„Diese Nächte, in denen man stundenlang wach liegt, in denen das Gedankenkarussell einfach nicht still stehen will und man sich fragt, wie viel man noch aufnehmen kann in seine kranke Seele. Ich glaube, DAS sind die schlimmsten von allen.“
-Jake Harlow-
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Jake
Ich bin nicht allein, doch der Wunsch nach Einsamkeit ist groß.
Der Anblick dieser wunderschönen Frau neben mir raubt mir fast meine Sinne. Ich kann nicht länger bleiben. Das muss ich wohl oder übel gestehen.
Mühsam quäle ich mich aus dem Bett. Meine Schritte führen mich zum Fenster, an dem ich einige Minuten verweile. Vorsichtige schiebe ich den dunkelroten Vorhang beiseite. Die Straße vor dem Haus wirkt friedlich und dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass hundert Augenpaare auf mich gerichtet sind.
Schwer vorstellbar, aber es löst eine Gänsehaut in mir aus, die ich genießen kann. Es grenzt an ein Wunder, dass ich es bis hierher geschafft habe.
Harlem wirkt irgendwie verträumt. Die Menschen sind freundlich und dennoch vorsichtig. Was ich wirklich störend finde, ist die Tatsache, dass wirklich jeder Fremde erst einmal unter die Lupe genommen wird. Das Gerede und Getuschel wirkt nicht gerade einladend, aber ändern oder abstellen wird man das wohl nie können. Irgendwann würden sie ihre gerechte Strafe schon erhalten. Immerhin verurteile ich auch niemanden, den ich nicht kenne. Ich habe mich damit abgefunden, angestarrt zu werden. Die
kleine Narbe die sich über mein Kinn bis hin zu meinem Ohr zieht ist nicht unbedingt sehenswert, das wusste ich, aber dafür konnte ich nichts. Ich hatte sie aus Kindheitstagen. Ein Unfall, an den ich nicht gern zurück denke und auch im Moment nicht denken will. Die Vergangenheit ist vorbei. Zum Glück.
Ich drehe mich um und betrachte Anna. Sie hat sich noch keinen Zentimeter bewegt. Ihre Augen sind geschlossen und auf ihren Lippen zeichnet sich ein leichtes Lächeln ab. Am liebsten würde ich mich an sie schmiegen, aber ich kann es nicht. Nicht mehr.
Ich nehme mir eine Zigarette aus dem Etui, welches auf dem Tisch liegt. Es
war ein Geschenk von ihr zu meinem Geburtstag. Ich weiß, das ich es hüten werde wie einen Schatz. Die Erinnerungen, die damit verbunden sind, lassen sich nur schwer aus meinem Gedächtnis verbannen. Und ehrlich gesagt möchte ich es auch gar nicht. Die Tage und Stunden, die ich mit Anna verbracht habe, waren einmalig und gleichzeitig so belebend.
Ich inhaliere den Rauch und fühle mich frei. Ich muss zugeben, es hat mir gefehlt. Vor zwei Jahren beschloss ich mit dem Rauchen aufzuhören, aber als ich auf Anna traf, wusste ich, dass ich wieder rückfällig werden könnte. Und ich behielt Recht.
Völlig nackt laufe ich ins Bad.Eine kalte Dusche ist genau das, was mich wieder munter macht, dessen war ich mir sicher.
Die letzte Nacht war Nerven raubend, nicht zuletzt, weil ich innerlich zerrissen war. Ich musste eine Entscheidung treffen und die war nicht gerade einfach. Vielleicht hätte ich sie auch beide behalten können, aber das Risiko war viel zu hoch. Das musste ich am eigenen Leib spüren, denn beinahe wäre mir das passiert, was sich niemand wünscht. Nämlich die Kontrolle zu verlieren.
Ich trockne mich schnell ab und lege das Handtuch um meine Hüften. Als ich das
Schlafzimmer betrete geht es mir gleich viel besser.
Anna liegt noch immer friedlich da. Innerlich muss ich schmunzeln, weil die Situation zum Schießen war. Egal, wie sehr ich mich bemühen würde, es ließ sich nicht rückgängig machen. Das war auch nicht meine Absicht. Ich hatte mein Ziel erreicht. Nun hieß es, das auszuleben, woran ich schon die ganzen Jahre gearbeitet hatte.
Annas Haus ist wunderschön. Ich verstehe überhaupt nicht, warum sie nicht verheiratet war, aber das macht es umso einfacher für mich.
Ich sehe das Foto auf dem Nachttisch stehen. Ohne zu überlegen, nehme ich es
in die Hand. Es zeigte Anna und ihre Schwester. Eine dritte Person war noch abgebildet. Vermutlich ein guter Freund oder sogar Bruder.
Der Bilderrahmen landet mit einem lauten Knall an der Wand. Ich merke, wie sich die Wut langsam aber sich ausbreitet.
Ich muss raus. Den Kopf frei bekommen. Sonst drehe ich durch.
Dieser Ort wird mir fehlen. Und Anna auch.
Ich schnappe mir meine Hose und streife mir das T-Shirt über den Kopf. Dann setze ich mich noch einmal neben Anna aufs Bett. Ich schiebe ihr die dunkelbraune Strähne aus dem Gesicht, berühre mit meinem Handrücken ihre
Wange. Sie fühlt sich kalt an.
Ich beuge mich nach vorn und drücke meine Lippen sanft auf ihre. Ich werde es vermissen. Ihre Nähe. Ihr Atem. Ihre Berührungen. Ihren Duft. Einfach alles.
„Schlaf gut, Anna!“ hauchte ich ihr leise ins Ohr, dann stehe ich auf. Es ist an der Zeit zu gehen.
Doch bevor ich dieses Haus verlasse, muss ich mich noch auf den Weg nach unten machen. In die Küche. Da wo sie wahrscheinlich schon auf mich wartet.
Mein Geschenk. Meine Liebste. Meine Cathy.