Kurzgeschichte
Kostbarkeiten aus Musik und Literatur - ein Reisebericht aus Niederschlesien

0
"Kostbarkeiten aus Musik und Literatur - ein Reisebericht aus Niederschlesien"
Veröffentlicht am 08. September 2014, 18 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse. Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie. Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.
Kostbarkeiten aus Musik und Literatur - ein Reisebericht aus Niederschlesien

Kostbarkeiten aus Musik und Literatur - ein Reisebericht aus Niederschlesien

Kostbarkeiten aus Musik und Literatur

ein Streifzug durch Niederschlesien

Ein Fest der Sinne, ein Fest bei Freunden, vielfältig waren die Bezeichnungen für die Einladung zu diesem Wochenende.

Der Ort der Begegnung: 

Swieradow Zdroj, das ehemalige 

Bad Flinsberg, jener Niederschlesische Kurort im Isergebirge, dessen heilsame Radonquelle bereits vor 200 Jahren Erholungssuchende, so auch die Deutschen Kaiser, an seine sanften Hänge lockte.

Hier, in der legendären hölzernen Wandelhalle, treffen sich alljährlich im August die besten jungen Musiker Polens, um eine Woche lang zu proben und Kurgäste sowie Wanderfreunde mit Konzerten zu erfreuen.


Beim großen Abschlusskonzert dann brillieren die 14 bis 19 Jährigen im harmonischen Zusammenspiel als Sinfonie- bzw. Blasorchester, aber auch völlig ungewöhnliche musikalische Farbnuancen werden von den Dirigenten gesetzt. 



Beim Anblick der Akkordeonspieler ziehen sich meine Brauen zugegebenermaßen stets ein wenig zusammen, rezipiert mein Gehirn doch die Klänge so genannter Volksmusik, die allenthalben im Fernsehen als Lückenfüller für fehlendes Niveau präsentiert werden. 





Doch hier musste ich mich korrigieren. Der fast schüchterne junge Mann mit dem großen Instrument entpuppte sich plötzlich als regelrechtes Teufelchen, das jeden Augenblick virtuose Feuerblitze zur hölzern geschnitzten Decke zu schicken schien, während der Dirigent seine jungen Orchestermitglieder zu immer neuen intonalen Höhenflügen antrieb.

Doch auch zu Violine und Cello passte das Akkordeon, Klarinette, Akkordeon und Violine bildeten ebenfalls eine Symbiose.

Selbst der altbekannte Gassenhauer „Rosamunde“ klang in der Intonation

der jungen Leute neu und spritzig.


Beim Abschluss mit Beethovens „Ode an die Freude“, der Europahymne, erhoben sich die Anwesenden ehrfürchtig, die Hand auf die Brust gelegt. Ich hatte den Eindruck, hier ist man in Europa angekommen.

2 Stunden musikalische Kostbarkeiten von Fucik über Beethoven, Stücke aus dem „Fiedler auf dem Dach“ und der Oper „Halka“ bis hin zum berühmtem Galopp von Willibald Quanz, das alles zum Nulltarif, wann sonst erhält man solch eine Gelegenheit!

Und beim Anblick der jungen Mädchen

fiel mir schließlich noch Karl Millöcker ein, der seinen Bettelstudenten schmachtend gestehen lässt: … der Polin Reiz ist unerreicht.“

Am nächsten Morgen, Swieradow Zdroj bietet viele hübsche und preiswerte Übernachtungsmöglichkeiten, will uns unser Reiseführer, ein älterer Herr, der hier im Riesengebirge geboren wurde, unbedingt den Bahnhof von Szklarska Poreba (Oberschreiberhau) zeigen. Er sei etwas Besonderes.

Ich habe den neuen Hauptbahnhof von Berlin im Kopf und bin im ersten Moment enttäuscht, als ich das kleine, orangegelbe alte Gebäude erblicke. Doch

dann fallen mir die vielen Kleinstadt- und Dorfbahnhöfe bei uns ein, die heute vor sich hindümpeln, dem Verfall preisgegeben und ihrer einstigen Bestimmung beraubt.

