„Wo bist du, Cathy?“ wollte ich wissen.
„Annas Haus!“ erwiderte sie schluchzend. „Du musst her kommen, Nick, bitte!“ flehte sie und ich nahm jedes ihrer Worte ernst.
Ich glaubte nicht an einen schlechten Scherz, denn so etwas würde Cathy nicht im Traum einfallen. Die Angst, die in ihrer Stimme lag, war echt.
Am liebsten hätte ich ihr alle Fragen gestellt, die mir auf der Zunge brannten, aber das überforderte sie vielleicht. Das wollte ich nicht riskieren, also nahm ich mir die Wichtigsten zuerst vor.
„Beruhige dich. Bist du verletzt? Ist noch Jemand bei
dir?“
Es herrschte eine kurze Stille, die meine Geduld auf die Probe stellte. Aber ich blieb ruhig. Alles andere wäre hier fehl am Platz gewesen.
„Ich... mir geht es gut... aber Anna.“ stammelte sie leise.
„Was ist mit ihr?“
Ich hörte ein lautes Knallen, so als ob etwas zu Boden fallen würde. Mein Herz macht einen kurzen Satz und mein Gefühl ließ mich nicht im Stich. Etwas schien nicht in Ordnung zu sein.
„Nein... bitte...!“ schrie Cathy, dann wurde die Verbindung plötzlich unterbrochen.
Ich fluchte laut vor mich hin. So schnell
wie möglich musste ich zu Annas Haus, um mir ein eigenes Bild der Lage zu machen. Hoffentlich kam ich nicht zu spät.
Gerade als ich das Gebäude verlassen wollte, rief Holly hinter mir meinen Namen.
Beinahe hätte ich sie vergessen. Es war mir ein wenig peinlich, denn ich war bekannt dafür, dass ich meine Versprechen auch einhielt.
„Ist alles okay? Wolltest du eben einfach gehen? Ohne mich?“ Sie war verärgert und das zurecht.
„Hör mal, Holly, mir ist ein kleiner familiärer Notfall dazwischen gekommen!“
Ich ging ein paar Schritte auf sie zu.
„So nennt man das also heutzutage. Schon okay. Du hättest auch einfach sagen können, dass du deine Ruhe haben möchtest!“
„Nein, so ist das nicht, wirklich. Ich habe eben einen Anruf bekommen. Okay, es war nicht richtig von mir, dich einfach stehen zu lassen, aber ich habe es wirklich sehr eilig.“
Holly lief an mir vorbei. Sie schmollte immer noch. War das zu fassen? Als hätte ich nichts besseres zu tun, als mich zu erklären. Ihr zu erzählen, dass meine Schwester in der Klemme steckte, schien mir noch zu früh. Erst wenn ich
mir sicher war, was da vor sich ging, konnte ich es ihr sagen.
„Du schuldest mir ein Abendessen, Hunter!“ sagte sie, ohne mich dabei anzusehen. Ihr Kopf war stur nach vorn gerichtet und so stemmte sie sich gegen die Tür, um ins Freie heraus zu treten.
Zumindest hatte ich die Chance, es mit einem Abendessen wieder gut zu machen.
„Nick?“
Blitzschnell drehte ich mich um. William war völlig aus der Puste. Laut keuchend rang er nach Luft, ehe er einen vernünftigen Satz zustande brachte.
„Ich bin froh, dass ich dich noch erwische. Gerade ist ein Notruf
reingekommen. Jemand ist in Annas Haus eingedrungen. Der Nachbar hat einen Schuss gehört und uns sofort informiert.“
Meine Augen wurden größer. Also bildete ich mir doch nicht ein, dass da etwas vor sich ging.
„Wir müssen da hin!“ sagte ich.
„Das Team ist schon unterwegs. Nehmen wir meinen Wagen. Ich bitte dich nur um Eines, Nick.“
Ich wusste, worauf er hinaus wollte. Ich sollte mich aus dieser Angelegenheit raus halten. Da es um meinen Familie ging, war ich befangen. In so einer Situation war es schlicht und einfach schwierig den Blick auf wesentliche Dinge zu
richten. Im Grunde sah man in alles und Jedem einen potentiellen Täter.
Ich atmete tief durch. Vielleicht ging es mir gegen den Strich, aber allein, dass William mich sofort darüber informierte, zeigte mir, dass er Vertrauen in mich hatte. Und darüber war ich sehr dankbar. Er hätte auch abwarten können, bis man festgestellt hatte, ob ein Verbrechen vorlag oder nicht.
„Ich weiß Bescheid!“ sagte ich knapp und William nickte mir zu.
Wir fuhren mit Blaulicht bis zur Bakerstreet. Mein Puls raste und ich war nicht überzeugt, dass sich das in den nächsten Minuten ändern würde. Die
Ungewissheit erstickte einen fast.
William und ich stiegen aus.
„Halte dich bitte im Hintergrund, Nick. Egal, was uns da drinnen erwartet.“
Er sah mich mit seinem durchdringenden Blick an.
„Wenn es mir zu viel wird, dann gehe ich einfach raus!“ sagte ich schulterzuckend und einen Tick zu locker.
William seufzte.
„Ich hoffe, es war einfach nur ein Fehlalarm!“ sagte er und hielt das Absperrband nach oben, damit wir beide darunter durchgehen konnten.
„Sieht nicht besonders gut aus! Im Haus wurde eine Frau gefunden!“ sagte Agent Dean Hayes, der kurz auf seinen
Notizblock starrte. „Anna Hunter. Der Notarzt ist noch oben in ihrem Schlafzimmer. Vielleicht kann er noch etwas tun. Die gesamte untere Etage sieht aus wie ein Schlachtfeld. Wir werden wohl den gesamten Vormittag damit verbringen, die Spuren zu sichern.“
„Danke, Dean. Wir würden uns gern umsehen. Dürfen wir das Haus betreten?“ erkundigte sich William.
„Gehen Sie nur. Die Spurensicherung wird sie schon verjagen, wenn sie stören!“
Entweder kannte dieser Agent mich nicht oder er missachtete soeben sämtliche Regeln. Dass ich ausgerechnet in das
Haus meiner eigenen Familie durfte, in dem ein Verbrechen vermutet wurde, schien mir doch recht seltsam.
Wir ließen den Agent stehen und betraten die Veranda.
„Die wissen nicht, dass ich ihr Bruder bin!?“
„Tun wir einen Moment so, als würde ich dir die Chance geben, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Natürlich weiß Dean, wer du bist.“
„Danke!“ sagte ich nur.
Die Küche war der erste Ort, den wir begutachteten. Alles war verwüstet. Auf dem Boden lagen jede Menge Glassplitter, vermischt mit Blut. Die Spuren führten ins das angrenzende
Wohnzimmer. In diesem Raum sah es auch nicht viel besser aus. Der Couchtisch war zertrümmert, beide Sessel umgekippt und die Schrankwand hatte auch einiges abbekommen. Hier wurde deutlich, dass ein Kampf stattgefunden haben muss.
„William? Vielleicht sollte ich noch eine kleine Sache erwähnen, bevor wir nach oben in das Schlafzimmer gehen!“
„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass es mit diesem Fall zu tun hat!?“
William atmete tief durch. Und ich auch.