„Sie arbeiten als Doktor? Das ist sexy! Bisher waren alle Männer, die ich getroffen habe, immer nur Mechaniker.“ „Nun meine Liebe. Dann ist wohl heute dein Glückstag!“ Leland legte seinen Arm um die junge Schwarzhaarige und schritt mit ihr durch die belebte Shopping Mall. Seit den Geschehnissen mit Katherina waren Monate vergangen. Die Lage schien sich normalisiert zu haben. Zumindest äußerlich. Er selbst wusste, dass genau das Gegenteil der Fall war. Seit Waslows Auftauchen im Krankenhaus war man in der Anstalt ständig in
Alarmbereitschaft. Der Russe hatte sich seit dem Tag nicht mehr gezeigt und das war etwas, das ihm Kopfschmerzen bereitete. Warum zeigte er sich erst, und tauchte dann wieder ab? Wollte er ihnen Angst einjagen? Das hatte er geschafft. Heidenreich vermutete ihn mittlerweile schon hinter jeder Ecke. Die Geschichte war Nährboden für ihre Paranoia, die ihm langsam aber sicher ziemlich auf den Sack ging. Deshalb nutzte er Gelegenheiten wie diese, zog sein braunes Hawaii-Hemd und die Khaki-Hose an, bewaffnete sich mit dazugehöriger Sonnenbrille und ging aus. Okay. Das änderte nichts an der Tatsache, dass er auf seine Krücke
angewiesen war. Bei dieser Frau kam das jedoch gut an, wobei er natürlich nachgeholfen hatte. „Und dir hat ein Löwe ins Bein gebissen?“ Er lächelte charmant und schob sich die Brille zurecht. „Ja. Das war auf Safari in Afrika. Das Biest wollte mich gleich im Ganzen verschlingen, aber ich hatte Glück. Leider will es nicht so wie früher, aber daran gewöhnt man sich.“ Ihre Augen funkelten in sanftem Grün. Sie war fasziniert von ihm. Die hatte er auf jeden Fall an der Angel. Er musste diesen Fang des Tages nur noch einholen. Sie erreichten die Fressmeile des Einkaufszentrums. Die Leute
drängelten sich aneinander vorbei. Ein paar betrachteten ihn mit Skepsis, aber daran war er gewöhnt. Stören tat es ihn heute nicht mehr. Leland wäre eben nicht er selbst, wenn er auf die Meinung von anderen hören würde. Wäre dem so, hätte er sich auch einen versnobten Beruf ausgesucht. So wie seine tollen Geschwister. Wie es sein Glück wollte, gab es keinerlei Kontakt zu ihnen und das war auch besser so. Die Sache mit dem Erbe seines Vaters hatten sie ihm nie verziehen. War auch nicht weiter schlimm. So hatte er sie nicht am Hals und das war gut. „Und woher kommst du nochmal, Veronica?“ „Verena. Ich heiß Verena“, erklärte sie
ihm langsam. Er verzog das Gesicht. Warum mussten die Frauen auch immer so komplizierte Namen haben? Fair war das nicht. „Wusste ich. Ich hab nur einen Witz gemacht!“ Er kitzelte ihren Bauch. Sie kicherte wie ein nervöses Schulmädchen. Ihre Wangen erröteten. Dann zog er sie zu sich und sah ihr durch die Sonnenbrille tief in die Augen. Sie wurde still und sah ihn einfach nur an. Einen Arm legte er ihr um die Hüfte. Seine Krücke lehnte er an einer Trennwand zu einem Restaurant. Jetzt war es Zeit zuzuschlagen. „Ich treffe nicht oft Frauen, mit solchem
Temperament. Du bist etwas besonderes.“ „Wirklich?“ Er nickte und lächelte sanft. „Natürlich. Sonst würde ich es dir nicht sagen. Die meisten Frauen sind nicht so intelligent, so attraktiv. Du bist eben anders. Das habe ich gleich gesehen.“ Verschüchtert sah die junge Dame zu Boden und nahm die Farbe einer Tomate an. Hach ja. Diese süßen Studentinnen waren einfach immer noch am besten. So jung und unschuldig und es war ein Klacks sie zu verführen. Er musste nicht mal seine Kräfte dafür einsetzen. Das war gut. Diese hier hatte er in einer
Rekordzeit von 2 Stunden abgeschleppt. Getroffen hatte er sie draußen vor dem Zentrum, als er so getan hatte, als hätte sie ihn durch einen Rempler zu Fall gebracht. Dadurch war die Geschichte ins Rollen gekommen, denn niemand wollte einen Krüppel umwerfen und in einem schlechten Licht dastehen. Für den heutigen Tag war er zufrieden. Zwar war es noch früh, aber man wusste ja nie, was noch zu finden war. Für den Anfang würde Verena allerdings genügen. Mit ihr konnte er sicher eine Menge Spaß haben. „Du bist echt nett. Du bist doch keiner, der mich einfach nur abschleppt und
danach nie wieder anruft, oder?“ Er winkte ab. „Pfft. Ich? Niemals. Vanessa-“ „Verena.“ Mit seiner großen Hand strich er ihr über die Wange. Der Daumen fuhr ihre Lippen entlang. Ihr sehnsüchtiger Blick war Entlohnung pur. „Ich würde dir nie wehtun. Auch wenn man es mir vielleicht nicht ansieht: Ich bin ein netter Kerl. Wer würde schon eine solch liebreizende junge Frau wie dich verschmähen? Wohl nur ein kompletter Vollidiot!“ Sie lächelte. Die hatte er auf jeden Fall und es wurde jedes Mal einfacher. Mittlerweile wusste er genau worauf die
Frauen standen. Es war ein leichtes ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfahren, wenn man einfach nur subtil nachhakte. Diese hier zum Beispiel war in gutem Elternhaus aufgewachsen. Ferngehalten von all den schlechten Jugendlichen. Eine gewisse kindliche Naivität war dadurch zurückgeblieben. Genau das war es ja, das es ihm so einfach machte. Er musste ihren Eltern bei Gelegenheit mal einen Dankesbrief schreiben. Obwohl, eher nicht. So umfasste er ihre Hüfte und deutete auf das Restaurant vor dem sie standen. „Was hältst du davon, wenn wir eine kleinen Happen Essen gehen? Auf meine
Rechnung!“ „Oh ja. Ich liebe mexikanisch!“ Er hasste mexikanisch. Manchmal musste man eben in den sauren Apfel beißen. War nur zu hoffen dass ihr Magen nicht so empfindlich auf diesen Fraß reagierte, denn sonst würde diese Liaison kein schönes Ende nehmen. Die ganze Arbeit wäre umsonst. Blieb nur zu hoffen, dass sie eines dieser Hühner war, die auf ihre Linie achteten, und sich immer nur einen Salat bestellten. Der Arzt führte sie zu einem der freien Tische und ließ sich dort nieder. Das Ambiente war nett. Ein paar pflanzen. Mexikanische Musik in einem alten Radio. Auf solchen Kitsch standen die
Leute. Für seine Sache dienlich. „Danke dass du mich einlädst. Das ist ja wie ein vorläufiges Geburtstagsgeschenk!“ Er sah sie fragend an. „Oh. Du hast mir ja gar nicht erzählt, dass du bald Geburtstag hast. Wie alt wirst du?“ „Ich werd 18. Mein Dad hat schon so viel für meine Party organisiert. Das wird ja so cool. Es gibt Punsch und Bier und ein Buffet. Meine Mum ist eine Superköchin!“ Ah. 17 war sie also. Ein interessantes Alter. Auf ihrem Geburtstag würde er zwar nicht auftauchen, aber es war doch immer toll zu wissen, mit wem man
sich eigentlich so verabredete. Natürlich interessierten ihn dabei nur Eckdaten: Name, Alter und vielleicht noch ein paar Hobbys. Das war aber auch alles. Sicher, es gab auch Fälle wie dieses Mädchen, die von sich aus eine Menge zu erzählen hatten. Für den Moment war sie zwar ruhig, aber das war sicher nicht von Dauer. Dann würde sie wieder von ihrer Schulzeit anfangen. Von den fiesen Lehrern, den Cheerleadern und dem ganzen Kram der dazu gehörte. Gelegentlich nickte er, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war auf ihren Busen zu starren. Durch die olivfarbene Bluse hatte er einen guten Blick und der Rock ließ fiel Fantasie übrig. Nicht zu
frech. Das mochte er. Man hatte halt nichts davon, wenn sich die Mädchen wie Nutten auftakelten. Klar, die meisten von ihnen waren richtige Biester unter der Bettdecke, aber auf Dauer wurde das auch langweilig. Er legte eine Hand auf den Bierbauch und seufzte. Die Bedienung ließ sich heute Zeit. Kein Wunder. Der Laden war ja auch entsprechend voll. Das hasste er an den Wochenenden: Die Leute tummelten sich wie Hunde um einen Schinken. Nicht gerade seine Lieblingszeit, aber nun mal die einzige, in der er seine Freizeit genießen konnte. Vanessa streckte ihre Glieder und erhob
sich langsam. Ihre Umhängetasche reichte sie Leland. „Ich muss mal auf die Toilette. Passt du solange auf meine Tasche auf?“ Er nickte. „Gerne. Bis gleich.“ Sie ging rückwärts Richtung Toiletten und winkte ihm dabei wie ein Baby zu. Süß. Er seufzte vergnügt und tippte mit den Fingern auf dem Holztisch umher. Ein paar Leute sahen ihn musternd an. Klar. Mochte vielleicht seltsam wirken. Andere gaben nicht viel darum. Wahrscheinlich dachten sie, er wäre der Vater des Mädchens. Besser so, denn dann musste er sich keine Kommentare anhören. Die scherten ihn zwar nicht,
aber es war auf Dauer einfach nervig. So warf er einen Blick in die Tasche der jungen Frau. Drinnen fand er das Übliche: einen kleinen Handspiegel, einen Kamm und einen großen Wälzer. Der 44-Jährige drehte das Buch in der Hand und sah auf das Cover. Ein hagerer Mann mit grauen Haaren und einer Zigarre in der Hand zierte den Einband. 'Die Grenzen der Normalität – Menschen mit Parafähigkeiten', hieß es. Leland hatte schon davon gehört. Dieser Patrick Snyder war im Augenblick der ganz große Renner. Löffelverbieger, angebliche Medien. Er lud sie alle in seine Fernsehshow ein. Die meisten von
denen waren allerdings nur Trickbetrüger, die ins Fernsehen wollten. Kaum zu glauben, dass sich aus so etwas Kapital schlagen ließ. Allerdings konnte das auch nach hinten losgehen. Man wusste ja nie, wann er wirklich mal einen Glückstreffer landete. Im Moment war es ihm jedoch egal. Es zählte nur das wunderschöne Mädchen, das derzeit auf dem Klo saß. Bisher keine Spur. Nur eine alte Vettel die die Toilette betrat. So war das eben. Frauen brauchten immer eine halbe Ewigkeit. Oft hatte er sich schon gefragt was die da so trieben. Besonders wenn sie eigentlich alleine waren. Naja. Ging ihn ja nichts an. So
legte er das Buch in die Tasche zurück und lehnte sich in den Stuhl. Die Kellnerin kam. Ein hübsches Ding mit blondem Zopf. Das Lächeln war einfach nur bezaubernd. „Hallo Sir. Was darf ich ihnen bringen?“ „Erst einmal eine Flasche Wein und zwei Gläser. Haben sie Bordeaux?“ Die Frau nickte und schritt sogleich von dannen. Er grinste zufrieden. Keine Frau konnte zu einem guten Tropfen nein sagen. Außerdem lockerte das die Stimmung auf. Die ging allerdings gerade flöten. Verena ließ sich wirklich Zeit mit ihrem Geschäft. Dabei könnte man meinen, dass Frauen in der Öffentlichkeit sich davor zierten.
Wartend blies er etwas Luft aus seinen Wangen und sah auf die Uhr. Den Wein brachte man ihm nach fünf Minuten. Das Mädchen war nach weiteren Zehn immer noch nicht wieder am Tisch aufgetaucht. Dafür war ein anderes hübsches Ding von der Toilette gekommen. Auch nett. Er würde jedoch für den Anfang bei der Studentin bleiben, sofern die ihn nicht schon abserviert hatte. Nee. Die hatte ja auch noch ihre Tasche hier. „Entschuldigen Sie?“, sprach er die blonde Kellnerin an, bei der er zuvor den Wein bestellt hatte. „Eine Freundin von mir ist auf der Toilette und das schon eine ganze Weile.
Können sie vielleicht mal nachsehen? Vielleicht geht es ihr nicht so gut.“ „Natürlich Sir!“ Sofort schritt die Dame zu den stillen Örtlichkeiten um nachzusehen. Vielleicht machte sich das Mädchen ja auch vor dem Spiegel hübsch. Wobei, eher weniger, da ihre Tasche ja immer noch vor ihm Stand. Das Buch ragte etwas heraus und Snyder grinste ihm auf dem Cover entgegen. Er schob den Wälzer grummelnd in die Tasche und stützte eine Faust auf dem Kinn ab, ehe ein Schrei ihn aus seiner Trägheit riss. Leland ergriff seine Krücke und humpelte auf die Toilette. Von hier war es gekommen. Vor der Damentoilette
machte er halt. Die Tür stand einen Spalt breit offen. Die Kellnerin kniete neben einer alten Frau, die offensichtlich gerade einen Herzinfarkt erlitt. Sofort war der Arzt zur Stelle. „Was ist passiert?“ „Keine Ahnung. Ich-ich hab sowas noch nie gesehen.“ Er legte der Kellnerin eine Hand auf die Schulter. War vollkommen normal. Jeder der so etwas beim ersten Mal sah, bekam es mit der Angst zu tun. Man wusste ja nicht, wie man sich verhalten sollte. „Ist schon gut. Ist nur ein Herzinfarkt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Sie verstehen nicht. Das
war...das war ein Mädchen! Gerade eben noch!“ Perplex sah er die Blondine an, als wollte sie ihm einen Bären aufbinden, ehe sein Blick auf die Greisin fiel, die langsam seine Hand suchte. „Leland“, krächzte sie. Er ließ seinen Blick über das Olivgrüne Kleid schweifen. Der Rock passte absolut nicht zu dieser alten Frau. Akerman seufzte. Es gab keinen Zweifel: Er hatte Verena gefunden. - „Und du hast nichts gehört, oder etwas
verdächtiges gesehen?“ Foster hatte einen Stuhl vor ihm aufgestellt und saß mit den Armen auf der Lehne gestützt da.Inzwischen war auch die Polizei, sowie der Krankenwagen angerückt, um die Situation zu entschärfen. Langsam nickte Leland und starrte dabei einfach nur auf ihre Beine. Verena war nach ihrem Fund immer noch weiter gealtert, bis man sie nicht mehr retten konnte. Da hatte er versuchen können was er wollte. Sobald er sich dazu in der Lage fühlte, hatte er Eileen und Peterson angerufen, die gerade dabei waren die Situation zu sondieren. Während der ehemalige FBI-Agent mögliche Zeugen
befragte, war es die junge Frau die ihm auf den Zahn fühlte. „Nein. Sie ist auf die Toilette gegangen und ich habe dann die Kellnerin nachgeschickt. Die hat sie dann so gefunden.“ Solche Fragen nervten ihn, und anscheinend schien sie Gefallen daran zu finden, ihn damit zu löchern. Anders konnte er es sich nicht erklären, dass sie nun schon eine halbe Stunde fast immer die gleichen Infos von ihm wollte. Als gäbe es hier nicht genügend andere Leute. Sie mochte zwar hübsch aussehen, wenn sie den Zopf aus ihren rotbraunen Haaren nahm und etwas Schminke auftrug, aber sonst war sie
einfach nur jemand, der es unbedingt mal wieder nötig hatte. Eine Eigenschaft die sie mit ihrer gemeinsamen Chefin Roberta Heidenreich teilte. „Und sonst ist dir niemand merkwürdiges aufgefallen?“ Er fuhr sich durch das Haar und schüttelte den Kopf, ehe er einen Schluck aus seinem Weinglas nahm. Von der bestellten Flasche war nicht mehr viel übrig. Im Augenblick kam in ihm das Bedürfnis auf, sich einfach nur noch hemmungslos zu betrinken. Auf Dauer vielleicht keine Lösung, aber es genügte für den Moment. Alkohol war stets ein guter Helfer in diesen Dingen. Sonst hätte er den Job wohl schon vor
Jahren an den Nagel gehängt. In diesem Moment fragte er sich, wie lange Ethan das ohne ausgehalten hatte. Naja. Der war ja jetzt mehr oder minder auch ein Wrack. Behandelte nur noch in der Anstalt und vergrub sich in seiner Trauer. Hickins hatte endgültig alles an den Nagel gehängt. Meinte das alles sei zu viel für ihn, um es zu ertragen. Der 44-Jährige seufzte und kratzte sich am Vollbart. Diese Entscheidung hatte er nicht ändern können. Befehle von Oben ignorierte man besser nicht, auch wenn sie einem nicht gefielen. Das Mädchen Katherina war am ende zu einer großen Bedrohung geworden. Wäre er nicht eingeschritten...wer wusste schon was
dann passiert wäre? Soweit wollte er gar nicht denken. Das bereitete einem nur Kopfschmerzen und Alpträume, von denen er ohnehin schon genug hatte. „Leland? Bist du noch da?“ Foster schnippte mit dem Finger vor seinem Gesicht herum. Er schüttelte sich und musterte sie. „Was denn? Habe ich nicht alles gesagt was es zu sagen gibt? Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Ein Mensch ist tot. 'N bisschen Mitgefühl könnte dir nicht schaden. Ach, ich vergaß: Dafür müsstest du ersteinmal den Gefrierschrank in deiner Brust auftauen.“ Sie zeigte ihm darauf nur den
Mittelfinger und stand auf. Dämliche Kuh. Für sie zählte immer nur der Job. Okay, er kannte das Mädchen ein paar Stunden, aber trotzdem war die Situation mehr als grotesk. Wer zum Geier verwandelte ein hübsches junges Mädchen in das Ebenbild einer Mumie? Das war doch krank! Als wenn sie wegen Waslow nicht schon genügend zu tun hätten. Wer auch immer dahinter steckte wusste um seine Fähigkeiten, die nicht harmlos waren. Leider war ihm kein Patient geläufig, der über ein solches Talent verfügte. Er kratzte sich am Bart und schüttelte den Kopf. Während der ganzen Zeit in Willow Creek hatte er einiges gesehen: Eine
männliche Sirene, Einen Zauberkünstler, der alles verwandeln konnte das er berührte, aber jemand der anderen die Jugend stahl? Er streckte die Glieder, als Dirk zu ihm kam. „Ich habe die Überwachungsbänder besorgt. Allerdings nur für das Restaurant. Das muss genügen. Wenn wir in der Anstalt sind, dann können wir vielleicht herausfinden was hier wirklich passiert ist.“ Er ließ sich neben dem Arzt nieder und griff zu dem leeren Weinglas, das eigentlich für Verena gedacht war und goss sich den letzten Rest aus der Flasche ein. Leland sah ihn stirnrunzelnd an. Bevor er etwas sagen
konnte, fuhr der Andere fort. „Was hast du hier eigentlich gemacht?“ Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. „War aus. Die haben hier gute Enchiladas. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen.“ „Ich dachte du hasst mexikanisch. Als wir dich in so einen Laden schleifen wollten, hast du irgendeine Ausrede erfunden, damit du dich abseilen konntest.“ „Gewohnheiten ändern sich“, brachte der Arzt hervor und seufzte. Musste er hier wirklich Zeugnis ablegen? Gut, es würde nicht gerade Eindruck machen, wenn sie sich die Bänder ansahen, aber
das scherte ihn nicht. In seiner Freizeit konnte er tun und lassen was er wollte. Im Moment jedoch, wollte er nur noch weg von hier. Die Situation war ihm unangenehm. Ein junges Mädchen war direkt in seiner Nähe gestorben, ohne dass er etwas daran ändern konnte. Sein Gewissen versuchte ihm sogar anzudrehen, dass er dafür verantwortlich war, doch diesen Gedanken verdrängte er sofort. Es hätte auch an jedem anderen Ort passieren können. Die beiden waren zur falschen Zeit hier gewesen. Das war alles. Und doch gab es jetzt irgendwo ein Paar, das nach seiner Tochter suchen würde. Wie sollte man ihnen die
Geschichte erklären? Die Menschen konnten die Wahrheit doch gar nicht verkraften. Er seufzte. Darüber würde er sich später den Kopf zerbrechen. Für den Moment gab es nichts mehr, was ihn noch in irgendeiner Art und Weise an diesen Ort kettete. So erhob er sich, streckte die Glieder und griff nach seiner Krücke. Weit kam er aber nicht: Eine Menschentraube versperrte ihm den Weg. Auch Peterson und Foster waren neugierig, was hier los war. Akerman drängte ein paar Leute beiseite, die ihn böse anstarrten. Er tat so, als hätte er nichts gesehen, oder gehört. Schließlich
erblickte er den Grund für diesen Aufruhr: Ein hagerer Mann von großer Statur stand in der Nähe des mexikanischen Restaurants. Flankiert wurde er links und Rechts von einem Leibwächter. Das Haar war fast vollkommen weiß. Nur hinten erkannte man noch ein paar schwarze Stellen. Im Gesicht war er etwas fülliger. Markante Züge, die er doch schon mal irgendwo gesehen hatte. Der Alte trug einen feinen Anzug und schüttelte ein paar Hände. Sogar Typen vom Fernsehen waren bereits hier. Diese Leute hasste er am meisten. Sie steckten ihre Nasen überall da hinein, wo sie nichts zu tun
hatten. „Mr. Snyder, wie haben sie so schnell von diesem Vorfall erfahren, und warum glauben Sie, dass ein Mensch mit Parafähigkeiten dahinter steckt?“ Die jungte Reporterin hielt ihm das Mikrofon beinahe in die Nase. Der Schlipsträger lächelte nur und strich sich über die Halbglatze. Jetzt wusste Leland wieder wo er diesen Knilch gesehen hatte. Er war auf dem Einband von Verenas Buch. Dieser Spinner, der nach Leuten mit besonderen Kräften suchte. Was machte der denn hier? „Nun, Rosie. Ich habe ein paar Freunde bei den Behörden, die mir einen Gefallen schulden. Ich sagte einmal, dass sie
mich informieren sollten, wenn ihnen etwas seltsames begegnet. Damit haben wir es hier ja offenkundig zu tun. Eine alte Frau wurde binnen kürzester Zeit mumifiziert. Nicht so wie die alten Ägypter es taten, falls sie das denken. Ohne Frage handelt es sich hierbei um ein grausames Verbrechen und ich finde es schade, dass Menschen die eine Begabung besitzen, diese für solch niedere Zwecke einsetzen. Niemand verdient ein solches Schicksal. Jedes Leben ist kostbar und niemand steht darüber, nur weil er anders ist. Dennoch sind auch diese Menschen Teil unserer Gesellschaft. Wir müssen sie nur richtig anleiten. Viele von ihnen sind verloren
und es ist an uns ihnen zu helfen.“ Er erntete gehörig Applaus. Leland verdrehte die Augen. So ein Schaumschläger hatte ihm gerade noch gefehlt. Die anderen beiden kamen zu ihm. Eileen verschränkte skeptisch die Arme vor der Brust und begutachtete den Fremden, der die Massen sofort verzaubert hatte. „Wer ist das?“, wollte Peterson wissen und kratzte sich fragend am Hinterkopf. „Patrick Snyder. Er ist Showmaster und leitet eine Sendung in der es um Menschen mit paranormalen Fähigkeiten geht. Außerdem kandiert er zur Zeit für das Amt des Bürgermeisters. Ein ziemlich hohes Tier im Stadtrat. Ich
hasse solche Typen, die einen solchen Anlass dafür benutzen um ihr eigenes Ansehen zu verbessern.“ Akerman sah sie an. „Hey. Sie haben ja ethische Grundsätze. Das hätte ich ihnen gar nicht zugetraut.“ „Sie können mir mal Akerman.“ Er grinste nur, ehe sein Blick durch die Gegend schweifte. Nicht einmal die Polizisten taten etwas dagegen. Sie ließen ihn einfach gewähren. Durch solch einen Tumult würden sie jegliche Spur verlieren. Verenas Angreifer konnte das Durcheinander nutzen, um sich aus dem Staub zu machen, aber das interessierte hier offenbar niemanden. Brachte wohl alles nichts. Hier würden
sie nichts mehr erreichen. Er setzte seine Sonnenbrille wieder auf und wandte sich seinen Mitarbeitern zu. „Gehen wir zurück und schauen wir uns die Bänder an. Vielleicht finde ich ja etwas und wenn wir Glück haben, ist diese Sache schnell erledigt.“ Die junge Frau nickte und stemmte die Hände in die Hüften. „Gut. Dirk? Du fährst ins FBI-Archiv und siehst nach, ob es hier schon mal so einen Vorfall gab. Niemand ist perfekt. Der Täter könnte eine Spur hinterlassen haben, die uns zu ihm führt.“ Leland konnte sich das Lachen nicht
verkneifen. „Ganz die FBI-Tussi, nicht? Denken sie wirklich dieser Kerl ist so dumm? Wenn er bisher nicht erwischt wurde, dann schaffen wir das sicher auch nicht. Wer nicht gefunden werden will, schafft das auch, aber sie hören ja sowieso nicht auf mich. Also, tun sie was immer sie für das Richtige halten. Ich geh mir ein paar Überwachungsvideos ansehen.“ - „Wie fühlst du dich heute Michaela? Jetzt bist du schon beinahe ein halbes Jahr hier bei uns und hast viele Freunde gefunden. Du hast dich gut
eingelebt.“ Ethan lächelte durch seine Hornbrille hindurch und musterte die 23-Jährige Patientin. Er konnte sich noch gut an ihre erste Begegnung erinnern. Sie hatte die Fähigkeit Meerestiere zu kontrollieren. Ihr Freund Ryan war damals Opfer eines unkontrollierbaren Ausbruchs geworden. Seitdem war sie hier in der Anstalt und Mittlerweile hatte sie das ganze gut überstanden. Sie wirkte sehr viel lebendiger als noch zur ihrer Anfangszeit, in der sie eher verschüchtert war. Sie spielte mit ihren roten Haaren und sah lächelnd auf den Tisch vor sich. „Ja. Es ist wirklich schön hier. Ich hätte
nie gedacht, dass es so viele Menschen gibt, die sind wie ich. Es ist ein tolles Gefühl, nicht die Einzige zu sein. Sie haben mir sehr geholfen Doktor. Ich kann das niemals gutmachen.“ Bitter musterte er die Junge Frau. Er selbst sah sich nicht als strahlenden Helden. Die ganzen letzten Monate nicht. Seit Katherinas Tod schien ein Teil von ihm verschwunden zu sein. Wieder und wieder hatte er die Situation vor seinen Augen ablaufen lassen. Das Mädchen war gebrochen. Sie wäre wieder zurückgekommen. Davon ging er aus. Doch Leland hatte sie einfach getötet und das nur, weil Heidenreich es ihm befohlen hatte. Sie hatte der jungen
Frau die Chance genommen, sich von all ihrem Kummer und ihrer Trauer zu befreien. Als wäre sie kaputt. Einfach weggeworfen. Danach ging irgendwie alles den Bach runter. Dwight war auch nicht mehr da. Für ihn war das alles ebenfalls zu viel. So war es nun mal. Nicht jeder schaffte es in diesem Job. Manche gaben schon viel früher auf. Der Student hatte sich wacker geschlagen und viel für die Anstalt getan. „Sehr schön Michaela. Wichtig ist nur, dass du dich hier wohl fühlst. Dieser Ort soll dir ein zu Hause bieten. Das ist der Grundgedanke von Willow Creek. Menschen mit Parafähigkeiten haben es
nie leicht, sich in die Gesellschaft einzubinden. Was wir tun, ist ihnen einen Weg zu zeigen, anstatt sie einfach nur zu ignorieren. Das ist uns sehr wichtig.“ Das war es auch bei ihr. Hier in der Anstalt arbeitete sie sogar. Gut. Sie kümmerte sich nur um die Zierfische draußen im Garten und in den Aquarien, aber es war immerhin etwas. So verlor sie nicht vollständig den Bezug. Sie hatte eine Aufgabe. Etwas dass ihr Bedeutung gab. Es half sie zu stabilisieren. Das war eines der Dinge, die die Anderen nicht verstanden. Foster war nur auf Erfolg fixiert und Peterson lief ihr nach wie ein hechelnder Hund.
Leland war zwar nicht so, aber er hatte auch nichts positives an sich. Seit der ganzen Geschichte hatte Ethan kaum ein Wort mit ihm gewechselt. Er konnte ihm nicht verzeihen. Auch wenn sich die Lage geändert hatte. Nicht einmal ein Viktor Waslow konnte etwas an diesem Umstand ändern. Das war nichts, was sie nicht hinbiegen konnten. Natürlich war dadurch einiges aufgewirbelt worden. Naiomi Winchester war knapp mit dem Leben davongekommen. Jetzt war sie wieder bei ihrem Onkel in Wisconsin. Dennoch hatte es Spuren hinterlassen. Die Erfrierungen hatten bleibenden Schaden verursacht, so dass das Mädchen auf einen Rollstuhl
angewiesen war. Das konnte kein Arzt richten. Jeder von ihnen hatte einen Preis bezahlt. „Geht es dir gut Ethan? Ich weiß, dass du eine gute Freundin verloren hast. Du kannst mit mir darüber reden, wenn du willst. Das wäre das mindeste was ich tun könnte.“ Er seufzte und tippte mit den Fingern auf dem Metalltisch, ehe er sich mit der Hand durch das Rabenschwarze Haar fuhr. „Danke. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte.“ Er packte seine Unterlagen zusammen und erhob sich langsam von seinem
Stuhl. Für heute war es genug. Der Arzt verabschiedete sich von Michaela und ging hinaus auf den Flur, wo er sich als erstes eine Malboro anzündete. Um das neue Rauchverbot auf den Korridoren scherte er sich wenig. Zwar erntete er dafür hin und wieder einen tadelnden Blick seiner Mitarbeiter, aber sonst ließen ihn die Leute gewähren. Jeder wusste was in der Lagerhalle passiert war. Ein paar Kollegen warfen ihm mitfühlende Blicke zu. Andere suchten das Gespräch, doch nichts davon vermochte ihn aufzumuntern. So schritt er in die Eingangshalle und steuerte den Empfang an. Dort legte er die Unterlagen auf dem Tresen
ab. „Hallo Gladis. Das muss verschickt werden. Ich hab alles notiert. Für den Moment wär's das. Ich fahr zum Friedhof. Wir sehen uns dann heute Abend wieder.“ Die alte Frau nickte und nahm die Papiere entgegen. Dann ergriff sie seine Hand. „Mr. Rain. Sie sollten sich etwas Urlaub gönnen. Sie sehen furchtbar aus.“ „Tun wir das nicht alle an manchen Tagen?“ Er zog an seiner Zigarette und wandte sich von der Empfangsdame ab. Die Eingangspforte öffnete sich. Foster schritt durch die Tür, dicht gefolgt von
Leland. Der hielt eine Kassette in der Hand. Als Eileen den Arzt erblickte, hielt sie inne und strich sich durch das Haar. „Rauchen ist hier verboten Rain!“ Er ignorierte sie. Auf so etwas hatte er jetzt keine Lust. Er wollte sich an ihnen vorbei schieben, als sie ihn mit ihrer Hand zurückhielt. „Haben sie einen Moment? Es gab einen Vorfall und ich möchte gerne wissen, ob sie uns da weiterhelfen können.“ Er zuckte mit den Schultern und musterte sie. „Ich wüsste zwar nicht wie Foster, aber schießen sie los.“ Sie sah ihn ernst
an. „Es wäre nett, wenn wir das nicht zwischen Tür und Angel besprechen würden.“ Er nickte. Wahrscheinlich würde das nicht lange dauern. Danach konnte er immer noch zum Friedhof fahren. So wandte er sich wieder um und steuerte den Korridor mit den Büros an. Foster folgte ihm schnellen Schrittes. Nur Leland hinkte ein wenig hinterher. „Wie wäre es mit ein wenig Rücksicht? Ich bin nicht ganz so mobil wie ihr!“ Ethan ignorierte den 44-Jährigen und fingerte den Türschlüssel aus seiner Tasche. Sie betraten sein Büro. Überall standen Kisten herum. Aufgeräumt war
etwas anderes. Er deutete den beiden an sich zu setzen und drückte seine Zigarette im Aschenbecher auf dem Schreibtisch aus. Akerman schloss die Tür und lehnte sich an die Wand daneben. Foster kam gleich zur Sache. „Eine junge Frau wurde heute Morgen getötet. Leland war dabei. Offenbar war er mit dem Mädchen verabredet. Es sieht so aus, als hätte ihr jemand...wie soll ich sagen...ihre Jugend gestohlen. Die Ärzte haben noch versucht sie zu retten, aber sie konnten den Alterungsprozess nicht stoppen. Sie ist solange gealtert, bis sie nur noch Haut und Knochen war. Kein schöner Anblick. Kennen sie zufällig jemanden,
der diese Fähigkeit beherrscht?“ Rain zuckte mit den Schultern. Davon hatte er noch nie gehört und das beunruhigte ihn. Es genügte offenbar nicht, dass es Menschen wie die Zwillinge oder Albert Wilkins gab, nein. Es musste jemand schlimmeren geben. Nachdenklich fuhr er sich durch das Haar und überlegte. „Mir fällt da leider niemand ein. Ich hab noch nie von so einer Fähigkeit gehört. Und ihr seid euch sicher?“ „Natürlich. Ich war ja mit ihr da“, erklärte Leland. „Im einen Moment war sie noch wunderschön, eine Augenweide und dann, eine Alte Dirne. Sowas hab ich
noch nie gesehen. Natürlich hat das direkt so einen Spinner auf den Plan gerufen. Weiß nicht ob sie schon von dem gehört haben. Peter Smith-“ „Patrick Snyder.“ „Wie auch immer. Er hat da eine Fernsehsendung in die er diese ganzen Mentalistenspinner einlädt. Kurz nachdem das ganze passiert ist, war er schon da.“ Ethan hörte ihm nur Teilweise zu. Er hatte schon von diesem Snyder gehört. Ein Mann im Stadtrat von Detroit, der für das Amt des Bürgermeisters kandidierte. Die Sendung hatte er allerdings nie gesehen. Nur das Buch gelesen. Es hatte ein paar interessante
Ansätze über Menschen mit Parafähigkeiten. Inwiefern er ins Bild passte, konnte der Arzt allerdings nicht sagen. Wahrscheinlich nutzte er das Ganze nur als Sprungbrett um den eigenen Einfluss zu steigern. Politiker schreckten doch vor nie etwas zurück. „Ich bezweifle dass er etwas damit zu tun hat. Soweit ich weiß, unterstützt er Menschen mit Parafähigkeiten. Manche halten ihn für einen Spinner, aber er hat viel Einfluss. Er leitet eine eigene Abteilung. Die U.F.P.I.“ Leland sah ihn stutzig an. „UFPI?“ „Unit for paranormal individuals. Sie ist nicht sehr bekannt und erst neu
gegründet worden. Wir haben in den letzten Monaten einfach zu viel Staub aufgewirbelt. Die ganze Geschichte mit Katherina und Lambert. Da ist es kein Wunder, dass man solchen Leuten plötzlich Gehör schenkt. Aber genug davon. Zeigen sie mir mal das Video dass sie da haben. Vielleicht erkenne ich jemanden.“ Eileen schritt zu einem Fernseher, der an der Wand stand und legte die Kassette ein. Ihr Blick glitt zu Leland. „Wann waren sie ungefähr im Restaurant?“ „So gegen Mittag.“ Sie spulte das Band vor. Das Gerät zeigte das Restaurant mit seinen Gästen.
Schließlich tauchte Leland mit Verena auf. Seine Avancen gegenüber dem Mädchen waren deutlich zu erkennen. Foster schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie sind widerlich Akerman.“ „Danke sehr!“ Er sah auf den Bildschirm und beobachtete, wie Verena die Toilette betrat. Alles war vollkommen normal. Er ließ sich den Wein bringen und wartete auf sie. Dann ging die alte Frau auf die Toilette. Nichts auffälliges. Später kam dann die junge Frau heraus, die ihm aufgefallen war. Niemand hatte sich sonst Zugang zur Toilette beschafft, bis er die Kellnerin hineingeschickt hatte.
Nichts brauchbares. Es war fragwürdig, ob das Band ihnen die gewünschten Informationen lieferte. Wer auch immer dahinter steckte, war unsichtbar für ihre Augen. Nachdenklich kratzte sich der 44-Jährige an seinem Vollbart, ehe sich die Tür öffnete und Peterson mit einer Kiste den Raum betrat. Er stellte sie auf dem Tisch ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Es hat ein wenig gedauert, aber ich hab was gefunden.“ Er durchwühlte den Karton und holte eine Karte der Staaten hervor, die anscheinend neu gekauft worden war. Dirk fuhr sich mit der Hand durch das braune Haar und zog einen Stift aus der
Tasche, bevor er damit begann einige Städte auf dem Papier zu markieren. Die Anderen versammelten sich neugierig am Tisch. „Der letzte Fall liegt 10 Jahre zurück. In Hartford ist eine Frau mumifiziert aufgefunden worden, die nach ihren Personalion erst 16 Jahre alt war.“ Das Überwachungsvideo lief nebenher weiter, wobei er ab und zu einen Blick auf den Bildschirm warf. Leland runzelte nachdenklich die Stirn. „Und davor?“ „Raleigh, Boston, Philadelphia. Das zieht sich die Ostküste entlang wie ein roter Faden. Ich hab noch nicht alles durchgelesen, aber es gibt Fälle die
gehen bis in die 30er Jahre zurück.“ Akerman zuckte mit den Schultern. „Klingt nicht gerade aufreizend.“ „Die 1830er.“ Ihm fiel die Krücke aus der Hand und landete klappernd auf dem Boden. Er sah den Hünen mit ernstem Ausdruck an und hob den Zeigefinger. „Wollen sie mir damit sagen, dass jemand der inzwischen über 100 Jahre alt ist dahinter steckt? Das ist doch absolut absurd!“ Ethan lächelte und zündete sich eine weitere Zigarette an, während er sich in seinen Stuhl zurücklehnte. „Leland. Sie sind lange hier. Unmöglich gibt’s hier nicht. Das wissen sie
genau.“ Er warf einen Blick auf die Unterlagen. Unvorstellbar. Jemand der schon seit so vielen Jahren lebte und immer weiter machte. In wie weit funktionierte diese Fähigkeit überhaupt? Man stahl die Jugend von jemand anderem und verlängerte dadurch das eigene Leben? Wer tat so etwas? Nachdenklich fuhr er über eine der Akten. Mit den Fingern tippte er auf ein Datum. „1965. Toledo. Das ist ganz in der Nähe. Teresa Hansen wurde in ihrer Wohnung aufgefunden. Ebenfalls mumifiziert. Ich bin mir sicher dass der Fall durch die Zeitungen ging. Was bedeutet, dass hier jemand darauf
aufmerksam wurde.“ Foster sah ihn an. „Das ist 40 Jahre her. Alle die damals gearbeitet haben sind schon lange im Ruhestand, oder tot.“ Rain grinste und zog an seiner Zigarette. Das war interessanter Zufall, der sich hier abzeichnete. Er tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn schloss die Augen. „Es gibt noch jemanden.“ Allerdings war er sich nicht sicher, ob er den Mann überhaupt erreichen würde. Das letzte Mal war fast ein Jahr her, dass er ihn gesehen hatte. Jedoch konnte er dessen Hilfe im Moment gut gebrauchen. So musterte er die
Anwesenden langsam und kratzte sich hinter dem Ohr. „Hammond!“ Akerman lachte. „Natürlich. Wir fragen ihn einfach. Ich bin mir sicher, dass er uns hilft, wenn wir lieb 'Bitte' sagen. Das können wir vergessen. Er ist nicht umsonst in den Ruhestand gegangen. Er wollte mit all dem nichts mehr zu tun haben.“ Nach Albert Wilkins war das nicht verwunderlich. Die Geschichte hatte einfach zu viel aus der Vergangenheit wachgerüttelt. Er kannte das Gefühl. Im Augenblick erging es ihm ähnlich. Wie sich Norman wohl damals gefühlt hatte, als sein ehemaliger Freund wieder
aufgetaucht war? Sicher nicht besser. Nach weiterer Überlegung fragte er sich, ob es fair war ihn um einen Gefallen zu bitten. Dieser Mann hatte genug für die Anstalt getan. Dennoch war seine Mitarbeit wichtig. Wenn er etwas über die damaligen Ereignisse wusste, die ihnen heute helfen konnten, dann war es einen Versuch wert. „Wir brauchen Ihn. Ansonsten ist das hier nur eine Suche, nach der Nadel im Heuhaufen. Wir haben gar nichts, außer einem Videoband und ihre Aussage Leland. Das hilft uns nicht weiter.“ Die Anderen nickten. Peterson studierte weiterhin aufmerksam das Videoband, ehe er zur Fernbedienung griff und ein
paar Minuten zurückspulte. Er schien akribisch nach etwas zu suchen, das er nicht finden konnte. Foster sah ihm über die Schulter. „Wonach suchst du Dirk?“ Der Braunhaarige spulte das Band wieder etwas vor, bis zu der Stelle, an der das junge Ding die Toilette verließ, welches Akerman zuvor aufgefallen war. Mit der Hand deutete er auf die Person. „Hier. Dieses Mädchen verlässt die Toilette, aber zuvor hat sie sie nie betreten.“ Er spulte ein Stück weit zurück, bis zu der alten Frau, die das stille Örtchen betrat. „Und diese Frau, hat sie nie verlassen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das die Person ist die wir suchen. Leland. Hast du die beiden bemerkt?“ Der Arzt nickte und fuhr sich durch das Haar. „Ja. Die waren mir aufgefallen. Besonders das junge Ding.“ Foster rollte mit den Augen. Dirk lächelte matt. „Also. Wenn es diese Frau ist, dann finden wir sie auch. Sicher ist irgendwo etwas über sie verzeichnet. Niemand kann auf Dauer unsichtbar bleiben. Ich frag mal ein paar Freunde, ob die etwas finden. Ethan kann ja in der Zeit diesen Hammond besuchen und den fragen, ob er etwas weiß. Ellie? Siehst du die Akten
durch? Vielleicht kannst du ja etwas rausfiltern.“ „Also“, warf Akerman schließlich ein. „Dann kann ich ja gehen. Hab ohnehin schon genug getan. Für heute mache ich Schluss.“ Ohne eine weitere Antwort abzuwarten wandte er sich um, und verließ das Büro. Eileen sah ihm wütend nach. „Ich hasse diesen Kerl!“ - Innerhalb weniger Minuten hatte er das Gelände verlassen und befand sich in der Fußgängerzone. Jetzt verlangte es ihm nach einem guten alten Single
Malt.Das würde seine Gedanken von dieser abstrusen Geschichte ablenken. Die Anderen würden bis Morgen sicher eine Menge gefunden haben. Darauf konnten sie dann aufbauen und vielleicht den finden, der für Verenas Tod verantwortlich war. Mittlerweile stufte Leland diesen Frau als Kategorie D ein. Ihre Kräfte waren gefährlich und man konnte nicht sagen, wann sie wieder zuschlug. Es war schwer zu sagen in welchen Intervallen sie ihre Verjüngungsdosis brauchte. Vielleicht hatten sie jetzt Ruhe. Das bedeutete allerdings auch, dass sie nur über ein kleines Zeitfenster verfügten, um diese Frau zu finden, bevor sie die Stadt
verließ und weiterzog. Sie würde einfach wieder untertauchen. Jetzt war der geeignete Zeitpunkt ihrem Treiben ein Ende zu setzen. An der nächsten Ampel blieb er stehen und seufzte. Was für ein verrückter Tag. Eigentlich hatte er damit gerechnet um diese Zeit mit der hübschen Studentin im Bett zu liegen. Man konnte es sich eben nicht aussuchen. Das Schicksal war ein Arschloch und hatte das heute einmal mehr bewiesen. Für heute musste eine Flasche Jack Daniels ihn wärmen. Morgen konnte er sich etwas anderes suchen. So sah er auf das rote Symbol der Anlage, das ihm verbot die Straße zu überqueren, ehe ein
schwarzer Rolls Royce Phantom ihm direkt vor die Füße fuhr. Skeptisch betrachtete er den Wagen. Die Scheiben waren verspiegelt, so dass man keinen Blick ins Innere des Autos werfen konnte. Die Fahrertür öffnete sich. Ein großer Schwarzer mit Sonnenbrille stand auf und ging zur Beifahrerseite. „Mr. Leland Akerman?“ Der Arzt sah den Riesen verdutzt an. „Wer will das wissen?“ „Mr. Snyder würde sie gerne zu einem kleinen Gespräch einladen. Wenn sie so freundlich wären ins Fahrzeug zu steigen.“ Der 44-Jährige betrachtete das Fahrzeug einen Augenblick lang und kratzte sich
dann nachdenklich am Hinterkopf. Ein schicker Schlitten. Das musste er diesem Fuzzi ja lassen. Allerdings hatte er im Augenblick wirklich keine Lust, sich mit diesem Kerl zu unterhalten. So schüttelte er den Kopf. „Sorry, aber für den Moment bin ich bedient.“ Die Scheibe des Wagens fuhr herunter. Eine hübsche Rothaarige saß hinten auf dem Sitz. Sie trug ein schwarzes Business-Kleid und eine Sonnenbrille.Was für ein heißer Feger. Leland lächelte. „Wenn sie mich allerdings so fragen, dann kann ich kaum ablehnen!“ Er stieg ein und nahm ihr gegenüber
Platz. Sie fuhren los. Die Dame war wirklich hübsch. Jung und schlank. Der Traum eines jeden Mannes wenn man so wollte. Sie hielt ihm die Hand zur Begrüßung hin. „Gut, dass sie etwas von ihrer Zeit opfern konnten Mr. Akerman. Ich bin Maria Reed. Mr. Snyders persönliche Assistentin. Er wartet bereits in seinem Penthouse auf sie. Wie Ronald sie bereits höflich darauf hinwies, wäre es nett wenn sie ihm ein paar Minuten ihrer Zeit schenken würden.“ „Ich würde Ihnen all meine Zeit schenken Liebes. Nennen sie mich einfach Leland.“ Er grinste. Sie blieb kühl und
distanziert. „Wie sie meinen.“ Solche Frauen mochte er am liebsten. Sie spielte die Unnahbare, aber jede Dame hatte einen wunden Punkt. Ihren musste er nur finden. Der Rest funktionierte dann von ganz alleine. War wie beim Schiffeversenken. Hatte man einmal die gegnerische Strategie erkannt, gewann man die Partie beinahe ganz von selbst. In diesem Fall wollte er alles über diese Fremde wissen. So tat er erst einmal, als würde er sich die Stadthäuser ansehen, während er sich an der Wange kratzte. „Also. Und sie arbeiten für diesen
Smith?“ „Snyder.“ „Genau. Was tun sie so als Assistentin? Ich hörte er ist ein hohes Tier im Stadtrat.“ Sie neigte den Kopf nach links und rechts, wobei ihre Halswirbel leise knackten. Dann setzte sie ihre Sonnenbrille ab und fuhr sich durch die Haare, ehe sie ihn mit ihren braunen Augen musterte. „Hören sie Mr. Akerman-“ „Leland.“ „Leland. Verkomplizieren wir das hier nicht. Wir beide sind Menschen, die viel zu tun haben. Sie haben ihren Job und ich meinen. Sie sind nur ein Paket dass
ich abliefern muss. Belassen wir es auch dabei.“ „Wie sie wünschen Ma'am!“ Die konnte kein Wässerchen trüben. Die hatte es wahrscheinlich faustdick hinter den Ohren. Ein Grund mehr sich an sie zu halten. Gut. Für den Moment gab sich der Arzt geschlagen, denn er wusste dass es nichts brachte, sie jetzt zu bedrängen. Er hatte noch genügend Zeit bei ihr Eindruck zu hinterlassen. Jetzt würde er einfach nur die Fahrt im Wagen genießen. Zur Ablenkung begann er das Fenster immer wieder herauf- und herunter zu kurbeln. Auch eine Art die Minuten verstreichen zu lassen. „Könnten sie das bitte
lassen?“ Er hob beschwichtigend die Hände und ließ von der Scheibe ab. „Entschuldigen sie.“ Furchteinflößend konnte sie also auch sein. Zu Schade dass sie die Unnahbare spielte. Er wäre gerne mit ihr ausgegangen. Nun gut. Was nicht war, konnte ja noch werden. Für den Moment würde er sich auf sein Treffen mit Snyder konzentrieren. Er war gespannt, was der Typ von ihm wollte. Das Penthouse lag in der Innenstadt. Das Gebäude war gigantisch. Leland verrenkte sich beinahe den Hals, als er die vielen Stockwerke hinauf sah. Die
Sonne blendete, so dass er die Spitze nicht sehen konnte.Umringt war der Wolkenkratzer von einer Gartenanlage, die für zusätzlichen Charme sorgte. Dieser Showmaster wusste wirklich, wie man lebte. Akerman selbst träumte nur von solch einer Behausung. Ein Lebensstil von dem er immer angetan war. Abend am Balkon stehen und einen Blick auf die Stadt werfen. Dieses Privileg bekamen nicht viele. Dafür beneidete er diesen Kerl beinahe. „Kommen Sie.“ Die Assistentin warte am Eingang des Gebäudes. Akerman folgte ihr ohne Umschweife ins Foyer. Hier herrschte Hochbetrieb. Leute marschierten ein und
aus. „Ich wusste nicht, dass ihr Vorgesetzter die Gesellschaft der Massen schätzt.“ Die Rothaarige betätigte den Fahrstuhl und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Hierbei handelt es sich nur um die Mitarbeiter von Mr. Snyder. Vorwiegend Wahlkampfhelfer die ebenfalls hier im Gebäude wohnen.“ Er musterte sie lächelnd und stützte sich dabei auf seiner Krücke ab. „Dann wohnen sie doch sicher auch hier. Sie können mir ja ihre Wohnung zeigen, wenn wir mit Mr. Snyder fertig sind.“ „Das bezweifle
ich.“ Sie betraten den Fahrstuhl. Akerman warf einen Blick auf die Stockwerkanzahl. Über 60. Sie fuhren in die höchste Etage. Das überraschte ihn nicht. Männer wie Patrick Snyder schindeten gerne Eindruck. Er würde es nicht anders halten, wenn er hier leben würde. Tiefer befanden sich ebenfalls noch Stockwerke. Unterhalb des Erdgeschosses. Wahrscheinlich Lagerräume. War auch egal. Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder der Dame vor ihm zu. Ihren Beinen, um genauer zu sein. Glatt und geschmeidig. Ein wenig trainiert. Wahrscheinlich joggte sie viel. Sportliche Frauen waren
ohnehin attraktiver. Er mochte es nicht, wenn sie sich gehen ließen und langsam aber sicher fett wurden. Mit einer Wampe konnte kein Weib bei ihm Punkten. Diese Maria lag genau in seinem Beuteschema. Verena hatte er durch sie längst vergessen. Es gab keine Zweifel: Dieses hübsche Ding musste einfach seine nächste sein. Nur, wie stellte er es an? Sie gab sich keinerlei Blöße. „Haben sie einen Freund?“, durchbrach er das Schweigen. Die Junge Frau betrachtete ihn abschätzend. Sie lehnte leicht an der Aufzugwand und seufzte. „Haben sie den Fahrer noch in Erinnerung?
Ronald?“ Perplex sah er sie an. „Nicht ihr ernst. Sie verarschen mich doch. Eine hübsche junge Frau wie sie geht doch nicht mit so einem Zuchtbullen aus.“ Die bluffte. Ganz klar. Jetzt wollte Sie, dass er muffensausen bekam und die Finger von ihr ließ. Derlei Spielchen kannte er schon. Deshalb würde er nicht darauf reinfallen. Grinsend lehnte er sich zurück. Plötzlich blieb der Aufzug mit einem Ruck stehen. Beinahe wäre er gestürzt, konnte sich aber gerade noch festhalten. „Huch. Diese Technik heutzutage. Auf die kann man sich auch nicht mehr
verlassen.“ Er kratzte sich am Bart und sah sie an. „Scheint wohl als sitzen wir hier fest.“ „Netter Versuch Akerman.“ Sie drückte erneut auf den Stockwerkschalter, woraufhin sich das Gefährt wieder in Bewegung setzte. Innerlich fluchte er. Hätte ja auch funktionieren können. Da musste er sich eben etwas anderes überlegen. Sie erreichten das oberste Stockwerk und betraten einen langen Korridor, an dessen Ende zwei Leibwächter vor einer Doppeltür aus Eiche standen. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Snyders Assistentin schritt voran. Einer der beiden Männer
öffnete die Tür und ließ sie ein. Leland blieb im Türrahmen stehen. Links und Rechts hinter dem Eingang waren Weinregale in die Wände eingelassen, die durch eine Glaswand geschützt wurden. Dahinter lag die Wohn-Küche - in schwarz gehalten. Ein Kamin in der einen Ecke. Mehrere Bücherregale in der anderen. Ein Durchgang führte weiter zu einem Büro. Nach Oben hin gab es eine Wendeltreppe, die wahrscheinlich ins Schlafzimmer führte. Riesige Fenster ließen einen Blick auf die Skyline von Detroit zu. Akerman verharrte einen Augenblick dort. Beeindruckt pfiff er. „Nicht schlecht. Ist ihre Wohnung auch
so schön?“ Sie schritt voran und ignorierte ihn einfach. Die Beiden betraten das Wohnzimmer. Sie deutete ihm, sich auf dem Sofa niederzulassen. „Warten sie hier einen Augenblick. Ich hole Mr. Snyder.“ Damit schritt die junge Frau die Wendeltreppe hinauf und ließ Leland alleine im Wohnzimmer zurück. Der ließ sich auf dem Ledersofa nieder und streckte sich aus. Etwas bequemeres hatte er zuvor nie erlebt. Wie unfair. Dieser Kerl lebte hier wie ein König und er musste sich mit seiner kleinen Wohnung begnügen. Er musste unbedingt in die Politik gehen. Vielleicht
bekam er dann ja auch so eine herrliche Aussicht. Sein Blick glitt über das Sofa. Eine Fernbedienung lag direkt neben ihm. Wahrscheinlich für Musik. Er griff nach dem Gerät und drückte einen der Knöpfe, womit die Rollladen heruntergelassen wurden. Nicht wirklich das, worauf er hinaus wollte. Der nächste Knopfdruck schaltete den Kamin ein. „Scheiße!“, entfuhr es ihm. Wieder drückte er auf die Bedienung. Endlich ertönte Musik. Barry White sang in voller Kehle und dröhnte durch die gesamte Etage. Verzweifelt sah der Arzt auf die Fernbedienung. Besser, er ließ das Ding einfach liegen. Dann konnte er
auch keinen Schaden mehr anrichten. „Mr. Akerman. Wie ich sehe gefällt ihnen die Wohnung.“ Patrick Snyder kam langsam die Wendeltreppe hinunter. Gefolgt von seiner Assistentin. Der Showmaster trog ein weißes Hemd mit Hosenträgern und die dazu passende Anzughose. Damit wirkte er wirklich wie ein Politiker. Die standen ja auf solch einen Kleidungsstil. Leland erhob sich und humpelte langsam auf ihn zu. Sie schüttelten einander die Hände, bevor der Politiker sich der Rothaarigen zuwandte. „Miss Reed? Wären sie so freundlich, mir und meinem Freund eine Flasche Pétrus zu holen? Bringen sie sich gleich
ein Glas mit. Und die Holzschachtel mit den Zigarren aus meinem Büro bitte.“ Die junge Frau nickte und setzte sich in Bewegung, während ihr Chef mit einem Klick der Fernbedienung die Musik abschaltete. Das Feuer des Kamins knisterte weiter ruhig von sich hin. „Es ist nett, dass sie es einrichten konnten.“ „Keine Ursache Mr. Snyder.“ Der Andere lächelte. „Bitte. Nennen sie mich doch Patrick, Leland. Wir lernen uns gerade kennen. Da sollte man auf derlei Förmlichkeiten verzichten. Das Leben ist viel zu kurz, um immer nur auf die Etikette zu achten. Besonders im Alter ist das nicht
mehr so gefragt. Gut, es macht Eindruck bei den Damen.“ Sein Blick wanderte zu den Weinregalen, wo sich Maria gerade streckte, um eine Flasche herauszuziehen. Beide Männer musterten sie. „Sie gefällt ihnen, nicht wahr?“ „Das wäre untertrieben. Hat sie etwas über mich gesagt.“ Der Mann nickte und strich sich mit einer Hand durch das weiße Haar. „Außer, dass sie ein ungehobelter und arroganter Schleimer sind? Nein, aber lassen sie sich davon nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Maria war schon immer etwas Eigen. Sie macht es den Leuten nie einfach, aber dass sie sie
erwähnt hat, ist ein gutes Zeichen. Sonst ignoriert sie die meisten immer.“ Er ließ sich auf dem Sofa nieder und legte ein Bein über das andere. Akerman tat es ihm gleich. Snyder wirkte gar nicht so übel, wie er am Anfang gedacht hatte. Er war freundlich und strahlte eine Menge Charisma aus. Auf jeden Fall war er keiner dieser versnobten Spießer. Die konnte Leland noch nie ausstehen. Letztendlich kam Maria mit dem Wein und den Zigarren. Sie entkorkte die Flasche und goss jedem von ihnen ein Glas ein. Sie stellte alles auf dem Tisch ab und reichte ihrem Chef die Holzschachtel. Er öffnete sie und reichte
Akerman sogleich eine. „Probieren sie mal. Nichts geht über eine gute Chobia. Frisch aus Kuba.“ Snyder köpfte beide mit einem Zigarrenschneider, der ebenfalls in der Schachtel lag und reichte dem Arzt eine. Maria sorgte für Streichhölzer und zündete den Männern die Zigarren an. Akerman hustete und klopfte sich auf die Brust. Er hatte schon lange keine Zigarre mehr genossen. „Nicht schlecht“, erklärte er nur. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich wieder gefasst hatte. Maria ließ sich auf der anderen Ecke des Sofas nieder und setzte ihr Weinglas an. Patrick erhob
seines. „Auf den Beginn einer guten Freundschaft. Es geht nichts über ein Glas guten Wein und eine gute Zigarre.“ „Eine attraktive Frau“, ergänzte Leland und grinste, ehe er sich dem Showmaster zuwandte. „Aber sie haben mich doch sicher nicht nur deshalb eingeladen.“ Sein Gegenüber lächelte. „Sie kommen direkt zum Punkt. Das ist eine gute Eigenschaft. Sie hätten das Zeug zum Politiker. Nun. Dann will ich sie nicht länger auf die Folter spannen: Wie sie wissen, arbeite ich nicht nur in politischen Gefilden. Sie haben sicher meine Sendung schon gesehen, oder
mein Buch gelesen? Falls nicht, ist das auch nicht weiter Schlimm. Dieser Schinken verkauft sich zwar gut, aber ich konnte darin nie wirklich alle Aspekte erklären. Sie wissen ja wie die Wirtschaft ist. Vieles wird geschwärzt. Zensur ist heutzutage unser größter Feind. Wie dem auch sei. Dieser jüngste Fall in diesem Restaurant. Die mumifizierte Frau. Sie waren mit ihr dort nicht wahr? Ich habe einen Freund bei der Polizei, der so freundlich war mir das Überwachungsmaterial zur Verfügung zu stellen. Ich muss sagen, ihr Geschmack ist interessant Leland. Ich bedaure zutiefst was da passiert ist.“ Er gönnte sich einen Moment, in dem er
einen Schluck aus seinem Glas nahm. Akerman tat es ihm gleich und seufzte. Darum ging es ihm von Anfang an. Der Arzt hatte so etwas vermutet. Er zog an seiner Zigarre. „Und was hat das mit mir zu tun?“ Sein Gegenüber lächelte. „Ganz ruhig Leland. Ich bin nicht hier um sie zu verhören. Wie sie wissen, arbeite ich in diesem Metier. Menschen mit Parafähigkeiten. Ich habe sogar eine eigene Einheit gegründet, die sich damit beschäftigt. Die U.F.P.I. Ziel ist es, diesen Menschen zu helfen, damit sie ein Teil der Gesellschaft werden. Sie sind der großen Masse noch völlig unbekannt. Wir müssen ihre Angst davor
zerstreuen. Das ist wichtig. Sie wissen sicher wovon ich spreche. Sie arbeiten in diesem Sanatorium. Willow Creek.“ „Ein ganz normaler Laden.“ Der Politiker lachte vergnügt. „Mit Sicherheit. Dennoch ist es doch äußerst fragwürdig, dass sich zwei ihrer Kollegen so sehr für diesen Fall interessieren. Sie waren ebenfalls am Tatort. Schon seltsam, oder? Mir müssen sie nichts vormachen Leland. Ich wünsche lediglich, mit ihnen zusammen zu arbeiten, um diesen Fall zu lösen. Wer auch immer dahinter steckt, ist verloren auf seinem Pfad. Sie und ich, wir können diesem Menschen helfen. Das ist besser, als ihn einfach
nur wegzusperren und den Schlüssel wegzuwerfen. Finden sie nicht?“ Akerman seufzte und tippte sich nachdenklich gegen die Stirn. Eigentlich konnte es ihm ja egal sein. Snyder schien ganz nett zu sein, aber was er wirklich verfolgte, war dem 44-Jährigen schleierhaft. Wahrscheinlich war er nur auf Profit aus. Das taten alle reichen Männer. „Was genau, haben sie vor?“ „Nun. Ich will diese Person in meiner Sendung auftreten lassen. Das wäre der erste wirkliche Mensch mit Parafähigkeiten. Ich möchte seine Geschichte hören. Ich möchte, dass die Welt sie hört und sieht, dass es sich bei
diesen Leuten um Menschen wie sie handelt. Normale Bürger, die einfach nur ein normales Leben führen wollen. Sie wissen, dass das bei der heutigen Gesellschaftslage nicht ganz einfach ist.“ Leland nickte und nahm einen weiteren Schluck. „Das wäre noch untertrieben. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel. Die Person ist gefährlich. Das hier ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert.“ Der Politiker horchte interessiert auf. „Ah. Also gibt es weitere Fälle?“ „Vergessen Sie's. Ich habe schon zu viel gesagt.“ Heidenreich würde ihm den Arsch aufreißen, wenn er hier irgendwelche
Berufsgeheimnisse ausplauderte. Besser dieser Snyder erfuhr nicht zu viel. Außerdem würde der Showmaster sich selbst nur in Gefahr bringen. Er wollte das Leben dieses Kerl nicht auf seinem Konto haben. Snyder ließ natürlich nicht locker. Er lehnte sich vor und seufzte. „Sie sagten noch zu wenig, Leland. Sehen sie in den Spiegel. Ein Mann mit ihrem Temperament verbringt seinen Lebtag in einer Anstalt. Dort wird diesen Leuten die Hilfe die sie brauchen verwehrt, aber Sie und Ich, wir können eine Menge bewegen. Schon lange warte ich auf solch eine Gelegenheit. Jemand, der wirklich etwas über jene Dinge weiß,
vor denen die meisten immer wieder die Augen verschließen.“ Er stand auf und schritt zum Kamin. Eine Hand hielt er dem Feuer entgegen, um sich von den Flammen wärmen zu lassen. Wehmut wanderte in seinen Gesichtsausdruck. Er meinte es wohl wirklich ernst. Leland dachte nach. „Was genau erwarten Sie von mir?“ „Ihre Hilfe. Das sagte ich doch schon. Ich kann ihnen alle Mittel zur Verfügung stellen, die sie benötigen, um diesen Menschen zu finden. Ich biete meine Dienste an. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass die Sache aufgeklärt wird. Arbeiten sie für mich
Leland.“ Innerlich grinste er. Das war es also, was er wollte. Ihn abwerben. Interessanter Schachzug und gut ausgeführt. Dennoch war diese Verlockung gefährlich. Er konnte nicht einfach einem Fremden vertrauen. Snyder bemerkte sein Zögern. „Natürlich würden sie angemessen bezahlt werden.“ Er wandte sich seiner Assistentin zu. „Was meinen Sie Maria? Ein engagierter Mann wie Leland. Da wären doch 5.000 Dollar angebracht oder? Mit entsprechender Unterkunft versteht sich. Ich kam nicht umhin zu entdecken, dass sie ein Auge auf diese
Wohnung geworfen haben. Sie können in das Gebäude einziehen. Ich kann alles arrangieren.“
Er legte dem Arzt eine Hand auf die Schulter.