Dieser hier, der alte deutsche, wurde von den Polen, den Künstlern der Restauration, wiedererweckt, die alten Holzkonstruktionen erneuert und gestrichen, die elektrischen Oberleitungen wiederbelebt und damit das gesamte Gebiet touristisch eingebunden. Der ICE von Warschau hält soeben, in ununterbrochener Folge spucken Regionalzüge Wanderer, Kurgäste, im Winter Skifahrer aus, die hier und in Harrachov beste

Bedingungen vorfinden bzw. sportliche Großereignisse verfolgen. Vielleicht fährt auch in absehbarer Zeit der einst berühmte Rübezahl-Express von Berlin aus wieder hierher.



Der weitere Weg führt über die

Sudetenstraße an Rübezahls Grab vorbei (wieso hat eigentlich ein Berggeist ein Grab?), und direkt in der berüchtigten Todeskurve öffnet sich der Blick durch ein weitläufiges Tal hinüber zu den Gipfeln des Riesengebirges mit der Schneekoppe als höchster Erhebung.




Über das äußerst hübsche und gepflegte Dorf Michalowice führt die Route nach Jagnietkow (Agnetendorf).

Hier, kurz vor dem Dorf, thront auf einem Granithügel, umgeben von gewaltigen Granitblöcken, zwischen urischen Buchen und Linden die imposante Jugendstilvilla „Wiesenstein“. 







Im Jahre 1901 errichtet war sie bis zu seinem Tode 1946 Wohnsitz des Dichters und Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann. Die Villa ist ein einzigartiges architektonisches Kleinod, das jederzeit einen Besuch lohnt. 

Nach dem Betreten steht der interessierte Gast unter einem mit Sternen verzierten Gewölbehimmel, zu beiden Seiten der großen Eingangshalle tauchen bunte Wandmalereien den Raum in ein fast mystisches Flair. Das Arbeitszimmer scheint eben erst verlassen. Der Blick

streift weit hinüber zu den sanften Gebirgshügeln. Schnell wird klar: hier fand der Hausherr ideale Arbeitsbedingungen. Hauptmann liebte seine schlesische Heimat, das Fotoalbum lässt den interessierten Besucher in die Familiengeschichte eintauchen und gibt auch ganz private Details preis.

Seine Werke und die Kopie der Nobelpreisurkunde hält der nächste Raum parat.

Man merkt, die neue polnische Generation hat den alten Hass überwunden und weiß durchaus mit dem deutschen Erbe umzugehen, es als Schatz zu hüten und zu bewahren.  Im Gegensatz zu uns Deutschen spricht ein Großteil

der hier an der Grenze Lebenden die Sprache des Nachbarn. Wir sind gern hier, nicht zuletzt, um einen Teil unserer deutschen Geschichte gemeinsam besser zu verstehen. Vielleicht ist dieser Bericht auch für den einen oder anderen eine Einladung, die Vielzahl der Schlösser im Hirschberger Tal einmal kennen zu lernen.

0

Hörbuch

Über den Autor

Albatros99
Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse.
Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie.
Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.

Leser-Statistik
13

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
DoktorSeltsam Ein wunderbar geschriebenes Stück Kulturgeschichte. Ich muss gestehen, bei Hauptmanns bin ich noch nicht zu Gast gewesen. Allerdings habe ich in Memphis die Villa Graceland besichtigt, wo u.a. eine fast zwanzig Meter lange Couch im Wohnzimmer steht. Der kundige Führer wusste zu berichten, dass auf dieser Couch Abend für Abend die "chicks" darauf gewartet haben, dass Elvis zwei oder drei von ihnen für die weitere Gestaltung der Nacht auswählte. Gibt es ähnliche Anekdoten auch von Gerhart zu berichten? ;-)

