Kaum hatte sich Kramer mit einer Tasse Kaffee in seinem Büro wieder an den Schreibtisch gesetzt, als das Telefon läutete. Das Labor. „Herr Kramer, bei den eingereichten Pflanzen handelt es sich eindeutig um Bilsenkraut, Stechapfel und Schwarzen Nachtschatten. Auch unter den getrockneten Pflanzen befindet sich nichts anderes. Der Besitz dieser Kräuter ist legal.“ „Können Sie mir noch etwas über den Anbau dieser Pflanzen sagen?“ „Die Kräuter sind weit verbreitet und wachsen wild auf verwahrlostem Grund und auf Brachland.“ Kramer bedankte sich für die rasche
Auswertung der eingereichten Pflanzen und Substanzen. Und er freute sich, denn er war jetzt einen wesentlichen Schritt weiter gekommen. Die Giftpflanzen wuchsen also wild auf dem ehemaligen Gelände der Gärtnerei. Bloß was zum Teufel trieb den Toten dazu, sich mit diesen Pflanzen zu beschäftigen? Was für einen Beweggrund hatte er? Ob die Auswertung seines Handys Licht in dieses Dunkel bringen konnte? Wieder versank Kramer in seine Grübeleien. Wenn doch die in der Kriminaltechnik schneller arbeiten würden! Als es an der Tür klopfte, schreckte Kramer auf. „Im Vernehmungszimmer sitzen die Witwe und ein Kollege. Kommen Sie bitte.“ Die Witwe wirkte sehr gefasst, wie sie da
Kramer gegenübersaß. Er schaltete das Aufnahmegerät ein und begann mit seiner ersten Frage: „Schildern Sie mir bitte den Abend vor dem Tod Ihres Mannes.“ Nach einigem Zögern und sehr leise erzählte die Witwe: „Am späten Nachmittag kam mein Mann ins Büro, um mit mir Blumenbestellungen durchzugehen. Wir kaufen ja auch sehr viele Blumen an. Da läutete plötzlich sein Handy. Den Anruf nahm er jedoch außer Hörweite an. Wieder zurück meinte er nur, dass er sich am Abend noch mit seinen Kumpels auf ein Bier treffen wolle. Dann verschwand er wieder Richtung Gewächshaus. Zum Abendessen war er pünktlich wieder da, verabschiedete sich aber gegen 19 Uhr und meinte, ich solle
schon schlafen gehen; es könne etwas später werden. Das kommt öfter vor, aber Sie wissen ja, dass wir getrennt schlafen. Solche Abende nutze ich, um mich mit meiner Freundin zum Filmanschauen bei ihr zu treffen. Sie kann das bestätigen. Ich schreibe Ihnen gleich die Adresse auf. Als ich gegen 23 Uhr wieder nach Hause kam, es war spät geworden, ging ich sofort nach oben in mein Schlafzimmer. Das Bad liegt gleich nebenan. Ich schlief auch sofort ein. Ich habe einen sehr guten, tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen stand ich wie immer nach meinem Mann auf und ging dann auch gleich ins Büro. Da blinkte der Anrufbeantworter und mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, das Telefon in die Wohnung umzustellen. Sofort
hörte ich den Anruf ab und rannte deshalb ins Gewächshaus, wo ich dann die Polizei vorfand.“ Kramer hatte die Frau in Ruhe erzählen lassen. Als sie jedoch den Anruf erwähnte, liefen ihr gleich wieder die Tränen über die Wangen. „Was war denn mit dem Anruf?“ Stockend und unter Schluchzen erzählte sie: „Eine unbekannte Stimme sagte nur, ich solle im Gewächshaus nach meinem Mann schauen. Und alles Weitere wissen Sie schon.“ „Was wissen Sie über die Geschichte der Gärtnerei?“ „Die Leute im Ort reden sehr viel, aber ich kümmere mich nicht darum. Mein Mann sagte mir, dass die Leute viel zu tratschen hätten, aber es sei nichts Wahres daran. Ich habe dann auch nie nachgefragt. Für mich ist alles in Ordnung und so sehe ich
