1 - bestätigung
"Hure!", "Seht ihr die Schlampe?", "Mein Gott, sie ist so billig!", zischte es von alles Seiten, als ich mich durch die Menge drängte. Wie immer. Ich hätte es mich längst gewohnt sein müssen. Aber das tat ich nicht. Es würde mich jedes Mal wie ein Messerstich, mitten ins Herz, treffen, wenn ich eine dieser Beleidigungen hörte. Als würde mich jemand ohrfeigen und mein Kopf in tausend Stücke zerbrechen. Nein, ich würde es niemals hinnehmen können. Und doch wäre ich lieber tot, als jemals etwas dagegen zu sagen oder unternehmen. Das war nicht meine Art.
Schwach zu sein, sich zu verkreichen, der Menge zu folgen- das war ich nicht. Mein Stolz liess es nicht zu.
So streckte ich also die Nase in die Luft, warf mein wasserstoffblondes Haar ein letztes Mal zurück und schritt durch sie alle hindurch als wäre ich Megan Fox persönlich. Ich versuchte nicht hinzuhören. Warum taten sie dies? Sie kannten mich doch überhaupt nicht. Kein bisschen. Keiner von ihnen. Niemand wusste wer ich wirklich war, was ich durchmachte, wie meine Geschichte lautete. Also, wie konnten sie es auch nur wagen solche Gerüchte über mich zu verbreiten?! Wie konnten
sie es wagen, meinen Ruf auf eine Weise herunter zu ziehen, die niemals wieder jemand hier vergessen würde?
"Lass dir nichts anmerken!", ermahnte mich meine innere Stimme abermals. "Sie wollen doch bloss sehen, wie du am Boden liegst, gebrochen und am Ende. Aber das lässt du nicht zu. Weine wenn du nachts alleine in deinem Bett liegst. Erst dann darfst du schwach werden"
Es kam mir vor als wären Stunden vergangen, als ich den Ausgang endlich erreichte. Der Typ aus dem Clubinneren war mir bis hier her gefolgt. Gleich
würde er ein Taxi für uns bestellen und mich mit sich mitnehmen, als wäre es selbstverständlich, dass ich diese Nacht ihm gehörte. Dass er mich einfach haben konnte, nur um mich am nächsten Morgen rauszuwerfen als wäre ich ein Stück Dreck. Aber ich durfte es ihm nicht böse nehmen. Ich meine, wie könnte er auch anderst denken, wenn ich die ganze Zeit diese Anspielungen quittierte? Ich liess mich doch genauso auf diese Nacht ein wie er es tat. ICH war die jenige, die voraus ging. Ja, ich wollte genauso bei einem Mann liegen, ich wollte in seinen Armen einschlafen, seinen Duft einatmen, ich wollte einfach nur dieses Gefühl bekommen, geliebt und
gebraucht zu werden. Selbst wenn ich wusste, dass hier keine Gefühle im Spiel waren, dass letztlich alles nur aufgesetzt war. Ich brauchte diese Zuwendung, dieses Flirten, die Komplimente wie eine Droge. Ich war süchtig danach.
"Alles in Ordnung?", holte mich der Typ verwirrt in die Gegenwart zurück. "Aber natürlich. Mir gehts gut", lächelte ich gequält. Mein Blick war auf einen Punkt an der Mauer fixiert. Wie gerne hätte ich ihm in die Augen gesehen, ihn angeschrien, dass überhaupt nichts in Ordnung war, dass ich nicht mehr konnte.
Doch dann wäre er gegangen. Und dies konnte ich nicht noch einmal verkraften. Ich wollte dieses Gefühl, einen Menschen zu verlieren, nicht noch einmal erleben. Ich wollte nicht einmal daran denken.
Nur manchmal, manchmal wünschte ich mir, die Zeit zurück drehen zu können und dann alles anders zu machen. Ich wollte wieder ein Kind sein, keine Ahnung vom Leben haben, unter der ständigen Fürsorge meiner Eltern stehen. Dann würde meine Samstagnacht jetzt daraus bestehen, mit meiner Familie, in Trainerhose und
Decke eingekuschelt, auf der Couch zu sitzen und einen Film zu schauen. Oder vielleicht wären meine Grosseltern zu Besuch. Ich hatte diese Abende, diese Gespräche, das Lachen so geliebt.
Stattdessen stand ich in meiner knappsten Kleider - wenn man diese überhaupt noch so nennen konnte - vor irgend einem Schuppen, die dreckige Hand eines mir unbekannten Mannes auf meinem Hintern, im Hintergrund abschätzige Blicke. Mein wahres Gesicht lag verborgen unter einer dicken Schicht Make-Up, ich hatte einen völlig neuen Menschen darauf gemalt. Und das alles nur um Männern zu
gefallen. Um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenigstens noch solchen Männern. Das Gefühl der Einsamkeit würde mich sonst ersticken.