Liebe Grüße,

Dok
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Nein, von Hauptmann selbst wusste unser Bekannter so etwas nicht zu erzählen, obwohl der unwahrscheinlich viel weiß. Allerdings von seinem Tod. Da gab es wohl lange und zähe Verhandlungen. Erst wollten die Polen ihn ausweisen, so wie alle Deutschen aus Schlesien damals, dann starb er, wollte auf Hiddensee beigesetzt werden und sie gaben seiner Frau den Leichnam nicht mit. Angeblich hat ein russischer Offizier Sokolow, der bei ihm immer schon ein und ausgegangen war, dann das letzte Wort gesprochen und für die Überführung gesorgt.
Vor nicht allzu langer Zeit, das wird dich vielleicht auch interessieren, wurde eine Statue aus Sandstein zu einem seiner Werke außen bei der Villa aufgestellt, eine Frau, die auf der Erdkogel kniet und ihre Hände dem Universum entgegen streckt. Nun sind aber nicht alle Polen mit dem Umgang mit der deutschen Geschichte einverstanden, und Chaoten gibt es auch da wie hier, jedenfalls haben sie der Frau die Hände und den einen Fuß abgeschlagen. Interessant sei, meinte unser Bekannter, wie man nun damit umginge. Wir lassen die Figur so stehen, berichten in der Ausstellung davon (eine Hand liegt auch dort) und schämen uns kollektiv dafür, haben die Polen beschlossen. Und so sieht die frau jetzt wie die römischen Götter aus, denen fehlen ja auch die Gliedmaßen.

Liebe Grüße

Christine
Vor langer Zeit - Antworten
DoktorSeltsam Eine dolle Geschichte, die ich bislang noch nicht kannte. Darf ich sagen, dass mir deine Kunst zu formulieren sehr angenehm auffällt? Die meisten hier, verwenden nur wenig Sorgfalt auf ihre Kommentare. Das ist bei dir gravierend anders. Du scheinst mir im Übrigen eine geborene Erzählerin zu sein. Ich muss unbedingt mehr von dir lesen.

Liebe Grüße,

Dok
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Einladend ist Dein Buch allemal. Es weckt Entdeckungslust. Mit Wort und Bild verführst Du zum träumen und entdecken wollen.
Liebe Grüße zu Dir
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Hab ich dich mal aus Berlin rausgelockt, schön. Na vielleicht suchst du die Ruhe auch mal ein Stückchen weiter weg, deine Berichte sind ja auch immer berauschend und beruhigend. Danke für deinen Kommi und ganz liebe Grüße, Christine
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Na ja :) wenns mir mal möglich sein wird sicher. Im Moment bleibts wohl Berlin.
Der Harz ruft ... aber auch eines meiner Lieblingserinnerungskindheitsorte Lychen.
Danke für die Talerchen
Liebe Grüße zu Dir
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Eine sehr interessante Reisebeschreibung hast Du uns hier präsentiert. Leider kenne ich unser Nachbarland nicht so gut. Ein bisschen die Gegend um Ratibor und Wisla in den Beskiden. Die Eindrücke, die Du vermittelst machen direkt Lust, sich dort einmal umzuschauen. Dein sehr schön bebildertes Buch gefällt mir sehr!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Hab vielen Dank, und vielleicht treffen wir uns ja wirklich mal da, dann gib vorher Bescheid!
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Liebe Christine, deine Reisebeschreibung finde ich sehr interessant. Kenne von unserm Nachbarland Polen nur ein bisschen von Pomorze einschließlich Danzig, aber dafür das Riesen- und das Isergebirge von der tschechischen Seite her, wo wir früher oft unseren Urlaub verlebt haben.
Auch dort haben wir viele Denkmale deutscher Geschichte gesehen ...
Du beschreibst es so lebhaft und liebevoll, dass man am liebsten gleich dorthin aufbrechen möchte .... Aber wir fliegen jetzt an die Türkische Riviera ... zum "Nachsommern" ;-)

Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Na dann wünsche ich euch einen schönen warmen Urlaub. Wir fahren mit Willy zu Gertraud, d.h. in den bayrischen Wald. Tolle temperaturen sind für nächste Woche nicht gerade angesagt, Hauptsache, es bleibt trocken. Vielleicht treffen wir uns mal bei den Schlössern, die sind einfach zu schön, oft allerdings inzwischen teure Hotels. Ganz liebe Grüße Christine
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
19
0
Senden

117978
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung