Die ÜBERFAHRT
Im Führerhaus umfängt mich eine ange- nehme Wärme und ich zögere, aber nur einen kurzen Moment, um in die eisige Kälte hinauszugehen. Ich stehe vor der Grande Cameroon, ein Containerschiff und mein Zuhause für die nächsten paar Wochen.
Vor sieben Tagen und 1034 Kilometer überquerte ich mit meinem Partner in unserem Expeditionsmobil den Rhein bei Basel, warfen einen letzten Blick zum Münster und passierten den Zoll. Wir fuhr auf der Deutschen Autobahn, kamen nach Frankreich, durch Luxemburg und
Belgien um in Lothringen (Frankreich) an der Mosel die zweite Nacht zu ver- bringen. Nach 937 gefahrenen Kilome- tern erreichten wir die Normandie und erblickte zum ersten Mal auf dieser Reise das Meer bei St. Valéry-en-Caux.
Ein traumhaft schöner Platz direkt am Meer lädt zum Übernachten ein. Beim Spaziergang durch den kleinen Ort sehen wir im Hafenbecken hochseetüchtige Segelschiffe dümpeln, bestaunen das Maison Henri IV. von 1540, kommen am Kreuzgang des Convent des Pénitents aus dem 17. Jh. vorbei und enden am Strand der berühmten Alabasterküste, mit ihrem 200 Meter hohen, wildromantischen Steilufer. Der nächste Tag ist ein Sonntag, somit bewegen wir unseren Iveco, getreu nach unserem Motto: »Am Sonntag ruhen wir«, nicht von der Stelle. Ausserdem regnet es den ganzen Tag und ein heftiger Wind zerrt an der Kabine, sodass wir keine Lust
verspüren, nach draussen zu gehen.
In Étretat verschlägt mir der Blick zum Strand den Atem: kein Wunder hat Claude Monet hier seine Kreativität ausgelebt und die Alabasterfelsen in Farbe festgehalten. Links und rechts vom Strand erheben sich die weissen Alabasterfelsen in die Höhe und lassen unter sich zu beiden Seiten ein Tor frei. Wir spazieren auf der Nordseite den Hügel hoch und geniessen von oben eine fabelhafte Aussicht. Das Wetter meint es heute gut mit uns, die Sonne scheint in vollen Zügen. Kaum zu glauben nach dem gestrigen Sturm.
Wieder zurück im hier uns jetzt begrüsst mich ein Matrose und zeigt mir, wo wir unser Fahrzeug parkieren können. Wir fahren unseren 23-jährigen Iveco 110-17 AW in die Schiffsgarage und parkieren ihn zwischen hunderten von brandneuen Autos.
Wir beziehen eine Doppelkabine im 11. Stock. Mit uns reisen drei weiteren Pas- sagiere. Das Containerschiff läuft unter italienischer Flagge, die Offiziere sind Italiener und die restliche Crew besteht aus Seemännern von Südostasien. Im Vergleich zum Platzverhältnis in un-
serem Expeditionsmobil ist die Kabine riesig. Wir haben zwei Einzelbetten mit Nachttischlein, einen Schrank, einen Tisch und Toilette mit Dusche.
Die Passagiere dürfen in der Messe mit den Offizieren speisen. Der Kapitän,
immer in makelloser Uniform, grüsst uns täglich mit einem Nicken vom Nach- bartisch. Es herrscht absolutes Alkohol- verbot, aber nicht für den Kapitän und die Passagiere. Mich stört es aber, wenn ich einen Wein zum Essen trinke und die Offiziere am Nebentisch dürfen keinen edlen Tropfen geniessen. Somit verzich- te ich. Der Schiffskoch scheint seinen Beruf nicht zu mögen, er kocht schlecht. Pasta ist die einzige Speise, die er schmackhaft zubereiten kann.
Der Alltag auf dem Schiff pendelt sich rasch ein. An Ausschlafen ist aber nicht zu denken, da das Frühstück nur bis 9.00 h serviert wird. Danach einen Rundgang
an Deck und um 12.00 h treffen wir uns wieder in der Messe zum Mittagessen. Nach dem Mittagsschläfchen begeben wir uns in den Fitnessraum, wo ein Rad sowie ein Tischtennistisch stehen. Nach dem schweisstreibenden Training bleibt noch genug Zeit, um etwas zu lesen. Um 19.00 h ruft wieder die Küche. Alle greifen kräftig zu, die Seeluft macht hungrig, auch ohne grosse Betätigung.
Die ersten paar Tage auf See sind durch den leichten Wellengang gewöhnungs- bedürftig und die Kälte lässt uns nur kurz nach draussen gehen. Wir erhalten mehrere Sicherheitsinfos in Form eines Vortrages sowie mehreren DVDs, die wir uns mit der Crew auf Englisch ansehen.