„Alles was sie tun müssen, ist 'Ja' zu sagen.“
„Mr. Snyder? Wir wären dann soweit!“ Er saß auf einem braunen Ledersessel und nickte in die Kamera. Das Bühnenlicht blendete ihn leicht, so dass er sich eine Hand vor die Augen legte. Die Zuschauer betrachteten ihn mit Neugierde. Der Politiker sah zu, wie der Kameramann mit der Hand von fünf herunter zählte und setzte ein warmes Lächeln auf. Maria stand neben dem Team und machte sich ein paar Notizen, während ihr Vorgesetzter zu Sprechen begann. „Guten Morgen Detroit und herzlich willkommen zu einer neuen Episode von
'Paranormals are Humans'. Wie sie sicher wissen, habe ich mich schon im Vorfeld lange mit dem Thema der Menschen mit besonderen Kräften, auch Parafähigkeiten genannt, auseinandergesetzt. Nachlesen können sie das am besten in meinem neuen Buch: 'Die Grenzen der Normalität – Menschen mit Parafähigkeiten.'“ Er machte eine kurze Pause und nahm einen Schluck aus seinem Glas Wasser. Die Sendung war die letzte für diesen Monat, worüber er froh war. Ein wenig Ruhe konnte ihm nicht schaden, besonders da er sich mitten im Wahlkampf befand. Der Kampf um den Posten des Bürgermeisters war hart und
seine Gegner spielten mit harten Bandagen. Er jedoch ließ sich Zeit und übte sich in Geduld. Das beste Beispiel dafür war eben dieses hier, indem er einfach weiter seiner täglichen Arbeit nachging. Natürlich zog das auch Journalisten und ihresgleichen an, aber das brachte positive Publicity, die er im Augenblick gut gebrauchen konnte. „Sicher, einige von ihnen werden jetzt mit dem Kopf schütteln und grinsend auf das nächste Programm umschalten wollen, doch halte ich sie dazu an, mir ein paar Minuten ihrer Zeit zu schenken. Lassen sie mich ihnen im Gegenzug dafür die Augen öffnen, und ihnen einen tieferen Einblick in diese Welt gewähren.
Wir leben in einer Zeit, in der es nicht mehr angebracht ist, nur in Schwarz und Weiß zu denken. Die Welt verändert sich ständig und wer nicht schnell genug ist, kann nur schwer mithalten. Nicht nur der technische Fortschritt ist ein Punkt, auf den wir uns richten müssen, nein. Wir müssen beginnen die Tatsachen nicht weiter in Frage zu stellen.“ Er war aufgestanden und schritt nun langsam auf der Bühne auf und ab. Mit seinen fast 1,90 mochte er für manchen ziemlich furchteinflößend wirken, wäre da nicht dieses warme Lächeln, mit dem er die Zuschauer bedachte. „Unter uns gibt es Menschen, die direkt
neben uns Leben, unsere Nachbarn sind. Vielleicht sogar unsere besten Freunde. Sie unterscheiden sich jedoch in einem Punkt von uns: Sie sind besonders, besitzen einzigartige Fähigkeiten. Sie alle kennen sicher die Sendungen über angebliche Medien, die Löffel verbiegen und behaupten, sie können die Zukunft voraussehen. Ich spreche von etwas vollkommen anderem.“ Hinter ihm wurde eine weiße Wand heruntergefahren. Gespannt warteten die Zuschauer auf das, was nun folgte. Ein Video, das den Flughafen von Detroit zeigte. Zu Beginn wirkte alles vollkommen ruhig, ehe eine Person in gelber Jacke durch das Bild huschte,
verfolgt von zwei Männern. Erst wirkte es nur wie eine vollkommen normale Verfolgung, bis die Verfolgte die Hand hob und einen Lüftungsschacht aus der Decke riss, um ihren Häschern den Weg abzuschneiden. Das Bild stoppte. „Was sie hier sehen, ist nur einer von vielen Individuen, mit sogenannten Parafähigkeiten. Telekinese, Empathie, oder die Kontrolle über Elemente. Science Fiction sagen sie? Nein. Schon immer waren diese Leute ein Teil unserer Gesellschaft, die im Schatten agierten. Doch fürchten sie sich nicht. Diese Menschen sind nicht gefährlich. Sie sind wie sie und ich. Einfache Mitbürger, die versuchen ihren Weg im
Kreislauf des Lebens zu finden. Sicher, der ein oder andere von ihnen mag jetzt Angst haben, aber ich versichere-“ - Leland schaltete den Fernseher ab und streckte die Glieder. Peterson warf ihm einen kurzen Blick zu und erhob sich von seinem Stuhl. „Hey. Das war doch ziemlich interessant!“, erklärte er ein wenig angesäuert. Zusammen mit Foster befanden sie sich gerade im Büro der jungen Frau und sortierten die Unterlagen, die sie über den derzeitigen Fall bereits zusammengetragen hatten.
Der 44-Jährige streckte sich und seufzte. Foster verzog angewidert das Gesicht. „Sie stinken als wären sie gestern in einem Zigarrenclub gewesen Akerman. Schon mal was von Duschen gehört?“ Er grinste und kratzte sich unter den Achseln. Leland trug dasselbe wie gestern. Nach dem Gespräch mit Snyder war er noch durch die Bars gezogen, ehe er morgens betrunken nach Hause getaumelt war. Im großen und ganzen hatte er höchstens zwei Stunden geschlafen, bevor man ihn aus dem Bett geklingelt hatte. Jetzt saß er hier, nickte alle paar Minuten ein und musste sich das Geschwafel von Foster anhören.
Nicht der beste Start in den Tag, aber manchmal konnte man es sich eben nicht aussuchen. „Sie sollten unbedingt mal wieder einen drauf machen meine Liebe. Würde ihnen nicht schaden. Sie können ja ihren Kollegen fragen. So wie der sie die ganze Zeit begafft, wäre er sicher nicht abgeneigt!“ Leland deutete auf Peterson. Eileen zeigte ihm zur Antwort nur den Mittelfinger und fuhr sich mit der Hand durch die roten Haare. Dirk grinste hinter ihrem Rücken und ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder. Er warf einen Blick auf die Papiere. „Also. Bis jetzt haben wir nur einen
Namen gefunden. Norma Evans. So hieß die gute Dame, bevor sie wieder jung wurde. Natürlich ist sie untergetaucht. Sämtliche Konten geleert und alle Spuren verwischt. Wir können zur Wohnung fahren, aber ich bezweifle dass wir da was finden.“ „Besser als nichts. Hier herumzusitzen ist auch keine Lösung. Rain ist auf dem Weg zu Hammond um etwas herauszufinden.“ Akerman legte die Hände hinter den Rücken und starrte auf die Uhr, die über der Tür hing. „Wenn ihr mich fragt ist das reine Zeitverschwendung. Die alte wäre ganz schön blöd, in der Stadt zu bleiben. Die
ist sicher schon über alle Berge und wir stochern hier im Mist.“ „Damit kennen sie sich ja aus Akerman. Gehen sie mit Peterson und durchsuchen sie die Wohnung. Vielleicht hat Evans etwas vergessen.“ Für seinen Geschmack waren das zu viele Spekulationen. Diese Frau hatte sich Jahre lang verbergen können. Sie würde keinen Fehler machen. Wahrscheinlicher war es, dass sie bereits im nächsten Zug saß und den Staat verließ. Foster klammerte sich an eine Hoffnung die es nicht gab. Selbst wenn Rain etwas herausfand, würde ihnen das nicht helfen. Hier verwischte jemand seine Spuren gut. Das hatte auch Snyder
gestern Abend gesagt. Dennoch schien dieser Medienfuzzi ihm eine Menge zu verschweigen. Wie viel wusste dieser Mann wirklich? Allein die Tatsache, dass er über Videomaterial von Naiomi Winchester verfügte, war ein Umstand den er Leland verschwiegen hatte.Viele Menschen sahen gerade, was sich eigentlich abspielte, und das war nicht gut. Das war eines der großen Probleme: Solange man keine Beweise für eine Theorie besaß, wurde man als Spinner und Lügner abgestempelt. Konnte man seine Standpunkte jedoch untermauern, sah das Ganze anders aus. „Ich denke nicht, dass wir etwas in der
Wohnung finden Ellie. Leland hat Recht, auch wenn dir das vielleicht nicht gefällt. All die Jahre gab es niemanden, der wirklich etwas über diese Ereignisse herausgefunden hat und auch beweisen konnte. Wir haben nur Lelands Aussage und ein paar Minuten Videoband. Das reicht schon. Wir geben eine Fahndung raus. Das ist alles was wir tun können. Jemand anders wird sich um die Kleine kümmern.“ Die junge Frau sah ihn wütend an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Da liegt der Hund begraben Dirk. Jemand anders weiß nicht das, was wir wissen. Wir sind die Leute, die sich um solche Angelegenheiten kümmern. Oder
glaubst du, eine SWAT-Einheit, oder die Cops wüssten, wie sie damit umgehen müssen? Die Leute haben keine Ahnung davon, was wirklich da draußen ist und es ist an uns, dass es so bleibt.“ Akerman grinste und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Diese Frau brachte ihn mit ihrer Kurzsichtigkeit mal wieder zum Schmunzeln. „Das hat sich jetzt erledigt. Dafür können wir Hickins und Rain danken. Spätestens jetzt wissen die Leute nämlich, dass das alles nicht nur eine Erfindung ist. Snyder hat seine Karten gut ausgespielt. Seine Sendung ist zwar Scheiße, aber er weiß was er tun muss, um die Menschen für sich zu gewinnen.
Nach dieser Vorführung wird wohl kaum noch jemand seine Theorien bezweifeln. Man. Wenn ich überlege wie viele Idioten in die Läden rennen um sich sein Buch zu kaufen. Ich müsste selber eins schreiben.“ „Sehr witzig. Und wie soll das heißen? Der Suff und ich? Ich kann nicht glauben, dass ihr beiden einfach nur die Hände in den Schoß legen wollt. Bei ihnen verstehe ich das sogar noch Akerman. Sie sind ein fauler Chauvinist, der nur an sich selbst denkt.“ Er nickte bestätigend. „Danke meine Liebe. Nun. Da sie nicht klein beigeben, müssen wir wohl oder übel in den sauren Apfel
beißen.“ Der Arzt erhob sich und stützte sich auf seiner Krücke ab. Es brachte nichts, sich dagegen zu wehren. Eileen würde nicht locker lassen, bis sie das bekam was sie wollte. Ein Gutes hatte es: Er musste sich ihr Gezeter nicht länger anhören und dieser Peterson war im Augenblick eine willkommenere Gesellschaft. Das war besser, als alleine im Büro herumzusitzen und nichts zu tun. Dirk erhob sich ebenfalls und zog sich seine Jacke über. Dann schritt er zu seiner Kollegin und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ellie. Beruhige dich. Leland und Ich
gehen zu der Wohnung. Versuch du einfach hier noch etwas herauszufinden.“ Sie nickte und senkte seufzend den Kopf. Etwas schien sie zu beschäftigen. Bedächtig schritt der ehemalige FBI-Agent seiner alten Freundin durch die Haare. Akerman nahm dies als Zeichen dafür, den Raum zu verlassen. Er wollte nicht unbedingt sehen, wie Foster ihr Herz vor ihm ausschüttete. Dafür hatte er im Augenblick nicht den Kopf. Der Arzt marschierte langsam aus dem Raum. Peterson umarmte Eileen sanft und drückte sie vorsichtig an sich. „Was ist los? Ich weiß, dass Akerman manchmal ein Arsch sein kann, aber deswegen flippst du doch nicht so aus.
Was bedrückt dich Ellie?“ Sie schmiegte sich an ihn und umfasste seine Schultern. „Ich kann einfach nicht glauben, dass ihm die Geschichte so egal ist. Ich meine, das war ein junges Mädchen und sie wurde einfach getötet. Ihrer Chance auf eine Zukunft geraubt, nur damit jemand anders weiterleben kann. Und Leland? Er kannte diese Frau. Es ist ihm egal. Siehst du das nicht? Er tut einfach so, als wäre das gar nicht passiert. Ich verstehe das nicht. Ich verstehe nicht, wie jemand so kalt sein kann.“ Er sah sie an. Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln. Das war das erste Mal seit langem, dass er sie so aufgelöst
sah. Sonst bemühte sie sich immer sehr darum, ihre starke Fassung zu bewahren. Jetzt fiel diese Maske. Dirk wusste genau, wie verletzlich Eileen sein konnte. Solche Dinge beschäftigten sie, auch wenn die junge Frau es nie offen zugeben würde. Der Braunhaarige setzte ein warmes Lächeln auf und strich ihr über die Wange. „Leland ist ein Arsch. Das weißt du doch. Mach dir um den keinen Kopf. Er hat schon zu viele Jahre auf dem Buckel. Er ist er, und du bist du Ellie. Du bist stark, das weiß ich. Wir finden diese Frau. Ethan ist bei Hammond. Er wird sicher etwas herausfinden, das uns weiterhilft. Du kennst das doch: Es ist
wie unserem Job. Die bösen können sich nicht ewig verstecken. Irgendwann bekommen sie immer das, was sie verdienen.“ Seine Kollegin ließ sich auf dem Stuhl nieder und legte die Hände in den Schoß. Es wirkte so, als würde mit einem Mal alles auf sie niedersausen, das sie in der letzten Zeit erlebt hatte. „Ich frage mich immer, wie Rain das zum Beispiel macht. Es ist so viel passiert. Dieser Job, er macht die Leute kaputt. Hammond hat gekündigt, weil er damit nicht fertig wurde. Dwight ist weg. Katherina ist tot. Nichts ist mehr so, wie es mal war. Wie soll man da guten Gewissens einfach weitermachen,
wenn alles um einen herum kaputt geht? Wie schaffst Du das Dirk?“ Er legte den Kopf schief und kratzte sich am Kinn. Nachdenklich senkte er den Blick. „Es ist schwer. Nichts kann dich darauf vorbereiten. Jeden Tag ist es etwas anderes. Ob Heidenreich, Leland oder Ethan. Sie alle wissen das. Morgen kann wieder einer von uns tot sein. Wer weiß das schon? Im Leben ist doch nie etwas sicher Ellie. Wichtig ist, das wir uns davon nicht besiegen lassen. Es gibt so viel schlechtes auf dieser Welt. Wir können zumindest ein wenig davon lindern, mit dem was wir tun. Sicher, manchmal ist es komisch. Niemand weiß
das es uns gibt. Niemand wird je irgendwo sitzen und über uns reden, sagen wie gut wir waren. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, das wir da sind. Das wir stark bleiben. Und jetzt komm. Steh auf.“ Er zog sie wieder nach oben und wischte ihr umsichtig die Tränen fort. Sie presste die Lippen zusammen und nickte. Natürlich würde es eine Zeit dauern, bis sie das alles verdaut hatte, doch am Ende würde sie die starke Eileen Foster sein. So wie immer. Er kannte sonst niemanden, der das konnte. Nur sie. Sie schaffte es stets, nach einer schweren Situation den Kopf oben zu halten und weiterzugehen. Sie stand
nicht allein. Er würde bei ihr bleiben. Ihr helfen, diese schweren Tage zu überstehen. - Es war eines dieser normalen Stadthäuser. Keine besonderen Dinge, wie eine Hecke, oder Statuen. Hammond lebte wie ein normaler Mensch und machte sich offensichtlich nichts aus Luxusgütern. Das erkannte Ethan sofort, als er den kleinen Steinweg entlang schritt, der zum Hauseingang führte. Das einzige, das ihm auffiel, waren die vielen Rosen, die den Vorgarten zierten. Jemand kümmerte sich
mit viel Liebe um diese Pflanzen. Eine solche Arbeit erforderte tägliche Hingabe. Rot, weiß, und andere Farben. Einen Moment musterte der 32-Jährige diese Arbeit und fragte sich, was wohl aus dem ehemaligen Anstaltsleiter geworden war. Nach der Geschichte mit Katherina hatten sich die beiden Männer aus den Augen verloren. Die Situation war für keinen der beiden leicht gewesen. Jetzt, da er hier war, konnte er das Mädchen wieder vor seinem geistigen Auge sehen. Die gesamte Lage spielte sich noch einmal in seinem Gedächtnis ab. Katherina weinte. Leland umarmte sie, um sie zu trösten, ehe er ein Messer in
ihre Brust rammte. Sie verschwand für immer aus dieser Welt. Er würde ihre letzten Worte nie vergessen. Wie sie gelächelt hatte. Stumm fuhr er sich über seine Brust. Die Narbe würde ihn an das alles erinnern. Egal wo er auch hinging, würde er immer an die 16-Jährige denken, die wie eine Tochter für ihn war. Dennoch würde nichts mehr so sein, wie es einmal war. Seit dem Tag ihres Todes, schien die ganze Welt wie umgekrempelt. Er versuchte eigentlich nur, den nächsten Tag zu überstehen. Sich abzulenken, damit es nicht so schwer war. So hob er den Kopf und sah zur Tür, in dessen Rahmen nun ein Alter Mann mit
Hemd und Hose stand. Durch die Hornbrille musterte Hammond ihn und kam die Stufen herab. Einen Augenblick lang, sagte niemand von ihnen ein Wort. „Ein halbes Jahr ist es her, nicht wahr?“, begann Hammond und senkte den Blick. Rain nickte und zündete sich eine Malboro an. Der alte Mann schritt langsam auf ihn zu und formte die Lippen zu einem Lächeln. „Gratulation nachträglich zum Geburtstag Ethan. 33 Jahre sind ein gutes Alter. Man beginnt die Dinge aus einem anderen Licht zu sehen. Kleine Augenblicke, erscheinen wertvoller als früher.“ Er schritt neben ihm her und führte ihn
zu seinen Rosen, ehe er sich in die Hocke begab. Mit den Fingern strich er über die Blütenblätter und lächelte matt. „Sofia ist jetzt 6, nicht wahr?“ Ethan nickte. „Ja. Sie geht bald in die Schule. Freut sich schon richtig darauf.“ „Gut. Das ist gut. An diesem Tag sollten sie sich frei nehmen, denn es ist einer der wenigen Tage, die ihrer Tochter wirklich etwas bedeuten werden. Im Alter vergisst man vieles und manchmal, erinnert man sich nur an die schlechten Dinge. Daher ist es wichtig, dass man sich solche Augenblicke in Erinnerung behält.“ Der Arzt zog an seiner Zigarette und
bedachte den alten Mann nachdenklich. Hammond hatte sich verändert. Er wirkte in sich gekehrt. Ein ungewohnter Anblick. Er kannte ihn nur als weisen und starken Mentor. Ihn so zu sehen, war ein befremdender Gedanke. Noch schwieriger war es, ihn um einen Gefallen zu bitten. Er hätte nicht herkommen dürfen. Norman hatte genug durchgemacht und sollte nicht wieder in diese Dinge hineingezogen werden. Er verdiente Frieden. Ethan rügte sich selbst im Gedanken für seine Idee hierherzukommen. „Wie geht es ihnen Norman?“ „Hm. Die Tage sind meistens dieselben Ethan. Ich stehe auf, kümmere mich ein
wenig um die Pflanzen und verlebe meinen Tag. Das ist etwas, das ich noch ziemlich gut kann. Es hilft mir, klar zu bleiben. Seit dem Tod meiner Frau war es nie einfach für mich. Es fehlte einfach ihr liebliches Wesen in diesem Haus. Sie war sonst immer diejenige, die sich um die Blumen gekümmert hat. Ich habe Gartenarbeit gehasst, aber jetzt ist es das einzige, was ich noch habe. Es ist so, als wäre sie immer noch hier, verstehen sie? Aber genug davon. Deswegen sind sie sicher nicht hier Ethan.“ Sein Magen verkrampfte sich. Die Situation war ihm unangenehm. Innerlich lächelte er darüber, wie leicht
es für Hammond immer war, ihn zu durchschauen. Der Arzt drückte seine Zigarette im Gras aus und seufzte. Jetzt brachte es sowieso nichts mehr, die Wahrheit hinter dem Berg zu halten. „Es gibt einen Fall, bei dem wir ihre Hilfe brauchen. Eine junge Frau ist gestorben. Jemand hat ihr die Jugend gestohlen und sie dadurch mumifiziert.“ Der alte Mann hielt Inne und starrte auf seine Rosen. In diesem Moment wusste Ethan, dass er den richtigen Punkt getroffen hatte. So fuhr er fort. „1965 gab es einen ähnlichen Fall in Toledo.“ Hammond schüttelte den Kopf. „Keinen ähnlichen Fall Ethan. Es war
dasselbe. Eine junge Frau, etwa 22 Jahre alt. Gealtert innerhalb weniger Sekunden.“ „Teresa Hansen.“ Norman nickte. „Ja. Wir haben nachgeforscht und herausgefunden, dass solche Fälle schon öfters vorkamen. Überall in den Staaten, über Jahrzehnte hinweg. Es war sofort klar, dass der Verantwortliche keinerlei Reue gegenüber seinen Opfern hatte. Ihm war es nur wichtig, das eigene Leben zu verlängern. Ein D-Patient wie aus dem Bilderbuch. Ich wurde persönlich darauf angesetzt diese Person zu finden und nach Willow Creek zu bringen, aber ich jagte einen
Geist.“ Er stand auf und fuhr sich durch das weiße Haar. Ethan sah in die alten Augen und wusste, dass diese Geschichte etwas war, das Hammond tief in sich vergraben hatte. „Diese Frau verwischte ihre Spuren jedes mal perfekt. Egal wie sehr ich mich bemühte, sie war mir immer einen Schritt voraus. Letztendlich konnte ich sie nicht fassen. Einmal habe ich ihr gegenübergestanden. Ich wusste, dass dieser Mensch gefährlich ist und die Angst zwang mich in die Knie. Ich war jung. Etwa in ihrem Alter Ethan. Ich ließ diese Frau entkommen und sehe mich als Schuldigen für alle, die nach
diesem Vorfall starben.“ „Wir haben einen Namen Norman. In diesem Moment untersucht Leland ihre Wohnung zusammen mit den Anderen. Ich hatte gehofft, sie wissen etwas, das uns helfen kann. Ich habe das Videoband mitgebracht. Zumindest könnten sie die Frau identifizieren, damit wir vollkommen sicher sind.“ Hammond nickte und führte Ethan ins Haus. Es war schön eingerichtet. Alles in weiß gehalten. Kein neumodischer Schnickschnack oder dergleichen. Alte Wasen standen auf Unterschränken. Bilder aus längst vergangenen Tagen zierten die Wände. Rain war nie bei Hammond zu Hause gewesen. Er war
wirklich nur ein Mann, wie jeder andere. Im Wohnzimmer angekommen ließen sich die beiden Männer auf dem Sofa nieder. Ethan reichte dem alten Mann die Kassette. Immerhin war sein Besuch nicht ganz umsonst. Es brachte ihn auf andere Gedanken und das war gut. So vergaß er ein wenig die Trauer und die Zweifel, die ihn verfolgten. Dennoch wurmte es ihn, mit leeren Händen zu den Anderen zurückzukehren. Er hatte gehofft, hier Antworten zu finden, doch nun wusste er, dass ihre Suche ins Leere verlaufen würde. Er spulte bis zu der Stelle vor, an dem man die junge Frau sehen konnte, die die Toilette
verließ und stoppte. Norman beugte sich nach vorne und setzte die Brille ab, um besser sehen zu können. Erwartungsvoll musterte Rain ihn. Der Alte nickte nur und seufzte. „Da haben sie Sie. Ich hoffe diese Bestätigung hilft ihnen. Sie müssen sich beeilen Ethan, sonst verlieren sie das Mädchen aus den Augen.“ - Langsam fuhr der Wagen in die Gasse, die neben dem Haus von Norma Evans lag. Es war eine der zwielichtigen Gegenden in der Stadt. Häuser standen hier Wand an Wand. Irgendwo bellte ein
Hund. Auf der Straße unterhielten sich Leute lautstark miteinander. Leland warf einen Blick aus dem Fenster. Nicht gerade ein Viertel, in dem er sich niederlassen würde. Vor allem stellte sich dem 44-Jährigen die Frage, wie eine alte Frau so lange hier überleben konnte. Ob das mit ihren Kräften zusammenhing? Er warf einen Blick zu Peterson, der nachdenklich nach vorne sah und mit den Fingern auf dem Lenkrad herumtippte. „Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass ich mich von solchen Gegenden fernhalten soll. Wüsste sie jetzt, welchen Job ich mache, und an was für Orte er mich führt, würde sie mir wohl
eine verpassen.“ Akerman grinste leicht und kratzte sich am Ohr. Wenigstens hatte er Dirk dabei. Mit Foster wäre diese Aufgabe sicher nicht halb so amüsant. Sie war viel zu verklemmt und konzentrierte sich nur auf die Mission. Small Talk gab es bei ihr nicht. Schade eigentlich.Der einzige, der wirklich Zugang zu ihr zu haben schien, saß hier neben ihm. Der Bärtige sah seinen Partner einen Moment lang an, ehe er das Wort an ihn richtete. „Naja. Was solls. Meine rotiert sowieso schon wie ein Grillspieß unter der Erde, bei all den Dingen die ich tue. Da ist das hier gar nichts gegen.“ „Stimmt das wirklich, dass sie ihr
ganzes Erbe verzockt haben?“ Der Angesprochene zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich dachte es wäre eine gute Investition. Vegas ist ein hartes Pflaster. Heute kann man gewinnen und morgen alles verlieren. Es ist ein Teufelskreis. Man kann aber nicht sagen, dass ich daraus nichts gelernt habe. Nämlich, so weit wie möglich vom Rest meiner Familie entfernt zu leben, damit die nicht ständig mit dem Finger auf jemanden zeigen können. Sie wissen ja wie das ist Dirk: In jeder Generation gibt es ein schwarzes Schaf und ich bin nun mal derjenige, der diese Rolle zu spielen
hat.“ Peterson nickte nachdenklich. „Ah. Ich bin ein Einzelkind. Deswegen war meine Mutter wahrscheinlich auch immer so bedacht darauf, mich vor allem zu beschützen. Das war schon so, als ich klein war.“ „Das hat sie aber nicht davon abgehalten ihren Weg in Fosters Schoß zu finden.“ Dirk lachte darüber und griff neben seinen Sitz, wo eine Flasche Mineralwasser lag. Er öffnete sie und trank einen Schluck, ehe er sie Leland reichte, der kopfschüttelnd verneinte. „Ellie ist gar nicht so übel, wenn man sie erst einmal richtig kennen gelernt
hat. Sie ist eben ziemlich taff. Das war sie schon früher auf der Polizei-Akademie. Selbst von unserem Vorgesetzten hat sie sich nicht alles gefallen lassen. Da hat sich hinterher keiner wirklich mehr getraut, ihr Paroli zu bieten.“ „Außer ihnen nehme ich an. Naja was soll ich dazu sagen? Die Frau hat einen gehörigen Stock im Arsch wenn sie mich fragen. Ich kann sie nicht leiden.“ Peterson klopfte ihm auf die Schulter. „Das beruht auf Gegenseitigkeit. Ellie will immer vorwärts kommen. Sie begnügt sich nicht mit dem was sie hat. Sie will immer mehr. Das war auch einer der Gründe, warum es am Ende
nicht mehr funktioniert hat. Sie ist in allem viel zu engstirnig. Aber sie hat auch ihre guten Seiten. Sie müssen ihr nur eine Chance geben.“ Leland konnte sich gar nicht vorstellen, dass jemand wie Eileen Foster überhaupt ein Herz hatte. Diese Karrieregeile dumme Ganz war ihm schon öfter auf den Schlips getreten. Jetzt wo Rain nicht mehr so aktiv war, hatte sie ihn als ihre neue Zielscheibe ausgewählt. Und die sollte ihre guten Seiten besitzen? Wahrscheinlich nur, wenn man den ganzen Tag mit einer Rosabrille herumlief. Naja. Peterson war nun mal ein Mann, der eine gemeinsame Vergangenheit mit dieser Frau hatte. Es
würde ihn nicht wundern, wenn da ab und zu etwas zwischen den beiden lief. Da konnte Dirk ihm noch so viel erzählen. Ein Kerl hörte immer auf die Vagina, die er fütterte und schiss dabei auf die eigenen Prinzipien, die er so hoch lobte. „Das sehen wir dann Peterson. Erst mal sollten wir uns jetzt um Norma kümmern. Wir teilen uns am besten auf. Das Zimmer ist im zweiten Stock. Sie gehen über die Feuertreppe und ich versuche es vorne rum. So können wir ihr den Weg abschneiden, wenn sie da ist.“ „Sie scheinen nicht daran zu glauben.“ Leland schüttelte den
Kopf. „Sie etwa? Diese Frau fliegt unter dem Radar. Wahrscheinlich ist sie längst über alle Berge. Wir stochern hier im Sand. Ihre liebe Frau Foster will das nur nicht sehen. Sie sieht Möglichkeiten, wo es keine gibt. Sie glaubt dass wir hier antanzen, und diese Evans uns wie ein Geschenk auf die Motorhaube gelegt wird.“ Ein Schatten glitt über die beiden Männer nieder, gefolgt von einem lauten Krachen. Verdutzt sahen die Männer aus der Frontscheibe, nur um zu sehen, dass gerade jemand auf die Motorhaube des Autos gefallen war. Akerman stieg als erster aus und warf einen Blick auf die
Situation. Es war die junge Frau vom Überwachungsband. Sie lebte noch. Hilfesuchend sah sie den Arzt an, streckte die Hand nach ihm aus, ehe sie langsam zu altern begann. Wenige Sekunden vergingen, in der sie langsam aber sicher verfiel und sich in Staub auflöste. Voller schock beobachtete Peterson das ganze, ehe sein Blick nach oben ging. Am Offenen Fenster stand jemand, dessen Gesicht er nicht erkennen konnte. Vermummt. Die einzige Tarnung bei Tageslicht. Kaum gesehen, wandte sich der Fremde nach innen. Sofort wandte sich der ehemalige FBI-Agent der Feuerleiter zu. „Sie gehen vorne
rum!“ Er reichte ihm eine Schusswaffe. „Nutzen Sie die, wenn es brenzlig wird.“ „Nett. Ein Krüppel gegen einen Killer.“ Sein Partner war schon die Feuerleiter rauf. So schnappte sich Akerman die Krücke und humpelte nach vorne Richtung Straße. Ein paar Passanten waren neugierig geworden, doch er ignorierte sie einfach und schob sich zwischen ihnen hindurch in Richtung Wohnungseingang. Am Treppenhaus angekommen sah er bereits Normas Mörder. Er stand auf der fünften Stufe und blickte auf ihn hinab. Komplett verhüllt. Nichts ließ einen Schluss auf die Identität dieses Riesen zu. Leland
hob die Pistole. „Keine Bewegung. Endstation Kumpel!“ Der Angesprochene rührte sich nicht. Ein kalter Schauer lief dem Arzt über den Rücken. Die Fragen bohrten sich nur so in seinen Kopf. Warum hatte dieser Kerl Norma getötet? Wer war er? Das würde sich wohl nur beantworten, wenn man diesen Typen lebend zu fassen bekam, weshalb die Waffe eigentlich keine Option war. Von oben konnte Akerman Schritte hören. „Stehen bleiben!“ Petersons Stimme donnerte durch das Treppenhaus. Jetzt oder nie. Leland hob die Pistole und schoss, doch die Kugeln
erreichten den Vermummten nicht einmal. Sie verschwanden einfach, bevor sie ihn erreichten. Perplex starrte Akerman den Fremden an, der mit einem Mal verschwand. Ein Luftzug wehte dem Doktor durch das Haar, ehe er den Griff des Mannes am Handgelenk spürte. Durch zwei schnelle Bewegungen war er entwaffnet und auf die Knie gebracht worden. Die Krücke klapperte auf den Boden. Leland versuchte sich zu befreien, doch vergeblich. Dann spürte er etwas. Als würde jemand ihm etwas absaugen. Kraftlosigkeit breitete sich in dem Mann aus. Der Fremde ließ von ihm ab und war wenig später verschwunden. Dirk
kam die Stufen hinab und eilte zu dem kauernden Akerman.
„Leland? Alles okay?“
Er brauchte einen Moment um sich zu fassen. Der Atem ging flach. Alles drehte sich in ihm. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis er begriffen hatte, was hier gerade passiert war.
„Meine Kräfte....Meine Kräfte sind weg! Dieser Penner hat mir gerade mein Fähigkeit gestohlen!“
Eileen saß an Heidenreichs Schreibtisch und hatte die Hände vor dem Gesicht ineinander gefaltet. Neben ihr saß Dirk. Er wirkte angeschlagen. Kein Wunder nach dieser Geschichte, die ihnen widerfahren war. Leland hatte sich für den Rest des Tages freigenommen. Ohne Robertas Zustimmung natürlich. Er machte sich nicht viel aus den Vorschriften seiner Chefin, die ganz und gar nicht erfreut über diese Wendung schien. Nervös lief die Anstaltsleitung von Willow Creek hinter dem Schreibtisch auf und ab. In der Hand hielt sie wie immer eine Zigarette. Ihr
Pudel schlief seelenruhig in seinem Körbchen und bekam von all dem nichts mit. „Chaos. Sie stürzen alles ins Chaos. Nicht nur, dass Norma Evans tot ist, nein. Wenn ich ihrer abstrusen Geschichte glauben soll, dann habe ich die Wahl daran zu glauben, dass wir es mit einem noch schlimmeren Mann zu tun haben. Und nicht nur das: Die U.F.P.I hat den ganzen Tatort abgeriegelt, so dass wir auch an keine weiteren Informationen gelangen können.“ Sie sah zu Peterson und funkelte ihn finster an. Sie war nicht erfreut. Das konnte er auch ohne irgendwelche
besonderen Kräfte feststellen. „So arbeiten wir nicht! Diskretion ist unser oberstes Gebot. Sie haben die halbe Stadt auf uns aufmerksam gemacht. Die Zeitungen werden voll davon sein. Haben sie überhaupt eine Ahnung, was sie da losgetreten haben? Und warum zum Teufel nehmen sie Akerman mit? Der Mann ist labil und unberechenbar. Der schert sich nicht darum, was er mit seinen Taten auslöst. Er weiß nämlich genau, dass Ich diejenige bin, die das ausbaden muss.“ Heidenreich hatte Recht. Die Geschichte war ein Desaster. Allerdings hätte niemand ahnen können, dass sich alles so entwickelte. Dieser Fremde war ein
Gegenspieler, den sie nicht auf der Rechnung hatten. „Ma'am. Peterson kann nichts dafür. Sie wissen genau wie unkontrolliert Akerman sein kann. Im Gegensatz zu Rain fehlt es ihm an der nötigen Disziplin. Sie können Dirk nicht dafür verantwortlich machen. Dieser Angriff kam vollkommen unerwartet. Wir wussten nicht, dass es jemanden gibt, der hinter Norma Evans her war.“ Während sie sprach, legte sie ihrem Partner eine Hand auf der Schulter. Er sah zu ihr. Ellen versuchte seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dennoch bezweifelte Dirk, dass das dieses Mal funktionierte. Roberta kochte vor Wut
und man konnte es ihr nicht verübeln. Eine Menge lastete auf ihren Schultern und da konnte sie es nicht gebrauchen, dass die Leute von derlei Dingen etwas mitbekamen. Diesen Einsatz hatte er verbockt. Seufzend tippte er mit seinen Fingern auf dem Schreibtisch herum und runzelte die Stirn. „Ist schon gut Ellie. Sie hat Recht. Ich hätte umsichtiger sein müssen.“ „Sie sagen das so selbstverständlich Peterson. Wir haben riesige Probleme. Wir müssen uns nicht nur um Viktor Waslow und Albert Wilkins kümmern – nein. Jetzt haben wir es auch noch mit jemandem zu tun, der anderen die Kräfte stehlen kann. Das ist eine Sachlage, die
wir zuvor noch nie hatten. Können sie etwas über den Angreifer sagen?“ Dirk schüttelte den Kopf. „Nein. Mr. Akerman ist von vorne in die Wohnung gegangen, während ich über die Feuerleiter ging. Wir haben unser Möglichstes versucht, ihn festzusetzen, aber er hat uns überrumpelt. Er hat Pistolenkugeln abgewehrt, als wäre es nichts. Dann kommt noch diese übermenschliche Geschwindigkeit hinzu, sowie die Fähigkeiten von Miss Evans und Akerman. Wir müssen davon ausgehen, dass das nur ein paar seiner Fähigkeiten sind.“ Stille machte sich im Büro breit. Der ehemalige Agent starrte auf das Holz des
Tisches. Mit einem solchen Gegner, hatten sie es noch nie zu tun gehabt. Jemand der sämtliche Fähigkeiten stehlen konnte, um sie dann auf sich zu übertragen. Bei dem Gedanken lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter. Dieser Kerl spielte in einer völlig anderen Liga. Sie hatten nicht die Mittel, um es mit so einem aufzunehmen. Davon abgesehen, dass er sicherlich nicht einfach klein beigeben würde. „Könnte er vielleicht etwas mit Waslow und Wilkins zu tun haben?“ Foster schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck von einem Becher Kaffee, den sie in der Hand hielt. Mit der Zunge fuhr sie sich über die
Lippen. „Ich denke nicht. Sonst hätten wir schon früher von diesem Mann gewusst. Wir wissen nichts über ihn. Warum sollte so jemand mit Wilkins und Waslow arbeiten, wenn er einfach ihre Fähigkeiten stehlen könnte? Nein. Das glaube ich nicht. Er hat eigene Ziele. Sicher ist nur, dass wir vorsichtig sein müssen. Kein Mensch mit Fähigkeiten ist mehr sicher. Leland hat in seinem Fall Glück und nur seine Fähigkeiten verloren. Die Sache hätte schlimmer ausgehen können.“ Heidenreich nickte zustimmend und warf einen Blick aus dem Fenster. Inzwischen war der Nachmittag
angebrochen. Alles wirkte friedlich draußen. In der Anstalt wusste niemand, was da draußen lauerte. Das war allerdings auch gut so, denn eine Panik war das letzte, was die alte Frau jetzt brauchen konnte. Sie war unsicher. Was hätte Hammond wohl an ihrer Stelle getan? Als erstes wohl dafür gesorgt, dass niemand weiter zu schaden kam. Das war wichtig. Sie durften nicht zulassen, dass dieser Fremde eine Gelegenheit hatte, noch mehr Fähigkeiten zu sammeln. So wandte sie sich zu den beiden um. „Foster. Ich möchte dass sie mit Dr. Bernard sprechen. Es gelten jetzt neue Regeln. Die A und B-Patienten dürfen
nicht mehr in den Hof. Es herrscht eine komplette Ausgangssperre. Ich will, dass die Männer die Wachen verstärken. Jeder, auffällig erscheint, oder nichts auf dem Gelände verloren hat, wird sofort festgenommen. Dieser Mann könnte jeder sein. Er könnte hier arbeiten, ohne dass wir davon wissen. Wir müssen reagieren. Sagen sie Rain Bescheid. Er soll Miss Winchester anrufen. Es ist besser, wenn sie ebenfalls in Sicherheit ist.“ Die Rothaarige nickte und erhob sich. Sie hatte den Raum beinahe verlassen, als Heidenreich sie noch einmal zurückhielt. „Und – Seien sie diskret! Wir können uns
hier keine Panik leisten Foster. Sprechen sie ruhig mit den Patienten und den Anderen. Verunsichern sie die Leute nicht. Niemand soll etwas erfahren, bis wir nicht genau wissen, womit wir es hier zu tun haben.“ Damit blieben Peterson und Heidenreich alleine im Büro zurück. Inzwischen war der Pudel erwacht und sah sich verschlafen im Zimmer um. Roberta ignorierte ihn und hatte den Blick wieder nach draußen gerichtet. Dirk schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie hatte Recht. Es war besser, Vorkehrungen zu treffen. Wer wusste schon, was als nächstes auf sie zukam? Man konnte nur spekulieren. Nichts war
mehr wirklich sicher. Tag für Tag wurde es gefährlicher. War es das eigentlich wert? Eine Frage, die er sich öfter stellte. Dwight zum Beispiel, hatte gekündigt nach dem es zu kompliziert geworden war. Ethan Rain war ein emotionales Wrack. Was würde dieser Beruf Ihm abverlangen, wenn es so weiter ging? Innerlich schüttelte er den Kopf. Die Antwort, wollte er nicht wissen. So wandte er sich seiner Vorgesetzten zu. „Ma'am. Kann ich etwas tun?“ „Für den Augenblick nicht Peterson. Fahren sie nach Hause. Das wird wohl für den Moment das beste sein. Halten sie einfach die Augen offen. Und
erkundigen sie sich nach Akerman. Nach der Geschichte geht es ihm sicher nicht gut. Auch wenn Sie ihn nicht leiden können, wir brauchen ihn und seine Erfahrung. Besonders jetzt.“ Sie seufzte und wandte sich zu ihm um. Ihre Hand glitt zu einem Glas Wasser auf dem Tisch. Sie leerte es in schnellen Zügen. Besorgnis spiegelte sich in ihrem Blick wieder. Sie versuchte zwar oft, ihre Souveränität zu wahren, aber in diesem Fall war das nicht mehr möglich. Sie alle standen mit dem Rücken zu Wand. Es gab zu viele Einflüsse, auf die man reagieren musste. Die U.F.P.I, die nun ihre Finger im Spiel hatte. Dagegen konnte man sich nicht zu Wehr setzen.
Diese Männer unterstanden Patrick Snyder. Einem mächtigen Politiker, und mit denen war meistens nicht gut Kirschen essen. Die nahmen sich einfach, was sie wollten. Wahrscheinlich nutzte er die Situation nur dafür, um seinen Einfluss zu steigern und Leute für sich zu gewinnen. Er wusste gar nicht, was er damit anrichtete. Bisher war es gut, dass die meisten nichts über Menschen mit Parafähigkeiten wussten. Es war sicherer für sie. Nun wurde jedoch nach anderen Regeln gespielt. Die Öffentlichkeit nahm durch Snyder Notiz von jenen Dingen, die man eigentlich vor ihnen verborgen halten wollte. Ein
Umstand, der sich nicht einfach aus der Welt schaffen ließ. - „Sie sehen furchtbar aus Leland. Setzen sie sich.“ Snyder sah wie immer gut aus. Er stand am Fenster seines Penthouses und rauchte eine Zigarre. Nach der Sache in Evans Wohnung war Akerman direkt hierher gekommen. Er fühlte sich verloren und unsicher. Dass es jemanden gab, der ihm einfach seine Kräfte stehlen konnte. Das war etwas, womit der Arzt niemals gerechnet hätte. Stumm ließ er sich auf dem Sofa nieder
und legte ein Bein über das andere. Maria brachte ihm ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette. Nicht dass das etwas ändern würde, aber er bewunderte ihre Fürsorger. Der Stadtrat sah zu ihm hinüber und senkte den Blick. „Also konnten sie dieser Frau nicht helfen?“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf. Sicher waren das nicht die Neuigkeiten, die der Politiker hören wollte. Immerhin war angedacht, dass sie in seiner Sendung auftrat. Das war jetzt allerdings hinfällig. Die gesamte Lage war absurd. Wer hätte so etwas kommen sehen? Dieser miese Wixxer
hatte sie überrascht und überrumpelt. „Wir kamen zu spät. Da war noch jemand, der ebenfalls auf der Suche nach ihr war. Er wusste genau, was er tun musste. Wir waren vollkommen machtlos dagegen. Vielleicht finden ihre Leute ja etwas mehr, über diesen Fremden heraus. Sie sind doch gut im Umgang mit diesen Sachen, oder ist ihr Buch und alles was sie in ihrer Show sagen, nur dummes Gewäsch?“ Patrick lachte und schüttelte den Kopf, ehe er an seiner Zigarre zog. „Sie klingen ziemlich frustriert Leland. Was passiert ist tut mir leid. Besonders wegen dem Mädchen. Manchmal passieren Dinge, ohne dass wir etwas
dagegen tun können. Das sind höhere Gesetze, gegen die unsereins machtlos ist. Die U.F.P.I versucht, zu helfen wo sie kann, aber ich befürchte, dass wir im Moment nur abwarten können. Wer auch immer dieser Mann war, er wusste genau was er tat. Himmel. Allein der Gedanke, dass es so jemanden gibt. Ich hätte nie gedacht, dass das solche Abgründe erreichen kann.“ Der 44-Jährige grinste und trank einen Schluck Wasser. Maria ließ sich am anderen Ende des Sofas nieder und machte sich ein paar Notizen. Heute trug sie ihr Haar zu einem Zopf. Sehr elegant. Wie immer bedachte sie Akerman mit der kalten Schulter. Im
Augenblick, war er für sie einfach nur Luft. Ein Umstand, an dem er noch arbeiten musste. Jetzt, wollte er sich allerdings nur von dieser Strapaze erholen. Hier konnte er das am besten. Niemand wusste, wo er war. Das hier war ein guter Rückzugspunkt. Außerdem wollte er Snyder sowieso über die neusten Entwicklungen informieren. Am Ende war die Verlockung des Geldes einfach zu groß gewesen und vielleicht konnte dieser Mann wirklich etwas verändern. Das konnte man ja nie wissen. „Tja. So ist das eben. Das Leben ist scheiße. Machen wir uns da nichts vor. Irgendjemand pisst dir immer ans Bein,
egal was man macht. Da sind selbst sie mit ihrer Truppe aufgeschmissen.“ Maria schaltete sich ein. „Sprechen sie nicht so mit ihm. Der Mann, den sie hier vor sich haben, ist immer noch im Stadtrat Mr. Akerman. Zollen sie ihm den Respekt, den er verdient.“ Ihr Boss hob beschwichtigend die Hände und lächelte. „Schon gut Maria. Leland hatte einen harten Tag. Das kann man ihm nicht verübeln. Außerdem ist er unser Freund und die dürfen sich so etwas mal erlauben. Wir leben in schweren Zeiten. Da ist es wichtig, dass wir zusammenhalten und uns nicht
gegenseitig auf die Füße treten. Diese neue Wendung der Ereignisse ist kompliziert. Dieser Mann ist gefährlich. Das ist unbestreitbar. Wer weiß schon, welche Ziele er verfolgt? Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die U.F.P.I etwas dagegen unternehmen kann.“ Er zweifelte an sich selbst. Das war Leland neu. Snyder schien ein Mensch zu sein, der sich auch seine Schwächen eingestand. Das machte ihn wieder ein wenig sympathischer. Immerhin war er so nicht der einzige, der schwarzmalte. Die Situation war beschissen. Das konnte niemand abstreiten. Die Frage war jetzt nur, was sie dagegen unternehmen konnten.
„Diese Norma Evans, war sicher nicht die letzte. Alle Menschen mit Parafähigkeiten sind in Gefahr. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns darauf konzentrieren, ihnen zu helfen. Ich weiß, dass sie mit ihrer Arbeit sehr verbunden sind Leland, aber ich brauche in diesem Fall ihre Hilfe. Es gibt sicher auch Menschen mit Fähigkeiten, die nicht in ihrer Anstalt untergebracht sind, oder? Leute die normal Leben, so wie sie und ich. Diese müssen wir finden und ihnen helfen.“ Da musste er ihm zustimmen. Diese Menschen waren in Gefahr, ohne es zu wissen. Jeder von ihnen konnte der
nächste sein. Die Dinge liefen jetzt anders. Es galt nicht mehr nur, die entflohenen Patienten zurück nach Willow Creek zu bringen. Diese Zeiten waren endgültig vorbei. „Ich weiß gar nicht wo man da ansetzen sollte. Es gibt so viele. Ich meine, wir wissen ja nicht mal, wo dieser Typ herkommt und woher er wusste, dass Norma jemand war, der eine Fähigkeit besaß. Es gibt zuviele Fragezeichen in dieser Sache und das ist es, was mir den Arsch auf Grundeis gehen lässt. Wir tappen im Dunkeln!“ „Nicht ganz. Sie wissen, welche Patienten da draußen sind. Mit ihrer Hilfe, können wir sie finden. Wir können
verhindern, dass dieser Mann noch mehr Fähigkeiten stiehlt. Für den Anfang, müssen wir jene aufspüren, deren Fähigkeiten auf keinen Fall in seine Hände geraten dürfen.“ Leland grinste und schüttelte den Kopf. „Und genau dieser Punkt, wird ihnen nicht gefallen. Es gibt Fähigkeiten, die wollen sie nicht näher kennen lernen. Norma Evans, die war gefährlich. Das lässt sich nicht abstreiten, aber stellen sie sich jemanden vor, der mit seiner Kraft Eis aus dem Nichts erschafft, das alles unter sich begräbt. Jemand, der Elektrizität kontrollieren kann. Es gibt vier besonders gefährliche Patienten aus Willow Creek. Jeder von ihnen auf seine
Art und Weise gefährlich. Wir haben schon versucht sie wieder einzufangen. Mit unsern Mitteln unmöglich. Sie können sich gar nicht vorstellen, was Sie da draußen alles erwartet Snyder und ihr Publikum würde sich vor Angst in die Hose scheißen, wenn sie es wüssten!“ Der Plan dieses Mannes gefiel ihm nicht. Es war dumm, sich in Gefahr zu begeben. Albert Wilkins und Viktor Waslow würden niemals mit sich verhandeln lassen. Snyder hatte keine Ahnung, mit welchen Mächten er sich anlegte. Für ihn schien das ein Spiel zu sein, in dem er sich zum Helden aufschwingen konnte. Er sah nicht, das
viel mehr dahinter stand. Politiker eben. Die waren blind, für die wesentlichen Dinge. Dennoch blieb ihm nichts anderes übrig. Auf eine Art hatte Patrick Recht. Es gab Kräfte, die diesem Fremden auf keinen Fall in die Hände fallen durften. Dennoch musste man nicht mit dem höchsten Ross anfangen. „Ich kenne jemanden, der ganz umgänglich ist. Eine junge Dame, ebenfalls mit einer interessanten Fähigkeit ausgestattet. Sie kennen sie. Sie waren so frei, sie auf Video in ihrer Show zu zeigen. Naiomi Winchester. Lebt bei ihrem Onkel in Wisconsin. Wir sollten zu erst bei denen ansetzen, von
denen wir wissen, dass sie auf unserer Seite stehen, bevor wir uns kopfüber in den Schlund der Bestie stürzen.“ Patrick nickte und ließ sich nun ebenfalls auf dem Sofa nieder. Die Zigarre war fast vollständig aufgeraucht. Ruhig hielt er sie zwischen den Fingern. Nachdenklich hatte er die Augen geschlossen. „Gut. Sie haben Recht. Wir sollten keine Zeit verlieren. Wo lebt dieses Mädchen genau?“ „In Green Bay. Allerdings muss ich sie vorwarnen. Sie hat ein leicht loses Mundwerk und mehr Feuer unterm Arsch, als sie sich vorstellen können.“ Er konnte sich noch gut an das Mädchen
erinnern. Loses Mundwerk und mehr Eier in der Hose, als so mancher Kerl. Nach der Sache mit Waslow allerdings im Rollstuhl, doch das hielt sie sicher nicht auf. Sie war die beste Anlaufstelle. Außerdem war sie stark. Nachdem was Leland gehört hatte, hatte sie Wilkins im Kampf geschlagen und verletzt. Das konnten nicht viele von sich behaupten. Für diese Sache war das Mädchen also unabdingbar. „Ich werde alles arrangieren. Morgen früh werden sie zusammen mit Maria nach Green Bay fahren und das Mädchen abholen. Es ist besser, wenn wir so schnell wie möglich handeln. Ich schicke ein paar Männer mit, die ihnen
helfen.“ Akerman schüttelte den Kopf. „Wenn sie sowas wie am Flughafen wollen, dann tun sie das. Sie haben die Bilder gesehen. Bei dem Mädchen muss man behutsam vorgehen. Maria und ich müssen genügen. Wenn sie die Kavallerie kommen sieht, dann kriegen sie nur gehörig was auf die Fresse, und das ist nicht das, was wir wollen.“ - „Aus dem Weg! Rollmops auf der Überholspur!“ Mit schnellem Tempo sauste der Rollstuhl durch den Flur der High
School. Einige der Schüler mussten nach links und rechts ausweichen, um nicht erfasst zu werden. Ein Lehrer hob wütend die Faust und rief ihr etwas hinterher, was sie allerdings nicht mehr mit bekam. In einem Ohr hatte sie den Stöpsel ihres Handys, dass sie mit Musik von Rise Against volldudelte. Ein süffisantes Grinsen wanderte über Naiomis Lippen, als sie um die nächste Ecke bog. An der Schule war sie mittlerweile ziemlich bekannt. Es gab kaum jemanden, der die mittlerweile 17-Jährige nicht kannte. Sie hatte sich einen Namen gemacht, auch wenn das bedeutete, öfter mal beim Direktor vorstellig zu werden.
Ethan hätte ihr dafür sicher eine Moralpredigt gehalten, aber der war im Moment nicht hier. Sie vermisste ihn ein wenig. Besonders die kleine Sofia. Das Mädchen war ihr wie eine Schwester. Zum Glück waren bald Ferien. Dann würde sie die Familie Rain wieder mit ihrer Anwesenheit beglücken. Nach der ganzen Scheiße, war das auch ganz gut. Die Sache mit Katherina war ziemlich übel ausgegangen, wie sie später erfahren hatte. Jetzt verrottete die Blondine unter der Erde, während sich die Würmer an ihr labten. Kein toller Gedanke. Naiomi wusste, dass das Leben kein Zuckerschlecken war, aber
das war nicht fair. Niemand hatte den Tod verdient. Besonders nicht dieses Mädchen. Sie hatte einfach Pech gehabt, auch wenn das doof klang. Am Ende konnte man nie sehen, wie sich die Dinge entwickelten. „MISS WINCHESTER!“ Sie hielt den Rollstuhl an und stand nun vor einem großen dicken Mann mit Hornbrille, der die Arme vor der Brust verschränkte. Lächelnd musterte sie ihn und winkte. „Mr. Foreman. Wie schön sie zu sehen.“ „Sparen sie sich ihr Geschleime! Die Ostwand ist mit Graffiti beschmiert. Da stecken sie doch dahinter!“ Sie setzte eine perplexe Miene auf und
deutete auf ihre Beine. „Ich? Aber wie denn? Sehen sie nicht, dass ich ein Krüppel bin? Wie soll ich denn bitte eine ganze Wand voll sprühen? Fragen sie doch mal die Punks! Die sind doch mit sowas bewandert.“ „Das habe ich schon, und die haben mir gesagt, dass sie ihnen die Farbe abgekauft haben!“ Verfluchte Petzen. Sie hätte wissen müssen, dass man sich auf diese Leute nicht verlassen konnte. Wenn es eng wurde, zogen die immer den Schwanz ein. Ätzend. Jetzt musste sie sich mit diesem Fettsack herumschlagen. Auch nicht schlecht. Der hatte sie sowieso auf
dem Kieker. Ständig beobachtete er sie, in der Hoffnung sie würde irgendetwas anstellen, das einen Schulverweis rechtfertigte. Nicht gerade die feine englische Art. Diesem blöden Arsch musste man mal eine Lektion ereilten. Stellte sich nur die Frage, wie sie das noch anstellen könnte. Erst hatte sie die Regenrinne so manipuliert, dass das Regenwasser direkt in seinen Wagen lief. Dann hatte sie sämtliche Türen der Schule verbogen, so dass niemand mehr in einen Raum kam. Alles sinnlos. Der ließ sich nicht vergraulen. Die Krüppel-Karte konnte sie auch nicht ausspielen. Der Typ war n Rassist. Dem war es egal wer man war. Hauptsache er
konnte die Leute tyrannisieren.So setzte sie ein liebliches Gesicht auf. „Aber Sir. Sehen sie nicht, dass die einfach nur eifersüchtig sind? Ich hab gute Noten, hab den Behindibonus-“ „Miss Winchester!“ „Okay. Ich bin eingeschränkt. Deshalb mögen die Leute mich. Das pisst manche eben an. Da kann ich doch nix für. Wollen sie denen wirklich glauben? Ich dachte unsere Schule steht für Solidarität, und nicht dafür, dass man armen Mädchen die im Rollstuhl sitzen, etwas anhängen will, wann immer es möglich ist. Haben sie ihre eigenen Grundwerte vergessen?“ Der Mann sah sie fassungslos an. Ihm
stand der Mund offen, und sie konnte sehen, wie sich seine Birne vor Wut langsam rot verfärbte. Um sie herum waren ein paar Schüler stehen geblieben, die die Situation beobachteten. Zornig fauchte er sie an. „HABT IHR KEINEN UNTERRICHT?!“ Damit schlug er die meisten in die Flucht. Niemand legte sich gerne mit Mr. Foreman an, da man genau wusste, dass mit ihm nicht zu scherzen war. Er konnte schnell ernst machen, wenn er wollte. In Naiomis Fall allerdings, musste er fürchten sein Gesicht zu verlieren, wenn er eine behinderte Schülerin von der Schule schmiss. Das wusste sie natürlich. Deshalb gab es
nichts schöneres, als ihm auf der Nase herum zu tanzen. „Sie bewegen sich auf dünnem Eis Miss Winchester. Die anderen mögen ihr Spiel vielleicht nicht durchschauen, aber ich weiß genau was sie für eine sind. Sie denken, sie können überall Unruhe stiften, aber das hat jetzt ein Ende. In mein Büro! Aber sofort!“ Das konnte ja heiter werden. Dass sich der alte Sack auch immer gleich so aufregen musste. Als wäre sie die einzige Schülerin, die die Schule besuchte. So rollte sie langsam hinter ihm her. Während sie den Korridor entlang schritten, begann der Alte damit seine übliche Zeterparade abzuziehen.
„Sie sind jetzt beinahe ein Jahr bei uns Miss Winchester. Noch immer fällt es ihnen schwer, sich in unsere Einrichtung einzufügen. Ich verstehe das nicht. Wir empfingen sie mit offenen Armen und wollten nur ihr bestes. Selbst nach ihrem Unfall tun wir alles, um sie zu unterstützen. Sie danken uns das, indem sie auf die Regeln spucken.“ Er öffnete die Tür zu seinem Büro und machte Platz, damit sie mit dem Rollstuhl vor den Schreibtisch passte. Seufzend ließ er sich in seinem Sessel nieder und musterte sie. Wenn Naiomi ehrlich war, dann war sie im Augenblick
genervt. Sie konnte sich doch schon vorstellen, worauf das hier hinauslief: Er würde ihren Onkel anrufen. Der würde dann mit ihr darüber sprechen und in einer Woche saß sie wieder hier. Sie kannte das mittlerweile auswendig. Warum machte er sich jedes Mal die Mühe? Unverständlich. „Ich spucke doch gar nicht auf die Regeln! Ich kann auch nichts dafür, wenn die Leute mich nicht mögen. Ich versuche nur, mich einzubinden und einen Platz für mich zu finden. Oder ist das heutzutage verboten? Wenn ja, dann können sie mich gerne steinigen.“ Der Direktor fixierte sie wie einen Adler. Langsam lehnte er sich nach vorne
und legte die Hände auf dem Tisch ab. „Das ist kein Witz Miss Winchester. Sie denken vielleicht, dass sie unantastbar sind, aber sie werden schon bald feststellen, dass ich am längeren Hebel sitze, als sie.“ Er machte eine Pause. „Sie werden Nachsitzen. Den Sommer über!“ „Den ganzen Sommer?! Sie verscheißern mich doch!“ Er schüttelte den Kopf. Dieser Drecksack! Das konnte er doch nicht machen! Sie hatte Pläne! Immerhin wollte sie Ethan besuchen. Da konnte er nicht einfach entscheiden, sie hier festzuhalten. Das war ungerecht! Nur
weil er Direktor der Schule war. Blödmann. Hatte sie denn hier überhaupt keine Rechte? Manchmal wünschte sie sich, sie wäre nie hierher gekommen. Klar, auf der einen Seite war das Leben hier schön, aber in Detroit hatte man sie immer mit Respekt behandelt. Okay, sie war inner Klapsmühle für Übernatürliche Idioten, aber davon abgesehen war ihr Leben nicht schlecht. „Nein Miss Winchester. Sie müssen für ihr Fehlverhalten die Konsequenzen tragen. Im Augenblick mögen sie mich vielleicht dafür hassen, aber später werden sie mir dafür danken. Ich versuche nur, ihnen Disziplin beizubringen. Etwas, das sie in ihrem
späteren Leben dringend brauchen.“ Sie verdrehte die Augen. Jetzt kam er auf der Schiene. Dieses Lehrpersonal hatte sie doch nicht mehr alle. Okay, sie hatte die Wand vielleicht eingesprüht, aber deshalb musste man doch nicht gleich so harte Saiten aufziehen. „Kann ich nicht nen Aufsatz schreiben?“ „Sie wollen jedes Mal einen Aufsatz schreiben und tun es dann doch nicht! Sie lernen nicht aus ihren Fehlern. Ich will doch nur ihr bestes. Ich weiß, dass sie es in letzter Zeit nicht einfach hatten. Das will ich nicht abstreiten. Dennoch müssen sie verstehen, dass es nun mal Grenzen gibt, die auch jemand wie sie nicht überschreiten
darf!“ Sie stöhnte genervt auf. Hier gab es keinerlei Verhandlungsbasis. Schade. Sie musste wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Sicher würde sie ihm nicht in den Arsch kriechen und ihn anbetteln. Das war das letzte. Sollte er doch seinen Willen bekommen. „Wenn sie meinen. Dann komme ich eben in den Ferien. Was soll ich denn machen? Die Tafel vollkritzeln mit: 'Ich werde mich diszipliniert verhalten?' Können sie gerne haben.“ „Machen sie sich nicht lustig. Sie werden das Graffiti wieder abwaschen. Das wird die beste Lektion für sie sein!“ Entrüstet sah sie ihn
an. „Sie wissen aber schon, dass ich n Krüppel bin?“ „Sie konnten die Schmiererei anbringen, also werden Sie sie auch entfernen! Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Sie dürfen gehen.“ „Rollen...sie meinen rollen...“ „Schönen Tag noch, Miss Winchester!“ „Scheiß auf den alten Nana! Foreman sucht doch immer einen Weg um uns zu schikanieren!“ Inzwischen hatten sie Mittagspause. Naiomi saß mit ihrer Freundin Emma Ravenwood, und Skeeter, einem Jungen aus ihrer Klasse, in der Caféteria. Emma
war 18 Jahre alt und ein ziemlich aufgewecktes Mädchen. Die Haare hatte sie sich in allen möglichen Farben von Blau, über Rot, bis hin zu grün und pink gefärbt. Ihre Fingernägel hatte sie jeweils in einem anderen Ton. Verträumt saß sie daneben und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Der schlaksige Skeeter saß neben ihr und legte ihr einen Arm um die Schulter. Er war in Naiomis Alter. Die Rothaarige drückte ihn von sich. „Ich hab dir schon tausend mal gesagt du sollst mich nicht Nana nennen. Ich bin doch keine blöde Katze oder sowas. Und hör auf mich zu begrabbeln!“ Sie biss in ihr Erdnussbutter-Sandwich
und kaute bedächtig darauf herum. Foreman hatte seinen Standpunkt verdeutlicht. Es hatte keinen Sinn sich dagegen zu wehren. Am Ende würde es nur schlimmer werden. Sie musste sich damit zufrieden geben. Das war besser, als eine weitere Diskussion mit ihm und ihrem Onkel. Der Direktor hatte eine Schwäche dafür ihn einzuladen, wenn es seiner Meinung nach keine andere Lösung gab. „Äh also. Skeet und Ich können dir ja helfen. Dann ist es nicht so schwer für dich. Obwohl. Im Sommer ist Batman-Marathon. Die alten Tim Burton Filme sieht man sonst nirgendwo und in der Videothek sind die so
teuer.“ Emma kratzte sich am Hinterkopf und nahm einen Schluck von ihrem Milchshake. Naiomi verdrehte die Augen. Ihre Freunde waren wirklich eine großartige Hilfe. Naja. Immerhin hatte sie jemanden, bei dem sie ihren Frust abladen konnte, wenn es mal schlecht lief. Auf die beiden konnte sie sich immer verlassen. Das war ein netter Gedanke, auch wenn sie sich noch daran gewöhnen musste. Früher musste sie immer alleine zurecht kommen. Klar. Sie war in Willow Creek, aber wirkliche Freunde hatte sie da auch nicht. Außer Ethan, aber der war alt. Das hier war etwas vollkommen neues.
