begegnung in jerusalem
Die Seereise ins östliche Mittelmeer geht ihrem Höhepunkt entgegen: dem Besuch des Heiligen Landes. Die Pass- und Zollformalitäten sind rasch erledigt. Erwartungsvoll betreten die Reisenden nach dem Anlegen in Tel Aviv israelischen Boden. Die Ausflugsbusse warten schon. Neugierig, aufgeregt, skeptisch, mit mehr oder weniger gemischten Gefühlen steigen die Touristen in die Busse. Der heutige Ausflug soll in die Stadt führen, welche für drei Weltreligionen ein bedeutendes religiöses Zentrum darstellt.
Zunächst fährt der Bus zu den für Christen wichtigen Stätten: Geburtskirche, Via
Dolorosa, Klagemauer, Golgatha, dem alten jüdichen Friedhof, der Grabstelle Jesu und als Krönung auf den Tempelberg. Hier stehen der neue jüdische Tempel, eine christliche Kirche sowie eine große Moschee.
Manche sind tief bewegt, an den heiligen Stätten zu stehen, andere saugen die Atmosphäre in der Geburtskirche geradezu auf, anderen stehen die Tränen in den Augen, als sie sich Schritt für Schritt über die Via Dolorosa bewegen. Manche weinen an der Klagemauer und im jüdischen Tempel fließen ebenfalls Tränen.
Nach dem Besuch dieser eindrucksvollen Orte können die Reisenden bei etwas Zeit zur freien Verfügung ihre Eindrücke nachwirken lassen oder in kleinen Gruppen
das Gesehene verarbeiten. Zwei Reiseteilnehmer haben sich etwas abgesondert und stehen schweigend im Schatten eines alten Baumes. Dann lassen sie sich auf einer kniehohen Mauer in der Nähe eines jungen Mannes nieder und beginnen sich leise über ihreEindrücke auszutauschen.
Wenig später gesellt sich der junge Mann zu ihnen, grüßt freundlich in englischer Sprache und interessiert sich für das Woher und Wohin der beiden Touristen. Rasch entwickelt sich daraus ein angeregtes Gespräch und schließlich führt es zum 2. Weltkrieg und der Judenverfolgung durch Hitler. Die beiden Touristen, erst nach dem Krieg geboren, meinen: „Wir können nicht
nachvollziehen, was damals geschah und wir verstehen auch nicht, dass man dem deutschen Volk immer noch die Schuld zuschreibt. Unsere Generation kann doch dafür keinerlei Verantwortung übernehmen.“ Erwidert der junge Mann: „Ich bin ebenfalls zu jung. Sicherlich hat unser Volk viel gelitten und auch in meiner Familie gab es tragische Momente. Aber auch ich habe kein Verständnis dafür, dass dem deutschen Volk immer noch diese schlimme Zeit anhaftet. Es lebt doch dort jetzt eine ganz andere Generation.“ Nach längerem Schweigen fügt er an: „Wer soll schon eine Veränderung im Zusammenleben der Völker und Religionen herbeiführen, wenn nicht wir? Nur wir jungen Menschen können die Verpflichtung dafür
übernehmen, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen und uns aktiv und ohne Waffengewalt für den Frieden auf der Welt einzusetzen. Shalom!“
Dann dreht er sich um und ist rasch in einer Gruppe von Menschen verschwunden.
Nachwort:
Dieses Erlebnis vor knapp fünfundzwanzig Jahren hat mich nachhaltig bewegt. Und wenn ich heute in den Medien die schlimmen Nachrichten über die Zustände in Israel und Palästina verfolge, dann frage ich mich, ob die Politiker dort wie auch weltweit etwas von der Botschaft verstanden haben, die allen Religionen dieser Welt gemeinsam ist: das Töten zu lassen und endlich friedlich
zusammenzuleben. Probleme lassen sich auch anders regeln als mit der Waffe in der Hand.
© HeiO 22-07-2014