8 Jahre früher – Sommer 1997 Er hasste Friedhöfe. Obwohl es Mitte Juli war, hatte das Wetter die Angewohnheit bei solchen Anlässen komplett aus dem Rahmen zu fallen. Der Himmel ergoss sich in Strömen über ihnen, während Norman zusammen mit Albert und vier anderen Männern den dunklen Eichensarg den Hügel hinauf schleppte. Hinter ihnen folgte die Trauergemeinde. Der Weg war Steil und nicht nur sein Körper schien zu schmerzen. Auch innerlich litt er. Ebenso wie sein guter Freund. Nach dem
Experiment änderte sich alles. Die Trauer war erdrückend für sie beide. Man hätte das ganze verhindern können, wenn man es gar nicht hätte dazu kommen lassen. Innerlich verfluchte er sich selbst dafür, dass es ihm nicht gelungen war seinen Freund davon zu überzeugen das ganze sein zu lassen. Am Ende hatten Eva und ihr ungeborener Sohn dafür bezahlt. Albert hatte seine Familie verloren. Wie er mit dem Verlust umgehen würde war jetzt noch nicht abzuschätzen. Wichtig war nur dass man ihn dabei unterstützte und ihm Halt gab. In solch einer Zeit sollte niemand allein gelassen werden. Besonders nicht Albert. Norman wusste
nicht wie ein Mensch wie er mit diesem Verlust umgehen würde. Er hatte immer so enthusiastisch und selbstbewusst gewirkt. Jetzt allerdings war davon nichts mehr zu sehen. Seit dem Unfall hatte er nicht mehr wirklich geschlafen und sich zurück gezogen. Es war überhaupt ein Wunder ihn heute hier anzutreffen. Er sagte jedoch nicht viel. Meistens schwieg er und schien über etwas nachzudenken. Das schlimmste jedoch waren diese Augen mit denen er die meiste Zeit gemustert wurde. Hammond hatte seinen Freund noch nie mit einem solchen Ausdruck gesehen. Er bereitete ihm Unbehagen. Da war dieses seltsame
Gefühl dass er nicht loswerden wollte. Seit dem Tag im Labor war etwas mit Albert geschehen. Er konnte nur noch nicht genau sagen was das war. Die Zeit würde es zeigen. Natürlich hoffte er aber, dass sich der Mann wieder fangen würde. Dass er irgendwann wieder Kraft schöpfen konnte. Manche erholten sich davon niemals, aber er schätzte Wilkins nicht als solchen Menschen ein. Er war stark. Wenn es jemand schaffte, dann war er es. Es würde nur etwas dauern, bis die Wunden heilten. „Sie hat den Regen immer gemocht“, erklärte der Blonde ihm schließlich als sie Zeremonie vorüber war. Es war ruhig und leer auf dem Friedhof. Die
Trauergemeinde hatte sich zurück gezogen. Nur sie waren geblieben. Beide trugen einen schwarzen Mantel und einen Regenschirm. Norman hatte für diesen Tag außerdem eine Melone als Kopfbedeckung ausgewählt. Er tat sich bei solchen Anlässen immer schwer, die richtige Kleidung auszuwählen. Stumm bedachte er seinen Freund während beide vor dem Grab der verstorbenen standen. „Sie mochte es einfach draußen zu sitzen. Das Gefühl der Tropfen auf ihrer Haut. Wie sie glänzten. Ihr nasses Haar. Ein traumhafter Anblick.Meistens hat sie sich deswegen immer eine Erkältung
eingefangen.“ Er klang seltsam gefasst, starrte dabei auf die Inschrift des Grabsteins. In der einen Hand hielt er eine weiße Orchidee. Ihre Lieblingsblume. Langsam legte er sie vor das graue Marmor und hielt einen Moment lang inne. Hammond fasste ihn bei der Schulter. „Ich wünschte, man hätte es verhindern können Albert. Einen Menschen wie Eva zu verlieren ist nicht einfach. Du sollst nur wissen, dass du nicht alleine damit bist. Wir sind Freunde. Daran sollst du dich immer erinnern. Sie war auch meine Freundin und ein wundervoller Mensch. Ihr Verlust kann niemals wieder gut gemacht
werden.“ Der Andere erhob sich nur und nickte. Inzwischen war das Haar vom Regen ganz nass geworden. Trotz des Regenschirms, den er nicht mal richtig fest hielt. Es war als sei er hier und wieder überhaupt nicht anwesend. Mit den Gedanken ganz woanders beschäftigt. Als würde er alles im Kopf noch einmal durchgehen was geschehen war. Das tat er schon die ganze Zeit. Bei Norman war es nicht anders. Diese Frage beschäftigte ihn die ganze Zeit, obwohl er die Antwort bereits wusste: Sie hätten diese beiden Leben retten können. Sie waren ein unnötiges Opfer. Er war sich nicht einmal sicher wofür
sie gestorben waren. Dieses Experiment hatte so viel zerstört dass man nicht wieder richten konnte. Nichts würde mehr so sein wie früher. „Es ist meine Schuld Albert. Ich hätte dich mehr davon abhalten müssen. Ich hätte das Experiment nicht gutheißen dürfen.“ „Nein Norman. Ich wollte es. Ich war blind und habe den Preis dafür gezahlt. Du warst immer ein guter Freund für mich und Eva. Hast immer das Beste für uns gewollt. Dir könnte ich niemals die Schuld daran geben. Nicht nach allem was du für uns getan hast. Ohne dich wären wir heute nicht hier. Du hast mir geholfen und mir einen Weg gezeigt. Das
ist nun mal das was ich daraus gemacht habe.“ Trauer und Bitterkeit schwangen in seiner Stimme mit. Der alte Mann wusste nichts mehr darauf zu sagen, so dass sie einfach nur dort standen und schwiegen, während der Himmel über ihnen unaufhörlich weinte... Gegenwart – Herbst 2005 „Das zweite Rätsel Norman. Sind sie bereit? Stellen sie sich folgendes vor: Sie sind auf einer Hochzeit. 14 Gäste und nach einer kleinen Rede wird angestoßen. Wie oft, wenn jeder mit jedem einmal anstößt? Antworten sie