"Taxi ist hier", meinte der Typ eine Weile später. Er klang kurzangebunden, gereizt. Ich fröstelte und lächelte schüchtern. Doch schnell fasste ich mich wieder, spannte meinen Körper an und entschuldigte mein Abdriften mit einem leidenschaftlichen Kuss. Meine Hände vergruben sich in seinem Haar - mein Gott, sie fühlten sich an wie seine es taten - während meine Gedanken einzig darin lagen, wie ich die Zukunftwohl überleben würde.
2 - vergessen
Es war perfekt. In jeglicher Hinsicht. Sein Auto, seine Musik, sein Humor. Er war dazu ein Geantleman, keine Frage, er verwöhnte mich den ganzen Abend lang. Und ich hatte es versucht. Ja wirklich! Ich hatte versucht, irgendetwas emotionales für ihn aufzubauen. Ich hatte mir alle Mühe gegeben, dieses ganz bestimmte Gefühl zu verspühren, den Drang, ihn unbedingt wiedersehen zu wollen und ich hatte fast krampfhaft alles daran gesetzt, mich noch in dieser Nacht zu verlieben.
Es ging nicht. Ich konnte es nicht. Ich konnte ihn nicht vergessen. Und es machte mich so unglaublich wütend. Ich sollte doch längst über ihn hinweg gekommen sein. Ich sollte ihn längst vergessen haben und mein Leben so weiter leben, als hätte er niemals existiert. Offen sein, auf Dates gehen, Spass haben, jemanden ganz bestimmten finden, der einfach hier sein würde. Mir versprach, dass alles wieder gut werden würde, dass er mich nicht auch noch verlassen würde. Aber ich scheiterte daran. Immer und immer wieder. Es verging keine Sekunde in der ich nicht an ihn dachte, in der mein Herz nicht schmerzte, als würden es tausende
Messer durchstechen. Bei jedem Kuss, bei jedem Wort wünschte ich mir so verdammt fest, dass er es war, der neben mir im Dunkeln sass. Ständig tauchte sein Gesicht, seine Stimme, sein Lachen auf. Ich hatte mir nicht eingestanden, dass es so weh tun würde und es machte mich wahnsinnig. Wie gerne hätte ich geschrien, seinen Namen gerufen und gehofft, dass dies alles nur ein schrecklicher Albtraum war in dem ich endlich aufwachte und merkte, dass alles noch in Ordnung war.
Es musste aufhören. Ich konnte nicht weiterhin diese verzweifelte, zurückgebliebene Ex-Freundin sein. Das
gönnte ich ihm nicht. Ich wollte einfach nur wieder glücklich sein. Auch ohne ihn. Für einen anderen Menschen das selbe empfinden. Verdammt, warum machten mir meine Gefühle einen solchen Strich durch die Rechnung?
Denn wisst ihr, was der schönste Augenblick dieses Abends war? Wir waren im Kinosaal. Die Lichter begannen langsam zu erlöschen, der Zeiger rückte auf Punkt Neun Uhr, die letzten Zuschauer huschten auf ihre Sitze. Und dann sah ich eine Gestalt hineinkommen. Ein junger Mann, schlank und doch trainert, an der Hand eine Rothaarige. Seine Frisur, seine
Kleider, es liess mich sofort erstarren. War es möglich, dass er ebenfalls hier war? War es möglich, dass er sich nur ein paar Meter vor mir befand? Mein Herz begann zu rasen. In meinem Kopf drehte sich alles, ich hielt die Luft an, doch auf meinen Lippen bildete sich ungewollt ein Lächeln.
Doch dann, dann drehte er sich in meine Richtung und ich war so enttäuscht, dass er ein völlig Fremder war. Er war nicht hier.
Und schon wieder hasste ich mich für diesen Gedanken, dass er es hätte sein können. Ich hasste mich für meine
unendliche Freude in dieser Sekunde, für mein Kopf in dem sich alles drehte und doch eine völlig Blockade war.
Er hätte hier sein können. Egal mit wem, egal wie wir gerade zueinander standen und ich wäre mir sicher gewesen, dass ich keinen einzigen Blick auf die Leinwand geworfen hätte. Seht ihr jetzt, wie krank das ist?! In jedem einzelnen Mann sah ich bloss ihn und erst dann machte es mich für den Bruchteil einer Sekunde glücklich. Als wäre ich dann auf Drogen, abhängig von seiner Existenz.
Und was unternimmt man gegen eine
Sucht? Harter Entzug, Ablenkung. Sie sind nicht einfach, aber sie sind zu schaffen.