihrer Mutter vorgeschlagene Route nicht so prickeln, nachdem sie ihr Gesicht gesehen hat. Anna erklärt, an was sie gerade gedacht hat und fragt ihre Töchter, was passiert, wenn sie stecken bleiben sollte. Zsuzsa prustet augenblicklich los.
„Dann zieht der Eine von vorn und der andere schiebt, bis es blubb macht und du durch bist. Außerdem steht bestimmt 'ne Warntafel da irgendwo rum, wo drauf steht, -Für Personen über 150Kilo gesperrt-“ und dabei krümmt sie sich vor Lachen.
'Wer den Schaden hat, braucht für den
Spott nicht zu sorgen. Na warte mein Kind. Irgendwann kann ich mich bestimmt revanchieren.'
So laufen die drei Frauen gemächlich in Richtung Amselfall, schauen hier und da, gönnen sich unterwegs ein Eis auf die Hand und machen sich über Diesen oder Jenen lustig. Sie flirten mit fremden Männern, schnaken mit deren Frauen und ehe sie sich versehen, stehen sie vor den ersten Stufen, die sie hinauf müssen. Die Touristen, die die Treppen herunter kommen, grüßen und mit einem hämischen Grinsen wünschen sie viel Erfolg beim Aufstieg. Dabei schießt es Anna durch den Kopf, ob diese Wünsche wohl eher sarkastisch oder ernst gemeint sind.
Egal wie, sie müssen wieder nach oben. Da oben steht das Hotel. Was bleibt also anderes übrig als sich da durch zu beißen.
'Nur keine Schwäche zeigen. Es reicht, wenn Zsuzsa mit äußerst kritischem Blick die Lage peilt. Arschbacken zusammengekniffenen und los geht’s.'
Oh der Aufstieg gestaltet sich als ein Wettbewerb aller noch oben wollenden Wanderer. Anna und ihr Mädels überholen jene, die sich gerade verschnaufen müssen und keine dreihundert Meter weiter ziehen selbige an den Schulzens vorbei. Immer einen witzigen Spruch auf den Lippen und der Aufstieg wird zu einer angenehmen
Kurzweil. Entgegen den Befürchtungen, dass Anna zu fett für manch einen Felsendurchgang sei, meistert sie diese doch ganz souverän. Die drei Frauen haben vergessen auf die Uhr zu schauen. Als sie nach gefühlten fünf Stunden endlich wieder auf der Bastei angekommen sind, bleibt ihnen nur eins. Wo sind die Betten zum hineinfallen? Zsuzsa sitzt ein zwei drei fix schon wieder mit ihren Laptop da, während Fanny und Anna noch leicht derangiert planen eventuell zum Relaxen ins Schwimmbad zu gehen.
„He Zsuzsa, Lust auf's Schwimmbad? Bisschen plantschen vorm Abendessen?“ Anna schaut ihrer Tochter über die Schulter.
'Hm. Würde ja auch zu gern mal im Internet nachschauen. Ob er wohl wieder da ist? Er hat schon lange bei keinem Spiel mehr mitgemacht. Aber melden kann ich mich auch nicht, dann werden andere auf mich aufmerksam. Das was ich nicht will.'
Seufzend wuschelt Anna ihrer Lütten durchs Haar.
„Na Los Ladys, dann woll'n wir mal runter zum Schwimmen.“
Später am Abend schreibt dann Anna doch noch in ihrem Blog.
17. Eintrag
Einen wunderschönen Gruß aus meinem
Wellnessurlaub auf der Bastei . Nun, eigentlich wollt ich mich nicht im Urlaub mit dem Internet beschäftigen, aber... ich konnte nicht anders. Gott was bin ich doch süchtig nach diesen Ding. Ich muss muss muss... Wellness.. sehr empfehlenswert. Und Leute, mir fehlt gar nichts. Kein Haushalt, kein Mann, rein nichts. Ich lass mich hier mal so richtig aufpimpen. Herkommen mit sechzig und wieder fahren mit vierzig. Grins. Ich weiß schon, was euch interessiert. Männer zum Aufreißen. Männer gibt’s hier schon. Toll. Lecker. Hm... aber nicht für mich. Ich kann das nicht. Merke gleich, dass ich mich in mir selbst verkrieche,sobald Wild in Sicht ist. Bei der Gelegenheit... Dr. Dieter Jurasch. Genau, der Sozi-Pädagoge. Leute, ich war bei diesem
Lesezirkel und ich muss es nicht noch ein Mal haben. Jeder starrt dich an.Ich kam mir vor ein Kaninchen auf der Landwirtschaftsausstellung oder für Kleintierzüchter. Ich hab von vorn herein gesagt, dass ich das nicht kann, aber nein, ich musste ja unbedingt zusagen. Nun, ich habe eine von meinen Kindergeschichten vorgetragen und eines meiner Kurzgeschichten vom „Kreativen Schreiben“. Die Kommentare der Anwesenden habe ich nicht mal wahrgenommen. Ich war so geplättet von dem was, die Anderen zum Besten gegeben haben, dass mir sofort klar wurde, dass die in einer anderen Liga spielen. Mein Besuch war da lediglich 'ne Gastrolle. Okay, ihr wollt wissen, was mit dem
Sozi-Pädagoge war. Nix. Er wollte gern noch auf ein Glas was auch immer in die benachbarte Kneipe, könnte auch ein gehobenes Restaurant gewesen sein. Keine Ahnung, ich war total von der Rolle. Also Einladung und bei mir legt sich mal wieder ein Schalter um. Nada, nix, niente. Ich kann das einfach nicht. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, das ich nach Hause müsste, da mich mein Mann erwartet. Oh Gott. Eine schlechtere Ausrede hätte ich mir auch gar nicht einfallen lassen können.Als ob Gerd zu Hause auf mich warten würde. Höchstens auf sein Abendessen. Aber da könnt ihr mal wieder sehen, wie verkorkst ich bin. Und bevor ich jetzt noch Selbstmitleid versinke, ertrinke, euch abnerve... Schluss für heute.