richtig haben sie wieder eine Zahl der Adresse. Wenn nicht, stirbt eines der Mädchen. Sie haben eine Minute!“ Es war still geworden. Noch immer saß Ethan auf dem Boden und rauchte eine Zigarette. Sie hatten zwar das Kraftwerk gerettet aber jetzt gab es das nächste Rätsel zu lösen. Hammond schien angestrengt darüber nachzudenken. Dwight und Foster ebenfalls. Das war wirklich nicht so einfach. Natürlich machte es die Tatsache schwieriger, dass wieder ein Leben auf dem Spiel stand. Wilkins spielte keine Spielchen. Er würde Holly oder Katherina töten, wenn sie falsch antworteten. Das war sicher. Er war
nervös, so wie alle anderen die angestrengt versuchten die gestellte Aufgabe zu lösen. Hammond hatte wieder nachdenklich die Augen geschlossen und überlegte. Diese innere Ruhe die er an den Tag legte war gespenstig. Immerhin handelte es sich bei ihrem gemeinsamen Feind um niemand anderen als den alten Freund des Anstaltsleiters. Ethan konnte noch immer nicht verstehen wie er es schaffte so gefasst zu sein. So gelassen. Verbarg er es einfach nur gut genug vor ihnen? Da war er sich nicht sicher. Der alte Mann öffnete die Augen. „91“, antwortete er knapp und entschlossen.
„Sehr gut Norman. Ich wusste dass du mich nicht enttäuschst. Zwei gelöst fehlt noch eins. Ich werde sie in einer halben Stunde wieder anrufen. Dann stelle ich ihnen die letzte Frage.“ Damit legte er auf. Kurz tauschten sie einander Blicke aus bevor sich der 32-Jährige erhob. Es gab keine Zeit zu verlieren. Die letzte Aufgabe stand ihnen kurz bevor. Eine halbe Stunde noch, dann würde sich alles entscheiden. Der letzte Teil der Adresse. Es war noch nicht zu spät. Es gab eine Chance Katherina und Holly zu retten. Sie würden Albert aufhalten. Es musste einfach so sein. Bis dahin hieß es
allerdings zu warten. Fürs erste sollten sie wohl zum Motel zurückkehren. Von dort aus hatten sie einen besseren Bezugspunkt zu allen möglichen Orten. „Hier können wir nichts mehr tun Sir. Lassen sie uns zurück ins Motel fahren. Ich muss mit ihnen reden. Fahren sie mit mir?“ Der Anstaltsleiter nickte nur und folgte ihm langsam. Die beiden setzten sich ins Fahrzeug und fuhren los. Mittlerweile hatte sich die Dunkelheit über die Stadt gelegt. Sie waren kurz davor diesen Fall abzuschließen. Einen Fehler durften sie sich jetzt nicht erlauben. Der Schwarzhaarige seufzte und sah aus dem Fenster. Es war an der Zeit dass
man einige Ungereimtheiten aufklärte. „Was war da damals zwischen ihnen und Albert? Warum hegt er solch einen Groll gegen Sie?“ Der alte Mann dachte nach. Es ging hierbei um ihn. Ethan musste endlich erfahren was da passiert war. Das war er ihm einfach schuldig. Er musste die Wahrheit wissen. „Albert war immer voller Tatendrang. Er dachte er könnte mit seiner Kraft den Menschen helfen. Er hat viel Zeit damit verbracht zu analysieren und zu lernen in wie weit seine Fähigkeiten funktionieren. Er wollte ein Experiment durchführen. Albert war neben der Manipulation von Elektrizität auch in der
Lage diese zu speichern und daher wollte er herausfinden wie viel und in wieweit dies vielleicht nutzen könnte. Ich habe zuvor versucht ihn davon abzubringen. Es war einfach viel zu gefährlich, aber er hörte nicht auf mich. Wir haben alles aufgebaut. Er hat die Berechnungen durchgeführt. Alles stimmte, jedoch war die Energie zu groß. Er konnte sie nicht kontrollieren. Es gab einen Unfall. Bei dem starben seine Frau Eva und sein ungeborener Sohn. Danach war Albert nicht mehr derselbe. Er gab mir die Schuld an allem und veränderte sich grundlegend. Er wurde kalt...aggressiv. Irgendwann sah ich keine andere Möglichkeit mehr als
ihn in den D-Trakt zu sperren.“ Er stoppte. Das musste hart für ihn gewesen sein. Immerhin waren die beiden gute Freunde. Wilkins hatte seine Frau und seinen Sohn verloren und am Ende Hammond für alles verantwortlich gemacht. Kein Wunder dass er durchgedreht war. Ethan konnte sich einen solchen Verlust kaum vorstellen. Er fragte sich wie er reagieren würde, sollte Carrie oder Sofia etwas passieren. Das konnte er nicht ertragen. Sie waren seine Familie. Sein Halt und das was ihm in schweren Zeiten Kraft und Stärke gab. Albert hatte seine damals verloren. Dieser Mann hatte nichts mehr und daher kümmerte es ihn auch nicht was er
hierbei aufs Spiel setzte. Nachdenklich tippte der Schwarzhaarige mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. „Sie haben keine Schuld Sir. Sie haben versucht ihm zu helfen. Albert hat seinen Weg selbst gewählt. Vielleicht ist es jedoch noch nicht zu spät. Sie waren Freunde. Wenn jemand ihn davon überzeugen kann diesen Wahnsinn zu beenden, dann sind sie das. Das weiß ich. Vielleicht ist nicht alles von dem alten Wilkins zerstört. Vielleicht existiert ihr Freund noch. Sie müssen ihn nur erreichen.“ Der Anstaltsleiter schüttelte wehmütig den Kopf. Er wirkte nicht sonderlich
