Kapitel 8
ER
Er wusste, dass sie sich erinnern würde. Irgendwann. Jetzt war es soweit. Sie hatte ihn erkannt, war noch unsicher. Doch das würde sich legen. Sie würde bald merken, dass sie in Sicherheit war, ihm vertrauen konnte. „Hannah“ sagte er und nahm ihre Hand. Sie schaute ihn fragend an. „Ich bin froh, dass du bei mir bist. Jetzt wird er mir nichts tun…“ seine Stimme stocke. Er merkte, dass ihm wieder Tränen in die Augen stiegen. „Wer?“ fragte sie. „Wer wird jetzt nichts tun?“ Die Frage verwirrte ihn. Wusste sie nicht mehr, was vor Jahren immer
wieder geschehen war? „Papa“ antwortete er und seine Stimme klang auch in seinen Ohren so furchtbar zerbrechlich. So wie die eines kleinen Kindes. „Er hat zu viel getrunken… Will mich schlagen…“ Tränen strömten ihm übers Gesicht. Zwischen seinen Schluchzern brachte er nur bruchstückhaft heraus, was er sagen wollte. „Wo ist Mami? ...der Kleiderschrank. Jeden Abend…“ Er spürte wie sie einen Arm um ihn legte. Zögernd. Doch die Berührung tat ihm gut. So wie früher, war Hannah auch jetzt an seiner Seite und beschütze ihn. Gab ihm ein gutes Gefühl. „Danke“ flüsterte er. Er stand auf und ging
hinaus. Er spürte, dass sie ihm hinterher sah.
SIE
Neun Tage. Neun Tage war sie jetzt schon hier. Er hatte es ihr gesagt, als sie ihn danach gefragt hatte. Neun Tage und sie wusste nun, warum sie in diese Situation geraten war. Er suchte verzweifelt nach Schutz. Schutz vor seinem Vater, der ihn brutal Schlug. Früher war es diese Hannah gewesen, die ihn schütze und nun hoffte er, dass sie es auch dieses Mal tat. Er hatte gesagt, dass sein Vater für lange Zeit verschwunden war. Doch jetzt war er zurück und mit ihm die Angst vor
Schlägen. Fast hätte sie mit ihm Mitleid empfunden. Aber nur fast, denn dass sie in diese Lage gekommen war, hatte sie nur ihm zuzuschreiben. Noch immer ließ der Gedanke an Flucht sie nicht zu Ruhe kommen. Doch sie war sich sicher: Sie hatte sein Vertrauen gewonnen. Er würde nachlässig werden. Ihr vielleicht sogar irgendwann die Kette von ihrem Fußknöcheln nehmen. Irgendwann würde sie entkommen. Als sich die Tür öffnete, er hinein trat und sie in seine freundlichen, unheimlichen blauen Augen blickte, lächelte sie automatisch. „Alles in Ordnung bei dir, Hannah?“ Es machte sie fast rasend, dass er diesen Namen immer wieder betonte. Fast so als wollte
er jedes Mal sicher gehen, dass sie es auch wirklich sei. Doch sie musste freundlich bleiben. „Ja, alles gut, Clay. Nur…“ Sie unterbrach sich. „Was ist?“ fragte er und sah sie lächelnd an. „Du weißt...“ fing sie an. „Ich habe die Natur sehr gern… und da draußen, der Wald…“ sie zögerte. „Du willst hinaus?“ fragte er. „Ja.“ Sie nickte.
Fortsetzung folgt...