Nach knapp einer Woche wird das Wetter wärmer. Am 23. Februar 2013, nachdem wir zwei Tage auf See in Hafennähe geankert haben, fahren wir in Dakar (Senegal) ein. Die Rampe wird runtergelassen und ein fleissiges Treiben beginnt. Fischer bieten frische
Ware an und unser Koch tauscht Fisch gegen Huhn. Was wohl die Fischersfrau dazu sagt, wenn ihr Mann statt mit Fisch mit Huhn heimkommt?
Wir segeln weiter immer süd-westwärts über den Atlantik. Am 26. Februar 2013 überqueren wir still und leise den Äquator. Zwei Tage später bekommen wir die Aufforderung, um 10.00 h auf dem Deck zu sein. Die ganze Mann- schaft ist anwesend und plötzlich geht ein Raunen durch die Menge: Neptun ist aus dem Wasser zu uns hinaufgestiegen
Neptun bittet fünf Crewmitglieder sowie uns fünf Passagiere vor ihm niederzu- knien, damit er uns taufen kann. Das Taufwasser besteht aus einer fischarti- gen Salatsauce, die uns Neptun über unser Haupt träufelt und uns dabei je einen Fischnamen erteilt. Die Sauce rinnt bei denen mit weniger Haaren
ungehindert unter den Kragen des T- Shirts oder Hemd. Aber Neptun weiss Rat und spritzt uns mit Meerwasser aus dem Feuerwehrschlauch ab. Dies ist wohl der grösste Spass. Nachdem wir uns für die Taufe bedankt haben, lädt uns Neptun zu einem Apéro auf der Brü- cke ein, nach einer Dusche in unserer Kabine, versteht sich.
Der 4. März 2013 wird ein Tag mit Ab- wechslung. Wir sind am Vortag in Santos (Brasilien) eingelaufen und haben heute den ganzen Tag Zeit, um die Gegend zu erkunden. Mit unseren Mit- passagieren fahren wir in zwei Taxen in die Stadt Santos zu einem Einkaufs-
center. Das Thermometer zeigt 33° und wir spüren die hohe Luftfeuchtigkeit. Wir vertreiben uns zuerst die Zeit in dem angenehmen Kühl des Shopping- centers, wo wir etwas später im 2. OG an den vielen Essgelegenheiten vorbei- schlendern und uns für eine feine asiatische Variante entscheiden. Wir verlassen das klimatisierte Gebäude und schlendern durchs Stadtzentrum, immer darauf bedacht, uns auf der Schatten- seite der Strasse aufzuhalten. Santos ist von einem schönen Sandstrand begüns- tigt und es herrscht reges Treiben. Für uns ist es zu heiss, in der Sonne über den langen Sandstrand zu schlendern und wir haben unsere Badehosen nicht
dabei. Nach einigen vergnüglichen Stunden fahren wir mit dem Taxi wieder aufs Boot.
Zurück in meiner Kabine wandern meine Gedanken in die unmittelbare Vergan- genheit in die Schweiz. Vor ein paar Monaten haben mein Partner und ich die sicheren Jobs aufgegeben und die Miet- wohnung gekündigt. Alles „Nötige“ haben wir in unser neues rollendes Zuhause gepackt (bei 9 Tonnen doch das eine und das andere Unnötige) und die restlichen Möbel und Kisten bei der Schwägerin im Dachboden eingestellt. Nun sind wir frei. Frei, solange wir Lust haben, die Welt zu entdecken.
Am 7. März 2013 sehen wir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Argenti- nisches Land. Den ganzen Morgen schippern wir den Rio Parana entlang bis nach Zarate. Die Fahrt auf dem Fluss ist unterhaltsam, da wir nahe am Land entlangfahren.
Da unser Schiff viele Autos ab- und zulädt, können wir am nächsten Tag die Nachbarstadt von Zarate besuchen. Wieder mit zwei Taxen fahren wir in 20 Minuten nach Capana und jeder geniesst die Reise auf seine Weise. In Capana gehen wir zuerst in den Carrefour, wo
wir unsere Augen von den vielen argentinischen Angeboten (Wein!) berauschen lassen. Wir schlendern durch die Stadt und geniessen in einem Restaurant bei der Plaza ein feines Stück Fleisch.
Die Flussfahrt hinunter den Rio Parana passiert in der Nacht und am nächsten Tag wirft der Kapitän den Anker vor Montevideo. Auch den übernächsten Tag, den 10. März 2013 ankern wir. Spät in der Nacht fahren wir in den Hafen von Montevideo. Am 11. März 2013 sind alle Passagiere schon früh am Frühstückstisch. Um 9.00 h soll der Hafenagent kommen, um mit uns die Zollpapiere zu erledigen. Doch unsere Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Wir essen Lunch auf dem Schiff und gegen 14.00 h trudeln die Reisenden mit ihren Fahrzeugen, die mit der Grande Cameroon nach Europa
verschiffen, im Hafen ein und wir können uns mit ihnen unterhalten. Um 15.00 h kommt der Hafenagent und um 17.00 h können wir von Bord fahren. Unser Iveco verlässt nach 26 Tagen das Schiff und fährt zum ersten Mal auf südamerikanischem Boden
(c) amarillo / 28.08.2014
Fotos by amarillo