Einen Blick auf Zsuzsa sagte Anna, dass sie noch ganz schnell in ihre Mail schauen kann, ohne dass die Lütte motzt. Sie schaut sich mit der Großen irgend so einen Gruselschocker im Fernsehen an. Da ist sie in ihrem Element. Es muss sogar einer sein, den sie noch nicht kennt.
'Also die Mails. Oder doch lieber schnell nochmals zu myStorys? Ob er wohl wieder da ist?... Nee ist er nicht. Schade. Also dann doch die Mails.'
Enttäuscht öffnet Anna ihren Postordner und findet eine Nachricht von ihrem Proff.
'Stimmt. Da war ja noch die Einschätzung mit
dem Flieger fällig und das dürfte es dann gewesen sein. Ich hätt' ja zu gern ein Zertifikat aber dazu muss man alles erledigt haben und das will ich ja nicht. Lässt sich nicht ändern. Dann mal schauen, was der Kurt zu sagen hat.'
Liebe Frau Schulz,
Ihre Geschichte vom alliierten Flieger ist ausgezeichnet. Sofort fällt auf, dass Sie schon im Ansatz Ihrer Geschichte ein schwieriges Problem umschifft haben: die Perspektive. Nahe liegend ist nämlich, dass man den Absprung des Fallschirmjägers, um die Spannung zu erhöhen, aus dessen Perspektive beschreibt. Zwar ist man dabei
unmittelbarer am Geschehen, aber man hat mit einer Menge Probleme zu kämpfen, nämlich mit der Tatsache, zu beschreiben, was jemand in einer solchen Stresssituation erlebt. Diese Gefahr haben Sie vermieden und das Ganze aus der Perspektive eines quasi objektiven Beobachters erzählt, nämlich eines Dorfbewohners, der zusammen mit anderen unmittelbar wahrnimmt, wie der Mann aus dem Flugzeug aussteigt und auf den Boden fällt. Das ist eine sehr kluge Entscheidung gewesen, denn auf diese Weise können Sie den ganzen Vorgang sozusagen aus der Entfernung beschreiben und gleichzeitig die Spannung erhöhen, wenn die Dorfbewohner auf die Suche nach dem Verunglückten gehen. Zunächst glauben
Sie, er habe schwerste Verletzungen davongetragen, bis sie bemerken, dass er in einen Haufen von reifen Tomaten gefallen ist. Sehr schön finde ich Ihre Bemerkung im letzten Satz, dass nämlich die Tomaten, die für die deutsche Wehrmacht bestimmt waren, einem alliierten Fallschirmspringer das Leben gerettet haben. Das ist wohl eine Wahrheit. Diese Aufgabe hatte also ihre Tücken. Wenn man nämlich das Geschehen aus der Perspektive des Schallfallschirmspringers beschreibt, ist man mit der Frage beschäftigt wie jemand eine solche Stresssituation erlebt. Hirnforscher sprechen ja in einem solchen Fall vom Blackout, von einem Gefühl der Lähmung, das einen ergreift, wenn man in tödlichen Stress gerät. Die Blutgefäße
ziehen sich zusammen, Adrenalin wird ausgeschüttet, das alles Blut auf die überlebenswichtigen Funktionen konzentriert. Viel Zeit zum Denken und Handeln bleibt einem da nicht. Ob wirklich der Film des Lebens abläuft, wie es immer wieder zu hören ist, dürfte – wenn überhaupt – in einem Endstadium stattfinden, dann nämlich, wenn im Gehirn Endorphine ausgeschüttet sind, die das Gehirn und sein Erleben von dem äußeren Geschehen abkoppelt. Wie das aber für den Protagonisten aussieht, wie er das erlebt und welche Rolle dann noch die Wahrnehmung der Umwelt spielt, steht auf einem anderen Blatt. Diese Alternative wäre also nicht nur schwieriger zu vermitteln gewesen, sondern müsste auch ständig
daraufhin geprüft werden, wie weit man dem Leser damit ein nachvollziehbares Bild der Situation geben kann.
'Genau und weil ich nicht glaube, dass jemand weiß, wie manisch kurz vorm Tod fühlt oder was man denkt, habe ich mir die Position gewählt, aus der ich halt geschrieben habe. Man Kurtchen, meinst du, dieses wissenschaftliche Blabla interessiert mich. Mir genügt es, wenn du sagst, es ist ok, ich habe es gut gemacht.'
Denn der Leser wird kaum über eine Erfahrung verfügen, wie sie der Fallschirmspringer macht. Insofern ist es viel besser, eine Perspektive zu wählen, die näher
am Bewusstsein der Leser ist.
'Ja sag ich doch. Weiter.'
Eine weitere Möglichkeit des Perspektivenwechsels ist denkbar: Der Mann könnte nicht in dem Augenblick erzählen, als er den Unfall erlebt, sondern im Nachhinein. Sie könnten also eine Situation simulieren, in der der Mann als Großvater seinen Enkeln erzählt, wie er einmal trotz einem sich nicht öffnenden Fallschirm einen Sturz aus tausend Metern Höhe überlebt hat. „Wie denn, Opa?“ – „Das wollt Ihr wirklich wissen? Nun, indem ich den Ketchup erfunden habe.“ – „Opa, du bist doch nicht Käpt’n Blaubär!“
'Oh mein Gott. So ein Schmarren. Außerdem müsste ich da wieder über Erfahrungen schreiben, die ich nicht hatte. Ich müsste dem Enkel beschreiben, was ich kurz vor dem Tod dachte. Ist doch der gleiche gequirlte Mist.'
Einerlei, ob Sie Ihre Perspektive intuitiv gewählt oder bewusst eingerichtet haben, es ist auf jeden Fall eine überzeugende literarische Leistung. Der Text den sie daraufhin geschrieben haben, ist ebenfalls sehr gut.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Kurt Stift
'Das war's dann also. Nochmals eine gute Beurteilung und nun ist Schluss. Was mache ich jetzt mit meiner ganzen freien Zeit? Das Schreiben habe ich abgeschlossen, ad acta gelegt. Das „Kreative Schreiben“ ist zu Ende. Mein Tagebuch ist abgearbeitet. … und nun? Wieder lesen, lesen, lesen? Oder Handarbeiten? Keine Ahnung. Kommt Zeit, kommt Rat. Schau'n wir mal.'
