Journalismus & Glosse
Bahn frei

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"Eine Bahnfahrt, die ist lustig"
Veröffentlicht am 22. August 2014, 12 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
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Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Eine Bahnfahrt, die ist lustig

Bahn frei

Kein Örtchen. Nirgends

Zum Ferienende in einem IC Koblenz-Berlin. Leute sitzen auf dem Gang, als wäre die Mauer soeben aufgegangen. Die Suche nach dem Örtchen ist da sehr anregend und wird durch ein gesperrtes WC aufgelockert, und durch gleich noch eins. Da steigt man doch gern über ein paar weitere Beindutzende und drückt sich um ein paar mehr Kinderwagen herum, die wild in der Gegend stehen.


Per Regionalzug von Berlin nach Leipzig. Sowohl der Zug bis Wittenberg als auch der Anschlußzug verzichten vornehm auf ein WC. Ergänzend zog es

der Umsteigebahnhof Wittenberg vor, seine Toiletten zu sperren.


Was lehrt uns das? Einen halben Tag vor Ende der Fahrt nichts trinken. Fortgeschrittene Fahrgäste führen stets ein leeres Gurkenglas mit sich − falsche Scham muß man spätestens im Pflegeheim sowieso ablegen.


Liebe Bahn, lieber Bahnvorstand: Wenn ihr wirklich Menschen aus Fleisch und Blut befördern wollt, dann besinnt euch gefälligst darauf, was es früher ganz selbstverständlich so gab. Wenn es euch befriedigt, dann nennt die Dinger meinetwegen zeitgeistig McClean, Press

and Pull oder Pee & Shit. Ich werde entspannt über eure Wortgebilde hinweg sehen, um nicht zu sagen: Ich scheiß drauf.


Linke Tasche, rechte Tasche

Hamm in Westfalen: „Der RE xyz fällt heute aus, Sie können den ICE abc zehn Minuten später benutzen, Danke für Ihr Verständnis.“ Toll: Im ICE kassiert der Schaffner munter diskutierend die Nachlösegebühr mit der Erklärung, RE und ICE gehören zu verschiedenen Konzernfirmen, und die Fahrgäste können sich ihr Geld am Schalter zu Hause zurückholen.


Ja wenn die Bahn ein Serviceunternehmen wäre, ja dann. Dann würde der Fahrgast dem Schaffner bargeldlos unterschreiben, wann woher

wohin und warum, und der Fern- und Nahverkehr würden das konzernintern verrechnen. Für die Bahn wäre das weniger Aufwand und für den Kunden gar keiner, so wie sich das gehörte. So aber hegt die Bahn vielleicht die Hoffnung, mancher Fahrgast bewältigt das Prozedere nicht oder ist nur auf der Durchreise nach Arnheim?

Design oder Nichtsein

Doch, die Bahn investiert natürlich. In neue Wagen z.B. Die werden immer schicker und zeitgeistiger, um für uns Fahrgäste attraktiv zu sein. Wen scherts, daß dabei die früher doppelstöckigen Regionalzüge zu eleganten Eingeschossern wurden, also deutlich weniger Menschen der Attraktion erlegen sein sollten. Die wiederum kommen trotzdem, wenn die S-Bahn wegen ihrer monatelangen Bauarbeiten auf den RE als Ausweich verweist. Und wen scherts, wenn die Leselampen im ICE über der Gepäckablage hängen,

also von den Taschen verdustert werden, was zur spannenden Frage führt: Buch oder Gepäck mitnehmen? Es geht auch sehr viel einfacher. Abteilwagen: Wenn der hinterste Fahrgast raus will, wieviele andere müssen dann aufstehen? Null? Richtig. Und im ICE? Schon einer. Na ja. Und im Großraumabteil des IC? Zwei oder drei, je nach Gepäck. Ich fürchte, ich habe da einen Trend entdeckt. Da aber Aufstehen gut gegen Thrombose ist, steckt dahinter gewiß eine Wellness-Abteilung der Bahn, angesiedelt gleich neben den Tonmeistern, die uns den Sound des Klingklangs „Jetzt kommen die lustigen Tage“ bescheren − wenn man nämlich

den Zug gleich verläßt. Für all diese Experten zahlen wir doch gern. Und die gut dotierten Designer der toten Betonhöhle. die sich Untergeschoß des Berliner Hauptbahnhofs nennt, sollten sich mal heimlich und auf eigene Kosten andere Bahnhöfe ansehen − und sich ihres Daseins schämen. Im Untergeschoß des Züricher Hauptbahnhofs würden sie z.B. staunen, was ein bißchen Farbe so bewirkt.


P.S. Die Tonmeister gibt es wirklich.


© 2014 Brubeckfan  

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Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

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pekaberlin Ja, wer sich in die Hände eines Transporteurs begibt, wird mitunter auch anständig verladen, Gerd!
Trotzdem schön, auch wenn ich nicht weiß, ob es dein Sprachwitz oder einfache Schadenfreude ist, die mich schmunzeln lässt.
Liebe Grüße
Peter
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Na Klasse! Lauter Lacher auf S. 3 :-D
Vielleicht nimmst du das nächste Mal doch lieber den Fernbus, ist auch viel preiswerter als die Bahn ...

Schmunzelgrüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Na ja, wenn man das wie Kassandra voraussehen könnte, nicht. Ich hab auch schon im Bus einen endlosen Thüringer Stau erlebt. Ein wenig halte ichs deshalb wie der Spielsüchtige: Die nächste Bahnfahrt wird bestimmt besser ...

Tschüs und liebe Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift 
"Kein Örtchen. Nirgends"
Man kann ja schon richtig froh sein,
dass im Sommer kaum noch Fahrgäste in Zügen ohne funktionierende Aircodition am Ankunftsbahnhof per Notarzt wieder ins Leben zurückgeholt werden müssen, oder dass im Winter einige Fahrgäste aus einer frozen Winterstarre mit der Power einer 10KW-Shirocco-Heizung aufgetaut werden...
Und jetzt kommst Du und verlangst noch nach geöffneten Toiletten?
Erst auf so nem' Billig-Billig-Bahn-Card-Ticket durch halb Europa gondeln und dann noch sonderbare Ansprüche stellen...
Sorry, aber das geht nun wirklich nicht, denn man kann nun mal nicht alles für lau haben, schließlich ist die DB ja auch kein Sozialunternehmen, sondern ein Service-Dienstleister,
der Dich nur von A nach B bringen soll.
Und, steht auf deinem Billig-Billig-Ticket etwa drauf, dass Du einen verbrieften Rechtsanspruch auf einen offenen Schüsselplatz hast?
Sage jetzt nicht, dass Du dann ja gleich mit deinem eigenen Auto fahren könntest...
Das ist purer Blödsinn, denn dein Auto hat schließlich auch keine Toilette...
LG Louis :-)))
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Ja, Louis, wenn es denn wenigstens eine Discount Ryan Rail gäbe, gell. Man wüßte, worauf man sich einläßt. Doch zum Glück für die Bahn und unser Finanzministerium kann man Konkurrenz auf dem Gleis besser als in der Luft abwimmeln.

Hm, wenn so ein Auto im Stau festsitzt, sollte es vlt. auch über ein leeres Weckglas verfügen?

Entspanntes Wochenende wünscht Dir
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
Beim Zeus! Das gemeine Volk muss gar viel erdulden... da macht sich die royale Clique aus Troja ja gar keinen Zoppes davon...

Harry!!! Fahr schon mal den Wagen vor

Cassy
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Ja, da staunen Eure königliche Durchlocht.

Moment. Trojaner? Sind das nicht diese Trickbetrüger? Damals Pferd, heute Nerd? Respektive Wahlversprechen?

Verwirrt, wohl noch vom abdominalen Druck,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
Tscha, die vermalediete Nord-Süd-Achse, gell?

(*.*)
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Du hast es genau erfasst. Denken ist manchmal schwerer, als man denkt, sonst müsste man sich nicht Blumenvasen oder Einmachgläser einstecken oder sich in den Gepäckablagen dem Lesevergnügen widmen, weil den Designern kein Platz für Toilette oder Leselampen einfiel. Wen wunderts, wenn immer mehr Autos die Staßen verstopfen, weil das Reisen mit der Bahn.....(siehe oben).
Tja, manche haben eben den Beruf verfehlt.

Lachende Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Siehste, diese Variante fiel mir gar nicht ein: Gepäck unten, ich lesend oben im Fach liegend.
Danke für diese Lösung, Bärbel!
Sonnige Wochenendgrüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
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