der tote im gewächshaus 6
Der Kommissar saß wie immer an dem runden Tischchen in der hintersten Ecke der kleinen Kneipe, vor sich ein großes Glas alkoholfreies Bier. Die Lokalzeitung, die einer der Gäste hatte liegen lassen, blätterte er aus Langweile durch, dann fesselte ein kleiner Artikel seine Aufmerksamkeit: > Hohe Geldsumme durch den Verkauf legaler Drogen verdient <. Er überflog den Artikel. Danach schien manches in seinem neuen Fall wesentlich klarer. Doch eine Frage blieb: Weshalb nannte sich der Gärtner Dat? Was wusste der Mann noch, der so schnell verschwunden war? Die Kriminaltechnik hatte
bei den gefundenen Pflanzen von legalen Drogen gesprochen; sollte es da einen Zusammenhang geben? Er würde sich auch bei der Redaktion der Zeitung weitere Auskünfte einholen müssen. Für all das war morgen Zeit.
Nach einer ruhigen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück saß Kommissar Kramer in seinem Büro und erwartete die Freundin der Gärtnerswitwe. Die erschien auf die Minute pünktlich. Noch ehe der Kommissar seine Frage stellen konnte, sprudelte es aus der Frau: „Wissen Sie, Herr Kommissar, meine Freundin Anne ist wirklich eine ganz naive Person. Wir waren schon Schulfreundinnen und ich habe ihr immer gesagt, dass sie die Finger von Dat lassen
soll. Der war noch nie sauber. Was seine Eltern für Stress mit ihm hatten, das ist unbeschreiblich! Und nun ist er tot. Das hat ja so kommen müssen. Und überhaupt, dass sie den nicht erwischt haben, ist für mich immer noch ein Wunder.“ Die kleine Pause nutzte Kramer, um der Plaudertasche – eine solche war sie nämlich – seine erste Frage stellen zu können. „Bitte sagen Sie mir, was am Tatabend geschehen ist.“ „Also, so gegen halb acht Uhr ist Anne bei mir aufgetaucht. Die saß kaum, da fing sie schon an zu heulen. Sie erklärte mir, dass sich ihr Mann schon wieder mit Kumpels verabredet habe. Er hätte überhaupt keine Zeit für sie und an Kinder denke er auch nicht. Das wäre doch ihr größter Wunsch. Und die Heulerei ging
weiter. Dann schauten wir noch eine schnulzige DVD an, Liebesfilm. Ich denke, Anne wird so gegen 23 Uhr wieder zu Hause gewesen sein.“ „Sagen Sie, wer ist Dat? Und warum sollte er erwischt werden und von wem?“ „Dat ist der Spitzname von Annes Mann. Der hieß schon in der Schule so, weil er sich immer mit dem Konsum von Daturablättern groß tat. Das Zeug wächst ja hier überall. Ich sollte auch mal probieren, aber dafür hab ich nichts übrig. Naja, aber gegenüber den heutigen Drogen ist das ja nix. Dat hockte immer mit anderen Kerlen zusammen. Die Gärtnerei hatte ja so viele Gebäude und Schuppen. Und von den anderen nannte sich einer Bilse, der andere Sola. So hatten die ihre Geheimnamen. Und
sie experimentierten auch mit dem Zeug, weil das nichts kostete. Echte Drogen waren schlicht viel zu teuer.“ Die Freundin hatte sich warm geredet und so stellte Kramer gleich die nächste Frage: „Wie ist das eigentlich mit der Gärtnerei heute?“ „Nun, nachdem der Vater von Dat gestorben war, brauchte der junge Herr Geld. Deshalb verkaufte er die hintere Hälfte des großen Gärtnereigeländes an irgendeinen seiner zahlreichen Kumpels. Der sitzt aber schon 2 Jahre im Käfig und Geld hat er auch nicht bezahlt. Deshalb hat Dat weiter experimentiert. Er wollte die neue Supermodedroge auf den Markt bringen. Und alles sollte aus legalem Stoff bestehen. Das habe ich auch Anne erzählt. Aber die ist ja so naiv, so blind, so verliebt, die versteht die
Welt nicht. Dat hatte ihr doch den Himmel auf Erden versprochen, wenn er erst mal reich wäre!“ „Und woher wissen Sie das alles?“ „Na, Dat hat doch im ganzen Ort damit geprahlt.“ „Sagen Sie, war Dat gesundheitlich auf der Höhe?“ „Herr Kommissar, wie kann man gesund sein, wenn man seit seinem 14. Lebensjahr mit solchem Teufelszeug herumprobiert? Ich weiß, dass es ihm die letzte Zeit nicht gut ging. Aber auch das wollte Anne nicht sehen.“ In diesem Augenblick läutete wieder einmal das Telefon. Solche Störungen liebte Kramer überhaupt nicht, vor allem wenn er – wie er gerade glaubte – der Lösung des Falles ganz nahe war. Es war die Kriminaltechnik. Sie hatten das gefundene Handy analysiert.