zuversichtlich. „Ich weiß nicht ob ich das schaffe Ethan. Es ist zu viel geschehen. Das ist Jahre her. Wir beide haben uns sehr verändert seit damals. Albert ist nicht mehr der Mann der er war. Er ist eine Gefahr für sich selbst und für Andere. Sie haben gesehen wie rücksichtslos er ist. Ich befürchte ich kann ihn nicht mehr erreichen.“ „Sie müssen es versuchen Norman. Sie sind ein guter Mensch. Wenn jemand Wilkins überzeugen kann, dann sind sie es. Denken sie an Holly und Katherina. Ihre Leben hängen davon ab. Sie können die beiden retten. Das weiß ich. Ich werde sie unterstützen so gut ich
kann.“ Das würde er. Diese Sache war für Hammond sicher nicht einfach. Albert war einmal sein Freund gewesen. Jetzt gegen ihn zu spielen war sicher schwierig. Ethan würde seinem Chef helfen wo er nur konnte und an seiner Seite bleiben, damit sie gemeinsam diesen Alptraum überstanden. So erreichten sie schließlich das Motel. Gerade rechtzeitig denn wieder klingelte das Handy. Der 32-Jährige zitterte, während er das Gespräch auf laut stellte. „Also Norman. Gut gemacht. Du und deine Leute ihr habt euch gut geschlagen. Ihr habt das Kraftwerk abgeschaltet, meine kleinen Rätsel gelöst
und steht so kurz vor dem Sieg. Fühlt sich das nicht gut an?“ Langsam aber sicher hatte Ethan genug von diesem Kerl. Er genoss seine Position. Ließ sie zappeln und im Ungewissen. Es war an der Zeit dass sie dieses perfide Spiel ein für alle mal beendeten und ihn zur Rechenschaft zogen. Sie mussten diese letzte Frage richtig beantworten. „Albert. Es ist genug. Wir haben bis jetzt getan was du wolltest. Wir spielen dein Spiel. Lass es uns hinter uns bringen, damit wir die Sache beenden können.“ Hammond wirkte müde. Er hatte genug von all dem. Das konnte man ihm
deutlich ansehen. Das ganze kostete ihn Kraft, auch wenn er es nicht zeigte. Zumindest nicht vor den anderen. Verständlich denn er wollte sicher nicht dass sie ihren Willen verloren. Er musste für sie alle stark sein. Damit sie Selbstbewusstsein schöpften und weitermachten. „Gut gut. Die letzte Frage: Ein Mann geht über die Straße. Er sieht ein rotes Haus und weiß sofort dass er pleite ist. Warum?“ Stille herrschte im Wagen. Ethan hatte keine Ahnung was des Rätsels Lösung war. Norman war hierbei auf sich allein gestellt. „30 Sekunden“, kam es nur von Wilkins.
Die Anspannung der beiden Männer war deutlich spürbar. Alles oder nichts hieß es jetzt. Sie waren so kurz davor es zu schaffen. Sie konnten dieses Spiel gewinnen. „Er spielt Monopoly. Die Straße ist die Schlossallee.“ „Genau Norman. Fast geschafft. Die Adresse ist 991 Castle Street. Ich würde es bevorzugen wenn du allein kommst. Ethan kannst du mitnehmen. Damit du nicht ganz alleine dar stehst. Wir sehen uns dann.“ Er legte auf. Ethan trat sofort aufs Gas. Die Adresse war nicht weit weg. Es war ein altes Lagerhaus am Ende der Stadt. Innerhalb einer viertel Stunde hatten sie
ihr Ziel erreicht. Das Gebäude war alt und wirkte herunter gekommen. Vorne stand ein Auto. Wahrscheinlich Wilkins Wagen. Durch ein Loch im Zaun kamen beide Männer durch. Drinnen war deutlich Aktivität zu erkennen. Lichter flackerten und tänzelten. Was war das hier? Was hatte Albert vor? Ethan schritt in Richtung der Tür, doch sein Chef hielt ihn am Arm zurück. „Sein sie vorsichtig. Ich weiß nicht was uns hier erwartet. Albert ist unberechenbar. Das wissen sie genauso wie ich. Ich kann ihnen nicht sagen wie das ganze hier endet. Sein sie bereit.“ Der 32-Jährige nickte. Zusammen schritten sie durch eine Tür ins Innere
der Halle. Hier standen unglaublich viele elektronische Gerätschaften. Tesla-Spulen. Computer. Wilkins befand sich an einem Kontrollpult. Die Mädchen waren weiter oben im höheren Stockwerk der Halle gefesselt. Jeweils eine an einer Spule. Was war das hier nur? Norman schien das ganze zu kennen. Er sah sich im Raum genau um, ehe sein Blick den Blonden traf. Sein Gesicht wirkte alt und eingefallen. Das Haar hing bis zu den Schultern herab. Den Bart hatte er abrasiert. Seine blauen Augen leuchteten ihnen kalt entgegen. Er trug einen langen Schwarzen Mantel. Ein Lächeln huschte über seine Lippen
als er die beiden Männer erblickte. „Norman. Das alter steht dir wirklich. Und das ist sicherlich Ethan. Willkommen.“ Der 32-Jährige machte einen Schritt nach vorne, aber Wilkins legte die Hand an eine Spule hinter sich und streckte den Arm aus. Blitze stoben aus seinen Fingerspitzen hervor und trafen vor dem Arzt auf den Boden. „Ah ah ah. Nicht so voreilig. Wir spielen hier ein Spiel wissen sie noch? Ich dachte mir ich versüße ihnen das ganze ein bisschen. Ein Rätsel noch. Wenn sie richtig liegen bekommen sie das Mädchen. Wenn sie falsch liegen stirbt sie. Entweder sie beantworten richtig
und retten sie, oder sie beantworten falsch und sie stirbt. Ihre Entscheidung Norman!“ Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Jetzt wo sie hier waren wollte er immer noch seine Spielchen spielen? Ethan sah nach oben. Über eine Teppe könnte er die Mädchen erreichen. Allerdings würde Albert das wohl kaum so einfach zulassen. Nein. Wahrscheinlich würde er ihn töten ehe er überhaupt zwei Schritte gemacht hatte. Was hatte Albert vor? War das eine Falle oder war er nur auf Hammond fixiert. Wichtig war es nur die beiden Mädchen zu retten. Holly war bewusstlos. Katherina weinte und schien nicht mehr