auch keinen Grund, mich um das Geschwätz zu kümmern.“ „Kennen Sie die Freunde Ihres Mannes? Heißt da vielleicht jemand Bilse oder Dat?“ „Da bin ich völlig überfragt. Die Namen habe ich noch nie gehört.“ „Noch eine letzte Frage: Wie stand es um die Gesundheit Ihres Mannes und wissen Sie, ob er Medikamente oder Drogen nahm?“ „Gott bewahre, mein Mann und Drogen? Der wäre nie auf die Idee gekommen. Er rauchte ja nicht einmal. Und ich denke schon, dass mein Mann gesund war. Er hat nie geklagt und war auch nie beim Arzt. Er war wohl in letzter Zeit manchmal sehr blass, aber ich denke, da hat er zu lange über seinen Züchtungsexperimenten im Gewächshaus gesessen.“ „Vielen Dank, Sie können jetzt
gehen. Ich bitte Sie aber, erreichbar zu bleiben, falls nochmals Fragen auftreten sollten.“ Nach allem, was Kramer jetzt gehört hatte, schätzte er die Frau des Toten als recht naiv ein. Er musste unbedingt ihre Freundin in sein Büro bitten. Dabei ging es einerseits um das Alibi andererseits wusste diese Frau bestimmt mehr über die Geschichte der Gärtnerei und war bereit, dazu ein paar Fragen zu beantworten .Kramer bestellte die Freundin der Witwe für den nächsten Vormittag in sein Büro ein. Dann machte er Feierabend. Er wollte sich in Ruhe noch einmal die seltsamen Pflanzen auf dem verwahrlosten Grundstück hinter der Gärtnerei ansehen. Er hatte sein Auto etwas
abseits geparkt und spielte ganz einfach den Neugierigen, der sich für dieses unbebaute Grundstück interessierte. Dabei stieß er auf einen Mann mittleren Alters, vielleicht im Alter des Toten, wie Kramer schätzte. Bald waren die Männer in ein Gespräch vertieft. Auf die Frage Kramers, was es mit diesem Grundstück für eine Bewandtnis habe, wurde der Mann gleich sehr redselig. „Ach wissen Sie, das Land hier gehörte früher mal zu der Gärtnerei. Aber als der Alte starb, hat der Junge es verkauft, weil Gärtnern heute nichts mehr einbringt. Sie wissen ja, dass man in jedem Supermarkt Blumen und Gemüse so sehr billig bekommt. Und die Leute legen kaum noch Wert auf Qualität. Außerdem ist der junge Mann kein Geschäftsmann. Der hat
nur im Sinn, möglichst schnell reich zu werden mit seinen Experimenten.“ „Welche Experimente meinen Sie denn?“ „Naja, er soll sich mit der Zucht von irgendwelchen Pflanzen beschäftigen, deren Verkauf viel Geld bringt. Die Leute munkeln, er züchte besondere Giftpflanzen.“ „Aber er hat doch durch den Grundstücksverkauf sicherlich eine Stange Geld verdient?“ „Hat er geglaubt, aber der Käufer sitzt schon seit 2 Jahren im Knast wegen Drogenhandels und übler anderer Geschäfte. Geld hat Dat bisher keines gesehen.“ „Und wer bitteschön ist Dat?“ „Ja, das ist der Gärtner .Viele kennen ihn nur unter diesem Namen. Aber mehr will ich dazu nicht sagen. Einen schönen Abend noch.“ Der Kommissar wollte noch etwas
fragen, aber der Mann war sehr schnell verschwunden. Kramer begab sich wieder zu seinem Auto. Für heute fuhr er nach Hause. Er würde sich in der Kneipe um die Ecke noch ein Bier genehmigen und dann schlafen gehen. Doch manchmal kam alles ganz anders, so auch an diesem Abend.