Mit diesen Gedanken klappte Anna den Laptop zu, kuschelte sich zwischen ihr Töchter und zog sich mit ihnen den Schluss des Gruselfilms rein.
18. Kapitel
18. Eintrag Hallo Leute und nun ist mein Urlaub auch schon wieder zu Ende und der Alltag hat mich wieder voll im Griff. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr könnt nicht glauben, was mich nach vier Tagen der Abwesenheit zu Hause erwartet hatte. Ich konnte von Glück sagen, dass mir die Nudeln, die im Topf auf dem Herd schon ein Eigenleben entwickelten, nicht die Wohnungstür geöffnet hatten.
Ätz, krrrr, stöhn....
Also hieß es noch am gleichen Tag, umziehen, Taschen auspacken und gleich ran
an die Haushaltsfront.
Als ich den Geschirrspüler angestellte habe, klatschte das Geschirr regelrecht Beifall.
Ist ja auch 'ne Zumutung, vier Tage dreckig da drin rum zu stehen.
Wie Kaffeeflecke auf den Fußboden und die Küchentür gekommen sind, wollt ihr bestimmt nicht wissen und ich muss es nicht.
Ach am liebsten hätte ich meine Plünnen wieder gepackt und wäre verschwunden. Ich weiß ja echt nicht, was an so einem bisschen Haushalt so schwierig sein soll. Warmes Wasser kommt aus dem Hahn, Müllschlucker befindet sich im Treppenhaus... Ich weiß nicht.
Gestern waren dann die Herren der Schöpfung wieder arbeiten und Muttern
konnte im Haus schalten und walten, wie sie wollte. Nun ist auch alles wieder schön. Kann es sein, dass sich die Kerls zu Messis entwickeln, wenn ich mal nicht mehr da bin? Vor allem, können wir das verantworten?
Oh man. Ein Blick auf die Uhr sagt Anna, es wird höchste Zeit, sich in die Spur zu begeben. Die kleinen Leseratten warten schon. Zwei Doppelstunden mit den Erstis und Zweitis Lesen. 'Mal schauen, was wir heute so machen. Vorbereitet habe ich nichts und außerdem geht es langsam auf die Sommerferien zu. Da woll'n wir mal nicht päpstlicher als der
Papst sein.'
Anna packt ein Lese- und Schreibspiel, die Lük-Tafel und vor allen die Pfeffi-Drops, die die Kinder noch von Frau Paulsen kannten, ein und macht sich auf den Weg in die Schule.
„Frau Schulz!“ „Frau Schulz!“, kamen die Kinder ihr schon im Treppenhaus entgegen gerannt.
„Ich will heute mit dir lesen.“ „... und ich.“ „Darf ich auch mitkommen?“
Anna weiß gar nicht, wo sie zu erst hin hören und schauen soll. Sie bringt die Kinder zur Ruhe, kuschelt mit einem, „hi five“ mit einem anderen, von einem dritten die Wochenendstory anhören und einen weiteren
zur Ordnung mahnen.
Obwohl die Pausenzeiten stets sehr nervenaufreibend sind, möchte Anna die Stunden in der Schule nicht missen.
„Frau Schulz? Wie siehst du denn aus? Wo sind denn deine Locken?“, fragt eines der kleinen Mädchen und andere schauen sie aus neugierigen großen Augen an.
Anna hatte sich im Urlaub eine Kurzhaarfrisur zugelegt. Runter mit den Haaren bei der Hitze. Nun waren sie gerade mal streichholzlang oder kurz, wie die Kids sagen würden.
„Gefällt es euch? Sieht toll aus? Na und jetzt, wenn der Sommer kommt... gerade richtig“, erwiderte Anna. Stieß bei den Kindern jedoch auf energischen Widerspruch.
'Ups...Kindermund tut Wahrheit kund! Oder doch nicht? Egal mir gefällt's und wenn mich meine Familie nicht anschwindelt, dann sieht es doch gute aus. Auf jeden Fall ist die neue Meckifrisur äußerst pflegeleicht. … und ich fühle mich wohl damit.' „Hast du dir die Haare allein geschnitten? Das sieht nämlich so aus? Frau Neuner, Frau Neuner! Darf ich mit Lesen gehen?“
Anna atmet auf, als sie die Lehrerin um die Ecke biegen sieht. Schnell ist dann auch klar, wer mit in die Bibliothek gehen darf. Die vier Stunden arbeitet Anna nun mit den Kindern in der Bibliothek. Sie lesen, rechnen Textaufgaben,spielen und erzählen sehr viel. Die Zeit, die immer eine kleine Abwechslung
in Annas Leben bringt, vergeht wie im Flug. Nun ist Anna auf dem Weg nach Hause und überlegt schon wieder, was sie jetzt als nächstes anfangen soll.
Im Aushängekasten des Mietertreffs liest sie irgendetwas von Aquarellmalerei für Anfänger und von Arbeiten mit Stoff.
'Auf gar keinen Fall. Denk an dein Desaster mit dem Schreibzirkel. Außerdem fängst du eh alles nur an und bringst es nicht zu Ende.... Ja schon gut. Kann ich halt auch nicht ändern. Wer ist denn Schuld daran, dass es so ist? Bist ja wohl du. Du mein Schweinehund.... Weißt du was, du kannst mich mal. Ich gehe jetzt nach Hause, mach schnell das bisschen Haushalt und
dann schau ich bei „myStorys“ vorbei und wenn du noch lange so herummotzt, melde ich mich da an und schreib eine Geschichte über dich. Ha...' Als Anna die Wohnungstür aufschließen will, merkt sie, dass schon jemand da ist. „Hallo Muttsch. Fährst'e gleich mit ins Möbelhaus?“ Ian hat sich endlich durchgerungen, das elterliche Nest zu verlassen und auf eigenen Beinen zu stehen. Seine eigenen vier Wände. 'Na gut, sind schon ein paar mehr. Bisschen größenwahnsinnig wie er ist, musste es gleich eine Drei-Zimmer-Wohnung sein. Wozu der Kerl auch immer ein Arbeitszimmer benötigt. Doch es muss sein. Wer's hat,
der hat's. Nun also soll's zum Möbelkauf gehen.' „Ah du bist schon da. Na so wie du arbeitest... Bundeswehr halt. Verfresst unserer Steuergelder und tut so, als wärt ihr die Größten. Wir holen aber vorher noch Zsuzsa von Arbeit ab. Sie möchte auch gern mit.“
Im Möbelhaus wird dann jede Polstergarnitur ausprobiert. Darauf setzen, legen, flegeln. Eben alles was so ein Sofa aushalten muss. Wenn eines in die engere Wahl fiel, sprich den gehobenen Ansprüchen gerecht wurde, musste es ausgemessen werden. Man soll es kaum für möglich halten, welche Ausmaße die Garnituren heute zu Tage so besitzen.