zu wissen was überhaupt los war. Ethan konnte sich gar nicht ausmalen durch was für eine Hölle sie gegangen sein mussten. Wichtig war jetzt nur diesen Wahnsinn zu beenden und ihr Leben zu retten. Der 32-Jährige sah sich im Raum um. Außer dem Weg durch den sie gekommen waren, gab es nur noch einen Ausgang. Hier gab es nichts das man als Waffe benutzen konnte. Er hätte das Betäubungsgewehr mitnehmen sollen, aber in der Aufregung hatte er es einfach vergessen. Hammond schritt jetzt langsam auf seinen Freund zu und hob beschwichtigend die
Hände. „Albert. Hör mir zu. Das muss nicht auf diese Weise enden. Ich weiß, dass du leidest. Wegen Eva. Das verstehe ich, aber es ist noch nicht zu spät. Noch ist niemand gestorben. Noch können wir das friedlich lösen. Es muss niemand zu Schaden kommen.“ Der langhaarige lachte und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann zündete er sich eine Zigarette an. Hasserfüllt schaute er den Anstaltsleiter an. „Spar dir deine Worte Norman. Schmier anderen Leuten Honig ums Maul. Du hast mich belogen. Du hast mir deine Hilfe versprochen und ich habe dir vertraut. Am Ende hast du mich einfach
weggesperrt und mich allein gelassen. Es geht hier nicht um Eva. Du hast mir mein Leben gestohlen. All die Jahre in der ich in meiner Zelle saß. Allein mit meiner Trauer. Du hast keine Ahnung wie das war.“ Seine Stimme klang voller Bitterkeit und Leid. Er sah Hammond beinahe Vorwurfsvoll an. Holly wimmerte hinter ihm. Der Anstaltsleiter legte die Stirn in Falten. Das hier war sicher keine einfache Situation. Sein Freund war zu seinem Widersacher geworden und es schien keine Möglichkeit zu geben ihn von diesem Pfad abzubringen. Alles was man sagte stieß auf taube Ohren. „Ich habe keinen Ausweg gewusst. Es
tut mir leid Albert. Ich musste die anderen schützen. Du warst außer Kontrolle geraten.“ „Ach wirklich? Es tut dir also leid. Das ist mir gleichgültig. Selbst wenn du auf Knien winselst. Ich will dass du leidest.“ Er schritt zum Kontrollpult und betätigte einen Schalter. Blitze zuckten zwischen den Spulen hin und her. Die Elektrizität lud die Luft um sie herum auf. Das konnte man spüren. Der Blonde sah zu Hammond und lächelte. Sein Ausdruck wirkte beinahe sentimental. „Erinnerst du dich noch daran? Es ist alles genau wie damals vor 8 Jahren. Dieselben Teile. Dasselbe Experiment. Nur die Situation ist ein wenig anders
möchte ich meinen. Ich habe die Pläne überarbeitet. Es gab tatsächlich ein paar Kleinigkeiten die ich bereinigen musste. Ein Kunstfehler. Dieses Mal allerdings wird alles funktionieren wie ich es für richtig halte.“ In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zur Halle. Dwight und Foster kamen zusammen mit Hammonds Männern hinein. Perplex starrten die Anwesenden sie an. Besonders Albert schien davon überrascht zu sein. Wütend sah er zu seinem alten Freund. „Ich hatte doch gesagt: Niemand außer euch beiden.“ Foster lächelte nur und richtete ihre Waffe auf
ihn. „Wir haben uns selbst eingeladen. Tut mir leid Ethan. Ich hab dein Handysignal geortet.“ In diesem einen Moment war er mal dankbar dafür dass sie so eine Stalkerin war. Jetzt hatten sie eine Chance. Wilkins stand alleine und sie waren genug um ihn festzusetzen. Er konnte nicht fliehen. Das Spiel war vorbei. Dennoch wirkte er selbstsicher. Der Patient schritt zu einer der Spulen und legte die Hand darauf. Und dann geschah alles schnell. Wilkins entlud die Spulen. Die Männer starben vor ihren Augen. Es gab nichts was sie tun konnten. Sie
waren geradewegs in ihr Verderben gelaufen. Albert hatte schnell gehandelt und sich diese Gefahr vom Hals geschafft. Ethan hoffte nur dass es Dwight und Foster gutging. Langsam lichtete sich der Rauch der durch die Entladung entstanden war und die beiden kamen wieder in Sicht. Sie waren augenscheinlich nur leicht verletzt. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Norman starrte fassungslos auf das Schauspiel. Das war zu viel für Ethan. „Sie Monster!“ Wieder machte er einen Schritt auf den Blonden zu, als dieser ihm eine Ladung Blitze entgegenschickte, die ihn von den Füßen holte. Er wurde nach hinten
geschleudert und kam auf dem Boden auf. Alles tat ihm weh. Wilkins hatte ihn voll erwischt. Der 32-Jährige hustete. Hammond war bei ihm und half ihm wieder auf die Beine zu kommen. Albert sah die beiden gleichgültig an. „Ich hatte es ihnen gesagt. Nichts kann das vergangene wieder ändern. Jetzt ist nur noch eines wichtig: Du musst büßen. Ganz langsam. Leiden wie ich gelitten habe. Und dann wenn du am Ende bist werde ich dir einen langsamen und schmerzvollen Tod bescheren. Die Mädchen kannst du retten Norman, aber du wirst dieses Kraftwerk nicht lebend verlassen.“ Er machte keine Witze. Er würde
Hammond töten. Irgendetwas musste Ethan doch tun können. Er konnte doch nicht einfach tatenlos mit ansehen wie der Kerl seinen Chef umbrachte. Norman nickte einfach nur und erhob sich. Er wirkte selbstsicher und entschlossen. „Gut Albert. Dann spielen wir. Stell mir deine Frage.“ Der Blonde nickte nur. „Also gut Norman. Läufer, Brücke, Turm. Welches dieser drei passt nicht zu den beiden anderen?“ Die letzte Frage war gestellt. Allerdings stimmte hierbei etwas nicht. Zuvor hatte Albert immer knifflige Aufgaben gestellt, warum stellte er jetzt ein so
