Titel
ENDLICH FERTIG!
Diese Geschichte ist im Großen und Ganzen tatsächlich so passiert, mit einigen Änderungen hinsichtlich des Einbaues folgender Vorgaben.
Balken - chillend - feuerwehrrot - Fingernagel - forcieren - Fratzengeballer - friemeln - heldisch -
Hupatz - Kaugummi - Lausebengel - Lockenwickler - Remmidemmi – schraffieren - Sitzfleisch - tadellos - ungestüm – waidwund - windig - wundersam
Hannchen und Doris, zwei Damen älteren Semesters wollte sich wieder einmal Prag ansehen. Hannchen war das letzte mal vor 50 Jahren da und wollte noch einmal Erinnerungen auffrischen. Am Tag vorher wollte sie noch zum Friseur gehen, um sich eine annehmbare Frisur verpassen zu lassen. Leider ging dann alles schief und nicht wie es geplant war. Ihr Gatte dieser Lausebengel hatte all ihre Planung zunichte gemacht und nun versuchte sie heldisch zu retten, was zu retten war. Da musste sie sich eben Lockenwickler ins Haar friemeln. Aber vielleicht ging es auch so.
Nun war der Tag der geplanten Tagesreise da und früh aufstehen war angesagt.
Sie machte sich einigermaßen hübsch, auch die Frisur saß tadellos und nun konnte es losgehen. Es war zwar schönes Wetter angesagt, aber so früh am Morgen zog ein dichter Nebel seine Schlieren. Zuerst musste sie mit dem Auto nach C, wo sie sich mit Doris treffen wollte und man in den Bus umsteigen musste, der nach Prag fuhr. Sie musste zu einem großen Bezahlparkplatz, wo das Tagesticket sechs Euro kostete. Als sie aus dem Auto ausstieg, war es zwar sehr warm für Anfang September, aber auch windig, so dass ihre wundersam angefertigte Frisur den Geist aufgab und wie immer, wirr im Gesicht herumhing.
Dann der nächste Schreck. Als sie in ihre
Geldbörse schaute, hatte sie nur noch vier Euro und einen Fünfeuroschein dabei. Der Parkautomat nahm aber nur Münzen. Also fragte sie eine Frau, die eben auch ein Parkticket lösen wollte, ob sie ihr den Fünfer wechseln könne. Sie konnte. Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer Brust, denn sonst wäre das Parken ihr sicher teuer zu stehen gekommen.
Da noch etwas Zeit war bis der Bus kam, mit dem auch Doris eintreffen wollte, zündete sie sich ein Zigarettchen an und sah sich suchend an der Haltestelle um.
Inzwischen hatten sich schon eine Menge Leute angesammelt und dann kam auch schon der Bus. Doch von Doris war weit und breit nichts zu sehen.
Ein Mitarbeiter des Reiseunternehmens fragte alle Namen ab und auf einmal klingelte das Handy. Doris war dran:
„Sag mal, wo stehst du denn. Ich bin hier am Parkplatz und kann einen Bus sehen. Ist das unserer?“
„Na klar, ich stehe schon hier, warte eine Ewigkeit und der Fahrer wird langsam ungeduldig. Komm schnell!“, rief Hannchen.
Dann war Doris endlich da und sie konnten einsteigen. Da Hannchen nicht mehr so gut zu Fuß war, musste sie sich an den Haltestangen hoch hangeln, wobei sie sich einen Fingernagel einriss. Das war nun schon Fauxpas Nummer zwei und ging ja gut
los.
Pünktlich um acht Uhr fuhr der Bus los. Man musste gutes Sitzfleisch mitbringen, denn am Grenzübergang gab es eine Stelle, wo bei der Straßenerneuerung geschlampt worden war. Da war ein Hupatz* und wenn man da nicht aufpasste konnte es schon passieren, dass man den Mageninhalt wieder am Gaumenzäpfchen kleben hatte. Da half nur eines - schnell einen Kaugummi kauen.
Nachdem man die Berge des Erzgebirges hinter sich gelassen hatte, ging die Fahrt auf ziemlich gerader und ebener Strecke weiter. Links und rechts waren Felder zu sehen auf denen einsame Hopfenstangen standen. Unterbrochen wurde das Bild von kleineren
Ortschaften.
Nach zirka einer Fahrstunde gab es eine Pinkelpause. Der Bus hielt nahe einer Tankstelle, die sich auf der anderen Straßenseite befand. Der Fahrer warnte die Fahrgäste höllisch aufzupassen beim Überqueren der ziemlich stark befahrenen Fernstraße.
Hannchen hatte große Mühe über die Straße und ohne unter die Räder, zu kommen.
Da im Bus das Weibsvolk an der Überzahl war und es nur eine Toilette gab, herrschte da ziemlicher Andrang. Kostenpunkt fünfzig Cent oder zehn Kronen. Dazu forderte ein Pappschild, das stand auf einem Teller neben den „Pausensnacks“, die von einer jungen Frau mit ziemlich unlustiger Miene
zubereitet wurden, auf. Und das alles für eine ziemlich unsaubere Toilette, allerdings in einer Größe, die man in Tschechien nicht gewohnt war. Na gut, der Preis war vielleicht auf die Größe berechnet. Allerdings musste man sein „Geschäft“ etwas forcieren, weil der Fahrer ja gleich weiter wollte.