Für Neubauwohnungen total indiskutabel. Da müssen die Häuser im wahrsten Sinne des Wortes, um díe Möbel drum herum gebaut werden. Eine Couch und das Zimmer ist voll. Da heißt es dann nicht mehr, ich gehe ins Wohnzimmer, nein, ich gehe ins Couchzimmer. Fernseher muss an die Wand, denn für Schränke oder Sideboards ist absolut kein Platz mehr. Nach gefühlten fünf Stunden ausprobieren, Verkäufer suchen und beraten lassen, werden Anna und die Kinder dann doch noch fündig. Und wie es der Zufall so will, steht genau neben dem Objekt der Begierde eine riesige braune Couchecke mit Sessel, die Anna sofort ins Auge fällt.
„Ian, das ist doch die Couch, die wir
vergangene Woche in dem anderen Möbelhaus gesehen haben. Sogar um einiges günnstiger...“
Noch bevor Anna den Satz beendet hat, sitzt Zsuzsa auch schon im Sessel der Selbigen. „Oh man. Die ist ja Spitze. Die musst du unbedingt kaufen.“
Anna weiß nicht. Sie hatte Gerd von der Polsterecke erzählt und er meinte... wenn Anna sich das so recht überlegt... was hat er dazu gesagt? 'Ich glaube, er hat sich nicht dazu geäußert. Oder hat er so was gesagt wie: „Warum hast du sie denn nicht gekauft?“ Wohl nur so im Scherz? Sicher, unsere Alte zerfällt schon in ihre Einzelteile, das Leder ist
durchgesessen und Besuchern kann man auf gar keinen Fall Platz darauf anbieten.' „Man Muttsch. Kauf die doch einfach. Billiger kommst du zu keiner Couch. Und wir können sie gleich mit meiner abholen. Eure Alte schaffen wir dann gleich zum Recyclinghof Wenn ich einen Kleinlaster miete, machen wir das alles in einem Rutsch.“
Anna schaut noch immer skeptisch und mehr als unentschlossen. Ian pufft seine Schwester in die Seite und hofft auf ihre Unterstützung. 'Was wird der alte Mann sagen, wenn ich jetzt mit einer Couch nach Hause komme. Der bekommt bestimmt einen Anfall.
Brauchen...brauchen tun wir auf jeden Fall über kurz oder lang eine Neue. Eher über kurz. Tja und diese hier ist durchaus finanziell erschwinglich. Ich hätte sie schon gern.' Anna tigert um die Couchecke herum.
„Ist die nicht zu groß? Passt die überhaupt in unser Wohnzimmer?“
„Du kaufst die jetzt. Die passt schon und die ist ganz toll.“, entkräftet Zsuzsa Annas Bedenken. 'Das gibt bestimmt großes Tara zu Hause. Aber wenn sie erst einmal da ist und Gerd sich daran gewöhnt hat, ist er wieder stolz wie Bolle und gibt damit an wie eine Lore
Affen. Seine Idee.'
Zu Hause überraschen die Kinder und Anna Gerd mit der Nachricht des Möbelkaufes. Genau wie erwartet verdreht er die Augen und sofort setzt auch das Brubbeln ein. Wie sie sich das denken würden. Zwei Couchgarnituren. Die alte Lederecke und das Sofa aus Ians Zimmer müssen zum Recyclinghof, das Bett von Zsuzsa abgeholt werden und und und … und vor allem, wer das alles organisieren soll. Dabei ist das Organisatorische bereits abgeklärt. Doch davon will Gerd nichts wissen. Er müsste sonst zugeben, umsonst gemotzt zu haben. Anna hat die Faxen schon wieder dicke. Immer diese Probleme sehen, wo gar keine
sind.
'Kann ja verstehen, wenn er sauer reagiert. Doch jemand muss doch in die Puschen kommen. Wenn es nach ihm ginge, wären Apfelsinenkisten immer noch gut genug. Ein Glück nur, dass er nicht mit dem Geld anfängt. Boah. Ätz.' Anna lässt ihren Göttergatten stehen und setzt sich an ihren Laptop und stöbert durch ihre Spiele bei Facebook. Lustlos. Immer noch mit den Gedanken bei ihrem Möbelkauf. Möbelkauf ist eigentlich kontraproduktiv. Kontraproduktiv für den Fall einer Trennung. Will sie das denn?
'Ob er sich wieder gemeldet hat in "myStorys"? .... Oh ... ja. Endlich.'
Annas Herz fängt sofort schneller an zu klopfen.