simpel wirkendes Rätsel. Das war es zumindest auf den ersten Blick. Hammond überlegte. Dieses mal schien es wirklich schwierig zu sein. Wilkins zog an seiner Zigarette und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „30 Sekunden Norman!“ Die Uhr tickte. Der 32-Jährige hatte absolut keine Ahnung wie die Antwort lautete. Es könnte alles sein. Selbst Hammond schien keine Lösung für diese Frage zu haben. Dwight und Foster tauschten nervöse Blicke aus. Keiner von ihnen konnte etwas tun. Konnte es das wirklich gewesen sein. Noch 20 Sekunden und die Uhr tickte unerbittlich weiter. Er wurde unruhig und sah zu
Holly und Katherina. Ihm musste etwas einfallen. Hier konnten sie nicht gewinnen. Gerade wollte er einen Schritt nach vorne machen, als Hammond seine Antwort gab. „Alle drei sind möglich. Es gibt keine einzige richtige Lösung. Brücke und Läufer sind Teppiche. Läufer und Turm sind Schachfiguren. Turm und Brücke sind Bauwerke.“ Fassungslos starrte Ethan den Anstaltsleiter an. Er hatte es gelöst. Er hatte es geschafft! Die Mädchen waren sicher. Wilkins klatschte in die Hände und lächelte süffisant. Einen Augenblick lang schloss er die Augen und drückte dann seine Zigarette auf dem Boden aus.
„Gut gut...Du hast das Rätsel gelöst. Allerdings gibt es da eine kleine Sache...Ich sagte du bekommst Das Mädchen...Zwei ist eins zuviel!“ Und damit jagte er Holly Strom durch den Körper. Das Mädchen zuckte. Funken und Blitze stoben aus der Spule. Katherina schrie und wimmerte vor Angst. Jemand schrie. Ethan brauchte einen Moment um zu begreifen dass er es war. Ehe er sich versah war er auf Wilkins gestürzt und verpasste ihm einen Hieb mit der Faust die den Blonden ins Gesicht traf. Allerdings brachte der Patient den 32-Jährigen mit einem Stromstoß wieder auf Distanz.
Dwight war bereits oben bei Holly, doch war es zu spät. Sie war tot. Albert hatte sie ohne mit der Wimper zu zucken getötet. Er hatte von Anfang an falsch gespielt. Mit einer Handbewegung wischte er sich Blut aus dem Mundwinkel. „Sie haben eine gute linke Ethan. Das muss ich ihnen lassen. Vielleicht spiele ich das nächste mal mit ihnen. Norman. Es war nett. Eigentlich hatte ich vor dich hier und jetzt zu töten, aber ich denke mir dich noch eine Weile zappeln zu lassen macht es interessanter. Findest du nicht auch? Also, wir sehen uns!“ Und damit schritt er davon. Ethan
kauerte noch immer vor Schmerzen auf dem Boden. Hammond saß lethargisch da. Rain kam nur langsam wieder auf die Beine. „Wilkins darf nicht entkommen!“ Die FBI-Agentin zog ihre Waffe und setzte ihm direkt nach. Der Blick des 32-Jährigen fiel auf Holly. Mittlerweile hatte Dwight sie losgebunden und auf den Boden gelegt. Die Augen waren geschlossn. Die Rosenknospe in ihrem Haar war verdorrt. Ein endgültiges Zeichen ihres Todes, denn zu Lebzeiten hatte sie immer ein wenig Kraft in die Rose gesandt damit diese weiter blühte. Das Mädchen jetzt so zu sehen versetzte ihm einen herben Schlag. Katherina
wurde ebenfalls befreit und saß vollkommen verstört in einer Ecke. Das alles hatte Wilkins angerichtet. Viele Leute waren heute wegen dieses Irren gestorben und am Ende hatten sie nichts tun können um ihn aufzuhalten. Eileen kam zurück und schüttelte nur den Kopf. „Er ist weg. Tut mir leid.“ Ethan schlug wütend mit der Faust gegen einen der Schränke. Ihr Gegner hatte alles viel zu gut kalkuliert. Sie hatten ihn unterschätzt. Vor allem war nicht damit zu rechnen dass er Holly und die Anderen tötete. Eine Fehleinschätzung. Bei solchen Menschen durfte man eben nicht auf Fairness setzen. Vor allem da er jetzt weiterhin
auf freiem Fuß war. An eine Verfolgung war jetzt nicht zu denken. Sie alle waren verletzt und angeschlagen. Hammond lehnte gegen die Wand und starrte angestrengt in die Leere. Schuld stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er machte sich für all das hier verantwortlich. Das konnte man ihm deutlich ansehen. Natürlich fragte sich der Schwarzhaarige ob Holly wirklich hatte sterben müssen. Ob es nicht einen Weggegeben hätte sie zu retten, aber im Moment rotierte es so sehr in seinem Kopf, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. „Er hat die ganze Zeit nur mit uns gespielt. Er hatte nie vor beide Mädchen
gehen zu lassen. Er wollte uns in Sicherheit wiegen, nur um uns dann den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Wir waren einfach nicht darauf vorbereitet. Er hat uns geschlagen“, erklärte er langsam und klang dabei mehr als nur niedergeschlagen. Wilkins war weiterhin auf freiem Fuß um Schaden anzurichten. Das heute hatte ihnen eines gezeigt: Sie durften diesen Mann nie wieder unterschätzen, egal in welcher Lage sie sich auch befanden. Das hatte sich heute heraus kristallisiert. Am nächsten Morgen beschloss Ethan in die Anstalt zu fahren. Es gab noch einiges an Bürokram zu erledigen.