In Prag angekommen, stieg eine deutsch sprechende Reiseleiterin ein, die die Aufgabe hatte, den Fahrgästen Prags Sehenswürdigkeiten zu zeigen.
Als erstes führte sie die Teilnehmer zum Wallensteingarten, den man hinter einer so simplen Stadtmauer gar nicht vermuten würde.
Nachdem Hannchen und Doris den Eingang durchquert hatten, öffnete sich der Blick in einen wunderschön angelegten Garten mit einem künstlichen Teich in der Mitte, in dem große Kois und Karpfen schwammen.
Am Rand sahen sie einen weißen Pfau, eine Rarität im Tierreich.
Dass dies auch der noch ruhigste Ort in Prag war, wurde beiden später bewusst, als sie die
Karlsbrücke überquerten. Es herrschte ein unheimliches Menschengewimmel, so dass sie Mühe hatten, die Reiseleiterin im Auge zu behalten, die immer ungestüm mit ihren an einem langen Stab befestigten gelbgrünen Fähnchen schwenkte.
Rechts und links hatten sich sogenannte Künstler nieder gelassen, die grellbunte Kunstdrucke von Prag zu einem erstaunlich hohen Preis anboten.
Allerdings gab es auch echte Künstler, die auf Bestellung in kurzer Zeit Porträtzeichnungen oder Karikaturen anfertigten. Das Fratzengeballer auf den Ausstellungstafeln war entsprechend groß.
Man konnte ihnen direkt beim Zeichnen und Schraffieren zusehen. Allerdings war die Zeit nun doch recht knapp und die Reiseleiterin drängte zum Weitergehen. Manchmal musste man sich doch recht ungestüm durch die Menschenmassen schieben, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Für Hannchen und Doris war dieses quirlige Treiben recht anstrengend und sie überlegten schon, sich abzusetzen und
eigene Wege zu gehen. Doch eine Reiseleitung hat ja auch ihr Gutes, zumal diese gute Ratschläge gab, wo man günstig tauschen könne und wo es gutes Essen gab.
Also liefen die beiden weiter in der Truppe mit, Richtung Altmarkt, vorbei am Altstädter
Rathaus mit der berühmten Astronomischen
Uhr, über deren Herkunft viele Mythen in Umlauf sind. Im Reiseführer kann man folgendes nachlesen:
„Jede Stunde erwacht die Uhr zum Leben. Die Darbietung ähnelt einer Horrorfilmszene. Zuerst öffnet sich eine kleine Tür und eine Christus Figur gefolgt von den zwölf Aposteln erscheint. Währenddessen erscheint ein Skelett das den Tod repräsentiert. Das Skelett läutet eine Glocke und schüttelt den Kopf vor der Statue eines Türken. Der Türke ist eine von mehreren Figuren, die die sieben Todsünden darstellen. Dazu gehört Eitelkeit welche ihre Reflexion in einem Spiegel bewundert, Gier, der seinen Geldbeutel fest hält und die Wollust, die Musik und Tanz
genießt und das Leben nicht ernst genug nimmt. Am Ende kräht ein Hahn und die gesamte Prozedur wiederholt sich zu jeder vollen Stunde.“
Leider hatte die Truppe keine Zeit auf das Erscheinen der Figuren zu warten und so ging es weiter zum Altstädter Markt, wo ebenfalls ein buntes Treiben herrschte. Stimmengewirr aus aller Herren Länder erschwerte das Zuhören der Ausführungen der Reiseleiterin. Mitten auf dem Marktplatz war ein Remmidemmi und ein junger Mann sang „Over the Rainbow...“ dazu Gitarre spielend und Hintergrundmusik mit einigen Verstärkern.
Ein Bettler saß chillend und etwas verloren wirkend auf einem Balken, darauf wartend,
dass sich einige Passanten erbarmten und Geldstücke in seinen feurwehrroten Hut warfen.
Nun hatten Hannchen und Doris genug, großen Hunger und sie setzten sich ab von der Truppe. Sie suchten ein Lokal, wo die Preise noch zivil waren. Allerdings merkten sie, dass man in Tschechien wohl nur am besten Gulasch mit Knödeln aß, denn was sie zu essen bekamen, war nicht das, was sie erwartet hatten für den Preis. Aber zumindest schmeckte das Radler.
Danach machten sie sich auf den Rückweg zum Bus über die Pariser Straße.
Hier konnte man Gucci, Versace, Boss, Lagerfeld und viele andere Geschäfte mit großen Namen sehen, allerdings schien
niemand dort einkaufen zu gehen, denn man sah dort nur das Personal gelangweilt drinnen stehen. Kunden gab es wohl dort keine, weil die gehobenen Preise nur für Millionäre bezahlbar sind und die sich möglicherweise gerade nicht in Prag befanden.
Summa summarum war es für beide ein recht anstrengender Tag. Fünf Stunden Laufen war dann doch nichts für alte Knochen und sie sagten sich am Schluss mit waidwundem Blick: „Mach´s gut du Wunderschöne, aber dem Kommerz erlegene Stadt. Wir vermissten kleine Straßencafés, wo man Palatschinken und regionale Küche genießen konnte. Statt dessen nur Pizzarias und in den Cafés am Markt war der Kaffee
teurer, als bei uns. Darum! Nie wieder Prag – wir haben fertig.“
* Hupatz habe ich entgegen Google nicht mit Wiedehopf in Verbindung gebracht, weil ein Hupatz bei uns im Erzgebirge auch ein Hopser oder Hüpfer ist.>