Titel
Neulich war ich mal wieder in München, jenem sauberen, ordentlichen und - sagen wir’s, wie es ist - sterilen Gegenentwurf zu Berlin, wo die Coolness der Hauptstadt nur einmal im Jahr erreicht wird, nämlich im Herbst, wenn der Begriff »Maßhalten« für ungefähr zwei Wochen eine völlig neue Bedeutung erhält, die für Zugereiste gerne mal mit ausgepumptem Magen in der Notaufnahme endet.
Die Mitarbeiterin eines Kunden beklagte sich während unserer Mittagspause, dass es in München einfach keine Möglichkeit mehr gäbe,
abends anständig wegzugehen.
»Das kenne ich«, sagte ich. Einmal war ich in der Münchener City in einem völlig überteuerten Hotel einquartiert, das dem Gast als Gegenwert vor allem einen Hauch von nichts bot – dafür aber besonders elegant – und versuchte dort gegen Abend, auszugehen, um ... eine Dönerbude zu finden. Ich war einigermaßen lange unterwegs, flanierte an haushohen Plakaten vorbei, von denen mich Horst Seehofers Konterfei wie das Auge Saurons beobachtete, doch das Einzige, was dem Anspruch »Fleisch von Brot umgeben« einigermaßen nahekam, war die »Leberkassemmel«. Die bekommt man in München nämlich an jeder Ecke.
Wo man in Berlin darauf achten muss, nicht in Hundescheiße zu treten, da sollte man in München den Gehweg im Auge behalten, um seinen Fuß nicht versehentlich in eine Leberkassemmel zu bohren. Widerwärtig, das Zeug! Ein anderer Kollege grub seine Zähne gerade in ein solches Machwerk und meinte schmatzend zu mir: »Dich kriegen wir auch noch dazu!« Kleine Leberkassemmelpartikel verließen dabei seinen vollen Mund wie surrende TIE Fighter den Todesstern.
»Nee«, sagte ich, »von Leberkäse (oder Fleischkäse, wie dieser unheilige, dekadent dick geratene Brotbelag bei uns genannt wird) hab ich mal eine ganze
Nacht lang kotzen müssen. Seitdem nie wieder!«
Der Kollege glotzte seine Semmel an, als habe er ein überfahrenes Stinktier von der Straße gepopelt und sei gerade dabei, dessen Gaumeneignung zu erproben, zuckte dann mit den Schultern und aß genüsslich weiter, als hätte ich nichts gesagt. Wohl bekomms!
»Ich meine doch, zum Tanzen weggehen«, ergänzte die eingangs erwähnte Kollegin und guckte mich mit schiefem Grinsen an, als wollte ich sie verscheißern.
Weggehen! Zum Tanzen! Wer wollte denn da wen verscheißern? Was das angeht, könnte ich mich ja in Rage
reden. Hab ich dann natürlich auch getan. Die folgenden drei Minuten waren ein verbaler Blitzkrieg, der über Wuthausen hinwegfegte und nichts als verbrannte Gegenargumenterde zurückließ.
Wenn ich Lust habe, abends wegzugehen, dann verlasse ich die Wohnung und stolpere in die erstbeste Kneipe mit guter, handgemachter Rockmusik. Da wird man gefragt, was man trinken möchte – Bier! – und keine fünf Minuten später kann man sich gemütlich zurücklehnen, den Alkoholpegel die Hopfenleiter raufjagen und nebenher über alternative Wirtschaftsordnungen philosophieren.
Klar wäre das Bier, das ich so auch im Edeka um die Ecke kriege, daheim günstiger, die Musik aus der erlesenen Playlist noch besser und das über Jahre hinweg liebevoll durchgesessene Sofa noch bequemer, aber man ist schließlich kein Misanthrop. Die einzige philosophisch veranlagte Person im Haus wäre ansonsten die Katze, und die ist nur dann zu hitzigen Diskussionen aufgelegt, wenn der Inhalt des Futternapfes sich dem Ende zuneigt.
Aber tanzen gehen? Warum sollte man so etwas Unsinniges tun? Tanzen, das ist Bewegung ohne Gegenwert. Wenn man so weit überhaupt kommt. Es fängt ja schon an der Tür zum Zappelschuppen
an: Kann ich eine Kneipe zumindest in Berlin notfalls auch im versifften Morgenmantel und mit Plüschpantoffeln an den ungewaschenen Füßen betreten, während auf der Gesichtshaut noch die Abdrücke vom Kopfkissen zu sehen sind, und werde trotzdem nicht hinauskomplimentiert, schaffe ich es als derart optischer Schrotthaufen nicht mal über die Türschwelle eines Clubs. Schlimmer noch, es geht mitunter ja sogar so absurd zu wie folgt:
Trägste keine schwarzen Lacktreter an den parfümierten Haxen, kommste nicht rein, weil ... ja, das kann einem auch keiner wirklich sagen. Gern hätte ich das eine oder andere Mal eine
zorngetränkte Diskussion mit dem Türsteher geführt, ihn mit Molotovcocktailargumenten beworfen und Freiheit fürs Schuhwerk proklamiert. Da aber der Umfang jedes Ringfingers eines handelsüblichen Türstehers für gewöhnlich in etwa das Doppelte meines kumulierten Oberarmumfangs misst, habe ich bisher aus gesundheitlichen Gründen davon abgesehen.
Kommste mit Freunden, alle männlich, kommste nicht rein, weil im Inneren des Ladens schon zehn Männer auf eine Frau kommen, Tanzschuppen sowieso nichts anderes sind als stickige Balzareale für Alphatiere, denen die Sexualhormone bereits zu den Ohren
rausquellen. Microsoft Word schlägt als Synonym zur Diskothek nicht umsonst den Bumsschuppen vor.