Außerdem fühlte er sich gerade nicht danach einen Patienten zu jagen. Holly war erst gestern gestorben und würde nächste Woche beerdigt werden. Dwight und die anderen nahmen den Tag frei. Sie alle mussten diese Dinge erst einmal verarbeiten. Auch Katherina war psychisch ziemlich angeschlagen. Sie würde sie erst einmal nicht mehr auf Aufträge begleiten können bis sie sich einigermaßen davon erholt hatte. Und Hammond. Hammond hatte noch gestern seinen Rücktritt bekannt gegeben. Er gab sich selbst die Schuld für alles was geschehen war. Mit seinem Rücktritt hatte Ethan wirklich nicht gerechnet. Er hatte sogar versucht es dem alten Mann
auszureden. Ohne Erfolg. Norman blieb bei seiner Entscheidung. Am Morgen hatte er seine Sachen gepackt und Willows Creek verlassen. Es würde Zeit brauchen, bis sie einen guten Ersatz fanden. Kaum vorstellbar dass das wirklich passierte. Die Sache mit Albert musste einiges bei ihm wachgerüttelt haben. Ethan seufzte und betrat sein Büro, wo er sich auf seinem Stuhl niederließ und die Beine übereinander legte. Er dachte daran wie einfach alles vor dem Zwischenfall war. Keine gefährlichen Patienten die man einfangen und zurückbringen musste. Nur der Alltag. Gut, schon vorher hatten sie gefährliche Individuen verfolgt
und hergebracht, aber dieses mal war es anders. Sie kannten die Gefahr, wussten welche Fähigkeiten die Geflohenen hatten. Das machte alles so schwierig wenn man wusste dass Leute wie Wilkins oder Waslow da draußen waren. Bei diesem Fall hatten sie einfach nur unverschämtes Glück. Sie hätten alle sterben können und selbst von den Nachwirkungen würden sie sich eine Weile lang nicht erholen. Er seufzte. Jetzt wo Hammond in den Ruhestand ging dachte er natürlich selbst wieder über seine Entscheidung nach das alles hinter sich zu lassen. Jemand wie Norman, der diesem Job sein halbes Leben gewidmet hatte so am
Boden zu sehen traf ihn hart. Er fragte sich, ob er irgendwann vielleicht genauso enden würde. Das konnte man nie wissen. Irgendwann ging es eben einfach nicht mehr. Früher oder später kam jeder an den Punkt an dem es besser war aufzuhören und das Handtuch zu werfen. Besser so als dass man die Anstalt in einem Leichensack verließ. Nicht wirklich ein Schicksal das Ethan bevorzugte. Wenn er an die letzten Wochen dachte, hatte es immer wieder gefährliche Situationen für sie gegeben. Es gab kaum einen Tag an dem sie nicht ihr Leben riskierten. Die Ernsthaftigkeit des ganzen war jedoch erst so greifbar nahe gewesen nach dem
Albert Hammonds Männer und Holly getötet hatte. Noch immer schien das alles so unwirklich. Der 32-Jährige erhob sich vom Tisch und verließ den Raum. Im Augenblick konnte er einfach keinen richtigen Gedanken fassen. Es gab zu vieles das ihn beschäftigte. So steuerte er das Büro des Anstaltsleiters an, wo dieser gerade damit beschäftigt war seine Sachen zusammen zu packen. Der Schwarzhaarige lehnte im Türrahmen und beobachtete den alten Mann dabei. „Und sie sind sich sicher über ihre Entscheidung Sir?“ Er nickte nur und räumte ein Diplom in die
Kiste. „Ja Ethan, ich fürchte es ist tatsächlich soweit. Ich mache das hier schon zu lange. Dieser letzte Job hat mir gezeigt dass ich nicht mehr der Mann bin der ich einst war. Meine Zeit ist vorbei. Die Sache mit Albert ist zwar noch nicht ausgestanden aber dies ist die richtige Lösung. Holly starb meinetwegen. Wilkins hegte diesen Groll gegen mich viele Jahre. Er tötete all diese Menschen nur um mir zu schaden. Nicht auszudenken was geschehen wäre, hätten wir das schlimmste nicht verhindert. Auch wenn er uns heute entwischt ist, so haben sie trotzdem gute Arbeit geleistet Ethan. Sie leben
noch und das ist wichtig.“ Er klang immer noch so melancholisch. Das ganze hatte tief in seinem Innern etwas losgerissen. Ein Loch war zurückgeblieben. Hammond hatte sich verändert. Schien es beinahe nicht mehr hier auszuhalten. Wer konnte es ihm auch verdenken? Ethan gönnte ihm seinen Ruhestand. Dieser alte Mann hatte genug durchgemacht. Er hatte es sich einfach verdient, wenn er sich auch gewünscht hätte dass die Umstände andere wären. „Heute mag Albert entwischt sein, aber ich verspreche ihnen, ich werde ihn eines Tages finden. Dann werden wir alles wieder gut machen. Damit so etwas
wie mit Holly nicht noch einmal passiert.“ Der alte Mann nickte einfach nur und kratzte sich nachdenklich an seinem Kinnbart. Er schien nicht wirklich zu wissen, was er darauf sagen sollte. Generell wirkte er müde und angeschlagen. Ihm fehlte seine übliche Souveränität mit der er immer auftrat. Dieser Mann war besiegt und am Boden. Das konnte man deutlich sehen. Ein trauriger Anblick. Ethan wünschte er könnte mehr für Hammond tun. Ihm ein wenig von dieser Last nehmen, aber das waren Dämonen die er selbst zu bekämpfen hatte. Irgendwann würde er darüber hinweg kommen. Das war