Sie wusste manchmal nicht, wie sie sich in einer Situation verhalten sollte. Diese Nähe zu anderen Menschen war ihr fremd. Besonders Skeeters Avancen. Sie mochte den Jungen. Keine Frage, aber sie wollte nicht wie einer dieser Teenager enden, die mit 17 ihren ersten Braten in der Röhre hatten. Sie hatte ohnehin genug Probleme. „Wir werden dir auf jeden Fall helfen“, erklärte der junge Mann und lächelte. „Das will ich auch hoffen. Immerhin lass dich dich immer von mir abschreiben. Da ist ne kleine Gegenleistung nicht zu viel verlangt.“ Sie sah ihn an und grinste. Peinlich berührt strich er sich durch das
schwarze Haar und tat so, als hätte er den Satz gar nicht gehört. In den Augen von Anderen, mochten diese Leute vielleicht Freaks sein, aber für sie, waren sie ein wichtiger Bestandteil im Leben. Ein Halt, wenn man es so nennen wollte. So wandte sich Naiomi wieder ihrem Sandwich zu. „Ich könnte dich auch mal zum Essen einladen Nana.“ Sie zeigte dem Jungen den Mittelfinger. „Manchmal glaub ich, du willst einfach nur in meinen Slip.“ Emma lauschte ihren Worten und errötete, während sie unschuldig an ihrem Shake schlürfte. Skeptisch bedachte die 17-Jährige ihre beste
Freundin und legte den Kopf schief. „Man Emma. Du tust immer so, als hättest du noch nie was von Sex gehört.“ „Äh...öhm also...naja schon. Aber äh, meine Tante ist da ein bisschen konservativer als du, hehehe.“ Die 18-Jährige lebte bei ihrer Tante und ihrem Onkel. Ihre Eltern waren schon sehr früh gestorben. Ursprünglich stammte das Mädchen aus Camden in Maine. Ihr Vater war ein Fischer und immer viel auf See. Sie hatte ihn geliebt. Das konnte man heraushören, wenn sie von ihm und seiner Arbeit sprach. Oft konnte man ihr ansehen, dass sie sich ein wenig verloren fühlte. Ihre Tante war nicht gerade ein Engel.
Sie schikanierte das Mädchen gerne. Ihr Onkel Hektor zog vor seiner Frau meistens den Schwanz ein. Schrecklich. „Aber du wirst ja wohl wissen, wie man in See sticht!“ Fragend sah die 18-Jährige sie an. „In See stechen?“ „Du weißt schon. Den Lachs buttern. Den Bambus pflücken. Sowas eben.“ Skeeter war inzwischen in einen Lachanfall verfallen, während Emma einfach nur verdutzt da saß und keine Ahnung davon hatte, worüber Naiomi eigentlich sprach. Das war noch so ein Problem: Sie war ziemlich naiv. Manchmal so sehr, dass man sich am liebsten die Haare einzeln raufen würde.
Die 17 Jährige seufzte und stützte das Kinn auf der Faust ab. „Erzähl mir bloß du hast noch keine Erfahrung damit gemacht.“ Die Angesprochene zuckte mit den Schultern. Das konnte doch nicht wahr sein. Emma war ein gutaussehendes junges nettes Mädchen. Bei der standen die Kerle sicher Schlange, oder sie bekam es einfach nicht auf die Kette, einen Typen abzuschleppen. Sie wandte sich zu Skeeter. „Warum geht ihr nicht miteinander. Du kannst Emma sicher noch ne Menge beibringen. Ich mein. Ihr würdet beide davon profitieren. Du hörst auf mit deinem komischen Balzverhalten und das
Mädchen erfährt endlich wofür ihre Tupperdose da ist.“ Die 18-Jährige verschluckte sich an ihrem Milchshake und begann kräftig zu husten. Ein paar andere Schüler sahen neugierig zum Tisch der drei und lauschten interessiert. Jedoch wurden sie schnell von Naiomi in die Schranken gewiesen. „Was gibt’s denn da zu glotzen?“ Schnell wandten sich die Anderen wieder ihrer Mahlzeit zu. Sie legten sich nicht gerne mit ihr an, da sie wussten, dass Naiomi sich so etwas nicht gefallen ließ. Sie war taff und manche der Mitschüler hatten sogar ein wenig Angst vor ihr. Gut für sie. So musste sie
sich nicht von irgendwelchen Nervensägen volllabern lassen. Ein Freak zu sein, hatte eben auch seine Vorteile. „Wie immer im Mittelpunkt, was Miss Winchester?“ Die Rothaarige hob den Kopf. Erst dachte sie, es wäre einer der Lehrer, der ihr eine Predigt halten wollte. Umso überraschter war sie allerdings, als sie in das grinsende Gesicht von Leland Akerman blickte, der zusammen mit einer Rothaarigen hinter ihr stand. Er hatte sich kein bisschen verändert. War immer noch ein wenig pummelig und trug diese hässlichen Hemden.
Argwöhnisch musterte sie den Mann. Was machte der denn hier? Das letzte Mal hatte sie ihn vor Ewigkeiten gesehen. Sie wusste, was er mit Katherina gemacht hatte. Das sorgte nicht gerade dafür, dass sie ihm freundlich gegenüberstand. Skeeter und Emma musterten die Neuankömmlinge interessiert, wobei der Blick des Arztes über die 18-Jährige glitt. „Aber sicher. Und was machen sie hier? Wer ist ihre Freundin?“ „Maria. Maria Reed. Nett hast du's hier. Ich hab die Schule nie gemocht. Hast du vielleicht ne Minute für mich?“ Sie schüttelte den Kopf. „Was du mir zu sagen hast, kannst du
auch vor meinen Freunden sagen.“ Mit diesem Kerl würde sie sicher nicht alleine sprechen. Er war in ihren Augen einfach nur ein Mörder und nichts weiter. Sie hätte ihm nie zugetraut, dass er zu solchen Dingen fähig war und jetzt stand er hier und tat so, als wäre das nie passiert. Was für ein Arschloch. Warum war eigentlich hier? War etwas passiert? Und wo war Ethan? Kam der nicht normalerweise, wenn irgendwo der Busch brannte? „Ich denke eher nicht. Es ist wichtig. Ich weiß, dass du mich nicht sonderlich leiden kannst, aber das muss im Augenblick hinten anstehen. Es ist was passiert. Wir müssen
reden.“ „Klar. Du kannst mich mal Leland! Verpiss dich wieder, und nimm deine Freundin gleich mit!“ Ihr war gerade nicht nach gutem Benehmen. Sollte er doch irgendwo verfaulen. War ihr egal. Für diesen Mann hatte sie nichts außer Hass übrig. Warum er auch immer hier war – es kümmerte Sie nicht. Der Arzt ließ jedoch nicht einfach locker. Er presste die Lippen zusammen und runzelte die Stirn. Stand da wie ein Fels in der Brandung. Von der Krücke mal abgesehen. Die Begleitung war anders. Sie sagte nichts, sondern stand einfach nur da. Hätte sie ihm gar nicht zugetraut,
dass er so eine abschleppte. Sonst interessierte der sich doch nur für die jungen Hüpfer. „Das geht leider nicht. Ich hab schon mit deinem Direktor gesprochen. Für die nächsten Wochen wirst du mit uns kommen.“ „Was?“ „Du hast mich schon verstanden. Es gibt da ein paar Dinge, die ich dir erklären muss und es wäre sehr nett, wenn du mich lässt.“ Sie sah ihn kalt an. „Ah. Und warum kommt Ethan nicht, um mir das zu sagen?“ „Der ist verhindert. Ethan hat damit nichts zu
tun.“ Naiomi schüttelte den Kopf. Skeeter und Emma betrachteten die Situation interessiert. „Vergiss es. Ich komm nicht mit. Ist zwar nett, dass du mir n paar Ferien spendieren möchtest, aber da putze ich lieber 10 Schichten Graffiti von der Wand, als mit dir zu kommen.“ Sie gab sich weiterhin unnahbar. Maria trat einen Schritt nach vorne. Sie schien genug davon zu haben. „Das hier ist Zeitverschwendung Mr. Akerman-“ „Leland.“ „Wie auch immer. Hör zu Mädchen. Du kannst gerne vor deinen Freunden
angeben und so tun, als wärst du cool, aber das ändert nichts. Ich meine, mir kanns egal sein. Es war Leland, der die Idee hatte hierherzukommen. Du magst ihn vielleicht nicht. Er ist ein Idiot. Das lässt sich nicht abstreiten.“ Er warf ihr einen beleidigten Blick zu, doch sie ignorierte ihn. Sie ging ein wenig in die Hocke und lehnte sich nach vorne, so dass nur die 17-Jährige die Frau hören konnte. „Wir sind hier, weil du möglicherweise nicht mehr sicher bist. Deshalb wollen wir dich mitnehmen. Du musst auch nicht mit Leland gehen. Du kannst bei mir bleiben.“ Naiomi starrte auf den Tisch vor sich.
Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Die konnte gut und gerne eine Menge erzählen. Ob das auch stimmte, war eine andere Frage. Sie war darüber gespalten. Wenn Ethan damit zu ihr gekommen wäre, hätte sie anstandslos ja gesagt. Hier allerdings? Sie kannte diese Frau kaum und Leland würde sie an dem Tag vertrauen, an dem die Hölle zufror. Doch wenn es stimmte, und sie wirklich in Gefahr war? Mit einem Schaudern dachte sie an die Situation im Krankenhaus, als dieser Typ aufgetaucht war. Sie hatte keine Chance gehabt. Er hatte sie wie ein Fischstäbchen auf Eis gelegt. Dadurch war sie ja in dieser Situation. Nachdenklich spielte die junge
Frau mit ihren Haaren. Sie hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Ja zu sagen, oder es abzulehnen. Aber wie sollte sie sich entscheiden? Warum sollte man sie in dieser Hinsicht belügen?
Sie seufzte.
„Geben sie mir n paar Minuten. Ich will mich noch verabschieden.“
Ethan saß in seinem Büro, und ging wie üblich die Patientenakten durch. Der Morgen war ziemlich ruhig, bis auf die allgemeine Unruhe, die in der Luft lag. Nach der Geschichte mit Norma Evans hatte er sich wieder ein wenig zurückgezogen. Es beunruhigte ihn, dass es offensichtlich jemanden gab, der die Fähigkeiten anderer stehlen konnte. Ein solcher Mensch war ihm noch nie begegnet und stellte alles bisher dagewesene in den Schatten. Heidenreich hatte sie zwar damit beauftragt, die Augen offen zu halten, aber wie sollten sie gegen einen solchen
Menschen vorgehen? Die übliche Prozedur sah vor, dass man versuchte diesen Leuten zu helfen. Doch galt das auch für so jemanden? Er seufzte und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die gesamte Situation war kompliziert. Auf der einen Seite war dieser Unbekannte, der ihnen Kopfzerbrechen bereitete. Dann war da dieser Patrick Snyder, der mit seiner Show die Aufmerksamkeit auf jene mit Parafähigkeiten zog. Etwas, das sie nicht brauchen konnten. Vor allem war sich Rain nicht sicher darüber, was der Mann damit bezweckte. Konnte es wirklich sein, dass er nur helfen wollte? Es wäre ein tröstlicher Gedanke, wenn
es noch einen Menschen da draußen gab, er ähnlich wie Norman Hammond tickte. Für solche Spekulationen gab es wenig Raum. Im Augenblick war es wichtig, die Situation im Auge zu behalten und sich vorzusehen. Seine Gedanken hingegen, waren beim Sommer. Naiomi würde zu Besuch kommen und mit ihnen ein paar Wochen verbringen. Das würde sie alle ein wenig ablenken. Der Verlust von Katherina saß noch sehr tief, und wann immer es seine Zeit zuließ, besuchte er sie auf dem Stadtfriedhof, unterhielt sich mit ihr und verbrachte dort ein paar Stunden. Doch brachte es ihm keinen wirklichen
Frieden. Ihr Tod hatte ein Loch hinterlassen. Er war unfähig gewesen, ihr zu helfen. Ein Versagen, dass sich nicht einfach tilgen ließ. Es begleitete ihn Tag für Tag. Unweigerlich musste er an Dwight denken. Der Student hatte nach all dem gekündigt und war mit seinem Vater fort an die Westküste gezogen. Weit weg von all dem. Kein Wunder. Wäre er an seiner Stelle gewesen, hätte er wohl nicht anders gehandelt. Dennoch war es schade. Mit dem jungen Mann verstand er sich gut, und er war so etwas wie ein Freund für ihn geworden. Kontakt gab es keinen. Hickins ignorierte seine Anrufe und tat wahrscheinlich so, als hätten all diese
Dinge niemals existiert. Das war seine Art, damit fertig zu werden, und der 33-Jährige drehte ihm keinen Strick daraus. Manche schafften es einfach nicht. Dwight war kein Einzelfall. Viele vielversprechende Kandidaten gaben die Arbeit in der Anstalt nach ein paar Wochen wieder auf, weil sie dem Druck nicht standhielten. Es war zwar schade, konnte aber eben nicht geändert werden. So erhob sich Ethan und legte seinen Arztkittel um. Es war Zeit für das nächste Gespräch. Das brachte ihn auf andere Gedanken und half, sich zu entspannen. Er mochte die Patienten hier. Manche von ihnen hatten es zwar
schwerer, aber sie waren alle wie eine große Familie. Es war wichtig, sich auf jeden gleich zu konzentrieren, und nicht irgendwen vorzuziehen. Das galt auch für Karl Collins, einen Mann von 43 Jahren, der die Fähigkeit hatte, andere mit seinem Gesang in seinen Bann zu ziehen. Es war ähnlich wie bei einer Sirene. Nach dem Ausbruch der Patienten aus der Anstalt, war er einer der ersten gewesen, die Ethan zusammen mit Dwight und Katherina wieder eingefangen hatte. Seitdem hatte sich der Mann in der Anstalt wieder gut eingelebt und durfte sogar manchmal vor den Patienten singen. Natürlich mit entsprechenden Vorkehrungen. Heute war
er Rains erster Gesprächstermin. Der Mann machte gute Fortschritte. Zwar war er etwas simpel gestrickt, aber das änderte nichts daran, dass er einen guten Kern besaß. Die Patienten in Willow Creek waren nicht böse. Ihre Gaben waren etwas, das manche von ihnen nicht kontrollieren konnten. Sie waren damit allein. Ohne Hilfe. Deshalb gab es diesen Ort. Um denen, die es so nicht schafften, einen Weg zu weisen. Menschen wie Karl. Damit sie nicht endeten wie Viktor Waslow, oder Albert Wilkins. Sie sollten Hoffnung schöpfen und erfahren, dass sie nicht schlecht waren. Ethan hatte nie eine solche Fähigkeit besessen. Er konnte sich nicht
einmal ansatzweise vorstellen, wie es sein musste, sich so zu fühlen. Anders zu sein. Menschen wie Naiomi oder Katherina hatten sich ihr Leben nicht ausgesucht. Das wusste er. Deshalb nahm er sich ihrer an. Sie waren keine Monster, so wie Heidenreich oder Foster sie vielleicht sehen wollten. Sie waren besonders und mussten mit einer schweren Bürde leben. Einige schafften es. Andere zerbrachen daran. Karl wartete schon vor der Tür auf ihn. Ein pummeliger Zeitgenosse, der in den letzten Monaten etwas zugelegt hatte. Brille und Kinnbart standen ihm gut. Er achtete sehr auf sein Aussehen. Besonders in Gegenwart von Michaela
Wood. Das war Ethan aufgefallen. Der ehemalige Opernsänger sprach viel mit der Tierpflegerin. Sie taten einander gut und er fände es schön, wenn sich daraus etwas entwickelte. Bindungen unter Patienten waren nicht verboten. Sie wirkten stabilisierend. Es war gut. Er freute sich für den Schwarzhaarigen, der ihn nun lächelnd begrüßte. „Dr. Rain! Schön sie zu sehen!“ Er schüttelte ihm die Hand und grinste über beide Ohren. Collins war ein lebensfroher Mensch. Das war etwas schönes. Damit steckte er andere an, die sich ebenfalls wohler fühlten. Er verbreitete positive Stimmung. Solche Leute, gab es selten.
„Sie sehen gut aus Carl. Für wen haben sie sich denn heute so schick gemacht? Steht etwas an?“ Er schloss die Tür auf und führte den Mann in das Besprechungszimmer. Auf dem Tisch lag bereits alles vorbereitet. Notizblock, Rekorder. Alles was er brauchte. Carl ließ sich auf einem der beiden Stühle nieder und betrachtete den Arzt ein wenig nervös, während er sich über den Mund wischte. „Naja. Es ist nichts großartiges. Wir essen immer zusammen, und für eine Frau möchte man doch hübsch aussehen. Ich möchte ihr gefallen. Sie wirkt immer so traurig und da dachte
ich, ich muntere sie ein wenig auf.“ Das konnte Ethan nachvollziehen. Michaela war zwar schon eine Weile hier, aber sie war noch nicht über Ryans Tod hinweggekommen. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, dass sie eigentlich keine Schuld daran hatte. Es war das erste Mal gewesen, dass ihre Fähigkeiten ausgebrochen waren. Sie konnte Meerestiere kontrollieren. Ihre Emotionen spielten dabei eine große Rolle. Sie fürchtete, jemand wollte ihr den Freund wegnehmen, und das hatte letztlich zu diesen Ereignissen geführt. Es ging ihr etwas besser. Zwar gab sie sich zurückhaltend, aber langsam aber sicher öffnete sie sich den Leuten, so
gut sie konnte. Karl steuerte eine Menge dazu bei. „Es geht ihr besser, und das verdanken wir auch ihnen. Sie fühlt sich bei ihnen wohl Karl. Sie geben ihr einen Halt. Den braucht sie.“ Der Angesprochene lächelte warm. Solche Gespräche liebte Ethan. Es war unkompliziert und bekam einen guten Einblick in die Gefühlswelt seiner Patienten. Sie durften sich nicht zu etwas gezwungen fühlen. Das brachte keinen Erfolg. Besser, sie kamen von sich aus, aus sich heraus und teilten sich mit. „Danke Doktor. Ich gebe mein Bestes. Sie hat so ein liebliches Lächeln, wissen
sie? Das erinnert mich immer an früher. Als ich...sie wissen schon. Meine Fähigkeit hat die Menschen immer dazu gebracht, dass sie mich mögen, aber das war nie echt. Das hier, das ist real. Es ist schöner, wenn man gemocht wird, weil die Leute wirklich so empfinden. Ich fühle mich dann nicht so...so abhängig. Von meinen Kräften.“ Ethan nickte und notierte sich die Worte. „Sie sind auf einem guten Weg Karl. Michaela darf sich glücklich schätzen, einen Menschen wie sie zum Freund zu haben. Freunde sind wichtig, in unserem Leben. Sie erinnern uns an die Dinge, für die man wirklich
lebt.“ Wieder lächelte Karl und kratzte sich am Hals. Er wirkte ein wenig nachdenklich und tippte dann nervös mit den Fingern auf dem Tisch herum. Etwas bereitete ihm Sorgen. „Was ist los?“ „Nun. Eigentlich geht es mich ja nichts an, aber sie haben so viel für uns getan. Für alle hier. Wir sorgen uns um sie Doktor. Die Anderen und ich. Das mit Katherina ist sehr traurig. Wir vermissen sie und sie sicher auch. Ich wollte nur sagen, dass sie damit nicht ganz allein sind.“ Er verharrte in seiner Position und starrte ins Leere. Dabei hatte er darauf
geachtet, seinen Kummer nicht zu offen mit sich herum zu tragen. Nun. Seine Patienten kannten ihn gut. Immerhin verbrachte er jeden Tag mit ihnen. Da war es nicht verwunderlich, dass sie ihn durchschauen konnten. Er hatte es gar nicht so gesehen. Für ihn war Katherinas Verlust schwer, aber auch für diejenigen, die hier mit ihr Tür an Tür zusammen gelebt hatten. „Ich weiß. Danke Karl. Es ist gut, dass sie damit zu mir gekommen sind. Wir sind Freunde. Sie müssen sich vor mir wegen derlei Fragen nicht schämen. Sie können immer mit mir über alles sprechen!“ „Das beruht auf Gegenseitigkeit Doktor.
Sie waren immer für uns da. Den Menschen hier, bedeuten sie und was sie tun eine Menge. Sie sind Familie. Ein Teil von uns und gleichermaßen wichtig. Auch wenn sie unser Arzt sind. Das ist uns egal. Sie sind ein Freund. Es gibt nicht viele wie sie. Andere machen einfach nur ihre Arbeit. Sie kommen hierher, führen Gespräche und gehen wieder, aber sie, sie interessieren sich wirklich für uns. Sie geben uns das Gefühl, dass wir keine Monster, oder Ungeheuer sind.“ Ethan nickte und seufzte. Diese Worte rührten ihn. Er hatte sich immer darauf konzentriert, diesen Leuten zu helfen, wo er nur konnte. In letzter Zeit, hatte
er sich sehr verloren gefühlt. Doch nun, fühlte er sich wieder ein wenig bestärkt. Die Leute hier mochten ihn, und das zeigte Collins auch. Er sprach für alle hier. Das konnte Rain ihm ansehen. So lächelte er und legte den Block zur Seite. Solche Momente waren es, die diesen Beruf zu etwas besonderem machten. Die Menschen zeigten ihm, dass das was er tat nicht umsonst war. Er bewegte hier etwas. Trotz der Umstände. So viel war geschehen in den letzten Monaten. Neue Mitarbeiter, ein neuer Boss. Manchmal hatte es sich nicht mehr so wie früher angefühlt, doch die Menschen mit denen er arbeitete, waren immer noch dieselben.
Sie waren immer noch hier. Tag für Tag. Sie waren sein Halt und halfen ihm, wenn er einmal nicht mehr weiter wusste. Es klopfte an der Tür. Foster kam ohne Einladung in den Besprechungsraum. Sie wirkte wie immer. Kurz bedachte sie Collins mit einem abschätzenden Blick, ehe sie sich Ethan zuwandte. „Rain. Es gibt Arbeit zu erledigen.“ Der Arzt sah sie stirnrunzelnd an und deutete auf Karl. „Wie sie sehen Foster, arbeite ich gerade schon.“ Collins betrachtete die junge Frau mit Missgunst. Es war kein Geheimnis, dass
sie Patienten Eileen nicht sonderlich leiden konnten. Sie war verschroben und kalt. Das merkte man sofort. Sie ging nicht auf die Leute ein. Sie tat nur ihren Job. Für sie waren sie nur Fälle, die abgearbeitet werden mussten. Sie vergaß vollkommen das menschliche in diesem Beruf. Deshalb konnte Ethan sie nicht ausstehen. Das war noch nie der Fall gewesen. Schon damals, als sie hier angefangen hatte. Seine Kollegen verschränkte die Arme vor der Brust und neigte den Kopf nach hinten. „Das hat nachher auch noch Zeit. Heidenreich hat mich geschickt. Könnten wir kurz draußen sprechen?“ Widerwillig erhob sich der Arzt und
deutete Karl, einen Augenblick auf ihn zu warten. Vor der Tür zündete er sich eine Malboro an und musterte sie. „Was ist so wichtig Foster? Haben sie überhaupt keinen Anstand? Ihnen sind die Leute hier vielleicht egal, aber mir nicht und dieser Teil der Arbeit ist genau so wichtig wie der Rest. Sie können mich nicht immer von meinem Job wegholen, wie einen Sklaven.“ Die Angesprochene hob abwehrend die Hand und verzog das Gesicht. „Sparen sie sich den Samariter Rain. Wir haben John Croft gefunden!“ Perplex starrte er sie an. „John Croft?“ „Ja. Der B-Patient Rain. Zusammen mit
den Anderen ausgebrochen. Kann seinen Körper in jede Materie verwandeln die er berührt. Klingelt es da?“ Er grinste. „Sie lesen ja doch die Akten Eileen! Wer hätte das gedacht?“ „Lecken sie mich Rain!“ Das waren gute Nachrichten. John Croft. Ein ehemalige Patient aus dem B-Trakt war damals zusammen mit vielen anderen aus der Anstalt geflohen. Er war nicht gefährlich. Ein gütiger Mensch, der immer den Leuten um sich herum geholfen hatte. Sehr gläubig. Er war keine Bedrohung. „Also, was ist mit Croft? Wo ist er
jetzt?“ „In Monroe. Wohl schon eine ganze Weile. Die Zeitungen dort sind voll von einem Typen, der sich als Superheld aufspielt und die Leute vor Kriminellen beschützt. Ich habs durch Zufall entdeckt. Heidenreich will, dass wir ihn abholen!“ Es war schön zu hören, dass John noch lebte. Dennoch gefiel ihm die Verfahrensweise seiner Vorgesetzten nicht. Ethan zog an seiner Zigarette und musterte Eileen. „Warum? Er hilft den Leuten dort. Wenn er keine Gefahr darstellt, dann müssen wir ihn auch nicht einfangen Foster.“ Sie stemmte die Hände in die
Hüften. „Sie haben wohl vergessen, dass er ein Insasse-“ „Patient.“ „Wie auch immer. Er ist von hier ausgebrochen. Er hat keine Berechtigung auf freiem Fuß zu sein. Da ist es egal, ob er sich als Superman ausgibt.“ Der Arzt stöhnte genervt auf. „Und seit wann hat man ihnen das Recht gegeben, einfach so über diese Menschen zu urteilen? Sie sind wirklich genau so, wie ich immer dachte Foster. Es kümmert sie nicht, wer diese Leute sind, oder was tun. Für sie zählt nur, sie wie Tiere zu jagen. Wachen sie
endlich mal auf. Sie sind keine Monster.“ Foster sah ihn kalt an. „Ach wirklich? Und wie war das mit Miss Compton?“ „Sie haben kein Recht, das miteinander zu vergleichen!“ Es war still auf dem Flur geworden. Seine Stimme donnerte ihr entgegen. Er hatte sogar den Finger gegen sie erhoben. Wie konnte sie es wagen, jetzt auf Katherina anzuspielen? Hatte sie wirklich kein Gewissen? Diese Frau war unfassbar. Eileen lächelte matt. „Kommen sie wieder runter. Ich habs nicht so gemeint. Es ist Befehl von Heidenreich.“ „Oh ja. Sie tun ihr bestes um ihr tief in
den Arsch zu kriechen!“ „Hören sie damit auf. Ich bin nur aus Nettigkeit hier. Entweder sie begleiten mich, oder ich machs alleine. Ihre Entscheidung Rain! Wir fahren morgen los!“ - „Und was genau ist dieser Snyder für einer?“ Naiomi hob fragend den Kopf und musterte Leland. Inzwischen befanden sie sich im Aufzug des Penthouses und waren auf dem Weg in die Wohnung des Politikers. Maria trug eine Tasche mit den nötigsten Dingen. Sie waren nur
kurz beim Onkel der 17-Jährigen vorbeigefahren, um ein paar Sachen zu holen. Seine Nichte hatte ihm erzählt, sie würde mit der Schule wegfahren und er solle sich keine Sorgen machen. Gut so. Diesen Teil hatten sie hinter sich gebracht. Blieb nur abzuwarten, ob der Rest ebenso geschmeidig verlief. Winchester war nicht für ihr liebliches Talent bekannt. Er konnte nicht sagen, wie sie auf Snyder reagieren würde. „Mr. Snyder arbeitet im Stadtrat. Im Augenblick steckt er im Wahlkampf für das Bürgermeisteramt. Darüber hinaus versucht er Leuten wie dir zu helfen“, erklärte Maria mit ruhiger stimme und lächelte. Dass sie überhaupt zu solchen
Emotionen fähig war, überraschte Leland sehr. Bei ihm hatte sie immer die Unnahbare gespielt. So war es doch immer: Frauen unter sich waren viel lockerer. Andererseits war das positiv. Sie war nicht so nervös und inzwischen sehr viel lockerer, als zu Beginn der Fahrt hierher. Sie hatte die ganze Zeit Fragen gestellt und nicht einen Augenblick Ruhe gegeben. Jetzt war sie friedlich und tippte mit den Fingern auf den Lehnen ihres Rollstuhls herum. „Und du arbeitest deshalb für ihn? Ich mein. Du hast doch auch ne Kraft.“ Leland schüttelte den Kopf. Er hatte ihr noch nichts von dem Unbekannten erzählt. Sonst wäre sie wahrscheinlich
nicht mitgekommen. „Nicht mehr. Aber das erzähle ich dir alles in Ruhe. Wichtig ist, dass du hier bist. Patrick mag zwar im ersten Moment ein bisschen verkniffen wirken, aber er ist okay.“ „Wenn du das sagst Leland.“ Damit öffnete sich die Aufzugtür und die drei betraten die Penthouse-Wohnung des Showmasters. Snyder wartete bereits auf dem Sofa und schrieb sich gerade ein paar Notizen auf. Er trug ein weißes Hemd mit Anzughose. Auf dem Tisch stand ein Glas Cognac. Im Aschenbecher dampfte eine Zigarre vor sich hin. Der 58-Jährige erhob sich, als er das
Mädchen sah und lächelte freundlich. Die Rothaarige schien ein wenig erschrocken, über seine Größe, aber das verflog schnell. „Miss Winchester. Ich bin froh, dass sie die Zeit erübrigen konnten. Mein Name ist Patrick Snyder. Sie haben sicher schon von mir gehört.“ Die Angesprochene schüttelte den Kopf. „Eher weniger. Das erste Mal heute, als ihr mich aus der Schule entführt habt Mr. Snyder.“ Der Mann grinste und ging vor ihr in die Hocke. Währenddessen brachte ein Bediensteter die Sachen des Mädchens fort. Akerman tat sich an der Bar gütlich und goss sich einen Whiskey ein,
während Maria bei ihrem Chef blieb und das Mädchen interessiert musterte. Snyder warf einen kurzen Blick durch den Raum, ehe er fortfuhr. „Du kannst mich ruhig Patrick nennen. Dein Name war Naiomi, nicht wahr? Ich weiß dass das alles für dich seltsam sein muss, aber du hast nichts zu befürchten. Leland und ich sind Freunde. Wir hielten es beide für besser, dass du jetzt hier bist.“ Sie sah ihn fragend an. „Wieso denn? Arbeiten sie gar nicht für die Anstalt?“ Er schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein. Leland und ich arbeiten jetzt zusammen. Weißt du, ich arbeite hart
dafür, damit Menschen wie du endlich Gehör bekommen. Damit sie akzeptiert werden und frei unter uns leben können. Ohne dafür hinter den Mauern eines Sanatoriums hausen zu müssen. Dafür gründete ich die U.F.P.I. Unit for paranormal individuals. Es hat einen Vorfall gegeben. Jemand jagt Menschen mit Parafähigkeiten und stiehlt ihnen ihre Kräfte. Deshalb war es Mr. Akerman wichtig, dass du zu uns kommst.“ Naiomi sah den 44-Jährigen skeptisch an. Der hob sein Glas um ihr zuzuprosten, bevor er einen großzügigen Schluck daraus nahm. „Kann ich mir nur schwer vorstellen.
Egal. Jemand stiehlt Fähigkeiten? Hat er auch Lelands Kraft gestohlen?“ Snyder nickte und ließ sich auf dem Sofa nieder. Dann ergriff er seine Zigarre und zog daran. „So ist es. Ich wusste nicht mal, dass er überhaupt eine Fähigkeit hatte, bis er mir davon erzählte. Dieser Fremde hat bereits einen Menschen getötet, nachdem er seine Kraft stahl. Wir wollen verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. Deshalb versuchen wir, Euch in Sicherheit zu wissen.“ „Und was ist mit Ethan? Also äh. Das ist ein Arzt aus Willow Creek. Weiß der denn das ich hier bin?“ Der Politiker schüttelte den
Kopf. „Nein. Wir haben wie ich schon sagte, nichts mit der Anstalt zu tun. Ich denke, dass du hier sicherer bist, als hinter diesen Mauern. Mr. Akerman war so freundlich mich einzuweihen. Dort laufen eine Menge Dinge falsch, wie ich hörte. Menschen mit Parafähigkeiten werden wie Tiere gejagt und dort eingesperrt. Das ist doch kein Leben. Ich finde, dass ihr wie jeder andere das Recht haben solltet, in Freiheit und in Frieden zu leben.“ Die 17-Jährige nickte. Der Gedanke gefiel ihr. Sich nicht mehr verstecken zu müssen klang verlockend. Allerdings stellte sich ihr die Frage, ob das wirklich
so einfach war. Bisher war ihresgleichen immer so behandelt worden, als wären sie abnormal. Man hatte ihnen nie die Chance gegeben, sich wie normale Menschen zu verhalten. Konnte Snyder vielleicht etwas daran ändern? „Das klingt viel zu schön um wahr zu sein. Nichts für ungut. Es ist nur so, dass ich selbst nicht gerade mit offenen Armen in der Vergangenheit empfangen wurde. Und wenn man dann versucht, was richtig zu machen, dann tritt man voll in die Scheiße.“ Sie deutete auf ihre Beine und setzte einen bitteren Gesichtsausdruck auf.Patrick paffte seine Zigarre.
„Ich habe davon gehört. Du kannst Metall kontrollieren. Eine Einzigartige Fähigkeit. Vor allem, kann sie dir eine Menge ermöglichen. Als ich von deinem Schicksal hörte, habe ich sofort alles in die Wege geleitet. Es wird zwar noch eine kleine Weile dauern, aber du wirst wieder Laufen können Naiomi.“ Sie starrte ihn entgeistert an. „Jetzt verarschen sie mich aber.“ „Nein. Ich habe eine spezielle Schiene für deine Beine in Auftrag gegeben. Komplett aus Metall. Du wirst dank deiner eigenen Fähigkeit nicht mehr auf einen Rollstuhl angewiesen sein.“ Sie konnte das gar nicht glauben. Sie
war von ihrem Schicksal so vereinnahmt, dass sie eine solche Möglichkeit gar nicht in Erwägung gezogen hatte. Alleine der Gedanke, wieder Laufen zu können. Sie würde alles dafür geben. Stellte sich nur die Frage, was sie dafür geben musste. „Das ist doch sicher kein Begrüßungsgeschenk aus großer Herzensgüte oder? Sie wollen doch was von mir.“ Er nickte. „Allerdings. Aber es liegt an dir. Ich werde dir trotzdem helfen. Egal ob du zustimmst oder nicht. Alles was ich von dir will, ist ein Auftritt in meiner Sendung. Ich will, dass die Leute deine
Geschichte hören. Du kannst ihnen zeigen, dass es nicht nötig ist, vor deinesgleichen Angst zu haben. Du kannst ihr Herz für Menschen wie dich erwärmen. Es ist vielleicht nicht viel, aber der Schritt in die richtige Richtung. Ihr habt es nicht verdient, euch für immer verstecken zu müssen.“ Bedächtig sah er das Mädchen an. Maria und Leland lauschten stumm der Konversation. Naiomi war sich nicht sicher. Ging das überhaupt so einfach, wie er sich das vorstellte? Ein paar Minuten in irgendeiner Show und dann war alles anders? Das klang zu gut, um wahr zu sein. Bisher hatte nichts darauf hingedeutet, dass es wirklich so leicht
war. „Wenn es hilft, dann mach ich das.“ „Gut. Das wäre wirklich gut. Ich werde alles dafür arrangieren. In ein paar Tagen kannst du der Welt zeigen, dass man sich vor dir nicht fürchten muss Naiomi. Du kannst ihnen offenbaren, was du schon immer warst: Ein Mensch, wie jeder andere.“ - „Überlassen Sie am besten mir das Reden Foster. Sie werden John nur verschrecken!“ Er bog mit dem Wagen um die nächste Ecke. Mittlerweile waren sie in Monroe
angekommen, um den Patienten aufzusuchen. Allerdings gefiel ihm noch immer nicht, dass sie ihn einfach einfangen und in die Anstalt zurückbringen mussten. Es musste einen anderen Weg geben. Bei Naiomi hatte das auch funktioniert. Nicht jeder der Menschen von Willow Creek war gefährlich. „Wie sie meinen Rain, aber sollte es Probleme geben, werde ich nicht zögern, ihn zu betäuben. Der Mann hat eine kriminelle Vergangenheit hinter sich. Das sollte man nicht unterschätzen!“ Ethan zog an einer Malboro und seufzte. „Das war vor Jahren. Er hat sich
geändert. Er arbeitet für die Bedürftigen. Daran erkenne ich nichts kriminelles. Sie etwa?“ Die Frau lächelte selbstsicher und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Die Menschen legen ihre Gewohnheiten niemals vollständig ab Rain. Ein Krimineller, wird immer ein Krimineller bleiben. Sobald brenzlig für ihn wird, offenbart Croft uns seine wahre Natur. Sie werden schon sehen.“ „Dazu muss es nicht kommen Foster. Lassen sie mich in Ruhe mit ihm reden. Er ist nicht das Monster, für das sie ihn halten. Er hilft den Menschen hier. Zählt das
nicht?“ Wie immer trafen hier zwei Sichtweisen aufeinander. Er hasste diese Art an ihr. In Momenten wie diesen vermisste er die alte Zeit mit Dwight. Der hätte niemals befürwortet, dass ein Mensch wie John Croft gejagt wird. „Sie müssen aufhören alles durch ihre Rosabrille zu sehen Rain. Er tut das doch nur, um sein eigenes Gewissen reinzuwaschen. Das ist alles. Es hat nichts mit Wohltätigkeit zu tun. So sind die Menschen nun mal. Sie würden alles tun, nur um sich selbst in das richtige Licht zu rücken. Sie sind einfach nur zu Weich, um das zu verstehen. Für sie sind die Patienten alle kleine kuschelige
Schäfchen um die sie sich kümmern müssen. Sie vergessen dabei, dass es auch Wölfe darunter gibt.“ Er verdrehte die Augen. „Ich frage mich im Moment eher, warum sie nicht Akerman mitgenommen haben.“ „Der ist im Augenblick verhindert. Ich konnte ihn nicht erreichen. Wahrscheinlich nagt der noch an seinem Treffen mit diesem Unbekannten, der den Leuten die Fähigkeiten stiehlt.“ Das stimmte. Sicher war das nicht einfach. Immerhin konnte Leland froh sein, dass er mit dem Leben davongekommen war. Auch wenn er es nicht verdiente. Das mit Katherina hatte
Ethan seinem Kollegen nicht verziehen, und würde es auch nie. Es hätte andere Möglichkeiten gegeben. Deshalb hasste er Leute wie Akerman und Foster. Sie taten einfach nur das, was man ihnen auftrug, ohne überhaupt nach anderen Auswegen zu suchen. „Das sollten wir nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dieser Mann ist gefährlich. Stellen sie sich das nur vor. Jemand mit all diesen Fähigkeiten in einem Körper. Das bereitet mir Unbehagen, und wir wissen nicht wo er als nächstes zuschlägt.“ Der Wagen fuhr in die Straße ein, in der John lebte. Was Ethan dort allerdings
sah, gefiel ihm überhaupt nicht: Zwei schwarze große Vans standen auf der Straße. Beide mit den Lettern der U.F.P.I beziffert. Langsam brachte er das Fahrzeug zum stehen und stieg zusammen mit Eileen aus. „Was machen die denn hier?“, wollte die junge Frau wissen und sah sich die Situation unsicher an. Rain zuckte mit den Schultern und drückte seine Zigarette auf dem Boden aus. „Wahrscheinlich haben die auch von der Geschichte mit John gehört. Snyder ist besser organisiert als wir. Es ist kein Wunder, dass er vor uns da ist. Hoffen wir nur, dass sie ihn noch nicht gefunden
haben.“ Viel wichtiger war die Frage, was diese Leute von John wollten. Wahrscheinlich hatten sie ebenfalls durch die Zeitungsartikel von ihm erfahren, und Snyder beabsichtigte, ihn in seiner Show einzuspannen Dennoch sah das hier eher nach einer Verhaftung aus. Ethan schritt langsam mit Foster die Straße entlang und sah sich um. Ein paar Nachbarn beobachteten die Situation mit Neugierde. Ein Inder schüttelte den Kopf, während er ein kleines Mädchen auf dem Arm hielt. Er wirkte erschüttert. Rain tat einen Schritt auf den Mann zu. „Was ist hier
los?“ Er zuckte mit den Schultern. Sein Vollbart war verfilzt. Die Hände zeigten deutliche Spuren von Arthritis. Das Mädchen vergrub den Kopf in seiner Brust. Ein süßes Ding. Sie war beinahe so groß wie Sofia. Ethans Tochter war nicht so schüchtern. Die kam stets neugierig auf die Leute zugetippelt. Allerdings konnte man das nicht von jedem erwarten. Wer wusste schon, was diese Leute alles erlebt hatten. Der alte Mann seufzte. „Sie suchen John. Ein Mann hat nach ihm gefragt. Diese Leute sind schon den ganzen Morgen hier. Ich habe ihnen nichts gesagt. Er hat meine kleine Rajni
vor einem Kriminellen gerettet. Ohne ihn, wäre sie jetzt nicht mehr hier. Ich bin Mohan. Sind sie ein Freund von ihm?“ Rain nickte. Es war schön zu hören, dass sich Leute um Johns Wohl sorgten. Sie nahmen Anteil an seiner Situation. Ein weiterer Beweis dafür, dass der Patient nicht gefährlich war. Foster trat einen Schritt auf Mohan zu. Auch bei ihr zeigte sich Rajni eher zurückhaltend. Kein Wunder. Sie war ja auch nicht gerade die Frau, die Wärme und Herzensgüte ausstrahlte. „Wir sind flüchtige Bekannte. Sie sind ein Freund von John, oder? Sie wissen, wo er gerade
ist.“ Skeptisch sah Mohan die Frau an. „Tut mir leid. Ich kann ihnen nichts sagen. Ich werde ihnen nichts sagen. Das habe ich auch schon den Männern gesagt. John ist ein guter Mensch. Er verrichtet ein aufrichtiges Werk.“ Ethan zündete sich eine Malboro an und sah die Straße hinab. Von außen war nichts zu sehen. Innerhalb der Wohnung konnte man jedoch die Leute miteinander sprechen hören. Das war eine gute Gelegenheit. Sie mussten Croft schnell finden. Hier war er nicht sicher. Lächelnd sah er zu Mohan. „Das verstehe ich. Ich kenne John. Mein Name ist Ethan. Ethan Rain. Ich
habe mal mit ihm zusammengearbeitet.“ Der Inder musterte ihn und setzte das kleine Mädchen ab. „Ethan Rain? John...John sprach manchmal von ihnen. Sie waren sein Doktor, als es ihm nicht so gut ging.“ Er nickte. „Ja. Ich wollte nach ihm sehen Mohan. Ich habe mir Sorgen gemacht. In letzter Zeit passieren schlimme Dinge. Ich dachte er sei in Gefahr.“ „Nein nein. Machen sie sich keine Sorgen. Sie sind ein guter Mann Ethan. Das hat John auch immer gesagt.“ Er beugte sich ein wenig zu dem Arzt hinüber. Vor allem ignorierte er dabei Foster, die murrend die Arme vor der
Brust verschränkte. Innerlich musste Ethan grinsen. Die Sympathie für diese Frau erreichte nicht gerade Rekordhöhe. „Er ist im Stadtzentrum. In der Kirche. Dort hilft er den Menschen. Wenn sie ihn irgendwo finden, dann dort.“ „Danke. Ich weiß ihre Hilfe sehr zu schätzen.“ Mohan nickte. Dann nahm er die kleine Rajni wieder auf den Arm, und verschwand ins Innere des Gebäudes. Das lief gut. Zufrieden zog Ethan an seiner Zigarette. Die Männer von Snyder waren noch nicht so weit gekommen. Jetzt hieß es, sich zu sputen. So wandte er sich Foster zu. „Wir verlieren am besten keine Zeit. Wer
weiß, wie lange diese Typen noch hierbleiben. Wenn sie dahinter kommen wo John ist, dann will ich ihn gefunden haben. Sie haben teilweise Recht Foster.“ Perplex musterte sie ihn und strich sich durchs Haar. „Wie meinen sie das?“ „Es ist unbestreitbar, dass wir ihn von hier fortschaffen müssen. Aber nicht wie sie denken. Ich werde ihn nicht einsperren. Diese Menschen hier, sie sehen einen Retter in ihm. Den werde ich ihnen nicht nehmen. Dennoch müssen wir ihm helfen unterzutauchen, bis sich die Lage beruhigt hat. Die U.F.P.I darf ihn nicht finden. Darüber
sind wir uns hoffentlich einig.“ Sie nickte und gemeinsam setzten sie sich wieder in Bewegung. Jedoch kamen sie nicht weit. „Einen Augenblick! Bleiben sie stehen!“ Sie wandten sich um. Ein junger Mann mit grauen Augen, von muskulöser Statur schritt auf sie zu. Er trug leichte Kleidung. Eine Weste, sowie einen Elektroschocker am Gürtel. Die Gesichtszüge waren markant. Die Nase vielleicht eine Nummer zu groß, aber dennoch strahlte er Respekt aus.Langsam trat er auf Foster und Rain zu. Er wirkte nicht sonderlich
freundlich. „Was haben sie mit diesem Mann besprochen? Kennen sie ihn, oder den Mann der hier wohnt?“ Bevor Ethan etwas sagen konnte, war Foster nach vorne geschritten und holte ihren alten Ausweis hervor. Den benutzte sie manchmal, wenn Typen ihr auf die Nerven gingen. Die meisten kniffen dann sofort den Schwanz ein und zogen sich wieder in ihr Schneckenhaus zurück. „Agent Foster FBI. Was Sie hier tun ist widerrechtlich. Für eine derartige Durchsuchung brauchen sie eine Anordnung.“ Der Angesprochene griff in seine Tasche
und holte ein Papier hervor, welches er der jungen Frau reichte. „Nun Miss Foster. Ich bin Langton und wie sie sehen, wurde diese Operation genehmigt. Sie allerdings sind ebenso wenig beim FBI, wie ihr Kollege. Ich weiß genau wer sie beiden sind. Man hat mich vor ihnen gewarnt, und mir mitgeteilt, dass sie ebenfalls hier herumschnüffeln. Ich warne nun sie: Mischen sie sich nicht in diese Angelegenheiten ein. Sie haben hier keine Befugnis.“ Er sprach hart, doch Foster ließ sich von ihm nicht beeindrucken. „Wirklich? Das ist ja witzig. Seit wann haben sie ein solches Interesse an
einfachen Mitbürgern? Davon abgesehen, dass sie einen der Anwohner und seine Tochter verschreckt haben. Was tut U.F.P.I hier? Soweit ich aus verlässlicher Quelle hörte, ist der Mann den sie suchen, nicht gefährlich. Er hilft den Leuten hier, oder verstößt das heutzutage gegen ein Gesetz?“ Ethan grinste. Manchmal konnte ihre Art ganz wirkungsvoll sein. Dieser Langton war nun voll und ganz auf Foster konzentriert. Die Gelegenheit war perfekt, um sich abzusetzen, damit er sich um Croft kümmern konnte. So schritt er unbemerkt um die Ecke. Eileen würde sich schon aus der Sache herausreden. Hauptsache war, sie kaufte
ihm genug Zeit. Dieser Typ schien kein netter Zeitgenosse zu sein. Alleine die Ausrüstung. Das hier war eine Jagd. Etwas anderes sah er dahinter nicht. Was wollte Snyder von John? War er für ihn nur eine Trophäe, die er in seiner Show einsetzen konnte? Darüber war er sich noch nicht sicher. Diese Geschichte war zu dünn. Außerdem hatten sie genügend andere Probleme. Nicht nur die U.F.P.I war gefährlich. Irgendwo da draußen trieb sich ein Unbekannter herum, der Leuten die Fähigkeiten stahl. Der durfte John erst Recht nicht finden. So bog der Arzt in die nächste Straße
ein. Bis zum Stadtzentrum war es zu Fuß nicht weit. Er fiel so weniger auf. Wer wusste schon, wo sich diese Leute überall versteckten? Immerhin hatten sie es hier mit einem Politiker zu tun, und die wussten, wie sie ein solches Spiel aufziehen mussten. Die nächste Zigarette landete in seinem Mundwinkel. Er war nervös. Wie würde John auf ihn reagieren? Es war lange her, dass er den Mann gesehen hatte. Wer wusste schon, wie ihn die Außenwelt verändert hatte? Das konnte man nie mit Sicherheit sagen. Ging es ihm gut? War er ganz allein, oder hatte er Freunde, die ihm halfen? Einsamkeit war für diese Menschen wie Gift. Sie
veränderten sie innerlich, bis sie irgendwann nicht mehr wieder zu erkennen waren. „Hallo Ethan!“ Erschrocken wandte der Schwarzhaarige sich um. Vor ihm stand ein Mann im Mantel und Sonnenbrille. Der Bart war mindestens eine Woche alt. Er wirkte kränklich und angeschlagen. Ganz anders, als bei ihrem letzten Treffen. Der Neuankömmling hob vorsichtig die Hand und grinste. „Keine Sorge. Ich bin nicht hier, um ihnen zu Schaden. Ich will nur mit ihnen reden. Das ist alles.“ Skepsis wanderte in Ethans Gesicht. Er
konnte sich nicht vorstellen, was Albert Wilkins von ihm wollte. Er machte keine Anstalten, ihm Schaden zuzufügen. In der Masse der Passanten wäre das auch keine Gute Idee gewesen. „Das wäre das erste Mal, dass sie versuchen die Dinge ohne Gewalt zu lösen Albert. Was machen sie hier?“ „Dasselbe wie sie. Ich suche John.“ Der Arzt zog an seiner Zigarette. Misstrauisch musterte er seinen Gegenüber. „Warum? Hat Viktor sie dazu angestiftet?“ Albert lachte und setzte die Sonnenbrille ab. Die blauen Augen suchten Rain. „Nein. Ich habe nichts mehr mit Viktor
zu tun. Er geht seinen eigenen Weg. Ich kann ihnen auch nicht sagen, wo er jetzt ist, falls sie das hoffen. Er dürfte im Augenblick sowieso ihr geringstes Problem sein. Ich habe die Nachrichten ein wenig verfolgt. Sie sind beschäftigt was? Sie und diese Typen von der U.F.P.I liefern sich ja ein ganz schönes Wettrennen um John.“ Ethan schüttelte den Kopf. Eigentlich war dieser Mann sein Feind, doch im Moment war er hier nicht sicher. Er konnte schnell zum Ziel werden, wenn er sich nicht vorsah. „Albert. Das hier ist keines ihrer Spiele. John ist in Gefahr, und sie auch. Nicht durch die U.F.P.I. Es gibt jemanden.
Einen Menschen, der Fähigkeiten stehlen kann. Deshalb bin ich hier. Wenn wir auf John aufmerksam geworden sind, dann sicher auch dieser Unbekannte. Ich will ihn von hier wegschaffen. Sie sollten auch die Stadt verlassen. Er könnte als nächstes hinter ihnen her sein.“ Wilkins nickte und steckte die Sonnenbrille in die Tasche. Dann streckte er die Hand aus. Erst begriff Ethan nicht. Dann reichte er ihm eine Zigarette und zündete sie an. Der Blonde nahm einen langen Zug und blies den Qualm in die Luft. Dann deutete er auf die Gasse hinter sich und trat hinein. Der Arzt folgte ihm
vorsichtig. „Es ist besser, wenn wir diese Dinge nicht zu sehr in der Öffentlichkeit besprechen. Die Kirche ist nicht weit. Sie wollen doch zu John, oder?“ „Woher wissen sie davon?“ „Ich habe John in der letzten Zeit öfter besucht. Ich teile vielleicht nicht seine Ansicht, was diese ganzen guten Taten angeht, aber er ist ebenso wie ich ein Mann aus Willow Creek. Auf eine perfide Art und Weise verbindet uns das. Sie sollten sich dennoch vorsehen. Hier spielen sich Dinge ab, die keiner von uns wirklich versteht. Diese Frau zum Beispiel. Norma. Ich kannte sie. Ich habe sie aufgespürt, zusammen mit
Viktor. Er wollte sie für sich gewinnen, aber sie lehnte ab. Ist richtig fuchsig geworden. Sie wissen ja wie überzeugend Viktor sein kann.“ Ethan nickte. Er wollte sich diese Begegnung gar nicht vorstellen. Als einziger hatte Leland diesen Mann seit dem Ausbruch getroffen und das war schon nicht gut ausgegangen. „Was war mit Norma? Wissen sie, was passiert ist?“ „Sie ist offensichtlich tot Ethan. Aber ich habe nichts damit zu tun. Wir sprachen über diese Dinge. Diesen Politiker. Snyder. Vor dem müssen sie sich in Acht nehmen. Er genießt viel Einfluss und das macht ihn zu einem
gefährlichen Mann. Es ist das beste, wenn sie sich aus der Sache heraushalten. Solche Menschen machen keine halben Sachen. Ich bringe sie zu John. Damit sie ihn von hier fortschaffen können, aber das ist dann auch alles. Danach sollten sie ebenfalls zusehen, dass sie sich in Sicherheit bringen. Was auch immer hinter dieser ganzen Geschichte steht: Es ist größer als sie denken. Das sagt mir mein Gefühl.“ Ethan musterte ihn. Albert wusste also von den Dingen, die sich hier abspielten. Eine Kooperationsbereitschaft war dem Arzt ein Rätsel. Warum half er ihm jetzt?
Innerlich schüttelte der 33-Jährige den Kopf. Das war im Moment nicht wichtig. Hauptsache war es, dass er nicht ganz allein da stand. Wichtiger war, dass sie John fanden. Das hatte Priorität. - Sie erreichten die Kirche nach kurzer Zeit. Viele Obdachlose standen vor einem Eingang Schlange und warteten darauf, ins Innere eingelassen zu werden. Ethan begutachtete die Situation mit Neugierde, während er und Wilkins über den Rasen entlang zur Hauptpforte schritten. Dort stand ein
alter Pfarrer, der sich gerade mit ein paar Leuten unterhielt. Er wirkte gebrechlich und müde. Als er Wilkins erblickte, lächelte er und hob winkend die Hand. „Albert. Schön, dass sie wieder da sind. Wie ich sehe, hat ihr kleiner Spaziergang die Aufmerksamkeit von jemandem auf sich gezogen. Wer ist ihr Freund?“ Väterlich legte er dem D-Patienten eine Hand auf die Schulter. Sie schienen einander gut zu kennen. Damit wurde dem Arzt etwas klar: Wilkins hatte sich hier versteckt. Zusammen mit John. Daher wusste er auch, wo Ethan nach ihm suchen musste.
„Pfarrer Lewin. Das hier ist Ethan Rain. Der von dem John erzählt hat.“ Bedächtig musterte der Geistliche den 33-Jährigen und legte auch ihm die Hand auf die Schulter. „John hat viel von ihnen gesprochen. Ebenso wie Albert. Sie haben einen gewissen Eindruck bei diesen Menschen hinterlassen. Kommen sie. Ich führe sie hinein. Sie wollen John sicher sehen.“ Rain nickte. Es ging ins Innere. In der Haupthalle angekommen, sahen die Männer sich um. Eine Menge Leute kamen her um zu beten. Eine junge schwangere Frau nahm den Leuten das Gebet ab, während andere auf die
Schlange starrten, die sich bis hierher zog. An deren Ende stand ein Tisch, an dem Suppe für die Bedürftigen ausgeschenkt wurde. Und dort stand er: Schwarzes Haar, markante Züge und tiefgraue Augen. John hatte sich kaum verändert. Von außen her, mochte er einen ernsten Eindruck machen, doch war er eine gute Seele. Das zeigte schon das warme Lächeln, mit dem er die Menschen um sich herum bedachte. Ethan und Wilkins schritten langsam auf ihn zu. Levin ging vorne an. „John. Hier ist jemand, der dich sehen will. Ich übernehme für dich.“ Der Angesprochene nickte, ehe sein Blick zu Albert und Ethan wanderte. Als
er den Arzt erblickte, lächelte er. Zur Begrüßung umarmte er den Doktor. „Dr. Rain. Es ist viel zu lange her.“ „Das finde ich auch John. Es tut gut zu sehen, dass sie wohlauf sind.“ Croft wandte sich Wilkins zu. „Siehst du Albert. Ich habe dir gesagt, dass er irgendwann kommt. Ethan war immer da, wenn wir Hilfe brauchten. Kommen sie Doktor, ich will ihnen jemanden vorstellen.“ Er führte ihn zu der Schwangeren. Eine hübsche junge Dame, die die Männer nickend begrüßte und John einen Kuss schenkte. „Das ist Tara. Meine Freundin. Sie und ich sorgen dafür, dass es den Menschen
hier etwas besser geht. Wir tun das, für das sich die anderen zu Schade sind. Gottes Werk zu verrichten ist eine gute Sache.“ Ethan nickte. Er war froh, dass dieser Mann für sich eine Bestimmung und die Liebe gefunden hatte. Wilkins stand daneben und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Ist ja gut John. Allerdings muss ich deine Wiedersehensfreude unterbrechen. Ethan ist nicht zum Kuscheln gekommen.“ Etwas Später saßen sie im Zimmer des Pfarrers und unterhielten sich. Albert, John und Tara saßen auf einem Sofa,
während Ethan ihnen die gesamte Situation schilderte. Als er geendet hatte, fuhr sich Croft nachdenklich mit der Hand übers Kinn. „Und dieser Mensch, stiehlt Fähigkeiten. Sie denken, er könnte hinter mir und Tara her sein?“ Ethan sah ihn perplex an. „Wieso Tara?“ John strich ihr lächelnd über den Bauch. „Sie trägt mein Kind. Ich weiß auch nicht, wie das alles funktioniert, aber sie hat meine Kraft. Verstehen sie? Das Kind hat meine Kraft. Es beschützt meine Frau. Hat ihr schon zwei Mal das Leben gerettet.“ Rain nickte. So etwas hatte vermutet.