Siehste scheiße aus, kommste nicht rein. Wäre ja auch noch schöner, wenn der talentbefreite Fotograf, der für die mit Comic Sans gestaltete Homepage des Ladens diese Duckface-Fotos völlig verschwitzter Hüpfdohlen knipst, die aussehen, als hätten sie Überstunden im Puff um die Ecke geschoben, plötzlich nur noch hässliche Leute vor die Linse kriegt. Wer den ganzen Tag Nutella frisst, kriegt schließlich auch automatisch einen Arsch wie’n Brauereipferd, trotzdem schmückt der Hersteller sein Produkt in der Werbung
ausschließlich mit durchtrainierten Fußballstars.
Kommt da einer wie ich um die Ecke, die Füße in leicht angeschmuddelte Sneakers gestopft, vom Ausdruck »weibliche Begleitung« so viel Ahnung wie von Quantenmechanik und mit dem Aussehen eines Einzellers ausgestattet, der während der ersten zwanzig Jahre seines Lebens das Nerdtum perfektioniert hat und es hinterher nie wieder los geworden ist, ja dann kann er von Glück reden, wenn er nicht von einer Horde gackernder Türsteher mit einem nassen Handtuch den Arsch versohlt kriegt und in die Nacht hinausgejagt wird.
Ist ja auch ein »Club«, nech? Schon
der Begriff suggeriert, dass man hier nicht jede dahergelaufene Hackfresse reinlässt. Da wird einem immer vorgegaukelt, es sei ja egal, wie man sei und aussehe, man sei genauso viel wert wie alle anderen, und dann beginnt beim Tanzen die Apartheid schon an der Eingangstür. Und selbst, wenn man die Gesichtskontrolle gerade noch so passiert hat, aber auch nur, weil eine der fünfzehn Schwestern des, nach dem Gesichtsausdruck zu urteilen, unter Dauerverstopfung leidenden Türstehers heute geheiratet hat, dann wird man auch noch zur Kasse gebeten.
»Ja, aber da kriegst du doch auch was für geboten«, warf die Kollegin ein,
als ich mit meiner sachlichen Erörterung an eben dieser Stelle angelangt war. Was!? Bitte?! Kriege?! Ich?! Denn?! GEBOTEN?! In meinem linken Auge platzte ein Äderchen, rote Punkte des Zorns spielten in meinem Sichtfeld »Dirty Dancing« nach, mein Puls kletterte in einen Formel-eins-Boliden und gab ordentlich Gas.
Ich stellte diese Frage lauter, als ich es eigentlich vorgehabt hatte. Kollege Leberkassemmel hielt überrascht beim Abbeißen inne, während ich die Aussage der Kollegin filigran wie ein Panzerabwehrgeschütz demontierte.
Ja, was also kriegt man für sein Geld geboten, hat man erst einmal die heiligen
Hallen eines Clubs betreten? Da wäre zuerst einmal das laute Gebollere aus den Boxen, das nur mit viel Wohlwollen und nach reichlichem Alkoholkonsum im Entferntesten als Musik ausgelegt werden kann. Da wäre weiter die schiere Dunkelheit, die vom nervigen Stroboskoplicht – optisches Waterboarding für Epileptiker – nur noch unerträglicher wird. Wo die Augen nicht viel zu tun haben, werden die restlichen Sinne geschärft, sodass die akustische Diarrhö aus den Lautsprechern nur noch weniger zu ertragen ist, während man das Gefühl nicht los wird, nicht einfach nur durch stickige Luft zu waten, sondern durch ein finsteres Becken aus
gasförmigem Schweiß. Der Fußboden im Tanzbereich klebt derweil, als hätte jemand liebevoll Erdbeermarmelade darauf verstrichen, während selbiger auf dem Klo Befürchtungen weckt, aggressivere Verwandte des Fußpilzes könnten sich vom versifften Bodenbelag durch die eigenen Schuhsohlen fressen, wenn man sich mit dem Pinkeln, Koksen oder Poppen der Tussi, die ihre Unterwäsche schon vor dem Laden ins Gebüsch geschmissen hat, nicht beeilt. Und bei alldem bloß nichts anfassen! Die Hände wäscht sich hier nämlich keine Sau.
Bleibt also der Alkohol, weil die Geschichte schließlich eines bewiesen
hat, nämlich dass man sich alles und jeden schönsaufen kann, nicht wahr?
Nope! Denn spätestens, wenn man an der Bar laut brüllend gegen die Bässe anschreit, die bis in die Unterhose hineinwummern, um ein Bier zu ordern und dann zurückgebrüllt wird, dass man für die gleiche Plörre, die es im Späti um die Ecke für ein bisschen Hartgeld gibt, ungefähr so viel zu latzen habe wie für ein Dreigängemenü im Ritz Carlton, dann verreckt spätestens an dieser Stelle das letzte bisschen Spaß im Stalingrad der Clubkultur. Nachdenken darf man über all das nicht, Gehirne müssen sowieso draußen bleiben.
Als ich mit meinen Ausführungen
zum Schluss gelangt war, schauten mich meine Zuhörer entgeistert an, einer noch am Rest der Leberkassemmel kauend.
»Ist doch wahr!«, sagte ich und trank einen Schluck Kaffee. »Und wenn man dann denkt, schlimmer geht’s mehr, spielt der DJ Helene Fischer.« Neben mir begann der Kollege zu husten und versuchte, den letzten Bissen Leberkäse wieder aus dem Hals herauszukriegen. Endlich verstand mich einer.