sicher. Leute wie Norman rappelten sich irgendwann wieder auf. „Danke Ethan. Sein sie vorsichtig. Nicht nur wegen Albert. Achten sie gut auf sich und die anderen. Auch auf Katherina. Helfen sie dem Mädchen. Ich will nicht dass sich so etwas wie mit Wilkins noch einmal wiederholt. Es wurde schon genug Leid gesät. Niemand soll so etwas wieder durchmachen müssen. Sollte sich Albert bei ihnen melden, dann rufen sie mich an. Ich mag zwar meinen Job aufgegeben haben, aber ich weiß dass ich aufräumen muss was ich angerichtet habe. Irgendwann werde ich das ganze zu Ende bringen und die Fehler die ich
beging wieder gutmachen. Irgendwann können wir sicher alle nach vorne schauen und diese grausamen Dinge einfach vergessen.“ Er sah aus dem Fenster und verschränkte die Arme hinter der Brust. Was ihm widerfuhr, hätte jedem von ihnen passieren können. Ethan stellte sich im Augenblick die Frage wie er damit umgegangen wäre. Das konnte er sich gar nicht vorstellen. Einen Freund bekämpfen zu müssen. Nicht mal Ansatzweise konnte er sich in diese Lage versetzen. Liebend gern hätte er Norman irgendwie Kraft gegeben. Ihn wieder aufgebaut, aber dazu fehlten ihm die Worte. Er konnte seinem Chef nicht
helfen. Schon lange hatte er sich nicht mehr so hilflos wie in diesem Augenblick gefühlt. Es war als hätte sie jemand in eine Sackgasse gedrängt aus der es kein Zurück mehr gab. Es gab kein vor oder zurück. Er wusste nicht was sie jetzt tun sollten. Was er jetzt tun sollte. Der 32-Jährige ging auf Hammond zu, hielt dann aber inne. Was sollte er denn auch tun? Ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter legen und sagen 'Das kommt alles wieder in Ordnung?' Das tat es nicht. Egal was er sagte oder tat. Hierfür gab es keine Lösung. Keine Antwort. Es geschah einfach, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte.
Albert hatte gewonnen. Er hatte Hammonds Willen gebrochen. Das war es was dem alten Mann fehlte. Er hatte den Glauben an sich selbst und seine Fähigkeiten verloren. Er fühlte sich dem ganzen nicht mehr gewachsen. Das war das Ende seiner Laufbahn. Für ihn endete es hier. „Ich wünsche ihnen alles gute.“ Und damit verließ er das Büro. Langsam schritt er den Gang entlang und hatte die Hände in die Hosentaschen gleiten lassen. Er wusste nichts mit sich anzufangen. Sollte er nach Hause gehen? Was konnte er seiner Frau sagen? Nein. Dazu hatte er jetzt einfach nicht die Verfassung. Er wusste ja nicht einmal
wie er jetzt weitermachen sollte. Sein Mentor und Freund hatte etwas furchtbares erlebt. Sie alle hatten eine Menge durchgemacht. Menschen waren tot, andere verletzt. Er war wütend. Wütend auf sich selbst dass er nicht anders gehandelt hatte. Wütend auf Albert, weil dieser zu solchen Mitteln griff. Er schlug gegen die nächste Wand. Schmerz durchzuckte seine Hand, ehe er sich an ihr hinunter sinken ließ. Minutenlang saß er einfach nur da und starte auf den marmorierten Fußboden vor sich. Was würde jetzt geschehen? Nichts würde mehr so sein wie zuvor. Sie alle hatten das Grauen ihres Berufs mit eigenen Augen gesehen.
Welche Ausmaße das ganze annehmen konnte. In wie weit es die Menschen um sie herum verändern und beeinflussen konnte. Das war nicht einfach wegzustecken oder zu verarbeiten. Wie ging man damit um? Gab es überhaupt ein Rezept dafür, oder war es einfach so dass man irgendwann wie Hammond oder Wilkins endete? Von Rache zerfressen oder gebrochen? Das wollte er nicht wahrhaben. Wenn es nur auf solche Weise endete, was brachte das ganze dann überhaupt noch? Wofür lohnte es sich dann weiter zu machen? Früher schien alles so simpel zu sein. Jetzt stand er einfach nur noch vor einem Abgrund dessen Boden er nicht
sehen konnte, egal wie sehr er sich auch anstrengte. Das Handy klingelte. Es war Carrie die Anrief. Er drückte sie weg. Er konnte jetzt nicht mit ihr sprechen. Er wollte einfach nur allein sein. Niemanden hören, niemanden sehen. Sie würde es verstehen. Er würde es ihr erklären wenn die Zeit es zuließ. Jetzt nicht. Jetzt brauchte er einfach ein wenig Ruhe für sich selbst um seine Gedanken zu ordnen. So verblieb er einige Minuten, bis sein Handy erneut klingelte. Jedoch war es dieses Mal nicht seine Frau die anrief. Es war Wilkins. Einen Moment lang starrte der 32-Jährige auf das Display, ehe er abnahm.