Wenn ein Patient ein Kind zeugte, konnte es durchaus sein, dass sich seine Fähigkeiten auf die nachfolgende Generation übertrugen. In diesem Fall war nicht nur John in Gefahr, sondern seine gesamte Familie. Wilkins sah dem ganzen gelassen zu. Er rauchte eine Zigarette und tat so, als würde ihn das alles nicht interessieren. „Wie sie sehen Doktor, gibt es John nur in der Familienpackung. Ich hoffe sie haben in Willow Creek genügend Betten frei.“ „Er wird nicht nach Willow Creek gehen. Wir bringen ihn woanders unter. Solange, bis das alles vorbei ist!“ John schüttelte den
Kopf. „Nehmen sie Tara mit. Ich werde hierbleiben. Ich kann diese Leute jetzt nicht einfach im Stich lassen Doktor. Sie verlassen sich auf mich. Sie brauchen jemanden, der ihnen hilft und sie leitet. Das ist die Hoffnung die sie haben. Das verstehen sie sicher.“ Das tat er wirklich. John war in einer ähnlichen Position wie er selbst. Er hatte Verantwortung für die Menschen um sich herum übernommen. Sie sahen zu ihm auf. Mit den Patienten in der Anstalt war es nicht anders. Diese Menschen brauchten wirklich Hilfe. Sie jetzt einfach im Stich zu lassen, konnte der Arzt nicht mit seinem Gewissen
vereinbaren. Dennoch ging es auch um die Sicherheit dieses Mannes. Wer kümmerte sich um die Familie, wenn ihm etwas zustieß? „Natürlich verstehe ich das John. Jedoch ist die Situation nicht so einfach. Wenn dir etwas geschieht, wer achtet auf Tara und das Kind? Du bist ein guter Mensch, das weiß ich, aber jetzt gibt es andere Menschen, die deiner Aufmerksamkeit bedürfen. Die darfst du ebenso wenig im Stich lassen.“ Vor allem war nicht sicher, wie lange sie hier noch bleiben konnten. Die U.F.P.I würde weiter nach ihnen suchen. Irgendwann würden sie die richtige Spur finden und dann waren diese Leute
in Gefahr. Dieser Langton machte nicht den Eindruck, als würde er auf irgendwen Rücksicht nehmen. Im Augenblick war die Situation sowieso nicht so einfach. Foster war noch immer nicht wieder aufgetaucht. Er mochte sie vielleicht nicht, aber dennoch sorgte er sich um sie. Wer wusste schon was diese Männer alles im Schilde führten? Von draußen polterte es plötzlich. Albert stand auf und schritt sofort zur Tür. Schreie waren von draußen zu hören. Waren das etwa schon Snyders Männer? „Wer ist das Albert?“ Der D-Patient antwortete nicht, sondern stürmte sofort aus dem Zimmer. Ethan
wandte sich zu John und seiner Frau. „Gehen sie John. Bringen sie sich und ihre Familie in Sicherheit. Fahren sie nach Detroit. Ich werde sie dort finden!“ Ehe er auf eine Antwort wartete, schritt Ethan ebenfalls nach draußen in die Haupthalle. Allerdings war nicht die U.F.P.I der Grund für diesen Aufruhr: Pfarrer Levin lag tot auf dem Boden. Über ihm stand der vermummte Mann in schwarzer Kleidung und sah in seine Richtung. Albert schleuderte dem Fremden ein paar Blitze entgegen, doch hob der Andere einfach nur die Hand und ließ sie verschwinden. Als wären sie auf ein unsichtbares Hindernis gestoßen. Ohne Vorwarnung preschte der
Unbekannte mit rasanter Geschwindigkeit nach vorne und versetzte Wilkins einen Faustschlag, der den D-Patienten gegen die nächste Wand schleuderte. Rain sah sich suchend um, doch schon hatte der Fremde ihn bemerkt und stürzte auf ihn zu. Allerdings schob sich nun jemand anders dazwischen. John, dessen Faust zu Stein geworden war. Er verpasste dem Angreifer einen Schlag, der ihn zurücktaumeln ließ. „Sie sollten doch gehen!“ „Nicht ohne sie und Albert Doktor!“ Sie eilten zu dem D-Patienten und halfen ihm auf die Beine. Um sie herum war inzwischen Panik ausgebrochen. Die
Menschen rannten aufgeregt aus der Kirche. John schleppte Albert zusammen mit Ethan in den hinteren Bereich, wo Tara an einer Tür wartete. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck. „VORSICHT!“ Der Arzt wandte sich um, und wurde gerade noch rechtzeitig von John zu Boden gerissen, bevor eine Steinskulptur über ihn hinwegflog und an der nächsten Wand zerbrach. Der Unbekannte schritt auf sie zu. Dann ertönten Schüsse. Foster stand mit gehobener Pistole am Eingang der Kirche. Neben ihr stand Langton zusammen mit ein paar Männern. „Hände hoch!“, brüllte Eileen und zielte
auf den Fremden, der sich von dem Schuss allerdings unbeeindruckt sah. Er streckte die Hand aus, woraufhin die Waffen ihnen entrissen wurden. Mit einem Schwung drehten sie herum und zielten auf Foster und die Leute der U.F.P.I. Schreckerfüllt sah Ethan die Situation. Albert nahm ihn an der Schulter. „Jetzt kommen sie!“ „Nein! Wir müssen ihnen helfen!“ Der D-Patient schüttelte den Kopf. „Sie schenkt uns Zeit! Verstehen sie das nicht? Sie opfert sich gerade um ihren Arsch zu retten!“ Lethargisch betrachtete Ethan die Situation. Foster sah zu ihm. Die Hände
hatte sie gehoben. Ebenso wie Langton. Die junge Frau sah ihm in die Augen und nickte. Dann fielen die Schüsse, doch Ethan blieb nicht zurück. Er sah nicht, wie sie zu Boden ging. Bekam nicht mit, wie sie alle starben.
"Du siehst müde aus. Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?“ Ethan schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Carrie bedachte ihn mit sorgevollen Augen und lehnte am Küchentisch. Eine Woche ging das so. Die Alpträume wollten nicht enden. Ständig wachte er mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Danach konnte er nicht wieder einschlafen. Beschäftigte sich dann mit ein paar Akten, oder sah fern. Es brachte ihm keinen Frieden. Alles wirkte so steril und kalt. Ohne Bedeutung. Er hatte Foster nie sonderlich leiden
können. Ihre Ansichten waren ihm immer negativ aufgestoßen. Stets dachte er, sie wäre nur auf Erfolg fixiert. Dann opferte sie plötzlich ihr Leben für ihn und zwei Patienten. Einfach so. Der Unbekannte tötete sie ohne zu zögern.Ethan war zusammen mit John, seiner Frau und Albert entkommen. Die drei waren in einen Unterschlupf gezogen. Das war für den Augenblick besser. Draußen waren sie nicht sicher. Sie hatten unverschämtes Glück. Der Fremde war hinter ihnen her. Durch ihn waren mittlerweile 5 Menschen tot. Erst Norma Evans, dann Foster und ein paar Männer von der U.F.P.I. Es schien, als könnte niemand diesen Menschen
aufhalten. Heidenreich hatte ihm freigegeben. Keiner von ihnen konnte wirklich arbeiten. Akerman war sowieso die meiste Zeit nicht da und Peterson am Ende seiner Kräfte. Der Tod seiner alten Freundin nahm ihn sehr mit. Wahrscheinlich würde er die heutige Beerdigung nicht durchhalten. Es war der endgültige Abschied. Das war nie leicht. Dabei kam ihm wieder Katherinas Beerdigung in den Sinn. Alle hatten diesen leeren Ausdruck im Gesicht. Als würde etwas fehlen. Im Augenblick war der Tod ein ständiger Begleiter. Freunde fanden ein jähes ende, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Diese Machtlosigkeit. Einfach
schrecklich. Auch seine Frau konnte ihn nicht aufmuntern. Sie streichelte ihm vorsichtig durch das Haar und übers Handgelenk, während er sich an sie schmiegte. Dies war einer der Momente, in denen er sich wünschte, offener zu Carrie sein zu können. Ihr alles zu erzählen. Bisher hatte er sich stets darum bemüht, diese Dinge aus ihrem Leben fernzuhalten. Es gab jedoch Tage, an denen die Last zu groß war. Er vermisste Dwight. Mit ihm konnte er gut über diese Dinge sprechen. Hammond war auch eine Option, aber der widmete sich nun ganz seinem eigenen Leben. Es gab niemanden. Peterson versank in seiner Trauer.
Foster war ein großer Verlust. Sie mochten verschiedener Ansichten gewesen sein, doch niemand verdiente ein solches Schicksal. Da zählte auch nicht, wie oft er sie im Gedanken verfluchte. Diese unscheinbare Frau mit starkem Temperament. Sie hatte sich nie beirren lassen. Schon damals, als sie noch für das FBI gearbeitet hatte. Zielorientiert wie kein zweiter. In Situationen wie diesen, wünschte er sich, er wäre manchmal mehr auf sie eingegangen. Vielleicht hätte er sie dann besser verstehen können. „Ich habe deinen Anzug reinigen lassen. Ich kann dich zur Beerdigung fahren
wenn du möchtest.“ Er lächelte und ergriff ihre Hand. Behutsam küsste er ihre Finger. „Danke. Es ist schon okay. Du tust genug für mich Liebling. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne dich machen würde.“ Sie sah ihn mitfühlend an und setzte sich auf seinen Schoß. Vorsichtig umarmte sie ihren Mann und kuschelte sich an ihn. Eine Weile verblieb sie in dieser Position und sah durch die Küche. „Hast du je darüber nachgedacht, aufzuhören? Wir können immer noch weg von hier weißt du? Sofia nehmen und woanders
hinziehen.“ Ethan seufzte. „Carrie. Ist schon in Ordnung. Das kann ich nicht von dir verlangen. Wir haben all unsere Freunde hier. Sofia wächst hier auf. Nein. Wir müssen nicht alles wegen mir zurücklassen. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme darüber hinweg. Es gehört zum Leben. Menschen sterben irgendwann. Das ist der natürliche Kreislauf.“ Seine Stimme klang seltsam hohl. Natürlich war das ein Gedanke gewesen. Einfach aufhören. Die Anstalt und alles was dazu gehörte hinter sich lassen. Er könnte mit Carrie und Sofia nach Ohio ziehen. Dort ein neues Leben anfangen.
Die Idee klang verlockend, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. So vieles war geschehen. Es gab Menschen die seine Hilfe brauchten. Die konnte er nicht einfach im Stich lassen. Sein Gewissen ließ es nicht zu. Er würde stets glauben, einfach abgehauen zu sein, wie ein Feigling. Das war nicht richtig. Leute wie John und Tara brauchten ihn. Sonst wären sie ganz alleine in dieser Welt. „Manchmal glaube ich, du bist einfach zu gut für die Welt Ethan. Die Menschen wissen gar nicht was sie an dir haben.“ Er setzte seine Brille ab und fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. Das war nicht das Problem. Ethan dachte
dabei an seine Familie. Wie lange waren sie noch sicher? Jetzt wo Eileen tot war, wusste er nicht, was als nächstes geschah. Was, wenn dieser Unbekannte auf die Suche nach ihm machte? Immerhin war er ein Störfaktor. Blieb nur die Frage offen ob dieser Mann ihn als solchen betrachtete. Das Risiko war zu hoch, darauf zu spekulieren. Nachdenklich richtete er den Blick auf Carrie und holte seine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche hervor. „Das ist nicht das Problem. Ich wünschte ich könnte dir alles erzählen, aber ich bin nicht einmal sicher, ob du mir glauben würdest.“ Er zündete sich eine Malboro an. Sie war
mittlerweile aufgestanden und goss den beiden Kaffee ein. „Ethan. Du bist mein Ehemann. Der Vater unseres Kindes. Ich liebe dich. Wir gehen jeden Weg zusammen. In guten, wie in schlechten Tagen. Erinnerst du dich noch daran? Es ist nicht schlimm, wenn du mir nicht alles sagen kannst. Erlaube mir nur, deine Stütze zu sein, wenn ich sehe, dass es dir nicht gut geht. Mehr verlange ich nicht.“ Sie stellte ihre Tasse ab und küsste ihn sanft. Solange er sich zurückerinnern konnte, war Carrie immer bei ihm gewesen. Die beiden hatten sich früh kennen gelernt. Schon zu Anfangs war er
bis über beide Ohren in sie verknallt. Alles ging sehr schnell und ehe man sich versah, war auch schon Sofia unterwegs. Andere beneideten ihn oft darum. Viele in seinem Alter genossen nicht das Privileg einer Familie. Sie lebten alleine, weil sie entweder nicht den richtigen Partner fanden, oder der Job sie zu sehr strapazierte. In letzter Zeit gab es nicht viel Zeit, die er mit Frau und Kind verbringen konnte. Die Ereignisse überschlugen sich ständig. Ethan nahm einen Schluck von seinem Kaffee.Er konnte nicht einmal sagen, wie die Dinge Morgen oder nächste Woche aussahen. Im Moment stand vieles auf Messers Schneide. Ständig
konnte die Waage kippen. „Was hältst du davon, wenn wir über die Ferien wegfahren? Nur Du, Sofia und ich. Naiomi nehmen wir mit. Die wollte ja zu Besuch kommen. Ich glaube, das ist etwas was wir im Moment gut gebrauchen können. Einfach mal weg von allem und abschalten. Wer weiß schon, wann wir sonst die Möglichkeit haben mal wieder unbefangen Zeit zu verbringen? Sofia kommt bald schon in die Schule.“ Carrie grinste. „Erinnere mich nicht daran. Ich komm mir jetzt schon alt vor. Unfassbar wie groß sie geworden ist. Im Kindergarten fühlt sie sich schon gar nicht mehr
wohl. Ständig plappert sie mir die Ohren voll, dass sie endlich in die Schule möchte. Sie will sogar, dass ich für Dumbo eine Schultüte kaufe.“ „Das einzige was der braucht, ist eine chemische Reinigung.“ Sie lachten. Es war kein Geheimnis, dass seine Tochter ein wenig unvorsichtig mit ihrem Stoffelefanten umging. In der Schule würde sich das sowieso ändern. Da war es nicht mehr cool, wenn man mit einem Plüschtier herumlief. Ethan seufzte. Er hatte sich immer ein wenig davor gefürchtet. Dank Naiomi wusste er, wie Mädchen in der Pubertät sein konnten. Davor graute es ihm. Sofia würde dann nicht mehr seine
kleine Prinzessin sein. Irgendwann würde sie Dumbo gegen Make-Up und Jungs eintauschen. Kein erquickender Gedanke, aber das wollte er dennoch um nichts in der Welt verpassen. Nichts von all dem. - Ein wenig perplex betrat Leland die Penthouse-Wohnung, die Snyder Naiomi zur Verfügung gestellt hatte. Er wurde von lauter Rockmusik empfangen. Auf dem Boden lagen leere Chipstüten, sowie einige Bierdosen. Die 17-Jährige selbst lag in Top und Boxershorts auf dem Sofa. Der Rollstuhl stand daneben.
Seit sie hier war, hatte sie nichts getan außer zu trinken, zu essen und zu schlafen. Patrick bestand darauf, dass sie das Gebäude nicht verließ und las ihr deshalb jeglichen Wunsch von den Augen ab. Auch eine Art und Weise, um die Leute zu ködern. Sie machte jedenfalls nicht den Eindruck, als würde ihr dieser Lebensstil missfallen. Die Rothaarige hob leicht den Kopf als er ankam und tastete auf dem Sofa nach einer Schachtel Zigaretten, von denen sie sich eine ansteckte. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du in Anzügen fett aussiehst?“ Er grinste und richtete sich die Krawatte. Normalerweise zog er leichtere
Kleidung vor, aber dieses Mal war es ein Muss. Snyder wollte, dass er ihn später auf die Beerdigung für die Männer der U.F.P.I begleitete. Sie waren vom Unbekannten während eines Einsatzes getötet worden. Ebenso wie Eileen Foster. Ein bitteres Ereignis. In letzter Zeit ging er kaum noch in die Anstalt. Seit er für den Politiker arbeitete, distanzierte er sich von der Anstalt. Niemand sollte merken, dass er den Arbeitgeber gewechselt hatte. „Du bist auch nicht gerade aus dem Ei gepellt“, erklärte er. Sie zog an ihrer Zigarette und grinste süffisant. Leicht bekleidete Damen waren schon immer seine Schwäche gewesen, weshalb er
sich auch hier nicht für ein paar Blicke schämte. Sie war hübsch. Wäre da nicht die Tatsache, dass sie seine Tochter sein könnte. Obwohl – aufgehalten hatten ihn solche Dinge noch nie. Naiomi lehnte sich ein wenig nach vorne. Mit einer Fernbedienung drehte sie die Musik ein wenig herunter. „Warum auch? Ich hab Urlaub. Keine Schule. Keine nervigen Direktoren. Nur ich, ein paar Bier und ACDC. Das ist cool. Könnte mich dran gewöhnen. Sag mal, wann krieg ich eigentlich meine Schienen? Ich will laufen!“ Er sah sie an. Es stimmte. Snyder hatte ihr dieses Versprechen gegeben und so langsam wurde das Mädchen unruhig.
Konnte er verstehen. Er würde auch nicht still sitzen bleiben, wenn ihm jemand versprechen würde, sein Bein wieder in Ordnung zu bringen. Beschwichtigend hob er eine Hand. „Ganz ruhig. Patrick wollte nach der Beerdigung kommen. Es ist alles fertig. Bald kannst du wieder unbeschwert über die Wiese tänzeln.“ „Klar. Und aus meinem Arsch schießen dann Regenbögen und Blütenblätter. Was springt für dich eigentlich raus, dass du hier arbeitest? Hat man dich gefeuert?“ Leland schüttelte den Kopf. „Manchmal ergeben sich die Dinge. Sonst würdest du ja auch nicht hier sitzen und wie Gott in Frankreich
leben.“ „Wäre ich Gott in Frankreich hätte ich ein paar hübsche Jungs die mich mit Trauben füttern.“ Er lachte. Sie hatte nichts von ihrer frechen Zunge verloren. Das war etwas, das er an Naiomi bewunderte. Es konnte ihr noch so schlecht ergehen. Sie fand immer den Mut weiterzumachen. Sie ließ sich nicht von einem Rückschlag aus der Bahn werfen. Andere besaßen nicht so viel Selbstbewusstsein. War bei ihr aber auch kein Wunder. Die Eltern hatten sie nach Willow Creek gegeben, als das nächste Kind unterwegs war. Sie hatten sich vor den Fähigkeiten ihrer Tochter gefürchtet. Sie deshalb
verstoßen. Das saß sicherlich tief. Die 17-Jährige zeigte das zwar nicht offen, aber es gab Augenblicke, in denen man ihr das deutlich ansehen konnte. Im Moment jedoch, gab sie sich stark wie immer. „Guten Morgen.“ Snyder kam wie üblich mit Anzug und Krawatte. Er wirkte gelassen, ob der Dinge die heute auf ihn warteten. Zur Begrüßung legte er Leland eine Hand auf die Schulter, ehe er sich langsam im Raum umblickte. „Wie ich sehe hast du dich schon eingelebt, Naiomi. Das ist gut. Ich hoffe Leland hat dir bereits erzählt, dass heute
dein großer Tag ist. Ich bin zwar gleich noch auf einer Beerdigung, aber danach werden wir uns darum kümmern, dass du endlich diesen Rollstuhl loswirst. Die Konstruktion ist heute Morgen angekommen. Meine besten Techniker und Schweißer haben tagelang daran gearbeitet. Mit der Metallmanipulation wirst du keine Probleme haben, wieder laufen zu können. Natürlich wird es am Anfang gewöhnungsbedürftig sein, aber ich halte meine Versprechen. Ich wünschte wird könnten mehr tun.“ Das Mädchen strahlte über beide Ohren. Sie drückte die Zigarette aus und schüttelte den Kopf. „Nein nein. Äh. Ich weiß ja nicht mal
wie ich das wieder gutmachen kann Pat. Äh Mr. Snyder. Ich dachte, ich wäre für immer an dieses Ding gefesselt.“ Sie deutete auf den Rollstuhl. Snyder lächelte. „Ich sagte doch schon: Du kannst mich Patrick nennen. Und du musst das nicht wieder gut machen. Ich will einfach nur, dass Menschen wie du eine Chance bekommen. Das Leben kann auf verschiedene Art und Weisen ziemlich unfair sein. Viele von uns strengen sich an, arbeiten hart und am Ende sind ihre Wege immer vom Misserfolg gezeichnet. Das muss nicht so sein. Jeder verdient es, in seinem Leben eine Bedeutung zu haben. Auch du Naiomi. Du bist eine
Kämpferin die ihresgleichen sucht. Das ist eine besondere Eigenschaft die ich sehr bewundere. Am Ball bleiben, weiterkämpfen. Das macht einen starken Charakter aus.“ Naiomi nickte. Das war harmlos ausgedrückt. Schon von klein auf war es für sie schwierig gewesen. Als sie ihre Kräfte entdeckte, dachte sie, sie sei etwas besonderes. Dachte, das wäre etwas gutes. Sie lernte sehr schnell das Gegenteil. Ihre Eltern verboten ihr, ihre Kräfte offen zu zeigen. Hielten es geheim. Die anderen Kinder hatten Angst vor ihr und befürchteten, sie könnte ihnen etwas antun. Schließlich wurde ihre Mutter wieder schwanger und
sie kam nach Willow Creek. Eine Weile glaubte sie, dass das ihr Schicksal war. Weggesperrt wie eine Irre. Snyder aber zeigte ihr, dass es nicht so sein musste. Er gab ihr eine Chance die ihr bis jetzt immer verwehrt wurde. Nicht nur, dass sie wieder laufen würde. In seiner Sendung bekam sie Gelegenheit die Dinge endlich klarzustellen und den Menschen zu zeigen, dass sie keine Angst haben mussten. „Das hört sich für sie alles so einfach an Pat. Verstehen sie mich nicht falsch. Ich finds gut, dass endlich mal jemand sagt, dass wir auch n Recht auf irgendwas haben. Trotzdem gibt’s da eine Menge Dinge, die sie nicht
verstehen. Sie haben keine Ahnung, wie das Leben für uns war. Manche von uns hat das kaputt gemacht. Dafür gibt es halt Willow Creek. Für die Fälle, denen wirklich keiner mehr helfen kann. Das kann auch ein Showauftritt in ihrer Sendung nicht wieder hinbiegen. Viele kämpfen ihr Leben lang und am Ende werden sie für etwas bestraft, für das sie absolut nichts können.“ Ihr Blick glitt zu Leland, der bewusst auswich. Menschen wie Katherina hatten keine Schuld an dem, was ihnen widerfahren war. Es war die Welt um sie herum, die sie zu dem gemacht hatten. Solche Erfahrungen ließen sich nicht einfach fortwischen. Snyder nickte
langsam und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Ein Seufzer entkam seiner Kehle. Er trat zum Fenster und sah nach draußen. „Die Welt dreht sich leider nicht immer so, wie wir es uns wünschen. Das habe ich schon früh gelernt. Ich kann vielleicht nicht nachvollziehen, wie es ist, so zu sein wie du, oder andere mit Parafähigkeiten. Dennoch weiß ich, was Leiden bedeutet. Was es heißt, anders zu sein. Wenn du in einer Welt aufwächst, die von besonderen Wertvorstellungen geprägt ist, von denen du aber nichts hältst, dann kannst du nur zwei Dinge tun: Du schwimmst mit dem Strom mit, oder du kämpfst
dagegen an. So ein Weg ist einsam. Oft fragt man sich, ob man etwas falsch gemacht hat, um ein solches Leben zu verdienen.“ Er machte eine Pause und musterte sie. „Ich wollte dich nicht verletzen, oder beleidigen. Du hast Recht: Ich kann nicht wissen, was du durchmachen musstest. Ich will mir auch nichts anmaßen. Ich finde einfach nur, dass jeder eine Chance auf ein gutes Leben verdient. Egal, wer oder was er ist. Auch die Menschen mit Parafähigkeiten, Menschen wie du, verdienen es, dass man sie wie jeden anderen auch behandelt.“ Naiomi legte die Hand an die Stirn und
schloss die Augen. Natürlich war es schön, solche Worte zu hören. Allein die Aussicht darauf, sich nicht mehr verstecken zu müssen, gab ihr neuen Mut. Dennoch war sie sich nicht sicher. Würden die Leute es wirklich verstehen? Würde man sie akzeptieren? Wie dachten ihre Freunde über sie, sollten sie tatsächlich erfahren, dass sie besondere Kräfte besaß? Okay, Emma und Skeeter fänden es wahrscheinlich cool. Die waren einfach etwas abgehoben. Sie würden sie für ne Art Superheldin halten, die sich Nachts rausschlich um das Böse zu bekämpfen. Der Gedanke war irgendwie absurd. Sie hatte sich nie als eine Heldin oder dergleichen gesehen.
Sie wollte nur ihr Leben auf die Reihe kriegen. Das war nichts schlechtes. Schade nur, dass sie damals das falsche Los in der Gen-Lotterie gezogen hatte. „Denk darüber nach Naiomi. Du kannst ein ganz neues Leben beginnen. Wir sprechen später darüber. Ich muss los. Die Beerdigung wartet. Leland wird hierbleiben, solltest du etwas brauchen. Die Prothesen sollten in der nächsten Stunde eintreffen. Leisten sie ihr solange etwas Gesellschaft.“ Akerman nickte, während der Politiker die Wohnung verließ. Das erste, was Naiomi tat, war die Musik wieder lauter zu drehen. Der 44-Jährige grinste matt
und streckte sich. Hierzubleiben war eine gute Idee. Er war kein Beerdigungsmensch. Vor allem spielte das Wetter nie mit. Die Leute waren zu verbissen. Klar. Meistens war ein naher Verwandter gestorben, aber dennoch gefiel ihm die allgemeine Stimmung nicht. Das konnten dann meistens auch nicht die Totenfeiern gut machen. Er konnte sich dabei noch gut an die Beerdigung seines Vaters erinnern. Die ganze Wohnung hatte nach Lachs vom Buffet gestunken und die Leute begnügten sich damit, einander anzuschweigen, aus Angst sein Vater könnte dem Grab entsteigen und sie heimsuchen, sollte es jemand wagen
Spaß zu haben, oder gute Laune zu verbreiten. Zum Glück hatte er mit all dem nichts mehr zu tun, sondern konnte sich auf sein neues Umfeld und sein neues Leben konzentrieren. Er legte seine Krücke auf dem Tisch ab. Die Anzugjacke war das nächste, dessen sich entledigte. Die Dinger schnürten ihm immer die Luft ab. Achtlos warf er sie auf das Sofa neben der 17-Jährigen, ehe er zum Barschrank spazierte. Die Rothaarige musterte ihn. „Ist das nicht n bisschen früh für Alkohol?“ Er lächelte süffisant und deutete schweigend auf die Bierdosen, die auf dem Boden verstreut lagen. Er wählte
Cognac. Das war für ihn im Moment das Richtige. Auch ihr goss er ein Glas ein. Ihm war gerade nicht danach, sich alleine zu betrinken. Langsam humpelte er zum Sofa und ließ sich neben ihr nieder. „Dafür ist es nie zu früh. Außerdem ist das meine Art und Weise, den Toten Respekt zu erweisen.“ Leland hob sein Glas und trank einen kurzen Zug darauf, woraufhin er das Gesicht verzog. Naiomi roch am Glas und rümpfte die Nase. Dann traute sie sich doch, zu probieren. Hustend stellte sie den Alkohol wieder weg. „Man könnte meinen, dass ihr alten Säcke keine Geschmacksnerven mehr
habt, wenn ihr sowas in euch reinkippt.“ „Man gewöhnt sich dran.“ Er legte das gesunde Bein über das andere und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Ein Arm ruhte auf der lehne des Sofas, während die Musik an sein Ohr dröhnte. Eine Weile schwiegen beide. Naiomi spielte mit einer Haarsträhne und kratzte sich zwischendurch an der Wange. Letztlich durchbrach sie die Stille. „Und du gehst wirklich nicht zur Beerdigung? Ich mein, immerhin war diese Foster doch deine Kollegin.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das mag schon sein, aber ich war nie ein Freund des Abschieds. Ich hätte
außerdem nichts zu sagen. Klar. Ich hab mit Eileen zusammengearbeitet, aber das ändert nichts daran, wer sie war.“ Die Rothaarige wirkte nachdenklich. „Ich wette sie haben auch nicht gerade eine große Fangemeinde.“ Akerman grinste. „So ist das Leben. Freundschaft wird heutzutage überbewertet. Man kann sich doch sowieso nicht mehr sicher sein, wer wirklich zu einem steht, und wer nicht. Das ist das große Problem der Neuzeit. Die Leute sind einfach zu gierig geworden. Geld und Macht regieren die Welt und nicht Nächstenliebe. War schon immer so.“ Sie nickte. Ein Seufzer entkam
ihr. „Naja. Aber es sind doch nicht alle so. Leider gibt es einfach nur zu wenige, die noch Grundwerte haben. Das ist das Problem. Ich könnte nicht mal wirklich sagen, wen ich kenne, der so ist. Klar, da gibt’s meine Freunde. Ethan. Aber...ich weiß nicht. Die Leute verändern sich einfach zu schnell, als dass man ihnen auf Dauer vertrauen kann.“ Nun griff sie doch nach dem Cognac und genehmigte sich einen Schluck. Angewidert verzog sie das Gesicht und schüttelte sich. Sie hatte Recht. In der heutigen Zeit konnte man niemandem mehr wirklich vertrauen. Sympathie
konnte schnell umschlagen. Heute war man unzertrennlich. Morgen bis aufs Blut verfeindet. Konnte alles ganz schnell gehen. Deshalb war er kein Fan von Freundschaften, die über ein morgendliches 'Hallo' und ein späteres 'Auf Wiedersehen' hinausgingen. Selbst Menschen wie Ethan konnten sich irgendwann ändern. Waren sie einmal vom richtigen Mittel gelockt, vergaßen die meisten ihre Prinzipien. „So ist das Leben Kleine. Leute wie wir, wissen das. Es ist hässlich und spuckt uns ins Gesicht, wann immer es Lust dazu hat.“ Er leerte sein Glas. Sie tat es ihm gleich und sah ihn
an. „Dabei hast du eigentlich Glück. Du lebst hier in Saus und Braus. Snyder hilft dir. Ich glaub nicht, dass er n übler Kerl ist. Sonst hätte er mich ja nicht aufnehmen müssen. Klar. Er denkt auch n bisschen an seine Show, aber ich glaub nicht, dass er falsch spielt. Er hat ne ehrliche Haut. N bisschen wie du. Nur ohne weniger Arschloch-Sein.“ Leland lachte. Sie hatte wirklich ein Talent die Dinge auszudrücken. Ihr hatte es gut getan, nicht mehr in der Anstalt zu sein. Sie war richtig aufgeblüht. Gut. Er kannte sie vielleicht nicht so, wie Ethan es tat, aber er war durchaus in der Lage, eine solche
Wandlung zu bemerken. Vielleicht konnte Snyder es ja wirklich schaffen, dass sich die Dinge zum guten wendeten. Damit Menschen wie Naiomi die Gelegenheit hatten, ein gutes Leben zu führen. So wie sie es verdiente. - Eine leichte Brise wehte Ethan durch das schwarze Haar. Der Arzt stand an einer Eiche gelehnt und beobachtete mit Abstand, wie Eileen Foster und die Männer der U.F.P.I ihrer letzten Ruhestätte zugeführt wurden. Viele Leute waren gekommen um den Verstorbenen ihren Respekt zu zollen.
Mitarbeiter aus Willow Creek, Mitarbeiter des FBI, die Eileen kannten und Leute von der U.F.P.I. Das ganze kam beinahe einem Staatsbegräbnis gleich. Im Augenblick war der Director dabei eine Rede für seine ehemalige Mitarbeiterin zu halten. Peterson stand in der Nähe. Das Gesicht von Trauer gezeichnet. Es gab Leute, die die junge Frau sehr gemocht hatten. Freunde und Familie. Er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, wie sie privat lebte. Verheiratet war sie nicht. Keine Kinder. Nur einen Bruder, der gerade dabei war die gemeinsamen Eltern zu trösten. Ethan zündete sich eine Zigarette an. Unweigerlich musste er an Katherinas
Beerdigung denken. Da waren es nur eine handvoll gewesen. Wenn ein einfaches Mädchen starb, dann scherte sich kaum jemand darum. Sobald aber ein Staatsdiener das zeitliche segnete schien die halbe Welt darum besorgt zu sein. Er fuhr sich durch das Haar und zog sich daraufhin die Krawatte zurecht. Unter den prominenteren Gästen befanden sich ein paar Politiker, die ihr Beileid bekundeten. Darunter auch Patrick Snyder. Etwas entfernt stand Roberta Heidenreich zusammen mit Hammond. Für das Begräbnis war er extra angereist. Ethan hatte ihn sofort nach der Geschichte angerufen. John und seine Frau Tara waren mittlerweile
in der Stadt untergekommen. In Monroe war es nicht mehr sicher. Wilkins war ebenfalls mit in die Stadt gekommen, und überwachte das Paar aus dem Hintergrund. Der Arzt wusste nicht, in wieweit der D-Patient darin verstrickt war, oder aus welchen Beweggründen er handelte. Jedoch schien sich in Albert etwas verändert zu haben. Er wirkte nicht mehr so kaltblütig wie früher. Sah er einen Freund in John? Bedeuteten die beiden ihm wirklich etwas, oder war er nur darauf bedacht sich selbst vor dem Unbekannten zu retten und zog deshalb mit? Der 33-Jährige schüttelte nachdenklich den Kopf. Im Augenblick war ihm nicht
sonderlich nach Nachdenken zu mute. Sein Schädel fühlte sich wie Brei an. Eine unkontrollierte Masse, von vielen Gedanken überschwemmt. Wo war Leland? Sollte der nicht zumindest ein wenig Anstand besitzen? Immerhin war Foster auch seine Kollegin gewesen. Manchmal konnte wohl niemand genau sagen, was in diesem Typen eigentlich vorging. In den letzten Wochen verhielt er sich schon so sonderbar. Er kam kaum noch zur Arbeit. Man hatte ihn wegen des Begräbnisses angerufen, aber er war nicht mal ans Telefon gegangen. Die verquere Weltsicht dieses Mannes hatte Ethan noch nie verstanden. Was war ihm eigentlich wichtig? Gab es so
etwas überhaupt, oder interessierte sich Akerman am Ende nur für sich selbst? Ethan verwarf diesen Gedanken. Er wollte sein Gemüt jetzt nicht auch noch mit Leland Akerman belasten. So konzentrierte er sich wieder auf die Geschehnisse vor sich. Snyder hatte ihn offenbar bemerkt, denn er schritt nun langsamen Schrittes in Richtung der alten Eiche. Die Hände hatte er in der Jacke seines Anzugs verstaut. Er wirkte gefasst. Immerhin waren es auch seine Männer, die hier begraben wurden. Wirkliche Trauer war bei dem Politiker jedoch nicht zu finden. Rain kam ihm auf halbem Wege entgegen. Die Männer
schüttelten einander die Hände. „Guten Tag. Ich weiß, dass dies nicht wirklich der Ort für solche Dinge ist, aber ich konnte meine Neugierde nicht zurückhalten. Sie sind Ethan Rain, nicht wahr? Mein Name ist Patrick Snyder. Sie haben sicher schon von mir gehört.“ Ethan nickte knapp. Er war von der schieren Größe des Mannes überrascht, der ihn beinahe um einen Kopf überragte. Kein Wunder, dass dieser Kerl Politiker geworden war. Da knickte die Konkurrenz wahrscheinlich schon aufgrund der reinen Größe ein. „Sie haben dieses Buch geschrieben. Über Menschen mit Parafähigkeiten. Ich habe mich schon lange gefragt, was ein
Mann wie sie für ein Interesse daran hat.“ Sein Gegenüber lächelte süffisant und deutete dann auf die Zigarette, die der Arzt in der Hand hielt. „Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich sie um eine davon bitte? Normalerweise rauche ich nur Zigarren, aber ich glaube in Situationen wie diesen kann man eine Ausnahme machen.“ Der Arzt reichte ihm die Schachtel und zündete Patrick eine Zigarette an. Der Politiker genoss den ersten Zug und blies den blauen Qualm langsam in die Luft. Zwei größere Männer im Anzug, wahrscheinlich Leibwächter, kamen auf
die beiden zu, doch mit einem Handzeichen deutete Snyder, dass hier keine Gefahr bestand. So zogen sich die Männer wieder zur Trauergemeinde zurück. „Nun. Mr. Rain. Wie sagt man so schön? Ich bin Politiker. Irgendeinem Aufgabenbereich muss ich mich widmen.“ Er lachte. „Das war natürlich nur ein Scherz. Sie arbeiten in einem Sanatorium. Dort sind Leute mit Parafähigkeiten untergebracht. Ich habe schon von ihrer Arbeit gehört. Vor allem das Überwachungsvideo am Flughafen war ziemlich interessant. Dieses Mädchen,
das Metall verbiegen konnte. War sie gefährlich?“ Der Arzt schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass dieser Mann sich aus reiner Nächstenliebe dafür interessierte. „Ich kann ihnen nicht viel darüber erzählen. Sie kennen das. Die Schweigepflicht.“ „Natürlich. Ich wollte ihnen auch nicht zu Nahe treten. Ich dachte nur, es wäre ganz gut, wenn ich mich jemandem unterhalte, dem die Materie bekannt ist. Wir beide haben dasselbe Ziel Ethan. Ich möchte diesen Menschen helfen. Bis vor kurzem wusste kaum jemand auf der Welt, dass es diese Leute überhaupt gibt.
Ich will ihnen helfen, zu verstehen. Die Menschheit hat das Problem, allem was sie nicht kennt, mit Furcht und Hass zu begegnen. Das hat sich bis jetzt immer durch die Geschichte gezogen. Juden, Schwarze. Man hat sich jedes mal eine Minderheit ausgesucht. Ich will das verhindern. Diese Menschen sind nicht böse oder schlecht. Sie sind diejenigen die sich fürchten.“ Ethan hatte schon oft über dieses Thema nachgedacht. Es war nicht einfach. Die Menschen wussten nie wirklich, dass es Orte wie Willow Creek gab. Die beiden Seiten lebten voneinander getrennt. Eigentlich war das gut so. Doch nun gab es Patrick
Snyder, der mit seinem Tun die Dinge ändern wollte. Ein edler Gedanke, wenn man in der Lage war ihn richtig umzusetzen. Hierbei musste man behutsam vorgehen. Er konnte nicht verlangen, dass der Politiker das verstand. Er arbeitete nicht mit diesen Menschen zusammen. „Das mag sein Sir, aber es gibt nicht nur diejenigen, die unsere Hilfe brauchen. Manche von diesen Menschen haben eine Entwicklung erlebt, die es unmöglich macht, sie einem normalen Leben zuzuführen. Ich sage es ihnen einmal: Sehen sie sich vor. Sie spielen hierbei mit Kräften, von denen sie nichts wissen. Es ist wie beim Feuer. Sie
denken, sie können sie kontrollieren, aber das ist unmöglich.“ Der Arzt drückte seine Zigarette auf dem Boden aus. Snyder hatte keine Ahnung. Für ihn war das wahrscheinlich ein Spiel, an dessen Ende er davon profitieren wollte. Er sah nicht die Gefahr dahinter. Er wusste nicht, dass es auch Menschen wie Viktor Waslow, oder Albert Wilkins gab, die nicht in das normale Muster passten. Dennoch blieb der Politiker gefasst und zog an der Malboro. „Ich bin mir durchaus darüber im Klaren Mr. Rain. Wie sie wissen leite ich die U.F.P.I. Der jüngste Zwischenfall hat deutlich gemacht, dass wir es hierbei mit
Kräften zu tun haben, die wir nicht unterschätzen dürfen. Dieser Unbekannte, der ihre Mitarbeiterin und meine Männer tötete. Er ist gefährlich. Wir müssen verhindern, dass die Menschen diese Geschichte verallgemeinern. Deshalb will ich ihre Hilfe. Wir können nicht zulassen, dass die Taten einer einzelnen Person auf den Rest reflektiert werden.“ Wahre Worte. Dieser Unbekannte war ein Faktor, den er selbst nie zuvor bedacht hatte. Vielleicht war es richtig, hierbei mit Snyder zusammenzuarbeiten. Die Leute von Willow Creek würden nicht in der Lage sein, sich um diese Bedrohung zu kümmern. Dazu fehlten die
Mittel. Schon Foster hatte ihr Leben gelassen. Das sollte sich nicht wiederholen. So musterte er den Politiker vor sich und überlegte einen Augenblick. „Wie viel wissen sie wirklich über diesen Menschen Snyder? Wenn sie mit uns zusammenarbeiten wollen, dann sollten wir keine Geheimnisse voreinander haben. Miss Heidenreich wäre da sehr kritisch. Sie müssten sich an sie wenden. Es steht außer Frage, dass wir mit unseren Mitteln keine Chance haben, es alleine mit diesem Unbekannten aufzunehmen. Zusammen können wir vielleicht dafür sorgen, dass niemand mehr stirbt und die Leute, die
hier heute beerdigt werden, die Gerechtigkeit erfahren, die sie verdienen.“ Er stemmte die Hände in die Hüfte und sah seinen Gegenüber kurz an. Patrick verschwieg ihm etwas. Das war sicher. Ethan hatte lange genug mit Menschen zusammengearbeitet um das zu wissen. Der Politiker drückte seine Zigarette aus und warf einen Blick auf die Trauernden. „Ich will verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. Sie haben Recht. Niemand sollte mehr
sterben.“ - „Nichts für ungut John, aber das hier ist das heruntergekommenste Loch, dass ich jemals gesehen habe!“ Albert lehnte am Türrahmen und warf einen Blick auf das schäbige Motelzimmer, dass sich John und Tara ausgesucht hatten. Ein Doppelbett, von dem man nicht wusste wie viele Kakerlaken dort Einzug hielten, stand an der Wand. Der Fernseher in der Ecke funktionierte wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr und der Tisch bestand aus einem Brett, das man auf einen Karton
gelegt hatte. Croft lächelte matt und ließ sich neben seiner Frau auf dem Bett nieder. „Es wird für den Moment genügen Albert. Taras Sicherheit geht vor. Und die des Kindes.“ Wilkins legte seinen Mantel ab und warf ihn über den einzigen Stuhl im Raum, bevor er sich auf selbigen niederließ und die Beine übereinander schlug. Aus dem Ärmel seines schwarzen Shirts holte er eine Schachtel Zigaretten hervor und zündete sich eine davon an. „Das hier wird nicht funktionieren John. Diese Sache kannst du nicht aussitzen. Wer auch immer hinter uns her war, er gibt nicht so einfach auf. Er hat schon
Norma erwischt. Was glaubst du wie lange es dauert, bis er durch diese Tür marschiert und sich dich und deine Süße schnappt?“ Er atmete Qualm aus. „Wir hätten bei Viktor bleiben sollen.“ Waslow hätte mehr tun können. In einem schäbigen Motelzimmer abzusteigen hätte nicht auf seiner Liste gestanden. Er wüsste, was jetzt zu tun wäre. Leider verfolgte der seine eigenen Wege. In Augenblicken wie diesen wünschte sich Albert, er wäre bei dem Russen geblieben. Das war auf alle Fälle sicherer als das hier. „Viktor hätte nichts tun können. Du hast diesen Mann gesehen Albert. Er hat uns
beide überwältigt. Glaubst du wirklich Viktor hätte etwas ausrichten können?“ Drohend hob der Blonde den Zeigefinger. „Sprich nicht so. Er ist der Grund warum du und deine Frau überhaupt so lange sicher waren, und nicht in Willow Creek sitzen. Oder glaubst du Ethan und seine Clowns können uns helfen? Die haben erst Recht keine Chance gegen diesen Freak! Wir sind auf uns gestellt. Das beste ist, wenn wir uns auf den Kampf vorbereiten. Dieser Kerl wird aufhören uns zu jagen. Er hat auch Norma verfolgt und sie letztendlich gekriegt.“ Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durchs
Gesicht. „Ich werde durch irgendeine überstürzte Tat das Leben meiner Familie in Gefahr bringen. Ethan kann uns helfen. Er ist nicht so schlecht wie du denkst. Zusammen mit Hammond-“ „Wage es nicht!“, unterbrach ihn Albert. Wütend fixierte er seinen Gegenüber. Die Zigarette verqualmte unbeachtet zwischen seinen Fingern. Bedrückende Stille machte sich im Raum breit. John hatte einen wunden Punkt getroffen. „Ich werde niemals mein Leben wieder diesem Mann anvertrauen John. Du kannst das gerne tun. Ich bin dann weg.“ Der Andere stand auf und schritt mit ruhiger Miene auf ihn zu.
„Albert. Jetzt ist nicht die Zeit um über eine alte Fehde nachzudenken. Ich weiß, dass du eine Menge durchgemacht hast, aber im Moment haben wir keine Wahl. Willow Creek ist unsere einzige Hoffnung.“ „Für dich vielleicht.“ Er schnippte seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Keine zehn Pferde würden ihn in die Anstalt zurückbringen. Die Leute würden die Gelegenheit nur nutzen, um ihn wieder im D-Trakt auf Eis zu legen. Das konnten sie vergessen. Nein. Norman war keine Option. Dieser Mann hatte ihm zu viel weggenommen. Eva, seine
große Liebe. Sie war gestorben. Es war Normans Schuld. Er hatte sie nicht beschützt, so wie er es versprochen hatte. Er hatte ihn betrogen und als er für ihn untragbar geworden war, sperrte er ihn einfach in den D-Trakt. Als wäre er ein kaputtes Werkzeug das sich nicht mehr reparieren ließ. Letztendlich fuhr John fort. „Wir warten erst einmal ab. Ich gehe nur in die Anstalt, um mit Ethan zu sprechen. Das ist alles. Bitte. Bleib du solange bei Tara. Wenn ich wieder da bin, kannst du gehen wohin du willst.“ Wilkins nickte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Wie auch immer. Ich besorge uns
erstmal was zu essen. Bleibt bis dahin hier.“ Er stand auf und begann die Rollladen des Zimmers herunterzuziehen. Besser, sie erregten keine Aufmerksamkeit. Hier konnte man nie wissen, wer einen gerade beobachtete. Entweder waren es die Kerle von der U.F.P.I die herumschnüffelten, oder der Unbekannte, der nach ihnen suchte. Letzteres war nicht in seinem Interesse. So blickte er zu Tara und John. „Kein Fernsehn. Und versucht nicht zu viel Lärm zu machen. Die Wände haben Ohren. Ich bin in einer viertel Stunde wieder
zurück.“ Murrend schritt Albert etwas später den Bürgersteig entlang. Die einzigen Läden, die er bis jetzt gefunden hatte, sorgten schon beim bloßen Hinsehen für Magenschmerzen. Es gab eine Menge Chinesischer Schnellrestaurants, doch ließ er davon lieber die Finger. Die Köche sahen oft so aus, als hätten sie sich den halben Tag im Dreck gewälzt. Hier würde er nicht fündig werden. An einer Straßenecke machte Wilkins halt und zog an einer Zigarette. Wenn er nichts vernünftiges fand, musste er sich wohl mit dem Billigfraß zufrieden geben. Weiter Weg von dem Motelzimmer
wollte er nicht gehen. Es war sicherer, im direkten Umkreis zu bleiben. Johns Idee nach Willow Creek zu gehen, war hirnrissig. Was erhoffte er sich davon? Seitdem Hammond den Laden nicht mehr leitete, war vieles anders. Was er bis jetzt von der neuen Führung mitbekommen hatte, war eigentlich nur, dass die entflohenen Häftlinge wie Tiere gejagt wurden. Deshalb waren Ethan und diese Foster wohl überhaupt in Monroe aufgetaucht. Tja. Hätten sie sich mal besser vorbereitet. Dann wäre die Alte jetzt nicht tot. Ein gutes gab es daran: Eine weniger die ihn jagen konnte. Dennoch bereitete ihm der Gedanke Unbehagen, dass da draußen
jemand umherwanderte, dem er unterlegen war. Wer auch immer dieser Fremde war – er war seit Viktor und Katherinas der stärkste, der ihm begegnet war. Allein der Gedanke an diesen Mann, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Durch seine Kraft besaß er wahrscheinlich eine Menge anderer Fähigkeiten, auf die er im Kampf zurückgreifen konnte. Ein solcher Jemand war unberechenbar, und das hasste Wilkins. Er selber war gerne so. Man konnte zuschlagen wann man wollte, und überraschte so eine gegnerische Fraktion. War man allerdings selbst diese Fraktion, stellte
sich die Angelegenheit nicht mehr als so praktisch heraus. Wilkins seufzte und warf einen Blick über die Straße. Die Gesamtsituation war zum kotzen. Seit dem Kampf mit Naiomi Winchester war er angeschlagen. Zwar hatte er Zeit um sich auszuruhen, aber die Verletzung hatte tiefe Narben hinterlassen. Schmerzen, die ihn immer mal wieder überkamen. Er konnte nicht mehr so wie früher, alles geben, wenn es zu einer Konfrontation kam. Deshalb war es besser sich bedeckt zu halten so gut es ging. John musste das auch verstehen. Seine Eskapaden als Superheld mussten ein Ende finden. Zu ihrer aller Wohl. Ihn davon zu überzeugen war nicht leicht.
Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, wenn er mit Ethan sprach. Der konnte ihm die Flausen vielleicht austreiben. So drückte der Blonde seine Zigarette auf dem Boden aus und ging weiter. Langsam und bedächtig. Er kam an einer kleinen Marktstraße vorbei, an dem die Leute ihren Ramsch verkauften. Einer verkaufte Halsketten, der andere Pflanzen und ein nächster Spiegel. Am letzten Stand hielt er einen Augenblick inne und warf einen Blick in den Spiegel. Seine Theorie bestätigte sich. Seit ein paar Minuten war ihm jemand gefolgt. Jemand in langem Mantel. Ein Tuch und eine Mütze verbargen das
Gesicht. Der Unbekannte? Nein. Diese Person hielt sich auf Distanz, beobachtete nur. Es konnte ein einfacher Taschendieb sein. Besser, er ging kein Risiko ein. Wilkins schritt langsam die Straße entlang. Weiter weg vom Motel, in dem sich Tara und John befanden. Einige Minuten später erreichte Albert eines von vielen verlassenen Häusern in Detroit. Heruntergekommen. Es sah aus, als würde es bald zusammenbrechen. Hier gab es kaum Leute. Keine Zeugen waren gute Zeugen. Er konnte in Ruhe den Fremden stellen und herausfinden, was dieser im Schilde führte. Langsam
betrat der Blonde den Eingangsbereich der Behausung und sah sich um. Der Boden knarrte bei jedem seiner Schritte. An manchen Stellen war das Holz so morsch, dass er dachte, er würde hindurch stürzen. Nicht gerade der sicherste Platz, aber hier konnte er seinen Verfolger problemlos festsetzen. Albert betrat den zweiten Stock des Gebäudes. Es war lange her, dass jemand hier gelebt hatte. Wahrscheinlich mieden auch die Obdachlosen diesen Platz aus Angst, sie könnten bei einem Einsturz sterben. Forschend sah der Blonde aus dem Fenster und blickte hinaus auf die Straße. Von seinem neuen Freund war
nichts zu sehen. Er hielt inne und schloss die Augen. Von unten hörte er Schritte. Der Typ hatte den Köder geschluckt. Gut so. Blieb nur noch abzuwarten. In einem Wandschrank ging er in Deckung und schloss die Tür soweit, dass er einen Spalt breit nach draußen in das blicken konnte, was wohl einmal ein Schlafzimmer war. Der Fremde kam die Treppe herauf. Das Holz gab unter jedem seiner Schritte nach und knarrte. Albert atmete flach. Sein Herz schlug ruhig. Er hatte nichts zu befürchten. Dieser hier war nicht der Mann, der sie in der Kirche angegriffen war. Es war eine kleinere Gestalt. Schmächtiger als der Hüne, der diese
FBI-Tusse und die Männer auf dem Gewissen hatte. Er kam ins Schlafzimmer. Am Fenster machte er halt und blickte nach draußen. Das war die Gelegenheit. Wilkins streckte die rechte Hand aus und begann sich zu konzentrieren. Kleine Funken sprangen zwischen den Fingerspitzen hin und her, ehe er die Tür auftrat und dem Vermummten eine Salve Blitze entgegenschickte. Sein Verfolger wich mit einer Seitwärtsrolle aus. Albert schoss aus dem Kleiderschrank hervor und setzte zu einem neuen Angriff an. Wieder wich der Fremde aus und rannte los – die Wand entlang, bevor er Wilkins mit einem heftigen Tritt durch die hinter
ihm liegende Verkleidung beförderte. Er rollte über den Boden und kam im nächsten Raum zum Stillstand. Ächzend kam er wieder auf die Beine und lud seine Hände für einen weiteren Angriff auf. Sein Angreifer brach mit einem Sprung durch das Loch in der Mauer und ergriff seine Hände, bevor er über ihn hinweg sprang. Weiterhin seine Handgelenke umfassend. Wilkins ging in die Knie und seufzte vor Schmerz auf. Er jagte die Elektrizität nun durch den eigenen Körper. Brachte den Anderen auf Distanz, was in dem engen Badezimmer, in dem sie sich nun befanden, nicht ganz einfach war. Der Fremde spurtete wieder auf ihn zu und
packte ihn an der Kehle. Der Schein trügte hierbei. Trotz seiner zierlichen Erscheinung besaß dieser Typ eine ungeheure Kraft. Eine Fähigkeit vielleicht? Albert hatte keine Zeit darüber nachzudenken, da der Aggressor ihn durch zwei weitere Zimmerwände wuchtete. Am Geländer der Treppe kam Wilkins auf dem Boden auf. Die nächsten Blitze zuckten aus seinen Fingern hervor und trafen den Fremden, der langsam auf den Blonden zu kam. Es war, als würden sie keinerlei Schaden anrichten. Perplex musterte er seinen Gegenüber. „Was bist du für ein Freak?“ Die Antwort war ein Faustschlag. Er
brach durch das Geländer und stürzte nach hinten. Durch den Aufprall gab auch die Treppe nach, so dass er im Keller des Hauses landete. Es war stockfinster. Nur der Schein durch das Loch durch das er gefallen war, spendete ihm Licht. Wilkins lag auf dem Rücken. Alles tat ihm weh. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Wer auch immer dieser Kerl war. Er hatte offensichtlich auf einen solchen Moment gewartet. Aber warum ihn angreifen? Ihm schwante dabei nichts gutes. Der 34-Jährige rappelte sich mit letzter Kraft auf. Die Tür zum Keller öffnete sich langsam. Sein Gegner kam ruhig die Treppe hinunter. Die braunen Augen
auf ihn fixiert. Wilkins grinste und sah sich um. Der Raum war voller alter Rohre, die zu einem alten Gastank führten. Er grinste. „Warte nur ab, du selbstgefälliger Wixxer.“ Wieder lud er sich auf. Wenn er hierbei schon den kürzeren zog, dann würde er den Kerl mitnehmen. Ganz einfach. Es gab keine andere Lösung. Besser so, als wenn er irgendwo in seinem eigenen Blut liegend verreckte. Ehe er jedoch reagieren konnte, war der Andere wieder nach vorne gestürzt und hatte seine Faust in Wilkins Magengrube versenkt. Er japste auf. Alles drehte sich. In diesem Augenblick umfasste er
den Fremden und schickte alles, was er hatte durch seinen Körper. Zuerst sank der Fremde zu Boden. Süffisant lächelnd musterte Albert ihn.
„Damit hast du wohl nicht gerechnet.“
Er griff in seine Tasche und steckte sich eine Zigarette in den Mund. Bevor er sie allerdings anzünden konnte, spürte er, wie ihn die Bewusstlosigkeit überkam. Albert ging in die Knie und sackte zur Seite weg. Dunkelheit umfing ihn.
Der Geruch von Rauch drang ihm in die Nase, als er das Bewusstsein wiedererlangte. Verschwommen tänzelten die einzelnen Lichtquellen vor seinen Augen umher. Das nächste das er spürte, war die Hitze. Sie nagte an ihm, wie ein Ungeheuer, dessen Appetit unstillbar war. Albert kam in den Stand und hielt sich die Hand vor das Gesicht. Er hustete. Im ersten Moment war er überhaupt nicht in der Lage, etwas zu sehen. Das knisternde Geräusch von Feuer drang an sein Ohr. Der Keller brannte. Er versuchte klar zu werden. Der Kopf dröhnte und sein ganzer Körper
schmerzte vom Kampf gegen den Fremden, der ihn offensichtlich zum Sterben hier zurückgelassen hatte. Der Rauch wurde immer dichter und er konnte nicht sagen, in welcher Richtung der Ausgang lag. Vom Fremden war in dem Chaos nichts zu sehen. Der war schon über alle Berge. Albert sah sich um. Die Flammen hatten den Gastank umzingelt. Nicht mehr lange und das Haus würde ihm um die Ohren fliegen. Keine Zeit großartig nachzudenken. Er fand die Treppe. Die Flammen hatten sich bereits durch die Stufen gefressen und versperrten ihm den Weg. Er saß in der Falle. Der Fremde hatte ihn übertrumpft. Albert
musste sich etwas einfallen lassen. Er legte die Hand vor den Mund, um nicht noch mehr Qualm einzuatmen. Es war kaum möglich sich zu konzentrieren. Die Hitze und der dichte Rauch trübten seine Sinne. Dennoch hatte er nicht vor hier zu sterben. So steuerte der D-Patient wieder die Treppe an und warf seinen Mantel über den Kopf. Dies war der einzige Ausweg. Entweder das oder hier qualvoll verbrennen. Langsam stieg er die Stufen hinauf. Bereits auf der zweiten gab das Holz nach und er brach durch die Stufe. Er fiel und landete hart auf dem Rücken. Eine Etage tiefer. Doch wo? Es war dunkel. Nur das Feuer spendete ein wenig Licht.
Langsam erhob sich Albert und tastete mit den Händen umher. Er befand sich in einem schmalen Gang unterhalb des Hauses. Offensichtlich ein Überbleibsel aus früheren Zeiten. Auch egal. Hauptsache er bekam eine Chance. Er hob die Hand und ließ kleine Funken zwischen seinen Fingern umher tänzeln. Der Tunnel war lang und führte weg vom Keller und vom Rest des Hauses. Hier war lange keiner durchgekommen. Ansonsten wäre dieser Gang schon lange vorher versiegelt worden. Gut für ihn. So vermochte er einen Ausweg aus dieser Todesfalle zu finden. Zehn Minuten später erblickte er das
Tageslicht. Eine Luke führte ihn auf eine offene Wiese. Trümmer lagen überall herum. Auch hier hatte mal ein Gebäude gestanden. Wahrscheinlich noch aus alter Revolutionszeit, in der es üblich war sich durch Tunnel unter dem Feind zu bewegen. Etwas entfernt stiegen die Rauchsäulen über dem Haus empor, aus dem er entkommen war. Kurz darauf explodierte es. Wilkins schützte das Gesicht. Der Druck der Wärme war deutlich zu spüren, auch wenn er ein paar Straßen entfernt war. Leute schrien panisch durcheinander. Er setzte sich ins Gras und seufzte. Das erste was er tat, war sich eine Zigarette anzuzünden. Scheiß
rann ihm nur so über den Körper. Hände und Gesicht waren vom Ruß des Brandes verkrustet. Der Schmerz kehrte wieder zurück. Diese Person hatte ihn dastehen lassen, wie einen blutigen Anfänger. Neue Fragen stellten sich jetzt: Was hatte dieser Typ hier zu suchen? Es war nicht der Unbekannte. Dennoch besaß auch dieser Aggressor eine Fähigkeit. Diese akrobatischen Einlagen und die übermenschliche Stärke. So etwas war ihm zuvor noch nie untergekommen. Nichts von Alberts Angriffen hatte etwas gegen ihn ausgerichtet. Er war sogar noch in der Lage das Haus anzuzünden und sich in Sicherheit zu bringen. Doch was steckte
dahinter? Wollte dieser Mann einfach nur ein Hindernis aus dem Weg räumen, um dann ungestört nach John und Tara zu suchen? Aber was war an den Beiden so besonders? Crofts Fähigkeit war im Gegensatz zu seiner, viel schwächer. Da wäre doch er mit seiner Elektro-Manipulation ein lukrativeres Ziel. Seltsam. Schon beim Angriff des Unbekannten in der Kirche schien es so, als wäre der Unbekannte nicht an ihm, sondern nur an den Beiden interessiert gewesen. Es gab etwas, das er nicht sah. Für den Augenblick war es wohl das beste, ins Motel zurückzukehren. Wer wusste schon, ob man nicht inzwischen John und Tara dort
ausgemacht hatte? Seit seinem Aufbruch war Zeit verstrichen. Dazu kam die Bewusstlosigkeit. Inzwischen nahte der späte Nachmittag. Er zog an seiner Zigarette. Jeder Zug schmerzte. Ein Arztbesuch stand in nächster Zeit jedoch nicht auf der Liste. Wichtiger war es, die beiden anderen zu warnen. Vielleicht war es gar nicht so verkehrt, wenn John für den Moment nach Willow Creek ging. Dort konnte ihn niemand erreichen. Egal wer es auf ihn abgesehen hatte. - „Und was genau ist
das?“ Misstrauisch betrachtete Naiomi ihren Löffel, auf der die kleinen orangenen Kügelchen vor sich hin wabbelten. Sie saß mit Leland am Tisch und nahm sich Zeit für einen Snack. Allerdings war dieses Zeug, das die Reichen aßen ihr ziemlich suspekt. „Das ist Kaviar. Schmeckt gut. Klar, man muss sich dran gewöhnen, aber wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist, dann will man nichts anderes.“ Akerman schob sich einen Löffel in den Mund und kaute bedächtig. Neben dem Teller stand eine Flasche Wein, aus der er sich bereits großzügig bedient hatte.
Das Mädchen verzichtete auf Alkohol. Davon hatte sie erst einmal genug. Ihr dröhnte noch vom letzten Mal der Schädel. Außerdem musste sie fit sein, wenn Snyder endlich die Prothesen brachte. Bisher hatte sie gewartet. In der Zeit hatte sie gebadet, sich hübsch gemacht, so gut es allein ging, und sich von Akerman dazu breitschlagen lassen, mit ihm zu Abend zu essen. Patrick war noch nicht von der Beerdigung zurückgekehrt. Auch Maria war nirgends zu sehen. Die beiden hatten wirklich eine Menge zu tun. Ein wenig erinnerte sie das an ihre Eltern. Die waren auch meistens unterwegs. „Ich hab ja schon so manches gegessen,
aber Das? Ich mein, dass sind Fischeier! Wenn du eins legst, dann wirst du das wohl kaum eindosen und teuer irgendwo verkaufen, damit reiche Leute es auf Festen verputzen.“ Angewidert verzog Leland das Gesicht und legte den Löffel zur Seite. Dieses Mädchen hatte wirklich einen seltsamen Humor. Sie schob ihren Teller Beiseite und trank einen Schluck aus ihrem Wasserglas. Sie trug ein schwarzes Kleid. Snyder hatte es extra für sie liefern lassen. Eigentlich war es für den Auftritt in seiner Sendung gedacht, doch sie wollte nicht mehr warten. Außerdem sah sie unglaublich gut darin aus. Sie bemerkte seine Blicke.
„Sie sind schon n bisschen pervers oder? Ich versteh schon, dass meine Titten angenehmer sind als dieses Kaviarzeug, aber - igitt...“ Er lächelte unschuldig und fuhr mit dem Finger über den Rand seines Weinglases. „Naja. Ich erkenne eben hübsche Frauen, wenn ich eine sehe.“ Naiomi sah ihn perplex an und schüttelte den Kopf. Trotz des Rollstuhls hatte sie einen gewissen Charme. Er war ja selbst auf ein Hilfsmittel angewiesen, also störte ihn das nicht im geringsten. Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und pustete sich eine
Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und ich perverse alte Greise, die mich mit ihren Augen ausziehen. Wer weiß schon, was du dir da in deinem Köpfchen über mich zusammenträumst. Obwohl – ich wills lieber gar nicht wissen.“ Selbst wenn er etwas jünger gewesen wäre, war er überhaupt nicht ihr Typ. Er wirkte zu alt. Außerdem war er fett und stank meistens wie eine Kneipe. Ne. Da war ein Mann wie Ethan weitaus charmanter, auch wenn beide ihre Väter sein könnten. Sie verwarf den Gedanken stirnrunzelnd und gähnte herzhaft. Sie wusste immer noch nicht, wo sie Leland hinstecken sollte. Es gab eine Menge,
was sie dazu veranlasste, ihn nicht zu mögen. Er lehnte sich nach vorne und stützte das Kinn auf der Faust ab. „Wir haben alle unsere Laster meine Liebe. Der eine trinkt, der andere raucht und der Rest vögelt sich fröhlich durch die Gegend. Die einen mehr, die anderen weniger. Ohne wär's langweilig. Wir können ja nicht alle brave Bürger sein.“ Die junge Frau stocherte mit der Gabel in ihrem Essen herum und zuckte mit den Schultern. Was sie darauf sagen sollte, wusste sie nicht. Es gab eine Menge, dass sie bezüglich Leland nicht verstand. Manchmal war er ihr sogar ein wenig unheimlich, auf seine verdrehte Art und Weise. Mal dieser nachdenkliche
Kauz und dann wieder vollkommen ungehemmt und frivol. Da konnte keiner genau sagen, was er als nächstes vorhatte. „Manchmal redest du echt Käse. Aber sag mal. Warum bist Du eigentlich hier? Ich meine, Patrick hilft mir, und ich glaube an das wofür er steht. Ich möchte, dass Leute wie wir eine Chance auf ein normales Leben haben. Aber du? Ich mein...klar du bist auch auf deine Art verquer und komisch. Du hattest nie sonderlich Probleme damit, anders zu sein. Du hast deine Fähigkeit für die Arbeit genutzt.“ Er schluckte einen Bissen Kaviar
hinunter. „Das mag sein, aber die Dinge haben sich geändert Kleines. Ich habe jetzt keine Fähigkeiten mehr. Ich bin wie jeder andere auch. Allerdings hab ich mich nie besonders gefühlt, falls du darauf hinaus willst. Du bist noch jung. Es gibt noch eine Menge was auf dich wartet. Die erste große Liebe und der ganze dazugehörige Scheiß. Du hast noch viel zu lernen. Wenn du älter wirst, dann lernst du die Sachen aus einem anderen Blickwinkel kennen. Die Menschen sind nicht so sozial, oder edel, wie sie sich gerne geben. In Wahrheit schauen sie alle nur auf sich selbst. Ich versuche auch nur, über die
Runden zu kommen. Irgendwann wirst du ebenfalls lernen, dieses Spiel zu spielen.“ Leland stoppte und goss sich einen Schluck Wein ein. Im Raum war es ansonsten still. Nur das Knistern des Kamins und die Geräusche des abendlichen Detroits waren zu hören. Für das Mädchen mochte diese Ansicht vielleicht etwas erschreckend sein, aber so war es nun mal. Snyder hatte ihm einen profitableren Weg geboten. Warum diesen nicht annehmen? Naiomi musterte ihn. Man sah ihr an, dass die Antwort nicht die war, die sie hören wollte. Leicht aus der Fassung, schüttelte sie den Kopf.
„Es ist nicht schwer n Arschloch zu sein. Das ist mir klar Leland. Du hast ja auch keine großen Probleme damit. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich überhaupt mit dir gekommen bin. Wäre Maria nicht dabei gewesen, dann hättest du dich getrost verpissen können. Du bist aus dem Schneider, seit dieser Kerl dich kastriert hat. Deine Fähigkeiten sind weg. Warum sich also darum scheren, was mit anderen passiert? Ist schon klar. War dir ja auch egal, als du Katherina getötet hast. Hauptsache, für dich läuft alles gut.“ Das erste, was sie spürte, war ein
leichter Schmerz ehe sie sich die Wange hielt. Verwirrt sah sie Akerman an. Zorn leuchtete in seinen Augen und er wirkte beinahe so, als würde er ihr jeden Moment ins Gesicht spucken wollen. Sie war davon so überrascht, dass sie einfach nur schwieg. Eine Ohrfeige war das letzte, was sie von diesem Mann erwartet hätte. „Katherina hat einen Weg gewählt, von dem es kein zurück mehr gab. Diese Welt, die Menschen in ihr – All das war im Begriff zu verschwinden. Du warst nicht dort. Du hast es nicht gesehen. Ich hatte nur eine Wahl: Das Leben eines Mädchens gegen das von
Millionen.“ Mit seltsamer Ruhe griff er nach seinem Glas und leerte dies in einem schnellen Zug. Sein Zorn schien verraucht. Er suchte ihren Blick und sah sie eindringlich an. „Du bist jung. Mit deinem jugendlichen Verstand kannst du solche Dinge nicht abwägen. Sie mag eine Patientin von Willow Creek gewesen sein. Für viele eine gute Freundin und manche sogar so etwas, wie Familie. Stell es dir mal so vor: Unter anderen Umständen hättet ihr beide gute Freundinnen sein können.“ Er legte das gesunde Bein über sein anderes und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Dieser Mensch ist bereit alles und jeden den du kennst, zu vernichten. Deine Schulfreunde. Deinen Onkel. Ethan. Alle würden sterben. Also frage ich dich: Wie würdest du dich entscheiden? Ein Leben, oder das von Millionen Menschen?“ Noch immer hielt sich Naiomi die Wange und musterte Leland. Seine Worte hatten einen riesigen Klos in ihrem Hals entstehen lassen. Auf seine Worte wusste sie keine Antwort. Wie entschied man so etwas? In diesem Augenblick wurde es ihr erst richtig bewusst: Ethan hätte das Mädchen niemals getötet. Er hätte diese Dinge einfach geschehen
lassen. Ebenso wie Dwight oder die Anderen. Sie alle kannten Katherina gut. Sie war ein Teil ihres Lebens gewesen. Leland aber, konnte diese Bürde tragen. Sie hatte keine Ahnung wie, oder warum, aber er tat es. Er lud sich diese Last auf und lebte damit. Bedrückt sah Naiomi auf den Tisch. „Entschuldige. So hab ich das gar nicht gesehen. Ich wüsste auch nicht, was ich gemacht hätte. Es tut mir leid. Dich so zu kritisieren stand mir nicht zu.“ Der Anflug eines Lächelns wanderte auf seine Lippen. „Ich bins gewohnt. Mach dir keinen Kopf. Mir hat es sowieso nie gefallen, den strahlenden Helden zu spielen. Es ist
langweilig, wenn dich jeder mag und alle das gutheißen was du tust. Mit Hindernissen lebt es sich viel interessanter. Das kannst du dir für die Zukunft merken. Außerdem gehört mehr dazu, als die Worte eines pubertären Rollmopses, um mich zu beleidigen.“ „Ach, leck mich Leland!“ - Erneut zuckte er zusammen, als Tara mit dem Lappen über die blauen Stellen auf seinem Oberkörper fuhr. In diesem Moment zog er es doch vor, von dieser Fremden Person verprügelt zu werden. Johns Frau mochte nur gutes im Sinn
haben, aber ihr fehlte bei weitem das nötige Feingefühl. Seine Rippen taten am meisten weh. Sicher waren eine oder sogar mehrere von ihnen gebrochen. Das Krankenhaus kam jedoch nicht in Frage. Dort würde man nur Fragen stellen und dafür hatte er keine Zeit. Die Situation war ernst. Sein Blick suchte John, der an der Wand neben dem Bett stand und ihn beobachtete. „Und du bist dir sicher, dass es nicht der Unbekannte war, der dich angegriffen hat?“ Albert nickte und legte eine Hand in den Schoß. Mit der Anderen wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn,
während Tara in den Verbandskasten griff, der neben ihm lag, aus welchem sie Verband holte. „Wer auch immer das war, er hatte kein Interesse daran, mir die Fähigkeiten zu stehlen. Der Typ war nur daran interessiert, mich aus dem Weg zu räumen. Ich habe den Unbekannten schon gesehen: Der war ein richtiger Hüne, aber dieser Bursche hier? Klein und flink, aber stark wie ein Bär. Sowas hast du noch nicht gesehen- Pass doch auf!“ Wütend fauchte er Tara an und rutschte etwas von ihr zurück. Sie sah ihn nur kopfschüttelnd an. „Stell dich nicht so an! Ich versuch nur
dir zu helfen!“ Albert presste die Lippen aneinander. Er wusste nicht, was ihn mehr störte: Die Art und Weise der häuslichen Pflege Taras, oder die Tatsache, dass er gegen diesen Angreifer keine Chance hatte. Wieder jemand, mit dem er es nicht aufnehmen konnte. Was das anbelangte, musste er wohl noch eine Menge lernen. Dabei dachte er immer, Er, Katherina und Viktor wären die Stärksten. Da konnte sich zeigen, wie schnell man sich irrte. Bei diesem Gedanken lächelte er in sich hinein, während John fortfuhr. „Die Hauptsache ist, dass du noch lebst. Trotzdem sind das keine guten
Neuigkeiten. Langsam bin ich mir nicht einmal mehr sicher, wem wir noch trauen können. Dieser Fremde hat gewusst, wo er zuschlagen muss. Hier sind wir nicht mehr lange sicher. Das wichtigste ist für mich, dass Tara wohlauf ist. Ich werde mit Ethan sprechen. Auch wenn es dir vielleicht nicht gefällt, glaube ich dass wir im Augenblick in Willow Creek am sichersten sind. Wer auch immer diese Leute sind: Sie werden es nicht wagen, diesen Ort anzugreifen.“ Wilkins verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schnaubte verächtlich. „Bist du wirklich so naiv John? Bisher konnte nichts diesen Unbekannten
aufhalten und unser neuer Freund wird sicher nicht vor ein paar Ärzten und Wachmännern zurückschrecken. Dieser Laden ist nicht so sicher wie du denkst. Immerhin konnten wir beide von dort entkommen. Das zeugt nicht gerade von Sicherheit. Was kann Rain schon ausrichten? Er ist ein Nichts. Nur ein Mensch. Ein Fingerschnippen von diesen Leuten und er ist Toast. Außerdem gefällt mir der Gedanke nicht, mich einfach nur zu verstecken.“ Das war nicht seine Art. Früher waren die Dinge einfacher gewesen. Damals, als er noch die Oberhand hatte, und seine Feinde aus der Reserve locken konnte. Die schnelle Wende des ganzen
war sicher keine willkommene Abwechslung. In der Ecke kauern wie Vieh. Einfach widerlich. John schüttelte den Kopf und fuhr sich durch das schwarze Haar. Hilfesuchend musterte er Tara, die gerade damit fertig wurde, den Verband anzubringen. Albert streckte sich und stand vom Bett auf, bevor er sich eine Zigarette anzündete. „Wir können aber nichts anderes tun Albert. Wir brauchen Hilfe. Warum siehst du das nicht? Es sind schon genug Menschen gestorben. Ich werde nicht hierbleiben und warten, bis dieser Unbekannte auftaucht und uns alle tötet. Manchmal muss man Entscheidungen treffen, die einem nicht gefallen. Das ist
so in einer Gemeinschaft. Du kannst nicht immer deinen Willen durchsetzen. Du musst mir und Tara nichts beweisen. Du hast schon viel für uns getan. Jetzt sind wir an der Reihe. Nimm dich zurück. Mit deiner Verletzung solltest du sowieso aufpassen.“ Der Blonde schnaubte verächtlich und zog an seiner Zigarette. Nun stand er am Fenster und starrte hinaus auf die Straße. „Behandle mich nicht wie einen kaputten Gegenstand John. Ich kenne meine Grenzen sehr gut. Diese kleine Prügelei war überhaupt nichts. Jeder kriegt irgendwann mal blaue Flecken. Nur Schwächlinge lassen sich von so etwas
den Wind aus den Segeln nehmen!“ „Ach? Und deine anderen Verletzungen? Was ist mit der Wunde, die Naiomi dir zugefügt hat?“ Albert fuhr mit seinen Fingern über nie teilweise verheilte Stelle. Seit dem Kampf gegen das Mädchen war er nicht mehr so vital wie früher. Diese Wunde hatte ihm sehr zugesetzt. Die Narbe würde er bis zum Ende seines Lebens tragen. Das war sicher. Es gefiel ihm auch nicht, dass John so einfach darüber sprach. Es stand ihm nicht zu. Er hatte sich in den letzten Monaten nur versteckt und sein ach so frommes Leben gelebt. Er hatte keine Ahnung davon, wie die Welt da draußen wirklich
war. „Wie auch immer. Mach was du willst John. Ich habe es satt, mir immer vorwerfen zu lassen, was ich nicht kann. Ohne mich wärst du niemals so weit gekommen. Ich hätte dich auch einfach sterben lassen können. Halt dir das im Hinterkopf!“ Nun hatte er sich dem anderen zugewandt. Der Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die Zigarette zitterte zwischen seinen Fingern. John kam langsam auf ihn zu und legte dem Hünen eine Hand auf die Schulter. Ein sanftes Lächeln zierte seine Lippen. „Ich weiß Albert. Aber es gibt da noch
mehr, als du vielleicht siehst: Du bist mein Freund und ich sorge mich um dein Wohl. Das ist alles. Tara und ich wissen es zu schätzen, was du bereits alles für uns getan hast. Es tut mir leid, wenn du dich nicht entsprechend gewertet fühlst. Wichtig ist jetzt, dass wir zusammenhalten und gemeinsam eine Lösung finden.“ Er sah Wilkins eindringlich an. „Ich schaffe das nicht ohne dich. Wir schaffen das nicht.“ Nun war auch Tara aufgestanden und schritt auf die beiden Männer zu, wobei sie John sanft umarmte und sich an ihn schmiegte. Ihre Augen suchten Wilkins. „John hat Recht. Ich weiß, dass es im
Moment nicht leicht für uns ist, aber wir haben nichts davon, wenn wir uns gegenseitig behaken. Ich halte es für eine gute Idee, dass wir zu Ethan gehen, und mit ihm über die Situation sprechen. Was haben wir sonst für eine Wahl? Wir sind nur zu dritt und ich habe nicht die Kraft, die ihr beide besitzt. Es ist auch nicht für immer. Im Augenblick haben sich Dinge nun mal so entwickelt. Wir müssen damit zurechtkommen und das können wir am besten, wenn wir zusammenhalten. Wenn ihr zusammenhaltet. Ihr seid Freunde. Das ist wichtig. Daran müsst ihr festhalten.“ Albert sah wieder zum Fenster und zog an seiner Zigarette. Es war eigentlich
eine einfache Entscheidung. Was im Weg stand, war der eigene Stolz. Wieso sollte er Hilfe bei Ethan Rain suchen? Konnte dieser Mann für ihre Sicherheit garantieren? Er seufzte. Was hätte Viktor in dieser Situation getan? Sicher nicht so lange hin und her überlegt, wie er es tat. Er war immer derjenige, der die Entscheidungen traf. Ein richtiger Anführer. Er hätte sich wahrscheinlich auch nicht so einfach von diesem fremden Angreifer vorführen lassen. Wilkins ballte die Hand zur Faust und nickte schließlich in die Stille hinein. „Gut. Aber darum kümmern wir uns morgen. Für den Augenblick sollten wir alle ein wenig schlafen. Ich werde eine
Weile draußen nach dem Rechten sehen. Wer weiß schon, ob dieser Typ uns nicht doch gefolgt ist? Ich gehe da lieber auf Nummer sicher.“ John schüttelte den Kopf. „Nein. Du ruhst dich aus. Für heute hast du genügend geleistet. Ich werde Wache halten und morgen gehen wir gemeinsam zu Ethan. Wenn wir ihm die Situation darlegen, dann wird er sicher eine Lösung finden.“ Albert grinste matt. „Ich wünschte, ich hätte deine Zuversichtlichkeit
John.“ - „Nein. Ich halte das für keine gute Idee Rain.“ Am nächsten Morgen war Ethan direkt ins Büro der Chefin gegangen, um mit ihr über Snyders Angebot zu sprechen. Heidenreich stand hinter ihrem Schreibtisch und hatte die Hände auf das Holz gestemmt. Außer dem Arzt war nur noch Peterson mit im Büro. Der klägliche Rest des Teams, wenn man so wollte. Dirk wirkte sehr angeschlagen. Dicke Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. Fosters Tod hatte ihn
mitgenommen. Immerhin waren die beiden enge Freunde gewesen. Ethan kannte dieses Gefühl nur zu gut. Er hatte in seinem Leben genügend wichtige Menschen verloren. Was Snyder gesagt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Der Politiker war vielleicht genau der Richtige, um die Situation zu kippen. Wenn Die Leute von Willow Creek und der U.F.P.I zusammenarbeiteten, konnte man das Blatt in dieser Geschichte vielleicht wenden. Das Problem hierbei war nur Heidenreichs Engstirnigkeit. „Wieso nicht? Zusammen mit der U.F.P.I könnten wir für mehr Sicherheit sorgen. Dieser Unbekannte ist da draußen und
wartet nur auf den richtigen Augenblick. Nun hat er auch Foster auf dem Gewissen und sie wollen nichts dagegen tun?“ Er sah sie fassungslos an. Auch Peterson schüttelte den Kopf. „Ich stimme ihm zu. Eileen war auch ihre Freundin, auch wenn sie sie nur als Angestellte gesehen haben. Sie hat immer alles getan, um sie zufrieden zu stellen. Ich kann nicht glauben, dass das für sie gar nichts bedeutet.“ Seine Stimme klang brüchig. Er zwang sich zur Gelassenheit, aber Rain konnte ihm ansehen, dass er innerlich brodelte. Dass ihre Chefin lieber die Hände in den Schoß legte war für beide Männer ein
Schock. Niemand hätte erwartet, dass Robert wirklich so kalt sein konnte. Sie zeigte sich obgleich seiner Worte unberührt. „Ich weiß ihre Anteilnahme zu schätzen Peterson, aber wir müssen objektiv bleiben. Patrick Snyder ist nicht an den Menschen dieser Anstalt interessiert, sondern nur daran, welchen Profit er aus ihnen schlagen kann. Ich werde nicht zulassen, dass er uns dafür benutzt, um seine seltsame Kampagne voranzutreiben. Außerdem sind wir im Augenblick mit genügend anderen Dingen beschäftigt. Akerman meldet sich kaum noch zur Arbeit und dieser Unbekannte treibt da draußen sein
Unwesen. Ich kann nicht auch noch die U.F.P.I gebrauchen, der ich auf die Finger schauen muss. Ich habe diese Anstalt zu führen und werde mich nicht von ihrer Befangenheit aus dem Konzept bringen lassen.“ Ethan stand auf. „Das hat damit doch überhaupt nichts zu tun! Sie haben diesen Mann nicht in Aktion gesehen! Denken sie wirklich, dass ein Zaun und ein paar Wachleute ihn aufhalten, sollte er sich dazu entscheiden, hier einzufallen? Er wird jeden einzelnen der sich ihm in den Weg stellt töten. Eileen ist gestorben, weil sie an unsere Sache glaubte. Ist ihnen das wirklich so egal? Sind sie so kalt
Roberta?“ „Achten sie auf ihren Ton Rain! Ich bin immer noch ihre Vorgesetzte!“ Er schüttelte den Kopf und seufzte. Es hatte keinen Sinn mehr mit ihr zu sprechen. Hatte sie sich einmal etwas vorgenommen, konnte niemand sie von ihrer Einstellung abbringen. In solchen Momenten vermisste Er Hammond. Mit dem Mann konnte man immer über solche Dinge sprechen, ohne dass man befürchten musste, sich gleich eine Abfuhr einzufangen. Norman hätte sicher gewusst, wie in dieser Angelegenheit zu verfahren war. Der hätte sich nicht hinter irgendwelchen Ausflüchten versteckt, so wie es
Heidenreich im Augenblick tat. „Gut. Wie sie meinen, aber verlangen sie nicht mehr von mir, meine Freunde einfach sterben zu lassen, wenn es hart auf hart kommt. Davon habe ich mittlerweile genug. Glauben sie nicht, dass Foster die letzte war. Tun sie was sie wollen, aber wenn das alles hier vorbei ist, und wir diese Geschichte irgendwie überstehen sollten...“ Er machte eine kurze Pause. Carries Worte gingen ihm durch den Kopf. „...dann werde ich gehen. Ich habe genug davon, dass sie nur an sich denken und ihnen das Wohl dieser Menschen hier vollkommen egal ist. Sie mögen bis jetzt immer gut damit
gefahren sein, aber irgendwann wird der Moment kommen, an dem auch sie mal in den Spiegel schauen müssen.“ Damit verließ er ihr Büro, ohne ihr eine Chance auf eine Antwort zu geben. Er hatte es satt, dass man ihm kein Gehör schenkte. Die Lage war ernst. Warum unternahm man nichts? Hatte Robert einfach Angst? Fürchtete sie um ihre Position, wenn sie jemanden wie Snyder in die Anstalt ließ? Er wollte nicht glauben, dass sie wirklich so oberflächlich war. Innerlich schüttelte er den Kopf und schritt den Korridor zum A-Trakt entlang. Es war besser, wenn er sich jetzt mit etwas Arbeit
ablenkte. Das war zumindest das einzige, bei dem man ihn nicht ständig kontrollierte. Außerdem konnte er durch die Veränderung seiner Patienten am besten feststellen, dass seine Arbeit Früchte trug. Menschen wie Carl Collins oder Michaela Woods hatten in den letzten Wochen viele Fortschritte gemacht. Das sollte eigentlich zeigen, dass sie keine Monster oder Tiere waren, sondern nur Hilfe benötigten. Alleine deshalb empfand Ethan eine mögliche Arbeit mit Snyder als wichtig. In einer normalen Therapie wäre es der nächste Schritt, sich wieder in das normale Leben einzufinden. Hier war das allerdings nicht der Fall, da
Heidenreich solche Ideen direkt von Anfang an verwarf. Doch waren die kleinen Erfolge nicht zu übersehen: Naiomi zum Beispiel führte ein normales Leben bei ihrem Onkel in Wisconsin, nachdem sie lange eine Patientin des B-Trakts gewesen war. Auch John lebte zusammen mit seiner Frau ohne Schwierigkeiten. Nicht jeder Fall war hoffnungslos, aber das sah niemand. Für Menschen wie Heidenreich war Willow Creek ein Ort an dem man Leute verscharren konnte, die nicht ins Schema passten. Die Gesellschaft kannte sie nicht. Also vermisste sie auch niemand. Eine einfache Art den Müll zu entsorgen. Absolut widerwärtig
in Rains Augen. Dennoch war es sinnlos, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen. Bei Roberta würde er nichts erreichen. Deswegen tat er das was er am besten konnte. Arbeiten. Im A-Trakt ging es wie immer sehr munter zu. Nach dem Frühstück kamen die Patientengespräche, weshalb einige von ihnen bereits nervös im Korridor warteten. Michaela Wood stand heute als erstes auf seinem Terminkalender. Bevor er jedoch einen weiteren Schritt unternehmen konnte, fasste ihn jemand an der Schulter. Ethan wandte sich um und blickte in das niedergeschlagene Gesicht von Peterson. Ein wenig
überrascht musterte er seinen Kollegen. „Dirk. Was kann ich für dich tun?“ Der Angesprochene überlegte einen Moment und kratzte sich an seinem Dreitagesbart. Noch immer wirkte er sehr niedergeschlagen. Warum er nach der ganzen Geschichte keine Auszeit genommen hatte, war dem Arzt ein Rätsel, aber er vermutete, dass Peterson nicht einfach nur dasitzen und nichts tun konnte. „Was sie da drinnen sagten Ethan. Wegen Snyder. Heidenreich ist vielleicht dagegen, aber das heißt nicht, dass ich es auch bin. Sie haben Recht. Dieser Unbekannte wird solange weitermachen, bis ihn jemand aufhält. Irgendwann wird
er auch hier zuschlagen und ich bezweifle, dass wir alleine ihn aufhalten können.“ Er machte eine Pause und lächelte müde. „Ellie wäre sicher nicht dieser Meinung gewesen. Sie hätte sich wie immer auf Robertas Seite geschlagen. Trotzdem verstehe ich nicht, warum niemand etwas tut. War das immer so?“ Ethan verstand genau, worauf er hinaus wollte. Die Teilnahmslosigkeit der Führung von Willow Creek war in manchen Momenten unerträglich. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. Man wollte etwas unternehmen und sah sich mit gebundenen Händen. Menschen die man liebte starben, ohne Hoffnung
darauf, dass ihre Opfer einen Sinn hatten. So schüttelte der Arzt den Kopf. „Es fällt mir immer schwerer die Situation zu akzeptieren. Die Dinge haben sich geändert, seitdem Hammond damals kündigte. Unter seiner Leitung wäre es wohl niemals zu so etwas gekommen. Er fand irgendwie immer die richtige Lösung. Nachdem Heidenreich die Anstalt unternahm, wussten wir alle, dass sich die Dinge ändern würden. Angefangen mit Katherinas Verlegung in den D-Trakt. Die neue Devise zur Jagd auf Menschen mit Parafähigkeiten. Dieser Ort hat seine Menschlichkeit verloren. Dwight wusste das. Deshalb ist er gegangen. Selbst sich zweifle
daran, ob wir immer noch auf der richtigen Seite stehen. Menschen die wir lieben werden einfach wie Bauern auf dem Schachbrett geopfert. Ich habe mich weiß Gott nie gut mit Foster verstanden. Wir waren vom Wesen einfach zu verschieden. Dennoch war sie ein guter Mensch und hat bis zum Ende an ihren Weg geglaubt und war bereit dafür ihr Leben zu lassen. Es ist einfach bedauerlich, dass Heidenreich das nicht zu würdigen weiß.“ Eine unangenehme Stille machte sich zwischen ihnen breit. Nur das Murmeln der Patienten war zu hören. Dirk hatte das Gesicht in der Hand vergraben. So offen über Eileen zu sprechen fiel ihm
sicher nicht leicht. Die beiden ließen sich auf einer Bank im Flur nieder. Eine Weile sagte niemand etwas, bis Peterson wieder das Wort ergriff. „Ich weiß, es steht mir nicht zu sie das zu fragen, aber: Wie war das für dich? Ich meine, als Katherina starb. Du tust zwar so, als wäre alles gut, wenn du hier bist, aber es gibt Momente, da kann man sehen, wie du leidest. Ich weiß auch, dass du Leland nicht vergeben hast und es wahrscheinlich auch niemals wirst.“ Ein unangenehmer Klos bildete sich in seinem Hals. Es war klar, dass man ihn darauf ansprechen würde. Vor diesem Moment hatte er in Ehrfurcht verharrt.
Zu Beginn wusste er nie, was er dazu sagen würde, doch jetzt gingen die Worte leicht über seine Lippen. „Jeden Tag gehe ich an dieser Zimmertür vorbei, die nun kahl ist. Manchmal da stelle ich mir vor, dass ich, wenn ich wieder herkomme die Blumen daran finden werde, die Tür öffne und sie mich lächelnd begrüßt. Allerdings ist das nur ein Wunsch. Sie ist fort, und wird niemals zurückkehren. Auf der anderen Seite war Katharina nur so ein Mensch, weil wir sie dazu gemacht haben. Wir haben sie in die Kammer gesteckt und ihr Bewusstsein und Gedächtnis verändert. Wir haben uns angemaßt, dass wir es besser
wissen. Am Ende haben wir uns alle geirrt. Das Mädchen im Lagerhaus. Die, die Hammond und mich entführte und damals einen guten Freund von mir tötete: Das war die echte Katherina. Ein Mensch, zerfressen von Trauer und Hass auf diese Welt, die ihr nichts als Abscheu entgegenbrachte.“ Er atmete tief durch und starrte auf den gefliesten Boden vor sich. „Wenn wir ehrlich sind, dann gab es niemals eine Chance sie zu retten. Wir haben das unvermeidliche nur hinausgezögert. Zum Schluss hat Leland das einzig richtige getan. Es gab keine Möglichkeit mehr, sie zu retten. Wir hatte nur eine Wahl: Ein Leben gegen das
von Tausenden, die sonst gestorben wären. Selbst als es keine Hoffnung mehr gab, wollte ich das nicht sehen. Ich habe die Tatsache ignoriert, dass Sie nur noch von ihrem Zorn getrieben war. Das Mädchen, welches ich kannte, war verschwunden. Die Lüge, die wir aufgebaut haben. Katherina Compton war für mich ein wundervoller Mensch. Sie war mir wie eine zweite Tochter, die ich leiten wollte. Ich dachte, ich könnte sie retten, nachdem alle um sie herum sie zu dem gemacht haben, was sie letztlich war: Ein Mensch der seinen Weg verloren hat. Sie war nicht von Grund auf Böse. Die Welt in die sie geboren wurde, hat sie dazu werden
lassen. Deshalb tue ich das, was ich tue Dirk. Diese Menschen, sie sind ganz allein. Sie haben niemanden, der sich wirklich darum kümmert, was aus ihnen wird, außer sich selbst. Leute wie Katherina Compton, Viktor Waslow oder Albert Wilkins sind das Produkt unser verqueren Gesellschaft. Wir leben in einer Welt, in der jede unserer Entscheidungen, ihre Folgen hat. Mit diesen, müssen wir leben. Dabei ist es manchmal nicht wichtig, ob wir sie auch ertragen können, sondern dass wir auch hinter ihnen stehen.“ Ethan sprach mit ruhiger Stimme. Äußerlich wirkte er ruhig und gelassen, doch im Innern brodelte er. Seit
Katherinas Tod hatte er mit niemandem so über die Situation gesprochen. Er vermisste das Mädchen. Kein Zweifel. Dennoch war es am Ende wichtig, die richtige Wahl zu treffen. Leland hatte etwas getan, dass er nicht konnte. Er hatte am Ende diese Schuld auf sich geladen. Er war dieser Mensch, der es ertragen konnte. „Tut mir leid Ethan. Ich wollte nichts unnötig wachrütteln. Es ist einfach unfair! Menschen wie Ellie, geben ihr Leben für das woran sie glauben, und niemand weiß es wirklich zu würdigen. Das ist es, was mich so unsagbar wütend macht!“ Ethan konnte seinen Kollegen gut
verstehen. Wenn ein geliebter Mensch starb, wollte man den Grund dafür wissen. Eine gewisse Genugtuung erfahren. Wenn einem dieser Wunsch verwehrt blieb, dann hatte man nichts, außer seinem Frust und seiner Trauer. Peterson war ein guter Mann. Ihm war anzusehen, dass auch er zu diesen Leuten gehörte, die solche Ereignisse nicht auf sich beruhen lassen konnten. Der Arzt fuhr sich mit der Hand durch das Haar und musterte ihn. Auch ihm gefiel die Situation nicht. Sie waren gezwungen die Hände in den Schoß zu legen und zu warten, bis der Unbekannte von neuem zuschlug. Zumindest, wenn es nach Heidenreich ging.
„Wir werden nicht tatenlos bleiben Dirk. Das widerstrebt meinen Grundprinzipien. Auch wenn es Heidenreich nicht gefällt, müssen wir etwas tun. Ich bin hier noch beschäftigt und es würde auffallen, wenn zwei von uns verschwinden. Sie gehen zu Patrick Snyder. Er ist im Augenblick der einzige mit den Mitteln, um uns zu helfen.“ Der Andere sah ihn nickend an. „Ich dachte schon, sie würden nie fragen. Aber denken sie wirklich, dass er uns helfen kann?“ Ethan nickte und richtete mit ein paar Fingerstrichen den Kragen seines Arztkittels.
„Vielleicht der Einzige der in der Lage ist die Menschen auf unsere Notlage aufmerksam zu machen. Er hat viele Menschen die ihm Glauben schenken. Seine Bücher und seine Sendung haben bereits dafür gesorgt, dass die Leute für dieses Thema zumindest ein wenig sensibilisiert wurden. Erklären sie ihm unsere Situation und arrangieren sie ein Treffen.“ Peterson nickte und erhob sich von der Bank. Er vergeudete keine Zeit. Die Allianz mit Snyder war der Lichtblick, den sie alle benötigten. So einfach war das. Je länger sie warteten, desto schlimmer wurde die Situation. Der
Unbekannte konnte ohne ihr eingreifen weiter durch die Stadt marschieren und Fähigkeiten absorbieren. Dies war ein erster Schritt, um dem entgegen zu wirken. „Ich werde mein Bestes versuchen Ethan. Wünsch mir Glück!“ Damit ließ er den Doktor alleine zurück. Rain seufzte. Würde Roberta davon erfahren, hagelte es Konsequenzen, aber darauf durfte er jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Er sah sich um und ließ seinen Blick über die verschiedenen Patienten im Korridor schweifen. Sie alle waren in Gefahr und wussten nicht einmal etwas davon. Es war an ihm, sie zu beschützen. Egal zu welchem Preis.
„Mr. Rain?“ Er erschrak. Er hatte Gladis, die nette Empfangsdame gar nicht bemerkt, die über den Flur auf ihn zugestiefelt war. Durch ihre Brille hindurch musterte sie ihn und strich mit der Hand durch das faltige alte Gesicht. „Ja? Was gibt es?“ „Da wartet ein Mann in ihrem Büro. Er wollte mit ihnen sprechen. Er meinte es sei dringend!“ Fragend hob der 33-Jährige die Braue, ehe er sich in Bewegung setzte. Die Gespräche mit den Patienten mussten dann wohl noch etwas warten. Wer
wusste schon, wer dieser Fremde war und was er von ihm wollte? So dauerte es keine zehn Minuten, bis er an seinem Büro angekommen war. Die Person die dort auf ihn wartete, sah sich gerade ein Bild von Carrie und Sofia an, dass er immer auf dem Schreibtisch stehen hatte. Als der Mann Ethan erblickte, lächelte er. Der Arzt erkannte den ehemaligen Patienten sofort, als dieser sich zu ihm umwandte. „John? Was machst du denn hier?“ Ethan schloss die Tür hinter sich und legte seine Aktentasche ab. Es war ein Wunder, dass niemand Croft erkannt hatte. Ansonsten hätte das wohl eine Panik in der Anstalt verursacht. John
wirkte müde und angeschlagen. Rain konnte sich gut vorstellen, dass es im Augenblick nicht einfach für ihn und Tara sein durfte. So schüttelte der Arzt dem Patienten die Hand und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich wollte sehen, wie es dir geht Ethan. Nach dem Tod deiner Kollegin habe ich mir Sorgen gemacht. Außerdem hat dieser Ort eine seltsame Anziehungskraft. Außerdem müssen wir reden. Es ist dringend!“ Der Blick des Anderen wurde ernst. Rain bot ihm einen Platz an und ließ sich auf dem Stuhl am anderen Ende des Schreibtisches nieder. John stellte das Foto von Sofia und Carrie wieder auf
dem Tisch ab und legte beide Hände in den Schoß. „Deine Frau und deine Tochter sehen sich sehr ähnlich.“ Ethan nickte und zündete sich eine Zigarette an. „Ja. Ich bin ganz froh, dass sie nicht mein Aussehen hat. Sonst hätte man sie wohl ständig wegen den Segelohren und der Nase gehänselt.“ John lachte kurz auf und zog seine Jacke aus, bevor er sie über die Lehne des Stuhls legte. Rain zog an seiner Zigarette. „Also John. Was ist los? Ist etwas mit Tara passiert?“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf.
Das war schon einmal eine gute Nachricht. Dennoch wurde der Arzt das Gefühl nicht los, dass es etwas gab, von dem er noch nichts wusste. Etwas dass ihm nicht gefallen würde. „Albert wurde angegriffen Ethan.“ „Vom Unbekannten?!“ John schüttelte den Kopf. „Nein. Laut seiner Schilderung war es jemand vollkommen anderes. Dieser Fremde ist ihm gefolgt und Albert wollte ihn von Tara und mir fort locken. Es gab einen Kampf. Wer auch immer das war, wusste genau mit wem er sich anlegte. Albert hatte keine Chance. Offensichtlich besitzt dieser Unbekannte eine übernatürliche Stärke, so wie er es
schilderte. Wahrscheinlich seine Fähigkeit. Allerdings war es ihm unmöglich seinen Verfolger festzusetzen. Er konnte fliehen und hätte Albert beinahe getötet.“ Das waren allerdings keine guten Nachrichten. Noch jemand um den sie sich Sorgen machen mussten. Sogleich schlich sich bei Ethan die Frage ein, ob dieser Fremde nicht vielleicht mit dem Unbekannten kooperierte. Doch warum sollte er dann Wilkins töten, wenn nicht der Gedanke daran, die Fähigkeit des D-Patienten zu stehlen um einiges lukrativer war? Er zog an seiner Zigarette und tippte nachdenklich mit den Fingern auf dem Holz seines Tisches
herum. „Wie geht es Albert jetzt?“ „Tara hat seine Wunden versorgt. Im Moment ruht er sich aus. Er war wirklich ziemlich angeschlagen. Das war gestern Abend. Ich habe die ganze Nacht Wache gehalten, für den Fall dass dieser Typ auftaucht, aber wie es scheint, wollte er uns wohl nur testen. Anders kann ich mir das nicht erklären. Aber da ist noch etwas Ethan: Dieser Fremde. Albert hat ihn quasi mit seinem Strom geröstet und trotzdem konnte er wieder aufstehen und gehen, als wäre nichts gewesen. Wer auch immer dieser Mensch ist, er ist genau so gefährlich wie dieser Unbekannte. Mich beschleicht
das ungute Gefühl, dass die beiden zusammen arbeiten könnten. Wäre nur logisch. Wie sonst könnte der Unbekannte immer wissen, wo er zuschlagen muss? Er hat eine Rechte Hand, die für ihn nach Menschen mit Parafähigkeiten sucht. Anschließend muss er nur noch das Ziel aufsuchen und die Sache zu Ende bringen.“ Diese Worte alarmierten Ethan. „Aber würde das nicht bedeuten, dass der Unbekannte jetzt nach Tara und Albert sucht, während wir hier reden?“ Er drückte seine Zigarette aus und erhob sich. John hob beruhigend seine Hand. „Das habe ich mir auch schon gedacht.
Deshalb haben wir das Motel in dem wir vorher Zuflucht suchten, aufgegeben. Im Moment sind die beiden auf dem Weg zu einer neuen Unterkunft am Stadtrand. Sie gehen durch die Kanalisation. Das ist auch der Weg über den ich herkam. Das ist sicherer, als auf offener Straße umher zu laufen.“ Ethan nickte. Da hatte John gut mitgedacht. Es war nicht sicher, wenn er und seine Frau zu lange an einem Ort blieben. Dennoch war das ganze nicht ungefährlich. Albert war angeschlagen und Tara selbst besaß keine Fähigkeiten. Wenn der Unbekannte auf sie traf, dann waren sie ihm schutzlos ausgeliefert. Das musste Croft doch klar sein.
„Das gefällt mir nicht John. Was wenn dieser Kerl die beiden bereits aufgespürt hat? Sie sind in Gefahr!“ Er griff nach seiner Jacke und warf sie sich über. „Du musst mir zeigen, welchen sie gehen! Während wir hier reden, kann es schon zu spät sein. Hast du daran mal gedacht? Albert kann deine Frau in seinem jetzigen Zustand nicht beschützen.“ John nickte. Er wirkte verunsichert. Wahrscheinlich war er einfach nur hergekommen, weil er Hilfe brauchte. Daraus konnte man ihm keinen Strick drehen. Wichtig war jetzt, dass sie keine
Zeit mehr verloren und sich so schnell wie möglich auf den Weg zu den Beiden machten. Vielleicht konnten sie so das schlimmste verhindern. Ethan griff zu seinem Handy und wählte Lelands Nummer. Der war im Augenblick zwar eher auf Urlaub, aber in solchen Momenten tangierte das nicht. „Akerman?“ „Leland! Ich bins Ethan! Ich brauch deine Hilfe und zwar sofort!“ Einen Augenblick herrschte Stille. Dann antwortete der 44-Jährige am anderen Ende der Leitung. „Oh, wirklich? Wem darf ich aus der Patsche helfen?“ „Du musst sofort die Polizei alarmieren.
Sag ihnen irgendetwas, um sie in die Kanalisation zu locken. Albert Wilkins und John Crofts Frau sind dort und sie sind womöglich in Gefahr. Der Unbekannte könnte ihnen schon auf den Fersen sein.“ „Was?! Moment mal. Was ist überhaupt los?“ „Keine Zeit um das zu erklären. Mach es einfach. Wir treffen uns dann im Kanal!“ Ohne eine Antwort abzuwarten legte der Arzt auf. Das war vielleicht nicht die feine englische Art, aber im Moment blieb ihm nichts anderes übrig. Die Polizei konnte vielleicht nicht viel ausrichten, aber womöglich war es genug, um den Unbekannten zu
verschrecken, so dass er von Wilkins und Tara abließ. Das war es, worauf Ethan pokerte und er hoffte, dass es funktionierte. - „Sollen wir eine Pause machen? Du siehst richtig blass aus Albert!“ Der Blonde hob abwehrend die Hand. Nun waren sie schon ein paar Stunden in den Kanälen unterwegs. Es war feucht und stank. Nicht gerade der beste Ort für ihre Reiseroute, aber es war sicher. Das hoffte John zumindest, aber der hatte leicht reden, denn er verbrachte die Zeit lieber damit Ethan
Rain aufzusuchen, um alte Geschichten aufzufrischen, anstatt ihnen hierbei zu helfen. „Nein. Wir müssen weiter. Ich kann mich auch noch ausruhen, wenn wir im Versteck sind!“ In Wahrheit schmerzte sein ganzer Körper. Der Kampf gegen den Fremden hatte seinen Tribut eingefordert. Immer wieder wurde im schwindelig. Die klamme Luft hier unten trug ihren Teil dazu bei. Gegen eine frische Brise hätte er im Moment nichts einzuwenden. Dennoch war es im Augenblick vorrangig, dass Tara sicher ans Ziel kam. Jedoch besaß sie einen kleinen Dickkopf, der sich nicht so leicht
unterdrücken ließ. „Blödsinn! Du bist angeschlagen! Wir machen eine Pause. Wenigstens Zehn Minuten, damit du wieder zu Kräften kommen kannst!“ Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch, so dass er sich an der Wand niederließ und sich eine Zigarette anzündete. Die Pause war ihm eigentlich willkommen, aber das verschaffte ihren Feinden nur mehr Zeit sie aufzuspüren. Wenn sie auf Widerstand trafen, dann war er nicht in der Lage Tara zu beschützen. Das wusste er. Im Augenblick war er nur im Weg. Er konnte so nicht kämpfen. Allein deshalb war es Irrsinn von John sie alleine gehen
zu lassen. Er war sich in dieser Sache einfach zu sicher und schätzte das Risiko falsch ein. Tara konnte ihm ansehen, dass er über etwas in dieser Richtung dachte und ließ sich neben ihm nieder, bevor sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Mach dir keine Sorgen. John weiß was er tut. Er würde uns nicht einfach in Gefahr bringen! Du wirst sehen. Es wird uns nichts passieren!“ Angesäuert verzog der Hüne das Gesicht. „Du lobst ihn viel zu hoch! Das ist kein Spiel mehr Tara! Es sind schon genügend Menschen gestorben. Denkst du das in der Kirche war das letzte Mal?
Dieser Kerl wird nicht aufhören. Egal was wir tun. John sieht es nicht. Er schätzt die Gefahr falsch ein, oder glaubst du tatsächlich, dass wir uns für immer verstecken und weglaufen können?“ Er war wütend auf John. Warum hatte er seinen Rat ignoriert? Es wäre besser gewesen, wenn sie direkt die Stadt verließen. Dann wären zumindest Tara und ihr ungeborenes Kind außer Gefahr. Zum Teufel. Was kümmerte es ihn eigentlich? Er war diesen Leuten nicht das geringste schuldig. Immer wieder dachte er daran, dass er auch einfach mit Viktor hätte gehen können, als dieser die Stadt verließ. Warum war er
hier geblieben? Nicht etwa wegen John und Tara. Hier gab es unerledigte Dinge. Die Sache mit Hammond war noch nicht ausgestanden. Eine offene Rechnung. Genau. Das war der Grund und nichts anderes. „John weiß was er tut“, warf Tara plötzlich ein. Sie sprach aus voller Überzeugung. „Er hat uns noch nie im Stich gelassen Albert und das weißt du auch! Ich weiß, dass es dir nie sonderlich leicht gefallen ist jemandem zu vertrauen, aber ich kenne John! Er würde uns niemals uns selbst überlassen.“ Albert hob die Hand, während er mit der anderen die Zigarette ausdrückte. Die
junge Frau sah ihn perplex an. „Was?“ „Shhht!“ Der Hüne erhob sich schleppend. Sein Blick glitt den Tunnel vor ihnen entlang. Etwas stimmte hier nicht. „Was ist los Albert? Was-“ „Halt dein Maul!“ Fassungslos sah sie ihn an. Dann wanderte ihr Blick in dieselbe Richtung. Am anderen Ende des Rohrs wirkte es erst noch ruhig, ehe eine hünenhafte Gestalt dort auftauchte. Das Gesicht verborgen. Ängstlich sah Tara in die Richtung. Albert schob sie hinter sich und setzte sich gleichsam mit ihr in Bewegung. Der Unbekannte folgte ihnen
nur langsam. Albert fluchte innerlich. Er hasste es, wenn er Recht hatte. Jetzt blieb allerdings keine Zeit, um sich darüber aufzuregen. Sie mussten schleunigst einen Ausgang finden. Hier unten saßen sie wie auf den Präsentierteller. So bog er mit Tara um die nächste Ecke, wo sie über einen kleinen Steg flüchteten, der über das Kanalwasser führte. Am Ende des Ganges hielt der Blonde kurz Inne, um sich umzusehen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis ihr Verfolger in Sicht kam. Stets langsam. Er spielte mit ihnen. Das war jetzt sicher. Tara sah ihn hilfesuchend an. „Was machen wir jetzt
Albert?“ „Laufen!“ Das war eine denkbar schlechte Situation. Ihm tat alles weh. Die Pause war umsonst. Allerdings blieb ihm nichts anderes übrig. Ein Kampf war unmöglich. Fliehen war im Augenblick die einzige Option die ihnen blieb. Taras Leben hing davon ab. Jetzt war es an Albert sie und das Baby zu beschützen. So führte sie die Flucht immer tiefer in das Kanalsystem. Die Orientierung hatten sie inzwischen vollständig verloren. Hauptsache war es, dass sie sich weiter von ihrem Aggressor entfernten, der ihnen noch immer dicht auf den Fersen war. Ein gutes für sie,
dass dieser Kerl offensichtlich mit ihnen spielte, anstatt sie sofort zu erledigen, aber darauf durfte er nicht setzen. Die Situation konnte sehr schnell wieder umschlagen. Ehe er sich versah, standen sie vor einer Sackgasse. Die Mauer vor ihnen versperrte den weiteren Weg. Am Ende des Tunnels aus dem sie gekommen waren, tauchte bereits ihr Verfolger auf. Albert und Tara verharrten an der Wand. Sie ergriff seinen Arm. „Albert. Was jetzt?“ Er konnte ihr nicht sagen, was sie jetzt noch tun sollten. Das war das Ende. Ganz sicher. Doch plötzlich zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich.
Ein ratterndes Geräusch. Der Staub wurde von der Decke gelöst und rieselte auf sie nieder. Erst hatte er es gar nicht bemerkt. Wilkins wandte sich der Wand zu und drückte sein Ohr daran. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis er Gewissheit hatte. „Tara! Du musst das Baby irgendwie dazu bringen seine Fähigkeit zu aktivieren!“ Sie sah ihn an. „WAS?!“ „Tu es!“ „Ich weiß nicht wie!“ Der Unbekannte war jetzt nur noch etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt und hielt weiter auf sie zu. Wilkins dachte
nach. Was hatte John einmal gesagt? Wenn sich das Baby in Gefahr befand, dann nutzte es seine Kraft um sich und seine Mutter zu beschützen. Anscheinend reichte die bloße Verfolgung des Unbekannten nicht aus, um die Fähigkeiten zu aktivieren, weshalb er es anders versuchen musste. So hob er seine Hand, die langsam von Blitzen durchzuckt wurde. Tara sah ihn an und machte einen Schritt zurück. „Albert...was tust du da?“ Er ging weiter auf sie zu, bis sie mit dem Rücken zur Wand stand. Noch regte sich nichts, weshalb er wohl anders an die Sache ran gehen musste. Er schoss einen Blitz ab, der unmittelbar
vor den Füßen der jungen Frau einschlug. Sie kreischte auf, ehe er ihren Arm ergriff und diesen an die Wand hinter sich drückte. Sie veränderte sich. Nahm die Festigkeit der Wand an, bis sie aussah wie eine Faust aus Stein. „Tara! Die Wand!“ Sie begriff und begann auf die Mauer einzuschlagen. Nach einigen Schlägen gab sie nach und offenbarte den Weg in den dahinter liegenden U-Bahntunnel. Alberts Plan war aufgegangen. Er ergriff die Hand der jungen Frau und zog sie hinter sich durch das Loch. Unsanft kamen beide auf dem Boden auf. Der Hüne hob den Blick zur Öffnung
aus der sie gekommen waren. Ihr Verfolger verharrte einen Moment lang dort und blickte einfach nur auf sie hinab, ehe er ebenfalls auf die Strecke sprang. Der Tunnel war dünn und reichte gerade mal für eine Bahn. Die Lichter an der Decke flackerten schwach auf, während Tara und Wilkins durch den Tunnel liefen. Den Fremden weiterhin im Nacken. „Was war das?“ „Eine Idee, die mir durch den Kopf ging und wie du siehst hat es funktioniert!“ „Mach das nie wieder!“ Er grinste nur. Eigentlich hätte sie ihm ja dankbar dafür sein müssen, aber das stand wohl gerade nicht zur Debatte. Im
Gegenteil: Es wurde wohl immer schwerer, bevor es besser wurde. Tara blieb plötzlich stehen und hielt sich den Bauch. Albert sah sie an.
„Was ist los?“
Der Unbekannte war noch nicht wieder zu sehen. Die junge Frau sah den Blonden panisch an, ehe sie schmerzverzerrt das Gesicht verzog.
„Das Baby.....Das Baby kommt....“
Ein wenig argwöhnisch betrachtete Naiomi die metallischen Konstruktionen, die vor ihr auf dem Boden des kleinen Trainingsraums lagen. Unsicher hockte sie daneben. Snyder hatte ihr den Raum extra zur Verfügung gestellt und sie auch gleich mit dem passenden Outfit ausgestattet. Mit der kurzen Hose und dem einfachen Shirt fühlte sie sich beinahe so, als wäre sie wieder in der Schule und würde sich auf irgendeine behämmerte Übung vorbereiten. Ihr Rollstuhl stand neben der Eingangstür und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie das Ding nie wieder sehen. Dies war
immerhin die Chance, wieder Laufen zu lernen, auch wenn sie sich noch nicht ganz sicher war, wie das funktionieren sollte. Die Schienen waren zum Großteil aus Metall hergestellt. Riemen aus Leder würden das ganze an ihren Beinen halten. Sie war allein. Snyder war zu einem wichtigen Termin aufgebrochen und auch Leland oder Maria waren nicht abkömmlich, weshalb sie hierbei auf sich allein gestellt war. Seufzend blies sich die 17-Jährige eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor die damit anfing, sich die Schienen um die Beine zu schnallen. Ein gutes hatte es, dass sie kein Gefühl mehr hatte. Schon an den
Fingern fühlte sich das Material eisig kalt an. Das ganze Konstrukt war klobig und sah aus wie ein Prototyp für irgendeinen Cyborg. Wenn wirklich Snyders beste Techniker an den Dingern gearbeitet hatten, dann wollte sie diese Männer sicher nicht kennen lernen. Das konnten nur fette Nerds sein, die noch nie zuvor von einer Frau berührt worden waren, und sich den Abend mit Star Trek oder Xena versüßten. Nun gut. Eigentlich sollte sie dankbarer sein. Immerhin war dies die Chance ihr Leben wieder ein wenig normaler zu gestalten, auch wenn der Begriff eher dehnbar war. Nachdenklich strich das Mädchen mit
den Fingern über das Metall und presste die Lippen aneinander. Im letzten halben Jahr war ihr Leben alles andere als normal verlaufen. Wobei, war es das eigentlich jemals? Seit sie sich daran erinnern konnte, hatte man sie wegen ihrer Kräfte stets auf Distanz gehalten. Erst ihre Mutter. Eine scheinheilige dumme Gans. Naiomi konnte sich noch gut an die leeren Versprechungen erinnern, die sie ständig gemacht hatte. Besonders im Bezug auf ihre Fähigkeiten. Es würde einen Weg geben, ihr zu helfen. Sie solle sich keine Sorgen machen. Dann war dieser Typ aufgetaucht und alles hatte sich
verändert. Plötzlich gab es wohl keinen Weg mehr, mit dem ihre Mutter ihr helfen konnte. So kam sie nach Willow Creek. Immerhin besser als zu Hause, auch wenn sie sich bei den ganzen Verrückten fehl am Platze gefühlt hatte. Es gab nie wirklich jemanden, mit dem sie auf einer Wellenlänge war. Klar – Da waren die Ärzte, mit denen sie sprechen konnte, aber die machten auch nur ihren Job. Als wäre sie auch nur für einen von denen mehr, als eine laufende Dollarnote. Außer vielleicht für Ethan. Ethan hatte ihr geholfen. Er war der erste, der nicht einfach nur leere Versprechungen gemacht hatte. Nur wegen ihm war sie überhaupt zu ihrem
Onkel nach Wisconsin gekommen. Seitdem schienen die Dinge ein wenig leichter zu sein. Zumindest am Anfang, aber dann kam der Unfall mit diesem Eis-Freak, der sie ihre Beine gekostet hatte. Es war als wäre der liebe Gott persönlich aus den Wolken gefallen und hätte ihr den Mittelfinger gezeigt. Tja. Schicksal war schon eine scheiß Erfindung. Und jetzt? Jetzt wusste sie nicht, wie es überhaupt weitergehen sollte. Sicher, sie konnte anfangen mit diesen Schienen zu laufen, aber was dann? Trotzdem würde sie ein Krüppel bleiben. Da fragte sie sich, wie Leland damit zurecht kam. Okay. Eine Krücke war nicht ganz so schlimm. Hatte sogar
noch mehr Sexappeal als ihr Rollstuhl. Trotzdem. Der Arzt schien kein Problem damit zu haben. Er lebte damit. Einfacher gesagt als getan. Sie legte den Kopf schief und seufzte. Das war wahrscheinlich wieder nur ihr innerer Schweinehund, der sie davon abhielt die Dinge positiv zu sehen. Hätte Leland sie nicht aus der Schule fort geholt, dann würde sie wahrscheinlich immer noch durch die Gänge rollen und sich das Gelaber von Direktor Foreman anhören. Jetzt lebte sie in einem Penthouse, aß diesen ekelhaften Kaviar und schnupperte an dem Lebensstandart der Reichen. Aber warum? Snyder hätte das alles nicht für sie tun müssen. Dennoch
war sie hier. Als nächstes würde sie in seiner Sendung auftreten und all den Menschen da draußen die Wahrheit erzählen. Schon der Gedanke daran, brachte ihr Herz zum rasen. Sie hatte Angst. Wie würden diese Leute reagieren? Bis jetzt war sie immer gut damit gefahren, dass niemand von ihren wahren Talenten wusste. Gleichzeitig war es ein Fluch. So war das nun mal. Die einen hatten eine Hakennase, die anderen schielten und sie konnte Metall verbiegen. Ein eher schlechtes Los in der Gen-Lotterie. Unweigerlich musste sie an den Unbekannten denken. Er konnte den Leuten einfach so ihre Fähigkeiten nehmen. Leland zum
Beispiel. Wenn sie ehrlich war, beneidete sie ihn. Er konnte jetzt ein ganz normales Leben führen, ohne sich sorgen zu machen, irgendwann hinter den Mauern einer Anstalt zu enden. Sie hingegen war jetzt hier und musste sich damit konfrontiert sehen, dass ihre Kraft allein dafür sorgen konnte, dass sie wieder laufen lernte. Das nannte man wohl wahre Abhängigkeit. So begann sie schließlich damit sich die Schienen um die Beine zu legen. Mit der Metallkontrolle schloss sie die Verschlüsse der Riemen und starrte auf das Ganze. Eigentlich war es ganz einfach. Sie musste nur die üblichen
Signale aussenden und schon würde sich das Material in Bewegung setzen. Vorsichtig streckte das Mädchen die Hand aus, begann im Geiste die Konstruktion zu erfassen. Jede Strebe, jede Schraube konnte sie fühlen und erfassen. Es war, als würde sie eine Marionette bei den Fäden nehmen, bevor sie den zündenden Gedanken aussprach: 'Beweg dich!' Und wie von selbst begann sie das erste Knie anzuziehen. Eher unbeholfen. Sie fühlte nichts dabei. Das einzige, was überhaupt auf eine Bewegung hindeutete, war das Geräusch ihres Fußes, der über den Boden schliff. Mit einer Hand stützte sie sich ab, bevor sie
sich dem anderen Bein zuwandte, ehe sie sich mit angewinkelten Beinen abstützte und dabei eher aussah, als würde sie jeden Augenblick ein Kind zur Welt bringen. Gut dass es hier keine Zuschauer gab. Sie wusste selber, wie bescheuert das aussehen musste. War also gar nicht so verkehrt, dass im Moment alle was zu tun hatten. So musste sie sich vor niemandem zum Idioten machen. Es gab also immer einen Vorteil, wenn man es von diesem Standpunkt betrachtete. Jetzt stand sie allerdings vor einem neuen Problem. 'Wie zum Geier soll ich jetzt aufstehen?' Sie versuchte es erst, indem sie einfache Signale an das Metall sendete,
um es weiter zu beugen. Als sie allerdings dann aussah, als würde sie mit dem Körper eine Brücke formen, ließ sie sich auf den Hintern zurückfallen und schnaubte verärgert. Einen wirklichen Fortschritt konnte man das nicht nennen. Es sei denn sie meldete sich bei einer Artistenshow an. Naiomi die Rückenkrabblerin. Das hatte bestimmt Stil – brachte sie nur nicht weit. Noch einmal stützte sie sich auf. Schwierig war nur, das Gleichgewicht zu finden, wenn das einzige, das ihre Beine aufrecht hielt totes Material war. Sie musste es halt anders versuchen. Wieder begab sie sich in die Brückenposition und überlegte. Prüfend
spähte sie im Raum umher um sicher zu gehen, dass sich in der Zwischenzeit auch niemand herein geschlichen hatte. Dann stieß sie den Oberkörper vom Boden ab, während sie gleichzeitig das Signal an die Schienen gab, sich gerade aufzurichten. Allerdings tat sie das mit so viel Kraft, dass sie gleich wieder nach vorne überkippte. „SCHEIßE!“ Den Sturz konnte sie gerade noch mit den Armen abfangen, womit sie verhinderte auf ihrer Nase zu landen. Wieder auf allen Vieren verharrte sie in der Position. Schon dieser einzelne Versuch hatte sie viel Kraft gekostet. Schweißperlen liefen ihr über die Stirn.
So hatte sie sich das ganze sicher nicht vorgestellt. War doch zum kotzen! Wenn das so weiterging, dann konnte sie auch genau so gut ein Ganzkörpergestell von Snyder anfordern. Das wäre sicher leichter als das hier. „Probleme?“ Erschrocken hob die 17-Jährige den Kopf und blickte zum Eingang des Trainingsraums. Maria stand dort und lehnte am Türrahmen. Sie machte nicht gerade den fittesten Eindruck. Sah er so aus als hätte sie die letzte Nacht durchgefeiert. Naja. Man durfte sich ja auch mal eine Auszeit gönnen, wenn man für einen Politiker arbeitete.
„Wie viel hast du gesehen?“, wollte das Mädchen angesäuert wissen und schaffte es nach ein paar Versuchen zumindest wieder auf ihrem Hintern zu sitzen. Snyders Assistentin lächelte Matt und richtete mit ein paar Fingerbewegungen Rock und Bluse, ehe sie auf das Mädchen zu trat. Das hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt, dass ihr jemand bei dieser Blamage über die Schulter schaute. Naja. Maria war immerhin besser als Leland. Der hätte wahrscheinlich irgendwelche dämlichen Sprüche von sich gegeben, bevor sie ihn mit den Metallschienen erwürgt hätte. „Nichts. Ich bin gerade erst rein. Ich
hab jemanden Fluchen hören und dachte, ich sehe mal nach. Du konntest es gar nicht erwarten oder?“ Angesäuert verzog Naiomi das Gesicht und schnaubte verächtlich. „Pff. Hätte ich gewusst dass es darauf hinaus läuft, dann hätte ich gewartet bis keiner mehr im Gebäude ist. Das einzige was ich bis jetzt erreicht hab, ist mir blaue Flecken am Arsch zu holen!“ Maria lachte und legte ihr eine Hand auf die Beine. Auch Naiomi musste grinsen. Wenigstens hatte sie nicht gesehen, wie sie sich hier zum Affen machte. „Du musst dir Zeit lassen. Das Rad wurde auch nicht an einem Tag erfunden. Bevor du dich darauf
konzentrierst direkt los zustiefeln, solltest du wissen, womit du es genau zu tun hast.“ Naiomi legte den Kopf schief und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Was meinst du denn jetzt damit?“ „Ganz einfach! Du kontrollierst Metall, aber weißt du auch wirklich, was du da kontrollierst? Hast du ein genaues Bild in deinem Kopf? Ich meine, ich weiß ja nicht, wie deine Fähigkeit wirklich funktioniert.“ Die 17-Jährige verzog das Gesicht. Ein genaues Bild im Kopf. Metall war Metall. Da scherte es nicht, wie es aussah.