Gespannt lauschte Kramer der Mitteilung. Dann verabschiedete er sich ganz schnell von der Freundin der Witwe und dankte für ihre Auskünfte.
Die Fachleute hatten Erstaunliches herausgefunden. Die wenigen Fakten, die man Kramer am Telefon mitgeteilt hatte, warfen ein ganz neues Licht auf diesen Fall. Den Weg zur Zeitungsredaktion konnte er sich sparen. Er musste schnellst möglich in der Kriminaltechnik erscheinen. Die Mitarbeiter dort erwarteten ihn schon. Sie hatten alles vorbereitet und konnten ihm nun etwas zu Gehör bringen, was den Fall energisch vorantrieb. Jemand hatte das Handy versehentlich eingeschaltet gelassen und das war gut so. Zunächst hörte man
verschiedene Geräusche, dann das folgende Gespräch: Dat, du solltest nicht immer dieses gemischte Zeug nehmen und auch nicht in so hoher Menge … Bilse, halt’s Maul, ich kenn das schon von klein auf, du weißt das doch … … … Scheiße, das war zu viel … Hilfe, der kippt uns weg … Was machen wir jetzt? … Der muss schleunigst in die Gärtnerei, dort wird ihn seine Alte schon rechtzeitig finden … Ich setz dann halt noch einen Hilferuf ab … Los, kommt schon … schnell … durch die Hecke nach vorn … Dat, bleib auf die Füße … Los, nu macht schon …“ Nach einer verwirrenden Anzahl von Geräuschen kehrte Stille ein. Zum Glück enthielt das Handy auch die Rufnummern von Bilse und Sola. Doch was war nun wirklich im Gewächshaus
geschehen? Der Kommissar und die Fachleute versuchten sich ein Bild zu machen. Doch erst ein Gespräch mit den beiden Kumpels und eine Rücksprache mit der Gerichtsmedizin würden die endgültige Lösung erbringen. Noch aus dem Büro der Kriminaltechnik bestellte Kramer die beiden Beteiligten und die Medizinerin in sein Büro.
Bilse und Sola wirkten erschüttert, als der Kommissar vom Tod des Gärtners sprach. Es hatte sich zwar im Ort herumgesprochen, aber sie konnten es sich nicht vorstellen. Bilse meinte: „Ich habe doch seine Frau noch angerufen, als Dat ins Gewächshaus torkelte. Auf dem Weg dorthin war er nämlich wieder aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und konnte so auf eigenen Füßen das
Gewächshaus betreten. Uns war das auch lieber, denn seine Frau wusste nichts von unseren Drogenausflügen und dem ganzen Drumherum.“ „Wussten Sie, dass der Tote eine Herzkrankheit hatte?“ Sola: „Er klagte manchmal über Schwindel und war sehr blass, aber von einer Krankheit wussten wir nichts. Sonst hätten wir doch sofort aufgehört zu experimentieren, obwohl nicht mehr viel zu unserem Durchbruch fehlte. Das wäre die Superdroge geworden.“ An der Gerichtsmedizinerin war es nun, die beiden darüber aufzuklären, dass der Drogencocktail im Zusammenhang mit der Krankheit zum Tod des Gärtners geführt hatte. Er war wahrscheinlich mehr schlecht als recht in das Gewächshaus getorkelt und
dann zwischen den Pflanzen gestürzt und an Herzversagen gestorben. Sie würden sich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten müssen.
Kleinlaut versprachen die beiden Männer, der Witwe die Wahrheit zu berichten und sich zu entschuldigen.
NACHWORT
Die Informationen zu den einzelnen Nachtschattengewächsen Bilsenkraut (Bilse), Stechapfel (Datura/Dat) und Schwarzer Nachtschatten (Solanum/Sola) wurden über Wikipedia beziehungsweise bei www.drugscouts.de recherchiert.