„Hallo Ethan. Gut. Sie sind der Mann mit dem ich sprechen wollte. Wie geht es Norman? Mir scheint er ist nicht in der besten Verfassung.“ In diesem Moment baute sich eine unheimliche Wut in seiner Magengegend auf. Dieser Mann war für das alles verantwortlich. Seine Dreistigkeit kannte keinerlei Grenzen. Jetzt rief er ihn sogar noch an und riss seine Scherze darüber. Wie viel Finsternis konnte ein Mensch in seinem Herzen tragen, um einen solchen Weg zu beschreiten? Darauf hatte er keine Antwort. „Sind sie zufrieden? Sie haben
gewonnen. Holly ist tot. Hammond hat aufgegeben. Sie haben erreicht was sie wollten. Was wollen sie noch? Uns erniedrigen und uns zeigen dass sie gesiegt haben? Bitte schön. Sie haben es geschafft. Sie sind der Sieger.“ Seine Stimme lag voller Abscheu. Etwas anderes konnte er diesem Mann einfach nicht entgegen bringen. Egal was ihm widerfahren war. Nichts rechtfertigte seine Taten. Albert war das pure Böse. Gemischt mit Wahnsinn und Kaltblütigkeit. Für solch ein Verhalten gab es einfach keine Entschuldigung. Egal wie man es drehte und wendete. Er konnte hören wie der Blonde am anderen Ende der Leitung seufzte.
„Sieg oder Niederlage sind irrelevant. Sie müssten das sehr gut wissen. Sie sind einer von Normans Lieblingen. Sie haben unter ihm gelernt. Sind seinen Vorschriften und Lehren gefolgt. Er hat einen Teil von sich in ihnen hinterlassen. Sie sind sein Vermächtnis. Ob sie es wollen oder nicht. Sie haben nicht aufgegeben, auch als es eigentlich vorbei war. Das war entweder mutig, oder einfach nur töricht. Darüber bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ „Wollen sie mich jetzt auch noch verspotten? Ich sage ihnen. Wiegen sie sich ruhig in Sicherheit solange sie wollen, aber ich verspreche ihnen eines:
Eines Tages, da werde ich sie finden. Irgendwo. Vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht in ein paar Jahren, aber irgendwann finde ich sie und dann werde ich nicht von irgendwelchen Prinzipien oder Gefühlen aus der Vergangenheit gestoppt. Irgendwann werden sie das bekommen was sie verdienen. Sein sie sich dessen sicher.“ Albert lachte am anderen Ende der Leitung. Offensichtlich schien ihn diese Unterhaltung sehr zu amüsieren. Wahrscheinlich hatte er auch nur deswegen angerufen. Um sich über ihn lustig zu machen. Etwas anderes konnte er sich nur schwerlich vorstellen. Am liebsten hätte er ihm dieses Lachen aus
dem Gesicht geprügelt. In diesem Moment konnte er seine Wut nur schwer zurückhalten. Am anderen Ende wurde es wieder ein wenig ruhiger. Das klicken eines Feuerzeugs war zu hören. „Wissen sie. Sie und ich sind gar nicht so verschieden Ethan. Wir haben beide Prinzipien. Ein Ziel das wir verfolgen und wir beide haben große Opfer gebracht. Wir sind wie Brüder im Geiste, sie und ich. Wir beide lernten von Hammond. Reiften unter seiner Anleitung heran. Wir sind Schüler desselben Lehrers. Wenn auch unsere Herkunft verschieden ist. Im innern sind wir aber beide
gleich.“ Ethan schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht wie sie und das wissen sie genau. Sie sind ein Mörder und Verrückter.“ „Ich bin das was diese Welt aus mir gemacht hat Ethan. Das sind sie auch. Wir werden durch unsere Umgebung und den Ereignissen die um uns herum passieren geformt. Wir können uns gar nicht dagegen wehren. Das werden auch sie irgendwann noch begreifen. Irgendwann wird der Augenblick kommen, da wird sie eine Situation zu etwas zwingen, das sie nicht tun wollen. Wenn es soweit ist werden sie sich an meine Worte erinnern. Sie
behaupten zwar immer dass sie nur dem guten und dem höheren Ziel dienen, aber in Wahrheit folgen sie einfach nur ihrem Instinkt. Ihren eigenen Wertvorstellungen. Auch Hammond hat das getan. Da sind sie wie er oder ich. Wir sind alles Männer die nach eigenen Vorstellungen handeln, ohne vorgegebenen Dogmen zu folgen. Jeder geht dabei in eine andere Richtung. Norman in seine, sie in ihre und ich in meine. Was am Ende dabei herauskommt kann niemand von uns wissen. Vielleicht finden sie mich irgendwann. Wer weiß das schon? Vielleicht töte ich Norman irgendwann, oder er mich? Das kann niemand wissen. Bis dahin wird sicher
noch eine Menge geschehen. Achten sie auf sich. Und auch auf Norman. Wiederhören.“
Und damit beendete er das Gespräch. Ethan starrte einfach nur noch auf die Wand gegenüber. Er wusste nicht mehr, was er noch sagen oder denken sollte...