'Er ist wieder da. Oh man. So lange war er weg. Geht es ihm gut? Nur nicht bemerkbar machen. Schnell noch mal sein Bild anschauen.' Zsuzsa schaut Anna verdutzt an. Letztere merkt, dass sie wie ein Honigkuchenpferd in den Laptop grinst und zieht eine Fratze in Richtung ihrer Tochter. Zsuzsa weiß Bescheid. Anna hat ihr von ihrem Schwarm erzählt. Ihre Tochter hat ihr geraten, sich
anzumelden um somit zu wenigsten mit ihm zu korrespondieren. Was dann kommt, das kommt und wenn nicht ... tja dann halt nicht. Aber ohne Initiative verläuft alles nur im Sand. 'Ach eigentlich... nee ich lass es lieber bleiben. Bringt doch eh nichts. Ich bin viel zu alt. Sowohl für ihn als auch für solche Mätzchen.' Und plötzlich dämmert's Anna. Seit einiger Zeit war sie anders. Sie fühlte sich anders. Sie hatte kein übertrieben sexuelles Verlangen mehr, keinen Drang zur Befriedigung. Sie war ausgeglichener. 'Komisch. Seit ich diese „Fantasie und
Leidenschaft“ nicht mehr lese und … hm ...auch sonst habe ich schon lange kein Buch mehr gelesen ... Ich habe gar keine
sexuellen Bedürfnisse mehr. War vielleicht nur vorübergehend? Bin ich jetzt im richtigen Alter angelangt, wo man ... Oh schiet ... diese Schmusesongs von CD. Da hat Zsuzsa ja mal wieder das Richtige rausgesucht ... Heul.' Im CD-Player leierte gerade irgend ein Song von wem auch immer runter „Denn eine Liebe auf Zeit ist ein Spiel ohne Glück... und das Schicksal zeigt jeden seinen Fehler zurück...“
Anna schaut in die Dunkelheit der Nacht hinaus und träumt vor sich hin. Solche Lieder haben sie in ihrer frühen Jugend schon immer
äußerst emotional berührt und melancholisch gemacht. Sie schließt ihren Laptop und geht hinaus auf dem Balkon. Sie betrachtet ihre geliebten Sterne. Anna kennt sich nicht aus am Sternenhimmel, aber die eine oder andere Formation erkennt sie zu bestimmten Jahreszeiten immer wieder. Sie schaut sehr gern in die Ferne der Sterne. `Nicht mehr lange und es ist wieder Sternschnuppenzeit. Vier , maximal sechs Wochen. Vielleicht ... Ja vielleicht. Schaun wir mal. Wünschen? Nicht wünschen? Vor allem, wenn ja, was? Was hat mir denn das vergangene Jahr gebracht? Eigentlich nichts. Ach was soll's.'
Damit verließ Anna den Balkon und schaute sich ratlos in der Wohnung um. Gerd spielt noch in seinem „Arbeitszimmer“ irgendwelche Spiele bei Facebook. Im Fernsehen kommt nichts. Der Laptop ist schon runter gefahren und lesen ... Ihr Blick fällt auf die noch nicht zusammengelegte Wäsche und mit hochgezogenen Augenbrauen, beginnt sie, den Wäscheberg abzuarbeiten. 'Lieber heute als Morgen. Ian hat ja schon angedeutet, dass viel Arbeit in seiner neuen Wohnung auf mich wartet. Wie blöd muss man sein, zu zusagen, rote Streifen an seine Wohnzimmerwände zu malen. Gott, ich dummes Schaf kann halt nicht nein sagen. Ist ja nur Abkleben und streichen muss er
dann ohnehin allein. Vielleicht sollte ich doch noch schnell meinen Lesern des Blogs schreiben, dass ich in nächster Zeit
stark eingebunden bin und deshalb wohl kaum zum Schreiben kommen werde?' „Gute Nacht. Ich gehe jetzt ins Bett.“
Anna wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Gerd an ihr vorbei schlich und ihr unmissverständlich klar machte, dass er ja am nächsten morgen frühzeitig wieder aufstehen müsse. Dabei scheint er ganz vergessen zu haben, dass es Anna ist, die als erste ins Bad marschiert und den gnädigen Herren erst weckt, wenn der Kaffee bereits durch die Maschine läuft.
„Ja gut. Ich komme dann auch gleich. Nur
schnell noch die Sachen in den Schrank räumen ... Ach … und kannst du deine gleich mitnehmen?!“
Ungeachtet des mürrischen Gesichts, welches ihr zugeworfen wurde, marschierte sie mit den Armen voller Wäsche ins Schlafzimmer. 'Tja, ihm werden schon nicht gleich die Hände abfallen, wenn er seine Plünnen alleine wegräumt....und immer dieses, ich muss ja morgen zeitig raus ... bla bla bla ... wie ich das hasse. Möchte sehen, was passiert, wenn ich morgen einfach liegen bleibe. Lieber nicht. Bekomme das sonst eine Ewigkeit vorgehalten. Also nichts wie ins Bett, Licht aus und ... Ruhe.'
Anna schaut von ihrem Bett aus auf die Lichter des gegenüberliegenden Hochhauses und träumt vor sich hin. Sie schließt die Augen und lässt den Alltag hinter sich.
Sie lächelt und träumt. Sie träumt von ihm.
19. Kapitel
Sternschnuppenzeit … und wieder steht Anna, wie in den Jahren zuvor, auf dem Balkon und schaut in den Himmel. 'Im letzten Jahr hatte ich ja kein Glück. Keine Schnuppe war zu sehen. Hm ... und die vom Jahr davor hat in keinster Weise ihre Wunder gewirkt. Also wird’s doch nix bringen, wenn man auf das Glück wartet. Es kommt oder nicht. Aber es erzwingen wollen ... Ob wohl in diesem Jahr Sternschnuppen zu sehen sein werden? Was soll ich mir da nur wünschen? Irgendwie haben sich meine Prioritäten verschoben. Karriere und Buch
schreiben sind vom Tisch. Da spricht kein Mensch mehrvon. Gesundheit, Abnehmen steht auch nicht mehr im Vordergrund. Bleibt nur mein Mann, den ich los werden will und eine neue große Liebe, die mir über den Weg laufen sollte. Aber das Eine bedingt in gewissen Maße das Andere. Kommt die Liebe, habe ich einen Grund meinen Mann zu verlassen. Vielleicht sollte ich einen Wunsch auf IHN ausrichten? Nach längerer Zeit war er endlich wieder in myStorys. Sollte ich mir wünschen, ihn kennen zu lernen? Ich meine persönlich. Aber dann müsste ich ihn treffen. Nein das geht nicht. ... ups, eine Sternschnuppe und all meine Gedanken drehen sich nur um IHN.'