„Naja. Also eigentlich hats immer gereicht wenn ich gedacht habe, was ich machen will. Das ist wie beim Computerspiel: Du drückst nen Knopf und der Rest funktioniert von alleine. Klar. Ich erfasse den Umfang des Materials und dann Schwupp.“ Sie schnippte mit dem Finger. Maria lächelte amüsiert. „Klar. Aber du hast nur Metall an sich manipuliert. Jetzt benutzt du es, um etwas anderes zu manipulieren. Das musst du bedenken. Du willst ja nicht, dass sich die Schienen bewegen. Das ist ja ganz einfach. Was du in Bewegung setzen willst, sind deine Beine und die
kannst du nicht manipulieren. Wichtig ist erst einmal, dass du lernst wie deine Schienen wirklich funktionieren. Welche Bewegung du auslöst, wenn du ein bestimmtes Teil bewegst. Außerdem hast du ganz falsch angefangen!“ „Hä?“ „Ganz einfach. Wie willst du etwas kontrollieren, von dem du nicht weißt, wie es eigentlich funktioniert? Es ist wie bei einer Marionette. Jeder Faden führt eine bestimmte Bewegung aus. Mit der einen, bewegt sich das linke Bein. Mit der Anderen dreht sich eine Hand, oder ein Finger wird gekrümmt. Wichtig ist dabei, ein Gleichgewicht das du finden
musst.“ Naiomi grinste nur und faltete die Hände voreinander. „Oh wie ihr befehlt, weiser Sensei! So wie das Wasser fließt, muss auch der Vogel fliegen!“ „Sehr witzig.“ Damit erhob sich die Assistentin wieder und klopfte sich den Rock gerade. Fragend sah die Andere sie an. „Und was soll ich jetzt machen?“ „Finde den richtigen Ansatz!“ Und damit wandte sie sich zum gehen. Naiomi hob die Hand. „Warte!“ Aber natürlich hörte Maria nicht auf sie, sondern war wenige Augenblicke später
bereits verschwunden. Naiomi verzog das Gesicht. „Na toll!“ - Ihre Schmerzensschreie drangen durch den U-Bahntunnel und hallten von den dunklen Wänden nieder. Mit dem Tod an ihren Fersen war dies das letzte, mit dem Albert gerechnet hatte. Umsichtig stützte er Tara, die sich an seiner Schulter fest klammerte. Sein Blick ging wieder in die Richtung aus der sie gekommen waren. Der Unbekannte ließ sich Zeit, aber er wusste, dass er immer noch hinter ihnen her war. Als würde er
mit ihnen spielen. Jeder Zeit könnte er zuschlagen und sich einfach seine Fähigkeit und die des Babys nehmen. Dazu kam, dass sie schnellstens einen Weg aus dem Tunnel finden mussten, bevor der nächste Zug hier durch kam. Allerdings war sich Wilkins nicht sicher, wie lange Johns Freundin noch aushalten würde. Schweiß rann ihr in Sturzbächen von der Stirn. Immer wieder keuchte sie vor Schmerzen auf. Seit sich das Baby angekündigt hatte, war ihre Situation noch schwieriger geworden, als es ohnehin schon der Fall war. „Albert. Ich kann nicht mehr!“, presste sie hervor. Er schüttelte den Kopf. An
eine Pause war jetzt nicht zu denken. „Nur noch ein bisschen Tara. Reiß dich zusammen! Der Kerl ist immer noch hinter uns her.“ Wütend fixierte sie ihn. „Hast du sie noch alle? Zusammenreißen? Ich kann mir im Moment keine schlimmeren Schmerzen als das hier vorstellen.“ Ihre Worte gingen im nächsten Schmerzensschrei unter. Wilkins sah panisch an den Wänden entlang, in der Hoffnung irgendwo eine Tür zu finden, die wieder zurück in die Tunnel führte, aber wie es schien befanden sie sich gerade auf einem größeren Streckenteil. Das Glück war wirklich nicht auf ihrer
Seite. Innerlich verfluchte er John, der sie davon überzeugt hatte dass es besser wäre ein neues Versteck zu suchen. Nur zu dumm dass sein Balg andere Pläne verfolgte und es anscheinend nicht mehr erwarten konnte, auf diese Welt zu kommen. Abgesehen davon befürchtete der ehemalige D-Patient, dass sie sich verirrt hatten. Das war eines der Probleme, wenn man sich nicht genügend vorbereitet auf einen Marsch durch den Untergrund von Detroit begab und anschließend von einem Killer verfolgt wurde, der offensichtlich genau zu wissen schien was er tat. Dennoch hatte es durchaus etwas positives, dass ihr Verfolger sich dazu entschieden hatte
ihnen einfach nur zu folgen. Der Unbekannte machte keine Anstalten sie zu attackieren. Ein unangenehmer Gedanke beschlich ihn. Noch blieb er unausgesprochen, denn Albert wollte Tara nicht unnötig beunruhigen. Sie war am Ende ihrer Kräfte und wankte mehr als dass sie lief. Zwischenzeitlich musste sie sich sogar an der Wand abstützen, um nicht zu fallen. Wilkins verzog das Gesicht und bog mit Tara um die nächste Kurve, wo sich die Strecke wieder teilte. Weiter hinten schien es eine Treppe zu geben. Vielleicht konnten sie dort einen Ausgang finden. Das beste wäre natürlich, wenn sie eine Möglichkeit fänden diesen Kerl hier
festzusetzen. Dazu fehlte allerdings die nötige Kraft. Er war noch immer angeschlagen vom Kampf gegen diesen anderen Typen und Tara hatte andere Probleme. Sie waren noch etwa 200 Meter von der Treppe entfernt, als sie von ihren Schmerzen übermannt wurde und in die Knie ging. Der Unbekannte stand am Ende des Tunnels und beobachtete das ganze. „Hör zu Tara! Ich weiß dass du große Schmerzen hast, aber du musst weiter laufen. Da hinten ist die Treppe!“ Sie krallte sich in seine Hand, worauf er nur das Gesicht verzog. „Du hast leicht Reden! Du hast keine
Ahnung was das für Schmerzen sind! Das ist alles Johns Schuld!“ Immerhin waren sie da einer Meinung. Die Erkenntnis genügte jedoch nicht, um ihnen aus dieser Lage zu helfen. Viele Optionen gab es im Augenblick nicht und das einzige was ihm einfiel verlangte, dass die junge Frau endlich ihren Arsch in Bewegung setzte. Albert überlegte einen Moment lang, ehe er den Kopf schüttelte, bevor er die Frau unsanft auf die Beine hievte. „Herum schreien kannst du später immer noch! Verflucht reiß dich zusammen! Tara! Ich kann ihn nicht besiegen, sondern dir nur ein bisschen Zeit verschaffen! Du musst diese Tür
erreichen. Hast du das verstanden?“ Er sah ihr ernst in die Augen. Sie öffnete den Mund zum Widerspruch, schien dann zu realisieren, dass es keine andere Möglichkeit gab und nickte, bevor sie damit begann sich langsam über die Schienen zu hieven, während er sich dem Unbekannten zuwandte. Der stand etwa 30 Meter entfernt von ihm und hatte mittlerweile wieder angehalten. Wilkins grinste süffisant und legte seinen Mantel ab. „Ich weiß genau worauf du wartest, aber mich soll der Teufel holen, bevor du deine schmierigen Finger an dieses Baby legst!“ Er fixierte seinen Gegenüber
entschlossen, während er damit begann seine letzten Reserven zu fokussieren. Der Unbekannte rührte sich nicht. Gut. Dann würde er eben den ersten Schritt machen. Ohne weiter zu warten hob Wilkins die Hand und schickte dem Fremden eine Ladung Blitze entgegen, die wie beim letzten mal wenige Meter vor ihm einfach im Nichts verschwanden. Nach einer weiteren verschossenen Ladung schüttelte Albert nur den Kopf. Er hasste diesen Typen. Es schien, als würde es nichts geben, dass ihm Schaden konnte. Er war zu mächtig. Wer wusste schon, wie viele Fähigkeiten dieser Kerl inzwischen gesammelt hatte? Hauptsache war im
Augenblick dass Tara es zur Treppe schaffte. Jedoch wagte Wilkins es nicht sich umzusehen, da er befürchtete sein Gegner könnte diese Unachtsamkeit für einen Angriff nutzen. So verharrte er in seiner Position und wartete ab. Der Unbekannte hob die Hand. Albert bereitete sich vor, doch ehe er sich versah versagten im ganzen Tunnel die Lichter. Dunkelheit umfing sie. Er ließ Blitze zwischen seinen Fingern hindurch zucken, um etwas in der Dunkelheit zu sehen. Noch eine dieser tollen Fähigkeiten. Das wurde ja immer besser. Bevor er weiter reagieren konnte, spürte er plötzlich wie sein Hals umfasst wurde und man ihm die Luft abdrückte.
Ohne Probleme hob ihn der Unbekannte von den Füßen als wäre es nichts. Wilkins umfasste das Handgelenk des Fremden und versuchte mit Blitzen den Griff zu lösen. Vergeblich. Aus der nähe konnte er das erste Mal einen genaueren Blick auf diesen Kerl werfen. Das Gesicht war durch eine Maske verborgen. Komplett in Schwarz gehalten. Dennoch konnte er durch die aufflackernde Elektrizität seiner Kräfte die Augen durch die Löcher erkennen, die ihn kühl fixierten. Wilkins schnappte nach Luft. Mit einem Wurf wurde er gegen die nächste Wand befördert, bevor er auf dem Boden aufprallte. Der metallische Geschmack
von Blut breitete sich in seinem Mund aus. Er schaffte es auf die Knie zu kommen, doch dieser eine Angriff genügte schon. Schwindel überkam ihn. Von Anfang an war dieser Kampf zum Scheitern verurteilt. Er hoffte nur, dass Tara es rechtzeitig zum Ausgang schaffte und nicht in die Hände dieses Ungeheuers geriet. Dabei hätte er nie gedacht, dass er mal sein Leben für solche Leute opfern würde. Ein wehmütiges Lächeln glitt über seine Lippen. Unweigerlich musste er an Eva denken. Ob sie nach all der Zeit auf ihn wartete?
„Feuer!“ Schüsse fielen durch den Tunnel, bevor mehrere Taschenlampen in ihre Richtung leuchteten. Der Unbekannte reagierte schnell und fing die Projektile einfach ab, so dass sie wirkungslos auf dem Boden landeten. Wilkins sah die Strecke entlang. Mehrere Männer mit Waffen im Anschlag kamen auf die Beiden zu. Sie kamen aus der Richtung in die Tara gegangen war. Albert bemühte sich bei Bewusstsein zu bleiben. Der Unbekannte begab sich auf Distanz, bevor er hinter der nächsten Ecke verschwand. Wie es das Schicksal wollte, wurde er wohl
noch einmal verschont. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, bevor ihm jemand auf die Beine half. „Was ist mit dem hier?“, fragte einer der Männer an einen dritten gerichtet, der langsam durch den Tunnel auf sie zuhinkte. Er brauchte einen Augenblick, bis er ihn erkannt hatte. „Der gehört zu uns. Besorgen sie ihm eine Decke oder sowas!“ Der Angesprochene nickte und ließ Albert mit Leland allein. Der Arzt fuhr sich mit der Hand durch das Haar und musterte Wilkins mit einem abschätzenden Blick. Der Blonde verzog das Gesicht, ehe er sich umsah. Viel war bei dem wenigen Licht nicht zu
erkennen, doch genügte es um die Leute anhand der Buchstaben auf ihrer Uniform zu identifizieren. Ein Grinsen glitt ihm über die Lippen. „Ich wusste gar nicht, dass sie das Berufsfeld gewechselt haben.“ Akerman lächelte matt und stützte sich auf seiner Krücke. Es war durchaus interessant dass dieser Kerl jetzt offenbar für die U.F.P.I arbeitete. Was bezweckte er damit? Eine Frage um die er sich später Gedanken machen musste. Für den Moment fehlte ihm die Kraft und er hatte das Gefühl jeden Augenblick umzukippen. Leland ergriff seine Schulter. „Ganz ruhig. Nicht dass sie mir aus den
Latschen kippen. Sie haben gute Arbeit geleistet Albert. Das Mädchen ist in Sicherheit und wird bereits versorgt. Sie sehen ebenfalls so aus, als könnten sie einen Arzt gebrauchen!“ Er wurde hellhörig. „Wo ist Tara?“ Beschwichtigend hob sein Gegenüber die Hand. „Ganz ruhig. Wir haben sie an der Treppe aufgelesen. Ihr Glück, dass wir zuerst diesen Tunnel untersucht haben. Sie können Ethan danken. Er hat mich darüber informiert, dass hier unten etwas vor sich geht. Auch wenn es ihnen vielleicht nicht gefällt, aber heute bin ich wohl ihr strahlender Ritter. Was
haben sie hier unten eigentlich gemacht?“ Wilkins ließ sich an der Wand in die Hocke gleiten. Er war erschöpft und am Ende seiner Kräfte. Wäre Leland nicht aufgetaucht hätte es übel ausgehen können. So hatte man zumindest verhindert, dass Tara und das Baby in die Hände des Unbekannten fielen. Albert konnte die U.F.P.I zwar nicht sonderlich gut leiden, doch jetzt hatten sie ihren Job wirklich gut gemacht. Die Männer waren gerade damit beschäftigt den Gang zu sichern in dem der Unbekannte verschwunden war. Der Blonde warf einen Blick in den Tunnel hinab, aus welchem er Stimmen hören
konnte, bevor er sich Leland zuwandte. „John wollte, dass ich Tara in ein neues Versteck bringe. Es hat Ärger gegeben. Und dann ist unser alter Kumpel aufgetaucht. Er war hinter dem ungeborenen Baby her.“ Er zündete sich eine Zigarette an. Die Männer kehrten aus dem Tunnel zurück, doch nicht allein. Albert hob den Kopf und entdeckte John und Ethan, die jeweils von einem Mann der U.F.P.I bewacht wurden. Als Croft Wilkins erblickte schritt er sofort auf diesen zu. „Albert! Wo ist Tara?“ „In Sicherheit“, warf Leland ein. Dies rief natürlich seinen Kollegen auf den Plan. Überrascht musterte Ethan den
44-Jährigen und legte dabei den Kopf schief. „Leland?! Was machen sie denn hier mit der U.F.P.I?“ Der Angesprochene zuckte unschuldig mit den Schultern und streckte die Glieder. Er blieb angesichts der Situation vollkommen ruhig. Inzwischen hatten die Männer Albert in eine Decke gehüllt und ihm einen Schluck Wasser organisiert. Gleich viel besser. So nahm er einen Schluck aus dem Pappbecher und zog an seiner Zigarette, während er den beiden Männern lauschte. „Nun Ethan. Wie es aussieht habe ich mal wieder den Tag gerettet. Danke für ihren Anruf. Ich hielt ein Einmischen der
Polizei im Angesicht der momentanen Situation für sinnlos. Unser neuer Freund hätte kurzen Prozess gemacht. Sie wollen doch nicht schon wieder auf eine Beerdigung oder? Sehen sie es positiv: Niemand wurde verletzt. Das Baby und seine Mutter sind in Sicherheit. Ach und Peterson habe ich unterwegs auch aufgegabelt. Der Wollte gerade zu Snyder. Warten sie. Ah, Da ist er!“ Er deutete beiläufig zur Treppe, von der aus Dirk bereits auf die Anwesenden zukam. Ethan verstand überhaupt nichts mehr. Was zum Teufel hatte Leland mit der U.F.P.I zu schaffen? Es deutete alles darauf hin, dass er mit ihnen
zusammenarbeitete, aber warum? Er war nicht der Typ, der ohne Grund den Samariter miemte. Dennoch war es unbestreitbar, dass ohne sein Eingreifen die Situation mit Sicherheit anders ausgegangen wäre. Tara und Albert hätten Tod sein können und noch schlimmeres. John schien allerdings nicht so froh über diese Wendung zu sein. Angespannt musterte er Akerman. „Wo ist meine Frau?“ „Auf den Weg ins Krankenhaus. Kommen sie. Dieser Mann wird sie dorthin bringen!“ Damit winkte er einen der Männer zu sich heran. „Fahren sie zusammen mit Mr. Croft ins
Krankenhaus. Ich bin mir sicher, dass er die Geburt seines Kindes auf keinen Fall versäumen will!“ Der Angesprochene nickte und deutete John ihm zu folgen. Der Schwarzhaarige warf noch einen Blick auf Wilkins. „Danke Albert. Ohne dich wäre Tara sicher jetzt.....Ich bin dir was schuldig!“ Damit folgte er dem Mann ohne weiteres. Ethan blieb nur mit Peterson, Wilkins und Akerman zurück. Das ganze war eine vollkommen neue Wendung. „Wie kommt es, dass sie jetzt für Patrick Snyder arbeiten?“ Eine berechtigte Frage. Allerdings ergab sich hierdurch eine gute Gelegenheit.
Wenn Leland für die U.F.P.I arbeitete, dann konnte er sicher dafür sorgen, dass sie ihnen Hilfe leisteten. Zwar würde das Heidenreich absolut nicht gefallen, aber das tangierte im Moment nicht sonderlich. Hauptsache war, dass nicht noch jemand gestorben war. „Nun. Die Dinge ergeben sich einfach Ethan. Er ist gar kein so übler Kerl und setzt sich mehr für die Menschen mit Parafähigkeiten ein als Roberta es tut. Immerhin verdanken sie es seiner Einheit, dass Johns Baby gesund und munter auf die Welt kommt, und sich jetzt nicht in den Armen eines Irren befindet.“ Ethan nickte knapp. Albert erhob sich
langsam und drückte seine Zigarette aus. Er wirkte sichtlich angeschlagen und schien nicht wirklich bei guter Laune zu sein. „Ich unterbreche die Wiedersehensfreude ja nur ungern, aber der Kerl läuft immer noch da draußen rum. Glauben sie wirklich ihre Hampelmänner haben eine Chance gegen ihn? Im Moment hat sie nur ihre Überzahl gerettet, sowie die Tatsache dass es ihm dieses Mal nicht darum ging jemanden umzubringen. Er hätte mich die ganze Zeit um die Ecke bringen können, aber er hat es nicht getan. Was auch immer dieser Typ vorhat: Es gefällt mir
nicht.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte. Ethan musste zustimmen. Der Unbekannte war weiterhin ein Risiko. Solange er in der Stadt sein Unwesen trieb war kein Mensch mit Parafähigkeiten sicher. Jetzt war es um so mehr wichtig, dass sie sich die Zusammenarbeit mit der U.F.P.I sicherten. Sie schienen die einzigen zu sein, die die nötigen Mittel besaßen um gegen diesen Feind vorzugehen. „Wichtig ist, dass niemand zu Schaden gekommen ist. Leland? Ich weiß zwar nicht, was sie vorhaben, aber im Moment sieht es wohl so aus, dass wir ihre Hilfe benötigen. Ich muss mit
Snyder sprechen. So schnell wie möglich!“ Akerman grinste. „Das wird wohl kaum möglich sein. Jetzt gerade bereitet er sich auf seine nächste Sendung vor. Die sollten sie auf keinen Fall verpassen. Dürfte interessant werden. Danach kann man sicher etwas arrangieren.“ Ethan sah ihn wütend an. „Es gibt wichtigeres als eine dumme Show Leland! Dieser Mistkerl ist immer noch da draußen. Sie brauchen sich ja keine Sorgen zu machen. Ihnen hat er ja schon die Fähigkeiten gestohlen! Aber was rede ich hier eigentlich? Ihnen kann das ja egal sein, solange sie nicht im
Fadenkreuz stehen.“ Leland schüttelte den Kopf und seufzte. Von Ethans rauen Ton sah er sich unbeeindruckt. „Ich wünschte sie hätten ein wenig mehr Vertrauen Ethan. Denken sie wirklich, dass sie mit ihrem Job auf Dauer etwas erreichen? Heidenreich sitzt am längeren Hebel und solange dies der Fall ist, wird sich niemals etwas ändern. Snyder hingegen geht auf die Probleme ein. Er versucht wenigstens die Lage für Menschen wie John oder Albert zu ändern. Sie können über mich herziehen wie sie wollen. Dennoch ändert das nichts an unserer momentanen Situation. Wenn wir mehr
Leute auf die Sachlage aufmerksam machen, wird das auch den Unbekannten aus der Reserve locken. Haben sie schon einmal daran gedacht? Im Moment kann er nur so agieren, weil es nicht wirklich jemanden gibt, der ihm offen entgegen tritt. Finden sie nicht auch, dass wir diesen Umstand ändern sollten?“ Unschlüssig sah Ethan auf den Boden vor sich und zündete sich eine Zigarette an. Peterson stand einfach nur daneben und schwieg. Wilkins zeigte sich von den Worten Akermans wenig beeindruckt. „Sicher. Das Problem ist nur, dass sie den Kerl nicht aufhalten können. Sie
haben es selbst gesehen. Kugeln bringen rein gar nichts und selbst ich kann mit meinen Fähigkeiten nichts ausrichten. Wie auch immer.“ Er wandte sich von den dreien Ab und legte seinen Mantel über die Schulter. „Ziehen sie ruhig ihr Himmelfahrtskommando durch. Ich hänge an meinem Leben und werde sicher nicht dabei sein, wenn sie ihres wegwerfen.“ Er ging. Ein paar der U.F.P.I-Leute wollten ihn aufhalten, doch Leland deutete ihnen, Albert gewährend zu lassen. Ethan sah dem Blonden noch nach. Wilkins hatte Recht. Bis jetzt hatten sie nichts gegen den Unbekannten
ausrichten können. Selbst der D-Patient war gegen diesen Mann machtlos. Sie befanden sich in einer aussichtslosen Lage. Er brauchte unbedingt die Zusammenarbeit mit Snyder. Ansonsten sah es düster aus. „Albert hat Recht. Wir sind in einer schlechten Lage. Peterson? Kehren sie nach Willow Creek zurück. Kein Wort zu Heidenreich. Es ist besser, wenn wir das Ganze für uns behalten.“ Dirk nickte und brach ebenfalls auf. Ethan zog an seiner Zigarette und musterte Leland. „Sie haben Recht Leland. Snyder kann mehr bewirken als wir. Dennoch braucht die Anstalt seine Hilfe.
Heidenreich ist zu Blind um die Lage richtig zu deuten.“ Der Angesprochene nickte grinsend. „War das jemals anders? Wie dem auch sei. Kommen sie mit mir zur Sendung. Danach haben sie die Möglichkeit mit Patrick zu reden. Dennoch kann ich für nichts garantieren. Die U.F.P.I untersteht ihm und nicht mir. Ich kann mir gut vorstellen, dass er neben seinem Wahlkampf und der Sendung nicht auch noch Zeit findet sich um ihre Probleme zu kümmern. Hoffen ist jetzt das einzige, was sie tun können. Wie auch immer. Wir sehen uns dann. Ich lasse ihnen die Adresse zum Studio
aufschreiben.“ Damit setzte sich auch Leland in Bewegung. Ethan sah ihm nach und schüttelte seufzend den Kopf. Noch immer war es schwer für ihn zu glauben, dass dieser Mann mittlerweile für Snyder arbeitete. Wahrscheinlich hatte der die besseren Mittel, um Leute in seine Dienste zu locken. Ein Mann wie Akerman ließ sich leicht mit Geld locken. Dennoch hätte er niemals gedacht, dass es soweit ging. Wie konnte er einfach so die Anstalt verraten? Das war etwas, dass ihm nicht klar werden wollte. War er wirklich so kalt und interessierte sich nur für den eigenen Profit? Zuzutrauen
wäre es ihm ja. Allerdings brachte es nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Leland war die beste Möglichkeit, um mit Snyder in Kontakt zu kommen, auch wenn er sich nicht sicher war, wohin ihn dieser Weg führen würde. - „Ich dachte, dass sie sich mittlerweile auf den Auftritt vorbereitet hätte.“ Snyder stand neben Maria im Aufzug, der hinunter zum Trainingsraum fuhr. Kürzlich hatte ihn seine Assistentin davon in Kenntnis gesetzt, dass Naiomi noch keine Anstalten gemacht hatte, sich
für die bevorstehende Fernsehsendung fertig zu machen. Der Zeitplan war eng, aber das Mädchen hatte ihren eigenen Kopf. Das zeigte ihm wieder einmal diese Situation. Innerlich seufzte er. Da war es ein gutes, dass er selbst niemals Kinder in die Welt gesetzt hatte. „Seitdem sie die Schienen hat, hat sie den Trainingsraum nicht wieder verlassen. Sie ist schon seit Stunden dort unten Sir. Ich habe versucht mit ihr zu reden, aber nach meinem Tipp hat sie sich nicht mehr von den Übungen abbringen lassen.“ Fragend hob Snyder die Braue und strich sich sein Jackett zurecht.
„Übungen?“ Maria nickte. „Ja. Sie war offensichtlich der Ansicht, dass es nicht lange dauern würde, bis sie wieder laufen kann. Daher musste ich sie eines besseren belehren. Sie ist ziemlich energisch.“ Das stimmte wohl. So schritten die beiden aus dem Aufzug in Richtung des Trainingsraums. Naiomi lag auf dem Rücken inmitten des Raumes und streckte mithilfe der Metallmanipulation ihre Beine in die Höhe. Inzwischen war sie völlig durch geschwitzt und sah sehr erschöpft aus. Snyder nickte anerkennend. Als das Mädchen ihn
erblickte, hievte sie sich in eine sitzende Position und lächelte matt. „Hey. Mittlerweile bekomme ich ein Gefühl für das Ding. Ich hatte noch gar keine Möglichkeit mich dafür zu bedanken!“ Er erwiderte ihre Geste und lehnte sich an den Türrahmen. „Das freut mich sehr Naiomi. Allerdings fürchte ich, dass dein Training für den Moment warten muss. In ein paar Stunden beginnt dein Auftritt. Du hast es doch nicht vergessen oder?“ Schockiert griff sich die 17-Jährige an die Stirn. „Ach ja! Fuck! Das hab ich völlig verschwitzt! Sorry. Die Sache mit den
Schienen hat mich total abgelenkt.“ Irgendwie hatte er sich so etwas gedacht, aber solange sie nicht vollkommen vergaß, dass dies ein wichtiger Tag war, war alles in Ordnung. Immerhin würde heute Abend der Vorhang endlich fallen. Ein Mensch mit Parafähigkeiten würde sich der Öffentlichkeit zu erkennen geben. Man konnte nur spekulieren, wie das ausging. Jedoch hatte er Vertrauen in Naiomi und war sich sicher, dass sie ihre Sache gut machen würde. Er lächelte und machte einen Schritt auf sie zu, während Maria den Rollstuhl aus der Ecke holte und Naiomi hinein half. „Ist schon gut. Ich kann dich verstehen.
Immerhin ist das eine große Chance für dich. Dennoch, auch der heutige Abend wird dein Leben für immer verändern. Du hast jetzt die Möglichkeit den Menschen endlich zu zeigen, wer du wirklich bist.“ Sie nickte fröhlich und machte sich daran die Schienen ab zuschnallen. Das Mädchen wirkte nach dem ablegen sichtlich erleichtert. Es war sicher kein leichtes sich an diese Konstruktion zu gewöhnen, doch war sich Patrick sicher, dass sie lernen würde damit zurecht zu kommen. „Das weiß ich ja. Ich bin nur ziemlich aufgeregt. Denken sie wirklich, dass das gut
geht?“ Snyder nickte. „Da habe ich keinen Zweifel. Wenn du den Menschen zeigst, dass sie nichts zu befürchten haben, dann gehe ich davon aus, dass sich für die Menschen mit Parafähigkeiten endlich die Dinge ändern werden. Zum Positiven.“ Sie nickte abermals. Natürlich war es für das Mädchen nicht einfach. Das konnte er sich gut vorstellen. Sie hatte eine Menge durchgemacht. Da war es normal, dass sie sich vor einem solch wichtigen Ereignis fürchtete. Für ihn selbst war die Sendung ebenfalls sehr wichtig. Besonders die heutige Episode. Er konnte den Leuten da draußen endlich
die Wahrheit zeigen. Ein richtiger Beweis für seine Theorien war allemal mehr wert als die Bücher, die er dazu schrieb. Dabei war es unbestreitbar, dass sich danach vieles verändern würde. Auch für ihn. Die Leute würden damit aufhören, ihn als Spinner hinzustellen und sehen. Das würde sich generell positiv auswirken. So musterte er Naiomi, während Maria die Schienen nahm und schon einmal den Trainingsraum verließ. Snyder ließ den Blick auf Naiomi. Sie wirkte ein wenig unsicher. Vorsichtig kniete er neben dem Rollstuhl nieder und ergriff ihre Hand.
„Ich kann verstehen, dass du Angst hast, aber das ist unbegründet. Vergiss nicht: Ich bin bei dir und werde dich unterstützen, wann immer ich kann. Du selbst bist Herr deines Lebens und nicht die Anderen. Ich kann dir helfen. Du musst mich nur lassen. Das ist alles. Wenn du willst Naiomi, dann kannst du hier bei mir bleiben und mir helfen, den Menschen zu zeigen, dass sie dich und die Anderen die so sind wie du, nicht fürchten müssen.“ Perplex sah sie ihn an. „Aber das geht nicht. Ich habe ein Leben. Bei meinem Onkel. Ich gehe sogar zur
Schule!“ Er lächelte. „Natürlich. Das verstehe ich. Viele die so sind wie du, wünschen sich ein normales Leben. So zu sein wie alle anderen, aber manchen von ihnen wurde es leider durch ihre Begabung verwehrt. Sie leben im Schatten, aus Angst sie würden wegen dem was sie sind verurteilt werden. Ich verlange von dir nicht, dein Leben aufzugeben. Ich bitte dich einfach nur, mir zu helfen. Zeige mit mir zusammen, dass Menschen mit Parafähigkeiten ein Recht auf ein normales Leben haben, dies auch führen können und am wichtigsten: Dass sie ebenso Lebewesen wie alle anderen und
keine Monster sind!“ Er sprach wie gewöhnlich mit ruhiger Stimme. Während seiner Worte ließ er sie nicht los. Sein Blick hatte etwas väterliches. Ein wenig erinnerte er sie an Ethan. Auch er war stets um ihr Wohl bemüht. Zu gerne würde sie ihn wiedersehen. Für den Moment jedoch musste sie ihr Versprechen gegenüber Snyder einlösen. Nach dem Auftritt in der Show konnte sie sich endlich wieder ihren eigenen Angelegenheiten widmen. Das war etwas, worauf sie sich freute. Allerdings gab es viele Dinge, die sie noch nicht verstanden hatte. Jetzt war eigentlich der perfekte Augenblick um dies zu klären. So hob sie den Kopf und
musterte Patrick eindringlich. „Warum ist ihnen das eigentlich so wichtig? Warum helfen sie mir? Ich meine nur. Leute wie ich die könnten ihnen doch egal sein. Sie könnten schon Bürgermeister sein und irgendwelche stumpfsinnigen Gesetze erlassen. Warum die Zeit für mich und Menschen die so sind wie ich vergeuden?“ Er lächelte. Dann wurde sein Blick nachdenklich. Für eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden, ehe Snyder seine Stimme wiederfand. „Weißt du Naiomi. Ich mag zwar keine Fähigkeiten besitzen, aber ich weiß durchaus, wie du dich fühlen musst.“ Er griff in seine Tasche und holte seine
Geldbörse hervor. Daraus holte er ein Foto, welches ihn mit einem Mann zeigte, der beinahe aussah wie er. Überrascht sah sich Naiomi das Bild an. Sie schien jetzt überhaupt nichts mehr zu verstehen. Snyder seufzte. „Ich wuchs zusammen mit meinem Bruder Ramsay auf. Mein Zwilling. Ein lebhafter Junge. Für mich immer ein Vorbild, obwohl wir im gleichen Alter waren. Du weißt sicher schon, worauf ich hinaus will: Auch er besaß eine Fähigkeit. Am Anfang hat er versucht es zu verbergen. Vor meinen Eltern, und vor mir. Allerdings wusste ich immer, wenn mit ihm etwas nicht stimmt. Du kannst dir also vorstellen, dass es zu
einem Gespräch kam in dem er mir das erste mal von seiner Gabe erzählte. Ich wollte ihm erst nicht glauben und hielt ihn für einen Lügner.“ Er machte eine Pause und erhob sich. Naiomi hing förmlich an seinen Lippen. Von einem Bruder hatte sie bisher nie gehört. Ramsay war von ihm oder den Anderen nie erwähnt worden. Wahrscheinlich aus einem bestimmten Grund. Erst traute sie sich nicht, die Frage zu stellen, die ihr auf den Lippen brannte, doch dann siegte die Neugier. „Was konnte ihr Bruder?“ Wieder dieses seltsame Schweigen. Jetzt war sicher, dass es sich hierbei um ein sensibles Thema handelte. Es schien
Snyder Überwindung zu kosten seine Gedanken auszusprechen. „Er konnte die Fähigkeiten von Anderen übernehmen und sie anschließend nutzen, als wären es seine Anderen. Das erste Mal zeigte er es mir, als er die Fähigkeit eines alten Mannes stahl, der sich blitzschnell bewegen konnte. Ich war überwältigt davon, aber gleichzeitig fürchtete ich mich auch sehr davor. Mein Bruder konnte etwas, das mit logischen Worten nicht zu erklären war. Besonders für mich. Ich war Sieben und hatte große Angst davor. Natürlich erzählte ich meinen Eltern davon, die mir nicht glaubten. Sie dachten ich würde um Aufmerksamkeit buhlen.
Ramsay war wütend, weil ich ihn verraten habe. In der Schule habe ich es meinen Freunden erzählt sie zogen ihn damit auf und hänselten ihn. Er hasste mich dafür. Schließlich wandten sich die Lehrer wegen Ramsays Verhalten an unsere Eltern. Sie steckten ihn in eine Erziehungsanstalt, wo er bis zu seinem 18. Lebensjahr lebte. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen.“ Naiomi zitterte am ganzen Körper. Was ihr Snyder gerade erzählt hatte konnte unmöglich wahr sein. Vollkommen überfordert starrte das Mädchen auf den Boden vor sich. Nun begriff sie langsam, warum er diesen Weg gewählt hatte. Es ging ihm auch um seinen
Bruder. Ramsay. Dennoch gab es bei dieser ganzen Schilderung einen Aspekt, der sich unmöglich verschleiern lies: „Ihr Bruder. Er ist es oder? Der Fremde der Lelands Fähigkeiten stiehlt und auch die der Anderen gestohlen hat, die Fähigkeiten besitzen!“ Snyder nickte langsam. „Das ist meine Vermutung. Deshalb habe ich auch die U.F.P.I gegründet. Ramsay ist da draußen. Und nun ist er ganz nah. Es tut mir leid, dass ich dir nicht früher davon erzählt habe. Ich wusste nicht, wie du es aufnimmst. Du bist die einzige, die davon weiß, und zwar weil ich dir vertraue Naiomi. Ich konnte meinen Bruder nicht retten, aber es gibt
andere, denen ich helfen kann. Deshalb brauche ich deine Hilfe. Damit ich der Welt zeigen kann, dass ihr nicht alle Monster seid.“ - „Er hat deine Augen Tara.“ Inzwischen war es Abend geworden. Lächelnd saß John am Krankenbett seiner Freundin und hielt das kleine Leben in seinen Händen. Robert hatte schwarze Haare, genau wie seine Eltern. Nur die Augen, die waren eindeutig von ihr. Croft war froh, dass alles gut gegangen und das Baby gesund auf die Welt gekommen war. Tara lächelte
ebenfalls, auch wenn sie vollkommen erschöpft war. Nach der Rettung durch die U.F.P.I waren beide im Krankenhaus untergekommen, wo man sich sofort um sie gekümmert hatte. Leland hatte sogar zwei Männer abgestellt, die vor dem Zimmer Wache hielten. John war sich sicher, dass ihnen nun nichts mehr passieren konnte. Schade war es dabei nur, dass Albert nirgends zu finden war. Wahrscheinlich hatte er sich nach der Situation in den Tunneln komplett zurück gezogen. Verübeln konnte er es ihm allerdings nicht. Immerhin war er mehrmals knapp dem Tod entronnen. Irgendwann hatte jeder genug. John hoffte nur, dass er irgendwann einen
Weg aus seiner Bitterkeit finden würde. Wahrscheinlich erinnerte ihn das Ganze einfach zu sehr an sich und seine Frau Eva, die damals zusammen mit ihrem Baby bei diesem Unfall ums Leben gekommen war. Er konnte sich gar nicht vorstellen wie es sein musste, die eigene Frau und das ungeborene Kind zu verlieren. Das wollte er auch nicht. Für ihn war es anders gekommen. Er würde seinen Sohn aufwachsen sehen. Eine Familie haben. Das war etwas schönes. Etwas, dass man ihm niemals nehmen konnte. „Jetzt wird alles gut Tara. Daran glaube ich. Wenn es dir wieder besser geht, dann werden wir die Stadt verlassen und
irgendwo von vorne anfangen, damit Robert wohl behütet aufwachsen kann.“ Sie nickte. Das war wichtig. Hauptsache ihrem Sohn ging es gut. Die gute Stimmung wurde jedoch jäh unterbrochen, als plötzlich die Scheiben des Krankenzimmers zersprangen und jemand hindurch ins Zimmer kam. Einen Moment verharrte John in seiner Position, ehe er die Person begutachtete. Tuch und Mütze verbargen das Gesicht. Der Rest war unter einem langen Mantel verborgen. Genau die Person die Albert ihm geschildert hatte, stand jetzt hier und erhob sich langsam, bevor sie sich die Scherben vom Mantel klopfte. Durch den
Lärm wurden auch die beiden U.F.P.I-Leute alarmiert, die nun in das Zimmer kamen. Als sie den Fremden erblickten zog der erste seine Waffe, doch der Angreifer stürmte nach vorne, schlug mit dem Handballen gegen das Kinn des Mannes. Sein Griff um die Waffe löste sich, bevor er zu Boden ging. Die Pistole fing der Fremde geschickt auf und erschoss damit den zweiten U.F.P.I-Mann, bevor er auch dem ersten das Licht auspustete. John schnellte nach vorn und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Klappernd ging sie zu Boden. Mittlerweile hatte er seine Faust dem Metall der Bettstange angepasst und holte zum Schlag aus,
doch der Angreifer blockte mit Leichtigkeit, ehe er ebenfalls ausholte und mit brachialer Gewalt seine Hand durch den Oberkörper Crofts bohrte. Tara umklammerte den kleinen Robert und schrie vor Angst auf, während ihr Mann leblos zu Boden ging. Alles ging so schnell. Mit einem Griff hatte der Fremde die Pistole vom Boden aufgehoben und das Kind der Mutter entrissen, bevor er mit der Waffe auf sie zielte. Die junge Frau weinte bitterlich. Einen Moment noch hielt der Fremde inne, ehe er die Pistole senkte und einfach mit dem Baby aus dem Fenster in die Nacht verschwand...
„Ein jeder von Ihnen hat sich in seinem Leben sicher schon einmal gefragt: 'Was ist eigentlich der Sinn meines Seins? Warum tue ich das was ich tue?' Sicher. Es gab schon viele Diskussionen über die Evolution und die wahre Bedeutung hinter der Rolle unserer Art auf dieser Welt. Über die Jahrhunderte hinweg ist die Suche nach Antworten auf diese Fragen zurück zu verfolgen. Menschen die nach einem Sinn für sich suchen. Das spiegelt sich in vielerlei Dingen wieder. Nehmen wir zum Beispiel einen Priester, der seine Berufung darin gefunden hat Gott und
der Kirche zu dienen. Damals verschrieb ein Geistlicher beinahe sein ganzes Leben der Religion und ihren Bräuchen. Viele von ihnen suchten dabei verzweifelt nach einem Sinn hinter allem. Einem Grund für ihre Existenz. Nicht nur in der Religion finden wir so etwas. Auch in der heutigen Zeit. Liebe Zuschauer. Sicher befinden sich auch unter ihnen Leute, die sich fragen: 'Warum bin ich hier? Was ist der Sinn meines Lebens', oder 'Warum hab ich mich von meiner Frau dazu überreden lassen hierher zu kommen?'“ Das Publikum brach in Gelächter aus, das durch das gesamte Studio hallte. Snyder saß ruhig auf seinem Sessel. Auf
dem Tisch stand ein Glas Wasser und ein Aschenbecher, in dem eine Zigarre lag. Wie immer waren viele Menschen gekommen, um seinen Worten am heutigen Abend zu lauschen. Bei manchen von ihnen ruhte sogar sein Buch in den Händen. Dies waren jene, die ebenfalls nach Antworten suchten, und er war heute in der Lage ihnen zumindest ein wenig die Augen zu öffnen. So hob er langsam die Hand, womit sich die Leute vor ihm allmählich wieder beruhigten. Dankbar nickte der Showmaster und nahm einen Schluck aus seinem Glas, ehe er fortfuhr. „Nun, wenn man wirklich an Dinge wie Religion glaubt, dann hat Gott uns alle
aus einem Gewissen Grund geschaffen. Jeder von uns hat eine Aufgabe. Natürlich gibt es auch Jene, die dies in Frage stellen. Menschen, die sich nicht sicher sind, warum der Herr sie überhaupt erschaffen hat. Jene, die besondere Gaben besitzen. Ich habe im Vorfeld der heutigen Sendung schon oft mit Ihnen darüber gesprochen und jene die mich aufmerksam verfolgen, wissen wovon ich spreche: Menschen mit Parafähigkeiten. Natürlich stellen sich jetzt manche von ihnen die Frage, was es damit überhaupt auf sich hat. Viele von ihnen glauben gar nicht daran. Dennoch sage ich: Diese Menschen existieren in unserer Mitte. Ungesehen.
Schon seit Jahrhunderten. Auch sie sind Lebewesen, die einen Sinn suchen. Wenn es einen Gott gibt, warum erschafft er Leute, die anders sind? Das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich habe mich lange mit dem Thema beschäftigt. In Vergangenheit gab es viele, die solche Gaben besaßen und nein: Jesus war keiner von ihnen, auch wenn man das vielleicht glauben möchte.“ Er nutzte die erneute Pause, um an seiner Zigarre zu ziehen. Inzwischen hingen die Leute an seinen Lippen. Natürlich waren viele neugierig. Immerhin hatte er ihnen heute eine große Enthüllung versprochen. Etwas, das sie mit eigenen Augen sehen und
berühren konnten. Deshalb war seine Show am heutigen Abend auch vollkommen ausverkauft. Teilweise stand man sogar im Gang. Es war erfreulich zu sehen, wie viele Menschen sich für dieses Thema interessieren und er würde sie nicht enttäuschen. „Personen wie Charles Darwin, oder Aristoteles waren die Vorreiter solcher Menschen. Manche von ihnen nutzten ihre Fähigkeiten um andere zu leiten. Andere nutzten sie, um die Welt an sich zu bereichern. Natürlich gibt es auch negative Aspekte. Personen deren Kräfte so ausgeprägt waren, dass man sich vor ihnen fürchtete, obwohl diese keine böswilligen Absichten verfolgten. Jeanne
d'Arc ist ein solches Beispiel. Ich kann noch weiter gehen. Es gibt sogar historische Ereignisse die als Deckmantel benutzt wurden, um solche Menschen gezielt zu verfolgen. Hexenverbrennungen, Hetzjagden gegen angebliche Minderheiten oder sogar Kriege. Es war schon immer so, dass Menschen das was sie nicht verstehen konnten, fürchteten. Dabei bestand meist kein Grund dazu. Ich sage, wir haben kein Recht uns anzumaßen zu entscheiden, dass eine solche Existenz widerrechtlich ist. Auch heute leben Menschen mit Parafähigkeiten unter uns. Sie sind Leute wie sie und ich. Sie zahlen ihre Steuern, ernähren ihre
Familien und leben vielleicht als ihre Nachbarn oder Freunde. Sie sind wie wir. Sie versuchen einfach nur ihren Weg in dieser Gesellschaft zu finden. Natürlich mag sich der ein oder andere von ihnen nun seine Gedanken machen, aber wenn solche Leute wirklich bösartig wären, warum haben sie dann bis jetzt nichts solches getan?“ Snyder stand auf und begann am Rand der Bühne auf und ab zu schreiten. Zwischen den Fingern ruhte die Chobia, von der kleine Rauchwölkchen ausgingen. Sein Blick glitt über das Publikum. Manche wirkten neugierig. Andere nachdenklich. Seine Worte lösten genau das aus, was er wollte.
Wenn es darum ging eine bestimmte Rede zu halten, dann war er bis jetzt immer erfolgreich gewesen. „Sie versuchen einfach nur zu Leben. Ich versuchte bis jetzt immer, diesen Menschen zu helfen. Manche die von sich behaupten, Gaben zu besitzen lud ich sogar ein. Die meisten von ihnen nutzten jedoch nur das Ansehen und besaßen sonst nichts außergewöhnliches. Vor ein paar Wochen präsentierte ich ihnen eine Aufnahme. Kramen sie in ihren Gedanken. Es war ein Mädchen das dazu in der Lage ist, Metall zu manipulieren und das nach ihren Wünschen. Jemand der so alt ist wie ihre
Tochter, oder Schwester. Ein ganz normaler Teenager, der einfach nur den Wunsch hegt, ein normales Leben zu führen. Sie ist heute Abend hier, um ihre Geschichte zu erzählen und um ihnen zu zeigen, dass sie sich nicht fürchten müssen. Meine Damen und Herren: Ich präsentiere ihnen Naiomi Winchester!“ Ethan sah perplex auf die Bühne. Er stand im Gang und hatte die ganze Zeit aufmerksam den Worten Snyders gelauscht. Neben ihm war Leland, der ihn zur Sendung begleitet hatte. Ungläubig sah er, wie Naiomi langsam mit dem Rollstuhl auf die Bühne fuhr und
neben dem Tisch an Snyders Seite Platz nahm. Er hatte sie lange nicht gesehen. Sie trug ein schwarzes Kleid. Das Haar hatte sie zu einem Zopf hoch gesteckt. Sie hatte sich sogar schminken lassen. Alles, um hier und heute vor diesen Leuten zu sprechen. Akerman hatte wirklich nicht gelogen, als er sagte dass es interessant werden würde. Das hier war allerdings ein Schlag in s Gesicht. „Wie lange ist sie schon hier Leland?“ Der Angesprochene dachte einen Moment lang nach, ehe er den Blick auf die Bühne richtete. Vom scharfen Ton seines Kollegen ließ er sich nicht einschüchtern. „Mittlerweile dürfte es bald ein Monat
sein.“ Fassungslos starrte Ethan ihn an. „Und da hielten sie es nicht für nötig mir Bescheid zu sagen Leland? Was hat sie denn die ganze Zeit gemacht? Haben sie überhaupt eine Ahnung davon, in welcher Gefahr sie sich befindet? Dieser Unbekannte streift da draußen herum und da fällt ihnen nichts besseres ein als ein junges Mädchen in die Stadt zu bringen?“ Wie üblich blieb Akerman ruhig und legte dem Arzt eine Hand auf die Schulter. „Es ist alles in Ordnung Ethan. Wie sie sehen, ist das Mädchen putzmunter. Also schrauben sie ihren Blutdruck
wieder runter. Sie war die ganze Zeit in Snyders Obhut. Niemand hätte es geschafft, sie zu überfallen. Außerdem hat sie sich freiwillig dazu entschieden hier zu sein. Sie sollten diesen Mut bewundern.“ Er grinste süffisant. Am liebsten hätte Rain ihm eine verpasst. Akerman tat wirklich sein bestes, damit andere ihn hassten. Nicht nur dass er jetzt für die U.F.P.I arbeitete. Nein, er brachte sogar Naiomi Winchester hierher, ohne an die möglichen Folgen zu denken. Er war wie ein Kind, das mit einem Brennglas über einer Kolonie von Ameisen hockte. Widerlich. Dennoch war es für den Augenblick besser, wenn er seinen Zorn
senkte. Im Studio war es wieder ruhiger geworden. Angespannt warteten die Leute darauf, was dieses Mädchen ihnen zu erzählen hatte. Sie wirkte nervös. Kein Wunder. Nicht nur das Studio, sondern Menschen im ganzen Land sahen sie jetzt Live und warteten auf ihre Worte. Ethan wollte sich gar nicht ausmalen, was für ein Druck auf ihren Schultern lastete. So sah er abwartend zur Bühne. Man hatte ihr ein Glas Wasser hingestellt, aus welchem sie einen hastigen Schluck nahm. Ihre Hände zitterten. Snyder bedachte sie mit einem warmen Lächeln. Das schien sie zumindest ein wenig zu beruhigen. „Nun. Naiomi. Das erste Mal hörten
meine Zuschauer durch ein Video von dir. Dort präsentiertest du sehr ausdrucksvoll deine Gaben. Was für uns jetzt zum Beispiel wichtig ist, wäre zu wissen: Wie lebst du damit? Wann hast du das erste mal bemerkt, dass du diese Kraft besitzt?“ Unsicher sah die 17-Jährige auf den Tisch vor sich. Sie schluckte, ehe sie zu sprechen begann. „Ich weiß nicht mehr so genau. Ich war noch ganz jung. Zwölf, glaube ich.“ Es war ihr unangenehm. Das war dem Mädchen deutlich anzusehen. Sie war nicht der Typ, der gerne vor einer solchen Masse an Leuten sprach. Dennoch sagte keiner der Zuschauer
etwas. Die ganze Welt schaute auf Sie und lauschte dem, was sie zu erzählen hatte. „Und was hast du da getan?“, wollte Snyder wissen. „Einen Löffel verbogen. Ich weiß gar nicht mehr warum. Jedenfalls hab ich es sofort meiner Mum gezeigt. Wir lebten damals alleine. Sie war davon allerdings nicht so erfreut. Klar. Am Anfang hat sie immer gesagt, dass sie mir hilft. Ich glaubte ihr und ging davon aus, dass wir gemeinsam eine Lösung fänden. Im geheimen versuchte ich meine Kraft kennen zu lernen. Ich meine, ich konnte Metall verbiegen. Und damit meine ich jetzt nicht so nen billigen Kram wie bei
Uri Geller oder so. Ich konnte viel mehr. Alles was aus Metall ist, kann ich manipulieren. Ich mein, Fuck ich kann es sogar in seine beschissenen Bestandteile auflösen wenn ich will. Ähm...darf man Fuck im Fernsehen eigentlich sagen?“ Unschuldig nahm sie einen Schluck Wasser. Das Publikum lachte über diese naive junge Art. Wahrscheinlich hatte Snyder ihr vorgeschlagen, dass sie die Stimmung mit einem Witz lockern sollte. Auch Ethan musste Grinsen. Es tat gut sie wieder zu sehen, aber er konnte sagen, dass sich etwas an ihr verändert hatte. Ein Gespräch mit ihr würde sicher genauere Eindrücke vermitteln.
„Ist schon gut Naiomi. Lass deinen Gefühlen ruhig freien Lauf. Also, du hast diese Gabe für dich entdeckt. Deine Mutter, wie hat sie weiter darauf reagiert?“ Das Mädchen senkte den Blick. „Nun. Ich habe natürlich geglaubt was sie sagte. Allerdings musste ich sehr schnell feststellen, dass sie nur auf sich selbst achtet. Sie lernte einen neuen Typen kennen und ehe man sich versah, hatte sie auch schon den Braten in der Röhre. Mit anderen Worten: Für mich war da kein Platz mehr. Meine Mutter brachte mich in eine spezielle Anstalt, wo Leute wie ich behandelt wurden. Das
war wohl ihre beste Art zu sagen, dass ich ihr eine Last bin.“ Im Publikum murmelte man. Manche drückten sogar ihr Bedauern aus. Nahmen Anteil an Naiomis Schicksal. Ethan wusste, dass sie es nie leicht hatte. Dies war das erste Mal, dass sie so offen darüber sprach. Man konnte ihr ansehen, dass es ihr nicht leicht fiel. Sie hatte in ihrem Leben immer kämpfen müssen. Egal in was für einer Situation. Andere Leute konnten sich wirklich glücklich schätzen, dass sie nicht dasselbe durchmachen mussten. „Und diese Anstalt. Hat sie dir geholfen? Wie sieht dein Leben jetzt aus Naiomi?“ Sie überlegte einen
Moment. „Nun. Keine Ahnung. Am Anfang war es echt schwer für mich. Ich meine: Das war alles neu. Ich hatte große Angst, aber das erste Mal war ich unter Menschen die so waren wie ich. Die auch Kräfte besaßen. Über zwei Jahre war ich dort, bis mir ein Arzt und guter Freund half. Er gab mir die Möglichkeit auf das, was ich eigentlich schon immer wollte: Ein ganz normales Leben. Heute lebe ich bei meinem Onkel in Wisconsin und gehe zur Schule, wie jeder andere auch. Ich hab Freunde in meinem Alter und mache eben diesen typischen Mädelskram: Ich gehe mit Jungs aus, trinke Alkohol und lass die Sau raus.
Ohne diesen Menschen hätte ich das wohl nie geschafft. Und deshalb möchte ich jetzt gerade einfach nur sagen: Falls du mir vor der Glotze gerade zusiehst Ethan: Danke.“ Applaus ging durch die Zuschauer. Der Arzt lächelte. Eine Träne rollte ihm über das Gesicht. Neben ihm stand Leland, der gerade ein Telefonat beendete. Er schien überhaupt nicht erfreut. Im Gegenteil: Seine Züge waren kreidebleich geworden. Ethan musterte ihn fragend. „Was ist los Leland?“ „Das war das Krankenhaus. Ich hatte zum Schutz von Tara und John, sowie dem Baby zwei Männer abgestellt, um sie
zu überwachen. Gerade rief mich einer unserer Leute an, den ich bat mich zu informieren, falls dort irgendetwas schief gehen sollte.“ Seine Stimme zitterte und Ethan wusste, dass ihm die Nachricht die jetzt kam, nicht gefallen würde. „Das Baby wurde entführt. Ein Unbekannter brach durch das Fenster in das Zimmer ein und nahm den Säugling mit. Ethan. John ist tot!“ - „Wissen sie was ich mich im Augenblick frage Peterson? Wieso sind sie der einzige, der gerade hier ist und mir nicht
sagen will, was heute Abend eigentlich los ist?“ Heidenreich sah stumm auf den Fernseher und verfolgte Patrick Snyders Sendung. Sie schien überhaupt nicht erfreut über diese Bilder zu sein. Dirk saß im Stuhl und fühlte sich nicht gerade wohl dabei, alleine dem Zorn seiner Chefin ausgeliefert zu sein. Ethan hatte das äußerst geschickt eingefädelt. Das musste er ihm lassen. Er zog draußen umher, während er den ganzen Mist ausbaden musste. Und so etwas nannte sich dann Kollegialität. Ein Seufzer entkam seiner Kehle, während er die Hand an die Stirn legte. „Nun. Ich kann ihnen auch nicht viel
sagen Ma'am. Rain und ich gingen einer Spur nach. Es ging um John Croft und seine Frau. Sie wurden wohl vom Unbekannten in dem Kanal-“ „Das meine ich nicht! Wieso zum Geier hat Patrick Snyder Naiomi Winchester? Dieses Mädchen könnte der gesamten Welt alles über uns erzählen! Haben sie mal an die Folgen gedacht und welche Auswirkung das auf die Bevölkerung haben könnte?!“ Ihr Pudel wurde hellhörig, als seine Herrin die Stimme erhob und fixierte Peterson knurrend. Nach einer Streicheleinheit kehrte er jedoch in sein Körbchen zurück und beobachtete die Situation einfach nur. Roberta ließ sich
in ihrem Stuhl nieder und faltete die Hände ineinander, während sie nach den richtigen Worten suchte. Dabei ließ sie Peterson nicht aus den Augen. „Ich weiß, dass weder Sie, noch Rain meine Methoden gutheißen. Ich habe diesen Job auch nicht angenommen, um Freundschaften zu schließen. Sie mögen zwar schon eine weile hier sein Peterson, aber sie sind immer noch ein Neuzugang. Sie können nicht verstehen, welches Ausmaß an Folgen ihre Taten haben kann.“ Damit zündete sie sich eine ihrer Zigaretten mit Plastikhalter an und deutete auf den Fernseher, wo noch immer Naiomi vor dem Publikum sprach.
„Dieses Mädchen. Sie sollte ursprünglich von Mr. Rain wieder in die Anstalt zurückgebracht werden, nachdem sie zusammen mit ein paar anderen Patienten ausgebrochen war. Stattdessen wurde ich übergangen. Man hörte nicht auf mich. Ihr Kollege hat ein gutes Herz, das will ich nicht abstreiten. Dennoch ist er nicht in der Lage zu wissen, wann man lieber die Füße still hält. Hier sehen sie die Folgen seines Handels. Das Mädchen sitzt jetzt da und plaudert fröhlich über ihre Geschichte. Nicht nur das. Sie hat sogar Rain bereits erwähnt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auf die
Anstalt zu sprechen kommt. Wissen sie was das bedeutet?“ Dirk schüttelte den Kopf. Heidenreich lächelte matt. „Das dachte ich mir. Lassen sie mich ihnen helfen Peterson. Die Leute werden natürlich neugierig. Früher oder später wird man sich einmischen, obwohl man nichts von diesem Ort versteht. Die Patienten sind dadurch gefährdet. Verstehen sie? Nicht jeder ist ein Samariter. Der größte Beweggrund für die Taten eines Menschen ist noch immer seine Angst. Wie würden sie reagieren, wenn sie wüssten, dass zum Beispiel ihr Nachbar, ein guter Freund, ein Mensch mit Parafähigkeiten ist?
Stellen sie sich vor sie hätten Familie. Dieser Mann käme täglich in ihr Haus. Würden sie ruhig bleiben?“ Er strich sich über den Kopf. „Nun. Wäre er mein Freund, dann wüsste ich davon. Das ist so unter Freunden Ma'am. Man vertraut einander. Sie können nicht für alles Ethan die Schuld geben. Sie wissen genau, was für ein Mensch er ist. Er würde niemals zulassen, dass jemand leidet, wenn er etwas daran ändern könnte.“ Sie blies ihm einen Schwall von Zigarettenqualm entgegen, ehe sie den Kopf schüttelte. „Es ist schade, dass sie so denken. Miss Foster war immer sehr angetan von
ihnen. Sie hat immer in höchsten Tönen von ihnen gesprochen. Es ist bedauerlich, dass sie nicht mehr hier ist. Sie hätte mir sicher beigepflichtet.“ Das genügte ihm. Ohne es zu wollen, war er aufgestanden und sah sie ernst an. „Sie haben kein Recht das zu sagen! Sie kannten Ellie nie wirklich! Wenn dem so wäre, dann wüssten sie, dass diese Arbeit sie kaputt gemacht hat! Sie war schon immer ein Mensch dem Treue wichtiger als alles andere war, auch wenn es gegen die eigenen Prinzipien stand. Dieser Ort war wie Gift für sie. Sie haben davon natürlich keine Ahnung! Sie sitzen tagtäglich hinter
ihrem Schreibtisch und kommandieren uns wie Schachfiguren. Dabei haben sie keine Ahnung wie es uns geht. Sie geben sich nicht einmal Mühe. Dwight Hickins zum Beispiel? Was meinen sie warum er seinen Job hin geschmissen hat? Er war es müde, sein Leben für eine Sache hinzuwerfen, von der er nicht wirklich wusste ob sie es wert war. Ethan ist am Ende seit Katherinas Tod. Sie hingegen tun einfach so, als wäre nichts von dem präsent. Ethan hatte schon immer Recht: Ihnen liegt nichts an diesen Menschen. Für sie zählt nur ihr eigenes Ansehen und die Vorteile, die sie aus diesem Job ziehen
können.“ Das war das erste Mal, dass er so offen über all das sprach. Sein Frust saß zu tief, als dass er ihn weiter unterdrücken könnte. Er und die Anderen hatten in den letzten Monaten genug gelitten. Er, Ethan, Eileen, oder auch Dwight. Nie hatten sie wirklich ausgesprochen, was ihnen im Kopf herumschwirrte, doch irgendwann war es genug. So musterte er seine Vorgesetzte, die sich langsam vom Stuhl erhob und zum Fenster schritt, wo sie die Hände auf das Sims legte und hinaus in die Nacht blickte. Eine Weile war nur der Fernseher zu hören. Schließlich durchbrach sie die
Stille. „Es kommt für jeden der Augenblick im Leben, an dem er Opfer bringen muss. Manchmal sind diese schwierig. Ich kann mich in diesem Beruf nicht von persönlichen Gefühlen leiten lassen. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen, genau wie sie Peterson. Also versuchen sie nicht, mich zu diffamieren, nur weil sie vielleicht nicht all meine Beweggründe verstehen.“ Sie sprach ruhig und gelassen, während sie die Hände hinter den Rücken legte. Sie sah ihn nicht an, aber er wusste genau, dass sie wütend war. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass sie sich nichts von seinen Vorwürfen annahm.
Das hier hatte keinen Sinn. Heidenreich würde einen Fehler ihrerseits nicht zugeben, sondern mit allen Mitteln versuchen ihre Souveränität zu wahren. So hielt er inne, als plötzlich ihr Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. Schnurstracks schritt sie zum Hörer. „Heidenreich? Ah. Mr Rain. Ich hatte mich schon gefragt, wo sie sich herumtreiben. Haben sie heute Abend schon Fern gesehen?“ Peterson lauschte und versuchte ein paar Fetzen des Ganzen auf zuschnappen. Das einzige, was er hörte war Ethans aufgeregte Stimme am anderen Ende der Leitung. Seine Vorgesetzte lauschte ruhig und bestimmt,
während sie ab und an in sich hinein nickte. „Hierbei lasse ich außer Acht, dass sie sich meiner Order widersetzt und John Croft nicht in die Anstalt gebracht haben. Wissen sie schon ob der Unbekannte etwas damit zu tun hat?“ Dirk ließ sich wieder im Stuhl nieder und legte die Hände auf die Oberschenkel. Hatte es einen Vorfall gegeben? Heidenreich wirkte nicht erfreut über das, was auch immer Ethan ihr gerade am Telefon mitteilte. Teilweise biss sie sich auf die Unterlippe, um ihren Ärger zu unterdrücken. Zeit zu Antworten blieb ihr keine, denn weniger Sekunden später
fiel der Raum plötzlich komplett ins Dunkel. Der Strom war ausgefallen. Verwirrt erhob Peterson sich wieder, während die ältere Frau den Hörer auflegte. „Das Gespräch ist weg. Wahrscheinlich ist etwas mit dem Generator nicht in Ordnung. Peterson? Sie gehen zum Technischen Personal und nehmen ein paar Leute mit in den Keller um das zu überprüfen. Der Notstrom dürfte sich gleich anschalten.“ Er nickte knapp und war schon beinahe bei der Tür, als er sich noch einmal zu ihr umwandte. „Worum ging es am Telefon? Steckt
Ethan in Schwierigkeiten?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Es geht um John Croft. Seine Frau hat ihr gemeinsames Kind auf die Welt gebracht. Ein Angreifer brach ins Zimmer ein, tötete ihn und nahm das Baby mit sich. Nur die Frau hat überlebt. Anscheinend handelt es sich jedoch nicht um den Unbekannten, wie mir Rain schilderte, sondern um jemand anderen, von dem wir bis jetzt nichts wissen.“ Das waren keine guten Nachrichten. Als hätten sie nicht schon mit dem Unbekannten genug zu tun. Ein zweiter Angreifer hatte hierbei seine Finger im Spiel. Aber warum entführte er das
Kind? Was hatte er von einem Neugeborenen? Peterson runzelte die Stirn. Im Augenblick konnte er sich nicht darum kümmern. Hier gab es wichtigere Dinge zu tun. „Hätte der Notstromgenerator sich nicht längst einschalten müssen? Was ist mit den Trakten? Wenn wir keinen Strom haben, können die Patienten dann nicht hier herum spazieren, wie es ihnen beliebt?“ Fragend musterte er seine Chefin, die angestrengt aus dem Fenster sah und versuchte etwas zu erkennen. Vom Flur aus konnte Dirk die aufkommende Unruhe der Anderen Mitarbeiter hören. „Zum Glück haben wir seit dem letzten
Vorfall dagegen interveniert und einen Generator im Keller der Anstalt aufgestellt, der vollkommen unabhängig Strom produziert. Seien sie also unbesorgt. Die Trakte sind weiterhin abgeriegelt. Trotzdem gefällt mir das nicht.“ Sie ging zu einem der großen Schränke die an der Wand standen und holte von dort zwei Funkgeräte , so wie einen größeren Plan hervor. „Damit bleiben wir in Verbindung. Wenn sie sich im Keller verirren, dann kann ich sie lotsen wenn es notwendig ist. Gehen sie zuerst zum Büro des technischen Personals. Nehmen sie Ed mit. Der kennt sich da unten auch ganz
gut aus.“ Peterson nickte und verließ das Büro. Besser war es, wenn er hier keine Zeit verlor. Auf dem Flur lief man bereits mit Taschenlampen herum und versuchte ein Bild über die Situation zu bekommen. Einer der Wachleute kam zielstrebig auf ihn zu. „Sir. Der Strom ist ausgefallen. Hat Heidenreich eine spezielle Order gegeben?“ „Ja. Kommen Sie mit! Wir müssen Ed vom technischen Büro finden. Der Notstromgenerator im Keller muss eingeschaltet werden.“ Der angesprochene Wärter nickte und
reichte ihm ebenfalls eine Taschenlampe. Dirk leuchtete durch den Korridor. Die Verwirrung stand den meisten Mitarbeitern ins Gesicht geschrieben. Ein paar von ihnen tuschelten miteinander und tauschten besorgte Blicke aus. Eine junge Frau kam auf die Männer zu. „Was ist mit den Trakten? Ohne Strom können die Patienten-“ Dirk hob sofort die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Das letzte was er hier brauchte war jemand, der eine Panik auslöste. Dennoch war es ihm ein wenig unangenehm, dass er mit einem Mal so viel Aufmerksamkeit auf sich zog.
