Der Regen tropfte mir unregelmäßig auf die nackten Arme. Auf die Laufhose und die Haare. Manchmal trafen auch größere Tropfen meinen Körper. Sie hatten sich auf den Blättern gesammelt, bis das Blatt vor Schwere nachgab und sie langsam zu Boden fielen. Mein rechter Knöchel pochte regelmäßig. So wie das Herz unter meiner Brust. Ich fror. Eine winzige Träne lief langsam über meine Wange und suchte sich den Weg zum Kinn. Doch all dies merkte ich nur zum Teil. Meine Gedanken waren ganz
woanders. Ganz verstreut. Ich konnte gar nicht sagen, wie lange ich dort schon im Regen saß. Ich war gelaufen. Einfach nur laufen. Wenn man schnell genug war und lange genug lief, dann schüttete der Körper so genannte Endorphine aus. Und wenn diese Opiatrezeptoren im Körper finden, dann machten sie glücklich. Und ich wollte mich endlich wieder einmal glücklich fühlen. Zufrieden. Doch ich hatte es nicht geschafft. Eine Wurzel war im Weg und ich knickte um. Und nun saß ich da. Zusammengekauert. Hatte die Arme um die angewinkelten Beine gelegt
und den Kopf seitlich auf die Arme abgestützt. Ab und zu mal die Augen geschlossen und geseufzt. Allmählich wurde es auch dunkel. Ich wollte nicht mehr weinen. Ich wollte auch nicht mehr an ihn denken.
"Hey", eine bekannte Stimme drang von hinter mir an mein Ohr. Ich rührte mich nicht. Ich wusste, dass ich nur träume.
"Deine Freundin meinte, dass du eigentlich schon längst wieder zu Hause sein solltest." Ich hörte wie er hinter mir seine Jacke auszog, sie über mich legte und sich neben mich setzte. Ich sah ihn nicht an,
nahm die Jacke und reichte sie ihm wieder.
"Du musstest schon einmal wegen mir frieren", sagte ich.
"Und du weißt, dass ich das gern gemacht habe", er legte sie wieder über meine Schultern und sah hinaus auf den Kanal. Wir saßen einige Minuten einfach nur so da. Schweigend. Den anderen atmen hörend.
"Worauf wartest du?", flüsterte er plötzlich.
"Dass es weg geht"
"Dass was weggeht?" Er sah mich an und ich schaute zurück. Genau in seine Augen. Aber nur einen kurzen
Moment. Dann wieder auf das Wasser.
"Dass dieses Gefühl weggeht. Das Gefühl, das ich seit Wochen verdrängen will."
"Meinst du dieses Gefühl, wenn du an mich denkst?" Er sah auch aufs Wasser. "Dieses Gefühl, wenn du an unsere gemeinsamen Stunden denkst?" Ich nickte.
"Dann warte ich auch"
Ich sah ihn verblüfft an.
"Hör mal...", versuchte er, doch ich sagte " nein ich will nichts hören. Das kannst du doch eh so gut. Einfach nichts mehr sagen"
Er sah mich verwirrt an. Ich sah
die Traurigkeit in seinen Augen. Er sah müde und geschafft aus. Ein wenig teilnahmslos. Und dann tat er mir leid. Auch wenn ich die letzte Zeit so sauer war. Ich stand auf und reichte ihm meine Hand. Er nahm sie und stand mir plötzlich wieder gegenüber. Ich spürte die vertraute Wärme. Diesen Geruch, den ich wohl von tausenden wieder erkennen würde. Ich merkte förmlich wie sein Herz in der breiten Brust schlug. Wie das Blut durch den Körper flutete und alles wichtige versorgte. Er war so wichtig für mich.
"Willst du denn das es weggeht?",
flüsterte ich.
"Du anscheinend schon"
"Na wenn du nichts mehr von dir hören lässt? Es fühlt sich an als ob du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Als ob du mich vergessen willst." schluchzte ich und er nahm mich endlich in den Arm und flüsterte in mein Haar: "Ich weiß. Ich hatte das auch vor. Aber ich bin genauso daran gescheitert, wie du am Warten."