Ganz erschrocken starrt Anna den kurz aufleuchtenden und schnell verlöschenden Himmelskörper hinterher. Doch ein Wunsch ihn kennen zu lernen. Ihn, den sie nur im Internet gesehen hat und keinerlei Verbindung zu ihm hat. Ihn, der eigentlich viel zu jung für Anna ist. 'Doch an ihn gedacht. Aber ich bin viel zu alt für ihn und ganz und gar nicht sein Typ. So viel ich mir aus den spärlichen Angaben von seinem Profilbild und seiner Art zu antworten in den Forumspielen ... Schulzen, pass auf, dass deine Gedanken nicht abdriften und du dich ganz auf dein Glück und die Trennung von Gerd konzentrierst.'
„Na haste schon einen von deinen Schnuppen gesehen?“ ertönt aus dem Zimmer Gerds spöttische Stimme. Er findet es albern, dass Anna jedes Jahr so einen Wirbel um die Sternschnuppen macht. „Nein, noch keine und es wird wohl auch dieses Jahr wieder nichts werden.“ Insgeheim denkt Anna ganz anders darüber. 'Dem muss ich nicht sagen, dass ich schon eine gesehen und was ich mir gewünscht habe. Der würde sich umschauen.' In dem Moment blitzt erneut ein Sternschnuppe am Himmel auf und erlischt nach kurzem Flug.
'Ich will Gerd endlich los sein. Egal wie, aber er muss aus meinem Leben verschwinden.' Anna starrt noch eine Weile in den dunklen Nachthimmel, betrachtet die vielen funkelnden Sterne und wartet, hofft, betet für weitere Sternschnuppen. Noch immer meint sie, lieber den einen Wunsch an mehrere Schnuppen. Sicher ist sicher. Schließlich verlässt Anna mit steifen Nacken, vom in den Sternenhimmel schauen, den Balkon.
Lange wälzt sie sich im Bett von einer auf die andere Seite. Aber an Schlaf ist nicht zu denken.
Neben ihr schnarcht Gerd den Schlaf der Gerechten und sägt dabei ganz Sherwood
Forest ab. Als sich dann aus dem Schnarchen ein Orkan seine Bahn in ihren Nacken bricht, ist es zu Ende mit Annas Geduld. So kann sie auf keinen Fall schlafen. Nicht neben ihrem Mann liegen. Sie steht auf, unter Schmerzen aufstöhnend, schließt alle Türen und setzt sich in der Bibliothek an ihren Laptop. Sie weiß nicht, wie lange sie gedankenverloren davor gesessen hat und eigentlich ihren Blog schreiben wollte. Wochen sind seit dem letzten Eintrag vergangen.
Anna war voll ins Umzugs- und Renovierungsgeschehen ihres Sohnes involviert gewesen. Sie wurde mit einer solchen Selbstverständlichkeit eingespannt,
dass es schon fast dreist war. Ian setzte einfach voraus, dass seine Mutter für ihn da war. Anna hat gemalert. Leiter rauf, Leiter runter. Hinhocken, auf allen Vieren. Tagelang. Kisten schleppen, immer bis in die sechste Etage, Verpackungsmaterial zerkleinern und entsorgen, Teppiche auslegen, Möbel montieren und aufstellen. Vom Baumarkt zu Möbelmarkt zu Möbelmarkt zu Elektro-Discounter. So sahen Annas letzten Wochen aus. Nun ... nun sitzt sie mit einer Sehnenentzündung in der Hüfte zu Hause und kann sich kaum noch bewegen. Sie ist nicht mehr die Jüngste und alles hat seinen Preis.
Anna sitzt und lässt die vergangenen Wochen
nochmals Revue passieren und überlegt, was davon ihre Leser wissen wollen oder sollen. 'Ich habe das Gefühl, total ausgelaugt zu sein. Jedes Wort meiner Männer ist zu viel. Der Eine motzt nur rum, der Andere ist verärgert, wenn nicht alles so klappt, wie er will. Eigentlich können mich alle mal. Ich will nur noch meine Ruhe haben. ... er würde mich jetzt in den Arm nehmen, kuscheln und mich trösten. Was er wohl jetzt gerade macht? 01:25 Uhr? Wahrscheinlich schnarcht er einen anderen Wald ab.' Anna kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
'Ich glaube, mit ihm käme ich vom Regen indie Traufe. Auch wenn ich mich jetzt zu ihm hingezogen fühle, in der Realität ist er wahrscheinlich Gerd viel zu ähnlich und in 10 Jahren habe ich wieder so einen Stinker an meiner Seite sitzen. Ja vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ach was soll's.' Anna rafft sich mit einem Seufzer auf und beginnt nun endlich ihren Blog.
19. Eintrag
Hallo ihr Lieben. Das wird mein letzter Blogeintrag.
Ein ganzes Jahr konntet ihr mehr oder
weniger an meinem Leben teilhaben.
Heute nun habe ich beschlossen:
„Es ist Schluss. Ende. Aus. Finito!“
Es ist nicht so gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte. Ich werde damit leben. Ich werde mir keine Ziele mehr setzten, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Ich werde so hoch wie breit bleiben. So eine kleine Knautschkugel hat ja auch was für sich. Wenn ich Glück habe, sucht jemand so etwas wie meine „Wenigkeit“ für seine Kuschelzwecke. Nun ... und wenn nicht ... kommt Zeit, kommt Rat. Hm ... was war da noch? Das Buch ... das wisst ihr ja bereits. Aber es war interessant, was alles so in dem Tagebuch drin stand. Viel hat sich ja seither auch nicht verändert.
Oder? ... Wohl kaum.
Beim Schreibenlernen habt ihr mich begleitet und euch selbst ein Bild davon machen können, dass mein Talent dafür absolut nicht ausreichend ist.
Tja und meinen Mann? Nun, den werde ich vielleicht noch ein Weilchen behalten. Auch hier, ... kommt Zeit, kommt Rat.
So viel also zum vergangenen Jahr. Kurz und bündig abgehakt.
Ich höre euch schon empört fragen:
„Das soll's gewesen sein? Erst meldet sie sich wochenlang nicht und jetzt soll's das gewesen sein?!“
Entschuldigt. Über die letzten Wochen werde ich euch natürlich noch berichten. Das steht außer Frage.