„Keine Angst. Die Trakte, sowie das Sicherheitsbüro werden speziell mit Strom versorgt und sind von diesem Ausfall nicht betroffen. Bewahren sie Ruhe. Noch wissen wir nicht, was es hiermit auf sich hat. Ich werde mit ein paar Leuten in den Keller gehen und den Strom wieder einschalten.“ Sie nickte und strich sich nervös eine Haarsträhne hinter die Brille. „Ich komme mit. Vielleicht brauchen sie da unten Hilfe.“ „Gut, aber sein sie vorsichtig. Ich bin übrigens Peterson!“ Sie lächelte ihm und dem Wachmann zur Begrüßung zu, bevor die drei sich auf
den Weg machten. Dirk kannte die junge Frau flüchtig. Sie hieß Rita, soweit er wusste. Eine Bürodame die Gladis unterstützen sollte. Der Wachmann war Arnold, der immer Spätdienst schob. Er traf ihn ab und zu unten in der Eingangshalle am Automaten. Sie waren beide freundliche Zeitgenossen. Das entspannte die Lage gleich etwas. Peterson zwang sie zur Eile. Das Büro des technischen Personals befand sich im ersten Stock. Allerdings befand sich hier nur ein junger Spund, der gerade einen Kaffee schlürfte. „Wo ist Ed?“ Der Junge kratzte sich am Hinterkopf. „Der ist direkt in den Keller als der
Notstrom nicht angesprungen ist. Hat was von technischen Mängeln gefaselt und war dann verschwunden.“ Sah dem alten Mann eigentlich ähnlich. Ed war kein Kerl, der auf dem Hosenboden sitzen blieb wenn die Situation ernst wurde. Solche Mitarbeiter waren schwer zu finden. Sie nahmen die Dinge in die Hand, wenn es brenzlig wurde. Ähnlich wie Ethan und Er, nur in einem anderen Metier. So schritt er mit Arnold und Rita die Stufen zum Erdgeschoss hinab, als der Wachmann plötzlich stehen blieb, da sich jemand über Funk meldete. „Griffs? Sir? Hören sie mich? Hier ist
Mitch vom Außengelände. Sie wollten doch, dass ich mich melde wenn hier etwas komisch ist!“ „Genau. Was ist da draußen los?“ Arnold wirkte angespannt. Peterson verschränkte die Arme vor der Brust und starrte den Wachmann fragend an. Immer mehr schwante ihm, dass der Stromausfall kein Zufall war. In ein paar Sekunden sollte er Gewissheit haben. „Ich bin mir noch nicht sicher. Die Jungs von der Ablösung haben es entdeckt. Fußabdrücke Sir. Sie fangen vor dem Zaun an Sieht beinahe so aus, als wäre jemand im vollen Spurt hinüber gesprungen.“ Fassungslos starrte Arnold ins Leere.
„Wie bitte?! Jemand ist über den Zaun gesprungen? Das heißt wir haben wahrscheinlich einen Eindringling hier im Gebäude und da ist es ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass sie allgemein Meldung machen?“ Als Antwort bekam er plötzlich nur noch ein statisches Rauschen. Peterson versuchte mit seinem Gerät Heidenreich zu erreichen, aber auch hier war es vergeblich. „Der Funk ist gestört!“, erklärte er an Arnold und Rita gerichtet. Jetzt war sicher, dass sich ein Eindringling im Gebäude befand. Höchste Zeit Gegenmaßnahmen einzuleiten.
„Mr. Griffs? Sie trommeln das Wachpersonal zusammen und suchen diesen Eindringling. Sein sie aber vorsichtig! Ich vermute, dass es sich hierbei um jemanden mit einer Fähigkeit handelt.“ Er nickte und war wenige Sekunden später bereits um die Ecke verschwunden. Dirk ging mit Rita weiter ins Erdgeschoss. In der Eingangshalle angekommen ertönte plötzlich der Verriegelungsalarm. Große Rolltüren verschlossen den Haupteingang und andere wichtige Zugänge im ganzen Gebäude. Peterson kannte das. Allerdings bedeutete das
auch, dass der Einbrecher sich Zugang zum Sicherheitsbüro verschafft hatte. Von dort aus konnte er das ganze Sanatorium kontrollieren wenn er wollte. Hier war es wieder dumm, dass der interne Generator wichtige Bereiche unter Strom hielt. Er griff zu seinem Handy um zu sehen, ob er damit jemanden erreichen konnte, doch auch hier: Fehlanzeige. Der Störsender musste auch das Netz blockieren. Da hatte sich jemand gut vorbereitet. Durch die Abriegelung der Bereiche verhinderte er, dass sich das Personal koordinieren konnte. Außerdem kam Peterson jetzt nicht mehr in den Keller, da dieser ebenfalls von der Verriegelung
betroffen war. Von hier aus gab es nur begrenzt Zugang zu einigen Büros. Nicht gut. Irgendwie musste Er jetzt in das Sicherheitsbüro kommen. Besser er bekam die Kontrolle über die Anstalt zurück. Über die Feuerleiter könnte er es in den ersten Stock schaffen. Ein guter Ansatz. So steuerte er den Korridor zu den Büros an, von denen aus er sich Zugang verschaffen konnte. An der nächsten Ecke hielt er Inne. Vor ihm lagen mehrere Wachleute reglos auf dem Boden. Nähere Betrachtung verriet ihm dass den Männern mit roher Gewalt das Genick gebrochen worden war. Der Unbekannte vielleicht? Aber was könnte
er hier wollen? Klar war, dass er sich ohne Probleme Zugang zur Anstalt verschaffen könnte. Dennoch passte das nicht ins Bild. Der Kerl ging meist mit brachialer Gewalt vor. Dieser hier war organisiert und handelte durchdacht. Nein. Der Unbekannte hätte sich nicht diese ganze Mühe gemacht. Kurz sah er zu Rita, die blass geworden war. Sie wandte den Blick von den Toten ab und übergab sich auf dem Boden. Dirk ging zu ihr und legte ihr behutsam die Hand auf die Schulter. Allerdings wusste er nicht, wie er sie hätte trösten sollen. Es gab nichts, das diesen Umstand verbessern konnte. Lange bleib er nicht so, denn ein
Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Es kam aus Ethans Büro. Peterson nahm einen der Elektroschocker die das Wachpersonal mit sich trug und lehnte sich mit dem Ohr gegen die Tür. Rita beobachtete ihn auf Abstand. Mit einem Handzeichen deutete er ihr kein Wort zu sagen. In diesem Moment war jemand in Rains Büro um es zu durchsuchen. Sein Herz hämmerte nur so in seiner Brust. Der Einbrecher, der sich Zugang zur Anstalt verschafft hatte, befand sich nur ein paar Zentimeter von ihnen entfernt auf der anderen Seite der Tür. Dirk warf einen Blick auf den Schocker. Er war so konzipiert worden, dass er Pfeile abschoss. So vermied man sich
dem Feind zu sehr zu nähern. In Situationen wie diesen äußerst praktisch. Langsam ließ er seine Hand zum Türgriff wandern. Sein Atem ging flach. Wer auch immer hinter dieser Tür wartete, hatte ohne Schwierigkeiten vier Wachmänner getötet. Drinnen war es still geworden. Hatte der Fremde gefunden wonach er suchte? Dirk war sich nicht sicher. Reagieren konnte er nicht, denn mit einem lauten Krach gab die Tür nach und riss ihn zu Boden. Er schlug hart mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Rita kreischte vor Angst, als der Angreifer durch die Tür in den Flur kam. Das Gesicht war durch Tuch und Mütze
verborgen. Der lange Mantel schleifte über den Boden. Die Hände waren in Handschuhen verhüllt. Peterson zog sich unter der Tür hervor und feuerte den Schocker ab. Der Angreifer wich ohne Probleme aus. In der einen Hand hielt er mehrere Akten. Rita machte sich daran wegzulaufen, doch der Fremde zog eine Pistole und schoss sie ohne Bedenken nieder. Aus der Ferne ertönten Schreie und sogleich trafen mehrere Wachleute im Flur ein. Unter ihnen auch Arnold Griffs, der die Situation begutachtete. Inzwischen hatte er sich und die anderen mit Feuerwaffen ausgerüstet. Alle richteten sie auf den Angreifer. Der reagierte schnell, zog
Peterson nach oben und benutzte ihn jetzt als Schutzschild. Einen Arm drehte man ihm auf den Rücken. Der Schmerz durchzuckte ihn. „Keine Bewegung!“, donnerte Arnold dem Fremden entgegen, doch dieser rührte sich nicht. Langsam ging der Aggressor ein paar Schritte zurück. Zog Dirk mit sich. „Was machen sie da?! Erschießen sie ihn! Nehmen sie auf mich keine Rücksicht!“ Damit drückte sich die Pistole nur noch mehr an seine Schläfe. Vom Schuss auf Rita war der Lauf heiß geworden und brannte sich ihm ins Fleisch. Die Wachmänner verharrten in ihrer Position.
Arnold schoss nicht! Mit gehobener Hand hielt er seine Männer zur Ruhe an, während sie langsam auf den Fremden zu schritten, doch dieser schoss einfach zwei Männer nieder. Einer von ihnen eröffnete das Feuer und traf Peterson in der Schulter. Er schrie vor Schmerz auf. „NICHT SCHIEßEN!“, donnerte Griffs über den Flur. Dirk sah auf seine Schulter. Das Blut lief in Strömen herab und färbte seine Kleidung tief rot. Der Fremde hielt ihn weiterhin im eisernen Griff. Kein Zweifel. Die Kraft dieses Kerls war unglaublich. Mit nur einer Hand konnte er ihn festhalten und sich gleichzeitig um die Männer des
Wachpersonals kümmern, die nun etwas auf Abstand blieben. Schnelle Reflexe und eine schier unmenschliche Stärke schienen die Fähigkeit dieses Menschen zu sein. Nicht gut. Die Wachleute weigerten sich ihn zu erschießen, aus Angst sie könnten ihn treffen. Die Lage war denkbar schlecht und es wirkte nicht so, als würde auch nur einer von ihnen einen Ausweg wissen... - Trotz der späten Stunde war der Verkehr zäh. Ethan kam nicht wirklich voran. Am liebsten wäre er geflogen, stünde dies in seiner Macht. Die
Nachricht von Johns Tod und der Entführung des Babys war ein herber Schock. Sofort hatte er seine Sachen gepackt und war mit Leland in Richtung Krankenhaus unterwegs. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie sich Tara jetzt fühlte. Wenn man den Lebenspartner und das eigene Kind verlor. Ein schrecklicher Gedanke. Der Arzt wollte gar nicht daran denken, wie es sein würde, wenn ihm dasselbe mit Carrie und Sofia passieren würde. Sie waren ihm das teuerste auf der Welt. Ein Leben ohne sie? Der Gedanke erschien ihm so unsagbar abwegig. Das war ein Verlust, über den man nicht hinweg kam. Als Überbleibsel würde immer ein
Loch bleiben, dass man zu füllen nicht in der Lage war. Wichtig war jetzt, dass man Tara alle Unterstützung gab die sie brauchte. Dennoch wollte ein kleiner Teil von Ethan hoffen. Dieser Angreifer hatte das Baby mit sich genommen. Hätte er es einfach nur töten wollen, wäre es an Ort und Stelle geschehen. Er seufzte und kramte in seinem Mantel nach seinen Zigaretten. Eine reichte er Leland, bevor er sich selbst eine anzündete. Nachdenklich sah er hinaus auf die Straße. „Ich kann es einfach nicht fassen. Es ist passiert, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen konnten. Jetzt ist John tot, und ob wir das Baby lebend
finden steht in den Sternen.“ Akerman nickte und tippte mit einer Hand auf dem Armaturenbrett herum. Er wirkte müde. Eine solche Nachricht am späten Abend war niemandem willkommen. Auch wenn man eigentlich wenig mit den Betroffenen zu tun hatte, so wie er. Ethan fragte sich, ob es Leland überhaupt interessierte. Die Frage danach, sparte er sich. Am Ende war die Antwort nur ein weiterer geistreicher Kommentar, von dem er lieber absehen würde. Dennoch ließ es sich der Gute einen Kommentar diesbezüglich nicht entgehen: „In letzter Zeit hat es sich eingebürgert, dass das Sterben zum Tagesablauf dazu
gehört. Früher oder später wäre es sowieso passiert. Wer auch immer dahinter steckt: Wir wissen schon lange, dass diese Leute keine Samthandschuhe benutzen. Vielleicht haben wir einfach nur gedacht, dass sie genug Ethik besitzen, eine Mutter und ihr Neugeborenes nicht zu überfallen. Gut, dass wir darauf nicht gewettet haben.“ Ethan verzog stirnrunzelnd das Gesicht. Leland machte wirklich keine Hehl daraus, seine Meinung offen darzulegen. Allerdings hätte er es in dieser Situation auch bleiben lassen können. „Du weißt nie, wann es gut ist mal den Mund zu halten, oder?“ Der Angesprochene zuckte unschuldig
mit den Schultern und zog an seiner Zigarette. „Im Leben kommst du nicht weit, wenn du immer nur zu allem ja und Amen sagst. Ich habe nichts davon, wenn ich Tatsachen ignoriere und mir meine Welt schön träume. Die Welt ist nicht nett. Die Leute scheißen auch keine Blütenblätter, oder hüpfen fröhlich und Hand in Hand über eine Blumenwiese. Es ist alles ein großer Haufen Mist und der stinkt gewaltig. Die meisten laufen einfach nur mit einer Wäscheklammer auf der Nase herum. John wusste das auch. Da bin ich mir ziemlich sicher. Was meinst du, warum sich Wilkins zum Beispiel verdrückt hat? Die Stadt hat
sich verändert. Wir haben uns verändert. Was auch immer jetzt da draußen vor sich geht – es ist gar nichts, im Vergleich zu dem was noch auf uns zukommt. So einfach ist das. Es wird immer schlimmer. Du siehst es doch jeden Tag.“ Ethan verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Es hatte keinen Sinn noch weiter mit ihm darüber zu diskutieren. Außerdem gab es wichtigere Dinge zu tun. Er griff zu seinem Handy. Besser war es, wenn er Heidenreich über die neusten Vorkommnisse in Kenntnis setzte. Ob ihr das gefiel tat nichts zur Sache. Wenige Sekunden später hatte er
bereits die Nummer gewählt und seine Chefin an der Leitung. „Heidenreich?“, ertönte die rauchige Stimme in seinem Ohr. „Ich bin es. Ethan.“ „Ah. Mr. Rain. Ich hatte mich schon gefragt, wo sie sich herumtreiben. Haben Sie heute Abend schon Fern gesehen?“ Er verdrehte die Augen. Das hätte er sich denken können. Wahrscheinlich verfolgte sie gerade Naiomis Auftritt in Snyders Sendung. War eigentlich abzusehen, dass sie das wieder auf ihn zurückführte. „Ma'am. Ich weiß dass das vielleicht ein wenig unerwartet ist. Ich wusste bis vor
kurzem gar nichts davon. Wir haben ganz andere Schwierigkeiten. John Croft und seine Frau Tara wurden im Krankenhaus angegriffen. Dabei wurde Er getötet und das Baby entführt.“ Einen Moment lang herrschte am anderen Ende Stille. Er konnte beinahe vor sich sehen, wie Heidenreich in ihrem Büro stand und sich die Haare darüber raufte. Dennoch klang sie weiterhin ruhig und gefasst. „Hierbei lasse ich außer Acht, dass sie sich meiner Order widersetzt und John Croft nicht in die Anstalt gebracht haben. Wissen sie schon ob der Unbekannte etwas damit zu tun hat?“ „Nein. Es handelt sich dabei um einen
zweiten unbekannten, über den wir allerdings noch nicht sehr viel wissen. Ich kann nicht sagen ob-“ Plötzlich brach die Verbindung ab. Irritiert sah Ethan auf sein Handy. Was war denn nun los? Er versuchte noch einmal die Nummer zu wählen. Nichts. Skeptisch sah er zu Leland. Der sah ihn fragend an. „Ärger im Paradies?“ „Ich weiß noch nicht. Fahren wir erst einmal zum Krankenhaus. Danach können wir immer noch in die Anstalt.“ In seinem Magen machte sich ein seltsames Gefühl breit. Was es genau war, konnte er im Augenblick allerdings noch nicht deuten. Wichtiger war jetzt,
dass er Tara Beistand leistete. Auch, wenn er gar nicht ahnte, was sich im Moment in Willow Creek abspielte...
Mittlerweile hatte sich Naiomi an die Stimmung im Studio gewohnt. Die Nervosität war verschwunden. Inzwischen hingen ihr viele Zuschauer an den Lippen und sogen jeden Fetzen ihrer Erzählung in sich auf. Ein paar zeigten sich sogar sehr bestürzt über das, was sie durchgemacht hatte. Innerlich war sie froh darüber, dass sie die Gelegenheit nutzte, die Snyder ihr angeboten hatte. Dieser Augenblick war die Chance. Endlich konnte sie alles offenbaren und der Welt zeigen, was man bis jetzt versucht hatte vor ihnen zu verbergen. Dahinter steckte natürlich
auch ein Wunsch: Akzeptiert zu werden. Sie war es müde, sich immer nur verstecken zu müssen. Das tat sie schon ihr ganzes Leben und das nur, weil sie nicht das Privileg hatte so normal zu sein, wie all die anderen, denen sie täglich begegnete. So räusperte sich das Mädchen und trank einen Schluck aus ihrem Glas. Das Scheinwerferlicht brannte noch ein wenig in ihren Augen, aber mittlerweile ließ es sich ertragen. Schlimmer war die warme Luft im Saal, die sich offensichtlich immer mehr staute. Sie schwitzte ein wenig und ihr Kleid war nicht mehr ganz so bequem, wie noch zu Anfangs. Ihr Blick ging zu Patrick, wobei sie sich fragte, wie er das
hier aushielt. Hin und wieder konnte sie ihn dabei beobachten, wie er sich mit einem Tuch über die Stirn fuhr. Ansonsten wirkte vollkommen ruhig, Als würde es ihm nichts ausmachen. „Nun Naiomi. Ich kann mich nur dafür bedanken, dass du bereit warst hier so offen über alles zu sprechen und ich bin mir sicher, dass viele der Zuschauer mitfühlen und sehen, was du durchgemacht hast. Gehen wir doch ein wenig weiter. Was würdest du sagen, hat dich in deinem Leben am meisten geprägt? Zusammenhängend mit deinen Fähigkeiten und deiner daraus resultierenden Lebenssituation
angehend.“ Sie blies die Wangen auf und kratzte sich an der Stirn. Mit einer solchen Frage hatte sie nicht gerechnet. „Öhhh.“ Nachdenklich legte sie sich einen Finger an die Lippen und senkte den Blick zu Boden. Das zu beantworten war wirklich nicht einfach, und der Umstand dass Millionen Leute sie gerade beobachteten, machte es nicht einfacher. Irgendwie erinnerte sie das ganze an einen dieser Träume, in denen sie plötzlich vor versammelter Mannschaft nur noch in Unterwäsche dastand. Gut dass das hier die Realität war, auch wenn sie in den nächsten
Sekunden überhaupt nicht wusste, was sie antworten sollte. Lächelnd bedachte Snyder sie. „Nur keine Scheu. Nimm dir die Zeit die du brauchst. Ich kann verstehen, dass das alles ein wenig viel ist. So wie alle anderen auch. Wir können uns sicher nicht vorstellen, wie es ist so zu sein wie du. Deshalb sind wir froh, dass du uns die Gelegenheit gibst, einen Einblick davon zu erlangen.“ Er schaffte es mit Leichtigkeit, dass sie sich ein wenig sicherer fühlte. Beinahe wie ein Großvater, der sie bei der Hand nahm und sie behütete. Selbst jetzt in dieser Situation übte er keinen Druck auf sie aus, sondern ließ sie ganz von
sich aus agieren. Sie hatte immer noch die Kontrolle bei dieser Sache. Das war ein Aspekt, der für mehr Selbstsicherheit sorgte. Andernfalls wäre sie wohl nervös von der Bühne geflüchtet. „Also. Ich kann das gar nicht genau sagen. Ich meine: Im Leben passiert doch ständig irgendetwas. Heute kann die Sonne scheinen und morgen läuft alles total scheiße. So ist das Leben doch und wir richten uns eben danach. Klar, der eine kommt gut damit klar und hat immer ein Lächeln auf dem Gesicht, aber es gibt natürlich auch Sachen die man nicht so leicht schlucken kann. Dass meine Mum mich damals einfach
fort gegeben hat, war schwer für mich. Ich meine – ich habe ihr vertraut. Als ich meine Fähigkeiten entdeckte, hatte ich große Angst davor. Da war nicht dieses 'Woah Cool'-Gefühl, wie 'n paar von euch vielleicht denken. Ich meine, wenn du mit etwas vollkommen alleine bist, dann fühlst du dich überall wie ein Fremder. Du kannst mit niemandem darüber sprechen, weil du nicht weißt, wie die Menschen in deinem Umfeld darauf reagieren. Es ist ein Geheimnis, dass du tief in dir Vergraben musst. Das habe ich schließlich auch.“ Sie machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. Sie hatte noch nie so darüber gesprochen. Am Anfang war es ihr
unangenehm gewesen, all diesen Menschen diese Dinge über sich zu erzählen, aber nun war es irgendwie befreiend. Endlich konnte sie alles heraus lassen. Etwas, dass sie sich lange gewünscht hatte. „Nachdem ich nach Willow Creek kam, war ich am Ende. Ich habe mich in mir selbst vergraben. Die Geschichte mit meiner Mutter hat mich dahingehend sehr stark gemacht. Ich habe gelernt, mich um mich selbst zu kümmern. Ich war der Ansicht, sobald ich jemandem vertraue, dass mir das am Ende nur weiteren Kummer bringt. Eine Ansicht, von der ich damals nicht wusste, wie einsam sie einen eigentlich machen kann.
Aber irgendwann denkt man, dass es gut so ist, weil es da niemanden gibt, der dir wehtut.“ Wieder hielt sie inne und trank ihr Wasser. Snyder nickte anerkennend ob ihrer Worte. Aus dem Publikum konnte man sogar vereinzelnd ein Schluchzen hören. Manche Menschen waren wirklich nah am Wasser gebaut, aber auch bei ihr zeigten ihre Aussagen Spuren: Ihr Magen brannte auf eine seltsame Weise. Genau wie ihre Augen. Ein paar mal hatte sie den Wunsch, einfach laut los zu heulen und alles heraus zu lassen, doch zwang sie sich zur Selbstbeherrschung. Sie war nicht hier, um das Mitleid der Leute zu
erregen, sondern um ihnen zu zeigen, dass sie genau so war, wie jeder andere auch. Deshalb musste sie stark sein, so wie sie es sich selbst beigebracht hatte. Snyder zog an seiner Zigarre und nickte bestimmend. Es wirkte, als hätten Naiomis Worte ihn ein wenig zum Nachdenken angeregt. Stumm musterte sie ihn. Er mochte sich zwar um Ruhe und Beherrschung bemühen, aber auch für ihn war dies ein wichtiger Abend. Für einen Mann von seinen Format konnte das hier einen großen Karrieredurchbruch darstellen, oder aber in einem vollkommenen Debakel enden. Vor allem konnte niemand sagen,
wie die Leute letztendlich auf ihre Erzählungen reagierten. Im Augenblick mochten sie noch Mitgefühl zeigen, doch das konnte auch schnell ins Gegenteil umschlagen. So bald die Öffentlichkeit von dem Unbekannten erfuhr, würde dies ihre Angst vor den Menschen mit Parafähigkeiten steigern. Wie die Menschen nun mal waren, würde sich diese Furcht letztendlich in Hass verwandeln, und der würde dann auf alle reflektiert werden, die eine besondere Fähigkeit besaßen. Das war etwas, wovor Naiomi Angst hatte. Sie wollte keine Teilschuld daran tragen, wenn die Leute die so waren, wie sie gejagt wurden wie Tiere. Eine Mögliche
Konsequenz dieses Abends. Sie schluckte. Ihr Hals wurde von Sekunde zu Sekunde trockener. Sie konnte Snyders Blick auf sich spüren und war heil froh, dass er an dieser Stelle wieder das Reden übernahm. „In manchen von Euch müssten diese Worte Erinnerungen wachrütteln. Wenn wir alle ehrlich sind, ist ein jeder von uns schon einmal an diesem Punkt gewesen: Wir befinden uns in einer Situation, von der wir nicht wissen wie wir mit ihr umgehen sollen. Daher suchen wir Hilfe. Entweder bei Freunden oder unseren Verwandten, weil sie denken sie könnten unsere Lage verstehen und uns helfen. Manchmal ist
es aber so, dass sich die Leute einfach damit überfordert sehen. Ihnen fehlt die Kraft, das Wissen oder der Antrieb um sich weiter mit uns zu befassen. Sie lassen uns fallen. Wir fühlen uns dadurch verlassen und allein. Ständig stellen wir uns die Frage: 'Wie kann ein Verwandter, oder guter Freund so etwas tun?' Die Antwort darauf ist simpel, wenn auch nicht zufrieden stellend: Die Menschen haben sich schon immer vor dem gefürchtet, was sie nicht verstehen können. Nehmen wir zum Beispiel Menschen, die an Depressionen leiden. Ihr näheres Umfeld hat keine Ahnung von dieser Krankheit. Sie wissen alle, dass es etwas schlimmes ist und zu
Beginn sind ihre Fürsorge und ihr Mitgefühl beinahe unerschöpflich. Zumindest bis zu dem Augenblick, an dem sie merken, dass dieser Zustand sich nicht einfach ändert. Sie sind selbst hilflos und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Sie beginnen Abstand zu nehmen und allem was damit zu tun hat den Rücken zu zukehren.“ Er machte eine kurze Pause, in der er aus seinem Glas trank. Wieder hatte er es in diesem kurzen Moment geschafft, seine Zuschauer für sich zu begeistern. Sie klebten an seinen Lippen wie Bienen am Honig. Ein Talent bei dem es Naiomi eiskalt den Rücken herunter lief. Manchmal erinnerte Patrick sie an einen
dieser großen Verführer in der Geschichte, die das Volk nur durch bloße Worte auf ihre Seite ziehen konnten. Beinahe etwas unheimlich. Dennoch bewunderte sie ihn auch dafür. Sie mochte zwar ein gewisses Selbstbewusstsein besitzen, aber sie wäre sicher niemals in der Lage, so viele Leute um sich zu scharen. So musterte sie ihn abwartend, während er mit seiner Erklärung fortfuhr. „Aber das ist falsch! Wir dürfen uns davor nicht verschließen. Besonders nicht vor den Menschen, die so sind wie Naiomi – Menschen mit Parafähigkeiten! Sie suchen für sich einen Weg in dieser Welt und wir dürfen ihnen dabei keinerlei
Steine in den Weg legen. Es ist unsere Pflicht als Menschen ihnen zu helfen, und nicht unsere Augen davor zu verschließen. Ich kann verstehen, dass sich ein mancher von euch davor fürchtet. Ich könnte es euch nicht verübeln. Es gibt Menschen, die ihre Kräfte für das Böse einsetzen. Die gibt es immer, aber das bedeutet nicht, dass man alle über einen Kamm scheren darf. Es gibt jene wie Naiomi. Menschen die einfach nur verstanden werden wollen. Jemand wie sie und ich, der einfach nur ein normales Leben führen möchte. Verwehren sie ihr diese Chance nicht einfach nur, weil sie sich fürchten. Nehmen sie sich Zeit, um die Dinge aus
dem richtigen Blickwinkel zu betrachten. Gute Nacht!“ Applaus folgte. Ein paar standen sogar auf und kamen direkt auf die Bühne, um dem Mädchen ihr Mitgefühl auszudrücken. Sie legten ihr die Hand auf die Schulter. Manche lächelten sogar und nickten ihr bestätigend zu. Das Mädchen lächelte. In diesem Moment fühlte sie sich seltsam befreit. Als würde eine große Last von ihren Schultern genommen werden. Konnte dies wirklich der Anfang eines neuen Lebens für sie sein? Sie senkte den Blick und tippte nachdenklich mit den Fingern auf dem Tisch herum. Snyder war gerade damit beschäftigt, sich mit
ein paar Leuten zu unterhalten und Hände zu schütteln. Er wirkte zufrieden. Fragte sich natürlich nur, was als nächstes geschehen würde. Sie leerte den Rest ihres Wassers und seufzte. Eigentlich hätte sie Snyder für diese Gelegenheit dankbar sein sollen. Irgendwo war sie das auch. Dennoch lies sich diese innere Unruhe und Ungewissheit über das Kommende nicht unterdrücken. War es wirklich eine gute Idee diesen Schritt zu wagen? Sie war sich dessen bewusst, dass das hier erst der Anfang war. Die Leute würden sich mit einer simplen Erklärung nicht zufrieden geben. Man würde Fragen
stellen. Das lag in der Natur des gewöhnlichen Menschen, und wenn ihnen das was man ihnen erklärte nicht gefiel, würde sich die Situation ziemlich schnell ändern. Für die Leute war es einfacher die Dinge zu hassen, wenn sie nicht in der Lage waren, sie zu verstehen. Im Augenblick wurden viele von ihnen noch wegen einfacher Neugier getrieben. Was das anging, waren sie wie Kinder. Unfähig das wahre Ausmaß zu begreifen. Patrick versuchte zwar sein Bestes, sie auf dieses Thema einzustimmen, doch rechnete er auch mit der unberechenbaren Natur des Menschen? Die 17-Jährige wischte sich eine
Haarsträhne aus dem Gesicht. Am Anfang hatte alles noch so einfach geklungen. Sie musste einfach nur dasitzen und ein paar Dinge über sich erzählen. Klang simpel und einsam. Dumm nur, dass das Leben niemals simpel und einfach war. Es würde nicht lange dauern, bis sich ihnen die ersten Steine in den Weg lebten. Das war immer so. Nichts funktionierte ohne Schwierigkeiten. Jede ihrer Taten hatte Folgen. Natürlich mochte das im Auge eines Betrachters alles wie simple Schwarzmalerei wirken, doch konnte sie dieses Gefühl nicht abschütteln. Es zu beschreiben fiel ihr schwer. Nachdenklich tippte sie mit den Fingern
auf der Lehne ihres Rollstuhls herum. Unweigerlich musste sie sich fragen, was Ethan hier von halten würde. Hatte er vielleicht auch zugesehen? Was hielt er davon? Solange sie ihn kannte, wusste sie, dass er immer um ihr Wohl bedacht war. Er war keiner dieser Leute, die sie für das was sie war verurteilten. Im Gegenteil – Er gestand ihr Menschlichkeit zu, so wie es kein zweiter tat. Er hatte alles dafür getan, damit sie die Chance erhielt ein normales Leben zu führen, aber nun da sie hier saß musste sie sich fragen, ob dies überhaupt jemals möglich war. Besonders jetzt. Sie sah auf ihre Beine. Es gab eine Möglichkeit, dass sie wieder
laufen konnte, doch war sie dann für den Rest ihrer Tage auf ihre Fähigkeiten angewiesen. Sie biss sich auf die Lippen. Niemand hatte behauptet, dass es leicht sein würde. Irgendwie waren solche Dinge immer mit einem großen Haufen Scheiße verbunden, der ständig weiter anwuchs und sie alle zu verschlingen drohte. Es hing alles irgendwie zusammen: Das Leben in der Anstalt – Die Geschehnisse mit diesem Unbekannten – Es hörte nie wirklich auf. Stattdessen wurde es immer schlimmer. Sie sah zu Snyder. Das Gespräch im Trainingsraum hallte durch ihren Kopf,
als hätte es erst eben stattgefunden. Er hatte einfach so über seinen Bruder Ramsay gesprochen, als wäre es ohne Bedeutung, doch auch er musste realisieren, dass mehr dahinter steckte. Gut, sie wusste zu wenig um sich ein festes Urteil binden zu können, aber selbst ein Blinder würde erkennen dass es sich bei seinem Zwilling um den Unbekannten handelte, der all die anderen jagte und ihre Fähigkeiten stahl. In diesem Moment fragte sie sich, warum er ihr das überhaupt erzählt hatte. Er konnte ja wohl kaum glauben, dass sie in der Lage war ihm dabei zu helfen. Sie mochte zwar auch Kräfte besitzen, doch im Moment war sie eher
eine Last als eine Hilfe. Oder ging es ihm gar nicht darum? Wollte er einfach nur sein Gewissen erleichtern? Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie wütend auf ihn sein konnte. Patrick mochte vielleicht bald Bürgermeister dieser Stadt sein. Er mochte seine eigene Sendung mit vielen Anhängern haben, doch trotz allem war er einfach nur ein Mensch mit Schwächen und Fehlern. Er war nicht unantastbar. Das machte ihn sympathisch. Selbst jemand wie er war angreifbar und besaß seine ganz normalen irdischen Schwächen. Ein wenig erinnerte sie das an sich selbst. Das war wohl auch einer der Gründe, warum sie ihn gut leiden konnte. Gut. Er
hatte diesen dekadenten Lebensstil aber hielt sich deswegen dennoch nicht für etwas besseres. Er gewährte ihr sogar das Privileg mit ihm gleichgestellt zu sein. Er hätte sie ja auch einfach abweisen können, doch nein. Er hatte Leland und Maria geschickt um sie zu sich zu holen. Aber steckte da mehr dahinter, als nur simple Publicity? Das konnte sie nicht sagen. Ihr Kopf schmerzte von diesen Fragen. Sie runzelte die Stirn. Noch immer waren die Menschen hier. Was allerdings auffiel war, dass sie nur zu Snyder gingen um ihn zu befragen. Sie mied man. Sie würde sich wahrscheinlich nicht anders verhalten. Man konnte nicht
erwarten, dass sich alles mit einem Mal änderte. Nein. Wahrscheinlich hatte sie ihre Unsicherheit und Furcht eher noch bekräftigt. Egal. Sie war zu müde, um sich noch weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Ihr Blick glitt zu Roland – dem muskulösen schwarzen Leibwächter der Snyder und sie hierher begleitet hatte. Mit einer Handbewegung zitierte sie ihn zu sich. Langsam kam er auf sie zu. Für den Außenstehenden mochte dieser Mann furchteinflößend wirken, doch er besaß eine gute Seele. Er stand auf diese Soapserien und war sogar ein Tierfreund. Das hatte er ihr auf dem Hinweg erzählt. Sie war so nervös gewesen, dass sie kaum ein Wort
verstanden hatte, aber jetzt kam alles wieder. Matt lächelte sie ihm zu und legte eine Hand vor das Gesicht. „Können sie mich zurück ins Penthouse fahren? Für heute habe ich genug.“ Der Leibwächter nickte und ging zu Snyder. Er wechselte ein paar Worte mit dem Alten, bevor dieser lächelnd in ihre Richtung sah und nickte. Dann kam er ebenfalls hinzu und kniete sich neben dem Rollstuhl nieder. „Du bist sicher total erschöpft. Das hast du wirklich gut gemacht Naiomi. Ich glaube heute haben wir einen guten Schritt in die richtige Richtung getan. Natürlich war das erst der Anfang, aber ich bin mir sicher, dass wir beide eine
Menge bewegen können. Doch nun, gehe nach Hause. Finde Ruhe und schlafe dich aus. Das hast du dir verdient. Ich werde später nachkommen. Hier gibt es noch eine Menge zu tun. Du weißt ja wie die Leute sind. Ihre Neugierde möchte erst befriedigt werden, bevor sie einen in Ruhe lassen.“ Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Allerdings war es auch gut, dass sie sich nicht darum kümmern musste. Sie hätte jetzt nicht den Kopf noch irgendwelche Fragen zu beantworten. Es war gut dass Snyder diese Aufgabe übernahm. Für sie war das nichts. Das einzige was sie jetzt
noch interessierte war sich in dieses bequeme Bett in ihrem Zimmer zu kuscheln und den Abend für den Moment einfach zu vergessen. „Wenn ich nach der Aufregung überhaupt schlafen kann!“, entkam es ihr knapp. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Für dein erstes Mal im Fernsehen hast du dich gut geschlagen. Du kannst stolz auf dich sein. Roland? Bringen sie das Mädchen wohlbehalten nach Hause. Sie müssen danach nicht zurückkommen. Ich werde alleine fahren. Sehen sie nur zu, dass es Naiomi an nichts mangelt!“ Der Angesprochene nickte und schob den Rollstuhl an. Naiomi lehnte sich
zurück und schloss entspannt die Augen. Wenn sie nun so darüber nachdachte, konnte das hier gar nicht falsch sein. Snyder war ein guter Mensch. Mit jeder Faser ihres Körpers glaubte sie daran. Sie war sich sicher, dass sie sich auf dem rechten Weg befand. Man konnte sogar sagen, dass sie ihrer Zukunft jetzt mit ein wenig mehr Neugierde entgegensah. - Ethan saß auf einem der freien Stühle im Flur des Krankenhauses. Zu dieser Zeit herrschte kaum noch Betrieb und es war schwierig, einen Arzt zu sprechen.
Die waren damit beschäftigt der angerückten Polizei die Umstände der Geschehnisse zu schildern. Inzwischen hatte man Johns Leiche fortgebracht. Der Arzt runzelte die Stirn und blickte starr auf den weißen Fußboden vor sich. Selbst von hier konnte er das Schluchzen Taras hören. Er hatte es noch nicht gewagt ihr gegenüber zu treten. Das übernahm Leland für ihn. Er selbst gab sich die Schuld an allem was passiert war. Nach der Begegnung mit dem Unbekannten in den Tunneln hatte er geglaubt dass John und seine Familie in Sicherheit wären. Jetzt zeigte sich wieder, wie sehr er sich getäuscht hatte. Es gab so viele offene Fragen.
Warum sollte jemand Taras Kind entführen? Wie stand dieser Angreifer mit allem in Verbindung? Arbeitete er vielleicht mit dem Unbekannten zusammen? Das war eines der vielen Dinge, die er im Moment nicht beantworten konnte. Dieser ganze Fall geriet immer mehr aus den Fugen. Und nicht nur das. Nun da Naiomi im Fernsehen aufgetreten war, würde dies eine weitere Welle über sie hinein brechen lassen. Schon immer hatten sie versucht ihre Arbeit im Verborgenen zu halten. Lange würde dies nicht mehr möglich sein. Irgendwann würde man sicher auf die Anstalt Willow Creek zu sprechen kommen. Alles würde vor der
Welt aufgedeckt werden. Das Problem hierbei war nur, das man einfach noch nicht bereit für diese Dinge war. Dinge, die besser im Dunkeln blieben. Es gab nicht nur Leute wie Naiomi, die einfach nur versuchten ein normales Leben zu führen. Das hatte Snyder mit keiner Silbe erwähnt. Er hatte seinen Zuschauern nur die schönen Aspekte des ganzen gezeigt. Würden die Leute immer noch so frohlockend sein, wenn sie von Albert Wilkins und Viktor Waslow erfuhren? Ihre Neugierde würde sich in Hass verwandeln. Die Menschen würden wahrscheinlich eine Hetzjagd gegen jene mit Parafähigkeiten veranstalten. Davor fürchtete er sich.
Seit jeher war er darauf bedacht diese Leute zu beschützen, doch wie lange war er noch dazu in der Lage? Es gab zu viele Fronten und nicht eine von ihnen ließ sich klären. Patienten wie Wilkins, die Zwillinge oder Waslow trieben weiterhin ihr Unwesen. Der Unbekannte stahl den Paramenschen ihre Kräfte für Zwecke die er nicht kannte und nun kam auch noch Snyder, der die Öffentlichkeit mit dieser Welt konfrontierte. Reines Chaos und er war unfähig es aufzuhalten. „Schwer im Gedanken was?“ Leland war aus dem Zimmer gekommen und streckte sich. Er sah nicht aus, als
hätte er etwas erreicht. Müde ließ er sich auf einem freien Stuhl neben Ethan nieder. Der Arzt legte die Hände in den Schoß und seufzte. Es hätte ihn auch schwer verwundert, wenn Akerman Tara beruhigt hätte. Dafür war sie einfach zu aufgelöst. Selbst für ihn war die Situation nicht einfach. Sich vorzustellen dass John nun ebenfalls tot sein sollte, war ein unfassbarer Gedanke. „Es ist alles im Chaos und wir können nichts dagegen tun. Egal wie sehr wir uns auch anstrengen. Ist dir das aufgefallen? In letzter Zeit wird es nur schwieriger.“ Leland grinste und fuhr sich mit der
Hand durch die Haare, ehe er sich auf seine Krücke stützte. Sein Blick glitt auf die gegenüberliegende Wand. „Das ist das große Los bei unserer Arbeit. Am Anfang sieht alles noch so schön und bunt aus. Nach und nach kommt erst alles schlechte ans Licht. Wir sehen erst dass wir bis zum Hals in der Scheiße sitzen, wenn es zu spät ist. Das mochte ich so sehr an Hammond. Er konnte jeder Situation irgendwie etwas positives abgewinnen. Jetzt heißt es allerdings nur noch: Jungs, wir sind am Arsch, und wisst ihr was? Es wird immer schlimmer! Tolle Aussichten, nicht wahr? Ich frage mich jetzt schon, wie Heidenreich dieses Mal reagiert. Hast
du sie erreichen können?“ Er schüttelte den Kopf. Nach dem die Verbindung abgebrochen war, hatte er es ein paar Mal versucht, aber bis jetzt vergeblich. Er hatte aber auch nicht weiter nach gehakt. Die ganze Situation war einfach viel zu viel auf einmal. Es war schwer das alles unter einen Hut zu bringen. Er verstand nicht, wie Leland so ruhig bleiben konnte. Er tat beinahe so, als würde das hier nichts bedeuten. Einmal mehr fragte er sich, wie sein Kollege es schaffte, einen solch disziplinierten Abstand zu diesen Dingen zu bewahren. „Nein. Ich denke nicht, dass wir heute noch etwas tun können. Im Augenblick
müssen wir die Situation so akzeptieren wie sie ist, auch wenn es uns nicht gefällt. Du allerdings brauchst dir ja keine Sorgen darüber zu machen. Du hast ja mittlerweile die Seiten gewechselt.“ Der Angesprochen zuckte unschuldig mit den Schultern. „Versuche jetzt nicht, mir daraus einen Strick zu drehen. Ich kann nichts für die Dinge, die Snyder tut. Der macht sein eigenes Ding. Ich habe keine Kontrolle über das was geschieht, auch wenn es dir sicher leichter fällt mich als Buhmann bei dieser Sache zu sehen.“ Ethan sah ihn wütend an. „Nun. Du hättest einmal damit anfangen
können, ehrlich zu uns zu sein Leland! Wir wussten von gar nichts. Nicht einmal wie lange du eigentlich schon für Snyder arbeitest. Und die Geschichte mit Naiomi? Ich habe dir schon viel zugetraut, aber niemals so etwas hinterhältiges. Ihr hattet sie die ganze Zeit Leland und du hast es nicht für nötig befunden, mir etwas zu sagen.“ Leland seufzte. „Es hätte nichts gebracht. Du hättest dich wieder nur beschwert und mit einem deiner Ethik-Vorträge angefangen. Tut mir Leid, dass die Welt nicht so funktioniert wie in den Bilderbüchern deiner Tochter Ethan. Snyder mag in manchen Dingen ein Spinner sein, aber
er packt die Dinge an, anstatt immer nur drüber zu reden. Seine Methoden mögen vielleicht ein wenig kontrovers sein, aber wer sagt denn, dass das was er tut schlecht ist? Vielleicht hat er auch endlich mal einen richtigen Schritt gemacht!“ Er schüttelte den Kopf. Für Akerman war es einfach so zu denken. Er war ja nur ein Handlanger, der Befehle befolgte. „Sicher. Zumindest solange, bis die Menschen die Wahrheit erfahren. Bis so Menschen wie Wilkins oder Waslow Unschuldige abschlachten. Das hat Snyder nämlich vergessen im Abendprogramm zu erwähnen. Das ganze
wird nach hinten losgehen und sogar du bist schlau genug um das zu sehen. Naiomi ist bei dem ganzen nur eine Schachfigur. Ich kann nicht glauben, dass du sie da mit hinein gezogen hast!“ Leland schnaubte. „Immerhin ist sie in Sicherheit. Wäre ich nicht gewesen, wäre sie diesem Unbekannten sicher schon in die Hände gefallen. Wäre dir das vielleicht lieber gewesen Ethan? Noch n totes Mädchen? Noch mehr 'Buhu – Die Welt ist so schlecht?'“ Ethan schüttelte sich vor Wut. Er zwang sich zur Selbstbeherrschung. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte Leland geschlagen, doch wusste er,
dass das im Moment nichts nützte. Dieser seufzte und tippte langsam mit einer Hand gegen sein gesundes Knie. „Sorry. War nicht so gemeint. Ich weiß, wie viel dir das Mädchen bedeutet.“ Ethan nickte. Immerhin gestand er sich diesen Fehler ein. „Die Hauptsache ist, dass es ihr gut geht.“ „Das tut es und glaub mir: Von ihrem losen Mundwerk hat sie nichts verloren. Hat mich gewundert, dass sie sich vor der Kamera im Zaum halten konnte.“ Ethan nickte knapp. Hierbei stelle sich die Frage, was Snyder für das Mädchen angedacht hatte. Dieser Auftritt würde
ihm sicher nicht genügen. Er war ein Politiker. Naiomi für seine eigenen Zwecke zu nutzen stand sicher mit auf dem Programm. Er brauchte jemanden, um ihn den Leuten zu präsentieren. Andererseits konnte sich der Arzt nicht vorstellen, dass dieser Mann etwas übles im Schilde führte. Er hatte Leland und Naiomi bei sich aufgenommen. Weiterhin bestand die Möglichkeit auf eine Zusammenarbeit mit ihm und der U.F.P.I. Snyder wäre ein einflussreicher Verbündeter. Dennoch gab es viele offene Fragen, die diesen Mann umgaben. Was stand hinter seinem Antrieb? Immerhin war er ein angesehenes Mitglied im Stadtrat und
besaß gute Aussichten darauf, bald zum Bürgermeister gewählt zu werden. Er hätte alles tun können: Arme unterstützen, gegen die Kriminalität in der Stadt vorgehen, oder das Bildungssystem reformieren. Nichts von dem stand auf seinem Plan. Er widmete sich dem Feld, von dem kaum jemand Notiz nahm. Schon einmal hatte Ethan die Vermutung angestellt, dass mehr hinter all dem steckte. Auch im Bezug auf den Unbekannten. Natürlich war dies ein Fall, der sie alle beschäftigte. Dieser Mensch hatte Foster, John und viele andere auf dem Gewissen und das nur zu dem Zweck, seine eigene Macht zu steigern.
Ethan sah zu Leland und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Was denkst du, was Snyder mit all dem eigentlich verfolgt? Du kennst ihn. Du weißt wie dieser Mann tickt.“ Er hielt einen Augenblick inne. Sicher. Es war keine feine Art Akerman über seinen Förderer aus zu quetschen, aber er brauchte mehr Klarheit in dieser Sache. Mit Naiomi konnte er nicht sprechen. Sie war außerhalb seiner Reichweite. Im Moment war er auf Leland angewiesen. Dieser strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte matt. „Was möchtest du von mir hören Ethan?
Soll ich dir etwas über eventuelle Leichen in seinem Keller erzählen? Krumme Geschäfte? Da muss ich dich enttäuschen. Auch wenn du es vielleicht nicht wahrhaben möchtest: Snyder ist eine ehrliche Haut. Er steht hinter dem was er tut. Seine Methoden mögen kontrovers sein. Das will ich nicht abstreiten. Es ist aber auch so, dass er der einzige ist, der sich traut die richtigen Schritte in dieser Sache zu unternehmen. Ich meine, was haben wir all die Jahre getan? Wir haben uns in Willow Creek versteckt und die Außenwelt von dem was wir tun abgeschottet, weil wir dachten wir wüssten was wir tun. Aber das ist schon
lange nicht mehr der Fall. Wie du schon sagtest: Es herrscht das Chaos. Heidenreich hat mittlerweile keine wirkliche Kontrolle mehr über die Dinge. Sie hat nur dazu beigetragen dass uns diese Leute mit denen wir arbeiten noch mehr hassen, als sie es eh schon tun.“ Er stoppte und kratzte sich am Kinn. „Ich dachte einmal, dass sie genau die Person ist, die die Anstalt braucht. Sie schien mir entschlossener als Hammond. Jemand, der etwas bewirken könnte. Ich habe mich getäuscht. Roberta ist nur an ihrem eigenen Vorteil interessiert und wie sie letztlich mit ihrer Arbeit dasteht. Menschen sind für sie nur
Schachfiguren, die sie auf dem Brett hin und her schieben kann. Besonders während des Vorfalls mit Miss Compton wurde das deutlich. Sie war nicht in der Lage das Mädchen zu kontrollieren, weshalb sie nur die Möglichkeit sah sie aus dem Weg zu schaffen.“ Ethans Magen verkrampfte sich. Heidenreich hatte den Befehl zu Katherinas Ermordung gegeben. Seit diesem Tag fragte er sich ständig, ob es nicht anders geendet wäre, wenn die Möglichkeit bestanden hätte. Er wollte daran glauben, dass es die Möglichkeit gab sie zu retten. Das machte die Geschichte erträglicher, anstatt die
Endgültigkeit des Ganzen zu akzeptieren. „Ich weiß, dass du seitdem einen Groll gegen mich hegst Ethan, auch wenn du dir immer wieder einredest, dass es nicht so ist. Du bist ein Gutmensch. Das ist einfach so. Bevor du zu extremen Mitteln greifst, versuchst du immer erst eine gewaltfreie Lösung zu finden. Ein edler Charakterzug. Gleichzeitig ist es aber auch deine größte Schwäche. Deshalb hat Heidenreich mich in dem Fall angesprochen. Sie wusste genau, dass du das niemals tun konntest. Dich und das Mädchen verband eine zu enge Vergangenheit. Dennoch. Allein der
Umstand das es soweit kam zeigt unser Versagen. Wir haben uns damals dazu erdreistet Gott zu spielen, als wir dem Mädchen seine Persönlichkeit nahmen und sie durch eine andere ersetzten. Von Beginn an war es ein Spiel mit dem Feuer. Roberta wusste das. Nach Hammonds Rücktritt hat sie bereits den ersten Schritt unternommen und Katherina wieder in den D-Trakt sperren lassen. So weit so gut. Aber sie begann einen Fehler. Sie hat dich gekündigt. Einen wichtigen Anker in unserer Arbeit. Sie sah zu spät, dass sie dich braucht um das bisschen Kontrolle das sie überhaupt hatte bewahren zu können. Die Patienten vertrauten dir
immer mehr als jedem anderen von uns. Das war ein Umstand den man nicht ignorieren konnte. Heidenreich wusste, dass sie dich auf normalem Wege niemals davon überzeugen konnte, wieder zurück zu kehren.“ Ethan nickte. Er konnte sich noch gut daran erinnern. Nachdem die Geschichte mit Naiomi Winchester herausgekommen war, hatte Heidenreich ihn ohne zu zögern gefeuert. Ursprünglich hatte er nicht beabsichtigt, seinen Job wieder aufzunehmen. Er war bereit dazu, sich nun seinem eigenen Leben zu widmen und hatte mit der Sache abgeschlossen. Dann kam der Fall mit Michaela Wood. Ein letztes Mal wollte er etwas gutes für
diese Menschen tun. Deshalb hatte er geholfen, damit die Geschichte friedlich ausging. „Ich hatte abgelehnt. Sie wollte, dass ich zurückkomme, nachdem ich half Miss Wood in die Anstalt zu bringen. Sie hat mich mit allem erdenklichen geködert. Dennoch lehnte ich ab.“ „Bis sie die falsche Trumpfkarte ausspielte“, unterbrach Leland. „Katherina. Das Mädchen wieder ins Spiel zu bringen, war ihr größter Fehler. Noch dümmer war es, sie in die Nähe der Kammer zu bringen, als Essentia verrückt spielte. Damit hatte sie den Weg für das absolute Desaster geebnet. Das Mädchen erlangte ihr ursprüngliches
Ich zurück. Das hätte beinahe zu einem Debakel geführt.“ Leland sah jetzt ernst in seine Richtung. Ethan war es unangenehm über das Thema zu sprechen. Besonders mit ihm. Dennoch rechnete er es seinem Kollegen hoch an, dass dieser ihm diese Dinge erzählte. Er hatte gedacht, dass er der einzige wäre, der sah dass Heidenreichs Regime keine Zukunft hatte. Letztendlich war er es, der ihre Fehler wieder ausgleichen musste. Auch wenn das bedeutete Katherina zu töten. Er musste eine Entscheidung treffen. Mit einem hatte er dabei Recht: Er selbst wäre niemals dazu in der Lage gewesen.
„Wir leben in schweren Zeiten. Das weißt du genau so gut wie ich Ethan. Heidenreich ist nicht in der Lage richtig damit umzugehen. Sieh dich doch um: Von unserem Team sind nur noch Du, Peterson und Ich übrig. Willow Creek ist zu einem Gefängnis heruntergekommen. Die Werte an die Hammond glaubte sind beinahe verloren. Du bist der einzige, der sie wirklich noch verfolgt. Du hast die Dinge erkannt. Eine Zusammenarbeit mit Snyder ist ein guter Weg, um die Lage zu retten. Er könnte uns helfen, dieses Chaos wieder ins Reine zu bringen.
Sicher: Nicht einmal ich weiß wirklich was hinter all seinen Ideen und Taten steckt. Dennoch weiß ich, dass man ihm vertrauen kann. Die U.F.P.I wäre eine große Hilfe für uns. Wir könnten wieder Struktur in die Anstalt bringen und mit Snyders Ressourcen wäre es leichter, die entflohenen Patienten zurück zu bringen. Außerdem weißt du genau, dass wir niemals in der Lage wären den Unbekannten aufzuhalten. Seine Kräfte sind denen von jedem in Willow Creek überlegen. Was denkst du, wie lange es noch dauert, bis er den Schritt in unsere Richtung macht? Er muss nur durch die Tür der Anstalt marschieren. Niemand könnte ihn
aufhalten.“ Leland hatte Recht. So wie jetzt durfte es nicht weitergehen. Sie standen mit dem Rücken zur Wand. Der Unbekannte war ein Gegner, den man nicht mit den vorherigen vergleichen konnte. Albert Wilkins, Katherina – Sie spielten nicht in seiner Liga. Hier würden sie es nicht auf herkömmlichem Wege schaffen. Eher starben sie alle bei dem Versuch. Es galt jetzt die richtige Entscheidung zu treffen. Zum Wohle aller. Er selbst konnte die Patienten nicht beschützen. Er hatte keine Parafähigkeiten. Leland hatte schon seine Kräfte im Kampf gegen diesen Feind eingebüßt. So nickte er.
„Wir müssen mit Snyder reden. Allerdings wird Heidenreich der Zusammenarbeit niemals zustimmen. Egal wie sehr wir versuchen, sie davon zu überzeugen.“ Leland lächelte. „Natürlich, aber du vergisst etwas dabei: Heidenreich ist zwar die Leitung von Willow Creek. Dennoch wurde sie eingesetzt. Das obere Gremium ist es, das entscheidet, wer die Anstalt leitet.“ Damit hatte er Recht. Die Anstalt mochte zwar unter der Leitung von Roberta stehen, aber sie war nur dazu ernannt worden, weil Hammond zurückgetreten war, ohne einen
Nachfolger aus seiner Familie zu benennen. Über der Leitung von Willow Creek stand immer noch das Gremium. Die eigentlichen Verwalter. Die Anstalt in Detroit war nicht die einzige ihrer Art. Das wusste Ethan. So viel hatte Norman ihm offenbart. Es gab überall im Land Menschen mit Parafähigkeiten. Dementsprechend gab es auch weitere Zweigstellen, in denen sich um diese Individuen gekümmert wurde. Alle unter der Kontrolle des Gremiums. Willow Creek war nur ein Sonderfall, da es im Besitz der Familie Hammond stand. Da es in der Familie niemanden gab der die Führung fortsetzen konnte, hatte das Gremium jetzt die Kontrolle.
„Du willst also damit andeuten, dass wir uns direkt an die obersten wenden sollen. Und du glaubst, dass sie einer Zusammenarbeit mit Snyder zustimmen?“ Leland zuckte mit den Schultern. „Es ist einen Versuch wert. Selbst diese Schnösel müssen einsehen, dass hier eine Menge Scheiße passiert. Sie haben bis jetzt nur gehofft, dass Roberta den Karren aus dem Dreck zieht. Wenn wir ihnen ihre Unfähigkeit vor Augen führen, dann werden sie Schritte einleiten müssen. Es wäre gut, wenn wir in dieser Angelegenheit auch Peterson hinzuziehen. Er kann die Situation ebenso gut beurteilen wie
wir.“ Ethan hielt inne. Das Gremium. Sollten sie sich wirklich an die oberste Instanz wenden? Es wäre richtig. Mit Snyder ohne ihre Einwilligung zu kooperieren würde nur ihre Missgunst wecken. Es war besser, sie über ihr Vorhaben zu informieren. Vielleicht wusste das Gremium sogar eine viel bessere Lösung. „Gut. Ich werde Dirk anrufen. Er soll sich mit uns treffen. Inzwischen musst du das Gremium verständigen. Vereinbare ein Treffen. Schildere ihnen unsere Lage.“ Damit griff er zu seinem Handy. Es war besser, wenn sie schnell handelten.
