Ohne Carmen unterwegs
Nichts erniedrigte mich mehr, als der Geruch von Armut, der sich in jede Faser meiner Klamotten fraß und mich selbst zehn Kilometer gegen den Wind nach Dreck stinken ließ. Es war dieses Stigma des Niedriggeborenen.
Ich lebte zwischen Uringeruch und Katzenpisse, also eigentlich lebte ich bei Carmen. Sie war so was wie meine große Liebe. Jedenfalls sagte sie mir jeden Tag, dass sie das sei. Die Wirklichkeit war ein bisschen anders, die Wirklichkeit war neutraler, irgendwie notwendiger. Carmen war nun mal da. Sie löste keine Schmetterlinge
im Bauch aus, sie machte mich nicht glücklich. Aber sie machte mich auch nicht unglücklich. Und nur darauf kam es an.
Auf was sollte ich warten? Auf die große Erlösung, dass jemand an der Türe schellte und mir einen Scheck, eine Stelle oder ähnliches in die Hand drückte, mir kräftig auf die Schultern schlug und sagte “Glückwunsch Herr Lyders, willkommen in der Upperclass.”
Ne, das war vorbei und würde sich auch nicht mehr in meinem Leben ereignen. Mein Leben war durch mit mir. Es hatte mich unsanft ausgekotzt und dann vergessen.
Ich reduzierte mich aufs Überleben und
paarte mich regelmäßig. Irgendwas musste einem ja bleiben, selbst wenn es nur die primären Triebe waren, die man noch befriedigen konnte.
Und ehrlich, Carmen hatte es drauf. Sie war eine Maschine. Nichts für schwache Gemüter, eher was für die Hardcorehefte unter der Ladentheke.
Wir trieben es oft stundenlang und es waren Stunden, in denen wir nicht tranken und uns den Fusel aus den Adern schwitzten. Gute Stunden, normale Stunden und vor allen Dingen ehrliche Stunden.
Ich konnte so viel vergessen in diesen Momenten. Und es tat gut zu vergessen.