Endlich. Endlich habe das letzte Kind aus dem Haus. Es hat lange genug gedauert. Man sollte nicht glauben, wie viele Rosinen sich in einem 26jährigen Gehirn festgesetzt haben. Vorstellungen, da schlackerst du mit den Ohren. Ian hat sich die erstbeste Wohnung ausgesucht. Ich muss zugeben, sie ist nicht übel, obwohl ich mit der Aussicht vom Balkon doch eher etwas verwöhnt bin. Dass es keinen Fahrstuhl gibt ... er ist noch jung und ich muss nicht da einziehen. Malermäßig? Er sagt es sei edel.
Weiße Wände und der Tresen zur Küche in Rot. Das Rot schlägt sich dann auch in diversen Streifen im Wohnzimmer nieder. Essecke in schwarz/weiß. Eine tolle riesige Couchgarnitur. Doppelbett im Schlafzimmer
und viertürigen Kleider- und Wäscheschrank. Man kann ja nie wissen, ob sich nicht über kurz oder lang eine Lady an seine Seite verirrt. "Mann" sorgt schon mal vor.
Sehr voraussehend gedacht. Gedacht, das ist das Stichwort.
Ian hat gedacht, Vater und Mutter haben gemacht. Kinder halt.
Heute hat er die letzten Plünnen gepackt und ab durch die Mitte. Unglück fürs Kind, dass ich Rücken und Hüfte habe und somit nicht mit ihm durch die Gegend kutschen und nochmals Kartons in seine „Edle Hütte“ schleppen konnte.
Verzeiht, aber bei dem Gedanken muss ich einfach schmunzeln. Ist schon ein bisschen Schadenfreude dabei.
Tja Sohn aus dem Haus, Tochter wieder rein. Zum Glück nur vorübergehend.
Totaler Kreislaufzusammenbruch. Da war Mutters Pflege gefragt. Mache ich doch gern. In zehn Jahren wendet sich eventuell das Blatt. Wollen es ja nicht beschreien. Doch wissen kann man's nicht. Es war auch ein bisschen Eigennutz dabei, dass Zsuzsa fast drei Wochen bei uns eingezogen war. Ich hatte jemanden zum Reden und zum Knuddeln.
Trotz des Protestes von Gerd, ich habe es genossen.
Jetzt sind alle wieder weg und ich bin mit Gerd allein. Er sägt gerade, was das Zeug hält und ich sitze hier und verabschiede mich
von euch. Was? Liebesleben habe ich noch nicht angeschnitten?
Da gibt es nichts. Ich werde nicht noch ein Mal bei myStorys vorbeischauen. Eine Sternschnuppe ist zwar für ihn draufgegangen, doch Zukunft kann es nicht haben. Ich befürchte, er ist Gerd zu ähnlich. Dann kommt hinzu, das er zehn Jahre jünger ist. Also: „Finger weg!“.
Meine Lieben. Das soll's dann also gewesen sein. Vielleicht sehen, hören oder was auch immer wir uns irgendwann wieder.
Macht's gut und besser.
Anna schaut ein letztes Mal über das Geschriebene und klappt den Laptop zu. Sie
schließt die Augen, um sich einige Momente ihren Gedanken hinzugeben. Ein plötzlicher Schmerz im Rücken lässt sie aufschrecken. War sie eingenickt? Ein Blick auf die Uhr. 02:10Uhr. 'Muss ich wohl weg genickt sein. Oh man, mein Rücken. Langsam. Schön langsam. … Man, den Alten hört man durch geschlossenen Türen grunzen. Das gibt’s ja nicht. Okay, noch einen Blick in den Himmel. Irgendwo müssen ja die vielen Sternschnuppen runter fallen. Vielleicht ist doch noch eine für mich übrig.' Ganz fest an ihren Wunsch glaubend steht Anna an der Balkonbrüstung und starrt
konzentriert in den Nachthimmel hinaus. Das Glück, weitere Schnuppen zu sehen, bleibt ihr jedoch verwehrt. Enttäuscht wendet sich Anna wieder dem Schlafzimmer zu, in der Hoffnung nun endlich den ersehnten Schlaf zu finden.
Ganz leise legt sie sich hin und versucht, die Geräusche ihres Bettnachbarn auszublenden.
Vom gegenüber liegenden Hochhaus sind nur noch sehr vereinzelt Lichter in den Fenster zu sehen.
Anna hängt ihren Gedanken nach, bevor sie in einen unruhigen leichten Schlaf hinüber dämmert. 'Nur nicht an den Schmerz denken. Das
was ändern. Vielleicht sollte ich ihn doch verlassen. Ich werde morgen mit war mal wieder ein Wochenende. Beide wussten, dass ich diese Schmerzen habe und trotzdem ist es Keinem in den Sinn gekommen, mir ein wenig von der Arbeit abzunehmen. Vielleicht den Geschirrspüler ausräumen oder die Betten zu beziehen. Nein. Ein Jeder saß vor seinem PC und hat gespielt bis zum Essen und danach gings gleich weiter. Oh man, wasbin ich doch bescheuert. Das muss sich ändern. Was hat Zsuzsa letztens gesagt:
“Püh schlechtes Gewissen? Das haste nur am Anfang. Du gewöhnst dich dran. Glaub mir. Du musst den nicht so verwöhnen.Trag dem nicht alles hinterher.“ ... und sie könnte
damit Recht haben. Es muss sich dringendst etwas ändern. Ich muss mit Gerd sprechen. Hm ... Morgen …. oder Übermorgen ...
oder …'
... ein Wort zum Schluss
Das war ein ganzes Jahr mit und um Anna.
Wie es weiter geht mit ihr?
Anna hat sich nicht von ihrem Mann getrennt.
Sie hat auch nicht mit ihm geredet.
Statt dessen konzentriert sich nun ihr gesamtes Handeln nur auf ihre Bedürfnisse. Sie stellt Gerd immer wieder vor vollendete Tatsachen. Sie geht aus mit wem, wann und wohin sie will. Sie ist Gerd keine Rechenschaft schuldig.