Schnell war Petersons Nummer gewählt. Stutzend starrte Ethan ins Leere, als nur der Anrufbeantworter heran ging. Wieder machte sich dieses seltsame Gefühl in ihm breit. Zuerst war das Gespräch mit Heidenreich abgebrochen und jetzt konnte er Dirk nicht erreichen. Nachdenklich sah er zu Leland. „Ich glaube, etwas stimmt da nicht. Erst ist das Gespräch mit Heidenreich abgebrochen und jetzt kann ich Peterson nicht erreichen.“ Akerman kratzte sich am Bart, ehe er aufstand. „Dann sollten wir uns beeilen. Du fährst in die Anstalt. Ich werde Studwick verständigen. Er ist der im Gremium, an
den wir uns zuerst wenden sollten.“ Ethan nickte. Je schneller die Dinge in die Hand genommen wurden, desto besser. - Dirk kniff die Augen zusammen. Inzwischen fühlte sich sein Arm taub an. Der Fremde machte noch immer keine Anstalten, ihn los zulassen. Seit einigen Minuten standen sie nun im Flur und nichts rührte sich. Die Luft schien zum zerreißen gespannt. Nachdem der letzte Schuss eines Wachmanns ihn an der Schulter verletzt hatte, machte niemand mehr Anstalten zu Feuern. Die
Waffe des Angreifers ruhte immer noch an seiner Schläfe. Bereits den tödlichen Schuss abzugeben. Arnold Griffs behielt seine Männer im Hintergrund um nichts zu provozieren, aber auch er wusste keine Lösung. Dies war ein Fall, auf den Niemand von ihnen vorbereitet worden war. Der Fremde war ohne Probleme in die Anstalt eingedrungen, hatte Strom und Handynetz lahm gelegt und hielt ihn jetzt als Geisel. Sein Blick fiel auf Ritas leblosen Körper. Er hatte sie ohne Bedenken getötet. Auch bei ihm würde er keine Gnade zeigen. Da war Peterson sich sicher. Er war nur am Leben, weil diese Person ein Ticket nach draußen brauchte, jetzt wo er offensichtlich
hatte, was er suchte. Die Patientenakten lagen achtlos auf dem Boden. Wegen ihnen war er gekommen. Doch warum? Wer war dieser Mensch? Nicht nur seine Parafähigkeit war ausgeprägt, sondern auch sein Umgang mit Technik. Ohne Probleme hatte er sie alle hier eingeschlossen. Es war Glück, dass die Patienten nicht ausgebrochen waren. Ein solches Chaos konnten sie nicht brauchen. Dennoch war die Situation damit nicht geklärt. „Hören sie zu Griffs! Sie dürfen auf mich keine Rücksicht nehmen! Er darf nicht mit den Akten entkommen!“ Was aus ihm wurde war unwichtig. Das mussten die Männer doch begreifen! In
diesen Akten standen sämtliche Informationen über die Patienten dieser Anstalt. Sie durften nicht in die falschen Hände geraten. Auch wenn das bedeutete, dass er mit dem Leben bezahlte. In diesem Beruf ging es eben nicht immer um das eigene Wohl. Das hatte auch Ellie begriffen, bevor sie sich geopfert hatte. So blickte er zu Arnold, der unsicher im Korridor stand und die Waffe weiterhin auf den Fremden richtete. Dirk konnte ihm ansehen, dass er nach einer anderen Lösung suchte, als sie beide einfach nur zu erschießen. Er war zu gutherzig für so etwas. So kamen sie nicht weiter. Er musste hoffen, dass von Außen Hilfe
kam, oder Heidenreich eine Lösung einfiel. Allerdings vermutete er, dass diese sich noch immer in ihrem sicheren Büro befand und darauf wartete, dass sich dieses Debakel von selbst löste. Nein. Von ihr durfte er keine Hilfe erwarten. Plötzlich sprang das Licht im Korridor wieder an. Verdutzt sahen sich die Wachmänner um. Ed musste den Notstrom im Keller eingeschaltet haben. Diesen kurzen Augenblick der Verwirrung nutzte Peterson und holte zu einem Kopfstoß nach hinten aus. Überrascht davon taumelte der Fremde ein paar Schritte zurück. Dirk setzte
direkt nach und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Weiter kam er nicht. Sein Angreifer fasste sich und holte zum Faustschlag in die Magengrube aus. Die Wachleute feuerten. Der Fremde duckte sich, griff die Akten und verschwand durch die aufgebrochene Bürotür. Peterson setzte ihm sofort nach. Das Geräusch von klirrendem Glas drang ihm ans Ohr, als der Angreifer durch das Fenster nach draußen sprang. Jetzt, da er hatte was er wollte, war es ihm nur noch wichtig von hier zu entkommen. Das würde er nicht zulassen. Er setzte ihm nach und folgte durch das Fenster hinaus in die Nacht. Der Fremde war nur wenige Schritte von
ihm entfernt und rannte durch das hohe Gras. Sein Ziel war der Zaun. Dirk nahm die Verfolgung auf. Hinter sich konnte er hören, wie auch Arnold und andere Wachleute durch das Fenster kamen um ihn zu unterstützen. Jedoch ohne Erfolg. Im Sprint setzte der Fremde zum Sprung an und hob sich über den Zaun hinweg, bevor er in der Dunkelheit verschwand. Dirk atmete schwer. In diesem Moment machte sich auch der Schmerz in seinem Arm und der Schulter wieder bemerkbar. Es hatte keinen Sinn, die Jagd fortzusetzen. Stumm lehnte er an dem Zaun und sah dahinter. Von dem Angreifer war nichts mehr zu sehen. Er war fort. Mit ihm, die
Akten. Danach dauerte es etwa eine halbe Stunde, bis die Techniker die Zugänge wieder geöffnet hatten. Inzwischen war Peterson in die Krankenstation gebracht worden, wo man sich um seine Wunden kümmerte. Die Ärzte hier waren gut, so dass ein Gang ins Krankenhaus nicht weiter notwendig war. Dort wurden meistens nur unangenehme Fragen gestellt, weshalb Willow Creek mittlerweile ein eigenes Ärzteteam besaß. Es würde dauern, bis die Wunden verheilt waren. Eine Weile war er außer Gefecht. Dieser Fremde hatte eine Menge Schaden angerichtet. Nicht nur
das. Den Zahlen nach waren 11 Menschen gestorben. Unter ihnen auch Rita. Vollkommen sinnlos. Sie hatten eigentlich gar nichts ausrichten können. Seufzen ließ er sich auf dem Krankenbett nieder und zog sich sein T Shirt wieder an. Es klopfte an der Tür. Zuerst hatte er mit Heidenreich gerechnet, doch war es Ethan, der von der Ärztin eingelassen wurde. „Peterson! Wie geht es ihnen? Ich bin direkt hergekommen, als ich mir sicher war, dass hier etwas nicht stimmt!“ Er hob abwehrend die Hand und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich werde es überleben.“ Sorgevoll musterte Rain seine
Verletzungen und fuhr sich mit der Hand durch das Haar, ehe er in seine Tasche griff und die Schachtel Malboro hervorholte, die er immer bei sich trug. Dankend nahm Peterson eine und zündete sie direkt an. Sehr zum missfallen der anwesenden Ärztin, die einfach nur den Kopf schüttelte. Er achtete nicht weiter auf sie. Gedankenverloren starrte er auf den Boden vor sich. Ethan zündete sich ebenfalls eine Zigarette an und ließ sich neben ihm auf dem Krankenbett nieder. „Ich habe schon ein paar Informationen von Griffs. Es war ein Mann?“ Dirk nickte. „Er ist hier ohne Probleme
durchmarschiert und hat uns wie Idioten aussehen lassen. Ein paar Wachleute sind tot. Außerdem Rita – Die Assistentin von Gladis. Er hat sie einfach getötet. Sein Ziel waren die Patientenakten. Er hat sie mitgenommen. Ich konnte ihn nicht aufhalten.“ Er fühlte sich schuldig dafür. Ethan schüttelte den Kopf und zog an seiner Zigarette. „Das ist nicht deine Schuld Dirk. Das hätte jedem von uns passieren können. Wir müssen jetzt den Schaden begrenzen.“ Ein weiteres Mal öffnete sich die Tür zur Krankenstation. Dieses Mal war es Heidenreich. Sie schien nicht erfreut
über die Entwicklung zu sein. Kopfschüttelnd musterte sie den verletzten Peterson und schickte die Ärztin mit einer Handbewegung aus dem Zimmer. „Das ist ein Debakel. Wir wurden vorgeführt. Und nicht nur das: Wichtige Informationen befinden sich jetzt in fremder Hand.“ Wütend starrte Dirk sie an. „Und dabei ist es wohl nicht wichtig, dass 11 Menschen tot sind.“ „Sie sind in Ausübung ihrer Pflicht gestorben Peterson. Denken sie nicht, dass mich das nicht kümmert. Wichtig ist jetzt, dass wir nicht untätig sind. Dieser Fremde war offensichtlich nicht
der Unbekannte. Ich vermute dahinter denselben Angreifer, der auch Croft im Krankenhaus tötete. Jetzt ist es wichtig herauszufinden, wie er hier einfach so hindurch spazieren konnte.“ Fragend sah Ethan sie an. „Sie vermuten also, dass er Hilfe hatte?“ Sie nickte bestätigend. Die grauen Augen musterten ihn. „Anders lässt sich die Situation nicht erklären. Der Fremde wusste genau, wie er uns lahmlegen kann. Mir gefällt dieser Gedanke nicht, aber jemand hat ihm geholfen. Das ist offensichtlich. Nun müssen wir herausfinden wer es ist. Wenn wir ihn finden, bekommen wir vielleicht Informationen darüber, wer
uns angegriffen hat und was er mit den Akten plant.“ Es war beängstigend, dass jemand aus Willow Creek dem Angreifer dabei geholfen haben sollte, in die Anstalt einzudringen. Es klang plausibel. Dennoch. Wer würde so etwas tun und dabei so viele Menschenleben in Kauf nehmen? Ethan wirkte unsicher. Es musste jemand sein, der genau über die Sicherheitssysteme und alles andere im Sanatorium Bescheid wusste. Peterson war hierbei der erste, der das Wort ergriff. „Was ist mit Ed? Er ist der einzige der sich wunderbar mit dem Sicherheitssystem und dem Stromnetz
auskennt. Außerdem war er nicht aufzufinden, als ich ihn suchte. Man sagte mir er sei im Keller, aber wenn ich so darüber nachdenke, frage ich mich nur: Wie konnte er so schnell auf diese Situation reagieren?“ Heidenreich sah ihn an. Alles fügte sich zusammen. Der nicht funktionierende Notstromgenerator. Das Wissen des Fremden darüber, wo er zuschlagen musste. Nur jemand wie Ed konnte ihm all die nötigen Informationen zuspielen. „Rain. Sie werden mit ein paar Wachmännern zum technischen Büro gehen und Ed festnehmen! Notfalls mit
Gewalt!“ Der Arzt nickte und erhob sich. Wenige Sekunden später hatte er bereits die Krankenstation verlassen. In seinem Kopf kreisten die Gedanken. Was verleitete einen jahrelangen Mitarbeiter von Willow Creek dazu, die Anstalt zu verraten? Wichtiger war allerdings die Frage, wie das ganze zu Stande gekommen war. Man musste auf Ed aufmerksam geworden sein. Das bedeutete, ihn zu beschatten, seine Gewohnheiten herauszufinden um zu bestätigen, dass er auch wirklich im Sanatorium arbeitete. Das hier war lange geplant. Da war er sich sicher. In einem verwundbaren Augenblick hatten
sie schließlich zugeschlagen. Er ballte die Hand zur Faust, während er das Büro des Wachpersonals betrat. Arnold Griffs saß auf seinem Stuhl und trank einen Kaffee. Er wirkte sichtlich angeschlagen. Kein Wunder. Er hatte viele Männer verloren. Verzweifelt suchten seine braunen Augen Ethan. Das blonde Haar wirkte zerzaust und ausgefranst. Dieser Mann war ausgebrannt. Keine Frage. Da tat es ihm umso mehr leid, ihn nun um etwas zu bitten. „Doktor Rain. Was kann ich für sie tun?“ Seine Stimme klang schwach und brüchig. Die Hand mit der Kaffeetasse zitterte. Ethan atmete tief durch, ehe er
sein Anliegen vorbrachte. „Arnold. Ich weiß, dass sie gerade eine Menge im Kopf haben, aber es gibt etwas wichtiges zu tun. Heidenreich und wir vermuten, dass dieser Fremde nur mit Hilfe eines Mitarbeiters von Willow Creek überhaupt soweit kommen konnte!“ Fassungslos starrte der Wachmann ihn an und erhob sich mit einem Ruck von seinem Stuhl. „Wer?!“ „Vermutlich ist es einer der Techniker. Ed.“ Die Faust schlug auf dem Tisch auf. Die Tasse flog klirrend in die Ecke, wo sie in mehrere Stücke zersplitterte und ihren
Inhalt über den ganzen Boden verteilte. „DIESER MISTKERL!“, fluchte er. Rain hob beruhigend die Hände. „Arnold. Ich brauche sie jetzt bei Fassung. Rufen sie ein paar Männer zusammen. Wir gehen ins technische Büro und nehmen ihn fest.“ Der Wachmann zwang sich zur Beherrschung. Ethan konnte sich vorstellen, wie es gerade in ihm aussah: Er hatte Mitarbeiter und Freunde verloren und der Verantwortliche dafür, sollte jemand aus den eigenen Reihen sein. Unvorstellbar. Er selbst konnte er nicht glauben. Wenn wirklich Ed dahinter steckte, waren sie alle blind. Der Techniker hatte nie auffällig
gewirkt. Er war ein netter Zeitgenosse, der zusammen mit seiner Familie in dieser Stadt lebte und aufgewachsen war. Meistens war er ein ruhiger Mensch. Nur wenn es mal ernst wurde, konnte er laut werden und die Leute herum scheuchen, wenn es sein musste. Schon zu Hammonds Zeit war er Leiter der technischen Abteilung gewesen. Einen Verrat war das letzte, das man ihm zutraute. Besonders Ethan. Allein die Vorstellung dass überhaupt jemand so weit ging war erschütternd. Hatte Ed das aus freien Stücken getan? Nachdenklich legte er einen Zeigefinger an die Stirn und schloss die Augen. Ein Seufzer entkam seiner Kehle. Jetzt war
nicht die Zeit darüber nachzudenken. „Kommen sie Arnold. Gehen wir.“ Auf dem Weg zum technischen Büro verständigte Arnold drei weitere Männer über Funk, die sich dem Team anschlossen. Umher stehende musterten sie nervös. Niemand außer ihnen wusste, was im Augenblick los war. Ethan wollte nicht, dass sich die Nachricht wie ein Lauffeuer in der Anstalt verbreitete. Es war besser, wenn im Moment so wenig Leute wie nötig davon wussten. Vor allem wollte er die Hintergründe klären. Wenn Ed das alles zu verantworten hatte, dann musste es einen Grund dafür geben. So betraten sie
das technische Büro. Allerdings war nur einer der Männer gerade anwesend und ging ein paar Unterlagen durch. Müde hob er den Kopf, als er Ethan und den Rest erblickte. „Dr. Rain. Gut das sie hier sind. Hier ging alles drunter und drüber.“ Er ließ von den Dokumenten ab und stand auf. Arnold drängte sich an dem Arzt vorbei und sah den Techniker murrend an. Noch immer wirkte er geladen. „Wo ist Ed?“ Der junge Mann zuckte mit den Schultern und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Keine Ahnung. Ich habe ihn seit ein
paar Minuten schon nicht mehr gesehen. Er kam aus dem Keller zurück, nachdem alles wieder soweit lief. Dann hat er sein Zeug zusammen gepackt und ist gegangen.“ Griffs schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. Das war nicht die Antwort, die er hören wollte. Ethan legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zur Ruhe zu zwingen. Es war besser, wenn er das wenige an Fassung bewahrte, das er im Augenblick noch besaß. „Können sie vielleicht sagen, wohin er gegangen ist? Hat er etwas gesagt?“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf und räumte ein paar Werkzeuge in die
Schränke an der Wand. „Nein. Er wirkte ein wenig zerstreut. Kein Wunder, nach der Geschichte. Hat nur was davon gefaselt dass er zeitig los müsste und wir uns um alles kümmern sollten. Ich denke mal, er ist nach Hause gefahren. Würde mich nicht wundern. Ist ja auch schon spät und wir alle haben heute eine Menge durchgemacht.“ Arnold schüttelte nur den Kopf und lehnte sich an den Türrahmen. Ethan konnte ihm ansehen, dass er darüber nicht erfreut war. Allerdings wunderte es ihn nicht, dass Ed die Anstalt verließ. Vermutlich wusste er, dass sein Tun nicht lange unbemerkt blieb. Er griff in
seine Manteltasche und holte eine Zigarette hervor, die er sich ansteckte. Die leere Schachtel zerknüllte er und warf sie in den Mülleimer an der Ecke. Sein Blick glitt auf die Uhr. Es war wirklich spät. Carrie und Sofia schliefen sicher schon. Jedoch konnte er jetzt nicht einfach aufhören. Morgen konnte Ed aus der Stadt verschwunden sein. Damit würde ihre einzige Spur im Sand verlaufen. So wandte er sich an Griffs. „Ich werde zu Ed nach Hause fahren. Vielleicht ist er ja dort, oder seine Frau weiß etwas. Arnold? Sie begleiten mich. Aber bitte: Bewahren sie Ruhe. Ich weiß, dass das für sie nicht einfach ist, aber im Moment nützt es uns nichts,
wenn wir unseren Gefühlen nachgehen.“ Er nickte. Sicher war es schwierig für ihn, doch im Moment war Gelassenheit der Schlüssel. Ein Fehler in dieser Sache und die Toten würden umsonst gestorben sein. - Mitten in der Nacht hatte es plötzlich zu Regnen begonnen. Der kalte Wind rüttelte an seiner Kleidung, während er dem Fluss näher kam. Es war stockfinster und beinahe ließ sich die bloße Hand vor Augen nicht mehr erkennen. Ed seufzte und streckte die Glieder, während er den vereinbarten
Treffpunkt erreichte. Dass sich sein Kontakt mit ihm nach der ganzen Geschichte treffen wollte, kam ihm nur zu Gute. Mit dem Geld, das er für seine Arbeit bekam, konnten er und seine Familie woanders neu anfangen. Etwas, das unter normalen Umständen nicht möglich gewesen wäre. Dieser Fremde war wie ein Geschenk des Himmels. Vor einigen Monaten hatte er ihn zum ersten Mal getroffen. Damals war er sich über die Sache nicht sicher gewesen. Vor allem hatte er keine Ahnung, was diese Person mit den Informationen bezweckte, die er durch diesen Coup erhalten wollte, aber das kümmerte ihn nicht. Hauptsache, die Entlohnung
stimmte. So wartete er am Ufer des Detroit River. In seiner Hand ruhte ein Flachmann. Das half, die Anspannung zu lösen und das Warten zu verkürzen. Außerdem beugte es ein wenig gegen die Kälte vor. Man konnte ja nicht wissen, wie lange dieser Kerl bis hierher brauchte. „Sie sind zu früh. Ist ihnen auch niemand gefolgt?“ Erschrocken wandte er sich um. Aus der Dunkelheit schälte sich ein Schatten. Vermummt in Mantel, Tuch und Mütze kam sein Auftraggeber auf ihn zu. Ed machte einen Schritt rückwärts und sah ihn an.
„Man! Erschrecken sie mich doch nicht so! Ja! Ja klar. Mir ist keiner gefolgt. Die sind noch damit beschäftigt alles wieder hin zu biegen. Machen sie sich keine Sorgen. Also, haben sie mein Geld?“ Abwehrend hob die Person die Hand und hielt einen Augenblick inne. Nur das Rauschen des Flusses war zu hören, während der Regen auf sie nieder prasselte. Ed suchte nach einem Umschlag oder ähnlichem in den Händen seines Gegenübers. Wurde jedoch nicht fündig. „Noch nicht. Sie haben bis jetzt gute Dienste geleistet. Dennoch. Unsere
Feinde sind zahlreich. Sie sind jemand, der alles über sie weiß. Womit wir es zu tun haben. Wer uns Probleme bereiten könnte. Immerhin sind sie jetzt ein Teil unserer Sache. Wir müssen uns noch um ein paar lose Enden kümmern, bevor wir unser Geschäftsverhältnis endgültig beenden können. Das verstehen sie doch sicher.“ Er nickte murrend. Eigentlich hätte er es wissen müssen. Reichte man diesen Leuten den kleinen Finger, wollten sie direkt die ganze Hand. So nahm er einen weiteren Schluck seines Alkohols und legte den Kopf schief. Vielleicht konnte er dadurch ja noch ein wenig mehr Geld aus der Sache herausschlagen. Warum
also nicht? „Und was genau wollen sie von mir? Ich habe ihnen eigentlich schon alles gesagt, was ich weiß.“ Der Fremde ging nun wieder zu dem Gebüsch, aus dem er etwas hervorholte. Ein eingepacktes Bündel. Was es genau war, ließ sich nicht erkennen, bis die zarten Geräusche eines Babys an sein Ohr drangen. Perplex starrte er auf die Szene. Sein Auftraggeber kam auf ihn zu und drückte ihm das Mündel in die Hand. Dazu einen kleinen Zettel mit einer Adresse. Fragend sah Ed auf das kleine Kind. Ein neugeborenes. Kein Zweifel. Höchstens ein paar Stunden alt. „Bringen sie das Kind zu der Adresse.
Sie werden dort einen Kontaktmann treffen. Übergeben sie ihm das Bündel. Von ihm werden sie auch ihre Belohnung erhalten.“ Ed kniff die Lippen zusammen. Der Kleine weinte ein wenig. Was hatte dieser Typ damit zu schaffen? „Wem gehört das Baby?“ Eigentlich interessierte es ihn nicht, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Auftraggeber eine familiäre Bindung zu dem Balg hegte. Dieses Kind musste Eltern haben. Das letzte was er wollte, war in einen Entführungsskandal verwickelt zu werden. Der Gedanke an seine Bezahlung wischte jedoch schnell jeden negativen Zweifel beiseite.
„Das zählt nicht. Wichtig ist nur, dass sie ihren Teil erfüllen. Das wäre dann alles. Sie haben uns gute Dienste geleistet.“
Damit verschwand der Fremde wieder in der Dunkelheit. Ed sah ihm noch einen Moment lang nach, ehe sein Blick wieder auf das Mündel fiel. Was hatte sein Auftraggeber mit diesem kleinen Wesen im Sinn? Was war so besonders an ihm? Der Techniker zuckte mit den Schultern. Besser er brachte das alles schnell hinter sich. Sobald er den Jungen abgeliefert hatte, konnte er die ganze Geschichte ein für alle mal vergessen...
Nachdenklich blickte Ethan die Straße entlang. Die Häuser wurden ins sanfte Licht der Straßenlaterne getaucht. Das einzige was hierbei störte, war der Regen. Besonders Nachts, wenn der kalte Wind einem an den Knochen fraß, konnte man sich ja schnell irgendetwas einfangen. Allerdings war eine Erkältung das letzte, worüber er sich Sorgen machte. Einen Moment lang hielt er inne und zündete sich eine Zigarette an. Hinter ihm kam Arnold um die Straßenecke und warf einen Blick auf die Gebäude.Die Hände hielt er in den Hosentaschen.
„Nicht schlecht. Ich muss sehen, dass ich jeden Dollar zweimal umdrehe und der Kerl kann sich ein hübsches Häuschen in der Vorstadt leisten. Da sprich noch einmal jemand von Gerechtigkeit auf dieser Welt.“ Er fuhr sich mit der Hand an die Wange und sah beinahe ein wenig verständnislos aus. Kein Wunder. Der Tod seiner Freunde und Mitarbeiter saß tief. Einfach so konnte das niemand abschütteln. Umso mehr war es wichtig, dass sie hier waren. Eigentlich war es nicht die feine Art jemanden so spät in der Nacht aus dem Bett zu klingeln. Dennoch erforderte die Situation ernste
Maßnahmen. Wenn Ed etwas über den Angreifer in der Anstalt wusste, sollten sie ihn so schnell wie möglich finden. Immerhin konnte es sich der Beschreibung nach um denselben handeln, der im Krankenhaus aufgetaucht war. Derjenige, der John getötet und das Kind verschleppt hatte. Es bestand eine Chance, Taras Sohn zu retten. Das war etwas, was er hoffen wollte. In dieser Nacht waren schon genug schreckliche Dinge geschehen. Zumindest eine positive Sache wäre wünschenswert. Ein Schwall blauen Dunstes entkam seinen Lippen.Vor dem Haus der Familie machte er halt. Hier brannte kein Licht
mehr. Soweit er wusste hatte Ed eine Frau und zwei Töchter. Irgendwie kam ihm der Gedanke seltsam vor, dass so jemand sich dazu entschied, mit den falschen Leuten zu arbeiten. Dahinter steckte vermutlich mehr. Ethan würde davon allerdings kein Wort zu Arnold verlieren. Dem würde es sicher nicht gefallen, wenn er dem Verantwortlichen jetzt noch so etwas wie ein gutes Herz zu gestand. So schritt er langsam den kleinen mit Blumen gesäumten Pfad zur Haustür entlang. Im Vorgarten starrten ihm Gartenzwerge entgegen. Die Fenster waren mit Bildern versehen. Eindeutig
das Werk von Kindern. Ethan lächelte. Das hier war in jedem Fall ein warmes zu Hause. Er konnte sich gut vorstellen, wie hier Frau und Kinder an der Türschwelle warteten, wenn Ed von der Arbeit zurückkehrte. Er würde seine Mädchen auf den Arm nehmen und seiner Frau zur Begrüßung einen Kuss. Bei ihm war das ja nicht anders. Auch er war ein Familienmensch. Während er so darüber nachdachte, vermisste er Carrie und Sofia. In letzter Zeit war er nicht wirklich dazu gekommen, viel mit ihnen zu unternehmen. Die Arbeit war zum zentralen Punkt in seinem Leben geworden. Ein Umstand den er nach dieser Geschichte wieder aus der Welt
schaffen würde. Schon gegenüber Heidenreich hatte er es erwähnt und bisher hatte sich nichts an seiner Entscheidung geändert. Er würde die Anstalt verlassen, wenn sich die Dinge wieder normalisiert hatten. Ein seltsamer Gedanke. Acht Jahre hatte er dieser Anstalt gewidmet. Eine lange Zeit und er hatte viel gesehen. Menschen mit den verschiedensten Fähigkeiten und Lebensgeschichten hatte er betreut. Albert Wilkins, Viktor Waslow oder Katherina. Sie waren nur ein Teil. Dennoch. Wenn er jetzt darüber nachdachte war es beinahe so, als würde ein Stück seiner Familie aufgeben. Immerhin verbrachte er
beinahe jeden Tag in der Anstalt. Kümmerte sich um die Belange der Patienten und half ihnen wo er konnte. War ein Leben danach wirklich möglich? Missmutig senkte er den Kopf, während sich der Regen über ihm ergoss. Inzwischen war die Zigarette in seinem Mund durch die Nässe ausgegangen. Arnold stand fragend hinter ihm und streckte die Glieder. „Alles in Ordnung Ethan?“ Er schüttelte den Kopf und warf die Zigarette auf den Boden. Jetzt war nicht die Zeit, um über diese Dinge nachzudenken. „Nichts. Bringen wir es hinter uns.“ Damit klingelte er an der Tür. Erst regte
sich nichts. Das Haus schlief. Noch einmal schellte es, woraufhin im oberen Stockwerk Licht anging. Ein paar Sekunden später konnte er Schritte auf dem Treppenabsatz hören. Es wurde geöffnet. Eine hagere Frau mit zerzaustem Haar musterte ihn. Sie musste doppelt so alt sein wie Carrie. Mindestens 40. Ihre Augen waren dunkel unterlaufen. Falten zogen sich über die Stirn. Stellen des braunen Haars waren bereits ergraut. Schlaftrunken und ein wenig verwirrt sah sie ihn an, ehe sie ihren Morgenmantel ein wenig enger zog. Ihre Hände waren von Arthritis gezeichnet. Als sie auch Arnold erblickte wurde sie
unsicher. „Ja? Wer sind sie? Wissen sie eigentlich wie spät es ist? Meine Kinder schlafen und haben in ein paar Stunden Schule!“ Er nickte. Es tat ihm ein wenig leid. Dennoch duldeten die Umstände keine Verzögerung. „Es tut mir leid Ma'am. Mein Name ist Ethan Rain. Das ist Arnold Griffs. Wir sind Mitarbeiter ihres Mannes Ed.“ Sie wirkte verwirrt. Ethan schloss daraus, dass er noch nicht zurück gekehrt war, nachdem er das Sanatorium verlassen hatte. Ein guter Umstand. Vielleicht konnten sie Informationen über seinen Aufenthaltsort ermitteln.
„Ich bin Martha. Sie sind Mitarbeiter von Ed? Was ist mit ihm? Er ist noch nicht nach Hause gekommen. Ist etwas passiert? Geht es ihm gut?“ Sie hatte seine Hand ergriffen und sah ihn eindringlich an. Sanftes Grün schimmerte ihm entgegen. Was sollte er ihr sagen? Die Wahrheit? Das würde bedeuten dass er dieser Frau erklärte, dass ihr Mann für den Tod mehrerer Menschen verantwortlich war. Martha wirkte angeschlagen. Eine solche Botschaft würde sie nicht überstehen. Das war sicher. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte. „Er ist wohlauf. Das hier ist nur eine
Routinebefragung. Entschuldigen sie, dass wir erst so spät kommen. Wir wollten sie nicht erschrecken. Wir sind gute Freunde ihres Mannes und machen uns einfach nur ein wenig Sorgen. In letzter Zeit scheint es ihm nicht so gut zu gehen.“ Sie senkte den Kopf und nickte anschließend. „Ja. Es geht Ed in letzter Zeit nicht gut. Besprechen wir das im Haus. Kommen sie. Ihr Freund auch. Freunde von Ed sind stets bei uns willkommen.“ Sie führte die beiden Männer ins Haus. Schon im Eingang fielen Ethan die Fotos der Familie an den Wänden auf. Auf dem
Boden lag Spielzeug herum. Es erinnerte ihn ein wenig an zu Hause. Eds Kinder waren wahrscheinlich etwas älter als Sofia. So genau hatte er sich nie mit ihm unterhalten. Was er aber wusste war, dass er zwei Töchter hatte. Schon länger hegte Ethan den Gedanken ein zweites Kind zu bekommen, aber im Augenblick war er sich nicht so sicher. Die Arbeit verlangte ihm viel ab und er wollte Carrie damit nicht allein lassen. Umso wichtiger war es ihm, das alles hinter sich zu bringen, so dass er sich endlich seiner Zukunft widmen konnte. Zusammen mit seiner Familie. So folgte er Martha langsam ins Wohnzimmer. Hier wirkte es recht ordentlich. Ein
großer Fernseher stand an der Wand. Daneben ein paar Bücherregale. Die meisten Romane drehten sich um banale Themen wie Romantik und den Alltag. Wahrscheinlich war Martha der Bücherwurm. Die Lesebrille auf dem Wohnzimmertisch ließ darauf schließen. Allein von der Farbe her konnte der Arzt sagen, dass sie nicht Ed gehörte. So ließ er sich zusammen mit Arnold auf dem Sofa nieder. Martha schritt in Richtung Flur. „Möchten sie einen Tee? Ich kann schnell einen machen, wenn sie wollen.“ „Ja gerne!“ Er lehnte sich ins Sofa zurück und warf einen Blick durch den Raum. Trotz der
Kinder war es aufgeräumt. Auch hier war anhand der Fotos zu sehen, dass sich in diesem Haus viel um die Familie drehte. Warum also sollte ein Mensch wie Ed, der eine Familie hatte die ihn liebte, so etwas tun? Warum sollte er all diese Menschen wissentlich opfern? Was stand dahinter? Seufzend sah Rain zu Griffs. „Was denkst du?“ Der Wachmann zuckte mit den Schultern und bohrte sich in der Nase. „Keine Ahnung. Nur denke ich nicht, dass ein Tässchen Tee mit der Mrs. zu trinken unsere Probleme löst Ethan. Wenn du mich fragst ist das hier Zeitverschwendung. Wahrscheinlich ist
Ed schon längst über alle Berge.“ Ethan legte sich einen Finger an die Lippen um seinen Gegenüber zum Schweigen zu bringen. Aus der Küche war zu hören, wie Martha gerade das Wasser aufdrehte. „Das wissen wir nicht. Wir sollten umsichtig sein. Kein Wort zu ihr. Wir müssen vorsichtig nach haken. Was meinst du, wie sie reagiert, wenn wir mit der Wahrheit ins Haus platzen? Nein. Das ist nicht der richtige Weg Arnold. Wo auch immer Er gerade ist: Ich bin mir sicher, dass wir hier ansetzen sollten.“ Arnold nickte nur.Zufrieden wirkte er mit dieser Antwort nicht. Ethan konnte
sich vorstellen, wie es gerade in ihm aussah. Viele seiner Freunde und Mitarbeiter waren gestorben. Er hatte heute Abend viel durchgemacht. So einfach ließ sich das nicht vergessen. Es war nur menschlich, dass er wissen wollte was Ed zu seinem Verhalten veranlasste. Es ging jedoch nicht nur darum. Ed kannte diesen Fremden und wusste vielleicht was er im Schilde führte. Wenn sie ihn fanden, bestand die Möglichkeit ihn davon zu überzeugen ihnen zu helfen. Dabei mussten sie behutsam vorgehen. Ethan wusste nicht, wie lange Arnold seine Emotionen unter Kontrolle behielt. Der Mann war aufgewühlt und trauerte. In so einem
Zustand fuhr man schnell aus der Haut. Er konnte sich noch gut an die schwere Zeit nach Katherinas Tod erinnern. Alles hatte sich so sinnlos angefühlt. Griffs befand sich jetzt in einer ähnlichen Lage. Daher war es wichtig ihn zu unterstützen, so gut es möglich war. „Ich habe noch Earl Grey, wenn sie den mögen“, erklärte Martha, als sie mit einem Tablett ins Wohnzimmer kam. Sie hatte für alle drei Tee eingeschenkt. Ein Schale mit Zuckerstücken stand daneben und für den der mochte, ein kleines Tässchen Milch. Ethan lächelte und goss ihr ein. „Danke Martha. Sie sind zu gut zu uns,
obwohl wir sie zu solch einer späten Stunde stören.“ Sie errötete ein wenig und wischte sich eine Haarsträhne fort. Auch Arnold bedankte sich bei ihr so gut er konnte und setzte die Tasse an die Lippen. Jedoch nahm er sie gleich wieder fort. Fragend sah Eds Frau ihn an. „Schmeckt es nicht?“ Er schüttelte den Kopf und hob beschwichtigend die linke Hand. „Doch doch. Ich habe mich nur verbrannt. Danke.“ „Ein guter Earl Grey muss die richtige Temperatur haben. Das hat Ed immer gesagt. Er trinkt ihn lieber als Kaffee . Er sagt, es erfrischt ihn. Manchmal sitzt
er bis spät abends noch in seinem Arbeitszimmer. Man kann dann hören, wie er immer mit dem Löffel in der Tasse herum rührt.“ Sie sprach voller Zuneigung für ihren Ehemann. Ethan starrte in das Porzellan. Was war mit Ed los? Warum tauschte er dieses Leben gegen eines, aus Mord und Flucht? Hier gab es keine Anzeichen dafür, dass sein zu Hause der Grund war eine solche Entscheidung zu treffen. Kurz musterte er Martha und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. Der Tee war wirklich stark. Der Arzt verzog das Gesicht. Dagegen wirkte mancher Kaffee wie ein Becher kühle Milch. Zu heiß für seinen Geschmack,
weshalb er sich noch etwas Milch nach goss. „Wie schon gesagt. Wir sind hier, weil wir uns Sorgen um Ed machen. In letzter Zeit scheint er mir ein wenig zerstreut. Haben sie eine Ahnung woran das vielleicht liegen könnte? Arnold und ich sorgen uns um ihnen. Es ist uns wichtig, dass es ihm bald wieder besser geht.“ Sie senkte betroffen den Kopf und rührte mit dem Teelöffel in der Tasse herum. „Naja. Es ist wahrscheinlich wegen Abbigail. Unserer jüngsten. Sie war schon immer ein kränkliches kleines Ding und Eds größter Stolz. Sie ist
krank. Seitdem wir die Diagnose bekamen war er nicht mehr derselbe. Knochenkrebs. Wir waren schon bei sämtlichen Ärzten, aber die Behandlung können wir uns nicht leisten. Das macht ihn fertig.“ Sie war den Tränen nahe. Ethan stellte die Tasse ab und ergriff ihre Hand. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Davon hatte er nie etwas gewusst. Mit Ed sprach er selten und wenn, dann ging es nur um die Arbeit. Über die Mädchen sprach er wenig. Kaum auszumalen wie das sein musste. Unweigerlich kam ihm Sofia in den Sinn. Er wollte sich jedoch nicht vorstellen, wie es sein musste sein Kind
in einer solchen Verfassung zu sehen. Alleine die Vorstellung, sich als Elternteil mit so etwas konfrontiert zu sehen, war schrecklich. „Es tut mir Leid Martha. Ich wusste es nicht. Ed sprach nicht sooft über die Kinder. Ich kann mir nicht einmal ausmalen, wie so etwas wohl ist. Ich habe selbst eine Tochter. Sofia. Sie ist 6 und geht bald in die erste Klasse. Allein der Gedanke, dass ihr etwas passieren könnte...“ Ihm versagte die Stimme. Martha hob den Kopf und lächelte sanftmütig. In den Augenwinkeln glitzerten einzelne Tränen. „Kinder sind unser wertvollstes Gut. Sie
sind das, was wir der Welt hinterlassen, wenn wir nicht mehr sind. Das sagt Ed auch immer. Besonders Väter sind sehr feinfühlig damit. Auch wenn sie es nicht immer zugeben möchten. Abby ist alles für ihn. Er würde alles tun, damit es ihr wieder gut geht, glaube ich.“ Er nickte. Jetzt wusste er, was hinter Eds Verhalten stand. Es ging ihm nicht einfach nur um Geld, oder eine persönliche Bereicherung. Seine Tochter war krank. Als Vater würde niemand einfach daneben sitzen und auf das Ende warten, wenn es um das eigene Kind ging. Er selbst würde das auch nicht tun. Daher konnte er ihn sogar ein wenig verstehen. Dennoch mussten sie
ihn finden. Jetzt da sie die Hintergründe wussten, ließ sich bestimmt eine Lösung finden. „Ich würde mich gerne in Eds Arbeitszimmer umsehen. Vielleicht finde ich dort einen Anhaltspunkt darauf, wo er ist“, warf Arnold ein und erhob sich vom Sofa. Nach der ganzen Geschichte über die Krankheit des Mädchens wirkte er ein wenig durcheinander. Martha nickte nur und deutete auf einen Durchgang im Wohnzimmer. „Einfach da hindurch und dann am Ende des Flurs. Die Tür steht offen. Sie können es gar nicht verfehlen. Machen sie nur nichts unordentlich. Ed mag das
nicht.“ Griffs nickte und verließ den Raum. Es war besser, wenn einer von ihnen bei Martha blieb. Vor allem wollte er die Frau im Moment nicht alleine lassen. Das mit ihrer Tochter ging ihr nahe. Er schämte sich dafür, dieses Thema aufgewühlt zu haben. Das war eine Facette in seinem Job, die er hasste. Manchmal kamen Menschen zu Schaden, die eigentlich nichts damit zu tun hatten. Sie waren die leidtragenden. Für ihn war das immer schwierig. In Eds Fall wusste er nicht, wie die Sache ausging. Hierbei handelte es sich nur um einen Vater, der das beste für sein Kind wollte. Er war kein böser Mensch.
Allerdings konnte man nicht ungeschehen machen, was er getan hatte. Wahrscheinlich sah Ed keine andere Lösung als diese. „Ethan. Kommst du mal bitte?“ Der Arzt erhob sich und durchschritt den Flur. Eds Arbeitszimmer war aufgeräumt und ordentlich. Arnold hielt eine Jacke in der Hand. In der anderen ein paar kleinere Zettel. Fragend sah Rain ihn an. „Was ist das?“ „Tankstellenbelege. Einer ist von der Cheap 'n Smart. Die ist direkt in der Nähe der Anstalt. Davon gibt es mehrere. Aber dann gibt’s noch die hier. Gas & More. Die liegt weit weg. Ed war
ein paar Mal in der Nacht dort.“ Ethan kannte die Tankstelle. Als er noch zusammen mit Dwight und Katherina Fälle löste, waren sie öfters dorthin gefahren, um auf zu tanken. Er warf einen Blick auf den Beleg. „Die kenne ich. Das ist auf der Elm Road. Da gibt es ein Motel.“ Um genauer zu sein war es das Hitch-Motel. Der alte Standort, von dem sie aus operiert hatten. Konnte es vielleicht sein, dass sich Ed dort mit dem Fremden getroffen hatte? Sicher war nur, dass sie jetzt einen Anhaltspunkt hatten. Arnold warf die Jacke wieder über die Stuhllehne und kratzte sich am Hinterkopf.
„Komm. Am besten fahren wir sofort los!“ - Der Regen hörte immer noch nicht auf. Das Schreien des Jungen kam hinzu. Ed hielt in in seinem Arm und versuchte ihn zu beruhigen, während er die Straße entlang schritt. Das Ziel war ein altes verlassenes Haus am Stadtrand. Hier trieben sich meistens Gangs herum und der sonstige Abschaum. Im Augenblick war es ruhig. Gut. Er hatte keine Lust, sich noch mit irgendwelchen Punks abzugeben. Die Hauptsache war, dass er
diese Sache schnell hinter sich brachte. Danach konnte er endlich neu anfangen. Mit dem Geld würde er Abbys Operation bezahlen. Dann hieß es eigentlich nur noch: Raus aus der Stadt. Vielleicht würde er nach Mississippi gehen. Das war zumindest eine Idee. Natürlich war er sich noch nicht sicher, wie Martha darüber denken würde. Irgendwie würde er sie schon überzeugen. So nahm er einen Schluck aus seinem Flachmann. Der Junge beruhigte sich ein wenig. Jedoch wimmerte er immer noch. Ed verzog das Gesicht. „Sorry Kleiner. Ich würde dir ja was abgeben, aber ich glaub nicht dass du damit was anfangen
könntest.“ Er wickelte die Decke enger. Bei dem Regen war das besser. Stumm musterte er das Neugeborene, während er vor dem Haus halt machte. Wieso hegte jemand ein Interesse an diesem Kind? Konnte er vielleicht eine Fähigkeit besitzen? Das würde ihn nicht wundern. Immerhin war ja auch sein Auftraggeber damit gesegnet. Dennoch gab es viele offene Fragen. Vielleicht konnte der Mann, mit dem er sich nun traf alles beantworten. Es dauerte auch nicht lange, bis jemand aus dem Innern des verlassenen Gebäudes auf ihn zukam. Die Person war allerdings ebenso vermummt wie sein letzter Kontakt.
Diese Leute hatten es wohl ziemlich mit ihrer Privatsphäre. War auch nicht so wichtig. Hauptsache, er hatte es bald hinter sich. „Sie sind sehr zuverlässig. Das muss man ihnen lassen“, erklärte der Unbekannte mit ruhiger Stimme. Er war wirklich ein Riese. Ed nickte nur. „So bin ich eben. Also. Ich habe alles getan, was ich tun sollte. Hier ist der Junge. Ich weiß zwar nicht, was sie mit ihm vorhaben, aber es ist mir auch egal. Ich will nur mein Geld und dann nichts wie weg.“ Der Fremde hob die Hand und schüttelte den Kopf. Der Junge wirkte in seiner Gegenwart unruhig und begann wieder
zu weinen. Ed drückte ihn an sich, um ihn zur Ruhe zu bringen. Es wirkte. „Edward. Ihre Hilfe war für uns bis jetzt von großem Wert. Im Augenblick ist das Kind für uns wertlos. Seine Kräfte sind unausgebildet. Sie müssen wachsen. Bis dahin braucht er jemanden, der auf ihn aufpasst. Außerdem ist ihre Arbeit noch nicht getan.“ Davon war er durchaus überrascht. Was sollte das denn jetzt? Es hieß eigentlich, dass hier nach alles vorbei war. Sollten sich diese Leute nun etwa doch nicht an die Abmachung halten? Das war nicht das, was er wollte. Er machte einen Schritt auf den Unbekannten
zu. „Was soll das bedeuten? Ich werde sicher nicht den Babysitter für den Jungen spielen. Meine Aufgabe war nur dafür zu sorgen, dass ihr Freund in die Anstalt kommt. Nicht mehr und nicht weniger. Alles andere ist ihr Problem!“ Er würde sich nicht auf einen weiteren Deal mit diesen Leuten einlassen. Das war sicher. „Sie sind nicht in der Position um Verhandlungen anzustellen. Bis jetzt waren wir großzügig. Was ihre Bezahlung für diese Arbeit angeht: Das Geld wurde bereits auf ihr Konto überwiesen. Also machen sie sich keine Gedanken darum. Dennoch – Sie sind
wichtig für uns. Dabei haben sie keine Entscheidungsmöglichkeiten. Sie arbeiten für uns. Sonst werden wir uns um ihre Familie kümmern Edward. Um ihre Frau und ihre Töchter. Wollen sie durch ihren Ungehorsam bewirken, dass sie zu schaden kommen?“ Fassungslos starrte er den Unbekannten an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Wieso würde er seine Familie damit hinein ziehen? Das war ungerecht! Diese Kerle kannten wirklich kein Mitleid. „Wieso brauchen sie unbedingt mich dafür? Es gibt tausend andere die besser dafür geeignet sind als
ich!“ Sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf. „Nein. Sie sind genau der Richtige. Ihr Wissen und ihre Talente sind für uns unverzichtbar. Ich will ihnen wirklich nicht drohen. Das wissen sie hoffentlich. Ich weiß ihre Arbeit für uns zu schätzen. Ich bin nicht ihr Feind Edward. Auch wenn sie das denken. Nun. Ich weiß dass das schwierig für sie sein muss, aber machen sie sich keine Gedanken. Man wird für ihre Familie sorgen, während sie für uns einen wichtigen Auftrag erledigen.“ Das konnte nicht sein Ernst sein. Dieser Mann ließ wirklich keinen Widerspruch zu. Andererseits wollte er Martha und
die Kinder nicht in Gefahr bringen. Besser, wenn er tat was man von ihm wollte. Allein zu ihrer Sicherheit. So senkte er den Kopf und nickte. „Gut. Ich tue es. Was auch immer sie von mir verlangen. Ich tue es. Nur halten sie meine Familie da heraus. Sie haben nichts damit zu tun.“ „Machen sie sich deswegen keine Sorgen. Familie ist wichtig. Sie ist meistens das, was unseren Kopf klar hält. Ich kann sie gut verstehen. Sie wollen sie nur beschützen. Ich würde an ihrer Stelle nicht anders handeln.“ Er hielt inne. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Das war zumindest ein Vorteil. Auch dem Kind ging es dadurch
ein wenig besser. Die Decke, war inzwischen vollkommen durchnässt. Besser er kam bald ins warme. „Nun Edward. Das was ich von ihnen verlange, wird ihnen sicherlich nicht leicht fallen, aber es ist wichtig für uns. Dort draußen gibt es viele Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Manche von ihnen sind wichtig für uns. Daher will ich, dass sie sie suchen und sie davon überzeugen mit uns zu arbeiten.“ Das kam unerwartet. „Ich? Ich bin Techniker. Kein Psychiater. Das sollten sie wissen. Für diese Aufgabe bin ich wahrscheinlich denkbar ungeeignet.“ Der Unbekannte schüttelte den
Kopf. „Nein. Sie sind der richtige dafür. Sie haben eine gute Seele. Das ist wichtig bei dieser Art von Arbeit. Die persönliche Qualifikation spielt keine Rolle. Sie werden sich gut anstellen!“ Er senkte den Kopf und dachte nach. „Was genau soll ich tun?“ „Sie werden das Kind mitnehmen. Sie kümmern sich um den Jungen. Mein Kontakt wird sie über alles informieren das sie wissen müssen. Treffen sie sich mit ihm an der üblichen Stelle. Sie werden von nun an mit ihm zusammen arbeiten.“ Ed nickte. Etwas anderes konnte er nicht tun. Die Hauptsache war, dass es
Martha und den Kindern gut ging. Egal was er dafür tun musste. Wer auch immer dieser Mann war, er schien vertrauenswürdig. Er würde ihnen nichts tun, solange er das tat was er wollte. Dennoch: Dies war sicher nicht der weg, den er sich ausgesucht hatte. Allerdings gab es keine andere Wahl. Für das Wohl seiner Familie. Für das von Abby, würde er alles tun. - „Hey Süßer. Lust auf ein wenig Spaß?!“ „Tut mir leid. Ich bin gerade nicht in Stimmung. Ich hatte gerade erst ne
Erkältung.“ Die junge Dame zeigte Leland den Mittelfinger, bevor sie fluchend davon schritt. Er grinste nur und humpelte auf seiner Krücke den Bürgersteig entlang. Normalerweise hatte er nichts gegen Prostituierte. Allerdings achtete er auf die Qualität und in diesem Viertel gab es nicht viel davon. Dennoch war es der einzige Treffpunkt, der sich in so kurzer Zeit vereinbaren ließ. Es war ein Diner. Zu dieser Zeit war er der einzige Gast. Die Bedienung war eine fette alte Dirne die ihn missmutig ansah. Kein Kind von Freude. Ihm war das egal. Er suchte sich einen Platz am Fenster und ließ sich dort nieder. Nun musste er nur
noch auf Studwick warten. Es war gut, dass er dieses Treffen arrangieren konnte. Das Gremium war der richtige Ansprechpartner in ihrer Situation. Alleine wegen der Heidenreich-Geschichte. Die Frau geriet allmählich außer Kontrolle. Dies war der erste Punkt um den man sich kümmern musste. So seufzte er, während die Bedienung an den Tisch kam. „Was kann ich dir bringen Schätzchen?“ „Einen Kaffee!“ „Machen sie zwei daraus!“ Akerman wandte sich um. Er hatte gar nicht bemerkt, wie der Mann das Diner betreten hatte. Er trug feine Kleidung. Ein Hemd, die dazu gehörige Krawatte
und darüber eine Weste. Das braune Haar war fein säuberlich gepflegt und auch ansonsten machte dieser Kerl einen gehobenen Eindruck. Anscheinend handelte es sich hierbei um die Kontaktperson. Leland bot ihm einen Platz gegenüber an, während die Bedienung ihnen eine Tasse Kaffee servierte. Der Neuankömmling nahm einen Zug daraus und verzog das Gesicht. „Der Kaffee in diesen Läden ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Mr. Akerman richtig? Nathan Rivers. Ich bin Mr. Studwicks persönlicher Assistent, der für ihn solche Treffen übernimmt. Er wird hierbei nicht in Erscheinung
treten. Stattdessen werden sie alles, was sie sagen wollen, mir mitteilen. Ich werde ihn dann darüber informieren.“ Leland schüttelte den Kopf. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Das Gremium war wirklich arrogant, wenn sie nur einen Strohmann schickten. Nicht die feine englische Art. Nein. Er musste direkt eine Grenze setzen. So klatschte er in die Hände und lächelte matt. „Nun. Das ist aber nicht das, was ich im Sinn habe. Ihre Mühen stehen natürlich in allen Ehren, aber ich ziehe es vor mit Mr. Studwick persönlich zu sprechen.“ Dabei nahm er einen Schluck vom Kaffee. Das Zeug war wirklich
widerlich. Hier achtete man eben nicht auf Qualität. Nathan seufzte und tippte mit dem Finger auf dem Tisch herum. Die blauen Augen musterten Akerman. „Nun. Sie sind nicht in der Position um Bedienungen zu stellen. Entweder, sie erzählen mir was sie zu berichten haben, oder ich gehe und überlasse sie wieder ihren Dingen. Sie können entscheiden Mr. Akerman. Ich bin hier, als Zeichen des Guten Willens. Das wissen sie doch hoffentlich zu schätzen.“ Dieser Typ hatte einen Stock im Arsch. Das war eindeutig. Leland musste sich wohl damit zufrieden geben. Das war die einzige Chance, das Gremium darüber
zu informieren, wie es um die Dinge stand. Auch wenn er diesen aufgeblasenen Schleimbeutel jetzt schon nicht leiden konnte. Was sich Studwick wohl dabei dachte, ihn vor zu schicken? Vielleicht hielt er die Angelegenheit für zu unwichtig und hatte Rivers deshalb an seiner Stelle entsandt. Das war jetzt auch egal. Solange dieser Mann seinen Vorgesetzten über alles informierte, konnte es ihm Recht sein. Wichtig war nur, dass hier nach endlich die Dinge in Bewegung gesetzt wurden. „Ja. Die Hauptsache ist, dass sie Mr. Studwick erzählen, was ich ihnen erzähle.“ Nathan nickte und schob die Kaffeetasse
von sich fort. „Dann erzählen Sie.“ „Was soll ich großartig sagen? Die Dinge sind ein Chaos. Seit dem Norman Hammond gekündigt hat, gerät alles mehr und mehr aus dem Ruder. Heidenreich verfolgt ihre eigene Führungspolitik und stürzt damit alles ins Verderben. Der einzige der versucht dagegen zu halten ist Ethan Rain. Einer der besten Ärzte in der Anstalt. Ihm liegt etwas an den Patienten und ihrem Wohlergehen. Er ist wahrscheinlich der einzige Mann dort, dem sie wirklich vertrauen können.“ Rivers lächelte und nickte. Leland war es
wichtig, dass dieser Mann alles erfuhr. Wenn das Gremium wirklich etwas unternehmen konnte, dann sollten sie am besten in allem eingewiesen werden. Dennoch wirkte sein Gegenüber nicht überrascht von den Erklärungen Akermans. Nathan blieb ruhig und musterte ihn. „Ethan Rain ist uns nicht unbekannt Mr. Akerman. Seine Taten sind dem Gremium durchaus bekannt, so wie auch die derzeitige Lage in der Anstalt. Wir wissen auch, dass sie mittlerweile die Seiten gewechselt haben. Wir wissen, dass ihr neuer Arbeitgeber Patrick Snyder heißt.“ Leland erschauderte. Wusste das
Gremium wirklich so viel? Er nickte. Das zu verheimlichen brachte nichts. Allerdings war dieser Einwurf eine gute Gelegenheit direkt auf das nächste Thema zu sprechen zu kommen. Rivers spielte ihm gut in die Hände. „Das will ich gar nicht bestreiten. Ich denke sogar, dass Snyder in dieser Sache der Schlüssel sein könnte. Warum arrangieren wir es nicht so, dass die U.F.P.I mit Willow Creek zusammenarbeitet? Das würde eine Menge unserer Probleme lösen. Mit unseren jetzigen Mitteln sind uns die Hände gebunden. Wenn sie so viel wissen, dann ist ihnen sicher auch nicht verborgen geblieben, dass da draußen ein
Mörder sein Unwesen treibt, der den Menschen ihre Kräfte stiehlt. Alleine deswegen ist ein solches Bündnis für uns unabdingbar.“ Sein Gegenüber hob abwehrend die Hand um Akerman zum Schweigen zu bringen. Er wirkte trotz all dieser Informationen ziemlich ruhig. Zu ruhig für Lelands Geschmack. „Sehen sie. Seit dem Ausbruch der Patienten aus der Anstalt hat sich das Gleichgewicht verschoben. Es sind viele von ihnen da draußen und treiben ihr Unwesen. Der Unbekannte, ist ein Übel das wir brauchen. Sie stimmen mir doch sicher zu, dass es im Sanatorium Leute gibt, denen man nicht mehr helfen kann.
Sie sind eine Gefahr für die Gesellschaft. Es ist besser, wenn diese Leute von der Bildfläche verschwinden.“ Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Duldete er diesen Irren etwa? Was führte das Gremium im Schilde? Wieso unternahmen sie nichts gegen den Unbekannten, wenn sie doch von ihm wussten? Ging es wirklich nur darum? Das konnte nicht der eigentliche Grund sein. Bevor er etwas sagen konnte, fuhr Nathan bereits fort. „So sind die Dinge. Was Heidenreich betrifft, so was es das Gremium selbst, dass entschied sie zu Hammonds Nachfolgerin zu bestimmen. So konnte Stabilität gewährleistet
werden.“ Leland schnaubte verächtlich. „Stabilität? Bei aller Liebe. Sie sind blind! Es gib schon lange keine Stabilität mehr. Heidenreich hat Blut an ihren Händen. Viel davon. Ihr geht es gar nicht darum den Patienten der Anstalt zu helfen. Sie sperrt sie ein wie Tiere. Die Opfer die wir gebracht haben, kümmern sie überhaupt nicht. Ist ihnen eigentlich klar, wie viel wir bereits verloren haben?“ Rivers nickte. „Das Gremium wird sich darum kümmern. Dennoch nicht ganz ohne Gegenleistung Mr. Akerman. Sie wollen etwas von uns. Daher ist es nur gerecht,
wenn wir im Gegenzug auch etwas von ihnen verlangen. Dabei geht es in erster Linie um Patrick Snyder. Er ist ein gefährlicher Faktor in der ganzen Geschichte. Das Gremium verlangt, dass Sie uns über alle Vorhaben dieses Mannes auf dem Laufenden halten. Sie werden nicht mehr für Willow Creek oder Patrick Snyder arbeiten. Von jetzt an Mr. Akerman, stehen sie im Dienste des Gremiums. Sie haben Recht. Ein Austausch der Führung von Willow Creek ist wichtig. Dennoch: Das Gremium wird keiner Zusammenarbeit mit Patrick Snyder zustimmen. Dieser Mann hat bereits zu viel Macht und wir wissen nicht, wo seine wahren
Interessen liegen. Daher wird es zu keiner Kooperation kommen.“ Er duldete keinen Widerspruch. Für Leland war dies nicht das beste Angebot, aber es war im Augenblick wohl alles, was sie kriegen konnten. So nickte er. Ihm gefiel es natürlich nicht. Trotzdem war es wichtig, dass man sich zumindest um die Belange in der Anstalt kümmerte. Egal welchen Preis er dafür zahlen musste. Ein Biss in den sauren Apfel war ein günstiger Preis, wenn sie dadurch Heidenreichs Regime beenden konnten. „Nun gut. Das akzeptiere ich. Erzählen sie Studwick dass ich zu einer Zusammenarbeit bereit bin, wenn sie sich
um Heidenreich kümmern. Wenn sie mich jetzt entschuldigen.“ Er griff nach seiner Krücke und wollte aufstehen, doch Rivers hob die Hand und deutete ihm zu warten. „Eine Sache wäre da noch. Ich sagte bereits, dass das Gremium über die Taten ihres Partners Ethan Rain informiert ist. Der Wilkins-Fall und die Geschichte mit Katherina Compton sind nur zwei Beispiele seines Versagens. Das Gremium wird nicht noch einmal mit ansehen, wie er seine persönlichen Gefühle über die Notwendigkeit der Dinge stellt. Ich hoffe das ist ihnen bewusst.“ Er erhob sich und zog seine Weste
zurecht. Die letzten Worte klangen wirklich wie eine Drohung. Leland schluckte. Dieses Treffen war nicht so verlaufen, wie er es sich erhofft hatte. Zum Abschied legte Rivers ihm eine Hand auf die Schulter. „Nun. Mr. Akerman. Ich werde sie auf dem Laufenden halten.“ Damit ließ er ihn alleine im Diner zurück. Leland wusste, dass sich ab jetzt eine Menge Dinge ändern würden. - Das Gefühl von Nostalgie überkam Ethan, als er mit seinem blauen Toyota auf dem Parkplatz des Hitch-Motels vor
fuhr. Der Ort hatte sich kaum verändert. Es wirkte so, als wäre er erst gestern hier gewesen und würde heute einfach nur herkommen, um sich zusammen mit Dwight und Katherina auf einen neuen Auftrag vorzubereiten. Er parkte den Wagen und sah aus dem Frontfenster. Die Hände ruhten auf dem Lenkrad. Arnold sah ihn kurz an. „Was ist los Ethan? Stimmt etwas nicht?“ Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und zündete sich eine Malboro an. Es war schon seltsam, dass sich Ed ausgerechnet diesen Ort ausgesucht hatte. Als wäre dies ein Wink des Schicksals. Immerhin hatten sie viel Zeit
hier verbracht. Damals, als das alles anfing. Manchmal waren sie wirklich unbeholfen. Organisatorisch war das Motel nie der beste Stand. Dennoch hatte es funktioniert. Zeitweise war dieser Ort für ihn und die Anderen ein zu Hause gewesen. Mit Kummer dachte er an die alten Szenen. Ein Teil von ihm wünschte sich sogar, dass wenn er durch die Tür ging, alles wie früher sein würde. Dwight ging ein paar Akten durch. Katherina würde vor dem Fernseher liegen und mit ihren Pandafiguren spielen. Bilder, bei denen es ihm heute zu vor kam, als stammen sie aus einem längst vergangenen Traum. Er zog an seiner Zigarette. Beim
Ausatmen füllte sich das Auto mit blauem Dunst. „Was meinen sie Arnold? Warum hat Ed diese Dinge wirklich getan?“ Fragend sah sein Sitznachbar ihn an und zuckte mit den Schultern. Er schien über die Worte des Arztes ein wenig verwundert. „Keine Ahnung. Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Was weiß ich? Ich meine, okay. Wenn man über das nachdenkt, was seine Frau sagte, dann kann man sich schon ungefähr vorstellen warum. Trotzdem. Das rechtfertigt nicht, was er getan hat Ethan. 11 Menschen sind tot. Männer mit Familie. Und Rita? Die hat
niemandem etwas getan. Wenn du jetzt darauf hinaus willst, dass du Ed verstehen kannst, dann lass mich dir was sagen: Ein kaputtes Leben, sei es auch das eines kleinen Mädchens, rechtfertigt nicht dass so viele einfach sinnlos abgeschlachtet werden.“ Er sprach in ernstem Tonfall. Seine Wut war natürlich nicht verraucht. Er hatte sie einfach nur aufgestaut, als sie bei Martha waren. Jetzt, wo sie so offen über alles sprachen, war es nur normal, dass alles wieder auf den Tisch kam. Dennoch. Ethan musste verhindern, dass Arnold sich davon übermannen ließ, wenn sie Ed fanden. Im Augenblick war ihm zuzutrauen, dass er etwas
dummes anstellte. Deshalb war es wichtig, ihn zu beruhigen. „Du hast Recht. Ich hatte nur darüber nachgedacht. Mir vorgestellt, wie es sein würde, wäre ich an seiner Stelle. Wenn es um Sofia ginge. Ich wüsste nicht was ich tun würde. Trotzdem. Du hast Recht. Das rechtfertigt nicht was er getan hat. Wäre er zu uns gekommen, hätte man sicher eine andere Lösung dafür gefunden. Was für uns jetzt wichtig ist, ist dass wir Ed schnell finden. Er weiß wahrscheinlich eine Menge über diesen Fremden. Diese Informationen sind sehr wichtig. Wer auch immer diese Person ist, sie hat die Akten der Patienten. Auch derer, die
immer noch auf freiem Fuß sind. Mit dem Material in den falschen Händen, kann man viel Schaden anrichten. Das zu verhindern ist unser vorrangiges Ziel. Ich hoffe du verstehst das!“ Angesäuert nickte Arnold und öffnete die Tür. Mit einem Seufzen folgte Ethan. Sie beschlossen, direkt die Zimmer zu kontrollieren. An der Information würden sie sicher nicht weiterkommen. Ed war bestimmt nicht so dumm, seinen richtigen Namen hier zu hinterlassen. So wartete Rain, während Griffs damit begann das Schloss der ersten Tür aufzubrechen. Mit ein paar geschickten Handgriffen war das Schloss geöffnet
und die Tür schwang auf. Es war beinahe ein wenig unheimlich, dass sie direkt das richtige Zimmer gefunden hatten. Die Wände waren über und über mit Papieren und Fotos behangen. Bilder über Willow Creek. Informationen über das Personal der Anstalt. Ein Foto von Heidenreich hing neben einem Stadtplan von Detroit, auf dem der Standort des Sanatoriums eingekreist war. Nicht nur das. Ganze Seiten gab es hier über Albert Wilkins, John Croft und Tara. Es erinnerte an eine Art Tagebuch. Als hätte sich jemand die Mühe gemacht, die drei auszukundschaften. Ethan schritt an der Wand entlang und warf einen genaueren Blick darauf. Es gab auch
Informationen über ihn, Leland und Peterson. Hier hatte sich jemand Mühe gegeben. „Ethan. Hier.“ Er wandte sich zu einer anderen Wand um, an der Arnold offensichtlich etwas entdeckt hatte. Neugierig trat er näher heran. Tatsächlich. Die meisten Informationen an dieser Wand drehten sich um Patrick Snyder. Welche Tätigkeiten er in seinem Amt als Stadtrat verfolgte, der aktuelle Verlauf seiner Bürgermeisterkandidatur. Sogar ein paar Informationen über die U.F.P.I. Aber da war mehr. Viel mehr. Sofort griff der Arzt zu seinem Handy und wählte Lelands Nummer. Der musste
inzwischen Kontakt zum Gremium aufgenommen haben. Besser, er informierte ihn über seinen Fund. „Ethan? Gut dass du anrufst. Ich muss mit dir reden.“ Er klang ein wenig aufgeregt. War etwas passiert? Ethan kratzte sich an der Nase, während Griffs nach draußen schritt, um sich ein wenig umzusehen. „Arnold und ich sind am Hitch-Motel. Wir haben Eds Spur bis hierher verfolgt. Offensichtlich hat er sich öfter hier mit dem Fremden getroffen, der in die Anstalt eingebrochen ist. Allerdings habe ich mich vertan. Das hier ist nicht Eds Unterschlupf, sondern der von diesem Typen. Hier sind eine Menge
Informationen über Willow Creek und über uns. Du bist auch dabei. Es ist unfassbar, wie viel dieser Kerl weiß. Sogar deine Zusammenarbeit mit Patrick Snyder ist hier aufgelistet.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz Stille. „Das ist zumindest ein Fortschritt. Ethan. Ich habe mich mit Nathan Rivers getroffen. Er ist Russel Studwicks Untergebener. Wir haben viel geredet. Das Gremium hat einer Zusammenarbeit mit Snyder nicht zugestimmt.“ Das hätte er nicht erwartet. Doch das kümmerte jetzt nicht mehr. „Ich glaube auch nicht, dass das eine gute Idee ist. Snyder hat womöglich
mehr mit all dem zu tun, als wir ahnen. Du müsstest das hier sehen. Die Informationen. Ich konnte noch nicht alles ansehen, aber das was wir bis jetzt angeschaut haben...da bleibt einem die Spucke weg. Was hier alles steht. Es gibt da etwas, das wir vorher nicht wussten Leland. Es geht um Snyder. Er-“ Ein Schuss riss ihn aus seinen Gedanken. Von draußen. Sofort schritt Ethan zur Tür. Arnold war getroffen und lag reglos auf dem Boden. Vor Schock ließ der Arzt das Handy fallen, an dessen Ende Lelands panische Stimme zu hören war. „Ethan? Was ist da los?!“ Der Arzt reagierte nicht mehr darauf.
Vor ihm kam der Fremde aus der Dunkelheit auf ihn zu. In den Händen hielt er eine Pistole, die er auf ihn richtete. Ethans Herz schlug wie ein Presslufthammer in der Brust. Er war unfähig sich zu bewegen, geschweige denn klar zu denken. Vom Boden konnte er noch immer die Stimme Akermans aus dem Telefon hören.
„Ethan. Rede mit mir!“
Dann löste sich der Schuss...