Sie versorgt den Haushalt, aber … sie trägt Gerd nichts mehr hinterher. Anna führt seit geraumer Zeit wieder ein Tagebuch. Wozu es auch immer gut sein mag.
Sie geht wieder regelmäßig zum Sport und es macht ihr Spaß. Diäten und Abnehmen nach Plan … ein absolutes no go. Wie sagt sie immer so schön? „Kommt Zeit – kommt Rat. Was passieren soll, das passiert auch.“ Sie nimmt alles, wie es kommt, ohne sich unter Druck zu setzen.
Bei myStorys hat sich Anna nicht angemeldet und sie schaut auch nicht mehr rein. Manchmal denkt sie noch etwas wehmütig an IHN, aber ... er gehört der Vergangenheit an.
Anna ist mit ihrem jetzigen Leben … äußerst zufrieden.
„ES BEDEUTET FÜR SIE DAS KLEINE GLÜCK“
und vielleicht ... ja vielleicht kehrt sie irgendwann zu den Lesern zurück.
A.B.Schuetze
abschuetze Naja, ich könnte ja auch nochmals über die einzelnen Kapitel drüber schauen und jeden Tag eins updaten :)) LG von Antje |
Kornblume Hallo Antje, bin durch Reading Exchange 4 auf Dein Sternschnuppenbuch aufmerksam geworden. Habe mich für die Gesamtausgabe entschieden . Gemütlich vor dem Kamin sitzend, mit dickem Kissen im Rücken wurde ich beim Lesen von Kapitel zu Kapitel neugieriger. Der Inhalt des Buches ist in sich stimmig, aber nur wenn man es von Seite 1 bis Seite 534 durchliest. Nach Fehlern hab ich nicht gesucht , hab keine auffallend gravierenden gesehen, deshalb waren sie für mich als Leserin nicht wichtig. Den Titel des Buches und auch das Cover hast Du gut gewählt. Über die unterschiedlichen Schriftformen kann man geteilter Meinung sein. Erkenne aber an, das so die einzelnen Ebenen gleich besser zu erkennen sind. Anna, die Protagonistin, hat in mir zwiespältige Gefühle ausgelöst. Einerseits wünscht sie Veränderung, anderseits ist sie nicht wirklich Willens ihr Leben selbst in den Griff zu kriegen. Anna, eine Frau wie Du und ich ist schön. Sie muss nur endlich erkennen das sie einmalig und etwas Besonderes ist. Ich möchte ihr Mut zusprechen sich endlich selbst zu mögen. Lebensqualität ist wichtiger als 10 Kilo zuviel auf den Hüften. Es gibt viele Männer die mollige Frauen mögen. Übrigens, ein Foto aus Deiner Serie hier bei mystorys zeigt eine Anna wie ich sie mir im Buch wünsche. Gesund, gut aussehend, gepflegt, mit schönen runden Schultern, einem netten Lächeln und toller Frisur. Sie strahlt soviel Selbstbewusstsein aus, dass man mehr als Pferde stehlen mit ihr möchte. Deine Sternschnuppen Anna sollte nicht so viele Herz-Schmerz-Schmalz Bücher und Filme sehen. Nicht umsonst wird dort beim Happyend bekanntlich ja gleich abgeblendt. Zugzwang und die Angst etwas zu verpassen ist heute leider weit verbreitet und vergällt uns oft das Leben zu genießen. Nicht jeder Fernsehkoch z.B. kann auch wirklich gut kochen, Viel Show und so manch Angeberei machen aus einem Würstchen oft eine Hanswurst ,die uns Dinge anbieten darf, die man lieber heimlich unter den Tisch kehren sollte. Ich möchte Anna ermuntern so zu sein, wie sie ist. Eine Aussprache, ein paar nette Worte, gegenseitige Rücksichtnahme und den Mut Dinge auszuprobieren die bis jetzt unmöglich erschienen, könnte vielleicht sogar ihre Ehe retten und einen Neuanfang möglich machen. Jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind, sollte sie ich aus allen Zwängen befreien und versuchen ihrem Leben einen wirklichen Sinn zu geben und einen Teil ihrer Träume zu verwirklichen. Welchen Weg sie auch wählt, ich wünsche ihr alles Glück der Welt und im August/ September ganz viele Sternschnuppen am Himmel. „Ich empfehle allen dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen .Es lohnt sich“, sagt die Kornblume |
abschuetze Du zauberst mir ein Lächeln ins Gesicht. Danke. LG von Antje :)) |
joachimtiele Hallo Antje, das sind jetzt die angkündigten Coins für Deinen gestrigen Forums-Kommentar zum Thema "Kursivschrift über Seitengrenzen hinweg". Wäre ohne Deinen Hinweis fast verzweifelt, weil für meinen ersten Versuch hier unterschiedliche Schreibweisen nahezu unerlässlich sind. Hier bei Deinen "Sternschnuppen" war das ja auch notwendig, und das hast Du prima gelöst. |
abschuetze Oh vielen Dank. Freut mich, wenn ich helfen konnte. Ich weiß ja wie es ist, wenn man sich durch alle Schriftweisen durchkämpft :)) LG von Antje |
FLEURdelaCOEUR Ich habe Kap. 1 gelesen, es gefällt mir sehr, wie du schreibst, und auch was du schreibst! Aber so ein dickes Buch ist mir zum Online-Lesen echt zu dick ... Hab aber auch ein Lesezeichen gesetzt, mal sehen ... Lieben Gruß fleur |
abschuetze Hallo Fleur, ja das habe ich befürchtet. Aber die Seiten hier sind ja nicht so umfangreich, wie in einem richtigen Buch. Bis vor kurzem hatte ich ja auch noch die einzelnen Kapitel veröffentlicht. Aber vielleicht "kämpfst" du dich ja doch durch. Das Buch verschwindet ja nicht wieder. Ich freue mich, dass du reingeschaut hast. LG von Antje :)) |
Scheherazade Bis Seite 40 bin ich schon mal :) es fehlt ja derzeit etwas an Zeit bei mir, aber ich habe ein Lesezeichen gesetzt. Der Anfang gefällt mir sehr... ich mag deine zum Teil ironische Art zu schreiben :) LG Schehera |